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Strassenmedizin
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Im Kittchen bleibt ein Zimmer frei

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Ruhig Blut...

... lautet die Grundregel jedes Katastrophenplans.

Mit Festnahmen bei Demonstrationen und Aktionen, mit Strafbefehlen und Prozessen und anderen Gemeinheiten muss heute jede rechnen, die aktiv gegen Ausbeutung und Unterdrückung kämpft, egal ob als Hausbesetzerin, AKW-Gegnerin, Antifaschistin, als Kommunistin oder Anarchistin.

Mit immer neuen Gesetzen wird selbst das bisschen, das der Staat an Meinungsfreiheit, Organisationsfreiheit und Demonstrationsrecht gewährt, eingeschränkt.

Die Repression gegen Einzelne nimmt nicht deswegen ab, weil die Linke immer schwächer wird. Im Gegenteil: da die staatlichen Stellen mit wenig organisierter Gegenwehr rechnen, können sie sich Kriminalisierungsversuche erlauben, die in Zeiten starker Massenbewegungen nicht durchsetzbar sind. Ihre Einschüchterungsversuche und Kriminalisierungsstrategien verfangen grundsätzlich nur in dem Masse, wie es uns nicht gelingt, Vereinzelung aufzuheben und Widerstand zu organisieren.

Eine gute Voraussetzung, Ruhe bewahren zu können, ist Vertrauen - nicht in die göttliche Allmacht, des Schicksals Weg oder die Unzertrennlichkeit von Ying und Yang, sondern Vertrauen auf Genossinnen und Genossen, die sich um Dich kümmern, wenn Du in der Scheisse sitzt und die bei den Bullen genauso die Schnauze halten wie Du!

Klar, es gibt riesige Unterschiede zwischen Demo und Demo. Oft sagen wir uns, dass diesmal sowieso nix passiert und haben auch noch recht damit. Dennoch sollten einige Grundregeln auch auf 'ner 1. Mai-Demonstration beherzigt werden, weil auch die schon Objekte polizeilicher Aktionen geworden sind.

Ermittlungsausschuss

Bei vielen Demonstrationen wird von den Veranstalterinnen ein Ermittlungsausschuss (EA) eingerichtet. Dieser ist während und nach der Demo telephonisch zu erreichen, seine Nummer wird entweder über Lautsprecherdurchsagen oder per Handzettel bekannt gegeben. Hier werden die Namen von Verletzten und Verhafteten gesammelt und sich um Anwältinnen für letztere bemüht. Wenn Du nach Deiner Festnahme wieder freigelassen wirst, melde Dich beim EA und liefert dort auch ein Gedächtnisprotokoll ab. Auch Zeuginnnen von Polizeiübergriffen und Festnahmen sollen sich dort melden, damit sie bei Ermittlungsverfahren von den Betroffenen und deren Anwältinnen erreichbar sind.

Bullenübergriffe

Nicht in Panik geraten, tief Luft holen, stehen bleiben und auch die anderen dazu auffordern. Spätestens jetzt heisst es, schnell Ketten zu bilden und wenn's denn gar nicht anders geht, sich langsam und geschlossen zurückzuziehen. Manchmal können Übergriffe der Schergen allein durch das Kettenbilden und Stehenbleiben abgewehrt, Festnahmen oder das Zurücklassen von Verletzten verhindert werden.

Nach der Demo

Schlau ist, nicht allein nach Hause zu gehen. Auch nach der Demo versucht die Polizei oft Leute einzeln abzugreifen. Deshalb geht geschlossen weg und achtet darauf, ob Ihr verfolgt werdet. Falls es auf der Demo Zoff gab, melde Dich bei Freunden und Freundinnen zurück, damit Du nicht als vermisst giltst!

Wenn Du Zeugin oder Betroffene von Polizeiübergriffen oder Festnahmen wurdest, fertige ein Gedächtnisprotokoll an und melde Dich beim EA. Ins Gedächtnisprotokoll gehört:

Merke Dir die Anzahl der Bullen und wie sie ausgesehen haben. "Oberlippenbart" reicht meistens zur Identifizierung nicht aus.

Bullen bei einer Festnahme.

Festnahme

Wirst Du selbst festgenommen, mache laut auf Dich aufmerksam und rufe deinen Namen, damit sich die Umstehenden diesen merken und an den EA weitergeben können.

Zu Hause mache ein Gedächtnisprotokoll und gibt es an den EA. Oft erfahren die Betroffenen erst Monate später davon, dass ein Ermittlungsverfahren gegen sie läuft, dann ist so ein Protokoll Gold wert.

Zur Identitätsfeststellung bist Du nur verpflichtet, Angaben zu Deiner Person zu machen: Name, Adresse, Geburtsdatum und ungefähre Berufsangabe (Arbeiterin, Angestellte, Studentin, Erwerbslose). Kein Wort mehr! Nix über Eltern, Schule, Firma, Wetter - Gar nix!

Gegen jede erkennungsdienstliche Behandlung (ED) lege sofort Widerspruch ein und lasse diesen protokollieren.

Falle nicht auf Psychokisten rein, weder auf die guten Onkels und Tanten, die ja volles Verständnis für Dein Anliegen haben, noch auf die Brutalo-Bullen, die Dir gleich Dir Fresse polieren wollen. Behalte die Übersicht und Deinen Kopf unter Kontrolle. Vergiss all die feinen taktischen Schachzüge, die Dir durch den Kopf gehen, wie Du die Bullen reinlegen oder Dich aus dem Schlamassel bringen könntest! Jede Situation ist günstiger, um sich was Schlaues zu überlegen, als bei den Bullen, und alles - wirklich alles - ist auch nach Absprache mit deinen Genossinnen und der Anwältin möglich, auch wenn die Bullen Dir erzählen, dass es zu deinem Vorteil gereicht, wenn Du ihnen gegenüber Aussagen machst. Wenn Du meinst, Dir werden Sachen vorgehalten, mit denen Du gar nix zu tun hast, halte trotzdem die Klappe. Denn was Dich entlastet, kann jemand anderen belasten: wenn von zwei Verdächtigen eine ein Alibi hat, bleibt immer noch eine übrig!

Wenn Du annimmst, schon so tief im Schlamassel zu stecken, dass Du lieber alles zugeben willst, damit Du nicht so hart verknackt wirst, shut up! Erst nachdem Deine Anwältin Akteneinsicht hatte und Ihr Euch beraten habt, lässt sich eine gute Strategie festlegen. Wenn Du erstmal gequatscht hast, nützt Dir auch die beste Anwältin kaum noch was. Ausserdem reisst Du womöglich unbeabsichtigt andere Leute mit rein. Ein Argument für ganz Störrische: Ein Geständnis vor'm Richtertisch zahlt sich immer mehr aus, als bei den Bullen, wenn's denn schon sein muss!

Gefangenentransport

Auf der Fahrt zu Gefangenensammelplätzen sprich mit den anderen Festgenommenen über Eure Rechte, aber mit keinem Wort über das, was Ihr oder Du gemacht habt. Es wäre nun wirklich nicht das erste Mal, dass ein Spitzel dabei ist, auch wenn Du ein gutes Gefühl zu allen hast.

Achte auf andere und zeige Dich verantwortlich, wenn sie mit der Situation der Festnahme noch schlechter klar kommen als Du, das beruhigt auch Dich. Redet darüber, dass es Sinn macht, konsequent die Schnauze zu halten. Tausche mit deinen Mitgefangenen Namen und Adressen aus, damit die zuerst Freigelassene den EA informieren kann.

Auf der Wache

Du hast das Recht zwei Telephongespräche zu führen. Falls die Bullen Dir dieses Recht verweigern, besteh' darauf und drohe mit einer Anzeige. Verlange eine Ärztin, um Deine Verletzungen zu attestieren. Nach der Freilassung besuche Deine Hausärztin, die erneut Deine Verletzungen schriftlich bestätigt. Verlange über beschädigte Sachen ein Protokoll.

Wie lange musst Du brummen?

Beim Haftrichter

Mache auch hier nur Angaben zur Person. Falls noch nicht geschehen, fordere unbedingt die Kontaktaufnahme zu Deiner Anwältin und Deinen Freudinnen. Wird Haftbefehl erlassen, lass' die Beauftragung deiner Anwältin protokollieren.

Lass' Dich nicht hängen und halte durch: "Wenn der Richter gestanden hat, holen wir Dich raus!"; "in Russland haben sie die Revolution auch nicht an einem Tag gemacht!"; "Mühsam nährt sich das Eichhörnchen!"; "Die Hunde bellen, aber die Karawane zieht weiter!" Solche und ähnliche Parolen versüssen den Knastaufenthalt zwar auch nicht entscheidend, aber was willste machen ...

Wenn Du wieder draussen bist ...

...melde Dich unbedingt beim EA und bei Deiner Anwältin. Dann kannst Du Dich hoffentlich verwöhnen lassen und relaxen. Nimmst Du diese Verhaltensregeln in Kopf und Bauch auf, bist Du gut gerüstet, um gegen die Staatswillkür die Nerven zu behalten.

Bei Hausdurchsuchungen

Es ist nicht ungewöhnlich, dass bei Festgenommenen Hausdurchsuchungen stattfinden, deshalb einige Grundregeln:

Für die Hausdurchsuchung ist ein richterlicher Durchsuchungsbefehl erforderlich. Ausnahme: bei Gefahr in Verzug, was meistens von den Bullen behauptet wird.

Wenn möglich, solltest Du versuchen, bevor die Polizei hereinkommt, Freundinnen anzurufen, kurz zu sagen, was los ist und den Hörer nicht aufzulegen, damit am anderen Ende wenigstens ungefähr mitzubekommen ist, was abläuft. Frage nach dem Grund der Durchsuchung, dieser muss nach §106 II StPO vorher bekannt gegeben werden. Erfrage Namen und Dienstnummern der Beamtinnen und lege hartnäckig Beschwerde ein.

Verlange, dass nur jeweils ein Raum zur Zeit durchsucht wird, da Du das Recht hast, bei der Durchsuchung dabei zu sein (§106 I StPO). Versuche diese solange hinauszuzögern, bis Zeugen eingetroffen sind.

Lasse ein Verzeichnis der beschlagnahmten Gegenstände anfertigen. Wenn nichts beschlagnahmt wurde, lass' Dir auch das bescheinigen. Verlange ausserdem eine schriftliche Begründung der Durchsuchung. Auf beides hast Du Anspruch, der allerdings verfällt, wenn er nicht eingefordert wird (§107 StPO). Unterschreibe nichts, da nicht auszuschliessen ist, dass später noch etwas hinzugefügt wird.

Ermittlungsverfahren, Vorladungen, Strafbefehle, Prozesse

Wochen oder Monate nachdem Du Dich an irgendeiner Aktion beteiligt hast, kannst Du Post von den Bullen oder der Staatsanwaltschaft bekommen, manchmal rufen sie auch an. Egal ob Du Zeugin oder Beschuldigte in ihrem Spielchen sein sollst, wird es spätestens jetzt Zeit, sich mit dem Ermittlungsausschuss oder einer Rechtshilfegruppe in Verbindung zu setzen. Gemeinsam könnt Ihr überlegen, was zu tun ist, welche Anwältin eingeschaltet wird und welche Öffentlichkeitsarbeit Ihr hierzu machen wollt. Mache auch jetzt keine Aussage. Zu den Bullen brauchst Du eh' nicht hinzugehen, bei der Staatsanwaltschaft musst Du zumindest, erscheinen und Angaben zur Person machen. Nimm' dorthin auf jeden Fall Deine Anwältin mit.

Das was sie wollen, Dich alleine herausgreifen und einschüchtern, funktioniert nur solange Du Ihr Spiel mitspielst. Wenn wir uns gemeinsam wehren, funktioniert ihre Vereinzelungsstrategie nicht mehr. Der Charakter eines Prozesses, dessen Sinn es ist, zu entsolidarisieren, kann umgekehrt werden.

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