Wie Telepolis berichtete, wurde die Perfomance-Theatergruppe VolxTheater-Kulturkarawane auf der Heimfahrt vom
G8-Gipfel von Carabinieri etwa 15 km vom Genueser Stadtzentrum entfernt aufgehalten und festgenommen ( Genua:
VolxTheater-Kulturkarawane weiter in Haft). Mit den 25 Mitgliedern stellen sie das Gros der noch 47 bzw. 49 (hierzu liegen
unterschiedliche Informationen vor) inhaftierten Globalisierungskritiker. Sie werden der Sachbeschädigung sowie der
Mitgliedschaft in einer kriminellen Organisation (Mafiaparagraf) beschuldigt und sind damit von einer Strafe von mehreren
Jahren Freiheitsentzug bedroht.
Bereits vergangene Woche, nach einem ersten Besuch des österreichischen Konsuls in den Haftanstalten, war die Rede von
Misshandlungen. Nach Visiten des hinzugezogenen österreichischen Anwalts Dr. Embacher, sowie des grünen
EU-Abgeordneten Johannes Voggenhuber wurden diese Gerüchte jetzt bestätigt. Der Abgeordnete der Grünen erhebt
zudem schwere Anschuldigungen gegen die österreichische Außenministerin Benita Ferrero-Waldner. Sie hätte bereits beim
Besuch ihres italienischen Amtskollegen Ruggiero vergangene Woche in Wien von den Misshandlungen gewusst und
trotzdem nichts unternommen. Die Außenministerin selbst wies alle Beschuldigungen zurück. Ein detailliertes Protokoll der
Verletzungen hätte sie erst gestern erhalten und dann umgehend eine Protestnote verfasst.
Abgesehen von dem innenpolitischen Hick-hack, das der Fall VolxtTheater-Kulturkarawane jetzt in Österreich zwischen
rechtskonservativer Regierung und Opposition auslöst, zeichnen sich drei Problemkreise mit internationaler Relevanz ab.
Erstens: Waren auch die Mitglieder der VolxTheater-Karawane polizeilichen Übergriffen ausgesetzt und gab es
Menschenrechtsverletzungen?
Zweitens: Wollte die italienische Polizei, diese - in Österreich unbescholtene - Theatergruppe tatsächlich als Kern des
"Schwarzen Blocks" darstellen und zwar aufbauend auf den beschlagnahmten "Requisiten" (wurden als solche nicht von den
italienischen Untersuchungsrichtern anerkannt) wie schwarze T-Shirts, Straßenkarten, Stöcke, etc...?
Drittens: Hat die rechtskonservative Regierung Österreichs (eventuell aus politischen Gründen?) zu lasch reagiert und damit
neben den 15 österreichischen Inhaftierten auch die VolxTheater-Mitglieder anderer Nationalitäten - u.a. Amerikaner,
Slowaken und zwei Deutsche - in eine missliche Lage gebracht oder diese verlängert?
Sollte sich dieser letzte Vorwurf bestätigen, so hätte die österreichische Regierung tatsächlich ein Problem internationalen
Ausmaßes zu bewältigen. Die Opposition, insbesondere die Grünen, sprachen bereits vergangene Woche von mangelndem
Engagement der Ministerin aus politischen Gründen. Potenziell zählt nämlich die Kulturkarawane zu jenem
regierungskritischen Kreis von Personen in Österreich, die sich noch immer einmal wöchentlich zum
"Donnerstagsspaziergang" (Eigendefinition) treffen, um ihrem Unmut über die rechtskonservative Regierungskoalition aus
ÖVP und FPÖ Ausdruck zu verleihen. Im Rahmen einer Pressekonferenz anlässlich des Wienbesuches von Renato Ruggiero
hatte die österreichische Außenministerin den seltsamen Vergleich mit Bankräubern gezogen, die mit einer Plastikpistole ein
Geldinstitut überfallen - und sich somit nicht über Konsequenzen wundern dürften. Jetzt wird sie beschuldigt, die Inhaftierten
öffentlich vorverurteilt und kriminalisiert zu haben. Mit dem Verweis auf Vormerkungen im Polizeiregister (einen Vormerk
erhält bereits jemand, gegen den eine Anzeige eingebracht wurde, sogar bei einem Verkehrsdelikt) hätte Ferrero-Waldner
auch die Amtsverschwiegenheit gebrochen.
Gestern Nachmittag ging die Ministerin in die Offensive. Sie hätte erst jetzt Details über die Misshandlungen erfahren, sich
außerdem auf die Informationen aus dem österreichischen Innenministerium verlassen und von Anfang an in gewisser Weise
interveniert. Sicher hat sie die protokollarisch wie gesetzlich notwendigen Schritte eingeleitet. Während aber andere
Regierungen umgehend intervenierten und ihre Landsleute in Freiheit kamen, schwieg Österreich offiziell. Wider besseren
Wissens, wie das die Opposition behauptet, wird sich weisen. Viele Indizien sprechen gegen die rechtskonservative
Regierungskoalition in diesem Fall.
Sicher ist, dass man der österreichischen Botschaft sowie dem Konsul vor Ort keinen Vorwurf machen kann. Die in Italien
stationierten Vertretungen haben sich redlich bemüht. Bereits vergangene Woche sprach der Konsul von Übergriffen.
Dennoch kam keine besondere Unterstützung aus Wien.
Schwer wiegt auch die Anschuldigung von Seiten der Grünen, dass kein entlastendes Material über die Theatergruppe nach
Italien weitergeleitet worden wäre. Wie Telepolis berichtete, hatte ein hochrangiger Polizeifunktionär bestätigt, dass die
Theatergruppe bis dato nie Schwierigkeiten gemacht hätte. Die VolxTheater-Karawane war seit Juni mit der Kampagne "No
border - no nation" unterwegs und nahm auch an den Protesten anlässlich der Weltwirtschaftstagung in Salzburg teil.
Von Seiten der Kulturgruppe selbst ist man froh, dass es nun endlich eine offizielle Protestnote gibt. Gegenüber Telepolis
heißt es, Anwalt Embacher hätte inzwischen mit italienischen Anwälten gesprochen und schätzt die Beweislage auch jetzt
noch als überaus dürftig ein. Allerdings wollen die italienischen Behörden bei der nächsten Anhörung in ca. 2 Wochen weitere
Beweise vorlegen. Eine in Wien verbliebene Sprecherin der VolxTheater-Gruppe bestätigte Telepolis gestern Abend
außerdem, dass zwei Deutsche in Haft sind: "Wir halten uns bei Angaben zu Personen sehr zurück. Zu den beiden deutschen
Inhaftierten möchte ich nur sagen, dass sie sehr jung sind und von Anfang an mit der Gruppe nach Genua unterwegs waren."
Die Reserviertheit der Gruppe gegenüber Medien ist auch aufgrund diffamierender Presseberichte verständlich. So tauchte
beispielsweise ein Dossier der österreichischen Staatspolizei auf, das ein Mitglied der Theatergruppe in die Nähe der
linksextremen Szene rückt. Wie berichtet, hatte die Polizei auch darauf hingewiesen, dass einige VolxTheater-Mitglieder aus
der Wiener Hausbesetzerszene kommen würden. Nach diversen Medienberichten befürchten jetzt allerdings Vertreter der
Gruppe, dass die gesamte VolxTheater-Karawane kriminalisiert würde.
Im Telepolis-Gespräch berichtete eine Vertreterin der VolxTheater-Karawane außerdem von einer Schwedin, die
offensichtlich völlig unschuldig in die Mühlen der italienischen Justiz geriet: "Unser Anwalt hat mit ihr gesprochen. Ihrer
Darstellung zufolge war sie als Autostopperin unterwegs und stieg erst ca. zehn Minuten vor der Verhaftung in den Bus der
VolxTheater-Karawane ein. Jetzt ist sie wie alle anderen VolxTheater-Mitglieder auch der Bandenbildung,
Sachbeschädigung und so weiter angeklagt." Auch sie sitzt möglicherweise deswegen noch in Haft, weil die österreichische
Regierung erst gestern die sofortige Freilassung der Inhaftierten forderte.
In einem offenen Brief der Schwester eines festgenommenen Mitglieds der Volxtheatergruppe an Bundespräsident Klestil
beschwert sie sich diese über das Vorgehen der Ministerin und bittet um Hilfe: "Da Fr.Ferrero-Waldner mittlerweile zehn
Tage damit beschäftigt war einen Brief zu formulieren, seinen Inhalt zu prüfen, und laut eigener Aussage darauf hofft, ihn
seitens ihres italienischen Amtskollegen auch beantwortet zu bekommen, weiß ich nicht mehr weiter.Im Namen aller
betroffenen Familien bitte ich Sie daher inständig, sich für die Freilassung unserer Angehörigen zu verwenden."
Johannes Voggenhuber, EU-Abgeordneter der Grünen war heute bei dem italienischen Untersuchungsrichter. Dieser habe
sich für die gewaltsamen Übergriffe der italienischen Polizei entschuldigt. Voggenhuber übergab ihm entlastendes Material im
Fall VolxTheater, was seiner Meinung nach eigentlich Pflicht der österreichischen Außenministerin gewesen wäre. Der
Untersuchungsrichter versprach eine sofortige Prüfung des Materials.
vgl. Feature bei Indymedia: http://de.indymedia.org/2001/07/5428.html