Ein "Sonderwagen" mit Rammsporn gegen Hausbesetzungen (Hamburg 1981)
Der Minister war wieder schwer in Form: Mit "Reizkapseln" hätte seinen Beamten "der Rückzug gebahnt" werden müssen, fabulierte Karl Hillermeier über den kombinierten CS- Hubschrauberangriff auf die Anti- WAA- Demonstranten zu Pfingsten (1).
"Reizkapseln" statt "Gasgranaten" - das ist neu, das ist reif, dem Bibliographischen Institut für die Sammlung ungewöhnlicher Wortschöpfungen des Jahres 1986 vorgeschlagen zu werden.
Ernsthafte Aussichten, einen Preis für sicherheitspolitische Sprachgestaltung zu erringen, hat auch die BILD- Zeitung: "Damit wehrt sich Bayern gegen Chaoten", überschrieb das Blatt eine Zehn- Zeilen- Meldung über die Einführung von Gummischroten im Freistaat. (2) Grossartig auch die bayerische Gewerkschaft der Polizei (GdP)- Unverzüglich brauche die Polizei "Abwehrmittel" gegen die "Chaoten" vom Bauzaun. (3)
Drei Beispiele für den Gebrauch verharmlosender Formulierungen. Drei Beispiele als aktueller Ausdruck, wie Aufrüstungsstrategen der Inneren Sicherheit von ihren militärischen Geistesverwandten gelernt haben, die es immerhin fertigbrachten, aus dem "Krieg der Sterne" eine "Strategische Verteidigungsinitiative" zu schminken. Drei Beispiele mit Methode: durch die gesamte Debatte um die Aufrüstung der Polizei- und Grenzschutztruppen zieht sich der erklärte Wille, jeden Anklang an militärische Begriffe zu vermeiden:
Die britische Waffenfirma Schermuly offenbart, worum es bei diesem Wortgeklingel geht: "Wie kann man Störer bekämpfen, ohne einen Bürgerkrieg zu entfesseln?", heisst es in einer Anzeige der Repressionstechniker, die in einer weiteren auch gleich die Antwort geben: "Geringstmögliche Gewalt wirksam eingesetzt, das ist die bewährte Lösung von Schermuly zur Kontrolle von Störungen der öffentlichen Ordnung. Auf diese Weise wird die Eskalation von Gewalt vermieden, die unweigerlich eintritt, wenn nach dem Einsatz tödlicher Waffen durch die Sicherheitskräfte auf der Gegenseite Todesopfer zu beklagen sind." (5)
Die öffentliche Meinung zu beeinflussen, da gibt es viele Möglichkeiten - jüngst wieder vorgeführt nach den Wackersdorfer Osterdemonstrationen, in deren Verlauf der 38jährige Alois Sonnleitner an einem Asthma- Anfall starb, der durchaus mit dem CS- Einsatz in Verbindung stehen könnte. Es sind vor allem die Bilder in Presse und Fernsehen, die für nachhaltige Manipulationen sorgen: Zwillenschützen möglichst gross und lang auf dem Bildschirm, Knüppeleinsätze gegen Wehrlose oder Wasserkanonenstrahlen gegen Sitzende immer mit Abstand und am besten Überhaupt nicht. Hauptsache, das Volk merkt nicht, wie da hoffnungslos unterlegene und überwiegend friedliche Menschenmengen nach allen Regeln staatlicher Gewalt fertiggemacht werden. "Es ist vorteilhaft, wenn Zuschauer nicht den Eindruck bekommen, dass die Polizei exzessiv Gewalt einsetzt, oder die Waffen besonders verletzende Wirkungen zeigen. Hier gilt es wieder, einen Strahl von Blut oder andere vergleichbare dramatische Effekte zu vermeiden", formulierten vor zehn Jahren Wissenschaftler einer Forschungseinrichtung der US- Army. (6)
Entdramatisierung heisst deshalb auch das Motto, mit dem der Charakter potentiell tödlicher Waffen verschleiert wird. Vielfältig sind die Namen- "Gering tödliche Waffen" heisst es beispielsweise für Gummigeschosse, oder auch "unschädliche Waffen", "fliegender Boxhandschuh", "Geschosse mit gebremster Gewalt" und - das übertrifft sogar "friedenssichernde Raketen" "humane Waffen". (6)
Doch all diese Begriffe haben letztendlich immer noch einen gewalttätigen Klang. Es geht ja nicht nur darum, die Öffentlichkeit ruhig zu halten, sondern auch darum, bei Polizeibeamten eventuell vorhandene Skrupel auszuräumen, mit derartigem Gerät gegen Menschenmengen loszuschlagen. Aus der fortentwickelten Formulierung "Distanzwaffe" ging das "Distanzmittel" hervor, das gelegentlich auch als "polizeitypisches Einsatzmittel" sprachlich neutralisiert wird.
Vollends absurd, aber streng logisch in dieser Denkungsart, wird dann die entsprechende Umkehrung; Helme, Mundtücher, Gasbrillen und Augenspülflaschen, die in der Zimmermannschen Sprache als "Passivbewaffnung" gelten.
Gelegentlich allerdings verfehlt das Getöse sein Ziel: In den Dörfern rund um die geplante WAA hat das Wort "Chaot" häufig einen fast schon liebevollen Beiklang - so wie Grosseltern ihre wilden Enkel "Racker" nennen, und dabei wehmütig bedauern, selbst nicht mehr so gut zu Fuss zu sein.
Besonnene junge Menschen verhindern militante Ausschreitungen (Wackersdorf 1986)