Entengeschichten
radikal !!! radikal ??? radikal !!! radikal ??? radikal !!! radikal ???
Entenvieh macht auch MistDas K.O.M.I.T.E.E. hat sich in der radikal 153 zu Wort gemeldet. Sie haben sich selbstkritisch geäußert, Fehler benannt und sich zur Verantwortung bekannt. Aus dem "radikal-Komplex" (Beschuldigte, Betroffene, die radikal selbst) war leider noch nichts in dieser Richtung zu vernehmen. Gerade durch die verschärften und repressiven Umstände wurden aber Mängel, Fehler und Schwächen nicht nur offenbar, sondern hatten auch direkte Konsequenzen.
Ein verantwortungsvoller Umgang damit ist dringend notwendig - bisher aber findet er nicht statt. Wir finden es wichtig, zu reflektieren, wieso die Repression so reinhauen konnte, warum sich relativ wenig dazu regt, welche Fehler gemacht wurden, warum, und welche Konsequenzen zu ziehen sind.
Manchmal fragen wir uns, ob die ganze Geschichte überhaupt als das Desaster wahrgenommen wird, das sie ist.
Inzwischen ist öffentlich bekannt, daß alles mögliche bei den Durchsuchungen vom 13.6.95 gefunden wurde. Zum Beispiel Hinweise darauf, daß die Observationen der Bullen relativ frühzeitig bemerkt wurden. Das wurde u.a. von einem der Betroffenen auf einer öffentlichen Veranstaltung verkündet. Wenn mensch darüber nachdenkt, drängen sich Fragen auf:
Warum wurde sich nicht zu den Observationen verhalten?
Warum wurden sie nicht öffentlich gemacht, plattgemacht oder, wie auch immer, angegangen?
Und warum haben die Bullen bei den Durchsuchungen haufenweise verschlüsselte Disketten, den Hinweis darauf, daß die Observationen bekannt waren und wer weiß, was noch alles, gefunden - wenn doch bekannt war, daß solche Observationen laufen? Ein gewisses Staunen darüber, daß z.B. die Kenntnis über die Observationen überhaupt schriftlich festgehalten wurde, wollen wir nicht verhehlen.
Wurde doch mehr vom Mythos als von eigener Substanz gelebt?
Um es zu betonen: es geht uns nicht darum, irgendwelche Leute persönlich für die Funde "haftbar" zu machen. Wir gehen davon aus, daß es sich hier um kollektive Strukturen handelt, die auch kollektiv verantwortlich sind. Da ihnen bekannt war, daß sie observiert werden, gehen wir auch davon aus, daß niemand "auf kaltem Fuß erwischt" wurde, sondern daß sich über Verhalten und Vorgehensweise auseinandergesetzt werden konnte. Darum vermissen wir schmerzlich irgendeine Art von Einschätzung oder Stellungnahme. Immerhin führten die Funde zu einem weiteren Haftbefehl und Folge-Durchsuchungen. Oder wird so etwas nur als "Betriebsunfall" angesehen, der halt mal passieren kann und zu dem man sich nicht weiter äußern muß?
Auch, wenn es sicher kein leichtes Unterfangen ist, sich in einer Situation zu äußern, in der noch Prozesse anstehen, denken wir, daß es in einem gewissen Rahmen dennoch möglich ist.
Auch die radikal könnte sich durchaus einigen Fragen stellen, die durch die Repression aufgeworfen wurden.
Um so enttäuschter waren wir, als wir das Interview von der radikal mit der AntiFa (M) über Repression in der radikal 154 gelesen haben.
Da ist - von seiten des radikal-Interviewers - die Rede von "unkontrollierbaren Strukturen", die vielleicht irgendwann einmal "Sprengkraft" entwickeln können, von "Gefährlichkeit" usw. Daß real existierende Strukturen, die mit dem radikal-Vorwurf verfolgt werden, offenbar recht leicht aufzurollen waren, und das, obwohl sie sich über das aktuelle Ausmaß ihrer Gefährdung im Klaren gewesen sein müssen, wird nicht einmal erwähnt.
Wieso kommt nicht die geringste Nachdenklichkeit rüber? Kein noch so kleiner Zweifel auch am eigenen Tun bzw. Unterlassen? Keine Einschätzung, die sich auf die Realität bezieht? Kein Sinn für Verantwortung?
Wir haben uns solidarisch verhalten. Wir haben erwartet, nach einer angemessenen Zeit, auf irgendeine Weise, zu hören, was jetzt Sache ist, welche Fehler gemacht wurden und Überlegungen, welche Konsequenzen zu ziehen seien. Allmählich fühlen wir uns ein bißchen verarscht. Wenn das, was sich uns da präsentiert, ein Mythos sein soll, können wir nur müde lächeln. Nur leider hat das (fehlende) Verhalten auch Konsequenzen (für Einige sehr direkte und unangenehme). Aufgrund von Funden wurde Monate nach dem 13.6. eine Wohnung in Oldenburg und Wohnungen in Münster und Bremen durchsucht und im Anschluß daran gab es noch zwei Durchsuchungen (in Bremen und Kiel). So reißt man Leute rein, so organisiert man ganz gewiß keine konspirativen Strukturen und unkontrollierbar sind sie anscheinend hauptsächlich für uns. Wurde denn so dermaßen viel gefunden, daß die Betroffenen selbst keinen Überblick mehr hatten? Wieso war es nicht möglich, sich innerhalb einiger Monate zu diesen Funden in angemessener Weise zu verhalten? Klar, niemand ist perfekt, aber anstatt sich zu gemachten Fehlern wenigsten irgendwie zu äußern, sich Gedanken über die Gründe zu machen, sich um Schadensbegrenzung zu bemühen, dazuzulernen, wird anscheinend von der betroffenen Struktur auf Aussitzen, Verschweigen und Nichtverhalten gesetzt. Das halten wir für fatal. So werden Leute in die Scheiße geritten, so werden Leute verarscht, benutzt und gefährdet.
Während Selbstkritik nicht stattfindet wird teilweise weiter so getan, als wäre alles cool, als würden die Fehler immer die andern machen, als wäre politische Verantwortung ein Fremdwort, das man gern benutzt, aber eigentlich gar nicht versteht, als ginge es jetzt darum, sich selbst "sauber" aus der Affäre zu ziehen. Als wär das Leben: eben radikal. Das stimmt nicht (mehr).
Vielleicht ist es an der Zeit, sich des Mythos zu entledigen - bevor es andersherum läuft. Niemand soll damit kokettieren können. Es sollte einigen allmählich so peinlich werden, wie es ist. Das sagen wir nicht aus Gemeinheit, sondern weil es anders nicht weitergeht. Das völlige Nichtverhalten von berufener Seite schlägt seine Wellen bis in die Soli-"Bewegung" hinein.
Durch "Straßenklatsch" sind viele ganz gut informiert. Zum Beispiel über Funde. Aber da es auch nicht den Hauch einer Erklärung oder Stellungnahme gibt - bleibt nur das Klatschen, Tratschen, Spekulieren (oder wider besseres Wissen: blindes Vertrauen), der Info-Markt blüht, es kommt zu Abgrenzungen, ohne daß wirklich nachvollziehbar wäre, warum. Eingeweihte bekommen ausgewählte Informationen, Fraktionen bilden sich und belauern sich mißtrauisch. Banalste Mißverständnisse führen zu wüstesten Verdächtigungen.
Wie zuletzt bei der Pressekonferenz der Aufgetauchten in Bremen, wo eine Gruppe zu dem Schluß kam, daß die "eigene" Presse durch falsche Zeitangaben ausgebootet werden sollte. Später klärte sich auf, daß sie den Termin selbst verbaselt hatten. Aber warum sofort Verdächtigungen, Mißtrauen, Unterstellungen? Warum sollte irgend jemand ein Interesse daran haben, "eigene" Presse auszuschließen?
Was gärt da eigentlich im "Untergrund"?
Infos schwirren durch den nicht-öffentlichen Raum. Damit bleiben sie unbenennbar, unhinterfragbar, ein politischer Umgang mit ihnen ist nicht möglich. Dazu kommt, daß Informationen ausgesucht sind, abhängig von der jeweiligen Fraktion und Sichtweise. Das öffnet der Manipulation Tür und Tor. Sicherlich kann man nicht alles öffentlich bereden, aber wohl doch einiges mehr, als es bisher der Fall ist. Vor allen Dingen darf der interne "Informations-Markt" nicht als Ersatz für fehlende politische Auseinandersetzung fungieren. Das Eine schließt das Andere aus. Entweder benutzen wir Informationen, um die eigene Wichtigkeit zu steigern, unsere Sicht der Dinge zu verbreiten, Unangenehmes auch verschweigen zu können, Abgrenzungen zu initiieren und uns selbst ins rechte Licht zu rücken oder wir stellen sie weitestmöglich zur Verfügung, um Diskussion und Auseinandersetzung zu ermöglichen.
Uns interessiert nicht, wer sich am konspirativsten gebärdet, am coolsten ist oder behauptet, die radikalste Linie zu vertreten. Wir gieren nach etwas Verstand, Realitätssinn, Fähigkeit zur Selbstkritik, Witz, Verantwortungsgefühl und Bereitschaft zur Auseinandersetzung!
Wir haben uns, teilweise mehr, teilweise weniger, den Arsch aufgerissen, wir haben uns solidarisch verhalten. Einen entsprechenden Umgang erwarten wir auch für uns.
Aus den öffentlich gewordenen Informationen setzt sich das Bild zusammen, daß die betroffene Struktur die Repression ideenlos und passiv über sich ergehen ließ und nicht imstande war, z.B. auf die Observationen zu reagieren, ein bißchen flexibel und phantasievoll vorzugehen und die Bullen ins Leere laufen zu lassen. Anscheinend haben sie eher wie das Kaninchen auf die Schlange gestarrt. Und tun das noch. Aber warum?
Viele Menschen haben sich solidarisch verhalten, haben Veranstaltungen und Demos organisiert, Knastkundgebungen abgehalten und Geld gesammelt. Nicht zu vergessen die vielen Namenlosen, die den Untergetauchten auf verschiedene Weise geholfen haben. Denselben solidarischen Umgang erwarten wir auch von den betroffenen Strukturen. Wir wollen uns nicht unnötig gefährden, wenn wir uns solidarisch verhalten - nicht durch Getratsche und Fehler, die entweder gar nicht begriffen, oder aus was für Gründen auch immer nicht abgestellt werden. Wir sind sozusagen in der Zwickmühle. Wir wollen solidarisch sein und versuchen, das Beste aus der beschissenen Lage zu machen. Angesichts des fehlenden verantwortlichen Umgangs mit Fehlern und ihren Konsequenzen - daß Leute ohne Not in die Repressionsmaschinerie geraten sind - vertrauen wir immer weniger auf die Fähigkeit besagter Struktur, verantwortlich zu handeln.
Zudem hat die Repression einen Punkt wieder auf die Tagesordnung gesetzt, den viele von uns schon länger eher unter "ferner liefen" nur noch zur Kenntnis genommen haben: Die radikal.
Vielleicht hätten wir schon, als es zunehmend langweilig wurde, sie zu lesen, die Diskussion um ihren Sinn und Zweck anfangen sollen. Jetzt werden wir von ungebetener Seite mit diesen Fragen konfrontiert. Denn warum eigentlich regt sich außerhalb einer engen Szene so wenig zur radikal-Repression? Und warum tut sich die Szene selbst mit Öffentlichkeitsarbeit so schwer? Wir glauben, daß die Gründe nicht im Versagen einzelner Leute liegen, oder, wie es manchmal gern gesehen wird: Die Soli-Bewegung tut nicht genug / die Öffentlichkeit ist gar nicht interessiert / die Betroffenen äußern sich nicht usw. usf. Wir denken, daß der momentane Zustand ausdrückt, was reell da ist - oder auch nicht.
Die Zeiten haben sich geändert und die radikal auch. Die radikal war in den letzten Jahren kein Sprachrohr der Szene, kein Feld kontroverser und fruchtbarer Auseinandersetzung, kein Blatt, das sich sonderlich für die Diskussion feministischer Positionen interessiert hat, keine Provokation, nur beschränkt ein Medium unterdrückter Nachrichten, keine Orientierung in der theoretischen Diskussion. Damit hat sie allerdings auch den Zustand einer autonomen Linken gespiegelt, von der wenig Provokation ausgeht, in der kontroverse Auseinandersetzungen ähnlich selten geworden sind, wie eine politische Praxis, die jene erst ermöglicht. Die Szene selbst ist geschrumpft und hat sich aufgefächert. Zu speziellen Themen, wie AntiFa, Flüchtlinge, AKW, Gentechnik etc. gibt es jeweils eigene Zeitungen, die Information, Theorie und Diskussion liefern. Die wenigen Gruppen, die in diesen Bereichen existieren, sind mit Arbeit eingedeckt. Die verschiedenen Bereiche beziehen sich wenig aufeinander, was unterschiedliche Gründe hat.
Bei Einigen sind es Differenzen zu einer autonomen Politikauffassung, die sie als Mackermilitanz, inhaltsleer und ohne jede sozialen Bezüge ansehen. Bei anderen wird kein Zusammenhang zwischen dem eigenen regionalen Kampf/Thema/Teilbereich zu anderen gesucht oder gesehen. Umgekehrt wurde aber auch die Auseinandersetzung mit bzw. Infragestellung von solchen Auffassungen nicht gesucht oder gefordert. Auch von der radikal - mit doch eher übergreifendem Anspruch - ging kein ernsthafter Versuch in diese Richtung aus.
Daß sich in der Frage der Öffentlichkeitsarbeit so schwer getan wird, offenbart einen weiteren Mangel. Die radikal ist eine Zeitung einer kleinen Szene geworden, die sich teilweise viel zu sehr eingeigelt hat und um sich selbst dreht. Die gerade herrschende Ratlosigkeit ist nachvollziehbar:
wenn ganz einfach keine politische Gruppe oder kein Projekt existiert, daß sich äußern kann; wenn es keine Kontakte und Auseinandersetzungen mit anderen Menschen und Gruppen gibt, in die die Forderung nach einem Verhalten zur radikal-Repression einfließen kann; wenn sich politische Initiative im Gang zur Vokü erschöpft; und: wenn die radikal außerhalb der Szene so gut wie unbekannt und bedeutungslos ist, weil es keine Initiativen von ihr gab, in gesellschaftlichen Auseinandersetzungen präsent zu sein und offensiv in ihnen vorzugehen, z.B. Sonderausgabe zum PKK-Verbot mit dem Versuch massenhafter Verteilung / Ausgabe mit praktischen Tips bezüglich Schienensabotage und Werbeaktion im Wendland / Schwerpunktthema Gentechnik mit Darstellung des Diskussionsstandes, Karte mit Feldern von Freilandversuchen etc. und Vertreibung der Ausgabe bei Gruppen, die zu dem Thema arbeiten, an Unis, Gesundheitsläden etc.pp. .
Der Verzicht auf solche Vorstöße und Einmischungen stellt einen Rückzug auf die "eigene" Szene dar.
Aber es ist scheißegal, wie cool, wie militant, wie "gefährlich", wie radikal wir im luftleeren Raum sind. Wichtig ist doch, ob wir Strukturen aufbauen können, die nicht "potentiell gefährlich", sondern real in der Lage sind (nicht, die Bullen zu erschrecken sondern) z.B. Flüchtlinge zu verstecken, Abschiebungen zu verhindern, den Gentechnikern ins Handwerk zu pfuschen, Fascho-Aktivitäten zu zerschlagen, ein eigenständiges Aufenthaltsrecht für geflohene Frauen durchzusetzen, den Castor auf weitere zig Millionen hochzupuschen, das PKK-Verbot zu Fall zu bringen, die Diskussion um das Lebensrecht Behinderter praktisch zu unterbinden und Verschiedenes mehr. Das ist weniger eine Frage von Verbalradikalität und bloßer Gewalt, sonder eine der inhaltlichen Arbeit, der sozialen Verankerung, der radikalen Position, der politisch verantwortlichen Militanz.
Als Orientierungspunkte einer möglichen Öffentlichkeitsarbeit fallen, wenn überhaupt, und auch eher zögerlich: Pressefreiheit und Notwendigkeit von Widerstandspresse. Daß es schwer fällt, an diesen Punkten eine Öffentlichkeitsarbeit hochzuziehen, liegt wohl auch daran, daß sie ziemlich vage und hohl im Raum stehen. Die radikal als Verfechterin der Pressefreiheit?
Widerstandspresse? Offensichtlich ist den wenigsten klar, was damit gemeint sein könnte. Welcher Widerstand? Wieso hat die radikal darin eine Funktion? Welche? Warum wird sich dann so wenig auf sie bezogen? Fragen, die sich aufdrängen, die immer wieder zu stellen sind, die aber anscheinend keiner zu stellen wagt. Die radikal ist eben die radikal. Ein Mythos muß sich nicht erklären. Das ist der Fehler von uns allen. Solange ein Mythos gewitzt und schlau genug ist, um zu überleben, machen wir uns keine Gedanken darüber, welche Funktion, welchen Sinn er noch hat, welches Risiko eigentlich wofür eingegangen wird. Erst, wenn er angegriffen wird und sich plötzlich die Frage stellt: wie verhält mensch sich dazu? - guckt man wieder genauer hin. Wir glauben, daß genau das jetzt wieder nötig ist. Die große Ratlosigkeit und das große Schweigen sind deutliche Indizien dafür. Denn die Frage war ja nie, ob wir in der Lage sind, Papier zu bedrucken, sondern die Frage ist immer wieder: Womit? und Wofür?
Also: Die Zähne zeigt, wer's Maul aufmacht.In diesem Sinne,
Quo vadis, Bremen, August 1996 (Wohin gehst du?)(Quelle: radikale Zeiten Nr. 6, September 1996)
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kombo(p) | kombo@riffraff.ohz.north.de | 28.6.1997