Rede auf der Anti-AKW-Demo in Lüneburg vom 05. Nov. 2005

Hallo,
Liebe FreundInnen und Freunde,
Liebe TeilnehmerInnen an dieser Kundgebung,

Ich bin beauftragt worden im Namen des Deligiertenplenums hier heute diese Rede vorzutragen.

Das Delegiertenplenum ist ein BRD-weites regelmäßiges Treffen, um den Widerstand u.a. gegen die CASTOR-Transporte vorzubereiten und zu koordinieren.

Ich will heute zu drei Themen sprechen:
zur Aktualität der sogenannten friedlichen und der militärischen Nutzung der Atomkraft,
zum Motto: „Atomkraft Nein Danke – erneuerbare Energie jetzt!“
zur Bedeutung und zum Charakter unseres Widerstandes.

zu meinem ersten Thema:

Ist die Atomkraft ein auslaufendes Modell?

Hat das weltweite Interesse an AtomEnergie oder an Atombombe nachgelassen?

Die internationale Atomenergiebehörde (IAEA) erwartet – nach Aussagen ihres Chefs Mohammed al-Baradei, auf der internationalen Konferenz zur Zukunft der Atomenregie vom 21. März dieses Jahres – einen Atomstrom-Boom. Bis 2020 werde der weltweite Bedarf auf gut 427 Gigawatt hochschnellen. Dafür müßten über die bisherigen Schätzungen hinaus 127 AKWs mit einer Leistung von je 1.000 Megawatt gebaut werden. Die VR China wolle ihren Atomstrom von derzeit 6,5 Gigawatt bis 2020 auf 36 Gigawatt hochfahren, Russland von 22 Gigawatt auf 40 bis 45 Gigawatt. Die Befürchtungen bezüglich des Treibhauseffekts überwögen die Furcht vor atomaren Unfällen. So bringe das Kioto-Protokoll für die Atomenergie „neue Perspektiven“, sagte al-Baradei (taz, 22.03.05).

  Dies läßt sich noch ergänzen:

  • die Ukraine plant 11 AKWs,

  • in Finnland wird unter Mitwirkung von Siemens ein neues AKW gebaut,

  • neue Anlagen sind in den USA, in Großbritannien, im Iran, in Nord-Korea, selbst in Venezuela im Gespräch,

  • der Forschungsreaktor in München, der mit bombenfähigem Uran betrieben wird, ist gerade in Betrieb genommen worden,

  • die Kapazität der Urananreicherungsanlage in Gronau soll auf das 2,5-fache erhöht werden,

  • Atomstrom wird aus anderen Ländern importiert, Atomtechnologie in andere Länder exportiert,

  • in Frankreich soll der internationale Fusionsreaktor gebaut werden,

  • die internationale Atomenergiebehörde (IAEA) und ihr Direktor Mohammed al-Baradei haben dieses Jahr zu gleichen Teilen den Friedens-Nobel-Preis erhalten.
    Die internationale Atomenergiebehörde kann als Tarnorganisation der Nuklearindustrie bezeichnet werden. Denn deren Ziel ist es u.a., den Ausbau der sogenannten friedlichen Nutzung der Atomenergie weltweit zu beschleunigen und zu vergrößern
    .

  • In einer Presseerklärung vom Nov. 2005 erklärte der Präsident der Deutschen Physikalischen Gesellschaft (DPG) Urban, daß die Atomenergie auf absehbare Zeit unverzichtbar sei.
    “Die Kernkraftwerke sollten solange weiterlaufen, bis genug andere Energiequellen ohne Treibhaus-Emissionen zur Verfügung stehen. Unter dem Gebot des Klimaschutzes führt daran kein Weg vorbei.“
    (Die DPG ist die älteste und mit rund 50.000 Mitgliedern größte physikalische Fachgesellschaft weltweit.)

Das alles macht deutlich, wohin die Reise gehen soll!
Und wenn viele Menschen jetzt denken, das Thema Atomenergie habe sich zumindest in der BRD erledigt, die Zeit werde die anstehenden Fragen automatisch lösen, so ist das ein gefährlicher Trugschluß, der gerade auch durch den Konsensvertrag suggeriert werden sollte.

Und verlieren wir nicht aus den Augen, daß die sogenannte friedliche Nutzung der Atomkraft immer eng zusammenhängt mit der Möglichkeit ihrer militärischen Nutzung.
Die weltweiten Diskussionen in jüngster Zeit zeigen, daß daran das Interesse wieder besonders ausgeprägt ist.
Ein Beispiel ist die gerade in Diskussion gestellte Verteidigungsdoktrin der USA, die auch präventive Atomangriffe gegen feindliche Staaten und gegen sogenannte Extremistengruppen vorschlägt.
Das, und auch die letzten Kriege (Jugoslawien, Afghanistan, Irak) zeigen, wieweit Krieg – und auch der Einsatz von Atomwaffen – als Mittel der Politik wieder gesellschaftsfähig geworden ist.

 

zu meinem zweiten Thema:

Zum Motto „Atomkraft Nein Danke - Erneuerbare Energie jetzt!“

Sicher ist es unbedingt erstrebenswert, die Atomenergie durch erneuerbare Energie zu ersetzen.
Aber es genügt nicht nur das Produkt zu kritisieren, ohne die Produktionsverhältnisse in die Kritik mit einzubeziehen.
Die Atomkraft ist kein Auswuchs, ist kein Fehler dieser herrschenden Verhältnisse, sondern Symptom, konsequenter Ausdruck einer Gesellschaft, in der nicht der Mensch im Mittelpunkt von Denken und Handeln steht, sondern die ökonomische Rationalität, oder anders gesagt: Wachstum und Profit.
So sichern sich die starken Industrienationen die Verfügbarkeit der kapitalintensiven, hochkomplexen Technologie, auch die Möglichkeit der militärischen Nutzung und halten damit andere Länder abhängig und unter Kontrolle.
Diese Potentiale sind in Anlagen für erneuerbarer Energie nicht enthalten. Deshalb besteht daran bei den großen Konzernen auch so wenig Interesse.
Zum anderen ist aber auch das „Erneuerbare Energie Gesetz“ ein Produkt der Liberalisierung und der Globalisierung des Energiemarktes, d.h. der Privatisierung und Deregulierung der Energieproduktion. Dadurch ist die Energieproduktion weitgehend jeder demokratischen Kontrolle entzogen. Der Markt bestimmt wo's lang geht. Und auch die erneuerbare Energie wird sich dieser Gesetzmäßigkeit – der kapitalistischen Verwertungslogik – nicht entziehen können.

  So genügt es eben nicht, die Forderungen nach erneuerbare Energien auf den ökologischen Aspekt zu begrenzen:

  • so, wenn z.B. die Grünen den Krieg in Jugoslawien befürworten, ihre Zustimmung aber von ökologischen Bedingungen abhängig machen würden. Was im Rahmen der Grünen-Poltik durchaus denkbar und konsequent wäre.
    Das würde dann z.B. heißen, Krieg ja, aber nur mit
    - recyclebaren Leichensäcken,
    - dem 3-Liter Panzer,
    - und solar-betriebene Raketen.

  • oder wenn die Heeressprecherin der US-Streitkräfte Karen Baker mitteilte, daß künftig die Gewehrkugeln statt Blei das weniger giftige Wolfram enthalten sollen.
    “Wir wollen gut mit der Umwelt umgehen!“, sagte sie dazu.

  • oder wenn die erneuerbare Energie-Industrie wirbt:
    “investieren Sie Ihr Geld gewinnbringend in die Rohstoffe des 21. Jahrhunderts: in Aktien der Unternehmen für Energie aus Sonne, Wind, Wasser und Brennstoffzellen. Investieren Sie in die Zukunft!“

  • oder wenn auch die Neonazis auf einer Demo gegen den CASTOR „Einstellung aller Atomanlagen“ fordern.

Es geht also nicht nur darum, gegen die Symptome zu kämpfen, sondern sich für eine Gesellschaft einzusetzen, in der die Ursachen für diese gar nicht mehr vorkommen, gar nicht mehr denkbar sind.
Sonst können wir ein Leben lang an den Symptomen herumhandwerkeln ohne je grundsätzlich einen Schritt vorwärts zu kommen – in Richtung einer humanen, solidarischen, herrschaftsfreien Gesellschaft.

 

ich komme jetzt zu meinem dritten Thema und zum Schluß:

Zur Bedeutung unseres Widerstandes – was tun?

Seit dem 22. Feb. 1977, als Ernst Albrecht – der damalige Ministerpräsident von Niedersachsen – Gorleben als Standort für ein nukleares Entsorgungszentrum benannte – das ist jetzt über 25 Jahre her – haben sich unzählige Menschen mit unzähligen Aktionen gegen diese Pläne gestellt.
Die Umsetzung von Teilen dieser Pläne haben wir verhindert – aber das Endlager steht immer noch auf der Tagesordnung und die CASTOR-Transporte laufen nach wie vor.

Hat unser Widerstand an Wirkung nachgelassen, hat er sich ritualisiert, ist er in seinen Formen erstarrt? Same procedure as every year?
Zu dieser Einstellung kannst du leicht kommen, wenn du den Erfolg unseres Widerstandes alleine daran festmachst, ob es uns gelingt, den CASTOR aufzuhalten und zurückzuschicken. Das wäre sicher wunderbar und wir würden uns alle darüber freuen, denn das würde eindrucksvoll sichtbar machen, daß wir das gesamte Betriebssystem der Atomanlagen solange stören werden, solange nicht alle AKWs endgültig abgeschaltet sind.

Aber erfolgreich werden die nächsten Tage auch sein, wenn es uns gelingt, unsere Kommunikation untereinander weiter zu entwickeln. Und Kommunikation meint hier, gemeinsame, solidarische Auseinandersetzung, gegenseitige Kritik, gemeinsames Handeln und gemeinsame Entwicklung.
Und erfolgreich wird unser Widerstand auch sein, wenn es uns gelingt, immer mehr Menschen dazu zu gewinnen, den politisch und ökonomisch Mächtigen ihre Loyalität zu verweigern.
In diesem Sinne bedeutet Kommunikation subversives Leben und Sabotage an den herrschenden Verhältnissen.

Denn unser Kampf richtet sich nicht nur gegen eine menschenfeindliche Technologie wie Atombombe und AKW und alles was dazugehört, sondern gegen die Verhältnisse, die diese Technologie erst ermöglichen.

So verstehe ich auch die Parole auf dem Transparent hier vorne, wenn es da heißt: „sofortige Stillegung aller Atomanlagen und der herrschenden Klasse, weltweit!“

Unser Kampf braucht einen langen Atem und er wird endgültig nie zuende sein. Er wird aus vielen kleinen Schritten an vielen unterschiedlichen politischen Orten bestehen. Der Widerstand gegen den CASTOR ist so ein kleiner Schritt – wir müssen nur darauf achten, daß wir die Richtung, um die es geht, nicht aus den Augen verlieren.

Wir haben längst erfahren, daß der Kampf um eine menschenwürdige Gesellschaft – und darin ist der Kampf gegen Atomkraft einzuordnen – nicht nur eine Frage der „Vernunft“ und der „wissenschaftlichen Argumente“ ist, sondern immer auch eine Frage der Überzeugung.
Überzeugung läuft über politischen Druck und politischer Druck läuft über praktischen Widerstand.
Das hat immer schon die Stärke der Anti-AKW-Bewegung ausgemacht. Dazu hat auch beigetragen, daß wir uns über die unterschiedlichen politischen Differenzen und unterschiedlichen Widerstandsformen haben nicht spalten lassen.
Zu unserem Widerstand gehören ebenso Sitzblockaden, Flugblätter schreiben und verteilen, Demonstrationen, Schienenbesetzungen, Protestbriefe schreiben, oder auch, die Stillegung von Polizeiunterkünften u.s.w.

Wir sind den herrschenden Verhältnissen gegenüber nicht dialogbereit und wir lassen uns in diese nicht integrieren – wir wollen ein anderes Leben, wir wollen eine anderer Welt!

Und in diesem Sinne laßt uns frohgemut, selbstsicher, untereinander solidarisch und hilfsbereit, mit Respekt auch Andersdenkenden gegenüber und mit unbändiger Kraft und Freude uns dem CASTOR entgegenstellen.

 


Rede auf der Kundgebung der bäuerlichen Notgemeinschaft Lüchow/Dannenberg am 20. Nov. 2005 in Groß Gusborn

(Rede auf der Kundgebung der bäuerlichen Notgemeinschaft Lüchow/Dannenberg, am 20. Nov. 2005, in Groß Gusborn.)
-Es gilt das gesprochene Wort-

Liebe bewegte Menschen,
liebe Freundinnen und Freunde,
liebe Bäuerinnen und Bauern,


wir sind wieder hier!
Wir sind an den Gleisen, in den Wäldern, an und auf den Straßen, um unseren Protest gegen die gefährlichen Atommülltransporte kräftig Ausdruck zu verleihen, und das seit nunmehr bald 30 Jahren. Und das ist gut so, daß ihr alle da seid.

Als ich in der letzten Woche mit Leuten aus Süddeutschland gesprochen habe, fragten sie mich:
- warum macht ihr das?
- was bringt das?
Politik und Atomwirtschaft setzen die Transporte doch mit Polizeigewalt durch, sie werden durchgeknüppelt und der Protest beiseite geschoben!
Warum?

Die Antwort: Wir machen kein happening, uns ist es ernst! Wir machen das, weil wir etwas zu verteidigen haben. Es geht um unsere Zukunft, um die Zukunft der Menschen, um unsere Familien, um unsere Kinder. Wir sind es uns und ihnen schuldig, daß wir uns bewegen.

Einige sind nicht mehr dabei. Einige, die vor Jahren noch aufgeregt links oder rot-grün angemalt oder sehr radikal von Widerstand geredet haben und jetzt vom Sofa aus kritisieren, daß die Tagesschau nur noch kurz über den Atomprotest im Wendland informiert.

Liebe Freundinnen und Freunde,
wir setzen nicht auf die Nörgler und intellektuellen Kritiker, wir setzen auf die normalen Menschen, und es ist gut, wenn bei diesen Menschen auch so viele junge Leute dabei sind.

Die Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft und die Bäuerliche Notgemeinschaft sagen:
»Wo Recht zu Unrecht wird, wird Widerstand zur Pflicht!«

Eine bessere Welt wird uns nicht geschenkt – wir müssen uns dafür auf den Weg machen.
Die bäuerliche Notgemeinschaft Lüchow/Dannenberg ist dafür ein gutes Beispiel. Sie kämpft gegen das Atomklo Gorleben. Sie stellt sich und ihre Traktoren quer gegen die Bullenleistungsschau, die hier jeden Herbst im Wendland versucht wird abzuhalten. Dieser Kampf ist kein Gaudi, kein Selbstzweck. Sondern es geht uns um unsere Heimat, um unsere Bauernhöfe, die wir erhalten und weiterentwickeln wollen.

Die offizielle Politik hat was anderes im Kopf. Sie setzt auf Wachsen oder Weichen. Die bäuerlichen Erzeugerpreise sollen noch weiter gedrückt werden. Und liebe Freundinnen und Freunde, wenn ein Liter Milch billiger ist als ein Liter Wasser, wenn die Tonne Müll mehr wert ist als die Tonne Weizen, dann ist das ein gesellschaftlicher Skandal, den wir geißeln müssen. Wenn jetzt in Ostdeutschland Schweinemastanlagen mit 80.000 bis 90.000 Schweinen in Planung sind und Menschen sich in Bürgerinitiativen dagegen stellen, dann haben sie dafür auch von uns die volle Unterstützung. Wenn viele Menschen sich gegen die geplante VW-Autobahn stellen, dann unterstützen das auch viele Bäuerinnen und Bauern und sagen der Bundesregierung den Kampf an, auch in der Auseinandersetzung  mit der Gentechnologie.70% der Menschen wollen diese Gentechnologie nicht. 70% der Bauern wollen sie nicht und trotzdem soll sie in Politik und Wirtschaft durchgedrückt werden. Das kommt uns doch bekannt vor. Die Münchner Rück versichert gegen alle Katastrophen der Welt, aber gegen Schäden durch Gentechnologie und Atomenergie nicht.

Liebe Freundinnen und Freunde,
wie lange lassen wir uns von Politik und Wirtschaft diese Risikotechnologien überstülpen. Es ist auch eine Frage der Demokratie, wer was entscheidet. Die WTO z.B. ist kein gewähltes Gremium. Sie versucht aber, mit einer Liberalisierung der Märkte, Bauern im Norden und im Süden der Welt kaputt zu machen mit Hilfe der US-Regierung und den multinationalen Konzernen, die uns vorschreiben, was wir zu tun und zu lassen haben. Diejenigen, die uns den Segen durch Globalisierung versprechen, während sie uns entmündigen und austauschbar machen wollen. Nicht mit uns!

Liebe Freundinnen und Freunde,
viele Bäuerinnen und Bauern im Wendland sind nicht bei der Kritik stehen geblieben. Sowohl konventionell als auch biologisch wirtschaftende Bauern haben ihre Höfe weiterentwickelt. Sie setzen auf Qualitätserzeugnisse, Direktvermarktung, auf NEULAND, Biolandbau, auf erneuerbare Energien. Dies, was wir im Wendland aufgebaut haben, dürfen wir uns nicht durch die Atomindustrie kaputt machen lassen.

Wenn jedoch in den nächsten Tagen, Nächten, Stunden viele Menschen unterwegs sind, dann will ich erst mal ein großes Dankeschön sagen an alle Helferinnen und Helfer in den Dörfern, an der Strecke die z.B. für Verpflegung sorgen, mit einer heißen Tasse Kaffee/Tee und mit aufmunternden Worten. Eine Arbeit, die wichtig und gar nicht hoch genug zu schätzen ist, und das ist schon einen besonderen Applaus wert!

Und an alle, die sich bewegen werden, paßt auf Euch auf, seid vorsichtig, Ihr werdet alle noch gebraucht. Und ich bin froh, auch in diesem Jahr, wieder dabei sein zu können. Die alte Forderung der Arbeitgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL) und der Bäuerlichen Notgemeinschaft lautet:

Bleibt auf dem Land und wehrt Euch täglich.

In diesem Sinne: Stop CASTOR!


Bundesgeschäftsführer der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft
(AbL) e.V.