Wem gehört die Welt?
Redebeitrag auf dem Römer (28.7.2001)
von anonym -
- 14.08.2001 11:56
In den letzten Tagen zwischen den Protesten gegen den G8-Gipfel in Genua und dem Beginn des 4. antirassistischen Grenzcamps wurde uns von den Offiziellen immer wieder eine nervöse Frage gestellt: ob da Leute zum Camp kommen, die auch in Genua waren.
Diese Frage können wir mit einem klaren JA beantworten.
Es sind Leute, die heute hier sind in Genua gewesen, genauso, wie Anfang Juli Leute im Dreiländereck Ukraine/ Polen/ Weißrußland waren, um sich am dortigen antirassistischen Grenzcamp zu beteiligen.
Auch an der Straße von Gibraltar in Spanien, wo das erste Camp in dieser Reihe stattfand waren Leute, die jetzt hier sind.
Das Grenzcamp am Frankfurter Flughafen stand und steht im Zusammenhang antirassistischer Aktionen, die diesen Sommer in ganz Europa stattfinden. Deshalb stehen wir jetzt hier mit den verschiedensten Eindrücken und Erfahrungen, die wir in den folgenden tagen auswerten und in weitere Aktionen umsetzen werden.
Den Auftakt der Proteste in Genua bildete ein Tag der Migrant/innen. Die erwartete Zahl von 15.000 Teilnehmer/innen ist bei weitem übertroffen worden. 50.000 Menschen demonstrierten lautstark mit der Parole ?Siamo Tutti Clandestini? ? Wir sind alle Illegale!
In den vergangenen tagen hat es in über 120 Städten weltweit Demos und Soliaktionen gegeben. Ein lautstarker Protest, solidarisch mit denen, die immer noch in Genua im Knast sitzen, voller Trauer aber auch Wut über den Tod von Carlo, der während der Proteste von Carabinieri erschossen wurde.
Die Bilder der am Sonntag von den Bullen gestürmten Schule lassen uns nicht kalt. Die Folter auf den Polizeiwachen ist die einzige Antwort, die ihnen auf die lautstark vorgetragene Frage ?Wem gehört die Welt?? einfällt. Und diese Antwort wurde offensichtlich für nötig befunden.
Wem gehört die Welt?
100.000ende haben diese Frage in Genua gestellt. Es hat sich was bewegt. Nicht nur in den Herzen und Köpfen von vielen, sondern auch konkret auf der Straße.
Die Gipfelteilnehmer mußten sich in ihrer roten Zone verschanzen, hinter Gittern und einem riesigen Heer von Bullen und Armee. Sie haben schon im Vorfeld die Stadt in einen Belagerungszustand versetzt, an allen Ecken kontrolliert...
Sie haben versucht die Bewegung zu spalten und am Ende doch alle mit Gas eingenebelt.
Sie haben versucht über die Medien das Bild eines isoliert agierenden schwarzen Blocks zu zeichnen, dem es nicht um Inhalte sondern nur um Krawall geht.
Zu Bruch gingen aber vor allem Banken ? von zumindest 34 demolierten Banken war gestern in der Rundschau die Rede. Ein Lufthansa-Büro ging in Flammen auf. Es waren durchaus zum großen Teil gezielte Aktionen. Häufig wurden Leute überzeugt, kleinere Läden in Ruhe zu lassen und sich ein sinnvolleres Angriffsziel zu suchen. Durch die Panikmache im Vorfeld war die Stadt in Teilen wie ausgestorben. Die dennoch Daheimgebliebenen gingen aber mit großer Gelassenheit mit der Situation in der Stadt um. Es wurde offenkundig Sympathie mit den Protesten geäußert. Nachdem von der Regierung eine Aufforderung an die Bevölkerung ergangen war, keine Wäsche aus den Fenstern zu hängen, weil dies das Stadtbild stören würde, wurde als Zeichen des Protestes an vielen Fenstern mit Unterhosen gewedelt. In den von Tränengas völlig eingenebelten Straßen schleppten Anwohner/innen Wasser heran oder zerschlugen mit Hämmern Steine, um sie an die vorderen Reihen weiterzugeben.
Es war ein heterogener Haufen, der sich den Bullen entgegenstellte ? kein irgendwie einheitlicher schwarzer Block. Es waren 1000e Militante. Zwischen den Barrikaden war die Stimmung solidarisch.
Es ist jetzt viel die Rede davon, die Krawalle seien von
Bullen-Provokateuren inszeniert worden. Mit Sicherheit ist es nicht auszuschließen, daß es Zivis gegeben hat, die auch an der ein oder anderen Ecke die Eskalation forciert haben mögen. Eine Situation mit der wir einen Umgang finden sollten. Zu allererst sehen wir darin einen Angriff der Polizei nicht nur auf den militanten Widerstand: eine Strategie, die Militanten zu diskreditieren, die Bewegung zu spalten und die internen Diskussionen auf die Gewaltfrage zu reduzieren. Die Antwort darauf kann nicht die Defensive sein.
Interessanterweise wird die Debatte um Gewalt und die Wahl der Mittel von der Seite der Barrikade aus geführt, wo mit Steinen und Knüppeln gegen scharfe Waffen vorgegangen wird. Es darf nicht in Vergessenheit geraten, wo die Gewalt beginnt. Wir leben in einer Welt, deren herrschende Ordnung mit allen Mitteln der Gewalt aufrecht erhalten wird.
Täglich wir Krieg geführt, damit ein kleiner Teil der Menschheit in ungeheurem Luxus leben kann, damit der Konsum von allem zu jeder Zeit für einen kleinen Bruchteil der Menschheit möglich bleibt.
Bei allem Entsetzen über die schrecklichen Bilder von Carlos Tod oder den Blutlachen in der am Sonntag geräumten Schule, dürfen wir nicht vergessen, daß weltweit täglich Menschen auf Demos erschossen werden, "verschwinden", gefoltert und verstümmelt werden, wenn sie es wagen die
herrschenden Besitz- und Machtverhältnisse in Frage zu stellen.
Wem gehört die Welt?
Täglich sterben Menschen... und es herrscht Schweigen. Ein Aufschrei hingegen, wenn im reichen Westen ein paar Scheiben zu Bruch gehen und einige Autos abbrennen.
Gegen die, die hierher fliehen vor Folter Krieg und Hunger werden die Grenzen abgeschottet und überwacht. Geld, Waren und die Privilegierten sollen sich frei bewegen - global und ungehemmt. Für die anderen wird die Bewegungsfreiheit eingeschränkt - ob mit der Residenzpflicht für Flüchtlinge oder einem Ausreiseverbot für "Reisechaoten"
Wir tun uns schwer damit, Bürgerrechte zu fordern, finden wir sie doch grundlegend unzureichend und nur aus Ruhigstellungsgründen verteilt. Wir sagen eher utopisch: "Eine andere Welt ist möglich!" Trotzdem!
Wir haben in Genua die Erfahrung gemacht, daß sich etwas bewegt. Mit diesen Bildern der vielfältigen und entschlossenen Proteste vor Augen und der Hoffnung im Herzen, daß eine andere Welt möglich ist, machen wir weiter ? auch wenn wir mehr Fragen als Antworten haben.
Wir werden die Proteste weitertragen auch an andere Orte. Dorthin, wo wir leben, in die Auseinandersetzungen, Diskussionen und Kämpfe, die wir im restlichen Jahr führen, aber auch an die Orte vor unserer Haustür, die alltägliche Dreh- und Angelpunkte einer Weltordnung sind, die auf Abschottung und Einschränkung der Bewegungsfreiheit von Millionen basiert. Der Frankfurter Flughafen ist einer der Orte, an denen sich diese Ordnung manifestiert, ob als weltweiter Handelsknotenpunkt oder in seiner Abschottungsfunktion durch das Internierungslager. An diesen Orten fallen uns dann doch Antworten ein: ein klares NEIN! Zu den herrschenden Zuständen! Und das mit Ausrufezeichen!
Wohin wir wollen und mit welchen Mitteln ? darüber sind wir mit Sicherheit nicht einig. Die Räume, die wir uns nehmen, ob die Straßen von Genua oder die Grenzcamps, dienen uns auch dazu, diesen Streit zu führen. Vielleicht ist es gerade gut, einige Fragen offen zu halten oder immer wieder aufs neue zu stellen, statt endgültige Antworten zu suchen - mit Sicherheit gehört Streit und Kritik um die jeweils beste Entscheidung für möglichst alle zu unserer Utopie. Die Auseinandersetzung um Fragen der Organisierung, Mittel und Wege in welche Richtung werden wir auch in der kommenden Woche auf dem Camp führen, uns im Streit bewegen und dennoch handlungsfähig sein ? gegen diejenigen, die uns und anderen diese Selbstbestimmung aus schnöder Macht- und Geldgier verweigern. Handlungsfähig auch morgen direkt am Flughafen.
Wir sind nicht alle.
25 Leute einer Theaterkarawane aus Österreich sind auf dem Weg aus Genua nach Frankfurt unter üblen Umständen gefangengenommen worden und werden weiterhin festgehalten.
Wir wollen jetzt im Anschluß an die Kundgebung zur Kreditanstalt für Wiederaufbau in der Bockenheimer Landstrasse gehen. Die KfW ist dafür zuständig, IWF-Programme umzusetzen.
Danach werden wir vors italienische Konsulat ziehen, um die sofortige Freilassung aller Gefangenen von Genua und den sofortigen Rücktritt der Regierung Berlusconi zu fordern.
Eine andere Welt ist möglich!