Im Juni 1990, wenn voraussichtlich der Schengener Staatsvertrag unterzeichnet wird, schliessen die Kernländer Westeuropas ihre Tore. Mit diesem Vertrag stellen die Unterzeichnerstaaten Frankreich, Belgien, Niederlande, Luxemburg und BRD die entscheidenden Weichen für eine europaweite gemeinsame Asyl- und Flüchtlingspolitik.
Die Vereinheitlichung der EG-Asylpolitik findet statt, nachdem fast alle EG-Staaten in den vergangenen Jahren ihre Asylgesetze bereits verschärft haben. Diese "Spirale nach unten" geschieht aber vor allem vor dem Hintergrund der Flüchtlingsbewegungen aus den Armenhäusern und Kriegsgebieten der Dritten und Vierten Welt. Aber das ist nicht der einzige Grund: Auch die Entwicklung in Osteuropa ist - nachdem die "deutsche Frage", deretwegen zwischenzeitlich die Verhandlungen um den Schengener Vertrag ins Stocken geraten waren, geklärt ist - Ursache der hektischen Wiederaufnahme der Gespräche und die schnelle Unterzeichnung. Denn die weitere Öffnung Osteuropas wird Wanderungsbewegungen von Millionen Menschen zur Folge haben, die seit dem zweiten Weltkrieg zum Stillstand gekommen waren. Schon heute ist absehbar, dass die Mauer an der Oder-Neisse-Linie wiederaufgebaut wird - und an den anderen Aussengrenzen der EG, auf den internationalen Flughäfen, in Häfen und an den "grünen Grenzen". Mit dem Unterschied, dass diese neue Mauer optisch nicht sichtbar und diesmal vom Westen errichtet sein wird ... Abgrenzung heisst die neue Politik in der EG. Es wird an halbdurchlässigen Grenzen gearbeitet, die für Waren und Kapital freien Verkehr garantieren, Menschen aber gezielt kontrollieren: Die EG verwandelt sich in eine Festung.
Weltweit befinden sich nach Angaben des UNHCR (UN-Hochkommissar für Flüchtlinge) ca. 14 bis 18 Mill. Menschen auf der Flucht. Sie flüchten vor politischer Verfolgung, vor Krieg oder Bürgerkrieg, vor Unterdrückung wegen ihres Glaubens, wegen Zugehörigkeit zu einer ethnischen Gruppe, wegen ihres Geschlechts oder ihrer sexuellen Orientierung, wegen Dürre oder Überschwemmungen, oder wegen anderer von Menschen verursachten Naturkatastrophen. Die Debatten in den EG-Staaten befassen sich selten mit dieser Dimension des Flüchtlingsproblems. Für die Folgen des kolonialen Erbes und die anhaltende ökonomische Abhängigkeit, die meist die Ursache des Elends und - in der Folge - von Militär-Regimes sind, wollen die EG-Staaten keine Verantwortung übernehmen, schon gar nicht in der Asylpolitik.
Nur ein Bruchteil der 18 Mill. Flüchtlinge gelangt nach Europa. Auch die USA bleibt für die allermeisten unerreichbar fern. Die grosse Belastung der Flüchtlinge müssen die unmittelbaren Nachbarländer tragen, die oft nicht einmal die Ernährung der ansässigen Bevölkerung gewährleisten können. Flucht und Vertreibung sind vor allem in den bekannten Kriegsgebieten zu beobachten. Afghanistan, Iran, Pakistan, Türkei, Indochina, Sudan, Somalia, Mosambique, Mittelamerika usw. sind die Staaten und Gebiete mit fast mehr als 90% der Flüchtlinge weltweit. In Pakistan wird die Zahl der Flüchtlinge aus Afghanistan auf fast 5 Mill. und aus Iran auf 1,5 Mill. geschätzt. Im Sudan, auch eines der ärmsten Länder der Weit, haben über 2 Mill. Flüchtlinge Zuflucht gefunden. Die Anzahl der Flüchtlinge in der Bundesrepublik - selbst nach Angaben des Innenministeriums, die die heimatlosen Ausländer aus dem zweiten Weltkrieg mit 160.000 geschätzten Familienangehörigen einschliessen - machen nicht einen Bruchteil dessen aus, was Sudan oder Pakistan aufnehmen mussten. Offiziell befinden sich cä. 800.000 Flüchtlinge in der Bundesrepublik (1988).
Eine Flüchtlingspolitik, die an den Ursachen ansetzt und auch bei aktuellen Problemen Lösungen anbieten will, muss von der internationalen Dimension des Problems ausgehen und internationale Lösungsansätze entwickeln. Die Öffnung der Grenzen in Europa ist für die Flüchtlinge unerlässlich, jedoch werden auch dann 90% der Flüchtlinge Europa nicht erreichen. Politisch und sozial sind regionale Lösungsansätze sinnvoller, jedoch muss die Last international getragen werden. Heute leisten nur die skandinavischen Staaten einen Beitrag entsprechend ihrem Wohlstand. Die übrigen Staaten sind lediglich damit beschäftigt, die Grenzen zu schliessen.
Eine europäische Asyl- und Flüchtlingspolitik, die diesen Namen verdient, gibt es nicht. Die Aktivitäten der EG-Staaten in dieser Frage erfolgen bis heute entweder bilateral, oder, wie beim Schengener Abkommen, als zwischenstaatliches Abkommen. Oder wie bei TREVI, wo alle zwölf Mitglieder der Gemeinschaft eine gemeinsame gesamteuropäische Asylpolitik entwerfen. Dies findet jedoch ohne einen Bezug auf die Verträge der Gemeinschaft statt. Wenn bis jetzt sowohl beim Schengener Abkommen als auch bei TREVI die Organe der Gemeinschaft zugegen waren oder beratende Hilfe leisteten. so bedeutet dies nicht, dass die Mitgliedstaaten eine Vereinheitlichung dieser Politiken beabsichtigen. Es geht lediglich darum, die gemeinsamen Abschiebe- und Abwehrpolitik zu koordinieren.
Die "Harmonisierung" der verschiedenen nationalen Abwehrpolitiken stützt sich auf zwei wesentliche Erkenntnisse: Erstens haben die EG-Staaten festgestellt, dass das Weiterschieben von Asylsuchenden in ein anderes EG-Land keine "Lösung" darstellt und oft die anderen Staaten zurückschieben. Zweitens setzen der EG-Binnenmarkt und der angepeilte freie Personenverkehr ab 1993, verbunden mit der Abschaffung der Grenzkontrollen, gemeinsame Strategien auch in der Asylfrage zwingend voraus. "Die Statistik zeigt jedenfalls, dass abgelehnte Asylbewerber, soweit sie nicht aus humanitären Gründen geduldet werden, zu einem nicht unerheblichen Teil untertauchen oder einfach verschwinden - vermutlich nicht selten über die grüne Grenze ins benachbarte Ausland" (Prof. Dr. K. Heilbronner, in: Anwaltsblatt, Okt. 1989). Die Erhebungen der Bundesländer seit dem 1. 10. 1986 scheinen diese Vermutung zu belegen. "Ein relativ geringer Anteil abgelehnter Asylbewerber (im ersten Halbjahr 1987 16,5%) hat unter Überwachung durch die Ausländerbehörden das Bundesgebiet wieder verlassen. Eine mindestens gleich grosse Zahl abgelehnter Asylbewerber tauchte unter". (Heilbronner ebd.)
Ein zweites Problem scheint für die EG-Staaten die Vermutung zu sein, dass die Flüchtlinge in mehreren Staaten gleichzeitig Anträge auf Asyl stellen. Eine "Vermutung", die bei der unterschiedlichen Behandlung der Flüchtlinge durchaus stimmen könnte. Während z.B. die Flüchtlinge aus Sri-Lanka in Frankreich zu 40% anerkannt werden, ist die Anerkennungsquote der gleichen Personengruppe in der Bundesrepublik gleich Null. Bei den chilenischen Asylsuchenden liegt die Anerkennungsquote in Norwegen bei 40%, in den übrigen europäischen
Ländern bei 5 %. Dennoch dürfte die Zahl der gleichzeitigen Asylgesuche in mehreren Staaten relativ gering sein, da schon in einem Land ein Antrag auf Asyl grosse Hürden bedeutet und oft die Bewegungsfreiheit von Flüchtlingen begrenzt ist. In der Bundesrepublik dürfen viele nicht mal die Lager verlassen, geschweige denn das Land, um nebenbei ein zweites Asylverfahren in Frankreich zu organisieren.
Wie dem auch sei, alle diese Erkenntnisse führen zu Schlussfolgerungen, die Staatssekretär Spranger aus dem Bonner Innenministerium so formuliert: "In den Mitgliedstaaten der EG hat sich die Erkenntnis durchgesetzt, dass nationale Antworten auf das Flüchtlingsproblem allein nicht mehr zu optimalen Lösungen führen können. Nur eine verstärkte Kooperation und eine intensive Abstimmung können verhindern, dass sich die Flüchtlingsströme, die auf Westeuropa gerichtet sind, jeweils die durchlässigste Stelle suchen."
So sehr der erste Satz stimmt, dass nationale Lösungen für eine umfassende Antwort auf die weltweite Flüchtlingsfrage nicht ausreichen, so deutlich wird aus dem zweiten Satz die Absicht, wohin die Kooperation gehen soll.
Mit der Realisierung des Binnenmarktes und der Öffnung der Binnengrenzen malen die Politiker eine Überflutung Europas durch Flüchtlingsströme an die Wand und mobilisieren Ängste, die als Propaganda für Schengen herhalten müssen.
Die Einheitliche Europäische Akte (Artikel 8a EWG) sieht die Öffnung der Grenzen für Waren, Kapital, Dienstleistungen und Personen ab dem 1. Januar 1993 vor. Diese Bestimmung ist es, die die EG-Staaten veranlasst hat, über die entstehende "Sicherheitslücke" nachzudenken, wenn, wie vorgesehen, die Grenzkontrollen entfallen. Maschinenlesbare Personalausweise, als Idee der siebziger Jahre für eine lückenlose Kontrolle erdacht, werden völlig sinnlos, so Horst Herold, ehemaliger Präsident des BKA, da hierfür gerade die Grenzkontrollen benötigt werden. Auch die Idee, Kontrollstellen 30-40 km hinter der Grenze zu errichten, lässt sich schwer umsetzen, zumal die Bevölkerung dies als eine Verschiebung der Grenze ins Landesinnere ansehen würde. Es blieb nur übrig, die Aussengrenzen dicht zu machen.
Die Bundesrepublik hat als erstes Land vorgeführt - hier kann tatsächlich vom Modell Deutschland gesprochen werden - wie die Landesgrenze gegenüber Flüchtlingen geschlossen werden kann. Bereits in den siebziger Jahren wurde eine Visumspflicht für all die Länder eingeführt, die in Krisenregionen lagen oder aus denen Flüchtlingsströme zu erwarten waren. So führte die Bundesrepublik gegenüber der Türkei drei Monate vor dem Militärputsch vom 12. September 1980 die Visumspflicht ein, da absehbar war, dass mit dem Putsch eine grosse Zahl von Menschen flüchten würde. Die Nachbarstaaten - über alle ideologischen Hürden hinweg bis hin zu Bulgarien - wurden dafür gewonnen, keine Personen weiterreisen zu lassen, die kein Visum für die Bundesrepublik vorweisen konnten. Heute ist das Visum für die Bundesrepublik Deutschland ein Schlüssel geworden, der in West- wie Osteuropa Tore öffnet. Die übrigen Staaten in Europa zogen mit fast den gleichen Massnahmen nach.
Das Schengener Zusatzabkommen ist im Lichte dieser Entwicklung entworfen worden. Zuerst eine Idee der Bonn-Pariser Zusammenarbeit, mit den Benelux-Staaten auf fünf Mitglieder gewachsen, soll das Vertragswerk nun die Öffnung der Grenzen der Gemeinschaft nach innen und ihre Schliessung nach aussen vorbereiten.
Die Kommission der Gemeinschaft wurde als "Beobachter" hinzugezogen, da, so der für den Binnenmarkt zuständige EG-Kommissar Martin Bangemann im Europäischen Parlament im Dezember 1989, die Initiativen der Schengener Staaten ein Modell für die gesamte EG darstellen. Bereits heute nehmen Italien und Österreich als Beobachter teil, Spanien vermutlich auch, der Antrag Griechenlands ist abgewiesen worden. Ob weitere Staaten direkt oder indirekt an den Verhandlungen teilnehmen, wissen wir nicht. Es ist offensichtlich, dass die Schengen-Partner den Vertrag erst einmal im kleinen Rahmen startreif formulieren wollen, so dass die anderen EG-Staaten den Text nur noch vollständig übernehmen können. Wobei die BRD eher den Status der Nicht-EG-Länder Schweiz und Österreich, mit denen ebenfalls bilaterale Verträge über zügige Grenzkontrollen bestehen, klären will, als im Rahmen der EG mit Griechenland oder Portugal zu einem Vertrag zu kommen.
Nun liegt seit Ende 1989 nach langen, fast geheimen Verhandlungen ein aus 137 Artikeln bestehendes Vertragswerk zur Unterzeichnung vor. Das Abkommen umfasst im wesentlichen:
Die Schöpfer des Staatsvertrages haben keine Zeit auf die Harmonisierung der historisch unterschiedlich entstandenen Rechtssysteme verloren. Dies ist ein schweres Unterfangen und wird vermutlich viele Juristen in die Debatte locken. Die Vertragsparteien erkennen die bestehenden nationalen Gesetze gegenseitig an und versuchen, auf dieser Grundlage zusammenzuarbeiten. Eine Methode, die sich bei der Verwirklichung des Binnenmarktes, bezogen auf Waren-, Kapital- und Dienstleistungsverkehr, bereits bewährt hat. Es ist deshalb nicht besonders weitsichtig, wenn behauptet wird, dass das Schengener Abkommen ein Modell für die übrigen EG-Staaten darstellt. Daran wird im Rahmen von TREVI bereits gearbeitet.
Zurück zu Schengen: Auch die nationalen Asylrechte bleiben bestehen, regelt Artikel 32 des Staatsvertrages: "Die Behandlung des Asylbegehrens richtet sich nach dem nationalen Recht ..." Es geht also nicht um die "Harmonisierung" des Asylrechtes selbst, sondern um die Abstimmung untereinander in dieser Frage. Sie wird in drei Stufen behandelt:
Nun zu den einzelnen Schritten: Im ersten Teil des Abkommentextes wird bereits nach der Festlegung der Definitionen (Art. 1-4) gleich auf die Einreisemodalitäten und die Kontrollen an den Grenzen eingegangen. Ein "Drittausländer" - das schöne Wort ist geschaffen worden um die EG-Angehörigen davon auszunehmen - kann nur unter bestimmten Voraussetzungen einreisen. Damit werden indirekt alle Nicht-EG-Länder visumspflichtig, wenn von dieser Pflicht nicht vertraglich abgesehen wird. Es wird also eine Liste von Staaten geben, deren Angehörige ohne Visum einreisen dürfen! Die Einreisevoraussetzungen für "Drittausländer" schliessen u.a. ein: "Er darf keine Gefahr für die öffentliche Ordnung, die nationale Sicherheit oder die internationalen Beziehungen einer der Vertragsparteien darstellen" (Art.5/e). Diese Formulierung wiederholt sich bereits im Artikel 6 zweimal, und in den folgenden Artikeln wird darauf ständig bezuggenommen. Wogegen sie sich richtet, kann aus der Ausländerpolitik der Bundesrepublik leicht abgelesen werden. Fast wortgleich aus dem Paragraphen 10 des noch gültigen Ausländergesetzes übernommen, wurde diese Bestimmung gegen die Einreise von prominenten, politischen Verfolgten eingesetzt, um in bestimmten Fällen die "internationalen Beziehungen" nicht zu gefährden. Es waren die Handelsbeziehungen, wie z.B. zu Iran in den siebziger Jahren, die es zu schützen galt. Zukünftig dürfen Flüchtlinge diese Interessen von gleichzeitig fünf Staaten und bald von allen EG-Mitgliedern nicht gefährden.
Diese Formulierung ist jedoch typisch für den Vertragstext. Die Administration gibt sich damit freie Hand zu definieren, wen sie einreisen lässt, das Asylrecht wird damit den politischen Interessen einer zukünftigen Europäischen Union untergeordnet. Auch in anderen Fragen werden noch ungeklärte Punkte dem "Exekutivausschuss" überlassen (Art. 5, Abs. 1a und Art. 17). Wenn dieses Abkommen die nationalen Parlamente passiert hat, werden die Entscheidungen des Exekutiv-Ausschusses rechtskräftig in allen Schengenstaaten sein, ohne dass darüber die nationalen Parlamente noch entscheiden können.
Beim Studium des Abkommens wird deutlich, dass die Grenzen für die allermeisten Nichteuropäer verschlossen bleiben sollen. Die Schöpfer des Zusatzabkommens haben deshalb auch an die Verkehrsunternehmen gedacht. Befördern sie "Drittausländer" ohne die erforderlichen Einreisepapiere, so verpflichten sich die Vertragsparteien u.a. "Sanktionen" gegen die Transportunternehmen zu verhängen (Art. 26), die damit faktisch zu Vorprüfstellen der Einwanderungsbehörden gemacht werden. Auch gegen Personen, die "Drittausländern" helfen oder zu helfen versuchen, in einen der Vertragsstaaten einzureisen, wurden Sanktionen vereinbart. Es wird nicht leicht sein zu beweisen, tatsächlich politisch Verfolgten geholfen zu haben, wenn nicht einmal bewiesene Folter als Verfolgungsgrund ausreicht. Flüchtlingshilfe droht also strafbar zu werden.
Im zweiten Schritt des Schengener Abkommens geben sich die Unterzeichnerstaaten freie Hand bei der Ausweisung und Behandlung des Asyslbegehrens (Art. 29). Ausserdem wird ganz genau bestimmt, dass der Staat zuständig ist, der die Einreise erlaubt hat.
Wenn jedoch mehrere Visa erteilt wurden - was sehr selten vorkommen wird - ist das Land zuständig, das den längsten Aufenthalt gewährt hat (Art. 30). Dieser Artikel wird unter den Vertragsstaaten zu einem Wettbewerb um möglichst kleine Einreisezahlen und um das kürzeste Visum führen.
Die vorgesehene Zusammenarbeit geht bis zu der genauen Festlegung der Familienangehörigen und Verwandtschaftsverhältnisse von Asylsuchenden, damit die Verpflichtung zur Aufnahme dieses Personenkreises von vornherein klar begrenzt ist (Art. 35).
Auch der Informationsaustausch ist geregelt. Zuerst wird vereinbart, statistische Daten über Asylanfragen, über Herkunftsländer und Asylgruppen z.T. monatlich auszutauschen (Art. 37). Im folgenden Artikel wird jedoch gleich der angeblich vertraulich-bilaterale Austausch von persönlichen Daten vereinbart, wobei der Kreis der Zugriffsberechtigten so weit wie unbestimmt gezogen wird.
Dieser Datenaustausch und seine Auswirkungen auf Nicht-EG-Angehörige wird allerdings erst recht brisant durch weitere nationale Gesetze. In der BRD ist deshalb kürzlich ein neues Ausländerrecht im Eiltempo gesetzlich festgeklopft worden, demnächst steht das Ausländerzentralregister auf dem Plan der Regierung (siehe nebenstehenden Kasten). Die Bundesrepublik macht damit den Vertragsparteien vor, wie unerwünschte Flüchtlinge und Einwanderer vor den Grenzen gehalten werden sollen. Im Schengener Informationssystem (SIS) soll zu diesem Zweck eine Datei über aus- bzw. abgewiesene "Drittländer" eingerichtet werden, deren Daten für mindestens drei Jahre gespeichert bleiben (Art. 113).
Auch TREVI, die Planungsinstanz der EG für Fragen der Inneren Sicherheit, beschäftigt sich mit dem Schengener Vertrag, gilt er doch als Pilotprojekt für ein europaweites Abkommen. Doch mit Anregungen, öffentlich mitzuteilen, was in dem Geheimzirkel besprochen wird, prallt selbst Bangemann an der Phalanx der Betonköpfe ab: "Ich habe das in der Koordinationsrunde vorgeschlagen und habe den Vorsitzenden gebeten, öffentlich dafür zu werben, was wir tun. Aber da sind die Innenminister. Da sind die Justizminister. Da sind Polizeibeamte. Sie sind einfach daran gewöhnt, dass das, was sie tun, unter Ausschluss der Öffentlichkeit geschieht." (1)
Soviel ist bekannt: TREVI soll "Fragen aus dem Bereich der öffentlichen Ordnung und Sicherheit" behandeln. Asylpolitik, Grenzkontrollen, Ausländerpolitik und Datenaustausch stellen einen weiteren Arbeitsschwerpunkt dar, womit sich übereinstimmende Interessen mit den Inhalten des Schengener Abkommens ergeben. Eine endgültige Antwort auf die Frage, wohin diese Doppelgleisigkeit führt, lässt sich aber noch nicht geben. Wir können nur Vermutungen anstellen.
Die TREVI-Staaten werden vermutlich bei der heutigen Lage der Entwicklung eine Erweiterung der Unterzeichner des Schengener Abkommens einem neuen Gemeinschaftsvertrag vorziehen, wobei bereits feststeht, dass der Staatvertrag nur vollständig, d. h. ohne Veränderung übernommen werden darf. Wie dem auch sei, die Asylfrage wird dort behandelt werden, wo der politische Handlungsrahmen für die Exekutive am grössten ist. Und bereits die EG mit einem eher symbolischen Parlament scheint für die Administration eine unerträgliche Kontrolle oder Einschränkung darzustellen.
Deshalb kann die These aufgestellt werden: In der Asylpolitik bestimmen nicht die internationalen "centren" und Organe, sondern die Nationalstaaten den politischen Entscbeidungsrahmen. Nicht in Strassburg, Brüssel und Schengen wird entschieden, sondern in Paris, Bonn und Den Haag. Mit dem Abkommen schafft sich die Administration an den gültigen Gesetzen vorbei einen Handlungsrahmen, der die bestehenden Gesetze unterhöhlt und diese wiederum mittel- und langfristig dem gemeinsamen niedrigen Standard angleicht. Schon jetzt ist absehbar, dass das verhältnismässig liberale bundesdeutsche Grundrecht auf Asyl mit Hinweis auf die "europäische Harmonisierung" abgeschafft werden soll.
Dieser Umstand hat grosse Bedeutung für die politischen Strategien. Denn die Entscheidungen über Schengen und TREVI werden in Bonn und Paris geboren und auch dort umgesetzt. Die Gegenstrategien müssen den gleichen Weg nehmen, wollen sie nicht an den Entwicklungen und Entscheidungen vorbeilaufen.
Ali Yurttagül ist Mitarbeiter für Asyl- und Flüchtlingsfragen bei den GRÜNEN im Europaparlament.
1) ausführliche Schriftprotokolle d. EP, 14.3.90, S. 384