jW fragte Carl Kemper, Pressesprecher des diesjährigen antirassistischen
Grenzcamps "kein mensch ist illegal"
F: In den letzten Tagen haben Grenzcamp-Aktivisten an zahlreichen Stellen
in der Innenstadt von Frankfurt am Main gegen Ausgrenzung und Rassismus
demonstriert. Am Mittwoch gab es einen sogenannten Innenstadttag - was ist
damit gemeint?
Diejenigen, denen es gelungen ist, durch die Maschen der deutschen Außengrenze
zu schlüpfen, sind mit einem ganzen Arsenal weiterer "innerer Grenzen"
konfrontiert: Unterbringung in Lagern, Residenzpflicht, Arbeitsverbot,
befristete Duldung, Meldepflicht usw. Auch in der sogenannten Weltstadt
Frankfurt gibt es diese inneren Grenzen mit BGS-Kontrollen am Bahnhof,
Videoüberwachungen, ständigen Paßkontrollen an der Hauptwache, Razzien in
Bordellen und auf Baustellen und vieles mehr.
Mit dem Innenstadttag haben wir diese "inneren Grenzen", die Kontrollen, den
alltäglichen und von Behörden ausgehenden Rassismus thematisiert. Wir haben
Kameras zugehängt und an verschiedenen Stellen, an einer Brücke am Main und
in der Nähe der Hauptwache, symbolische Grenzstationen aufgebaut.
F: Und Sie haben Leute dort dann auch kontrolliert?
Ja. Ziel der Aktion war es, das Ganze mal umzudrehen und Deutsche zu
kontrollieren. Wir haben alle nach ihrer Nationalität gefragt, und alle
Nichtdeutschen durften passieren. Ansonsten haben wir noch ein paar Fragen
gestellt.
F: Wie haben die Leute reagiert?
Es gab sehr unterschiedliche Reaktionen. Wir haben dort einen Fragebogen
verteilt und viele haben tatsächlich die Frage, wo sie hin wollen usw.,
beantwortet. Andere waren ungehalten oder verunsichert.
Interessant war: Die ausländischen Jugendlichen, die zufällig vorbeikamen,
haben ziemlich gut verstanden, was da passiert. Die konnten den anderen
Leuten dann auch erklären, welchen Hintergrund diese Aktion hat. Und viele
ausländische Jugendliche, die überhaupt nichts mit dem Camp zu tun hatten,
fanden die Aktion gut. Die konnten das Ganze richtig einordnen, während
viele Deutsche einfach verunsichert waren. Am Mittwoch abend haben dann
nochmals über 1 000 Menschen gegen rassistische Kontrollen auf den Bahnhöfen
demonstriert und das Sicherheitskonzept der Bahn AG - "Service, Sicherheit,
Sauberkeit" - angeprangert.
F: Die Grenzcamp-Pressegruppe hatte den Betreiber des Rhein-Main-Flughafens,
die Fraport AG, in einem offenen Brief aufgefordert, öffentlich zu erklären,
daß eine am Samstag geplante Demonstration wie geplant stattfinden kann.
Hat Fraport inzwischen reagiert?
Es gab am Mittwoch ein Gespräch mit der Polizei und Fraport-Vertretern zu
der geplanten überregionalen Demonstration. Da wollen wir in Terminal 1
unsere Kundgebung durchführen und nicht wieder ausgesperrt werden. Bei
diesen Gesprächen wurde uns zugesichert, daß sich die Fraport bei uns bis
Donnerstag 12 Uhr meldet. Doch das ist nicht geschehen. Deshalb werden wir
ab jetzt immer wieder spontan am Flughafen auftauchen, und zwar im
Terminal 1, Bereich B - da, wo wir auch am Samstag demonstrieren wollen.
Und wir sind gespannt, was da in den nächsten Tagen noch passiert.
F: Die Demonstration ist der Abschluß des Grenzcamps?
Nicht ganz. Wir beteiligen uns auch noch am Sonntagsspaziergang der
Bürgerinitiativen gegen Flughafenerweiterung und für ein Nachtflugverbot.
Die Veranstaltung am Samstag wird aber sicher schon deshalb von zentraler
Bedeutung sein, weil wir nochmals sehr viele Teilnehmer erwarten und
wichtige Forderungen erhoben werden. Es dürfte ja mittlerweile bekannt
sein: Der Rhein-Main-Flughafen ist Deutschlands Abschiebe-Airport Nr.1.
Mehr als 10000 Menschen werden jährlich von hier aus außer Landes
geschafft.
Abschiebungen sind ein brutales Instrument rassistischer Flüchtlings- und
Migrationspolitik. Sie stehen am Ende einer systematischen Ausgrenzung von
Flüchtlingen und Migranten. Und auch die derzeit manchmal eher liberalen
Töne in der aktuellen Einwanderungsdebatte ändern nichts an der Lage der
von Abschiebungen Betroffenen.
Welche Folgen es haben kann, wenn sich Flüchtlinge gegen ihre Abschiebung
oder gegen die Haftbedingungen im Internierungslager wehren, zeigen die
Beispiele von Kola Bankole und Aamir Ageeb. Ihr Widerstand während der
Abschiebung wurde von Staatsbediensteten so brutal gebrochen, daß sie den
Flug nicht überlebten. Und Naimah Hadjar nahm sich im Mai letzten Jahres
nach 234 Tagen im Internierungslager des Frankfurter Flughafens das Leben.
Unsere Forderung lautet deshalb: Internierungslager auflösen, Abschiebungen
stoppen. Und die werden wir auch vor Ort vorbringen.
Interview:
Thomas Klein