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Auf der bundesdeutschen Theaterbühne wird derzeit der letzte Akt einer neuen Inszenierung vorbereitet: "Der Untergang der Demokratie", oder "Gummi her - sonst knallts!"
Dass das Drehbuch wegen zu häufiger Verwendung mittlerweile reichlich abgegriffen ist, scheint die Akteure ebensowenig zu stören wie das schlechte Bühnenbild. Dabei ist die Besetzung durchaus hochkarätig: Innenminister und -Senatoren aller Couleur, Polizeiführer aus der gesamten Republik, Bürgerkriegsstrategen jedweder Geistesgrösse, Berufsverbände, Waffentechniker und der eine oder andere Provinzpolitiker lassen Grosses erwarten. Geboten wird allerdings Schmierentheater, wobei die Regisseure häufig nicht eindeutig auszumachen sind.
Bereits seit Anfang der 70er Jahre wird in den Werkstätten eifrig an den Requisiten gearbeitet: So vermeldet beispielsweise 1974 die Polizeiführungsakademie (PFA):
"Nicht auf Zurufe gewisser veröffentlichter Einzelmeinungen, sondern aus eigener Aufgabenstellung untersuchte die Technische Kommission verschiedene Waffen, die nach der Devise 'Erst alles ohne Lebensbedrohung zusammenschiessen, dann Gangster, Geisel und Gendarmen auseinandersortieren' für einen sogenannten humaneren Polizeieinsatz geeignet sein sollen: ... Mit 'humanen' Gummiprojektilen sollte es möglich sein, anlässlich gewalttätiger Demonstrationen Rädelsführer bis auf mittlere Entfernung mit einem gezielten Schuss fluchtunfähig zu machen, ohne sie ernstlich oder gar tödlich zu verletzen ...". (2)
Während vorn auf der Bühne die Bonner Staatsschauspieler noch den Niedergang einer durch Beat-Musik und Rolling Stones aufgehetzten Studentenschaft, denen bereits der Vietnam-Krieg Anlass genug war, überkommene Werte in Frage zu stellen, feiern, die Reintegration dieser "Ausserparlamentarischen Opposition" (APO) eifrig beklatschen und das Avantgardestück "Die Bedrohung durch den Terrorismus" inszenieren, wird hinter den Kulissen schon wieder kräftig am nächsten Volksstück gewerkelt - anfangs allerdings noch etwas glücklos.
Zwar werden auf dem internationalen Waffenmarkt seit den 60er Jahren Projektile mit "gebremster Gewalt" angeboten, doch wurde von der Technischen Kommission (TK) des Arbeitskreises II (AK II) der Innenministerkonferenz, jener polizeieigenen Stätte "wertfreier Forschung", auf deren Ergebnisse die Herren Politiker sodann freudig ihre staatstragenden Entschlüsse stützen, die gesamte Palette der geprüften Waffen als für den Polizeieinsatz ungeeignet abgelehnt, da die technischen Parameter und Testbedingungen im Einsatz nicht einzuhalten waren. So schloss z.B. ein von der PFA angefordertes Gutachten der Medizinischen Hochschule Hannover die ..Möglichkeit lebensgefährlicher Verletzungen bei einem denkbaren Einsatzbereich bis etwa 20 m nicht aus".
Sieht man einmal von der Frustration der Prüfer ab, die schliesslich auch ihre Erfolgserlebnisse brauchen, so waren diese Fehlschläge nicht weiter tragisch. Es eilt ja nicht: Die sozialliberale Koalition erfreut sich noch allgemeiner Beliebtheit; die APO hat den "langen Marsch durch die Institutionen" angetreten, das Demonstrationsrecht ist im Zuge demokratischer Wagnisse endlich soweit liberalisiert, dass nicht schon die Teilnahme an einer Demonstration, die nicht in den geordneten Bahnen deutschen Wesens verläuft, strafbar ist; und das ,,Ausbauprogramm Innere Sicherheit" von 1972 kommt gut voran: mit dem publikumswirksamen Slogan "Kampf dem Terrorismus" werden durch den Ausbau des Polizeiapparates, die Einrichtungen riesiger Dateien, durch Razzien- und Todesschussgesetze u.v.a. klammheimlich die Voraussetzungen geschaffen, die eine Regierung braucht, die ihrem Volk nicht über den Weg traut; "Vertrauen ist gut - Kontrolle ist besser", dieses Bekenntnis von Altvater Lenin haben am besten eingefleischte Anti-Kommunisten begriffen.
"Die Entwicklung der Polizeitechnik wird im Fachbereich 'Waffenwesen' kontinuierlich fortgeführt. Das Hoffen auf das sogenannte moderne und humane Einsatzmittel ist noch immer dem Bereich der Utopie zuzuordnen ", resümieren die Tester und beobachten erst einmal den Markt. (2)
Auf der politischen Bühne entstehen unterdessen die ersten Bürgerinitiativen. Der ungehemmte Ausbau der Atomkraftwerke ruft überregionale Protestaktionen hervor. Whyl - Brokdorf - Grohnde - Kalkar sind politische Szenen, die von der Bonner Regie in zunehmendem Masse nach dem Muster hollywoodscher Monumentalschinken abgedreht werden. Masseneinsätze, expandierende (Tränen-)Gasschlachten und immer martialischer werdender Einsatz von Technik (Wasserwerfer, Hubschrauber, Sonderfahrzeuge) bestimmen das polizeiliche Auftreten.
Damit nicht genug, wird 1977 anlässlich der Demonstration gegen den Bau des "Schnellen Brüters" in Kalkar gleich auch der Notstand geprobt: Polizei- und BGS-Truppen besetzen über Nacht fast alle Verkehrsknotenpunkte der Bundesrepublik, der Autobahnverkehr bricht total zusammen; MP-Posten kontrollieren jeden Reisenden, der auch nur entfernt nach Demonstrant aussieht, ganze LKW-Ladungen an "Waffen" in Form von Wagenhebern, Reservekanistern, Motorradhelmen und Zitronen werden beschlagnahmt. Und es scheint zu wirken - dieser "Kalkar-Schock" sitzt vielen über lange Zeit in den Knochen. Vorbereitungen für Demonstrationen und Aktionen werden nun häufig von Zaudern und Zagen begleitet. Das "Vertrauen in die eigene Kraft" ist doch erheblich angeknackst, und nur langsam vergeht diese Lähmung.
Doch nach und nach finden die Initiativen zurück zu ihrer Stärke: Sei es gewaltfrei wie beim Gorleben-Treck, als nahezu 120.000 Menschen aus Protest gegen die geplante Atommüll-Deponie von Gorleben nach Hannover marschieren, um dort eine Resolution zu übergeben, oder bei der Errichtung der "Freien Republik Wendland", wo auf dem für die Deponie verplanten Landstück über Monate ein Hüttendorf errichtet wird - oder sei es auch militant, wie am 6.5.1980 in Bremen, als eine Demonstration gegen die im Weserstadion stattfindende öffentliche Rekrutenvereidigung der Bundeswehr das militaristische Spektakel massiv und erfolgreich stört. Das ganze Brimborium wird vor lauter Rauch und Tränengas kaum noch wahrgenommen. Und dabei hatten sie es sich so nett gedacht!
Entsprechend ist denn auch der Aufschrei, der quer durch alle Parteien und Medien geht! Es werden systematisch neue Termini durchgesetzt: Fortan wird im öffentlichen Sprachgebrauch nicht mehr von "Störungen" oder "Ausschreitungen" geredet, sondern nur noch von "Krawallen"; aus "Demonstranten" werden folgerichtig nun "Demolanten", "Krawallanten" und "Chaoten" .
Und auch der Gummigeschosse erinnert man sich in der Requisitenkammer wieder: ,,Die Schweizer Entwicklung wurde den Kollegen der deutschen Polizei bereits 1979 bei einer Fachtagung ... vorgeführt. Nachdem die deutschen Polizeitechniker und Waffenspezialisten zunächst eine ablehnende Haltung einnahmen, beschlossen sie ... nach den gewalttätigen Bremer Ausschreitungen eine erneute Prüfung", wird ein Jahr später eher beiläufig der Leserschaft der .Hessischen Polizeirundschau' (hpr, 4/81) mitgeteilt.
In Bremen selbst fühlt man sich arg gebeutelt, die Töne werden schrill: ,,Die Polizei kann ihren gesetzlichen Auftrag nicht mehr erfüllen', jammert Bremens rechtslastiger SPD-Polizeipräsident Ernst Diekmann. Der "Eindruck vom schlappen Staat" bringt ihn schier um die Nachtruhe - er verlangt als erster öffentlich die Einführung von Gummigeschossen. (3)
Aber der Ghostwriter der SPD in Sachen Innere Sicherheit, die vergleichsweise liberale Gewerkschaft der Polizei (GdP), ist skeptisch. Sie spricht sich für eine weitere gründliche Erprobung der Sonderwaffe aus, allerdings nicht ohne mit der Virtuosität einer tibetischen Gebetsmühle ihren Standardsatz hinzuzufügen, wonach, sollte sie dann doch eingeführt werden, natürlich bei jedem Einsatz die Verhältnismässigkeit zu berücksichtigen sei. Schade - das hat also wieder nicht so recht geklappt. Aber immerhin - man redet zumindest schon davon!
Der zweite grosse Auftritt bleibt dann Gerold Tandler (CSU), dem damaligen weiss-blauen Innenminister, vorbehalten. Nach der Rückkehr seiner grünen Hundertschaften aus Schleswig-Holstein, wo sie am 28.2.81 als aufrechte bayerische Gendarmen den Weiterbau des KKW Brokdorf gegen die anrennenden Horden fortschrittsfeindlicher Maschinenstürmer verteidigen halfen (selbst ein Demonstrationsverbot hatte die Hunderttausend damals nicht abgehalten!), lässt er am 5.3.81 seinen Staatssekretär Franz Neubauer (CSU) schon einmal massnehmen: ,,Es ist an der Zeit, diesem Spuk ein Ende zu machen. Es ist an der Zeit, den Grundsatz der Verhältnismässigkeit durch pseudointellektuelles Gefasel nicht überzustrapazieren". (4) Eine Woche später ist der Meister dann höchstpersönlich an der Reihe: ,,Es kann nicht unser Ziel sein, Beamte rundum zu panzern als lebenden Wall für Steinwürfe und Stahlkugeln" (5), donnert Tandler vor dem bayerischen Landtag. Er jedenfalls werde " Abschussgeräte für Gummischrot- und Gummiwuchtgeschosse einführen", notfalls im Alleingang, wenn die anderen Bundesländer ihre Zustimmung verweigern sollten (6). Dissonanzen kommen aus dem Chor: Während die christdemokratischen Bässe gröhlend einfallen (Kohl fordert als erster die Verschärfung des Demonstrationsrechts) (7), haben die sozialdemokratischen Tenöre ihren Text verlegt und lassen die schwarzen Sangesbrüder im Regen stehen. ,,Die Gummigeschosse sind noch nicht ausgereift", meint NRW-Innenminister Schnoor (SPD), sein Hamburger Kollege, Oberst a.D. Pawelczyk tut gar so, als hätte er überhaupt nicht begriffen, worum es geht. Sein Programm: Noch mehr Beamte sollen Körperschutzausrüstungen erhalten. (8)
Der bisher gültige Grundsatz der Einstimmigkeit bei Beschlüssen der Innenministerkonferenz gerät in ernste Gefahr. Nicht einmal auf die ebenfalls vorgesehene Umrüstung von CN- auf CS-Gas will man sich noch verständigen. Da man sich also partout nicht einigen kann, einigt man sich schliesslich zumindest darauf, dass jeder machen darf, was er will. Während die Unions-regierten Bundesländer also inzwischen unter CS-Gas stehen (nur der kleine Senator aus Berlin druckst noch ein bisschen herum), spielen die SPD-Länder immer noch nicht mit und lassen das Rhinozeros den Weg freitrampeln, auf dem der Fuchs dann laut zeternd und unter Protest bequem laufen kann.
Diese Situation nutzen nun skrupellose Hausbesetzer, Mieterinitiativen, Flughafengegner, Friedensgruppen, Anti-AKWIer, Öko-Freaks, Grün/Alternativ-Wahlbewegte - kurz der gesamte terroristische Dunstkreis, brutal für ihre durchsichtigen Ziele aus. Die "rechtsfreien Räume" werden schliesslich so gross, dass für "Sicherheit und Ordnung" kaum noch ein ruhiges Plätzchen bleibt. Die Anarchie ist zum Greifen nahe!
In dieser für den Rechtsstaat so schweren Stunde treten nun zwei Djangos reinsten Wassers auf: Hans-Josef Stammel und Siegfried Hübner - Waffentechniker, Schiessexperten der Polizeigewerkschaft und Rechtsaussen ihrer Sparte.
Für den Freizeit-Westernautor Stammel ("Ich ziehe, schiesse und treffe um 7 1OOstel schneller als ein bewaffneter Gegner") ist der Schlagstock schon seit langem ein "Steinzeitrelikt" (9). In Springers 'Welt' und in der von ihm mitherausgegebenen Ballermann-Postille 'Internationaler Waffenspiegel' schwärmt er stattdessen von Schockbeuteln, Anti-Crime-Gummimunition, Gummipostenladungen, Plastik-Schrot-Ladungen usw. (9, 10):
,,Der heillose Wirrwarr politischer Diskussionen, Forderungen und Entscheidungen, die, was Inkompetenz betrifft, einem Operettenlibretto entstammen könnten", philosophiert er, ,,hat die bundesdeutsche Polizei in eine seit Jahren permanente Verwirrung gestürzt, deren Folgen sie auch noch - buchstäblich - ausbaden muss. (...) Weil ... bisher versäumt worden ist, von Kriegswaffen auf unblutige .Aufruhr-Kontrollwaffen-Technik' um- und abzurüsten, wird die Polizei praktisch gezwungen, gewalttätigen Krawallsituationen unbewaffnet gegenüberzutreten. Unbewaffnet in eine gewalttätige Konfrontation hineinzugehen bedeutet ganz klar, dass von der Möglichkeit einer souveränen Beherrschung der Lage durch zahlenmässig unterlegene Polizeikräfte nicht die Rede sein kann, sondern dass der Polizei in der Praxis eine beschämende Demonstration hilfloser Defensive verordnet wird. (...) Von einer Minderheit souverän handelnder Polizisten aber sang- und klanglos abserviert zu werden, das wäre das Ende - nicht nur professionellen Tobens, sondern auch der Publicity! Hinterher wäre gegen ein Plauderstündchen von pazifizierten Chaoten mit dem Bundeskonservationsministerium nichts mehr einzuwenden." (10)
Ahnlicher Meinung ist sein Kollege und Intimus Hübner, der eine Vorführung von ,,Aufruhr-Kontrollwaffen" bei der baden-württembergischen Polizei gleich nutzt, ein von ihm in mühevoller zweijähriger Arbeit entwickeltes Geschoss vorzustellen. Sein S.H.-313-Geschoss ist " besser als alles, was wir bisher getestet haben", sagt er bescheiden. Auch GdP-Landeschef Siemann zeigt sich beeindruckt: ,,Es ist ein weiches Verformungsgeschoss auf Gummibasis, das wie ein gezielter harter Schlag mit einem Boxhandschuh wirkt, Schmerzen verursacht, aber nicht verletzt." (9)
Solchermassen gut beraten, kann die Technische Kommission dem AK II der Innenministerkonferenz dann im Herbst 1981 einen vertraulichen Bericht vorlegen, in dem über Gummigeschosspistolen u.a. zu lesen ist: ,,Aus Punkt 3 ergibt sich, dass die mit den entsprechenden Waffen ausgerüsteten Beamten kein Schutzschild (der Schild, die Schilde!, Anm.) mit sich führen können. Der mit der Waffe ausgerüstete Beamte muss also in der vorderen Linie, durch andere Beamte mit Schilden gegen Steinwürfe geschützt stehen und zwischen den Schilden hindurch die Waffe abfeuern. Beim Einsatz in der Bewegung ist der Beamte schwierig zu schützen. Ein Überschiessen der Beamten verbietet sich aufgrund der Streuung der Waffe.
Die psychologische Wirkung des Anblickes des 40mm-Rohres der MZP l (Mehrzweckpistole l, von Heckler & Koch, Anm.) wird abschreckend sein. Dieser Eindruck wird durch die Grösse der Patronen, die zweckmässigerweise an einem Gürtel getragen werden, unterstützt." (11)
Des weiteren erfahren die geneigten Innenminister, dass für die MPZ l sowohl Gummi-Schrotmunition als auch ein Gummi-Kompaktkörper, der nach dem Abschuss zu einem Stern aufklappt, entwickelt wurden; dass es zweitens im Oktober 1980 im hessischen Bruchsal bereits eine Erprobung mit polizeilichen Versuchskaninchen gab, und dass es sich bei Gummigeschossen ,,im Prinzip ... um eine Art Schlagstock mit grösserer Reichweite" handelt (11). Über den Grad der innenministeriellen Begeisterung ist nichts überliefert.
Auf einer Seitenbühne hat unterdessen das Cabaret der Polizeigewerkschaften Aufstellung genommen.
Während die Polizei im Deutschen Beamtenbund (PDB) und der Bund Deutscher Kriminalbeamter (BDK) lediglich den sattsam bekannten Law-and-order-Reigen bieten, indem sie jede Form verstärkter innerer Aufrüstung gutheissen, zeigt die GdP einen Eiertanz mit wechselnder Choreografie: Bei den ,,Kollegen" hat man sich zwischenzeitlich entschlossen, erst einmal das Giftgas CS zu favorisieren und kann sich für die Gummis scheinbar gar nicht erwärmen.
Für Jan Boger, Waffenexperte der GdP/NRW sind ,,die Produkte der deutschen Industrie, allen voran die Heckler & Koch-Polizeiversion des Granatgerätes 69 ( MPZ l, Anm.), noch nicht aus den Kinderschuhen heraus". (12)
Auch sein Kollege Wolfgang Dicke, Waffenspezi und Pressesprecher beim GdP-Bundesvorstand, ist mit dem Angebotenen nicht so recht zufrieden: ,,Mit diesem Geschoss ( sternförmiges Vollgeschoss, Anm.) ergeben sich zur Zeit noch Probleme hinsichtlich der Treffgenauigkeit, weil ein genaues Treffen ein absolut gleichmässiges Auffächern des Geschosses beim Verlassen des Rohres voraussetzt. Dies ist z. Zt. leider ein noch nicht befriedigend gelöstes Problem", mault er. (13) "Egal, zu welchen neuen 'polizeitypischen' Einsatzmitteln sich die Verantwortlichen in der Bundesrepublik entschliessen werden, vorausgesetzt, dass sie überhaupt ein neues Waffensystem einführen wollen, eines müssen sie dabei auf jeden Fall beachten: eine neue 'polizeitypische' Waffe muss vor allen Dingen den strengen rechtsstaatlichen und humanitären Anforderungen unseres Staates entsprechen", tönt es daraufhin aus dem Souffleurkasten der Bereitschaftspolizei. (14)
Jetzt weiss auch die GdP wieder weiter: " Wer zählt die Jahre", beginnt sie bedeutungsschwanger, ..seitdem die GdP die Entwicklung und Erforschung einer 'polizeitypischen Waffe' fordert. Dabei geht es der GdP nicht um eine einzige Waffe allein, sondern um ein System, das geeignet ist, einerseits den Kollegen sicher zu schützen, andererseits "das Gegenüber möglichst wenig in Anspruch zu nehmen, wenn es angriffs- oder fluchtunfähig gemacht werden soll" (15). Im Oktober 1982 schliesslich macht die GdP auf einem Kongress die Verwirrung komplett: "Die Ausrüstung der Polizei mit Gummigeschossen und die Anwendung dieser Geschosse werden nach dem gegenwärtigen Stand der Technik abgelehnt". (16)
Dieser Beschluss führt zu einer Palastrevolte der baden-württembergischen Vertreter. Der stellvertretende Inspekteur der Polizei Baden-Württembergs, Kraft, hält Gummigeschosse nämlich für eine zeitgemässe Möglichkeit, sich in bestimmten Einsatzsituationen Gewalttäter vom Leibe halten zu können. Der neue Vorsitzende des Landesbezirkes Baden-Württemberg, Heinrich Meyer, und sein Vorstandskollege Stier plädieren für eine Weiterentwicklung dieser Waffe. ,, Wenn unser Innenminister Gummischrot einführen will, wehren wir uns nicht dagegen", erklärt Heinrich Meyer trotzig. (16)
Auch der Beschwichtigungsversuch des technischen Referenten im Innenministerium NRW, Lutze: "Es soll sofort wirken, aber niemanden beeinträchtigen" (16), nützt da nicht mehr viel - die GdP ist gespalten, auch wenn zum Ende des Kongresses dieser Bruch noch mühsam gekittet werden kann.
Auf der Hauptbühne hat unterdessen vor einer Kulisse aus Friedensbewegungen und nahender Pershing-Stationierung der baden-württembergische Innenminister Roman Herzog (CDU) Platz genommen: ,,Ich will eben nicht der Minister sein, der eines Tages hier stehen und einen Schusswaffeneinsatz, und zwar unter Umständen einen relativ massiven Schusswaffeneinsatz, vertreten muss, und der sich dann die Frage stellen lassen muss:
Wären denn nicht mildere Mittel auf dem Markt gewesen ? Die Alternative kann sehr schnell, Schusswaffe oder weichen ' heissen. Da sage ich ihnen allerdings auch: Gewichen wird nicht!" (17). Sprachs, wartete bis zur "Wende" am l. Oktober 1982 und machte anschliessend mit seinem " vorübergehend unzurechnungsfähigen" (18) Bundesinnenminister und dem kleinen Senator aus Berlin eine Landpartie zum Rüstungskonzern Messerschmidt-Bölkow-Blohm nach München, um sich dort - wie Heinrich Lummer es auf eine Anfrage der Alternativen Liste Berlin ausdrückte - ,, technische Entwicklungsmöglichkeiten aufzeigen zu lassen". (19)
Anfang November 82 dann, lässt der Herzog durch seine Herolde verkünden, " er scheine geneigt", Anfang 1983 die Einführung von Gummigeschossen ,,zu empfehlen". (20)
Landespolizeipräsident Alfred Stümper ist so richtig stolz auf seinen Chef. Als Mann der Tat ist er ohnehin der Meinung, ,,dass schon zuviel versucht und erprobt wurde, dass nicht länger gewartet werden könne" (21). Die MZP l sei ,, technisch reif" und als Einsatzmittel für geeignet angesehen worden, die Schwelle zum scharfen Schuss wesentlich zu erhöhen. (21)
Die baden-württembergische SPD nimmt dies wohlwollend, wenn auch skeptisch zur Kenntnis (20), da nach Meinung ihres Polizeiexperten, Alfred Geisel, der Einsatz ja auch unter ,,die im Polizeigesetz festgeschriebenen strengen Regeln für den Schusswaffengebrauch falle" (21). Solche Sorgen quälen Hinrich Enderlein nicht. Der FDP-Polizeibeauftragte der Stuttgarter Fraktion denkt da weltmännischer. Ohne Gummigeschosse würden ,,die Polizisten nie ihr Image als .prügelnde Buhmänner' verlieren" (22), bestätigt er seinem Minister. Schliesslich habe sich ja auch im Nachbarland Schweiz gezeigt, ,,dass es schon ein Unglücksfall sein muss, wenn etwas Ernstes passiert" (22). Der Herzog nickt zufrieden.
Im benachbarten Freistaat überlegt man umgehend, ob man sich diesem Schritt nicht anschliessen solle; der kleine Senator ..prüft" wieder, will "aber nicht Vorreiter sein" und für die Axt im Hause Zimmermann ,,besteht bis zu den Wahlen am 6. März innenpolitisch kein akuter Entscheidungsbedarf".
Da somit nach langjähriger Odyssee nun auch diese " Lücke im sogenannten Mittelstreckenbereich" (14) erfolgreich geschlossen werden konnte, fällt einstweilen der Vorhang und wir vernehmen zum Abschluss wieder die Worte des Weisen, der da spricht:
..Mein Sohn, gehe nicht auf einem Wege mit ihnen; bewahre deinen Fuss vor ihren Pfaden! Denn ihre Füsse rennen dem Bösen nach, und eilen zum Blutvergiessen". (23)