RECHTE DER DEMONSTRIERENDEN IN BELGIEN (2001) |
Dieses Rechtsinfo erklärt die rechtliche
Situation für alle, die in Belgien demonstrieren wollen
und informiert über eine Hotline, die ihr anrufen könnt,
wenn ihr festgenommen werden werden solltet. Wenn ihr die
Rechtslage in Belgien kennt, habt ihr die beste
Voraussetzung, eure Rechte im Konfliktfall geltend machen
zu können. Druckt dieses Rechtsinfo aus und nehmt es auf
die Demo mit! 1. Kontrolle der Personalien und polizeiliche Festnahme (arrestation administrative) - Ein Polizist in Uniform kann eure Personalien überprüfen. Er muss jedoch einen Grund haben (Ruhestörung, Störung der öffentlichen Ordnung, Straftaten, Überprüfung des Aufenthaltsrechts). -Ist der Polizist in Zivil, muss er sich ausweisen. -Nach der Feststellung der Personalien, muss der Ausweis sofort zurückgegeben werden. Die Polizei kann euch nur so lange festhalten, wie es unbedingt nötig ist, die Personalien festzustellen. Ihr habt das Recht, euch sowohl nach dem Grund der Personalienüberprüfung zu erkundigen als auch nach einer zumutbaren Dauer der Üerprüfung. -Wenn Zweifel an eurer Personalien bestehen, kann die Polizei euch maximal 12 Stunden festhalten. -In besonderen Fällen, kann die Polizei euch auch 12 Stunden festnehmen, wenn sie euch verdächtigt, die öffentliche Ordung oder Ruhe stören zu wollen. Dies nennt man arrestation administrative (Festnahme). -Im Falle dieser Festnahme, könnt ihr verlangen, dass eine Person eures Vertrauens informiert wird. Auberdem habt ihr Anrecht auf eine Kopie eures Vernehmungsprotokolls, die die Polizei anfertigen muss. -Notiert in jedem Fall die Uhrzeit, zu der ihr festgenommen werdet und achtet auch darauf, dass diese in eurem Vernehmungsprotokoll oder im Festnahmeregister der Polizei vermerkt wird, falls ihr auf ein Polizeirevier gebracht werdet. 2. Verhaftung und Untersuchungshaft -Wenn ihr verdächtigt werdet, eine Straftat begangen zu haben, könnt ihr für maximal 24 Stunden verhaftet werden (arrestation judiciaire). Nach diesem Zeitraum müsst ihr freigelassen werden, auber ihr werdet einem Haftrichter vorgeführt, der einen Haftbefehl erlässt. Bei einem richterlichen Haftbefehl habt ihr das Recht auf einen Anwalt/eine Anwältin eurer Wahl. -Wenn gegen euch ein Haftbefehl besteht, kommt ihr in Untersuchungshaft in eine Gefängniszelle. Innerhalb der ersten fünf Tage des Haftbefehls müsst ihr, begleitet von eurem Rechtsanwalt/eurer Rechtsanwältin dem Untersuchungsrichter (chambre du conseil) vorgeführt werden, der sowohl die Gültigkeit und Rechtmäbigkeit des Haftbefehls überprüft als auch die Möglichkeit seiner Aufhebung und der Beendigung der Untersuchungshaft. Werdet ihr dem Haftrichter nicht vorgeführt, müsst ihr freigelassen werden. 3. Die Durchsuchung Durchsuchung des Fahrzeugs -Die Durchsuchung eines Fahrzeugs kann staatfinden, wenn stichhaltige Gründe für die Vermutung bestehen, dass die Insassen und Insassinnen eine Straftat planen oder bereits begangen haben, polizeilich gesucht werden oder Gegenstände mit sich führen, die die öffentliche Sicherheit gefährden. -Zwecks Fahrzeugdurchsuchung können die Insassen und Insassinnen maximal eine Stunde festgehalten werden. Durchsuchung der Person aus Sicherheitsgründen -Bei der Personendurchsuchung wird der Körper abgetastet und die Kleidung sowie das Gepäck durchsucht. Für diese Kontrolle könnt ihr maximal eine Stunde festgehalten werden. -Diese Durchsuchung muss sich auf den Verdacht der Polizei stützen, dass ihr Waffen oder andere gefährliche Gegenstände mit euch führt oder erfolgt im Fall eurer Festnahme oder Verhaftung. Die richterlich angeordnete Durchsuchung -Die richterlich angeordnete Durchsuchung wird nur durchgeführt, wenn ihr verhaftet wurdet oder wenn es Indizien gibt, dass ihr Beweisstücke besitzt oder es andere Beweise für eine Straftat gibt. - Sie kann maximal 6 Stunden dauern. Die Durchsuchung am Körper - Diese Durchsuchung wird vor dem Einschluss in der Zelle durchgeführt, um festzustellen, ob ihr nicht im Besitz von Substanzen oder Gegenständen seid, die eine Flucht ermöglichen. -Diese Durchsuchung muss von einem Beamten /einer Beamtin des gleichen Geschlechtes durchgeführt werden. Die Körperdurchsuchung (exploration corporelle) - Die Körperdurchsuchung führt zu einem Sachverständigengutachten und wird im Allgemeinen von Rechtsmediziner/innen durchgeführt. Hierbei wird der Intimbereich durchsucht, der das Schamgefühl der Person betrifft. -Die Körperdurchsuchung wird nur durchgeführt, wenn jemand während einer Straftat (in flagranti) festgenommen wird, wenn ihr eine schriftliche Einverständniserklärung abgebt oder wenn sie von einem Haftrichter angeordnet wird. Ihr könnt verlangen, dass eine Ärztin/ein Arzt eures Vertauens dabei anwesend ist. - Im Falle einer Festnahme können die Beamten und Beamtinnen nie verlangen, dass ihr euch entkleidet. Wenn euch dies in dieser Situation befohlen wird, droht mit einer Anzeige wegen Verletzung des Schamgefühls. Nur die Durchsuchung der Person aus Sicherheitsgründen ist gestattet. 4. Das Verhör/die Vernehmung - Wenn ihr festgenommen werdet, werdet ihr von der Polizei verhört. Ihr habt das absolute Recht zu schweigen. Nichts vepflichtet euch zur Zusammenarbeit. Ihr habt das Recht, dass alles, was ihr sagt, wortwörtlich festgehalten wird. -Wenn ihr keine der nationalen Sprachen sprecht (flämisch, französisch), könnt ihr verlangen, dass ein/e Übersetzer/in anwesend ist oder selbst eure Erklärung in eurer Muttersprache verfassen. - Lest das Vernehmungsprotokoll genau durch, bevor ihr es unterzeichnet. Unterschreibt nicht, wenn ihr mit den verwendeten Begriffen nicht einverstanden seid. Ihr könnt verlangen, dass eure protokollierte Erklärung verändert wird, wenn sie nicht eurer Aussage entspricht. - Ihr seid nie verpflichtet, das Protokoll zu unterzeichnen, weder beim Polizeiverhör noch beim Haftrichter. - Ihr könnt eine Kopie des Protokolls eurer Vernehmung verlangen. Die Aushändigung dieses Protokolls muss innerhalb eines Monats erfolgen, auber es gibt eine andere Anweisung des Staatsanwaltes oder des Haftrichters. 5. Fotos und Fingerabdrücke - Bei der Festnahme ist es verboten, Fingerabdrücke zu nehmen und Fotos zu machen. Eine Ausnahme besteht, wenn ihr keinen Ausweis habt oder ihn nicht zeigen wollt. Ihr habt das Recht, euch zu weigern oder euch dagegen zu wehren, dass Fingerabdrücke genommen und Fotos gemacht werden und könnt Anzeige erstatten. - Im Falle der Verhaftung sind Fotos und Fingerabdrücke hingegen erlaubt. 6. Rechtsbeistand durch einen Rechtsanwalt/eine Rechtsanwältin - Ein Rechtsanwalt/eine Rechtsanwältin kann normalerweise erst 24 Stunden nachdem ihr verhaftet worden seid, aktiv werden. Er/sie kann weder während des Verhörs der Polizei noch des Haftrichters anwesend sein. - Sobald der Haftbefehl zugestellt ist, wird der Anwalt/die Anwältin, die ihr benannt habt, über eure Verhaftung informiert. Wenn ihr keine Anwältin/keinen Anwalt kennt, informiert der Haftrichter (juge d'instruction) den Vorsitzenden der Anwaltskammer, der jemanden benennt. - Ihr habt immer das Recht, eine Person eures Vertrauens über eure Verhaftung zu informieren. Dies kann jedoch verweigert werden. - In der Untersuchungshaft habt ihr nach 24 Stunden normalerweise das Recht, von nahen Angehörigen besucht zu werden, außer im Falle der "Geheimhaltung", die aber 72 Stunden nicht überschreiten darf. 7. Eilverfahren ("snelrecht") - Wenn ihr auf frischer Tat ertappt werdet (in flagranti), kann der Staatsanwalt einen Antrag auf Erlass eines Haftbefehls stellen, um eine sofortige gerichtliche Vorladung zu erwirken. Er wird euch persönlich vernehmen. Ihr könnt eine Anwältin/einen Anwalt einschalten. Die Akte wird dann sowohl euch als auch eurer Anwältin/eurem Anwalt zur Einsicht zur Verfügung gestellt. Ihr könnt euch direkt mit eurer Anwältin/eurem Anwalt unterhalten, bevor ihr vom Haftrichter vernommen werdet. Dieser vernimmt euch unter Beisein eurer Anwältin/eures Anwaltes. - Der Richter hat die Wahl zwischen drei Möglichkeiten : - Erlass eines Haftbefehls: gültig bis zum Tag der Urteilsverkündung und maximal 7 Tage - Weigerung, einen Haftbefehl zu erlassen: richterlicher Beschluss "Freilassung mit Auflagen", d.h. ihr werdet freigelassen unter bestimmten Bedingungen bis zur Gerichtsverhandlung - Verkündung eines entgegengesetzten richterlichen Beschlusses: ihr werdet freigelassen und die Akten werden an den Staatsanwalt zurückgeschickt. - Ihr werdet mit Anwalt/Anwältin durch den Staatsanwalt vor die Strafkammer vorgeladen. Diese Vorladung muss innerhalb von mindestens 4 und höchstens 7 Tagen erfolgen. - Wenn die Urteilsverkündung nicht innerhalb von 7 Tagen nach Erlass des Haftbefehls erfolgt, müsst ihr wieder freigelassen werden.Der Urteilsspruch erfolgt entweder auf der Stelle oder innerhalb von 5 Tagen nach der Beratung. 8. Ein paar praktische Ratschläge - Nehmt auf die Demonstration nichts Überflüssiges mit. - Nehmt nichts mit, was als Waffe angesehen werden könnte (Messer, Schraubenzieher, Stock etc.). - In Belgien sind Drogen aller Art verboten. Wenn ihr Drogen mitbringen solltet, auch Gras, kann dies zur Umwandlung eurer Festnahme zu einerVerhaftung führen (wegen unerlaubten Drogenbesitzes). - Achtet auf die Kleider, die ihr tragt. Sie können als Indiz dafür betrachtet werden, dass ihr die öffentliche Ordnung stören oder eine Straftat begehen wollt (z.B. Motorradsturmhauben oder Wechselkleidung, die mitgeführt wird). - Lasst euch nicht durch Drohungen einschüchtern, wenn ihr die Aussage verweigert oder wenn ihr eure Rechte geltend macht. Wenn ihr keine schwere Straaftat begangen habt, ist die Festnahme auf kurze Zeit beschränkt und sie lassen euch in jedem Fall nach ein paar Stunden wieder frei. - Versucht die Legal Teams unter den Nummern 0473/73.12.77 oder 0495/44.44.73 oder 0473/54.53.15 telefonisch zu erreichen. Wenn ihr mit einem in Deutschland oder nichtbelgischen Land zugelassenen Handy telefoniert, müsst ihr die belgische Vorwahl (0032) wählen und die Null der Handyvorwahl weglassen (mit einem deutschen Handy also z.B.: 0032.473.73.12.77). Die meisten Telefonzellen funktionieren mit Telefon-karte oder Geldstücken zu BF 20. Haltet euren Ausweis bereit, um schnell auf die Fragen der Legal Teams- Anwälte und Anwältinnen reagieren zu können, die euch umgehend helfen. - Es kann sein, dass ihr nach derVernehmung durch den Staatsanwalt, von diesem direkt eine Vorladung vor die Strafkammer erhaltet, bevor ihr freigelassen werdet (Eilverfahren). Nehmt so schnell wie möglich Kontakt mit den Legal teams oder eurer Anwältin/eurem Anwalt auf. - Werdet nicht gewalttättig und droht nicht, ausser, dass ihr Anzeige erstattet, gegen die Polizei- und Justizbeamten. Ihr könnt wegen Beleidigung oder Widerstand gegen die Staatsgewalt angezeigt werden. - Ihr habt das Recht zu flüchten, allerdings ohne Gewalt auszuüben (vermeidet es, jemanden umzusto?en). Passiver Widerstand ist nicht strafbar. Legal Teams Belgien 11/2001 |