Redebeitrag zur Demo am
22.9
Von : anonym zugesandt
Ort : Bremen
Datum: 23.09.2001
Zur Rolle des Fernsehens in
der Kriegspropaganda
von Menschen, die sich in
Genua zusammengefunden haben
11. September. Es ist kaum
zu glauben, was passierte. Die meisten sind bestürzt.
Alle wollen jetzt
Informationen. Wer von uns hat nicht den Fernseher
angeschaltet? In unserer
durchgestylten Medienwelt können wir die Katastrophe
fast live verfolgen .
Egal, auf welchem Sender: unzählige
Male, immer wieder, sehen wir das Flugzeug
in den zweiten Turm des
WorldTradeCenter stürzen und explodieren. Wir sehen
dieses Bild so lange und so
oft, bis, ja, bis was in unseren Köpfen passiert?
Was für Bilder bekommen wir
in diesen Tagen zu sehen und warum?
Dieses Bild von den
jubelnden Palästinensern: Man sieht maximal 15 Menschen, im
Blickfeld drei jubelnde
Jungs, eine Frau, dann ein Mann mit etwas zu essen in
der Hand. Diese kurze
Filmaufnahme müssen für die Schlagzeile herhalten: " Die
Welt trauert, die
Palästinenser feiern." Wir sehen sie Dutzende von Malen, immer
und immer wieder, auf allen
Sendern.
Damit werden Emotionen
geweckt. Denn, so erschließt es sich aus der Rhetorik von
US-Präsident Bush: Die Welt
wird aufgeteilt in Gut und Böse.
Bereits am ersten Tag der
Berichterstattung kommt der Name Osama Bin Laden ins
Spiel. Am nächsten Tag wird
er bereits als der vermeintliche Attentäter bzw.
Drahtzieher verhandelt - und das, obwohl keine neuen Erkenntnisse
vorliegen. Am
übernächsten Tag fällt das
kleine und entscheidende Adjektiv "vermeintlich"
manchmal weg - Bin Laden
wird es schon gewesen sein - man braucht nur lang genug
darüber berichten!
Schließlich muss ein
lebender für die Verkörperung des Oberbösen herhalten,
damit es sich überhaupt
bekämpfen lässt.
Es heißt: Der Angriff auf
NY war ein Angriff auf die ganze, sogenannte
zivilisierte Welt.
Überhaupt zu sagen, dass es zivilisierte und
nicht-zivilisierte Menschen
gäbe, zeugt vom Macht- und Überlegenheitsdenken in
den Industrienationen. Das
ist ein unglaublicher, rassistischer Affront!
Als ein Angriff auf die
Freiheit, auf die gesamten selbsternannten freiheitlich
organisierten
Gesellschaften, wird stündlich berichtet - das tut in der Seele
weh!
Ist damit die Freiheit der
Menschen gemeint, die auf der ganzen Welt für einen
Hungerlohn schuften, oder
deren Existenz von den Regierungen der
Industrienationen als
überflüssig angesehen wird? Ist die Freiheit derjenigen
gemeint, die aus solch
einer Situation noch nicht einmal dort hingehen dürfen,
wo sie ein menschenwürdiges
Leben führen könnten, weil die Länder, in denen dies
möglich wäre ihre Grenzen
dicht machen?
Und wie viel Freiheit
erleben die Menschen in den Metropolen, deren Leben nur
noch von Arbeit, von
Leistungsdruck und Funktionieren müssen dominiert wird?
Kein Sender erinnert uns in
diesen Tagen, dass die sogenannte zivilisierte Welt
seit Jahrzehnten wenn nicht
seit Jahrhunderten Krieg gegen die Menschen in
anderen Teilen der Welt führt.
Eine Geschichte, die lang ist und blutig,
die bei der Ausrottung
indigener Bevölkerungen anfängt und bei Hiroshima,
Vietnam, Chile und Irak
noch nicht aufhört. Überall in der Welt leben Menschen
in einer Situation der
permanenten Demütigung und des ökonomischen Desasters! Im
Namen der Freiheit werden
Kriege inszeniert und Hungersnöte in Kauf genommen.
Täglich sterben allein
24000 Kinder durch Hunger oder an den Folgen der Armut,
die von den
Industriestaaten bewusst produziert und ausgenutzt wird. Meistens
sterben die Menschen jedoch
stiller und nicht so spektakulär.
Darüber berichten die
Medien in diesen Tagen nicht.
Dieses Weglassen von
Informationen ist gewollt.
Schon in den ersten Tagen
setzt sich in den Fernsehanstalten das Motto durch
"Heute sind wir alle
Amerikaner". Werden wir alle Afghanen und Afghanerinnen
sein, wenn dort die Bomben
niedergehen? Bildmaterial soll es zu diesem
Kriegsgeschehen nicht
geben, hat die US-Regierung angekündigt. Warum bloß? Wir
erinnern uns: Im
Jugoslawienkrieg hießen die von den Natobomben getöteten
Menschen Kollateralschaden.
Am dritten Tag sehen wir im
Fernsehen die Betroffenheit der Menschen. Da ist die
Straßenbahnfahrerin in
Leipzig, die etwas aufgeregt ihren Mitfahrern und
Mitfahrerinnen die
Schweige- und Fahrpause erklärt, die Feuerwehrleute in
Berlin, die ihren Kumpels
in New York gedenken, die Schüler und Schülerinnen,
die Schule schwänzen, um in
der Kirche zu beten.... Mikel Jackson nimmt einen
neuen Song auf, um Spenden
zu sammeln, Heino sagt einen Musikabend ab, Fußballer
wollen nicht spielen...
Eine Omi weint, weil sie an die Care-Pakete erinnert
wird. Es wird das
humanitäre Terrain besetzt
Das hat wenig mit der
Geschichte des Attentats und viel mehr mit uns selbst zu
tun. Das hemmungslose
Durcheinander aller privaten und öffentlichen Gefühle
funktionalisiert diese
Katastrophe und dient dem Zweck: die Menschen in ihrer
Fassungslosigkeit zu
belassen und nicht nach Hintergründen zu fragen, die über
die Personen der Attentäter
hinausgehen.
Das belässt die Menschen in
ihrer Ohnmacht - es wird suggeriert, dass es keine
Alternative gibt dazu, dass
der Staat nach Innen mit mehr Kontrolle und
Überwachung und nach Außen
mit Krieg reagiert.
Diese Emotionalisierung der
Medien ist Methode.
So reichen
sachlich-souverän inszenierte Nachrichten- und Sondersendungen aus -
offene Kriegshetze ist dann
nicht mehr nötig.
Eine einsame Wahrheit:
Krieg beginnt mit Worten und mit Bildern. Wir
konstatieren: Aus der Form
der Berichterstattung wird deutlich: Kein einziger
Fernsehsender hat eine
Antikriegshaltung!
Kritische Stimmchen am
Rande sind das höchste der Gefühle.
Was wir in diesen Tage in
Fernsehen beobachten, dient vielfach der
Kriegspropaganda!
Daher fordern wir Euch auf:
Schluckt nicht die
scheinbar neutralen und objektiven Berichterstattungen!
Hinterfragt das vom
Fernsehen dargestellte Gut-Böse-Schema!
Lasst euch nicht Aufhetzen
zum Krieg!
Bleibt aktiv gegen innere
und äußere Kriegsführung!
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