Tina Modotti(1896-1942)


Neues Licht auf die Ermordung Julio Antonio Mellas am Vorabend des dritten Jahrestages
Die Ermordung J.A. Mella's in den Straßen der Hauptstadt Mexiko am 10. Januar 1929 war eins der sensationellsten politischen Verbrechen, die in den letzten Jahren in der Welt begangen wurden. Die Details dieses Verbrechens sind zweifellos noch allen frisch in Erinnerung.

Mella war einer der hervorragendsten Führer der revolutionären Bewegung Lateinamerikas. Von Geburt Kubaner, begann er seine Tätigkeit in der revolutionären Bewegung mit der Organisierung der Studenten in linken Organisationen. Ihm war es zu verdanken, daß in Kuba zugunsten der Arbeiter eine Volksuniversität gegründet wurde. Bald darauf begriff er, daß sein bester Dienst an der revolutionären Sache darin bestehen würde, sein ganzes Wissen all seine Fähigkeiten den politischen und ökonomischen Kämpfen des Proletariats zu widmen. Er war einer der Gründer der Kommunistischen Partei Kubas und einer der renommiertesten Führer der antiimperialistischen Bewegung Lateinamerikas.

Im Dezember 1925, also nachdem Machado, der gegenwärtige blutige Diktator und Agent der Wall Street bereits an die Macht gekommen war, wurde Mella verhaftet und trat in einen Hungerstreik, der 21 Tage andauerte. Vom Gesichtspunkt der Agitation und als Form des Protest war dieser Hungerstreik einer wirkungsvollsten, die jemals in irgendeinem Land durchgeführt wurden. In dem Maße, in dem die Tage vergingen und sich Mellas körperliche Verfassung verschlechterte, was sein Leben in Gefahr brachte, ergriff eine ungeheure Spannung die Bevölkerung nicht nur Kubas, sondern des ganzen amerikanischen Kontinents und auch anderer Länder. Der Druck der Massen war so stark, daß Präsident Machado gezwungen war, nachzugeben und Mella freizulassen.

Aber bald nachdem sich Mella wieder erholt hatte, begann die Verfolgung gegen ihn. Machado wollte sich für seine Niederlage rächen. Es gab häufige Anschläge auf Mellas Leben und er war gezwungen Kuba zu verlassen. Er ging nach Mexiko, wo er sofort begann, sich an der dortigen revolutionären Bewegung zu beteiligen. Er widmete all seine Zeit der Sache der revolutionären Arbeiter, organisierte die kubanischen politischen Emigranten in Mexiko, gründete eine Zeitung, die für die kubanischen Arbeiter bestimmt war und illegal nach Kuba gelangte, führte den Kampf gegen den amerikanischen Imperialismus in Lateinamerika an, leitete die Arbeit der anderen Gruppen kubanischer Politemigranten in anderen Ländern, war in der Roten Gewerkschaft Mexikos aktiv und war ein aktiver Mitarbeiter der mexikanischen Sektion der IRH.

Am 10. Januar 1929, als er den Sitz der Rote-Hilfe-Organisation in Mexiko-City verließ, wurde er um neun Uhr abends und nur zwei Häuserblocks vor seiner Wohnung hinterrücks erschossen und starb zwei Stunden später. Bevor er starb, beschuldigte er Präsident Machado als Verantwortlichen für seine Ermordung und nannte den Namen der Person, die er im Verdacht hatte, Ausführender des Verbrechens gewesen zu sein.

Die mexikanische Sektion der Roten Hilfe begann sofort mit den Nachforschungen und erzielte genaue Beweise: Tatsächlich hatte Präsident Machada zwei professionelle Schützen von Havanna nach Mexiko-City geschickt, um das Verbrechen zu begehen, und einer der Hauptverantwortlichen der mexikanischen Polizei, der wenige Wochen zuvor nach Havanna gereist war, war ein wichtiger Komplize in diesem Mord. Es war sogar zu einer Absprache zwischen dem kubanischen Botschafter und der mexikanischen Regierung gekommen.

Die mexikanische Rote Hilfe, die mexikanische Kommunistische Partei, die Gewerkschaften, die linken Studentenorganisationen, die Arbeiterorganisationen und selbst prominente Anwälte und Politiker forderten Gerechtigkeit. Wochenlang erhielt die mexikanische Regierung Proteste aus der ganzen Welt und erklärte heuchlerisch, durch den Mund ihrer Polizei, Mexiko werde nicht ruhen, ehe die Angelegenheit geklärt sei. Die wichtigsten Forderungen. die erhoben wurden, waren die folgenden: Verhaftung und Bestrafung mehrerer in Mexiko lebender Kubaner von zweifelhaftem Charakter, die Mella vor seinem Tode beschuldigt hatte, Entlassung Valente Quititanas von seinem Posten und Abbruch der diplomatischen Beziehungen zur Regierung Machado. Was geschah stattdessen? Der einzige Kubaner, den die Polizei verhaftete und der der technische Organisator der Verbrechens war, wurde einige Wochen später „aus Mangel an Beweisen" freigelassen; Valente Quintanas wurde nicht etwa entlassen, sondern zum Chef der zentralen Polizeibehörde Mexikos ernannt (zweifellos als Belohnung für seine Beteiligung an dem Verbrechen), und alle Protestdemonstrationen der mexikanischen Massen wurden sabotiert und von der Polizei angegriffen.
Was die bürgerliche Presse und die mexikanische Regierung betrifft, so wurde der Fall nach und nach in den Hintergrund gedrängt; nur die Rote Hilfe und die anderen revolutionären Organisationen blieben bei ihren unermüdlichen Anschuldigungen gegen Machado und gegen die Komplizenschaft der mexikanischen Regierung. Jedes Jahr wird der 10. Januar auf dem ganzen amerikanischen Kontinent als "Mella's Tag" begangen, und auch in diesem Jahr wurden bereits Vorbereitungen getroffen, den dritten Jahrestag seiner Ermordung zu begehen, als kürzlich erholte Erklärungen im Zusammenhang mit dein Mord in der Öffentlichkeit eine Sensation hervorriefen. Eine Frau, die Ehefrau eines Kubaners aus der Unterwelt, wollte sich an ihrem Mann, der ihr mit Mord drohte, rächen, und ließ am 3. November die Polizei kommen, der sie in allen Einzelheiten schilderte, wie Mella ermordet wurde. Sie beschuldigte ihren Ehemann, der Mörder gewesen zu sein. Alles, was sie erzählte bestätigte die Anklagen, die die Rote Hilfe zum Zeitpunkt des Verbrechens erhoben hatte. Eine nach er anderen wurden ihre Anschuldigungen untersucht und als wahr befunden: mehr als ein Jahr lang erhielt ihr Mann monatlich eine Geldsumme aus Havanna, die er bei einer gewissen Bank in Mexiko einlöste (sein Preis für das Verbrechen)-. es wurde auch bewiesen, daß der Mörder nach dem Verbrechen Zuflucht im Hause eines anderen Kubaners fand, - bei Jose Magrina, den Mella vor seinem Tod beschuldigt hatte. Jetzt sitzt der Mörder im Gefängnis, und eine ganze Reihe von neuen Zeugen sind aufgetaucht, die die Beschuldigungen der Frau des Mörders bestätigen und vervollständigen.
Die mexikanische Sektion der IRH bat die mexikanischen Behörden. sie mögen drei ihrer Vertreter an den Untersuchungen des Falles teilnehmen lassen, aber die faschistische Regierung Mexiko wies dies kraß zurück.

Dies ist ein weiterer Beweis auf die Komplizenschaft der mexikanischen Regierung in dein vom kubanischen Diktator Machado erdachten Mordplan. Anstatt Jose Magrina, den technischen Organisator des Verbrechens, zu bestrafen, ließ ihn die mexikanische Regierung unter Entschuldigungen frei und schützte ihn. indem sie ihm Geleit bis zum nächsten Hafen bot. von wo aus er ein Schiff nach Kuba nahm. Zweifellos wird man dem materiellen Ausübenden des Verbrechers denselben Schutz angedeihen lassen, - dem Mörder, der jetzt pro forma in einem mexikanischen Gefängnis sitzt. In ein paar Wochen wird die korrupte bürgerliche Presse den Fall nochmals aufbauschen, man wird dem Mörder väterlich auf die Schulter klopfen und man wird ihm jede Art von Hilfestellung geben, damit er den gesunden Rachewünschen des mexikanischen Proletariats entkommen kann, das niemals vergißt, daß Mella für die internationale revolutionäre Sache gestorben ist. In diesem Jahr wird der dritte Jahrestau seines Todes eine neue Bedeutung erlangen; er bietet allen Sektionen der IRH die Möglichkeit, einmal mehr und mit neuen Beweisen zu zeigen, wie heuchlerisch die sogenannte bürgerliche "Gerechtigkeit" ist.

geschrieben Anfang 1932. Original in englisch