Tina Modotti (1896-1942)


Antwort auf den Fragebogen der Organisationsabteilung Executivkomitees der Kommunistischen Internationale

a) Herkunft und soziale Stellung:
Geboren in Italien, Udine, am 16. Auguat 1896. Meine Eltern sind italienischer Herkunft und Nationalität, genau wie ich. Ihrer sozialen Stellung nach sind meine Eltern Proletarier. Mein (verstorbener) Vater war Mechaniker, meine Mutter war von Beruf Hutmacherin. Beide kamen aus sehr armen proletarischen Familien.
Die ökonomische Lage in meiner Familie war immer sehr prekär. Meine Mutter hatte sieben Kinder, und mein Vater war selten zu Hause, weil er auf Arbeitssuche ständig von Ort zu Ort zog. Als ich neun Jahre alt war, emigrierte mein Vater auf der Suche nach Arbeit in die Vereinigten Staaten. Über lange, Monate andauernde Zeiträume hatten wir weder Nachrichten von ihm noch schickte er uns Geld, weil er keine Arbeit hatte. Das bedeutet, daß wir praktisch von der Wohlfahrt leben mußten. Im Alter von dreizehn Jahren begann ich zu arbeiten und ich habe seither stets für meinen Lebensunterhalt gearbeitet.
Mit 13 arbeitete ich in einer Seidenspinnerei in Udine. Der Arbeitstag dauerte 10 Stunden. Später arbeitete ich in einer Textilfabrik, bis zum Jahre 1913, als ich in die Vereinigten Staaten zu meinem in San Francisco, Kalifornien, lebenden Vater ging. In San Francisco arbeitete ich sofort in einer Fabrik für Herrenhemden. Dort arbeitete ich zwei Jahre lang und später ging ich in eine Hutfabrik und in einen millinery shop. In diesem Beruf arbeitete ich bis zum Jahr 1921-1922. 1922 begann ich mich für Fotografie zu interessieren und arbeitete und lernte im Atelier eines sehr guten amerikanischen Fotografen. Ich lernte diesen Beruf und lebte davon bis Oktober 1930, als ich in die Sowjetunion kam. Ich betrachte die Fotografie als meinen Beruf, weil es der ist in dem ich am längsten gearbeitet habe und weil ich alle Arbeitsschritte kenne.

Die Lage meiner Familie ist gegenwärtig folgende:
Meine Mutter lebt noch (in Italien), aber ich bin gezwungen, sie finanziell zu unterstützen. Ich habe drei Schwestern und zwei Brüder, die noch am Leben sind. Eine Schwester und die beiden Brüder sind in den Vereinigten Staaten; sie sind alle drei arbeitslos und finden nur sporadisch Arbeit. Ein Bruder ist Drucker, der andere hat in verschiedenen Berufen gearbeitet, meine Schwester ist Schneiderin. Die beiden anderen Schwestern sind in Italien und wohnen bei meiner Mutter. Beide sind von Beruf Schneiderin.
Mein Mannheißt Vittorio Vidali (Jorge Contreras). Er ist italienischer Herkunft. Er ist Mitglied der Kommunistischen Partei und war jahrelang Berufsrevolutionär. Er ist proletarischer Herkunft, sein Vater ist jetzt sehr alt und krank, und mein Mann muß ihn finanziell unterstützen. Sein nächster Angehöriger ist sein Bruder, der keinerlei Partei angehört.

Ich war und lebte in folgenden Ländern:
1913 ging ich zu meinem Vater nach San Francisco, Kalifornien, USA. 1923 ging ich als, Assistentin des Fotografen, von dem ich dem Beruf gelernt hatte, nach Mexiko, weil er mich einlud, dort zu fotografieren. Nach einiger Zeit kehrte er in die USA zurück und ich blieb in Mexiko bis 1930, als ich von der mexikanischen Regierung ausgewiesen wurde, weil ich Kommunistin war. Im April kam ich nach Berlin und blieb dort bis Oktober desselben Jahres, als ich in die UdSSR kann, um im Exekutivkomitee der IRH zu arbeiten.
Ich kenne mich im Staate Kalifornien, USA, gut aus, ebenso in mehreren wichtigen Städten Mexikos. Berlin kenne ich ziemlich gut und in Italien kenne ich nur Udine, die einzige Stadt dieses Landes, in der ich gelebt habe.

b) Bildung und intellektuelle Entwicklung: Ich ging nur bis zur fünften Klasse in die Grundschule. Wegen der ökonomischen Lage meiner Familie konnte ich nicht länger lernen.
Was die Politische Bildung betrifft, so bekam ich nur die, die man durch revolutionäre Bücher, Parteidiskussionen, Konferenzen erwirbt, und auch durch das, was ich von meinem Mann lerne, der politisch weiter entwickelt ist als ich.

Von den im Fragebogen erwähnten Autoren habe ich habe ich folgende Bücher gelesen:
Marx: Wert, Preis und Profit; Vor einigen Monaten begann ich, den ersten Band des "Kapital" zu lesen, kam aber aus Zeitmangel nicht weit.
Engels: Der Ursprung der Familie, Utopischer und wissenschaftlicher Sozialismus
Lenin: Imperialismus als letztes Stadium des Kapitalismus; Staat und Revolution; und mehrere seiner Broschüren und Artikel

c) Stellung in der Partei:
Die Kommunistische Partei ist die erste Partei, der ich je in meinem Leben beigetreten bin. Ich trat 1927 in Mexiko (in der Hauptstadt) in die Kommunistische Partei ein. Ich ging in die Partei, nachdem ich eine Zeitlang Sympathisantin gewesen war. Vorher war ich Mitglied der Antiimperialistischen Liga und der Antifaschistischen Liga, beides in Mexiko City. Die Empfehlung für meine Aufnahme in die KP gaben Genosse Rafael Carrill und Genosse Jorge Contreras, damals beide Mitglieder der mexikanischen KP. Die Nummer meines Parteiausweises ist: 201 8142 Die Zeit kurz nach meinem Eintritt in die KP in Mexiko war gekennzeichnet durch die beginnende und sich schnell verschärfende Verfolgung der revolutionären Bewegung in Mexiko. Im Jahre 1929 mußte die KP Mexikos in die Illegalität gehen, und selbst die anderen revolutionären Organisationen wie zum Beispiel die Roten Gewerkschaften, die Rote Hilfe usw. wurden von der Regierung verfolgt.
In den sechs Monaten zwischen April und Oktober 1930, als ich in Berlin war, beteiligte ich mich nicht am Parteileben. Die Gründe dafür sind: ich war nicht sicher, ob ich in Berlin bleiben würde oder nicht, und so wartete ich einige Wochen, ehe ich meine Parteiempfehlung vorlegte. Nachdem ich sie vorgelegt hatte, mußte ich etwa vier Monate auf eine Antwort warten. Schließlich bekam ich meine Überführung wenige Wochen, bevor ich in die UdSSR reiste.
Der Grund, warum ich zögerte, ob ich in Berlin bleiben sollte oder nicht, waren die Schwierigkeiten, mir den Lebensunterhalt zu verdienen, dennoch tat ich alles mögliche in dieser Richtung und machte auch einige Fotos für verschiedene revolutionäre Zeitungen in Berlin (AIZ usw.), womit mich die Partei beauftragt hatte.

Parteiarbeit:
Augenblicklich arbeite ich ein wenig unter Ausländern. Ich bin auch sehr aktiv in einer hiesigen italienischen Frauengruppe. Einmal wurde ich von der Partei delegiert, das war kürzlich, während der letzten Parteikonferenz des Bezirks Krasnia Pressnia.
Ja, ich habe Erfahrung in der illegalen Arbeit, die ich in Mexiko in meinem letzten dortigen Jahr getan habe. Von Zeit zu Zeit schreibe ich Artikel für unsere Presse. Ich schrieb auch eine Broschüre über den revolutionären Kampf der Bauern in Mexiko. Ich war in Mexiko City Mitglied einer Straßen-Parteizelle und bin jetzt Mitglied der Parteizelle des Exekutivkomitees der MOPR (Exekutivkomitee und Zentralkomitee der russischen Sektion).

d) Teilnahme am gesellschaftlichen Leben:
Ich war Mitglied einer antifaschistischen Liga, der Liga gegen den Imperialismus, der Roten Hilfe und einer Organisation der Arbeiterfotografen in Berlin. Ich bin hier Mitglied der Gewerkschaft und auch der Soviakin.
In Mexiko war ich (unbezahlte) Funktionärin des Nationalkomitees der Roten Hilfe. In dieser Arbeit war ich aktiv, bis ich verhaftet und später ausgewiesen wurde.

e) Verfolgungen:
Im Februar 1930 wurde ich in Mexiko City verhaftet. Das war die Zeit, da alle ausländischen Revolutionäre ausgewiesen wurden. Einen Monat später wurde ich ausgewiesen. Zu den Genossen, die den Wahrheitsgehalt dieser wichtigsten Punkte betreffs meiner Tätigkeit in der KP bestätigen können, gehören die Genossen Rafael Carrillo und Hernan Laborde, beide Mitglieder der KP Mexikos.

27. Januar 1932
Tina Modotti

1) Einer meiner Brüder ist Mitglied der Kommunistischen Partei, eine Schwester ebenfalls.
2) Ich kenne folgende Sprachen: Italienisch, Spanisch, Englisch. Diese kann ich schreiben und lesen. Außerdem kann ich deutsch und französisch, aber diese nicht richtig, und ich kann sie auch nicht schreiben.