Das
Leben ändern die Welt verändern
Linke
und Kunst
LINKE
UND KUNST?
Bevor
ich wieder auf die Kultur zurückkomme, gehe ich davon aus, dass
die Welt Hunger hat und sich nicht um die Kultur kümmert; und
dass man künstlich Gedanken auf die Kultur hinführen will,
die auf nichts anderes gerichtet sind, als den Hunger.
Antonin
Artaud
Die
radikale Linke allerdings beschäftigt sich seit ihrer Entstehung
mit Fragen der Kunst - und selbstverständlich bringt sie auch in
diesem Bereich ein gewaltiges und buntes Spektrum an
Herangehensweisen, Antworten und Fragestellungen hervor.
In den
letzten 150 Jahren ist verschiedentlich die Forderung vorgebracht
worden, die Linke solle sich der Beschäftigung mit kulturellen
Fragen enthalten. Diese Ansicht ist immer noch nicht erledigt, breit
durchsetzen konnte sie sich aber nie: Es war stets der erklärte
Anspruch der Linken, nicht nur die politische Ökonomie und den
unmittelbar politischen Bereich der herrschenden Ideologie zu
untersuchen und einer Kritik zu unterziehen, das Elend des
kapitalistischen Wirtschaftens nicht auf ein Verteilungsproblem zu
reduzieren.
Die
Nachrangigkeit kultureller Fragen andererseits, auch immer wieder
gerne bestritten, ergibt sich für uns schon aus der Tatsache,
dass Hungernde sich nicht recht für ästhetische Probleme
begeistern können und Tote keine Diskussionen über
Ökonomismus oder Kulturalismus führen.
In den
letzten 5 Jahren hat sich die barricada wiederholt solch nachrangigen
Fragen gewidmet, meistens am Rande (das bringt die Nachrangigkeit mit
sich) und um aktuelle Ansätze vorzustellen, die Kunst in den
Dienst der Revolution stellen wollen, in den Dienst der Aufklärung
und der Propaganda.
Was
bislang fehlte, war eine Diskussion der vielen offenen Fragen in
diesem Bereich, der Versuch, dieser Diskussion überhaupt einen
Rahmen zu geben, also eine Position zu finden zur Frage: Wie sollen
sich Linke mit Kunst beschäftigen?
Das ist
freilich eine Diskussion, für die wir mit dieser Ausgabe
lediglich den Anfang setzen können. Kann Kunst selbst
revolutionär sein? Wo hat Kunst ihren gesellschaftlichen Ort?
Was sind ihre Funktionen, wo sind die Grenzen ihrer Wirksamkeit? Kann
es proletarische Kunst geben? Können subversive Ausdrucksformen
und Inhalte vor Vereinnahmung durch die Gegenseite geschützt
werden, wo selbst das vormals subversive Spiel mit affirmativer
Ästhetik bereits vereinnahmt wird? Hat Kunst ein Geschlecht?
Der
vorliegende Artikel wird einige dieser Fragen gerade mal anreißen,
im übrigen kann er nicht mehr leisten als einige grundsätzliche
Überlegungen zur Diskussion zu stellen und den Verlauf des
Problems anhand historischer Beispiele zu beleuchten.
KUNST
UND FREIHEIT
Ideologisch´
heißt hier soviel wie: nicht unmittelbar durch das dem Denken
Entgegenstehende (den Gegen-Stand) bestimmt, sondern durch das Denken
dieses Gegenstandes, durch den denkenden Gegenstand, durch die in
seinem Denken - sich richtig oder falsch - erkennende Gesellschaft
selbst
Leo
Kofler
Raffael,
so gut wie jeder andre Künstler, war bedingt durch die
technischen Fortschritte der Kunst, die vor ihm gemacht waren, durch
die Organisation der Gesellschaft und die Teilung der Arbeit ... .
Marx/
Engels, Die deutsche Ideologie
Alle
Kunst ist letztlich durch das Ökonomische bestimmt, allerdings
nicht unmittelbar und mechanisch, sondern gebrochen, ihrerseits im
Ökonomischen wirksam und innerhalb der eigenen Sphäre
Wechselwirkungen bedingend - mit anderen Worten: Kunst ist relativ
autonom. Bei aller augenscheinlichen Widersprüchlichkeit
resultiert aus Ökonomismus und Kulturalismus die gleiche falsche
Position: Die Trennung und Gegenüberstellung zweier Bereiche der
Realität, die untrennbar verflochten sind, verführt dazu,
für eine Seite in diesem falschen Widerspruch Partei zu
ergreifen und einen Bereich als absolut autonom und bestimmend
wahrzunehmen, den anderen quasi von der gesellschaftlichen Realität
abzutrennen und zur Form werden zu lassen, die beliebig füllbar
ist, -oder aber einen der Bereiche für komplett und unmittelbar
vom anderen bestimmt zu erklären, womit eine direkte Arbeit an
ihm unnütz wird.
Das
bürgerliche Kunstverständnis hat stets dazu geneigt, die
relative Eigengesetzlichkeit, Eigengeschichtlichkeit von Kunst
absolut zu setzen.
Teile
der Linken haben immer wieder dazu geneigt, in der Beschäftigung
mit Kunst (oder auch nur Ablehnung des Themas) den dialektischen
Materialismus zu vergessen und bürgerliche Mythen und
Vorstellungen zu reproduzieren: Die Theorie des autonomen
schöpferischen Subjekts etwa, die Klassenlosigkeit und Freiheit
von Kunst, die Reduzierung auf eine Frage des Geschmacks
einerseits, auf den Grad ihrer unmittelbaren Nützlichkeit als
Mittel zum Zweck andererseits usw.
DAS
EWIG SCHÖNE UND DIE WARE
Man
steigt nicht schon dadurch aus der Kultur aus, daß man sich die
Analyse der Kultur und der kulturellen Interessen erspart.
Bourdieu
Eine
Kunst, die sich über die von mir bezeichneten Gesetze und
Schranken hinwegsetzt, ist keine Kunst mehr. Kaiser Wilhelm II.
Haben
KünstlerInnen gesellschaftliche Verantwortung?
Zunächst
haben sie die Verantwortung, die kunstkaufende Klasse
zufriedenzustellen. Wie die Bourgeoisie ihre Interessen als das
Interesse der gesamten Menschheit darstellt (und in der Regel auch
selber betrachtet), muss (und kann) sie ihr falsches Bewußtsein
in puncto Kunst als allgemeingültiges, wenn nicht gar ewiges,
hinstellen.
In der
Bourgeoisie ist das Wissen darum, wie sehr KünstlerInnen nichts
anderes sind als abhängige ProduzentInnen allerdings weiter
verbreitet als in den populären Kulturmythen.
Abhängig
sind die HerstellerInnen der Ware Kunst vom Wohlwollen des Marktes,
heißt es. Da der Markt aber gar nichts will, müssen wir
sagen: Sie sind abhängig von den verschiedenen Fraktionen der
Bourgeoisie, die direkt oder indirekt (über Aufträge des
Staates oder angeschlossener systemerhaltender Apparate) darüber
entscheiden, was aus dem reichen Kunstangebot gekauft wird. Der
Einfluß auf die Produktion ist zwar in der Regel komplex und
eher subtil, es gibt aber auch Beispiele für direktes und
unverblümtes Eingreifen von GaleristInnen und SammlerInnen in
das autonome Kunstschaffen, geballt etwa während des
Investitionsbooms und der Hypes der 80er Jahre.
Allein
die Unsicherheit der KünstlerInnenexistenz, die mit der
Herausbildung eines offenen Kunstmarktes ab dem 16. Jahrhundert viel
größer wurde als sie z.B. im feudalistischen Mittelalter
war, legt den Kunstschaffenden manchmal eine Identifizierung mit den
Unterdrückten nahe. Weitere Gründe für die Parteinahme
Kulturschaffender für das Proletariat, das sich ausdrücken
kann in sozialem oder rein ideellem Engagement, künstlerischen
Kommentaren usw. ist die Auslagerung des sozialen Gewissens
der Herrschenden auf das Feld der Kultur. Selbst radikalste Kritik
kann hier, vor allem wenn sie ohne aktuellen konkreten Bezug ist,
Wertschätzung und KäuferInnen finden (die Allianz der
KünstlerInnen mit der Macht erweist sich sowieso als weniger
brüchig und ehrlicher). Nebenbei werden durch das Verhandeln
gesellschaftlicher Widersprüche auf dem relativ sicheren Terrain
der Kultur Widerstand und Subversion entschärft und sogar
eingebunden. Die Reihe von Vereinnahmungen von Subkulturen
sollte es deutlich gemacht haben: In der Kunst kann es radikale
Kritik geben, aber kein Außerhalb des Kulturspiels.
Einem
Gegenstand, der durch das Verdikt der Herrschenden zur hohen Kunst
wird, werden nicht nur die magischen Qualitäten normaler Ware
verliehen, er wird beinahe zur Person erklärt, allerdings zu
einer einmaligen und ewigen.
In der
Berichterstattung über Attentate auf alte (oder neue) Schinken
wird es deutlich: Ein Stück Holz oder Leinwand, auf dem Farbe
verteilt ist, kann allemal mehr wert sein als ein Mensch.
Ewig ist
ein Kunstwerk, zum Entsetzen mancher KunstgeschichtsstudentInnen,
freilich nicht. Es ändert sich mit der Zeit, das Material
zerfällt, die Substanz schwindet.
Einmalig
ist es schon gar nicht. Es lässt sich, für´s Auge
ununterscheidbar, prima reproduzieren. Das Produkt legt ja auch vom
eigentlich wichtigen, der Findung, lediglich Zeugnis ab, oder anders
ausgedrückt: Ob z.B.Barnett Newmans Wer hat Angst vor rot,
gelb und blau IV in der Berliner Nationalgalerie das Original
oder, mit identischer Farbgebung, von Malermeister Krause aus dem
Wedding reproduziert ist: Für die Betrachterin und die
Wirksamkeit des Bildes ist es wurscht. Nicht wurscht sein kann es den
AkteurInnen auf dem Kunstmarkt und den BesitzerInnen der bürgerlichen
Kunstideologie. Auch hier beugen sich nicht nur die ProduzentInnen
den Marktgesetzen, durch Limitierung von Drucken und Skulpturen etwa,
sondern die bürgerliche Gesetzgebung hilft mit Freiheitsstrafen
(!) für FälscherInnen nach.
Ein
sympathisches Beispiel für versuchten Widerstand gegen einen
Teil des Kunstspiels liefert der Vielmaler Jim Avignon: Jeder
soll soviel bezahlen, wie er hat. Das heißt: Von Firmen sehr
viel Geld verlangen, von Privatleuten weniger und von Leuten, die
nichts haben, eben gar nichts. Ich habe immer wieder Ausstellungen
gemacht, wo es Bilder umsonst gab.
und das ist
mindestens Marktbeleidigung.
REVOLUTION
ILLUSION - DAS SCHEITERN VON DADA, SURREALISMUS, SITUATIONISMUS
Die
einfachste surrealistische Handlung besteht darin, mit Revolvern in
den Fäusten auf die Straße zu gehen und blindlings so viel
wie möglich in die Menge zu schießen. Wer nicht wenigstens
einmal im Leben Lust gehabt hat, auf diese Weise mit dem derzeit
bestehenden Prinzip der Erniedrigung und Verdummung aufzuräumen
- der gehört eindeutig selbst in diese Menge und hat den Wanst
ständig in Schußhöhe.
Die
Berechtigung zu einer solchen Handlung ist meines Erachtens
keineswegs unvereinbar mit dem Glauben an jenen Glanz, den der
Surrealismus in unserem Innern zu entdecken sucht. Ich habe hier nur
der menschlichen Verzweiflung Raum schaffen wollen, denn diesseits
von ihr vermag nichts diesen Glauben zu rechtfertigen: Unmöglich,
diesem seine Zustimmung zu geben und nicht ihr.
Andre
Breton
Wir
werden hier nicht versuchen, die bewegte Geschichte von DADA,
Surrealismus und Situationismus nachzuzeichnen. Es geht uns lediglich
darum, einige Probleme des Politischen in der Kunst und politischer
Kunst zu beleuchten.
Entstanden
in der bis dahin blutigsten Episode des Imperialismus, einte die
multinationale DADA-Bewegung (viele von ihnen als WK I - Teilnehmer
Feinde) der Bezug auf die Tradition des Dandys, die
Weigerung, durch erbauliche oder auch kritische Bilder und Gedichte
weiterhin das Schlachthaus zu dekorieren, die erklärte
Entschlossenheit, die Kunst in Gänze abzulehnen, die Verachtung
bürgerlicher Werte und das Dilemma, trotz allem Kunst zu
produzieren. Als Reaktion auf die Verlogenheit der Zeit war DADA
zunächst eine feine Sache.
DADA hat
als erstes den Humor der Revolverschüsse und die kulturelle
Entwendung zelebriert. Und natürlich galt: DADA ist keine
Kunstrichtung!
DADA war
Provokation auf dem Gebiet der Kultur und leider bald Mode: Die
Provokation war keine mehr.
Offenbar
wurde das Scheitern DADAs während des Prozesses gegen den
Literaten Maurice Barres, dem die DADAisten seine Parteinahme für
Frankreich und den Verrat des Geistes seiner Jugend vorwarfen.
Während
Andre Breton, späterer Theoretiker und Kopf der Pariser
Surrealisten, sich um eine ernsthafte Prozeßführung
bemühte (was später leider eine seiner Paraderollen werden
sollte), versuchten der Alt-DADA Tristan Tzara und seine
Sympathisanten, die Aktion in den damals schon üblichen
unverfänglichen DADA-Klamauk zu verwandeln. Wichtiger als das
sich dadurch verfestigende Zerwürfnis war allerdings das
Desinteresse der Medien, der Rechten und der Staatsgewalt, und das,
obwohl die Breton-Fraktion im Vorfeld alles versucht hatte, um eine
Strafverfolgung zu provozieren. Ein geplanter internationaler
DADA-Kongress, der die Verteidigung DADAs gegen die zunehmende
Sterilität seiner Aktionen und gegen die Vereinnahmung durch den
herrschenden Kulturbetrieb und den Publikumsgeschmack zum Ziel hatte,
kam nicht zustande. Die totale Negation konnte nicht in ein positives
Projekt übergeführt werden, sie war zu ihrer eigenen
Karikatur verkommen.
Anfang
der 20er Jahre begann die zunächst sehr kleine Gruppe von
Dichtern um Breton, zu der bald einige Maler stießen, dieses
positive Projekt in Angriff zu nehmen, allerdings unter Verzicht auf
das Totale der Negation.
Von DADA
übernommen hatte der Surrealismus u.a. die Großmäuligkeit,
die hier aber durchaus keine ironische Funktion hatte.
Wo es
anderen Kunstströmungen der Moderne um die Verherrlichung des
mißverstandenen Fortschritts oder die Beschäftigung mit
den Opfern der Verhältnisse ging, wollte Die
surrealistische Revolution nicht weniger als eine Revolution
des Geistes, mit den Mitteln der Poesie und mit wirklichen
Hämmern, die Vernichtung des Abendlandes, des
Patriotismus, Rationalismus und Militarismus, der Familie, Religion
usw. . (Die Befreiung der Frau stand nicht direkt auf dem Programm,
dafür ihre Verherrlichung als ideelles Objekt und das
irdische Heil durch die Frau)
Das
Instrumentarium für ihre Revolte glaubten die Surrealisten
beispielsweise in der Kultur der von Europa kolonialisierten Länder,
in den psychiatrischen Anstalten, auf der Strasse und, zu Freuds
Unmut, im Freudschen Unterbewußten zu finden.
Kampfmittel waren bemerkenswerte literarische und militante
Interventionen, Provokationen und Skandale. Ihr erklärtes Ziel
die Verwirklichung der Poesie im Leben.
Über
die Wirksamkeit seiner Revolte hat sich Breton, das Zentrum des
surrealistischen Kollektivs, bis zum Ende Illusionen hingegeben. Die
Bewegung mußte, um den eigenen Ansprüchen gerecht zu
werden, stets um Allianzen mit Revolutionären im Sozialen bemüht
sein: Zunächst mit Moskau und der (mehr als leicht irritierten)
französischen KP, bei der wichtige Mitglieder hängen
blieben, dann mit mehreren antistalinistischen marxistischen Gruppen,
später Trotzki und den TrotzkistInnen, nach dem 2. Weltkrieg mit
anarchistischen Gruppen und obskuren Grüppchen und Sekten. In
diese Zeit fällt auch der Höhepunkt von Verfall und
Rekuperation, für die die schwülstige Allegorik und
esoterischer Nabelschau eines (damals schon ausgeschlossenen) Dali
und der Einzug in die Reklame und den Disney-Film Beispiele sind.
Der
surrealistische Versuch, die Kunst im Leben zu verwirklichen war ein
notwendiger Abschnitt der bürgerlichen Kulturkrise und hat
wertvolleres hervorgebracht als das meiste, was sich während der
4 Jahrzehnte seines Bestehens Realismus nannte. Er mußte
scheitern an den falschen Prämissen, die er trotz seines
Lippenbekenntnisses zum dialektischen Materialismus nie ernsthaft in
Frage stellte.
Und der
Situationismus?
»Der
einzige Kampf, der das Vergnügen lohnt, ist der Kampf der
Individuen für die Konstruktion ihres Alltagslebens«
(Raoul Vaneigem)
Entstanden
in der Kritik DADAs und des Surrealismus, entwickelte die
Situationistische Internationale, Nachfahre des Lettrismus und
kleiner linker Zirkel, ab 1957 eine kulturelle Kritik der
alltäglichen Entfremdung und so interessante wie fragwürdige
Konzepte einer Gesellschaft des Spektakels, der
Konstruktion von Situationen oder des Umherschweifens:
Da die
Diskussion über Ansprüche und Theorien des Situationismus
in verschiedenen Teilen der Linken wieder im Schwange ist, werden wir
irgendwann auf ihn zurückkommen müssen. Hier nur soviel: In
seiner Absicht, die Negation DADAs und das Revolutionäre
Positive der Surrealisten zur Aufhebung der Kunst im Leben zu
vereinigen, ist er ein leeres Versprechen geblieben. Wie gangbar
seine Wege sind, kann am Beispiel der Vereinnahmung eines seiner
Kinder, des Punk, beobachtet werden.
GUERNICA
- EIN BEISPIEL ENGAGIERTEN SCHEITERNS
Wir
würden gerne zu dritt hingehen und Guernica in die
Luft sprengen, aber fürs Bombenlegen sind wir eigentlich alle
drei schon zu alt.
Luis
Bunuel
Nach dem
Bekanntwerden des Massakers von My Lai in Vietnam (Angehörige
der US- Streitkräfte hatten vietnamesische ZivilistInnen
niedergemetzelt) forderten einige US-amerikanische KünstlerInnen
Pablo Picasso auf, seinen großformatigen Protestschinken
Guernica aus dem Museum of Modern Art in New
York zurückzuziehen. Nach dem Willen des Malers war das Gemälde
während des Andauerns der Franco-Diktatur in Spanien in jenem
amerikanischen Kunsttempel im Exil (und das, obwohl das spanische
Regime bereits 1963 ein großangelegtes Museo Picasso
in Barcelona ermöglicht hatte). Die Chance, die Mörder und
Kriegstreiber in den USA durch eine politische Geste des
anerkanntesten Malers der Moderne zu brüskieren, die
Möglichkeit, durch einen einfachen Schritt Solidarität zu
üben, ließ der Kommunist Picasso ungenutzt.
Das
Gemälde Guernica, mittlerweile eine Ikone von
PazifistInnen wie Linken, hatte Picasso 1937 für den spanischen
Pavillon der Weltausstellung in Paris gemalt, also im Auftrag der
republikanischen spanischen Regierung. Am 26.4.1937 war die baskische
Stadt Guernica von Fliegern der deutschen Legion Condor
zerstört worden. Ziel dieser Aktion war nicht in erster Linie
die Unterstützung der faschistischen Putschisten im spanischen
Bürgerkrieg, Ziel war (wie Göring später zugab) die
Erprobung der deutschen Luftwaffe und eine Untersuchung der
Bombenwirkung. Die Empörung über solch sinnlose
Ermordung von ZivilistInnen war weltweit so groß, dass die
Faschisten schleunigst erklärten, rote Horden hätten
die Zerstörung verursacht.
In
dieser Situation also versucht Picasso, dem Grauen, verursacht durch
ein Verbrechen der Faschisten, Ausdruck zu geben. Dem Grauen, nicht
der Empörung, dem Widerstand oder den Verbrechern selbst gilt
seine Aufmerksamkeit. Überfordert durch den Anspruch, den
Zeitdruck und wohl auch durch das große Format, greift er auf
Versatzstücke seines Repertoires der vorangegangenen Jahrzehnte
und die Formensprache seiner Stierkampfstücke zurück. Was
er uns zeigt, sind Picasso-Figuren (das übliche Personal: Stier,
Pferd, Kind, Frau, Mann), die entsetzt in den Bildraum gucken.
Was
Guernica uns zeigt, ist die Unfähigkeit selbst
großer bürgerlicher Künstler mit besten Absichten, in
ihrem Werk, aus dem Fundus bürgerlicher Ästhetik heraus,
politisch klar für die Unterdrückten Stellung zu nehmen.
Zum Ende
des kalten Krieges nutzte die Bundeswehr, Nachfolgerin der Mörder
von Guernica, Picassos Guernica für eine
Werbeanzeige mit dem Text:Feindbilder sind die Väter des
Krieges
Die
Poesie muß von allen geschaffen sein. Nicht von einem.
Lautreamont
Bei
einer kommunistischen Organisation der Gesellschaft fällt
jedenfalls fort ... die Subsumtion des Individuums unter diese
bestimmte Kunst, so daß es ausschließlich Maler,
Bildhauer usw. ist und schon der Name die Borniertheit seiner
geschäftlichen Entwicklung und seine Abhängigkeit von der
Teilung der Arbeit hinlänglich ausdrückt. In einer
kommunistischen Gesellschaft gibt es keine Maler, sondern höchstens
Menschen, die unter Anderm auch malen.
Marx/
Engels, Die deutsche Ideologie
Der
Kapitalismus wird nicht in der Kunst abgeschafft und nicht mit den
Mitteln der Kunst. Das heißt allerdings nicht, dass nicht auch
KünstlerInnen sich im Kampf für eine Welt ohne Ausbeutung
und Unterdrückung engagieren können, so gut wie z.B.
BäckerInnen, und wie diese auch die Fähigkeiten und
Möglichkeiten ihres Metiers mitbringen, ohne sich auf sie zu
beschränken. Den Kampf in den engen Grenzen ihrer speziellen
Tätigkeit mit ihren speziellen Bedingungen sollen sie auch
führen, aber ohne in diesen Grenzen zu verbleiben, ohne die
Illusion, dort könne der Ausweg liegen (Eine Illusion, die für
Intellektuelle offenbar sehr verführerisch ist).
Eine
andere Wissenschaft, eine andere Kunst als die in der
Klassengesellschaft hervorgebrachte steht uns nicht zur Verfügung.
Was wir benötigen, um die alte Gesellschaft niederzureißen,
sogar was wir für den Beginn des Aufbaus der neuen Gesellschaft
brauchen, finden wir nirgends als in dieser alten Gesellschaft. Auch
die Horizonte unseres Wissens, unserer Wünsche werden hier
gesetzt.
Jetzt,
unter den Bedingungen des Kapitalismus, mit den Beschränkungen
des allgegenwärtigen Marktes, muß die Linke das Wissen,
die Wünsche und den Hass auf die alte Welt steigern und
erweitern. Eine Aufhebung der Kunst und ihre Verwirklichung im
Leben ist erst im Kommunismus möglich. Einstweilen bleibt
sie für uns eines der Werkzeuge, sich neue Aspekte der sozialen,
emotionalen, physischen Wirklichkeit zugänglich zu machen. Ein
schnelles und unzuverlässiges Werkzeug, das die
wissenschaftliche Annäherung an die Wirklichkeit freilich nicht
ersetzen kann, das wir aber auch nicht zugunsten der Wissenschaft
beiseite schieben dürfen.
Einstweilen
bleibt die Kunst ein Feld, auf dem wir das (falsche oder richtige)
Bewußtsein in den verschiedenen Epochen untersuchen können.
Wenn ihre Wirksamkeit nicht überschätzt wird, kann sie auch
ein brauchbares Mittel sein, das Elend des Überlebens im
Kapitalismus zu kritisieren und unsere Ziele umfassend und großzügig
zu setzen.
Für
eine gründliche Auseinandersetzung mit Kunst brauchen wir nicht
die Spezialdiskurse derjenigen führen, denen Kunst oder Kultur
erster und einziger Bezug ist. Allerdings wäre es falsch, quasi
bei Null beginnen zu wollen, vielleicht ausgerüstet mit
kleinbürgerlichen Ressentiments, ein paar Mythen zu Kunst und
Kultur und einer Handvoll guter Absichten und sich nicht wenigstens
einen Überblick zu verschaffen über den Stand der linken
Kunstwissenschaft und den Verlauf der bisherigen Diskussion. Probleme
stellen sich hier mehr als genug, mit Kritik brauchen wir nicht zu
sparen, kritisieren wir aber auch die Beliebigkeit oder das
Desinteresse eines Teils der Linken in kulturellen Fragen!
Kritisieren wir immer noch vorhandene Röhrender
Hirsch-Ansprüche an Technik und Ästhetik! Vor allem
aber: Kritisieren wir in linkem Kunstschaffen und Kunstrezeption
Mangel an Kollektivität und unkritische Herangehensweise.