Ausländer: Botschaft für Schily: Kein Mensch ist illegal!
Flüchtlingshilfsorganisationen verlangen gleiche Menschenrechte für alle, die in Deutschland leben
von Claus Dümde -
- 26.07.2001 21:03
Neues Deutschland 25.7.2001
Gleiche Menschenrechte auch für die etwa eine Million Ausländer, die »ohne Aufenthaltsstatus« in Deutschland leben, haben Vertreter von Menschenrechts- und Flüchtlingshilfsorganisationen am Dienstag in Berlin verlangt.
Wie voll ist das Boot?« hieß das Motto der Pressekonferenz. Aber nicht nur deshalb hatten die Initiatoren auf ein Schiff eingeladen. Die Fahrt auf der Spree führte zum Bundesinnenministerium, wo man Otto Schily ein Transparent mit der Losung »Kein Mensch ist illegal!« vor die Nase hielt.
Wie die Realität aussieht, schilderten unter Deck Frauen und Männer, die sich in Berlin für Flüchtlinge engagieren, die auf Grund der restriktiven deutschen Asyl- und Flüchtlingsgesetzgebung in die Illegalität gedrängt worden sind. Anlass war der Bericht der von Schily berufenen Zuwanderungskommission.
Positiv daran ist die Anerkennung der Tatsache, dass Deutschland ein Einwanderungsland ist, sagte Georg Classen vom Flüchtlingsrat Berlin, dass künftig neue Möglichkeiten der Zuwanderung eröffnet werden sollen. Doch im Bereich Asyl und Flüchtlinge »wird nicht nur an Ausgrenzung festgehalten«. Im Asylverfahrensgesetz seien offenkundig sogar Verschärfungen vorgesehen. Schutzlücken im Asylrecht würden zwar von der Einwanderungskommission genannt, doch Verbesserungen seien nicht vorgesehen. Die Duldung »ausreisepflichtiger« Ausländer solle wegfallen, der Entzug der Sozialhilfe auf jene ausgedehnt werden, die im Duktus der Gesetze »offensichtlich unbegründete« Asylanträge gestellt haben.
Wie es denen geht, wenn sie »untertauchen«, um nicht abgeschoben zu werden, schilderten zwei Aktivistinnen von »Papiere für alle«, einer Frauen- und Lesbeninitiative, die sich um Vermittlung von Wohnraum, Kita- und Schulplätzen für Kinder, aber auch um bezahlte Arbeit für ihre Mütter kümmert. Der Süssmuth-Bericht schlage die Entkriminalisierung der Unterstützung von Illegalen vor, aber das bedeute für die Betroffenen nur die Festschreibung des Status quo. »Ohne Papiere können Frauen ihre Interessen nur sehr schwer vertreten«, betonten die Frauen. »Sie sind immer in einem ungleichen, abhängigen Verhältnis, selbst von uns als Hilfsorganisation.« Und während das Schiff am Haus der Kulturen der Welt vorbeiglitt, war per Video der Wunsch einer in Berlin »illegal« lebenden Lateinamerikanerin zu hören: »Wir wollen behandelt werden als die Menschen, die wir sind.«
Der Bericht der Süssmuth-Kommission werde von »ökonomischer Nützlichkeitslogik« bestimmt, »uns geht es um die Bedürfnisse der Menschen, die hier leben«, betonte Dr. Jessica Groß. Die Ärztin engagiert sich in der medizinischen Hilfe für in die Illegalität gedrängte Flüchtlinge. Rund 3000 solcher Menschen, die in Berlin leben, hat das vor fünf Jahren eingerichtete Büro für medizinische Flüchtlingshilfe an Ärzte der verschiedensten Fachgebiete, Physiotherapeuten und andere medizinische Helfer vermittelt, die unentgeltlich und anonym helfen. Jeden Monat kommen rund 90 hinzu. »Doch wir merken immer wieder, dass wir an die Grenzen unserer Hilfsfähigkeit kommen«, sagte Dr. Groß. »Durch medizinische Nothilfe wird das Problem der Illegalen sicher nicht gelöst«, betonte sie. Ziel müsse deshalb ihre Integration in die offizielle Versorgung und die Abschaffung des »Denunziationsparagrafen« 76 des Ausländergesetzes sein, das zur Meldung »Illegaler« an die Ausländerbehörden verpflichtet.
Conny Roth vom Polnischen Sozialrat verwies darauf, dass illegale Arbeiter mit Stundenlöhnen von 4 Mark abgespeist werden. Razzien könnten daran nichts ändern, aber Klagen vorm Arbeitsgericht ohne Risiko sofortiger Abschiebung. Schulpflicht für alle, die sich legal hier aufhalten und die Chance auch für Kinder von »Illegalen«, die Schule zu besuchen, forderte Sanem Kleff von der Gewerkschaft GEW. Dank dem Engagement Berliner Lehrer und Direktoren hätten einige sogar schon das Abitur abgelegt. Dennoch sieht die Gewerkschafterin »die Gefahr, dass der Süssmuth-Bericht Makulatur wird«, weil sich Schily womöglich wenig um dessen Empfehlungen kümmert. Das geplante »Asyl auf Zeit«, das nach zwei Jahren überprüft werden soll, sei ein »sehr gefährliches Konstrukt«
Frank Borris von einer Flüchtlingshilfeinitative aus Bremen setze einen Kontrapunkt: »Wir brauchen die Legalisierung aller, die jetzt da sind.« Und Sanem Kleff rief dazu auf, sich für die Umsetzung der Nichtdiskriminierungsrichtlinie der EU zu engagieren. »Man darf nicht deutschen Ministerien überlassen, ob und wie sie umgesetzt wird.«