Unter dem Eindruck von Anschlägen palästinensischer und westeuropäischer Gruppen beschloss der Europäische Rat am 1./2. Dezember 1975 in Rom, ein Gremium für Fragen der Inneren Sicherheit und der Öffentlichen Ordnung einzurichten. Bereits ein halbes Jahr später, am 29. Juni 1976, steckte die Runde der Innen- und Justizminister aus damals noch neun Staaten den Rahmen ab: Auf der Tagesordnung standen zukünftig Informationsaustausch im Datennetz gegenseitige Unterstützung auf dem Gebiet des Terrorismus, der Austausch technischer Erfahrungen, gegenseitiger Austausch von Polizeibeamten, Zusammenarbeit in Ausbildungsfragen, bei der Sicherung des Flugverkehrs, des Nuklearwesens sowie bei Natur- und Brandkatastrophen.
Unter der Bezeichnung TREVI (Terrorisme, Radicalisme, Extremisme, Violance International) finden seitdem regelmässig Sitzungen auf verschiedenen Ebenen statt (s. Graphik). Der Tagungsort befindet sich jeweils in dem Land, das gerade den EG-Vorsitz innehat.
Oberstes Entscheidungsgremium ist die Ministerebene, in der die amtierenden Justiz- und Innenminister der mittlerweile zwölf EG-Staaten auf Grundlage der Arbeitsergebnisse der Fachebenen die politischen Beschlüsse fassen. Der Vorsitz wechselt halbjährlich. Die laufenden Geschäfte werden von einer Troika geführt, die sich aus den Trägern der vergangenen, gegenwärtigen und zukünftigen Präsidentschaft zusammensetzt. Dieses Leitungsprinzip gilt ebenfalls für alle nachgeordneten Entscheidungs- und Fachebenen.
Zweite Ebene ist der Ausschuss der Hohen Beamten. Ihm gehören leitende Ministerialbeamte der nationalen Behörden an, und - wenn auch inoffiziell - die Leiter der Nachrichtendienste. Sie geben den TREVI-Arbeitsgruppen die Themen vor und bereiten deren Ergebnisse für die Entscheidungen der Ministerrunde vor.
Seit 1977 wickeln Verbindungsbeamte in den nationalen Verbindungsbüros der Mitgliedsländer den laufenden Informations- und Rechtshilfeverkehr ab. Nach Ansicht der Betreiber "funktioniert diese Arbeitsebene hervorragend, der Nachrichtenaustausch erfolgt schnell und auf sicheren Wegen".
Sitzungen des TREVI-Kabinetts, dessen Mitglieder unterhalb der Ministerebene geheimgehalten werden, finden ohne Öffentlichkeit statt; selbst EG-Beobachter sind nicht zugelassen, eine Kontrolle durch das Europaparlament ist nicht vorgesehen. Anfänglich waren nicht einmal Ort und Termin der Sitzungen bekannt: 1988 gab es auf den drei Ebenen z.B. insgesamt 24 Treffen, Tendenz steigend. Erst seitdem im Rahmen des Schengener Abkommens verstärkt für eine gesamteuropäische Union geworben wird, haben auch die TREVI-Minister ihre Zurückhaltung ein wenig gelockert und veröffentlichen die Gesprächsthemen und Beschlüsse auszugsweise und in allgemeiner Form. TREVI ist also keine EG-Institution, sondern eher eine Art Koordinierungs- und Planungsinstanz für die polizeiliche und geheimdienstliche Zusammenarbeit.
Gleich von Anbeginn bestanden auf der dritten Ebene die Arbeitsgruppen TREVI I (Terrorismusbekämpfung) und TREVI II (Polizeiausbildung und Technologie).
Seither läuft in Westeuropa ein einigermassen funktionierender Datenaustausch über "terrorismusverdächtige Drittausländer". Die Richtlinien von TREVI I sehen u.a. vor, dass sich die einzelnen Staaten bei Terrordelikten kurzfristig, d.h. binnen 24 Stunden, zu informieren haben. Nach schwerwiegenden Zwischenfällen können zusätzlich zu den bereits stationierten Verbindungsbeamten weitere Fachleute entsandt werden, um die örtlichen Behörden zu beraten und zu unterstützen, und eine grenzüberschreitende Fahndung zu koordinieren. Weiterhin wurde beim Bundeskriminalamt in Wiesbaden eine Zentralstelle zur Untersuchung und Auswertung gefälschter arabischer Pässe, die im Zusammenhang mit terroristischen Aktivitäten stehen, eingerichtet. Vertreter der BRD in diesem Zirkel sind Hamburgs VS-Chef Christian Lochte und ein Kollege aus Baden-Württemberg.
TREVI II berät über die "Harmonisierung"der Kommunikations- und Kriminaltechnik, Datenverarbeitung, Ausrüstung und Ausbildung. 1989 wurde vereinbart, einen Informationsaustausch "z.B. über neue Formen von Ordnungsstörungen und besonderes Verhalten von Gruppen oder Einzelnen" einzurichten. Für die BRD nehmen Polizeiexperten aus Bayern und Berlin an TREVI Il teil.
Diese Spezialistenrunde richtet u.a. auch Seminare zu polizeitaktischen Fragen aus: 1988 etwa an der bundesdeutschen Polizeiführungsakademie eine Tagung zu "praktischen und polizeitaktischen Massnahmen bei Demonstrationen, Hausbesetzungen und Objektschutzmassnahmen" und ein Treffen über Krawalle bei Fussballspielen. Bei der Fussball-Europameisterschaft 1988 konnte sich diese TREVI-Abteilung dann auch erstmalig öffentlich in Szene setzen: In einer europaweit ausgerichteten Aktion gelang es, eine Grosszahl von "Hooligans" aus den Fussballstadien der Bundesrepublik fernzuhalten.
1990 stehen Tagungen über die Anwendung des "Genetischen Fingerabdrucks" auf dem Programm, Seminare über ferngesteuerte Zünder und Seepiraterie, die Leiter der westeuropäischen Anti-Terror-Einheiten wollen sich treffen und zur Fussball-WM in Italien soll wieder die gesamteuropäische Polizeiaktion gegen "Hooligans" anlaufen.
Im Juni 1985 beschloss die Ministerrunde die Ausweitung der TREVI-Aktivitäten auf den Bereich der Schwerverbrechen und auf die mittlerweile in den argumentativen Vordergrund gerückte sogenannte internationale Organisierte Kriminalität (OK). Der neu eingerichteten Arbeitsgruppe TREVI HI gehören überwiegend hochrangige Beamte der Kriminalpolizeien an, aus der BRD Fachleute für OK aus Hessen und Nordrhein-Westfalen. Ihren Schwerpunkt haben die Herren Experten bei der Rauschgiftkriminalität gefunden. Amerikanischem und bundesdeutschem Vorbild folgend sollen Rauschgift (RG)- Verbindungsbeamte in alle Welt gesandt werden. Die BRD bringt hierbei das am weitesten ausgebaute Netz von RG-Verbindungsbeamten ein. Beim Kampf gegen die OK hingegen tritt TREVI III auf der Stelle: gemeinsame Ermittlungsgruppen scheitern nach wie vor an Sprachschwierigkeiten und vor allem an den unterschiedlichen nationalen Gesetzen des Straf- und Finanzrechts.
Seit langem geplant, den vorliegenden Informationen zufolge bislang jedoch nicht realisiert, ist eine weitere Arbeitsgruppe, die den Schutz von Atomkraftwerken und Nukleartransporten, sowie Zivilschutzmassnahmen bei grenzüberschreitenden Katastrophen beraten und koordinieren soll. Auch die Arbeitsgruppe "Brandschutz" hat bislang nur wenige Aktivitäten an den Tag gelegt. Umstritten ist im Kreis der TREVI-Mitglieder die Gründung einer Europäischen Rauschgiftzentrale nach dem Vorbild der us-amerikanischen Drug Enforcement Agency (DEA).
Auf anderen Gebieten ist man da schneller: so wurde 1988, unter deutschem Vorsitz, eine ad-hoc-Arbeitsgruppe Einwanderung ins Leben gerufen. Ausserdem beauftragte die Ministerkonferenz im Dezember 1988 eine weitere ad-hoc-Arbeitsgruppe, TREVI 92, die durch die geplante Abschaffung der Grenzkontrollen befürchteten "Sicherheitsdefizite" festzustellen und "Ausgleichsmassnahmen" aufzuzeigen. Aus TREVI 92 ging so die jetzige Arbeitsgruppe TREVI IV Ausgleichsmassnahmen hervor, wo derzeit der Probelauf für die Durchsetzung der Schengener Verträge in ganz Westeuropa stattfindet.
Auch bei den innereuropäischen Datennetzen sind die Sicherheitspolitiker bereits einen gehörigen Schritt vorangekommen: Über ihr abhörgeschütztes Fernmeldenetz können die TREVI Mitgliedstaaten Meldedienste zu Terrorismus, Drogenhandel, Sprengstoffen, bewaffnetem Raub, Betrug, Menschenhandel, Erpressung, Entführung und Fussballkrawallen nutzen. Verknüpft werden sollen auch die bundesdeutschen und französischen Fahndungssysteme. Und mittelfristig plant TREVI ein Europäisches Informationssystem (EIS) nach dem Muster des Schengener Informationssystems (SIS, s. Weichert: Europa ohne Datenschutz). Langfristig ist geplant, eine europaweite Funkfrequenz für die Sicherheitsbehörden zu installieren.
Nach und nach hat TREVI die polizeiliche und geheimdienstliche Zusammenarbeit auch über die EG-Grenzen ausgeweitet: 1986/87 wurden Übereinkünfte mit Marokko, Österreich, Kanada, Japan, USA, VR China, Jugoslawien und Thailand getroffen. Die Zusammenarbeit mit diesen Ländern erstreckt sich auf die Terror-, Rauschgift- und Schwerverbrechensbekämpfung. Mit Norwegen, Schweden, Schweiz, Türkei und Malta finden weitere Gespräche statt.
Otto Diederichs ist ggw. Fraktionsassistent der ALTERNATIVEN LISTE (AL) im Berliner Abgeordnetenhaus. Er betreut dort den Ausschuss für Inneres, Sicherheit und Ordnung sowie den neueingerichteten Ausschuss für Verfassungsschutz.
Diverse Veröffentlichungen zum Thema "Polizei/Geheimdienste" in CILIP und taz. Mitarbeit an verschiedenen Broschürenprojekten von AL, GRÜNEN und Bürgerinitiativen