Seit 1988 hat der Aufstand in den besetzten Gebieten gewaltigen Aufschwung genommen. Da die israelischen Behörden mit grosser Härte gegen die palästinensischen Proteste vorgehen, haben die Palästinenser neue Methoden entwickelt, um die Besatzung herauszufordern. Der folgende Artikel analysiert die einflussreiche und sich verändernde Rolle der Volkskomitees in den besetzten Gebieten, die zu einem wichtigen Instrument im Prozess der Loslösung von den Strukturen der Besatzung geworden sind. Wir dokumentieren den Artikel aus dem Palästina Bulletin der Infostelle in Bonn. (Siehe auch Literatur/ Adressen im Anhang.)
Der Menschenrechtsbericht des US-State-Departments 1988 hat die internationale Öffentlichkeit wegen seines unvorhergesehenen kritischen Standpunkts gegenüber Israel aufgerüttelt. Das Dokument, das Anfang Februar herausgegeben wurde, wirft Israel zahlreiche Menschenrechtsverletzungen in den besetzten Gebieten, einschliesslich der grundlosen Tötung und Verwundung palästinensischer Zivilisten vor. Der Report beschreibt weiterhin, dass die israelischen Behörden "immer strengere Massnahmen. ergriffen haben, um die Arbeit der verschiedenen Gemeinschaftsorganisationen zu unterbinden, da sie "den Aufstand und die PLO unterstützen und ungerechtfertigt in die städtischen Belange und die Kompetenz der Israelischen Armee eingreifen ..."
Den Aussagen vieler Palästinenser in der Westbank und dem Gazastreifen zufolge, hätte der Aufstand, der jetzt seit mehr als 15 Monaten andauert, ohne das Netz der Volkskomitees (unter diesem Namen sind die neuen Gemeinschaftsorganisationen vor Ort bekannt) nicht aufrechterhalten werden können. Diese Komitees stellen praktische Unterstützung und Dienstleistungen im täglichen Leben zur Verfügung. Diese Unterstützung reicht von sozialen Angelegenheiten bis zu den Belangen des Bildungs- und Gesundheitswesens der belagerten Bevölkerung in den besetzten Gebieten. Sie helfen dabei, Proteste zu organisieren und eine Politik der Nicht-Zusammenarbeit mit den Israelischen Behörden zu fördern. Die Volkskomitees sind nicht nur dafür verantwortlich, den Aufstand zu einem bleibenden Phänomen zu entwickeln, sondern auch dafür, dass die Israelische Kontrolle über das tägliche Leben der 1,7 Millionen Palästinenser in den besetzten Gebieten immer grösseren Herausforderungen ausgesetzt wird.
Eine Frau, die mit Mitgliedern der Volkskomitees zusammenarbeitet, drückt diesen Sachverhalt folgendermassen aus: "Sie sind das Rückgrat unserer Intifada, und die Israelis wissen das. Darum konzentrieren sie sich mehr und mehr darauf, die Graswurzelbewegung ins Visier zu nehmen. Nur Steine können Israel zwingen, unsere Städte und Dörfer zu verlassen. Steine sind nur innerhalb des Kontextes eines breiteren Kampfs wirkungsvoll, der von der Volksbewegung getragen wird".
Ein älterer Mann bestätigte ihre Aussagen: "Nach mehr als 20 Jahren militärischer Besatzung übernehmen wir wieder selbst die Kontrolle über unser Leben, und das versucht die Besatzung zu verhindern".
In den vergangenen Monaten hat eine immer grössere Anzahl israelischer Armeekommandanten von der israelischen Regierung gefordert, eine politische Lösung für den Aufstand zu finden. Sie geben bereitwillig zu, dass mehr als ein Jahr militärischer Gewalt nicht ausgereicht hat, um die palästinensischen Proteste zu beenden. Bisher sind ihre Forderungen allerdings auf taube Ohren gestossen. Im Januar kündigte der Israelische Verteidigungsminister, Jitzchak Rabin, noch härtere Massnahmen an, die all jene ins Visier nehmen, die am Aufstand teilnehmen.
Obwohl die Massenverhaftungen der Palästinenser, die verdächtigt werden, an der Arbeit der Volkskomitees teilzunehmen, bereits im März 1988 begannen, verbannte Rabin die Komitees erst im August in die Illegalität. Von da an war jedes Mitglied eines Komitees, jeder, der an einem ihrer Treffen teilnahm, jeder, bei dem ein Flugblatt der Komitees gefunden wurde und jeder, der an einer Aktivität teilnahm, die ein Volkskomitee organisiert hatte, in Gefahr, zu bis zu zehn Jahren Gefängnis verurteilt zu werden. Kurz nach seiner Ankündigung behauptete Rabin, dass weitere 25 Palästinenser, gegen die gerade Deportationsbefehl erlassen worden war, Aktivisten der Komitees seien. Er wollte damit offensichtlich zeigen, dass er meinte, was er sagte.
Generalstreik in Nablus
Heute verurteilen israelische Militärgerichte im allgemeinen Palästinenser, die angeklagt werden, Aktivisten der Volkskomitees zu sein oder sie zu unterstützen, zu hohen Gefängnisstrafen. Am 31. Januar 1989 verurteilte der Militärgerichtshof in Gaza drei Personen aus dem Gazastreifen zu 14 Jahren Gefängnis (von denen sechs Jahre zur Bewährung ausgesetzt wurden), weil "sie Mitglieder der Volkskomitees sind, die Demonstrationen organisieren. Einige Tage später wurde Nasser Mushtaha, ebenfalls aus dem Gazastreifen, zu sieben Jahren Gefängnis verurteilt, weil er in einem Volkskomitee mitgearbeitet hatte.
Wenn man aber danach urteilt, was man sieht, scheint der Bannstrahl gegen die Komitees die Menschen nicht abgeschreckt zu haben, sich an ihren Aktivitäten zu beteiligen. "Fast jeder, den ich kenne, nimmt an der Arbeit der nationalen Komitees teil", sagt ein junger Mann aus der Westbank. "Sie können nicht ein ganzes Volk ins Gefängnis werfen, und die meisten von uns glauben sowieso, dass man bei all den Schüssen, Schlägen und Verhaftungen gute Chancen hat, am falschen Ende eines Israelischen Gewehrs oder Schlagstocks früher oder später im Gefängnis zu landen, wenn man nicht bereits dort war. Dabei spielt es keine Rolle, was wir tun oder nicht tun".
Das Netzwerk der Komitees, das in der Westbank und im Gazastreifen existiert, ist nicht auf wunderbare Weise über Nacht entstanden. Es ist Ergebnis einer langen Tradition freiwilliger Arbeit und Selbsthilfeinitiativen, die die Palästinenser über die Jahre hinweg als Mittel entwickelten, um die schlimmsten Auswirkungen der Besatzung zu verhindern und sich für eine Zukunft frei von Israelischer Herrschaft vorzubereiten. Die israelische Politik in den Gebieten hat den Palästinensern seit 1967 wenig Nutzen gebracht; der Mangel an lokalen Dienstleistungen ist nur eines der Probleme, denen sie gegenüberstanden und das sie durch lokale Initiativen der Gemeinschaft zu überwinden versuchten.
Seit vielen Jahren organisieren junge Leute Freiwilligengruppen, um die Strassen vom Abfall zu reinigen, den sie dann verbrennen; oder sie helfen dabei, die Ernte einzubringen.
Frauendemonstration
Frauenkomitees organisierten Alphabetisierungskampagnen, Berufsbildungs- und Kinderpflegekurse, wo solche Massnahmen nicht angeboten wurden. Ärzte arbeiteten in mobilen Kliniken, die unentgeltlich medizinische Beratung und Behandlung für Menschen in ländlichen Gebieten bereitstellten, wo der Zugang zur institutionellen Gesundheitsfürsorge vorher praktisch nicht gewährleistet war, oder auch in den übervölkerten Lagern und den verarmten städtischen Gebieten. Landwirtschaftsingenieure arbeiteten mit Bauern zusammen und zeigten ihnen, wie sie auf ihrem Land, das noch nicht konfisziert worden war, den höchstmöglichen Ertrag erwirtschaften können. Hilfskomitees unterstützten die Familien von Gefangenen und Deportierten. Aber der Aufstand hat durch die harten israelischen Gegenmassnahmen dazu geführt, dass jeder auf die eine oder andere Weise in die Organisation der Gemeinschah eingebunden wurde.
Die Volkskomitees durchliefen in ihrer Entwicklung verschiedene Stadien. Nach der ersten Welle der Massenproteste im Gazastreifen und den wichtigsten Städten der Westbank, die im Dezember 1987 ihren Anfang nahm, wurde die Gelegenheit, die Protestaktionen weiter zu entwickeln, sofort ergriffen. Innerhalb weniger Tage wurden eine Reihe von Generalstreiks durchgeführt, die die gesamte Region lähmten und denen weitere folgen sollten. Die Schliessung der Geschähe war wie die Steinwürfe eine bereits in der Vergangenheit häufig angewandte Protestform, aber Generalstreiks, die auch die Niederlegung der Arbeit in Israel einschlossen, waren in der Westbank und in Gaza nur zu seltenen Gelegenheiten durchgeführt worden. Der Dezember 1987 und der Frühling 1988 waren gekennzeichnet durch Tage, an denen das einzige Lebenszeichen auf den Strassen der besetzten Gebiete die Bewegung der Militärjeeps und die Fusspatrouillen der Armee waren. Die israelische Regierung behauptet, dass die Proteste das Werk nur weniger Aufwiegler waren und dass die Mehrheit der Palästinenser ruhig unter der israelischen Herrschaft leben wollte. Das ist angesichts der verlassenen Strassen, der geschlossenen Geschähe und des Mangels an palästinensischen Arbeitern auf der anderen Seite der Grünen Linie lächerlich.
In dieser Anfangsphase, die bedeutend für die Entscheidung war, ob die Proteste zu ihrer früheren Form vereinzelter Aktionen zurückkehren sollten, die von der israelischen Armee leicht niedergeschlagen werden konnten oder ob der Protest sich entwickeln und an Elan zunehmen würden, wurden mehrere Flugblätter unter der palästinensischen Bevölkerung in Umlauf gebracht. Alle riefen die Bevölkerung auf, sich auf Grundlage der Forderung nach Beendigung der Besatzung und nach Selbstbestimmung in einem unabhängigen Staat zu organisieren. "Habt Ihr Euch den Komitees angeschlossen, um den Streik zu unterstützen? Habt Ihr Euch den nationalen Komitees in Eurer Nachbarschaft angeschlossen? Wenn solche Komitees nicht existieren, initiiert sie und versammelt die Leute um Euch!", hiess es in einem Flugblatt, das am 8.1.88 im Gazastreifen verteilt wurde. Diese Kommuniqués, die im Namen "nationaler Kräfte" im Untergrund herausgegeben wurden, trugen dazu bei, die Idee des Aufstands in den Köpfen der Menschen zu verankern und den Gedanken eines Volkskampfs gegen die Besatzungsmacht bereits zu Anfang voranzutreiben.
Der wirkliche Test der Stärke und Beständigkeit der örtlichen Komitees war Mitte Januar, als die Israelis zum ersten Mal zum Schlag gegen sie ausholten. Die israelische Armee, die bereits 2.000 Menschen willkürlich verhaftet und die ersten vier deportiert hatte, begann Kollektivstrafen in Form von Ausgangssperren in unvorhersehbarem Ausmass anzuwenden. Eine halbe Million Gazawis, die in den acht Flüchtlingslagern des dicht besiedelten Gazastreifens leben, wachten eines Morgens auf und standen unter Ausgangssperre. Es sollte der erste von zehn aufeinanderfolgenden Tagen der Einkerkerung einer ganzen Bevölkerung sein. Die Situation verschlechterte sich, als die Armee sogar der UNRWA, die die Lager mit Lebensmitteln versorgt, den Zugang verweigerte. Doch trotz der chronischen Nahrungsmittelknappheit verbunden mit der infamen Politik der Schläge und des Knochenbrechens, die Rabin anordnete, blieb der Wille, Widerstand zu leisten, stark.
Der Misserfolg der israelischen Armee, den Geist des Widerstands durch Einschüchterung der Bevölkerung zu brechen, ist auf die Arbeit der gereiften Volkskomitees zurückzuführen. Sie organisierten die Verteilung der wenigen vorhandenen Lebensmittel und halfen dadurch, den Gemeinschaftsgeist und den Geist der Kooperation zu konsolidieren. Das sollte sich in dem langen Kampf als lebensnotwendig erweisen. Als eine Woche später eine zehntägige Ausgangssperre über Nablus, die grösste Stadt in der Westbank, und über die umliegenden Flüchtlingslager (mit einer Gesamtbevölkerung von 150.000 Menschen) verhängt wurde, waren bereits Versorgungskomitees organisiert worden, die sicherstellen konnten, dass niemandem die Grundnahrungsmittel ausgingen. Der Erfolg dieser praktischen Initiativen in den belagerten Flüchtlingslagern und Städten bewies die Effektivität der Organisation der Volkskomitees.
Bald entstanden in vielen Bezirken freiwillige Komitees für Erste Hilfe, um die Menschen zu behandeln, die bei den täglichen Konfrontationen mit der israelischen Armee verletzt wurden. Dieser Schritt wurde notwendig, da es immer mehr Verletzte gab und die israelische Armee dazu überging, Krankenhäuser zu durchsuchen und Patienten zu verhaften, deren Verletzungen als "Beweis" dafür gewertet wurden, dass sie an den Protesten teilgenommen hatten. Die medizinischen Initiativen waren auch wichtig, um noch mehr Menschen zu ermutigen, aktiv am Aufstand teilzunehmen. In einigen Gebieten kamen Frauen zu Erste-Hilfe-Kursen zusammen, die zuvor immer zu Hause geblieben waren. Später wurden in vielen Bezirken Kliniken eingerichtet, um die allgemeine medizinische Versorgung der Bevölkerung zu gewährleisten und Erste Hilfe zu leisten. Die Kliniken wurden durch Spenden finanziert, die in den verschiedenen Bezirken gesammelt wurden. Ihr Personal setzte sich aus Medizinern zusammen, die sich freiwillig für diese Arbeit zur Verfügung stellten.
Der Markt vor 12 Uhr ...
Bereits zu Anfang des Aufstands spielte auch der "Krieg der Geschäfte", wie er vor Ort genannt wurde, eine Schlüsselrolle, um zu beweisen, dass kollektiver Widerstand nicht nur möglich, sondern letztendlich auch nicht niederzuschlagen ist.
Als langandauernde Streiks der Händler in der Westbank und Gaza durchgeführt wurden, sollte die israelische Armee die Geschähe mit Gewalt öffnen.
... Bethlehem nach 12 Uhr
Immer wenn die Armee die Schlösser der geschlossenen Rolläden aufbrach, folgten ihr Gruppen von Freiwilligen und reparierten die Schäden. Als die Palästinenser sich entschlossen, die Geschäfte für jeweils einen halben Tag geschlossen zu halten, versuchten die Israelischen Behörden zu erzwingen. dass die Geschähe zu den von den Behörden festgesetzten Zeiten geöffnet wurden. Daraufhin hielt man die Läden den ganzen Tag geschlossen, und die Leute kauften und verkauften zwischenzeitlich Lebensmittel und Waren des täglichen Bedarfs an der Hintertür oder im Keller. Schliesslich gab die Armee ihr vergebliches Bemühen auf, den Streik zu brechen, und seitdem öffnen und schliessen die Geschäfte pünktlich wie ein Uhrwerk zu den selbst festgesetzten Terminen.
Aber der Aufstand blieb nicht auf die städtischen Zentren wie Nablus, Ramallah, Jerusalem und Hebron oder auf die dicht besiedelten Flüchtlingslager des Gazastreifens beschränkt. Im Frühjahr 1988 war auch das abgelegenste Dorf vollständig mobilisiert und nahm an den Protesten teil. Weil über die Hälfte der palästinensischen Bevölkerung in der Westbank in verstreuten Dörfern und kleinen Städten lebt und weil die Israelischen Behörden in der Vergangenheit versucht hatten, diese isolierten, ländlichen Gemeinden als Faustpfand einer permanenten israelischen Kontrolle über dieses Gebiet zu halten, war die Teilnahme gerade der ländlichen Regionen lebenswichtig, wenn der Aufstand sich zu einer dauerhaften Volksbewegung entwickeln sollte.
Lokale Bedürfnisse und Lebensumstände entschieden über die Art und Weise, wie die Einbeziehung in den Aufstand aussehen sollte. Foren der Gemeinschaften in Idna, einem Dorf in der Region Hebron, wo ca. 15.000 Menschen leben, konzentrierten sich anfangs darauf, Demonstrationen und Streiks in Verbindung mit Steinblockaden der lokalen Strassen zu organisieren, um die Israelische Armee daran zu hindern, ihre täglichen Kontrollen durchzuführen. Mitte Januar entschlossen sich die Dorfbewohner, verschiedene Komitees zu bilden, die jeweils für ein Gebiet verantwortlich sein und das Dorf bewachen, Nahrungsmittel und Brennstoff verteilen, das politische Bewusstsein bezüglich aller Belange der Gemeinschaft schärfen sowie die Öffentlichkeit über die Ereignisse im Dorf informieren sollten. Die Arbeit der verschiedenen Komitees sollte durch ein zentrales Leitungskomitee koordiniert werden, das als Diskussionsforum praktischer und politischer Fragen innerhalb der Gemeinschaft diente.
Im Dorf Arroura (2.000 Einwohner) in der Nähe von Ramallah war der Ausgangspunkt der Mobilisierung einer Kampagne gegen Informanten im Dorf, die Informationen über nationale Aktivisten an die israelischen Behörden weitergaben und deshalb schrittweise von der Dorfgemeinschaft isoliert wurden. In den folgenden Monaten wurde der öffentliche Druck in vielen Städten, Lagern und Dörfern verstärkt: Ergebnis war der Zusammenbruch des Informationsnetzwerks, das der israelische Geheimdienst mit Hilfe von Drohungen und Korruption aufgebaut hatte. Viele Kollaborateure haben mittlerweile ihre früheren Verbindungen zu israelischen Sicherheitskreisen aufgegeben und den israelischen Behörden die Gewehre zurückgegeben, die ihnen zuvor ausgehändigt worden waren.
Anfangs entstanden die Komitees als Reaktion auf konkrete, spontane Bedürfnisse auf lokaler Ebene, später wurden sie Instrumente im Prozess der Loslösung von den Strukturen der Besatzung auf lokaler Ebene. Die Palästinenser sind realistisch genug um zu erkennen, dass eine faktische, 100%ige Loslösung von Israel im jetzigen Stadium nicht möglich ist. Gründe dafür sind die Integration der palästinensischen Arbeiter in die israelische Wirtschaft und die Notwendigkeit, dass die Bevölkerung Zugang zu den grundlegenden Versorgungseinrichtungen wie Wasser und Stromversorgung hat, über die Israel das Monopol besitzt. Die Volksbewegung legt ihr Hauptgewicht darauf, die Verbindungen mit Israel dort zu stoppen und zu schwächen, wo dies möglich ist.
Vor dem Aufstand hatten die israelischen Exporte auf den geschlossenen palästinensischen Markt einen Umfang von 850.000 Dollar jährlich erreicht. Das machte die besetzten Gebiete zum zweitgrössten Importeur israelischer Waren nach den Vereinigten Staaten. Im Frühjahr 1988 begannen Boykottkomitees den Boykott israelischer Waren zu überwachen, für die es Alternativen aus lokaler Produktion gab. Fast über Nacht wurden die Regale der Läden von TlME- Zigaretten und TNUVA- Milchprodukten geräumt. Zigaretten der Marke IMPERIAL aus Ost-Jerusalemer Produktion und Milchprodukte aus der Region um Hebron ersetzten sie. Israelische Geschäftsleute teilten im Februar 1989 mit, dass der Handelsüberschuss bei Waren und Dienstleistungen, die in die Westbank und den Gazastreifen exportiert wurden, im Vergleich zu den vorangegangenen Jahren um zwei Drittel gesunken sei.
"Verlassen auf die eigene Kraft" war das Motto des Tages, und die Volkskomitees begannen schon bald Freiwilligengruppen zu bilden, um jedes brachliegende Fleckchen Land mit Gemüse zu bebauen. Das Saatgut wurde von den Bauern kostenlos zur Verfügung gestellt. Sogar in den Städten und grösseren Orten sammelte die palästinensische Bevölkerung den Abfall von brachliegendem Land und pflanzte dort Tomaten, Spinat und verschiedene Sorten Wurzelgemüse an. Die landwirtschaftlichen Initiativen waren Teil einer Bewegung, die auf den Aufbau einer heimischen Wirtschaft zielte. Hühner, Ziegen und Kaninchen wurden an Familien verteilt, die sie dann auf Dächern oder in ihren Vorgärten züchteten. So wurden auch die übervölkerten Flüchtlingslager, in denen es kein Stückchen Land gab, das man hätte landwirtschaftlich nutzen können, Teil der Selbstversorger- Bewegung.
Auch ins Bildungswesen schalteten sich die Volkskomitees ein. Im Februar 1988 wurden alle Schulen und Universitäten der Westbank durch die Militärs für fast das gesamte noch verbleibende akademische Jahr geschlossen. Die Palästinenser sehen darin eine Kollektivstrafe, die dazu dienen soll, die gesamte Bevölkerung von der Teilnahme am Aufstand abzuhalten. Statt den Studenten zu erlauben, ein ganzes akademische Jahr zu verlieren und statt diesem israelischen Versuch den Protesten Einhalt zu gebieten, nachzugeben, begannen die Volkskomitees damit, den Unterricht privat zu organisieren. Palästinensische Schüler und Lehrer stimmen darin überein, dass es der Erfolg ihres Volksbildungsprogramms war, der die Wiedereröffnung der Schulen im November/ Dezember 1988 erzwang. Heute sind alle Schulen in der Westbank erneut auf unbestimmte Zeit geschlossen. Lehrer und Schüler sind jedoch bereit, ihre eigenen Bildungsprogramme zu organisieren.
Bis vor kurzem war die Besatzung ein ausserordentlich ertragreiches Geschäft für Israel - nicht nur in Bezug auf den Markt und die billige Arbeitskraft, sondern auch durch Steuereinnahmen. Der israelische Wissenschaftler Meran Benvenisti ermittelte, dass direkte Steuern (Einkommens- und Gewerbesteuern), die von der Militärregierung erhoben wurden, sich 1982 auf 60.000 Dollar beliefen; 15% Mehrwertsteuer und Importzölle, die auf alle israelischen Waren erhoben wurde, die in den Gebieten vermarktet wurden, brachten durchschnittlich 80 Millionen pro Jahr ein. So errechnet Benvenisti, dass das israelische Finanzministerium in den 20 Jahren der Besatzung, selbst wenn man die Kosten für die mageren Angebote lokaler Dienstleistungen in Betracht zieht, durch solche Besatzungssteuern einen ansehnlichen Nettoprofit machte.
Bald nach Beginn des Aufstands gaben die Geschäftsleute in vielen Städten ihre Steuerunterlagen an die israelischen Behörden zurück. Ende März teilten israelische offizielle Stellen mit, dass die Steuereinnahmen im Vergleich zum Vorjahr um 32% zurückgegangen seien. Um die spontan begonnene Steuerrevolte in die Knie zu zwingen, begann die Militärregierung eine Kampagne, um Steuerzahlungen zu erzwingen. Die israelische Armee führte Razzien in einzelnen Läden und Geschäftsbüros durch, verhängte Ausgangssperren über ganze Bezirke, in denen Soldaten dann in Privathäuser eindrangen und persönliches Eigentum pfändeten, wenn die Steuern nicht gezahlt wurden. Gleichzeitig begann die Militärbürokratie damit, Genehmigungen für Reisen, Unternehmungsgründungen und landwirtschaftliche Produktion zu verweigern, wenn die Steuern nicht ordnungsgemäss entrichtet wurden. Seit einiger Zeit werden auch private Fahrzeuge beschlagnahmt, um Steuerboykotteure zur Zahlung zu bewegen. Trotz dieser Zwangsmassnahmen weigerten sich viele Palästinenser weiter, Steuern zu zahlen. Oh liessen sie sich lieber verhaften, als die Schulden zu begleichen.
Im vergangenen Jahr sind die meisten der von Israel ernannten Bürgermeister in den Stadträten gemeinsam mit den Gemeinderäten auf den Dörfern zurückgetreten. Auch die Forderung nach dem Rücktritt der palästinensischen Angestellten in der - von den Israelis geführten - Zivilverwaltung ist weitgehend beachtet worden. Als im März 1988 500 Polizisten ihren Dienst quittierten, einschliesslich eines Drittels der Polizeikräfte im Gazastreifen, sagten offizielle israelische Stellen sofort eine Verbrechenswelle voraus. Das Gegenteil ist der Fall: Ende Januar 1988 gab der israelische Polizeichef Shimon Levy anlässlich der Schliessung mehrerer Polizeistellen wegen Personalmangels zu, dass die Kriminalitätsrate im Gaza im Vergleich zu zuvor um 25% gesunken sei. Die Palästinenser haben die Strukturen der Besatzung durch Wachkomitees zum Schutz des Eigentums ersetzt, und an einigen Orten gibt es Gerichte, in denen ein Mitglied der Gemeinschah, das von allen akzeptiert wird, über die Beilegung von Streitfällen innerhalb der Gemeinschaft wacht. Verkehrskomitees regeln den Strassenverkehr in den städtischen Regionen und ermahnen die Autofahrer, nicht zu schnell zu fahren.
Die Volkskomitees kennzeichnen den Bruch mit der Vergangenheit, da sie der Besatzung organisierten Widerstand entgegensetzten. Obwohl sie heute aufgrund schärferer israelischer Verfolgung im Gegensatz zur Anfangsphase des Aufstands gezwungen sind, im Untergrund zu arbeiten, unterscheiden sie sich immer noch deutlich von den seit langem arbeitenden Gruppen, die sich aus den verschiedenen politischen Strömungen zusammensetzen. Jedes lokale "Nachbarschaftskomitee" besteht aus den Leuten, die in bestimmten Strassen oder Bezirken leben, in denen das Komitee arbeitet. Bedeutsam ist, dass die Teilnahme an den verschiedenen Aspekten der Arbeit nicht abhängig von der Zugehörigkeit zu einer bestimmten politischen Gruppe ist. Das bedeutet, dass weite Teile der palästinensischen Bevölkerung, die zuvor ausserhalb der politischen Einflusssphäre standen - Frauen, Jugendliche, ältere Leute - jetzt eine direkte Rolle bei der politischen Entscheidungsfindung spielen und an der Organisation und Ausführung praktischer Initiativen teilhaben können. Vor dem Aufstand konnte man mit Fug und Recht behaupten, dass bestimmte Teile der Bevölkerung, wie Studenten und Gewerkschafter, sich in ihren Gemeinschaften als Aktivisten abhoben; heute ist das nicht mehr der Fall: die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung ist heute aktiv am nationalen Kampf beteiligt.
Die Komitees arbeiten auf demokratischer Grundlage und versetzen die Bevölkerung in die Lage, ihre Gemeinschaben so zu führen, wie sie es für richtig halten. Vertreter der verschiedenen Unterkomitees in einer Strasse oder einem Bezirk werden ins Leitungskomitee gewählt. Es gibt Koordinationsausschüsse in vielen Städten, Dörfern oder Lagern, die sich in eine regionale Struktur einfügen. Die Führung des Aufstands wird von der Vereinigten nationalen Führung (VNF) verkörpert, die als nationale Leitungskörperschaft arbeitet, Direktiven herausgibt und die allgemeine politische Fragen erarbeitet. Die VNF besteht aus Vertretern der wichtigsten politischen Gruppierungen, die in der PLO vertreten sind, der Fatah, der Volksfront zur Befreiung Palästinas, der Demokratischen Front, der Kommunistischen Partei und der islamischen Bewegungen. Sie stellt ein breites Spektrum der politischen Meinungen dar, von links bis rechts, von weltlichen bis zu religiösen Gruppierungen. Die Volkskomitees sind die Basis der palästinensischen Nationalbewegung.
Das erste Kommuniqué wurde einen Monat nach Beginn der Intifada herausgegeben. Seitdem erscheinen sie wöchentlich in jeder Stadt, jedem Lager und jedem Dorf, obwohl die Israelis sich bemühen, ihre Herausgeber und die Druckpressen zu entdecken. Jedes Kommuniqué wird darauf ausgerichtet, die Moral zu stärken, auf der Höhe der Zeit zu sein und die mittel- und langfristigen Ziele des Aufstands klarzustellen. Alle Teile der Bevölkerung -die streikenden Geschäftsleute, die Steinewerfer, diejenigen, die sich um die Volksbildung bemühen und die Gefangenen - werden gleichberechtigt anerkannt.
In den Kommuniqués wird die neueste politische Entwicklung auf israelischer und internationaler Ebene zusammengefasst. Allgemeine Richtlinien werden ausgegeben, so zum Beispiel der Aufruf, den Bauern zu helfen, die Olivenernte einzubringen oder der vor kurzem erschienene Aufruf an die Unternehmer, die Lohne der Arbeiter um 40% anzuheben, um den Währungsverfall des jordanischen Dinar und die Abwertung des israelischen Schekel aufzufangen. Die Kommuniqués enden stets mit der Zeitplanung nationaler Aktivitäten der folgenden Woche wie Generalstreiks, Solidaritätsbesuche bei Familien der im Aufstand Getöteten und Demonstrationen, um gegen die israelische Politik und Praxis zu protestieren oder um besondere Gedenktage der palästinensischen Geschichte zu begehen. Der Einfluss, den diese Richtlinien auf die täglichen Ereignisse und auf langfristige Entwicklungen in der Westbank und dem Gazastreifen nehmen, lässt keinen Zweifel darüber, dass die Palästinenser diese Führung aktiv unterstützen.
Im Dezember 1988, als das zweite Jahr des Aufstands begann, legte die Bürgerrechtspartei der israelischen Knesset einen Bericht vor: "Heute ist die Intifada allumfassend und geniesst breitere Solidarität als je zuvor ... Das zweite Jahr wird die palästinensische Autonomie stärken und ihre administrativen und organisatorischen Funktionen institutionalisieren." Doch die israelischen Politiker wie Shamir, Rabin und Peres scheinen immer noch unfähig, mit dem Prozess des "Abschüttelns" der Besatzung (was "intifada" wörtlich übersetzt bedeutet) umzugehen, auch wenn sich dieser Prozess - wie augenblicklich - direkt vor ihrer Nase vollzieht.
Eine Familie wartet auf Einlass ins Gefängnis
Israels Führung sagt allenfalls, dass sie bereit ist, begrenzte Autonomie im Stile Camp Davids für die Palästinenser in den besetzten Gebieten zuzulassen. Die Autorität und die Kontrolle über die Region soll dann zwischen Jordanien und Israel aufgeteilt werden. Die Palästinenser haben jedoch klargestellt, dass für sie nichts unter einer vollständigen Unabhängigkeit in Frage kommt. Ob der palästinensische Staat bald errichtet wird oder nicht, hängt heute vor allem davon ab, bis zu welchem Ausmass die Vereinigten Staaten bereit sind, palästinensische Unabhängigkeit zu akzeptieren und Druck auf Israel auszuüben. Der Aufstand zeigt keine Ermüdungserscheinungen; die PLO hat der Welt gezeigt, dass sich die Zeiten geändert haben und eine Zwei-Staaten-Lösung der Weg zum Frieden ist, wenn die Israelis nur hören wollten. Jetzt liegt der Ball im Feld der Vereinigten Staaten, wie Arafat es ausdrückte.
Der Menschenrechtsbericht des US-State-Departments ebenso wie die vor kurzem von den Vereinigten Staaten getroffene Entscheidung, den Dialog mit der PLO zu eröffnen, ist, wie die Palästinenser hoffen, ein Zeichen. Kein offizieller Vertreter der amerikanischen Regierung hat bisher das magische Wort "Unabhängigkeit" öffentlich ausgesprochen. Jedoch wäre vor einem Jahr noch ein offizielles Dokument der US-Regierung, das die palästinensische Widerstandsbewegung in der Westbank und dem Gazastreifen als "von palästinensischem Nationalismus und dem Wunsch, die Besatzung zu beenden motiviert" bezeichnete, ebenso wenig denkbar gewesen wie die lange Liste israelischer Menschenrechtsverletzungen im selben Bericht.
"Wären die Proteste nach einiger Zeit verstummt, entweder weil Israel es geschafft hätte, die Revolte mit Gewalt niederzuschlagen oder einfach, weil die Menschen des Blutvergiessens müde geworden wären, hätte sich niemand - vor allem die Amerikaner nicht darum gekümmert, was die Israelis getan haben, um uns zum Schweigen zu bringen; und sie hätten sicher nicht begonnen, mit Arafat zu sprechend, erklärt ein Palästinenser aus Nablus. Er ist, wie viele andere auch, optimistisch, dass sich die Dinge schliesslich in die richtige Richtung entwickeln werden. "Wenn Amerika, Israels zuverlässigsten Verbündeter und Unterstützter (die jährliche US-Unterstützung für Israel beläuft sich auf ca. 3 Milliarden Dollar), eine Kehrtwendung macht und sagen kann, was ihr in der Westbank und im Gazastreifen macht, ist nicht in Ordnung, dann ist alles mögliche Heute fragen sich die Palästinenser nicht ob, sondern wann der neue Staat etabliert werden wird.
Aus: Palästina-Bulletin, Nr. 14 und 15/1989, Übersetzung aus: "The Middle East", April 1989