Dokumentation
amnesty international kritisiert Schengener Vertrag

Für den 15.12.1989 ist in Luxemburg die Unterzeichnung des Zusatzabkommens zum 1985 geschlossenen Schengener Vertrages vorgesehen. Das Zusatzabkommen berührt auch Fragen des Flüchtlings- und Asylrechts.

Soweit amnesty international Kenntnis von den Verhandlungen zum Zusatzabkommen erlangen konnte, muss leider festgestellt werden, dass das Zusatzabkommen dazu beiträgt, die Möglichkeiten für politisch Verfolgte und Opfer von Menschenrechtsverletzungen, in Europa Schutz zu suchen und zu finden, weiter einschränken.

Zusammengefasst lassen sich unsere Bedenken wie folgt darstellen:

  1. Das Abkommen enthält Bestimmungen zur Visumsvergabe und zur Einreise von Drittausländern, die "schengenweit" den Zugang von Asylsuchenden zum Asylverfahren behindern. Ein Vertrag, der ausdrücklich auf Asylfragen eingeht, sollte dagegen zwischen Asylsuchenden und Drittausländern unterscheiden und sicherstellen, dass Einreisebestimmungen auf Asylsuchende so angewandt werden können, dass ihnen der Zugang zum Anerkennungsverfahren auch auf legalem Wege noch offensteht. Dasselbe gilt für die Bestimmungen zu Sanktionen gegen Beförderungsunternehmen.
  2. Die fünf Schengen-Staaten scheinen ihre Verpflichtungen aus der Genfer Flüchtlingskonvention völlig den Sicherheitsfragen unterzuordnen. So wurde UNHCR (UN-Hochkommissar für Flüchtlinge) in den Beratungen zum Übereinkommen nicht hinzugezogen, obwohl die GFK (Genfer Flüchtlingskommission) in Art. 35 alle Unterzeichnerstaaten verpflichtet, mit UNHCR in den Flüchtlinge betreffenden Fragen zu kooperieren. Daneben enthält das Übereinkommen keine Regelungen, die der GFK Vorrang geben, sondern lediglich ein feierliches Bekenntnis zu ihr, dessen praktische Bedeutung im unklaren bleibt.
  3. Die Beratungen des Schengener Vertrages hinter verschlossenen Türen hatten zur Folge, dass zentrale Fragen des Menschenrechtsschutzes ohne Hinzuziehung von Parlamenten, Experten oder in der Flüchtlingsarbeit tätigen Organisationen beraten wurden. Menschenrechts- und Asylfragen wurden so zu untergeordneten Problemen wirtschafts- und sicherheitspolitischer Erwägungen. Vor diesem Hintergrund ist die Resolution des Europäischen Parlaments zu begrüssen, in der die Schengen-Staaten aufgefordert werden, ihre Parlamente und die Öffentlichkeit an den Beratungen zu beteiligen und den Vertrag erst dann zu unterzeichnen, wenn alle Bedenken gegenüber dem Schutz der Menschenrechte, auch von Flüchtlingen, ausgeräumt sind.
  4. Der Vertragstext erlaubt den Austausch von Daten über Asylsuchende. Auf diese Daten sollen eine Reihe von Behörden, u.a. die konsularischen Vertretungen der Schengen-Staaten im Ausland, Zugriff haben. Datenschutzrechtliche Regelungen werden in den fünf Staaten sehr unterschiedlich gehandhabt, einen gemeinsamen datenschutzrechtlichen Grundkatalog sieht der Schengener Vertrag nicht vor. Daher ist zu befürchten, dass Daten über Asylsuchende an unbefugte Dritte gelangen und die Asylsuchenden selbst, aber auch ihre Familienangehörigen im Herkunftsland, gefährden können.
  5. Zu befürchten ist, dass durch die dem Schengener Vertrag folgende Verwaltungspraxis eine "Spirale nach unten" sowohl hinsichtlich der Einreisepraxis als auch hinsichtlich der Anerkennungskriterien im Asylverfahren entsteht, die den Ruf nach einer Einschränkung des Art. 16 II 2 GG wieder lauter werden lässt.

Bonn, den 11. Dezember 1989