GRENZCAMP 2001   FRANKFURT/M AIRPORT

 
4. antirassistisches Grenzcamp vom 27. Juli bis 5. August 2001 beim Flughafen Frankfurt/Main
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Der rassistische Gehalt der Wintererdbeere

Perishables
von M, Infoladen Hanau - - 29.06.2001 01:00

Luftfracht und Flucht, Transport- und Migrationskette

Endlich Urlaub! Die gestresste Familie Schmid stellt den Flugzeugsitz bequem und läßt sich über dem Ozean von der Stewardess mal so richtig bedienen. Unter Schmids, im Bauch des Flugzeugs, ist das Gepäck und einiges mehr: In einem Großraumflugzeug fliegen ca. 14t Fracht mit. 60% der Fracht wird Passagiermaschinen beigeladen - "alles, was der Markt hergibt", wie die Luftfrachtmanager sagen. Es sind Maschinenteile für eine deutsche Firmenniederlassung, Luxusgüter für die Oberklasse des Landes, in das die Schmids fliegen, erlesene Spirituosen für die Touristenhotels,
Pestizide, mit denen internationale Firmen ihre
Ananasplantagen und Schnittblumentreibhäuser besprühen, Medikamente und Computersoftware.
Zwei Wochen später. Die Schmids hatten einen schönen Urlaub.
Sie haben im Hotel-Pool gebadet, der mit dem von den Einheimischen dringend benötigten Trinkwasser gefüllt war, haben am Strand Spezialitäten des Landes serviert bekommen. Während Herr Schmid möglichst wenig an den nächsten Montag vor dem Computer im Büro denkt, sitzt er, ohne es zu wissen auf einigen Kubikmetern Computerhardware.
(aus einem Artikel des evangelischen Pressedienstes)

Der Frankfurter Flughafen ist der größte deutsche Flughafen. Seit einigen Jahren besitzt er ein riesiges Kühlzentrum für Perishables (verderbliche Güter). "Kein anderes Segment des interkontinentalen Luftfrachtgeschäfts wächst so schnell wie der Transport verderblicher Güter. Bohnen aus Kenia,
Rindfleisch aus Argentinien, Lamm aus Neuseeland, Lachs aus Norwegen oder Chile, Maracujas aus Brasilien, Limetten aus Mexiko - diese Liste mit Köstlichkeiten ließe sich seitenlang fortsetzen." So wirbt die Lufthansa in einem ihrer Frachtbriefe für die weltweite Verfügbarkeit von allem zu jeder Zeit. Perishables haben weltweit einen Anteil von etwa 16%. Für die Wintererdbeere aus Ecuador oder die Nelken
aus Kenia wird die gekühlte Transportkette per Luft zur
notwendigen Bedingung. Die Vermarktung eines großen Teils der interkontinentalen Perishables ließe sich ohne Luftfracht überhaupt nicht realisieren.

Die Arbeitsbedingungen zum Beispiel im Bereich der
Schnittblumenproduktion sind extrem hart. Die Arbeiter/innen stehen in einem Nebel aus Pestiziden, oft ohne jegliche Schutzkleidung. Schwere gesundheitliche Schäden sind die Folge. Die Löhne und Arbeitszeiten, sowie die soziale Absicherung sind um ein vielfaches schlechter als in den Metropolen. Schnittblumen - oder auch Wintererdbeeren sind
insofern die (Geld)Früchte eines allein per Luftfracht
durchsetzbaren, rassistisch strukturierten Wertraubs. Die Zurichtung auf Cash-Crop-Ökonomien macht Luftfrachter regelrecht zu Waffen eines technologischen Angriffs, der auf verdichteten Zugriff, auf erweiterte Abhängigkeiten und Ausbeutbarkeiten abzielt.

Rassistisches Ausbeutungsgefälle oder Globalisierung von Armut?

In einer Debatte in der Vorbereitung zum 4. antirassistischen Grenzcamp stießen zwei Positionen
aufeinander.

Die einen sahen in dieser Zurichtung von immer mehr
Arbeitskräften auf die Weltmarktketten, der systematischen Zerstörung subsistenzorientierter Ökonomien und den sozialen Verwüstungen die damit einhergehend sind ein klar strukturiertes rassistisches Ausbeutungsgefälle. Historisch begründet auf der Kolonialisierung der südlichen Kontinente werde die rassistische Kolonialgeschichte weiter reproduziert, perfektioniert und verschärft. Die Luftfracht setze diesen Verhältnissen noch eins drauf. Zu den
traditionellen Ausbeutungsprodukten wie Kaffee, Zucker, Kakao, Tabak... kommen diverse weitere hinzu. V.a. für die Legitimation dieser Ausbeutungsverhältnisse spielt Rassismus eine wesentliche Rolle. Auch innerhalb Europas besteht ein
rassistisch begründetes Lohn- und Ausbeutungsgefälle Richtung Osten. Zum Beispiel beträgt der Lohn für die gleiche Arbeit einer Facharbeiterin in der BRD 3000,-, in Polen 300,- und in der Ukraine nur noch 30,- DM.

Dem gegenüber stand die Position, es gebe eine
Globalisierung von Armut. Die Metropolen verslummen, während sich gleichzeitig eine internationale Managerklasse ausbildet. Die Begriffe von Metropole und Peripherie fassen diese Globalisierung nicht. Rassismus habe für diese Ausbeutungsverhältnisse an Bedeutung verloren. Dem Kapital sei es egal, wer da ausgebeutet wird.

Einigkeit bestand in der Tatsache, daß diese
Ausbeutungsgefälle weiterhin zentrale Quellen von
Migrationsströmen sind. Flucht und Migration sind
gleichermaßen Ausdruck der Zerstörung und Vertreibung, wie auch berechtigter Anspruch auf ein Existenzrecht und bessere Lebensmöglichkeiten.

Die Zusammenhänge von Luftfracht und Flucht könnten eine mögliche inhaltliche Brücke zum Widerstand gegen die Flughafenerweiterung sein. Hier ist aber auch Vorsicht geboten. Viele der BIs gegen die Flughafenerweiterung argumentieren mit dem Verlust deutscher Arbeitsplätze durch Verlagerung der Produktion. In diese Argumentationslinie zu geraten wäre fatal.

Konsum, Konsum, Konsum

Die Lufthansa argumentiert in ihren Werbeslogans mit der weltweiten Verfügbarkeit von allem zu jeder Zeit.

Hier wird die absolute Konsumfreiheit gefeiert "Ich bin so frei." - "Das tut mir gut.", während die ProduzentInnen der Konsumgüter die eigenen Lebensmittel nicht kaufen könnten.

Eine gerechtere Welt würde mit Sicherheit einen
Konsumverzicht unsererseits voraussetzen. Auf die
herrschenden Konsumverhältnisse sind wir zugerichtet. Eine weltweite Konsumfreiheit wäre nicht durchzusetzen. Hätten z.B. alle Chinesen Lust, Auto zu fahren, wären die ökologischen Schäden nicht tragbar. Statt der absoluten Konsumfreiheit wären soziale Beziehungen die wohl wichtigste Grundlage eines glücklichen Lebens.

Andererseits wäre ein Konsumverzicht oder Boykottaufrufe gegen bestimmte Ausbeutungsprodukte nur die Spitze des Eisbergs. Konsumverzicht ist im Grunde eher Gewissensberuhigung, da wir in vielen anderen Lebensbereichen völlig in das Ausbeutungsgefälle verstrickt sind. Punktuell ist Verzicht sicher angesagt, auf Schnittblumen ließe sich locker verzichten. Politisch wäre es aber wichtiger, Produktionsketten aufzublättern - auch
diejenigen aus deren Verstrickung wir uns nicht so leicht lösen können - und an den Ansätzen der Zurichtung von Ländern auf Cash-Crop-Produktion aktiv zu werden. Wichtig wäre vor allem eine Kontaktaufnahme zu Menschen, die von den einzelnen Verhältnissen betroffen sind.

Praktisch wäre die Frage, wie das Thema als Bindeglied zum Widerstand gegen die Flughafenerweiterung genutzt werden könnte, ob Aktionen während des Camps dazu denkbar wären,
z.B. beim Blumengroßmarkt in Frankfurt.