GRENZCAMP 2001   FRANKFURT/M AIRPORT

 
4. antirassistisches Grenzcamp vom 27. Juli bis 5. August 2001 beim Flughafen Frankfurt/Main
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Kein Land in Sicht

Jungle World 25.07.2001
von Julia Kümmel - - 28.07.2001 14:32

Willkommen auf dem Rhein-Main-Flughafen! Der Transitbereich ist für die meisten
Flüchtlinge auch schon Endstation.

Nehmen wir einmal an, du lebst in einem Land wie Algerien, bist deines Lebens nicht mehr sicher und willst weg. Nehmen wir weiter an, du willst nach Deutschland. Du denkst, es gibt viele Wege dorthin, aber du täuschst dich. Deutschland ist umgeben von so genannten sicheren Drittstaaten. Dir bleibt eigentlich nur die Möglichkeit zu fliegen, direkt, ohne Zwischenlandung.

Gehen wir also davon aus, du hast tatsächlich das nötige Geld zusammenbekommen, konntest dir falsche Papiere beschaffen, um überhaupt ausreisen zu können, und sitzt nun in einem Flieger nach Deutschland, Ziel Frankfurt am Main. Du schaffst es, die Vorkontrollen an der Gangway und an den Flugsteigen zu passieren.

Passagiere in flüchtlingsrelevanten Maschinen - in so einer sitzt du, wenn du aus Algerien kommst - werden besonders scharfen Kontrollen unterzogen, teils um Flüchtlinge gleich zurückschicken zu können, teils um herauszufinden, welcher Flüchtling mit welcher Fluggesellschaft geflogen ist. Denn im Fall einer Abschiebung wird Deutschland diese Fluggesellschaften zum Rücktransport verpflichten. Du jedenfalls, so nehmen wir immer noch an, schaffst es bis in den Transitbereich, gibst dich dort als Flüchtling zu erkennen und beantragst Asyl.

Jetzt bist du also da. In Deutschland. Du hast dein Ziel erreicht. Du wirst nun zur grenzpolizeilichen Erstbefragung gebracht. Uniformierte Beamte des Bundesgrenzschutzes unterziehen dich einer erkennungsdienstlichen Behandlung - Fingerabdrücke, Fotos, wie bei Kriminellen - und fragen dich nach deinem Reiseweg. Ob dir Schleuser geholfen haben, was du dafür bezahlt hast und ganz beiläufig auch nach den Gründen für dein Asylbegehren.

Nach dieser Erstbefragung folgt die Anhörung beim Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (BAFl). Dieses hat extra eine Außenstelle am Flughafen eingerichtet, um dem Namen Schnellverfahren alle Ehre zu machen. Zwei Tage später wird der Antrag als »offensichtlich unbegründet« abgelehnt, die Ausweisung angedroht.

Du hast also Pech gehabt. Die Überbringer der schlechten Nachrichten sind Beamte des BGS, immerhin fragen sie dich, ob du eine anwaltliche Vertretung haben möchtest. Es hat sich vielleicht doch herumgesprochen, dass du ein Recht auf einen Anwalt hast. Du nimmst das Angebot an, denn bislang warst du mit deinem Antrag allein, niemand hat dich beraten, niemand hat dir die Prozedur erklärt, niemand stand dir zur Seite, als du über deine Fluchtgründe sprechen musstest.

Deiner Anwältin werden daraufhin die Unterlagen zugeschickt. Sie wird einen Antrag auf Verlängerung der Fristen und einen Eilantrag ans Verwaltungsgericht schicken. Vermutlich wirst du sie nie zu Gesicht bekommen, und auch die über deinen Antrag entscheidenden Verwaltungsrichter wirst du nie sehen. Sie entscheiden über dein Schicksal nach Aktenlage. Doch bis sie das tun, sitzt du im Internierungslager am Flughafen und wartest.

Wir drehen jetzt aber die Zeit ein bisschen zurück, weil wir uns die Anhörung beim Bundesamt noch genauer ansehen wollen. Der einzige Mensch, der außer dir und dem Anhörer noch im Raum ist, ist ein Dolmetscher. Der Dolmetscher übersetzt und der Anhörer formuliert das Ganze dann noch einmal so, wie es in die Akten kommt. Der Beamte hält ein Diktiergerät in der Hand, auf das er sich ganz zu konzentrieren scheint.

Deine Angaben werden grundsätzlich in Zweifel gezogen, du merkst schnell, der Anhörer glaubt dir nicht. Du merkst, dass das Interesse auch hier nicht den Erlebnissen gilt, die dich zur Flucht gezwungen haben, sondern dem Weg, den du genommen hast.

Der Beamte insistiert auf der genauen Angabe von Daten, Zeiten und Orten, und vielleicht kannst du dich einfach nicht mehr genau erinnern, wann und wo du das erste Mal vergewaltigt oder eingesperrt wurdest. Er versucht, dich in Widersprüche zu verwickeln und vielleicht werden manche deiner Angaben ein bisschen von dem abweichen, was du den BGS-Beamten vor Tagen schon einmal erzählen musstest. Du musst deine Angaben irgendwie beweisen. Aber wie? Der Anhörer hat keine Ahnung von dem Land, aus dem du kommst. Die Orte, von denen du erzählst, kennt er nicht, und es scheint, dass er nicht einmal glaubt, dass es diese Orte überhaupt gibt. Du weißt nicht, ob der Übersetzer richtig übersetzt. Du wirst immer wieder gezwungen, Erlebnisse, die du vergessen wolltest, wieder zu erzählen, sie wieder zu durchleben. Du verschließt dich weiteren Fragen, du kannst nicht mehr, du verstummst. Du wartest im Transit. Der BGS hat dir die Ablehnung bereits überbracht, und du fragst dich, wie innerhalb von zwei Tagen alle deine Angaben überprüft werden konnten.

Sieben Tage hat das Verwaltungsgericht nun Zeit, die Entscheidung des Bundesamtes zu überprüfen, und die Wahrscheinlichkeit, dass das Urteil aufgehoben wird, ist sehr gering. Die Bemühungen deiner Anwältin werden vergebens sein, die rechtlichen Möglichkeiten sind ausgeschöpft. Das Flughafenverfahren ist ein Schnellverfahren, es dauert mitsamt Klage, Begründungsfristen für Anwälte und der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung ungefähr 25 Tage. Länger darf auch dein Aufenthalt im Transit nicht dauern. So heißt es. Du aber wirst, wie die meisten anderen, länger dort sitzen im Flughafentransit C 182, dem Internierungslager. Die 25 Tage sind zwar um, aber du kannst nicht abgeschoben werden, weil du mit gefälschten Papieren reisen musstest.

Man lässt dir jetzt die Wahl: "freiwillig" im Transit bleiben oder Abschiebeknast. Nehmen wir an, du bleibst im Transit und unterschreibst die entsprechende Freiwilligkeitserklärung. Haft klingt schließlich grausamer als Transit. Aber mit Urlaub hat das leider trotzdem nichts zu tun.

Transit heißt: Du teilst dir mit Männern, Frauen und Kindern Gemeinschaftszellen mit Etagenbetten, es gibt keine getrennten Waschräume und Toiletten. Die Fenster sind aus Panzerglas und nicht zu öffnen, dein Blick schweift über Mauern und Stacheldraht. Die Räume sind klimatisiert und im Sommer trotzdem unerträglich heiß. Die Klimakästen an den Fenstern blasen Abgasluft nach drinnen. Die Wände sind kahl, die Flure sind kahl und Pfeile auf dem Boden schreiben dir vor, wie du zu gehen hast. Die Türen sind gesichert und auch die Fenster werden mit Kameras überwacht. Das Essen wird in Plastikbeuteln angeliefert. Zweimal am Tag wirst du - wenn du das möchtest - mit Handschellen gefesselt und allein von uniformierten Beamten zu einem BGS-Bus gebracht. Mit dem fährt man dich zu einem kleinen, doppelt umzäunten Rasenstück irgendwo auf dem Flughafengelände, durch Kerosingestank und das Donnern der Flugzeuge. Freigang!

Du kannst natürlich auch im Gemeinschaftsraum bleiben. Der ist immer voller Menschen. Viele haben Furchtbares erlebt. Unsicherheit, Angst, aber auch Aggression prägen die Atmosphäre. Es ist immer laut und nirgends gibt es einen Ort der Ruhe. Du merkst, wie sich die Menschen verändern. Kinder, die anfangs lebhaft und neugierig waren, sind nach ein paar Tagen entweder still und apathisch oder unruhig und aggressiv geworden. Es gibt nichts zu tun, keine Beschäftigung, keine Abwechslung, nur Warten in Ungewissheit oder Warten auf Abschiebung. Manche um dich herum verzweifeln, rennen mit dem Kopf gegen die Wand. Wenn Selbstmordgefahr vermutet wird, kommt es zu Körperuntersuchungen. Du hast gehört, dass jemand versuchte, Rasierklingen zu verschlucken.

Du wartest und hörst die Geschichten von anderen, die hier waren und es nicht mehr sind. Du hörst von denen, die sich wehrten, hörst von Ausbruchsversuchen und erfolgreichen Ausbrüchen, hörst von Hungerstreiks, aber auch, dass von diesen Hungerstreiks selten etwas an die Öffentlichkeit drang. Du hörst auch von Naimah Hadjar, die sich umbrachte. Von denen, die es versuchten. Und du hörst, dass für minderjährige unbegleitete Kinder ein eigener Knast eingerichtet wurde, ein Kinderknast.

Dein Blick schweift wieder einmal zu den verschlossenen Fenstern und dem Stacheldraht. Du willst keine Geschichten mehr hören. So wartest du, Tag für Tag, Monat für Monat, inzwischen bereust du vielleicht schon, diese Freiwilligkeiterklärung unterschrieben zu haben, und denkst zuweilen, dass Haft doch besser gewesen wäre.

Vielleicht geht es dir schlecht, körperlich und seelisch. Da gibt es einen Bereitschaftsarzt, der dreimal die Woche in einem Zimmer im Transitbereich Sprechstunden abhält. Nachdem seltsamerweise alle Versuche, dein Leiden mit Beruhigungsmitteln zu heilen, fehlgeschlagen sind, wirst du in eine psychiatrische Anstalt eingewiesen. Auf der Fahrt dahin siehst du das Land, in dem du Schutz gesucht hast, viele Wochen nach deiner Ankunft zum ersten Mal. Durch die vergitterten Fenster eines Busses in Begleitung von Polizisten. Das schwarze Loch aus Niemandsland umgibt dich überall dort, wo die Beamten dich hinführen. Exterritorial ist nicht nur das Lager auf dem Flughafen. Du bist es selbst.

Aus der Psychiatrie zurück, sitzt du wieder im Transit und wartest. Es hat sich nichts geändert, weder an deinem Zustand noch an deinem Ablehnungsbescheid. Der algerische Staat hat sich inzwischen bereit erklärt, dir Papiere auszustellen. Du wirst abgeschoben. Wahrscheinlich werden wir nie wieder etwas von dir hören. Wir hätten diese Geschichte gerne anders geschrieben, wir hätten sie gerne anders für dich erzählt. Aber es ist eine alltägliche Geschichte und die Wahrscheinlichkeit, dass sie anders ausgeht, ist zu gering.