Hallo,
Liebe FreundInnen und Freunde,
Liebe TeilnehmerInnen an dieser Kundgebung,
Ich bin beauftragt
worden im Namen des Deligiertenplenums hier heute diese Rede
vorzutragen.
Das
Delegiertenplenum ist ein BRD-weites regelmäßiges Treffen, um den
Widerstand u.a. gegen die CASTOR-Transporte vorzubereiten und zu
koordinieren.
Ich will heute zu
drei Themen sprechen:
zur Aktualität der sogenannten friedlichen und der militärischen
Nutzung der Atomkraft,
zum Motto: „Atomkraft Nein Danke – erneuerbare Energie jetzt!“
zur Bedeutung und zum Charakter unseres Widerstandes.
zu meinem ersten Thema:
Ist die Atomkraft
ein auslaufendes Modell?
Hat das weltweite
Interesse an AtomEnergie oder an Atombombe
nachgelassen?
Die internationale
Atomenergiebehörde (IAEA) erwartet – nach Aussagen ihres Chefs
Mohammed al-Baradei, auf der internationalen Konferenz zur Zukunft der
Atomenregie vom 21. März dieses Jahres – einen Atomstrom-Boom. Bis
2020 werde der weltweite Bedarf auf gut 427 Gigawatt hochschnellen. Dafür
müßten über die bisherigen Schätzungen hinaus 127 AKWs mit einer
Leistung von je 1.000 Megawatt gebaut werden. Die VR China wolle ihren
Atomstrom von derzeit 6,5 Gigawatt bis 2020 auf 36 Gigawatt hochfahren,
Russland von 22 Gigawatt auf 40 bis 45 Gigawatt. Die Befürchtungen bezüglich
des Treibhauseffekts überwögen die Furcht vor atomaren Unfällen. So
bringe das Kioto-Protokoll für die Atomenergie „neue Perspektiven“,
sagte al-Baradei (taz, 22.03.05).
Dies läßt sich noch ergänzen:
-
die Ukraine
plant 11 AKWs,
-
in Finnland
wird unter Mitwirkung von Siemens ein neues AKW gebaut,
-
neue Anlagen
sind in den USA, in Großbritannien, im Iran, in Nord-Korea, selbst
in Venezuela im Gespräch,
-
der
Forschungsreaktor in München, der mit bombenfähigem Uran betrieben
wird, ist gerade in Betrieb genommen worden,
-
die Kapazität
der Urananreicherungsanlage in Gronau soll auf das 2,5-fache erhöht
werden,
-
Atomstrom wird
aus anderen Ländern importiert, Atomtechnologie in andere Länder
exportiert,
-
in Frankreich
soll der internationale Fusionsreaktor gebaut werden,
-
die
internationale Atomenergiebehörde (IAEA) und ihr Direktor Mohammed
al-Baradei haben dieses Jahr zu gleichen Teilen den Friedens-Nobel-Preis
erhalten.
Die internationale Atomenergiebehörde kann als Tarnorganisation der
Nuklearindustrie bezeichnet werden. Denn deren Ziel ist es u.a., den
Ausbau der sogenannten friedlichen Nutzung der Atomenergie weltweit
zu beschleunigen und zu vergrößern.
-
In einer
Presseerklärung vom Nov. 2005 erklärte der Präsident der
Deutschen Physikalischen Gesellschaft (DPG) Urban, daß die
Atomenergie auf absehbare Zeit unverzichtbar sei.
“Die Kernkraftwerke sollten solange weiterlaufen, bis genug andere
Energiequellen ohne Treibhaus-Emissionen zur Verfügung stehen.
Unter dem Gebot des Klimaschutzes führt daran kein Weg vorbei.“
(Die DPG ist die älteste und mit rund 50.000 Mitgliedern größte
physikalische Fachgesellschaft weltweit.)
Das alles macht
deutlich, wohin die Reise gehen soll!
Und wenn viele Menschen jetzt denken, das Thema Atomenergie habe sich
zumindest in der BRD erledigt, die Zeit werde die anstehenden Fragen
automatisch lösen, so ist das ein gefährlicher Trugschluß, der gerade
auch durch den Konsensvertrag suggeriert werden sollte.
Und verlieren wir
nicht aus den Augen, daß die sogenannte friedliche Nutzung der
Atomkraft immer eng zusammenhängt mit der Möglichkeit ihrer militärischen
Nutzung.
Die weltweiten Diskussionen in jüngster Zeit zeigen, daß daran das
Interesse wieder besonders ausgeprägt ist.
Ein Beispiel ist die gerade in Diskussion gestellte Verteidigungsdoktrin
der USA, die auch präventive Atomangriffe gegen feindliche Staaten und
gegen sogenannte Extremistengruppen vorschlägt.
Das, und auch die letzten Kriege (Jugoslawien, Afghanistan, Irak)
zeigen, wieweit Krieg – und auch der Einsatz von Atomwaffen – als
Mittel der Politik wieder gesellschaftsfähig geworden ist.
zu meinem zweiten
Thema:
Zum Motto
„Atomkraft Nein Danke - Erneuerbare Energie
jetzt!“
Sicher ist es
unbedingt erstrebenswert, die Atomenergie durch erneuerbare Energie zu
ersetzen.
Aber es genügt nicht nur das Produkt zu kritisieren, ohne die
Produktionsverhältnisse in die Kritik mit einzubeziehen.
Die Atomkraft ist kein Auswuchs, ist kein Fehler dieser herrschenden
Verhältnisse, sondern Symptom, konsequenter Ausdruck einer
Gesellschaft, in der nicht der Mensch im Mittelpunkt von Denken und
Handeln steht, sondern die ökonomische Rationalität, oder anders
gesagt: Wachstum und Profit.
So sichern sich die starken Industrienationen die Verfügbarkeit der
kapitalintensiven, hochkomplexen Technologie, auch die Möglichkeit der
militärischen Nutzung und halten damit andere Länder abhängig und
unter Kontrolle.
Diese Potentiale sind in Anlagen für erneuerbarer Energie nicht
enthalten. Deshalb besteht daran bei den großen Konzernen auch so wenig
Interesse.
Zum anderen ist aber auch das „Erneuerbare Energie Gesetz“ ein
Produkt der Liberalisierung und der Globalisierung des Energiemarktes,
d.h. der Privatisierung und Deregulierung der Energieproduktion. Dadurch
ist die Energieproduktion weitgehend jeder demokratischen Kontrolle
entzogen. Der Markt bestimmt wo's lang geht. Und auch die erneuerbare
Energie wird sich dieser Gesetzmäßigkeit – der kapitalistischen
Verwertungslogik – nicht entziehen können.
So genügt es eben nicht, die Forderungen nach erneuerbare Energien auf
den ökologischen Aspekt zu begrenzen:
-
so, wenn z.B.
die Grünen den Krieg in Jugoslawien befürworten, ihre Zustimmung
aber von ökologischen Bedingungen abhängig machen würden. Was im
Rahmen der Grünen-Poltik durchaus denkbar und konsequent wäre.
Das würde dann z.B. heißen, Krieg ja, aber nur mit
- recyclebaren Leichensäcken,
- dem 3-Liter Panzer,
- und solar-betriebene Raketen.
-
oder wenn die
Heeressprecherin der US-Streitkräfte Karen Baker mitteilte, daß künftig
die Gewehrkugeln statt Blei das weniger giftige Wolfram enthalten
sollen.
“Wir wollen gut mit der Umwelt umgehen!“, sagte sie dazu.
-
oder wenn die
erneuerbare Energie-Industrie wirbt:
“investieren Sie Ihr Geld gewinnbringend in die Rohstoffe des 21.
Jahrhunderts: in Aktien der Unternehmen für Energie aus Sonne,
Wind, Wasser und Brennstoffzellen. Investieren Sie in die
Zukunft!“
-
oder wenn auch
die Neonazis auf einer Demo gegen den CASTOR „Einstellung aller
Atomanlagen“ fordern.
Es geht also nicht nur darum, gegen die Symptome zu kämpfen, sondern
sich für eine Gesellschaft einzusetzen, in der die Ursachen für diese
gar nicht mehr vorkommen, gar nicht mehr denkbar sind.
Sonst können wir ein Leben lang an den Symptomen herumhandwerkeln ohne
je grundsätzlich einen Schritt vorwärts zu kommen – in Richtung
einer humanen, solidarischen, herrschaftsfreien Gesellschaft.
ich komme jetzt zu
meinem dritten Thema und zum Schluß:
Zur Bedeutung
unseres Widerstandes – was tun?
Seit dem 22. Feb.
1977, als Ernst Albrecht – der damalige Ministerpräsident von
Niedersachsen – Gorleben als Standort für ein nukleares
Entsorgungszentrum benannte – das ist jetzt über 25 Jahre her –
haben sich unzählige Menschen mit unzähligen Aktionen gegen diese Pläne
gestellt.
Die Umsetzung von Teilen dieser Pläne haben wir verhindert – aber das
Endlager steht immer noch auf der Tagesordnung und die CASTOR-Transporte
laufen nach wie vor.
Hat unser
Widerstand an Wirkung nachgelassen, hat er sich ritualisiert, ist er in
seinen Formen erstarrt? Same procedure as every year?
Zu dieser Einstellung kannst du
leicht kommen, wenn du den Erfolg unseres Widerstandes alleine daran
festmachst, ob es uns gelingt, den CASTOR aufzuhalten und zurückzuschicken.
Das wäre sicher wunderbar und wir würden uns alle darüber freuen,
denn das würde eindrucksvoll sichtbar machen, daß wir das gesamte
Betriebssystem der Atomanlagen solange stören werden, solange nicht
alle AKWs endgültig abgeschaltet sind.
Aber erfolgreich
werden die nächsten Tage auch sein, wenn es uns gelingt, unsere
Kommunikation untereinander weiter zu entwickeln. Und Kommunikation
meint hier, gemeinsame, solidarische Auseinandersetzung, gegenseitige
Kritik, gemeinsames Handeln und gemeinsame Entwicklung.
Und erfolgreich wird unser Widerstand auch sein, wenn es uns gelingt,
immer mehr Menschen dazu zu gewinnen, den politisch und ökonomisch Mächtigen
ihre Loyalität zu verweigern.
In diesem Sinne bedeutet Kommunikation subversives Leben und Sabotage an
den herrschenden Verhältnissen.
Denn unser Kampf richtet sich nicht nur gegen eine menschenfeindliche
Technologie wie Atombombe und AKW und alles was dazugehört, sondern
gegen die Verhältnisse, die diese Technologie erst ermöglichen.
So verstehe ich
auch die Parole auf dem Transparent hier vorne, wenn es da heißt:
„sofortige Stillegung aller Atomanlagen und der herrschenden Klasse,
weltweit!“
Unser Kampf braucht
einen langen Atem und er wird endgültig nie zuende sein. Er wird aus
vielen kleinen Schritten an vielen unterschiedlichen politischen Orten
bestehen.
Der Widerstand gegen den CASTOR
ist so ein kleiner Schritt – wir müssen nur darauf achten, daß wir
die Richtung, um die es geht, nicht aus den Augen verlieren.
Wir haben längst
erfahren, daß der Kampf um eine menschenwürdige Gesellschaft – und
darin ist der Kampf gegen Atomkraft einzuordnen – nicht nur eine Frage
der „Vernunft“ und der „wissenschaftlichen Argumente“ ist,
sondern immer auch eine Frage der Überzeugung.
Überzeugung läuft über politischen Druck und politischer Druck läuft
über praktischen Widerstand.
Das hat immer schon die Stärke der Anti-AKW-Bewegung ausgemacht. Dazu
hat auch beigetragen, daß wir uns über die unterschiedlichen
politischen Differenzen und unterschiedlichen Widerstandsformen haben
nicht spalten lassen.
Zu unserem Widerstand gehören ebenso Sitzblockaden, Flugblätter
schreiben und verteilen, Demonstrationen, Schienenbesetzungen, Protestbriefe
schreiben, oder auch, die Stillegung von Polizeiunterkünften u.s.w.
Wir sind den
herrschenden Verhältnissen gegenüber nicht dialogbereit und wir lassen
uns in diese nicht integrieren – wir wollen ein anderes Leben, wir
wollen eine anderer Welt!
Und in diesem Sinne
laßt uns frohgemut, selbstsicher, untereinander solidarisch und
hilfsbereit, mit Respekt auch Andersdenkenden gegenüber und mit unbändiger
Kraft und Freude uns dem CASTOR entgegenstellen.
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