AUS BETRIEB UND GEWERKSCHAFT
Fortsetzung des Interviews der barricada mit der organisierten autonomie (OA) und dem Netzwerk Betriebsarbeit:
Die
Grundlage jedes Widerstandes, jeder Gegenwehr und jedes Handelns
bildet eine genaue Analyse der bestehenden herrschenden Verhältnisse.
Wie würdet ihr die derzeitigen Angriffe auf die
ArbeiterInnenklasse und den Sozialstaat einschätzen?
Netzwerk:
Wir verstehen die gegenwärtige Situation als Rückkehr zur
"Normalität" des Kapitalismus. In Europa haben wir
seit dem 2. Weltkrieg in einer gewissen Ausnahmesituation
gelebt. Es gab eine relative wirtschaftliche Aufwärtsentwicklung
und der Lebensstandard der Bevölkerung ist teilweise deutlich
gestiegen. Das Kapital konnte es sich leisten, die ArbeiterInnen in
Europa an dem gestiegenen gesellschaftlichen Reichtum teilhaben
zu lassen. Dies geschah nicht aus humanitären Gründen,
sondern musste von der Arbeiterklasse erkämpft werden, wie z.B.
die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall im Streik der bayerischen
Metaller 1957. Unabhängig davon, wie man die real existierenden
sozialistischen Staaten und die antikolonialen Befreiungsbewegungen
einschätzt, hat diese Systemkonkurrenz sicher auch eine Rolle im
Verhalten des Kapitals zur werktätigen Bevölkerung
gespielt.
In
diesen 50 Jahren ist die Entwicklung des Kapitalismus mit all ihren
Widersprüchen weitergegangen. So hat sich z.B. die
Umlaufgeschwindigkeit von Investitionen, Produktion und
Realisierung des Profits enorm beschleunigt. Das umlaufende Kapital
hat sich dabei vervielfacht und die Konkurrenz verschärft.
Selbst globale Großkonzerne, die im High-Tech-Bereich auf die
falsche Technologie setzen oder die jeweils aktuelle zu langsam
einführen, geraten ins Trudeln. Ohne den Kapitalismus hier in
Gänze erklären zu wollen, wird schon deutlich, dass
diesem Prozess, der neuerdings Globalisierung genannt wird, etwas
krisenhaftes innewohnt. Krisenbewältigung im Kapitalismus
heißt aber nichts anderes als die Krisenlasten der arbeitenden
Bevölkerung aufzubürden. Dies geschieht jetzt durch den
Sozialabbau, der von einer nationalen Koalition aus Regierung,
Opposition und Kapital durchgezogen wird.
oa:
zentrales Merkmal der derzeitigen Angriffe ist die Gleichzeitigkeit auf
unterschiedlichen Ebenen und in den verschiedensten Bereichen,
die nicht unabhängig voneinander gesehen werden können.
In der Gesamtbetrachtung kann daher durchaus vom massivsten
Einschnitt seit Bestehen der Bundesrepublik gesprochen werden. Der
Angriff im Inneren, sprich Agenda 2010/Hartz/Rürup, vom Abbau
erkämpfter ArbeiterInnenrechte, der Angleichung von
Arbeitslosen- und Sozialhilfe sowie die Einschnitte im Gesundheits-,
Bildungs- und Rentensystem, usw. gehen einher mit dem Ausbau des
Repressions- und Überwachungsapparates und stehen im direkten
Zusammenhang mit Krieg und Militarisierung nach Aussen,
weltweiten Bundeswehreinsätzen und dem Aufbau von
Interventionsarmeen, was alles gleichzeitig geschieht. Die
Entwicklung ist allerdings auf keinen Fall neu bzw.
überraschend, das was in der Kohl-Ära begonnen wurde,
wird heute durch Sozialdemokratie und Grüne weitergeführt
und ausgebaut, wobei das Ende der Grausamkeiten noch längst
nicht erreicht ist.
Nach
dem Zusammenbruch des real-existierenden Sozialismus hat das Kapital
seine Gangart verschärft, der globale und neoliberal
ausgerichtete Kapitalismus wird als alternativlos propagiert. Soziale
Rechte und erkämpfte Standards stehen dabei den global players
und Monopolen nur im Weg, um ihre riesigen Gewinne zu maximieren und
die maximale Ausbeutung der Lohnabhängigen voranzutreiben.
Während jeder Ballast und jedes Risiko privatisiert werden soll,
der Staat sich hier also zurückzieht, widmet er sich seiner
ureigensten Aufgabe: Optimale Ausbeutungsbedingungen im Sinne des
Kapitals zu schaffen und abzusichern. Was das im einzelnen bedeutet
dürfte allen klar sein: Die Schere zwischen arm und reich wird
sich mehr und mehr öffnen, schon heute verfügt ein halbes
Prozent der Bevölkerung der BRD über ein Viertel des
gesamten Geldvermögens, 10% über 50% des Vermögens.
Durch die Umsetzung der Agenda/Hartz-Richtlinien wird nach aktuellen
Studien die Zahl der SozialhilfebezieherInnen auf 4,5 Millionen
Menschen steigen, jeder zehnte Minderjährige von Sozialhilfe
abhängig. Reguläre Arbeitsverhältnisse werden durch
prekäre Lohnarbeit, Leiharbeit und den Ausbau des
Billiglohnsektors ersetzt, die Konkurrenz unter ArbeiterInnen wird
sich verschärfen, Lohnarbeit als Fetisch oder Zwang noch mehr in
den Lebensmittelpunkt rücken und das Leben jedes einzelnen
der Verwertungslogik des Kapitals untergeordnet.
Selbst
die Gewerkschaften mit ihrem sozialpartnerschaftlichen Kurs
gegenüber Regierung und Kapital sehen sich heute an die
Wand gedrängt. In der bürgerlichen Öffentlichkeit
gelten sie als "Blockierer" und diejenigen als Reformer
und Modernisierer, die die Kapitalinteressen am massivsten
mitvertreten. Was ist vom Gewerkschaftsapparat als
Interessensvertretung 2003 zu halten?
oa:
Nun gut, vom Gewerkschaftsapparat und seiner Führung
war in der BRD noch nie viel zu halten was Klassenkampf oder radikale
Gesellschaftsveränderung betrifft. Der ADAC für
Lohnabhängige wäre vielleicht die beste Bezeichnung, ohne
dabei die vielen aktiven GewerkschafterInnen an der Basis angreifen
zu wollen, die versuchen noch das Beste herauszuholen. Das Problem
des Gewerkschaftsapparates und seiner Führung war und ist
seit jeher die Staatshörigkeit und enge Verquickung mit der SPD.
Nicht
nur zu Wahlkampfzeiten steht die Gewerkschaftsführung hinter
ihrer Partei und trägt damit aus sozialpartnerschaftlichem
Verständnis gegenüber Regierung und Kapital die
Verschärfungen mit. Dass sich die SPD mit ihrem Kanzler und
"Genossen der Bosse" längst auch nur als bürgerliche
Interessensvertretung der Lohnabhängigen verabschiedet hat,
spielt scheinbar kaum eine Rolle. Bei Hartz und Rürup durften
die Gewerkschaften noch brav am Runden Tisch die Verschärfungen
abnicken, zur Agenda wurden sie nicht einmal mehr gefragt. Laue
Proteste waren die Folge, um zusammen mit dem Rest der "SPD-Linken"
für den Erhalt des scheidenden Status Quo einzutreten.
Ausbeutung durch Lohnarbeit im sozialstaatlichen Rahmen, die
Propagierung der reaktionären Standortdebatte und des Ethos
Arbeit als gesellschaftliche Existenzberechtigung, obwohl sich
auch in Gewerkschaftskreisen herumgesprochen haben sollte, dass die
Produktion immer weniger Arbeit und Arbeitskräfte benötigt
- zur Forderung nach Zwangsarbeit ist es da nicht mehr weit. Dass
sich damit auch LeiharbeiterInnen, Arbeitslose und
SozialhilfeempfängerInnen wenig angesprochen fühlen liegt
auf der Hand.
Als
staatstragender Funktionärsapparat ist die Gewerkschaft für
uns kein Bündnispartner. Mit den kleinen, linken
Basisinitiativen auch innerhalb der Gewerkschaften ist eine
Zusammenarbeit möglich. Und auch in den Betrieben selbst kann es
durchaus sinnvoll sein, die Struktur der Gewerkschaft zu nutzen und
Betriebsgruppen zu gründen, um tatsächlich die Interessen
der ArbeiterInnen im Betrieb zu vertreten. Dass dies natürlich
Grenzen hat und auch die Gefahr der Vereinnahmung durch den Apparat
drohen kann, sollte bereits vorher grundlegend durchdacht werden. Als
Alternative stünde der Aufbau radikaler Basisgewerkschaften an,
ähnlich denen der COBAS in Italien, davon sind wir aber leider
noch meilenweit entfernt.
Netzwerk:
Das Netzwerk Betriebsarbeit versteht sich als offene,
strömungsübergreifende Gruppe. Bei uns gibt es
durchaus unterschiedliche Erfahrungen und Meinungen zu den
offiziellen Gewerkschaften. Insofern eure Frage nur auf die
Funktionäre der Gewerkschaft abzielt, sind wir allerdings der
Meinung, dass diese seit Bestehen der BRD noch nie die Interessen der
ArbeiterInnen vertreten haben. Einzelne Vorzeigelinke im
Gewerkschaftsapparat bestätigen als Ausnahme nur die Regel.
Die
Gewerkschaften verlieren an Bedeutung. Ob das nun gut oder eher
schlecht ist, ist für uns noch nicht ausgemacht. Die Politik der
Sozialpartnerschaft und des Co- Managements ist für die
abhängig Beschäftigten nicht attraktiv, da diese ihnen
immer nur neue Einschränkungen bringt. Insofern ist es gut, dass
den VertreterInnen dieser Politik die Mitglieder davonlaufen.
Andererseits bedingt die Schwächung der Gewerkschaft ein
Erstarken der KapitalistInnen, solange es keinen (anderweitigen)
Widerstand gibt.
Ob
die Gewerkschaft noch eine Zukunft hat, liegt an ihr selbst. Ohne
eine grundsätzliche Opposition zum herrschenden
Kapitalismus und eine daraus erwachsende konsequente Politik als
Klassenorganisation wird sie ausgespielt haben.
Das
Wort "Klassenkampf" ist heute selbst in der
(radikalen)Linken kein unumstrittener Begriff. Wo steht für
euch die (radikale) Linke hierzulande im Punkto "Widerstand
gegen die soziale Realität?“
Netzwerk:
Die radikale Linke lebt teilweise in ihrer eigenen Realität,
oder banal gesagt, sie hat sich zum Teil in der Nische einer
Subkultur eingerichtet. Die politischen Aktivitäten orientieren
sich oft an gesellschaftlichen Brennpunkten und wechselnden
Bewegungen bzw. Themen (z.B. Antifa, Anti-Krieg, Castor). Der
(all)tägliche Klassenkampf im Betrieb und auf den Ämtern
ist weit weniger spektakulär. Allerdings gab und gibt es immer
wieder Ansätze, sich in der sozialen Realität zu verankern
und sich in Alltagskämpfen auf die Klassenfrage zu beziehen. Wir
versuchen uns in der Klasse zu verankern, den Klassenkampf in der
Gesellschaft voranzubringen und die notwendigen sozialen Kämpfe
loszutreten.
oa:
Als wahrnehmbarer gesellschaftlicher Faktor ist die (radikale) Linke
über soziale Kämpfe in der Gesamtbetrachtung kaum
vorhanden. Das liegt nicht unbedingt daran, dass ihre Themen von der
Öffentlichkeit nicht aufgenommen werden, sondern dass es kaum
soziale Kämpfe gibt, die von ihr angestoßen und
durchgeführt werden. Statt dem Versuch, durch emanzipatorische,
klassenkämpferische Praxis eine nur ansatzweise Verankerung
in der Bevölkerung/ArbeiterInnenklasse zu erlangen, spricht man
lieber mit und über sich selbst. Statt konstruktiven,
weiterführenden Theorie- und Praxisanstößen
entstehen oft wahnwitzige und absurde Ideologie-Debatten jenseits
jeder sozialen und alltäglichen Realität der Menschen.
Viele verorten sich ausserhalb, weit weg von der Klassengesellschaft
und richten sich damit schon mal gemütlich in der bürgerlichen
Gesellschaft ein und im System, das man doch vorgibt zu bekämpfen.
Klar
gibt es auch vereinzelte regionale Aktivitäten, dort von den
Resten der K- und ML-Parteien, da von linken EinzelkämpferInnen
im Betrieb, hier von autonomen und undogmatischen Linken. Im
allgemeinen fehlt es aber sicherlich an AktivistInnen, die den
politischen Kampf in ihren Lebensmittelpunkt rücken, es fehlen
die Strukturen und es fehlt letztendlich die vermittelbare
Perspektive, die über die Kritik am Bestehenden hinausgeht. Mit
dem Klassenkampf von oben sind in letzter Zeit aber wieder verstärkt
klassenkämpferische Debatten und praktische Anstösse zu
vernehmen, so dass wir hoffen, zumindest mittelfristig den Status
eines politischen Entwicklungslandes im Vergleich zu zahlreichen
anderen europäischen Ländern zu überwinden.
Während
in anderen Ländern Generalstreiks gegen die neoliberale
Kürzungs- und Einsparungspolitik organisiert und angenommen
werden, blieb es bisweilen in der BRD trotz der massiven
Angriffe weitestgehend ruhig. Warum geht kein Aufschrei durch die
Masse von Menschen, die ja selbst von den Angriffen betroffen
ist?
Netzwerk:
Seid ihr sicher, dass es keinen Aufschrei gibt? Oder ist es nicht
vielmehr so, dass es zwar Millionen Schreie gibt, diese aber ungehört
verhallen, weil sie völlig isoliert auf der individuellen Ebene
geschehen? Die Frage berührt viele verschiedene Ebenen,
angefangen vom Zustand bzw. der gesellschaftlichen Wahrnehmbarkeit
der (radikalen) Linken über die Kampferfahrungen und Traditionen
der Klasse, die sich z.B. in Frankreich und Italien von denen
hierzulande deutlich unterscheiden, bis hin zum unterschiedlichen
Lebensstandard. Man darf nicht vergessen, dass wir hier -
international gesehen - immer noch auf einer Insel des
Wohlstandes leben. Wir können unsere beschränkten
Erfahrungen sicher nicht verallgemeinern. Aber wir spüren in den
Betrieben, wo wir aktiv sind, dass die Unzufriedenheit wächst.
Wir sehen es als unsere Aufgabe, die individuellen Aufschreie
zusammenzubringen und mit dieser gebündelten Kraft sich
öffentlich sichtbar zu Wort zu melden.
oa:
Dass bei vielen Unzufriedenheit herrscht, die für den Reichtum
anderer schuften und immer mehr bezahlen sollen, steht ausser Frage.
Ein Aufschrei ist es aber sicherlich nicht. Doch woran liegt
das? Gesellschaft, Umfeld und Sozialisation bestimmen die Entwicklung
von Menschen. Eine ungeheuere Propaganda prasselt tagtäglich
durch Schule, Uni, Arbeit, Politik und Medien auf uns ein, die
neoliberale Politik des Sozialabbaus sei ohne Alternative, zum
Kapitalismus gäbe es keine Alternative. Leistungs-, Arbeits- und
Konkurrenzdenken werden von klein auf eingehämmert. Hierarchie
und Dominanzdenken werden sozialisiert und propagiert, von
patriarchalen Strukturen bis rassistischer Meinungsmache. Wie leicht
ist es doch, den Schwächeren zu treten und wie schwer ist es,
Widerstand gegen den Stärkeren zu leisten - zumal individuell,
da jede/r für sich selbst verantwortlich ist, wie uns gesagt
wird. Im Nationalismus und der Standortfrage sollen dann doch wieder
alle zusammenstehen, wenn es darum geht, soziale Ungleichheit und
Klassenwidersprüche zu kaschieren. Das System hat sich immer
mehr perfektioniert. Der herrschende Diskursrahmen ist eng umgrenzt
und von jeder wirklich abweichenden Meinung abgeriegelt. Selbst die
Angleichung an die 35-Stunden-Woche scheint gegenüber der
herrschenden Politik- und Medienmacht so illusorisch wie die
Revolution. Die ArbeiterInnenklasse ist heute weder revolutionär
noch links, selbst das Klassenbewußtsein selbst fehlt zumeist.
Natürlich ist aufgrund der unzähligen Widersprüche ein
Ausbruch möglich, meist individuell oder in kleinen
Zusammenhängen, da die Strukturen für die Alternative nicht
bestehen. Der Nationalsozialismus hat einen großen Teil
linken Bewusstseins vernichtet, die BRD als NS-Nachfolger die
Kommunistenjagd geerbt, in der DDR erlebten wir das Scheitern des
Versuchs einer sozialistischen Gesellschaft und die 68er Bewegung
stellt heute die bürgerliche Elite. Doch genau kontinuierliche
Strukturen und Traditionen, wie sie in anderen Ländern
existieren, wären von Nöten über Generationen das
Klassenbewusstsein und den Kampf weiterzutragen. So gilt es
heute, die revolutionäre Seite gegen den scheinbar übermächtigen
Feind neu aufzubauen, in der Sicherheit, dass der Kapitalismus
nicht das Ende der Geschichte ist.
Auch
aus den großen globalisierungskritischen Protesten gegen
kapitalistische Gipfeltreffen hat sich bisher kaum Widerstand
auf landesweiter bzw. regionaler Ebene etablieren können. Welche
Möglichkeiten der inhaltlichen und praktischen Intervention des
Klassenkampfes von unten seht ihr denn?
Netzwerk:
Mit der Anti-Globalisierungsbewegung gerät das
kapitalistische Herrschaftssystem als Ganzes endlich wieder ins
Visier einer internationalen linken Bewegung. Gegen den global
agierenden Kapitalismus und den Terror des Weltmarktes hilft nur eine
sich international organisierende Kraft: Proletarier aller Länder
vereinigt euch - der Aufruf von Marx und Engels von 1848 ist
aktueller denn je. Allerdings gibt es in dieser Bewegung eine große
Unsicherheit über die tatsächlichen Ursachen der bekämpften
Auswüchse der globalen Marktwirtschaft. Möglichkeiten der
Intervention im Klassenkampf vor Ort gibt es viele. Wir befürchten
aber, dass ein Teil der GlobalisierungsgegnerInnen das noch gar nicht
als seine/ ihre Aufgabe sieht.
oa:
Die großen Proteste gegen die Gipfeltreffen haben
mehrere zentrale Elemente: Sie schaffen es, wie schon gesagt, den
Kapitalismus an sich wieder ins Zentrum der Kritik zu rücken,
auch wenn ein Großteil der Bewegung reformistisch orientiert
ist. Zum anderen erleben wir eine starke internationale Bewegung, die
lernt Erfahrungen auszutauschen, Kämpfe miteinander in
Verbindung setzt, sich gegenseitig unterstützt, von Chiapas über
Indien bis Europa. Weiter schafft sie durch ihre spektakulären
Massenmobilisierungen und militante Vorgehensweise symbolisch
den Ausdruck, Widerstand ist machbar - gemeinsam, international und
gegen alle Repressionen, egal wo. Und schließlich gerät
die Kritik dadurch in den öffentlichen Fokus, zwar meist
gefiltert, aber die Bewegung steht wie keine andere im
Rampenlicht. Sie lebt natürlich von den Basisbewegungen vor Ort,
die in zahlreichen Ländern wieder stark in der Bevölkerung
verankert sind, auch in Europa. Egal ob Frankreich, Italien, Spanien,
dem Baskenland oder Griechenland. Auch die radikale Linke hat
dort ihre verankerten Strukturen. Die Organisationen selbst wachsen
und versuchen über Sozialforen und Netzwerke gemeinsame
Kampagnen und soziale Kämpfe durchzuführen. In
Deutschland ist man allerdings davon noch weit entfernt. Zwar gibt es
durchaus auch aus der radikalen Linken eine rege Beteiligung an
den internationalen Großdemonstrationen, die notwendige
Aufgabe, Basisgruppen vor Ort zu initiieren ist bislang nur
wenig vollzogen. Selbst Organisierungsansätze mit
gefestigten Strukturen/Infrastruktur auf lokaler Ebene sind keine
Selbstverständlichkeit, im Gegenteil, und auf
überregionaler/bundesweiter Ebene herrscht gänzliche
Stille. Hier liegen die zentralen Ansatzpunkte für die radikale
Linke, vor Ort aktiv zu werden, sich zu vernetzen, in die
Gesellschaft und Klasse zu wirken und sich auszuweiten.
Dazu
gehört die Basisarbeit im Betrieb, an den Schulen und Unis, im
Stadtteil, dort wo man lernt, arbeitet und lebt. Dazu gehört die
eigene bereichsübergreifende Organisierung und dazu gehört
auch die Durchführung von öffentlichkeitswirksamen
Aktionen, um wahrnehmbar und greifbar zu werden.
Einzig
der reformistische Flügel hat sich mit Attac in der BRD ein
Netzwerk geschaffen, das allerdings mehr einem aufgeblähten
Öffentlichkeitsapparat entspricht, als einer vor Ort in der
Klasse verankerten Vernetzung. Ihre Zukunft besteht wohl darin, die
Nachfolge der Grünen anzutreten und irgendwann in der
bürgerlichen Demokratie aufzugehen.
Bei
jeder Intervention stellt sich auch die Frage der Strategie und
Organisierung politischen Handelns. In den vergangenen Jahrzehnten
hat die Linke so einiges versucht. Aus den unterschiedlichen Ansätzen
und dem heutigen Erfahrungsschatz müsste doch eigentlich zu
lernen sein, eine erfolgversprechende Strategie und
Organisierungsform zu entwickeln. Welche praktischen Erfahrungen
und Modelle habt ihr denn für euch im Kopf und wie sehen
eure zentralen Ansätze der politischen Intervention aus?
oa:
Zentral in unserem Konzept ist der zunächst noch lokale
Organisationsansatz. In den vergangenen Jahren haben wir diesen
kontinuierlich ausgebaut und ausgeweitet. Im Verhältnis zu dem,
was angebracht wäre, sind es allerdings wie gesagt nur Ansätze.
Auf der politischen Ebene versuchen wir durch eigene Aktionen und in
Bündnissen, eigenen Publikationen und offensiver
Medienarbeit aus der Marginalität herauszukommen, auf die
Bewegungen einzuwirken und Menschen zum Denken und Handeln zu
bewegen, auch durch Jugend- und Strukturarbeit. Auf der theoretischen
Ebene versuchen wir uns selbst zu bilden, einen kollektiven
Prozess einzuleiten, inhaltliche Grundpfeiler herauszuarbeiten und
das eigene Wissen weiterzutragen. Nicht zuletzt schließlich der
Kampf in der sozialen Realität, im Betrieb und im Stadtteil, die
Basisarbeit also, ein zäher und schwieriger Bereich, der
langfristig angelegt ist. Natürlich kommt uns dabei zu Gute,
dass sich AktivistInnen aus unterschiedlichen Generationen und
Kämpfen in der oa organisieren, vom Häuserkampf, der
Autonomen- und Jobberbewegung der 80er Jahre, der autonomen
Antifa-Bewegung der 90er, von "alten Hasen" aus
ML-Zeiten bis hin zu den ganz Jungen, die jeweils ihre Erfahrungen
miteinbringen und in den jeweiligen Bereichen arbeiten. Von
einer Verankerung kann natürlich keine Rede sein. Wie
gesagt, es sind Ansätze, auf denen aufgebaut werden kann.
Netzwerk:
Die Kunst besteht darin, aus der Geschichte zu lernen mit dem Wissen,
dass sich die Geschichte nicht wiederholt. Wir haben uns vorgenommen,
die vielfältigen Erfahrungen der radikalen Linken mit
betrieblichen und sozialen Kämpfen auszuwerten und in
unsere Arbeit miteinfließen zu lassen. Wichtig ist uns, dass
bei all der mühsamen Kleinarbeit nicht der Blick fürs
Wesentliche verstellt wird: das herrschende System der Ausbeutung des
Menschen durch den Menschen, der Konkurrenz und des Profitstrebens
gehört auf den Müllhaufen der Geschichte! Neben der
notwendigen theoretischen Arbeit halten wir die Verankerung in den
Betrieben und das Führen von konkreten Kämpfen für ein
zentrales Moment. Ein praktisches Beispiel für unsere Arbeit war
die Solidaritätskampagne gegen die Entlassung des Betriebsrates
bei der Druckverarbeitung Nürnberg (DVN). Hier konnten wir auch
wegen unserer unkonventionellen Methoden den bemerkenswerten
Erfolg erzielen, dass das bekannt arbeitgeberfreundliche
Arbeitsgericht Nürnberg der Wiedereinstellung zustimmen musste.
Unsere
Arbeit in den Betrieben bei der Organisierung der KollegInnen besteht
aus tausend kleinen Schritten, die häufig im Verborgenen
stattfinden. So ist es notwendig, die Leute zusammenzubringen, ihnen
zu vermitteln, dass es richtig und möglich ist, aufzustehen und
gegen die herrschende Konkurrenz Kollektivität und Solidarität
zu setzen. Dies und das Vertrauen auf die eigene Kraft sind
Voraussetzungen, um später zu politisch sichtbaren Aktionen wie
Streiks und Demos zu kommen. Die Vernetzung von unten unter Nutzung
des Internets halten wir für einen wesentlichen Schritt bei
dieser Arbeit. Wichtige Vorteile der Vernetzung sind die ungemein
schnelle Verbreitung von (auch unerwünschten)
Informationen, der direkte Austausch von Informationen und die
Kommunikationsmöglichkeit räumlich getrennter Belegschaften
und Individuen. Dies geschieht ohne Kontrolle durch den
Gewerkschaftsapparat und die Firmenleitung. Die Hemmschwelle im
Internet aktiv zu werden ist relativ niedrig. Damit werden
Individualisierung, Konkurrenz- und Stellvertreterdenken durchbrochen
zugunsten einer selbstbewussten Klasse, die über den Kreis der
üblichen AktivistInnen hinausgehen wird.
Was
erwartet ihr für die Zukunft?
oa:
Das gesellschaftliche Klima und der Klassenkampf von Oben werden sich
weiter verschärfen, dadurch werden aber auch die Widersprüche
und die Unzufriedenheit wachsen, die es gilt, aufzunehmen und zu
bündeln, um daraus die Organisierung von Widerstand
voranzutreiben, sich zu verankern, in allen Bereichen und mit einer
System- und Gesellschaftskritik, aus der heraus die Perspektive
für die Abschaffung des Kapitalismus hin zu einer freien,
kommunistischen Gesellschaft wächst. Ihr seht, es gibt eine
Menge zu tun und alle sind aufgefordert, sich daran zu beteiligen.
Netzwerk:
Für uns das übliche Angebot: einen gutdotierten Posten im
Gewerkschaftsapparat, eine 6-stellige Abfindung, - da wir das
nicht annehmen werden - Streß, Ärger und Repression. Unser
Ausblick: Klassenkampf und soziale Revolution.