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Leipziger Volkszeitung, Regionalbeilage Eilenburg, 06.07.2000
Seit fünf Jahren leben sie in Doberschütz
Asylbewerber mit unserer Zeitung im Gespräch / Heute Demonstration in Leipzig
Sie kommen aus Afghanistan und dem Iran. Die Jüngste lernt grade laufen, die Älteste ist 85. Seit vier, fünf oder mehr Jahren leben die Familien im Asylbewerberheim in Doberschütz. In ihrer Heimat waren sie durchwegs wohlhabende Bürger, bevor sie mit der jeweiligen Staatsmacht in Konflikt gerieten. Zusammen mit den Asylbewerbern in der Umgebung fordern sie jetzt bessere Lebensbedingungen in ihrer neuen, fremden Heimat. Heute nun wollen sie ihren Forderungen Ausdruck mit einer Demonstration verleihen. Um 15 Uhr startet sie in der Grimmaischen Straße und führt vorbei am Neuen Rathaus zum Regierungspräsidium in der Braustraße. Im Vorfeld unterhielten wir uns mit Familien im Asylbewerberheim Doberschütz.
Seit fünf Jahren lebt Schahnaz Yozofzai (43) in Deutschland. In Afghanistan stand ihr Mann im Dienst der Luftwaffe, bevor er von den Taliban-Milizen ermordet wurde. "Ich hörte in Afghanistan von der Menschlichkeit der deutschen Gesetze", erklärt sie in Deutsch. "Darauf hoffe ich jetzt". Zusammen mit ihren drei Söhnen und ihrer Tochter lebt sie nun hier. Ihr größter Traum: Ausziehen und sich eine eigene Wohnung nehmen. "Es ist so frustrierend, immer hier eingesperrt zu sein."
Das sieht auch Amir Masus Babadi Soltani so. Umgerechnet 10 000 Mark hat der Iraner demjenigen Mann gezahlt, der ihn einst versprach, nach Deutschland zu bringen. "Ich hatte an den Studentendemonstrationen in Teheran im vergangenen Juli teilgenommen", berichtet der großgewachsene junge Mann. Kurz bevor ihn die iranische Polizei zu Hause gefangen nehmen wollte, sei ihm die Flucht geglückt." In Delitzsch ist er jetzt im "Verein kommunistischer Studenten" des Iran aktiv. Was ihn neben der fehlenden Arbeitserlaubnis am meisten belastet, ist der geringe Aufenthaltsradius. So braucht er für eine Fahrt nach Leipzig eine Ausnahmegenehmigung des Delitzscher Landratsamtes.
Mit seiner Frau und seinen beiden Kindern lebt auch Ghawsuddin Ostowar aus der afghanischen Hauptstadt Kabul in einem 18-Quadratmeter-Raum in Doberschütz. Zu Sowjetzeiten war er Sekretär bei der afghanischen Botschaft in Moskau. Jetzt bedrohen uns die fundamentalistischen Moslems, führen Massenverhaftungen durch und haben den allgemeinen Schleierzwang für Frauen durchgesetzt." Das Verwaltungsgericht habe ihn abschieben wollen. Ostowar kommentiert es mit den Worten: "Die sind unmenschlicher als die Taliban." Heimleiterin Isolde Rogau und Sozialarbeiterinnen Margit Wendt kennen die Klagen. Auf ihren Gesichtern zeichnen sich Spuren von Resignation ab. "Ich kann verstehen, was für eine Demütigung das für die einst wohlhabenden Menschen bedeutet, jahrelang auf engstem Raum zusammen zu leben", zeigt Isolde Rogau Verständnis für ihre Schützlinge. Leider gebe er derzeit auch keinen Deutschunterricht für die Erwachsenen - nur ein paar Monate lang habe ein Lehrer aus Wöllnau ehrenamtlich Unterricht gegeben. Die Kinder lernten jetzt in der Schule Deutsch. Trotz aller Schwierigkeiten führten die Asylbewerber aber ein menschenwürdiges Dasein. Dies unterstreicht die Heimleiterin wiederholt. So gebe es für jeden Flüchtling monatlich 80 Mark Taschengeld, beim gemeinsamen Gang in den Konsum ständen jedem täglich 8 Mark 50 zur Verfügung und zusätzlich gebe es Geld für Kosmetika. Dafür, dass mancher Doberschützer beim Konsum misstrauisch in den vollgepackten Einkaufskorb der Asylbewerber aus der Nachbarschaft schaut, hat Isolde Rogau indes wenig Verständnis. "Bei durchschnittlich fünf Kindern benötigen die Menschen schließlich auch eine entsprechende Menge."
Daniel Meier

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