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Razzia in der Ferienwohnung
jW-Gespräch zum Übergriff eines belgischen Anti-Terror- Kommandos und zu Terrorismusvorwürfen gegen acht Deutsche
*** Am 25. Januar wurden in der belgischen Küstenstadt De Haan acht Deutsche vorübergehend festgenommen. Nach Ansicht der Bundesanwaltschaft in Karlsruhe sollen sie eine »terroristische Vereinigung« gebildet haben und den »bewaffneten Kampf in Deutschland« vorbereiten. Alle Betroffenen sind in Deutschland in der Kurdistan Solidarität aktiv. Sie arbeiten unter anderem in der Kurdistan Solidarität Hamburg, beim Kurdistan Report, der Internationalen Initiative »Freiheit für Abdullah Öcalan, Frieden in Kurdistan«, beim Rechtshilfeverein AZADI oder bei MEDYA-TV. ***
F: Am 25. Januar wurdet ihr von einem belgischen Anti-Terror- Kommando in eurer Ferienwohnung festgenommen. Was hat sich da abgespielt?
Martin Dittmann: Wach wurde ich am frühen Morgen, gegen 6.00 Uhr. Die Balkontür, neben der mein Bett stand, wurde aufgestoßen und die ganze Wohnung war sofort von lautem Geschrei und dem Geräusch klirrender Fensterscheiben erfüllt. Noch im Halbschlaf sah ich vermummte Gestalten, die mit Maschinenpistolen auf mich zielten. Ich wurde aus dem Bett gezerrt und mußte mich auf den Boden legen. Die ganze Zeit hat die maskierte Einheit ihre Maschinenpistolen mit Laserzielvorrichtungen auf Brustkorb und Kopf gerichtet. Dann wurde ich gefesselt, und die Augen wurden mir verbunden. Man hat uns wenigstens noch eine Hose übergezogen, aber viel mehr hatten wir auch nicht an. Nachdem ich dann zu den anderen in einen Polizeitransporter gebracht wurde, bekamen schließlich alle noch den Mund verklebt. Die belgische Spezialeinheit, die uns aus dem Schlaf gerissen und festgenommen hatte, machte einen sehr nervösen Eindruck. Nach acht Stunden im Polizeirevier von Brügge wurden wir schließlich freigelassen und konnten in unsere Wohnung zurückkehren, die ziemlich verwüstet war. Die Fensterscheiben waren zerbrochen und alles, bis hin zu den Toilettenspülkästen war aufgebrochen und durchsucht worden. Der Polizei in Brügge schien das Ganze übrigens recht peinlich zu sein. Es wurde immer wieder betont, daß sie im Auftrag der deutsche Behörden handeln würden und die Art und Weise der Festnahme selbst überzogen fanden.
Holger Deilke: Die ganze Aktion war ja aufgrund eines Amtshilfeersuchens des Generalbundesanwalts, im Rahmen des Schengener Abkommens, gestartet worden. Die Bundesanwaltschaft (BAW) hat den belgischen Behörden vermutlich gesagt, in der Ferienwohnung würde sich eine Gruppe Bewaffneter aufhalten. Unser Treffen war nicht, wie behauptet, konspirativ - die Wohnung hatte eine von uns mit ihrem Namen angemietet.
F: Das Verfahren wegen angeblicher Bildung einer terroristischen Vereinigung gegen zwei von euch ist ja nicht neu, jetzt ist aber noch eine dritte Person dazugekommen?
Anja Flach: Holger und ich waren von 1995 bis 1997 bei der kurdischen Guerilla ARGK. Als wir wiederkamen, wurde ein Ermittlungsverfahren nach õ 129 a gegen uns eingeleitet. Unsere Wohnungen wurden durchsucht und vieles beschlagnahmt. Die BAW behauptete, wir und weitere Unbekannte wären Mitglieder in einer terroristischen Vereinigung in der BRD nach dem Vorbild von RAF und PKK. Dieses Verfahren läuft noch und ist die Begründung für die erneuten Durchsuchungen. Mit der Erweiterung des Ermittlungsverfahrens gegen einen weiteren Freund von uns, der auch in Kurdistan gewesen ist, haben sie die drei Personen, die sie für die Konstruktion einer terroristischen Vereinigung brauchen. Bei den Razzien 1998 haben sie einen großen Teil unserer Aufzeichnungen aus Kurdistan gestohlen. Material, das Grundlage für ein Buch sein sollte. Vieles habe ich mühsam rekonstruiert - jetzt ist es wieder weg. Zum Glück gibt es Sicherheitskopien. Damals haben sie fast alles Papier aus meiner Wohnung mitgenommen. Diesmal nur sehr wenig, vor allem Material im Zusammenhang mit Andrea Wolf, die 1998 in Kurdistan gefallen ist, und Aufzeichnungen für mein Buch.
Holger Deilke: Nichts von den Unterlagen, die damals beschlagnahmt wurden, haben wir bisher zurückbekommen. Nur Abzüge der Fotos. Bis heute wurde weder uns noch unseren Anwälten Akteneinsicht gewährt. Wir wissen also noch immer nicht, worauf die BAW ihre Konstruktion aufbaut. Das Bundeskriminalamt hat eine eventuelle Herausgabe einzelner Unterlagen mit einer »Gesprächsbereitschaft« unsererseits verknüpft. Das haben wir zurückgewiesen. Allerdings konnten wir Teile unseres beschlagnahmten Materials im Bericht des Verfassungsschutzes wiederfinden.
F: In Hamburg wurden angeblich Büros der PKK durchsucht. Arbeitet ihr in PKK-Büros?
Wolfgang Struwe: Wir sind aktiv in der Kurdistan Solidarität Hamburg, die gibt es seit 1993; sie ist - zusammen mit anderen Kurdistan Solidaritätsgruppen - in der Informationsstelle Kurdistan (ISKU) organisiert. Unser Anliegen ist, eine öffentliche Stimme gegen die Verbrechen zu erheben, die am kurdischen Volk verübt werden. Wir betreiben ein Info-Cafe und haben dort ein Büro für unsere Öffentlichkeitsarbeit. Im letzten Jahr haben wir dafür Seiten im Internet aufgebaut. Das ist dem Staatsschutz ein Dorn im Auge. Natürlich wenden wir uns mit Informationen gegen die Diffamierung des kurdischen Befreiungskampfes, konkret gegen das PKK-Verbot in Deutschland. Wir veröffentlichen dort auch Material über die Friedensinitiative der PKK. Damit wollen wir die aktuelle Phase des Befreiungskampfes unterstützen, in der es um die Beendigung des Krieges geht. Die Haltung der Bundesregierung stärkt diejenigen in der Türkei, die den Krieg bis zur Vernichtung des kurdischen Volkes weiterbetreiben wollen. Wir richten uns gegen die Kriegspolitik der NATO, aber auch gegen die Entsolidarisierung vor allem durch die Linke in Deutschland, die sich weitgehend von der PKK distanziert. Unsere Büros zu »PKK-Büros« zu machen, soll uns nicht nur innerhalb dieser Linken isolieren, sondern uns zusätzlich in die terroristische Ecke stellen. Wir werden gegen diesen Terrorvorwurf ankämpfen.
F: In der Erklärung der BAW heißt es, ihr hättet die »Aufnahme des bewaffneten Kampfs in Deutschland zum Ziel« und würdet euch möglicherweise am Vorbild der PKK orientieren.
Jörg Ulrich: Ich komme aus einer antifaschistischen Gruppe. Aus unserem Anspruch, daß der Kampf gegen den Faschismus immer auch ein Kampf gegen das imperialistische System ist und international geführt werden muß, haben wir ein solidarisches Verhältnis mit der kurdischen Befreiungsbewegung gehabt. Wesentlich für uns war, daß die PKK versucht, aus den Fehlern des realsozialistischen Modells zu lernen. Nach dem Selbstverständnis der PKK begreift sie sich weniger als Partei, wie wir das hier kennen, sondern vielmehr als ein Lebenssystem. Das hat mich sehr angezogen, und 1997 bin ich dann los, um mich der kurdischen Befreiungsbewegung anzuschließen. Ich wollte diese Bewegung kennenlernen, von ihr lernen und mit ihr kämpfen. Mit 14 weitere Genossen bin ich nach einem Gefecht Ende 1997 in Südkurdistan (Nord-Irak) für fast zwei Jahre in Kriegsgefangenschaft der DPK (Demokratische Partei Kurdistans, Irak) geraten. Was jetzt gegen uns hier unternommen wurde, die Razzien in Deutschland, macht noch einmal deutlich, daß der Imperialismus alle Menschen bekämpft, die jenseits seines Ausbeutungs- und Verwertungssystems eine Alternative suchen.
F: Seid ihr denn nun dabei, den bewaffneten Kampf vorzubereiten?
Holger Deilke: Anja und ich haben schon 1998 in Veranstaltungen und Presseerklärungen deutlich gemacht, daß dieser Vorwurf gegen uns absurd ist. Uns ging es nicht um eine militärische Ausbildung bei der PKK, sondern darum, diese Befreiungsbewegung in Kurdistan kennenzulernen. Eine konkrete Perspektive von bewaffnetem Kampf in Deutschland entwickeln zu wollen, wäre an der Realität vorbei und würde keine positive Veränderung bewirken. Wir haben mit den Leuten in Kurdistan diskutiert, uns ausgetauscht und wollten nach unserer Rückkehr diese Erfahrungen vermitteln und zur Diskussion stellen. Wir denken, daß wir für eine emanzipatorische politische Entwicklung viel von der PKK lernen können. Das BKA weiß, daß wir so denken, z. T. auch aus den bei uns beschlagnahmten Unterlagen. Wahrscheinlich will die BAW deshalb keine Akteneinsicht gewähren, weil ihre diffamierenden Behauptungen dann öffentlich zusammenbrechen würden. Dann hätten sie keine Handhabe mehr, den § 129 a als Freibrief für Observationen, Brief- und Telefonüberwachungen bis zu bewaffneten Überfällen wie jetzt in Belgien anwenden zu können.
Thomas Kapellar: Die Behauptung der BAW ist absurd. Wir wollten uns über unsere Arbeit im Rahmen der Kurdistan Solidarität austauschen. Wir arbeiten alle in unterschiedlichen Bereichen dieser Solidaritätsarbeit; sich darüber auszutauschen, ist normal. Mit dem õ 129 a macht uns die BAW jetzt zu einer »terroristischen Vereinigung«. Ich denke, daß damit eine Solidarisierung von Deutschen mit politisch aktiven Migranten in der BRD verhindert und kriminalisiert werden soll. Jeder Versuch der Kriminalisierung ist direkt gegen das Selbstbestimmungsrecht der Völker gerichtet und soll dem Befreiungskampf eine solidarische Unterstützung entziehen. Die Beteiligung des deutschen Staates an den Verbrechen gegen das kurdische Volk und die Unterstützung der Türkei durch Waffenlieferungen und Wirtschaftshilfen sollen verschleiert werden. Das Ziel ist, alle, die sich gegen diese Politik des deutschen Staates organisieren und sich mit Befreiungsbewegungen weltweit solidarisch erklären, als Terroristen zu diffamieren.
F: Als Journalist arbeitest du auch für den kurdischen Fernsehsender Medya-TV. Die kurdischen Medien haben es in Deutschland und Europa ja auch nicht leicht. Warum wird diese Arbeit so extrem behindert?
Thomas Kapellar: In der Geschichte der kurdischen Gesellschaft ist es eine einmalige Erfahrung, daß aus eigener Kraft Medien aufgebaut werden konnten. Besonders MED- TV, das ja 1999 verboten wurde, und jetzt Medya-TV haben viel dazu beigetragen, die kulturelle und politische Identität dieses unterdrückten Volkes zu festigen. Sie berichten alles über die Massaker und den schmutzigen Krieg des türkischen Staates. Besonders nach dem Rückzug der kurdischen Befreiungsarmee ARGK aus dem türkisch besetzten Teil Kurdistans gibt es massive Angriffe auf die kurdischen Medien sowohl in der Türkei als auch in Westeuropa. Eine alternative Berichterstattung zu den türkischen Medien wird vom Sicherheitsrat der Türkei und konservativen Kräften in der Regierung bekämpft. Man will verhindern, daß die Menschen anfangen, selber zu denken. Jüngstes Beispiel ist die Erklärung des türkischen Ministerpräsidenten Ecevit vom 14. Januar, in der er sämtliche Berichte über den verhafteten PKK-Vorsitzenden, Abdullah Öcalan, verbieten will. Die BRD war da mal wieder besonders schnell. Mit der Durchsuchung der prokurdischen Zeitung Özgür Politika am 12. Januar, zeitgleich mit der Entscheidung der türkischen Regierung, die Hinrichtung Abdullah Öcalans aufzuschieben, hat sie dieser Drohung schon im voraus entsprochen. Da muß man sich doch fragen, was die deutsche Demokratie eigentlich für ein Verständnis von Pressefreiheit oder Freiheit hat.
F: Ihr seid alle wieder frei, aber die Ermittlungsverfahren laufen - wie werdet ihr weitermachen?
Wolfgang Struwe: Wir werden unsere bisherige Arbeit trotz der Behinderungen fortsetzen. Die Situation des kurdischen Volkes erfordert internationale Solidarität, das ist ein wesentlicher Bestandteil unserer Arbeit. Früher war so ein internationalistisches Verständnis in Deutschland bei linken und fortschrittlichen Gruppen mal selbstverständlich: Vietnam, Nikaragua, El Salvador, Südafrika. Heute müssen wir darum kämpfen, politische Arbeit dieser Art in Deutschland durchzusetzen. Gegen Kriminalisierung und solche Drohgebärden der Bundesanwaltschaft.
Jörg Ulrich: Wir überlegen, ob wir gegen den Einsatz des Anti-Terror-Kommandos in Belgien rechtliche Schritte einleiten werden und haben für eine Untersuchungskommission in Belgien einen Bericht angefertigt. Ansonsten können wir nur alle auffordern, ihre Gleichgültigkeit gegenüber den Entwicklungen in Kurdistan aufzugeben und sich solidarisch zu zeigen. Mit uns, aber auch mit den kurdischen Befreiungskräften.
F: Was sind die jüngsten Reaktionen der Bundesanwaltschaft?
Anja Flach: Gegen drei der Betroffenen sind Ermittlungen eingeleitet worden, während andere angeboten bekamen, ihre beschlagnahmten Sachen abzuholen.
Das Gespräch führte Anna Boderius
Fotos:Rev. Linke Initiat.