GRENZCAMP 2001   FRANKFURT/M AIRPORT

 
4. antirassistisches Grenzcamp vom 27. Juli bis 5. August 2001 beim Flughafen Frankfurt/Main
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»Grenzziehungen angreifen!«

Interview
von Thomas Klein - - 22.07.2001 12:43

junge Welt 21.07.2001

jW-Gespräch mit Marie Holub und Carl Kemper vom Vorbereitungskreis für das vierte antirassistische Grenzcamp

*** Das vierte antirassistische Grenzcamp findet vom 27. Juli bis 5. August im Rhein-Main-Gebiet statt

F: Das diesjährige Grenzcamp findet in der Nähe des Frankfurter Flughafens statt. Warum?

Marie Holub: Das Grenzregime verläuft eben nicht nur an der Außengrenze der Schengen-Staaten, sondern auch in der sich als weltoffen gebenden Metropole Frankfurt und am Rhein-Main-Flughafen, ausgestattet mit einem exterritorialen Internierungslager für Flüchtlinge. Hier werden Flüchtlinge in der Transitzone inhaftiert, bis die zuständige Behörde über ihren Asylantrag bzw. ihre Einreise entschieden hat. Jährlich werden hier mehr als 10 000 Menschen, auch unter Anwendung von Gewalt, abgeschoben oder zurückgewiesen. Die meisten davon übrigens immer noch in Lufthansa-Maschinen. Andererseits präsentiert sich der Flughafen gerne als »Tor zur Welt«, als Drehscheibe für Waren aus aller Welt, als interkulturelle Begegnungsstätte mit globalem Flair. Dieser Kontrast zwischen globaler Mobilität von Menschen und Gütern und der Kontrolle und der Abschottung des Schengen- Territoriums reizt sehr dazu, politisch einzugreifen.

Carl Kemper: Im Landesinneren werden Grenzen aber auch durch rassistische Kontrollen, Unterbringung in Lagern, Meldepflicht, Residenzpflicht, befristete Duldung, Asylbewerberleistungsgesetz und Arbeitsverbot gezogen - in den Innenstädten und auf Bahnhöfen, durch die Polizei, Ausländerbehörden, das Arbeitsamt, Sozialamt usw. Der Diskurs über »innere Sicherheit« ist genauso durchsetzt von rassistischen Stereotypen wie die derzeit geführte Einwanderungsdebatte um Quoten, Nützlichkeit und Integrationsfähigkeit von Migranten. In Frankfurt wurde die Multikulti-Ideologie vom guten und nützlichen Ausländer erfunden, auf der anderen Seite wird hier mit einem riesigen Apparat an Polizei und Sicherheitsdiensten die Kontrolle des öffentlichen Raums vor allem gegen bestimmte Migrantengruppen durchgesetzt. Frankfurt ist ein guter Ort, diese Grenzziehungen und Ausgrenzungen anzugreifen.

F: In den letzten Jahren fanden die antirassistischen Camps an der deutschen Ostgrenze statt. Welche Chancen und Risiken sehen Sie beim diesjährigen Camp?

Carl Kemper: In der zentralen Rolle des Abschiebeflughafens sehen wir eine Möglichkeit der konfrontativen Kritik am staatlichen Rassismus. Konkretes Ziel ist auf jeden Fall die Verkürzung des Wegs zur Abschaffung des Internierungslagers. Und das wollen wir auch dadurch erreichen, daß wir neue Aktionsideen und - formen entwickeln und ausprobieren.

Marie Holub: Mit Frankfurt und dem Flughafen, der Banken- und Dienstleistungsmetropole, haben wir ein hervorragendes Studienfeld für die Debatte um Globalisierung und Migration, was für unsere inhaltliche Auseinandersetzung eine große Herausforderung und Chance bedeutet.

Carl Kemper: Das größte Risiko sehen wir darin, in der Metropole quasi »unterzugehen«. In den Gebieten an der Ostgrenze war uns die Aufmerksamkeit schon allein durch unser Erscheinen sicher. In Frankfurt ist es Risiko und Chance zugleich, unsere Aktionen so zu gestalten, daß sie nicht verpuffen, sondern auch hier das »Thema der Woche« werden.

F: Neben den Aktionen, so der Aufruf zur Teilnahme am Grenzcamp, sei das Camp ein wichtiger Ort des Erfahrungsaustausches. Auf welche positiven - und sicher auch negativen - Erfahrungen können Sie hier zurückblicken?

Marie Holub: Schon dadurch, daß sich bis zu 1 000 Leute im Camp treffen, werden hier wichtige kollektive Erfahrungen gemacht, die im politischen Alltag der kleinen Szenen zu Hause kaum möglich sind.

Carl Kemper: Die ersten Camps waren ja mehr aktionsorientiert, aber zunehmend wurde mehr Wert auf inhaltliche Debatten und auch Austausch gelegt, die Anzahl der Veranstaltungen und Diskussionen war im letzten Jahr schon recht groß. Was wir dabei besser lernen müssen, ist Widersprüche auszuhalten und sich bei Kontroversen nicht gleich zu verabschieden.

F: Im Moment gibt es eine Kontroverse um die Einführung eines Konfliktgremiums mit Sanktionsmöglichkeiten, das im Fall von rassistischen oder sexistischen Verhaltensweisen während des Zusammenseins im Camp aktiv werden soll. Gehört es zu den negativen Erfahrungen, daß ein solches Camp ohne Sanktionsmöglichkeiten nicht auskommt?

Marie Holub: Für Außenstehende diesen Komplex in kurzen Worten verständlich zu machen, ist nicht einfach. Die Camps waren bisher erfreulich wenig sexistisch, zumindest nach dem, was in den Camps bekannt wurde. Konflikte, Grenzverletzungen bis hin zu sexistischem und rassistischem Verhalten finden sich prinzipiell auch unter uns, auch wenn die Versuchung manchmal groß ist, das zu ignorieren. Wir versuchen im jetzigen Camp, einen anderen Umgang damit zu finden, sozusagen ein Experiment, um gemeinsam zu lernen, wie es anders gehen könnte.

Carl Kemper: Die Idee war zunächst ein Konzept unter dem Titel »Konfliktgremium«, das auch Sanktionen, also repressive Maßnahmen, gegen Täter beinhalten könnte. Die Idee war provokativ, aber nebenbei gesagt ist Provokation schon immer ein wichtiges Mittel auf den Camps gewesen. Wir wollen in den linken Diskurs eingreifen, was den Umgang mit Konflikten betrifft.

Marie Holub: Das hört sich jetzt aber sehr glatt an. Denn bei der ganzen Debatte schwang auch die Angst vor Machtmißbrauch mit: wer definiert, wann wie was zu geschehen hat. Das heißt, die Konfliktlinien gehen querbeet. Diesbezügliche Diskussionsprozesse sind also längst nicht abgeschlossen. Was die Sanktionsmöglichkeiten betrifft, so ist unsere Erfahrung, daß die Handlungsoptionen in der Szene bisher darin bestanden, entweder wegzuschauen, auszuschließen oder gar den Staat einzuschalten.

F: Ist der Anspruch, daß auch eine intensive »Binnenauseinandersetzung« stattfindet, Teil eines hinter den Camp-Vorbereitungen stehenden Konzepts?

Carl Kemper: Letztes Jahr haben wir im Interesse einer verstärkten »internen« Auseinandersetzung das Camp mal »Feld-, Wald- und Wiesen-Uni« genannt. Wie eben schon gesagt, gehört dazu aber auch, unter uns politische Streits gezielt anzuzetteln oder bestehende aufzugreifen. Und daß wir den Anspruch, zu provozieren und zu irritieren nicht nur gegenüber einer »aufzuklärenden Bevölkerung«, sondern auch gegenüber allen Leuten auf dem Camp im Blick haben. Die Tyrannei der Phrase, daß jeder seine Meinung haben könne, und das Harmoniebedürfnis, das den politischen Konflikt vermeidet, ist auch auf den Camps gang und gäbe. In diesem Jahr werden wir vor allem um eigene, antirassistische Interventionen in die Einwanderungsdebatte ringen.

Marie Holub: Ich glaube, das Camp vermittelt für eine Woche, was Bewegung sein könnte, wenn es sie gibt. In den vergangenen Jahren sind in den Camps nicht nur Leute zusammengekommen, die sonst in vielen Städten getrennt in Antifa- und Antira-Szenen arbeiten, sondern es sind auch Debatten geführt worden, die vielerorts mittlerweile ausbleiben, oder Experimente mit neuen Aktionsformen gemacht worden, was auch selten ist.

F: In den letzten Jahren, insbesondere im letzten Sommer, als von offizieller Seite »ein Aufstand der Anständigen« propagiert wurde, hat es Vereinnahmungstendenzen gegeben. Sind Sie mit Ihrer Kritik an staatlichem Rassismus, an Gesetzen, Verordnungen, der Abschiebepraxis und der herrschenden »Normalität« nicht mehr genug durchgedrungen?

Carl Kemper: Wann sind wir jemals genug durchgedrungen? Im letzten Jahr hatten wir die spezielle Brandenburger Situation, als Wolfgang Thierse durch das Land reiste, gegen Jörg Schönbohms Links-gleich-rechts- Parolen Front machte und das »tolerante Brandenburg« präsentierte. Dann kam kurz vor Camp-Beginn die Düsseldorfer Greencard-Werbekampagne, also der Einstieg in die »neue Einwanderungsdebatte«, in die Quere. In dieser Situation stürzten die Medien sich auf uns und versuchten, uns diesmal als »die Guten« gegen rechts zu nutzen. Wir sind mit unseren Inhalten, dem Kampf gegen den staatlichen Rassismus, aber mehr als je durchgekommen, weil insgesamt mehr als bei den früheren Camps über uns berichtet wurde. Alle Aktionen, auch die gezielten gegen den Abschiebe- und Kontrollapparat, wurden mehr oder weniger journalistisch begleitet.

Marie Holub: Allerdings hatten wir uns vorher auch zunehmend »daneben benommen«, z.B. mit der Aktion »Straßenschäden« vor dem BGS-Standort, die nicht mehr so ganz auf die »Toleranz« der Menschenjäger traf. Insofern haben wir uns schon abgesetzt vom staatlichen Antifa- Sommer. Und in diesem Jahr sieht es ohnehin anders aus, das gesamte Aktionsprogramm ist auf die verschiedenen Formen staatlicher Ausgrenzung von Migranten ausgerichtet.

F: Wie wollen Sie verhindern, daß in der öffentlichen Wahrnehmung wieder zentrale Forderungen und Zielsetzungen aus dem Blick geraten?

Marie Holub: Ich denke, das diesjährige Programm spricht für sich: Zentral ist die Forderung nach Abschaffung des Internierungslagers am Flughafen und des Flughafenverfahrens als wesentlichem Teil der Abschottung gegen »Nicht-Schengener«. Damit verbindet sich die Forderung nach freiem Einlaß für alle, die das wollen. Die Aktionen auf dem Flughafen dürften schon einen gewissen Aufmerksamkeitswert haben, so daß wir hoffen, darüber auch unsere Inhalte zu transportieren.

Carl Kemper: Schwieriger wird es mit den Aktionen in Frankfurt selbst, wo vor allem die Kontrolle des öffentlichen Raums Thema sein wird. Der scheinbare öffentliche Konsens ist die Sicherheit des Normalbürgers, die es gegen die Jugendgangs, die Drogendealer etc. zu verteidigen gilt. Hier ist das Ziel, in der Diskussion überhaupt erst wieder bemerkbar zu sein und unsere konträren Standpunkte vorzustellen.

F: Welche Bündnisse sind im Rahmen der gesteckten Zielsetzungen und Forderungen möglich? Bei welchen Punkten gibt es keine »Toleranz in der Vielfalt«, sondern ist eine Grenze überschritten, die eine Zusammenarbeit ausschließt?

Marie Holub: Sicherlich werden wir uns eindeutiger gegen die Grünen abgrenzen als im letzten Jahr. Um das Camp damals durchzusetzen, hatten wir uns auch der Unterstützung einiger prominenter Parteimitglieder versichert. Das wurde intern kritisiert. Am Beispiel Internierungslager ist auch klar: Die Grünen als Regierungspartei wollen es nicht mehr abschaffen, sondern nur noch »humanitäre Verbesserungen«, was wir ablehnen. Dagegen ist eine Zusammenarbeit mit Pro Asyl z. B. oder kirchlichen Asylarbeitskreisen unsererseits erwünscht, auch wenn diese nicht unsere Forderungen nach »offenen Grenzen« und »Bleiberecht für alle« mittragen. Beim Flughafenverfahren sind wir uns in der Ablehnung einig. Deshalb haben wir Pro Asyl eingeladen, an unserem internationalen Hearing zu Menschenrechtsverletzungen auf europäischen Flughäfen im Airport Center teilzunehmen. Ansonsten bestehen z. T. gute Kontakte vor Ort zu antirassistischen Bürgern und zu Teilen der Bürgerinitiative gegen den Flughafenausbau.

Carl Kemper: Die Frage nach Unvereinbarkeiten stellt sich nicht oft. Auf Funktionäre wie z. B. von Linksruck verzichten wir allerdings. Das bedeutet aber nicht den Ausschluß von deren Basis.

F: Wichtig ist gerade bei dieser Thematik die Zusammenarbeit mit Gruppen und Organisationen in anderen Ländern. Welche Kontakte, Erfahrungen und positiven Beispiele können Sie hier besonders hervorheben?

Carl Kemper: Die wichtigsten Kontakte zu Flüchtlingen sind über die Karawane für die Rechte der Flüchtlinge und MigrantInnen entstanden. Die aktivste Gruppe ist »The Voice«, die sich bereits an den letzten beiden Grenzcamps beteiligt hatte und auch diesmal wieder dabei sein wird. Hinzu kommt in diesem Jahr auch die sehr aktive und selbstbewußte Flüchtlingsinitiative Brandenburg.

Marie Holub: Internationale Kontakte bestehen vor allem über das europäische »No border«-Netzwerk, dem antirassistische Gruppen aus den meisten westeuropäischen und einigen osteuropäischen Ländern angehören. Darüber hat sich die Idee der Grenzcamps verbreitet, so daß in diesem Jahr auch in Spanien, Slowenien und bereits zum zweiten Mal in Polen solche Camps stattfinden. Und da diese Camps wie auch die Aktionen zum G-8-Gipfel in Genua vor unserem stattfinden, hoffen wir auf rege Beteiligung aus diesen und anderen Ländern auch an unserem Camp. In einigen Ländern gibt es sehr starke Bewegungen von Migranten, andererseits auch sehr pragmatische Legalisierungswellen von staatlicher Seite. Und in der politischen Diskussion ist z. B. die antirassistische Bewegung in Italien sehr viel weiter als wir. Sie zeigt sich dort deutlicher als antikapitalistische Bewegung und als Teil der Antiglobalisierungsbewegung.

Das Gespräch führte Thomas Klein