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Getrennt zeltenStatt eines Grenzcamps wird es dieses Jahr vier geben. Die antirassistischen Initiativen konnten sich weder auf einen Ort noch auf gemeinsame Themen einigen.aus: jungle World, 3.7.2002, von arthur leoneDas Grenzcamp in Frankfurt am Main im vergangenen Jahr war kaum beendet, da gingen sie schon los, die üblichen Diskussionen über Perspektiven und Ansprüche und wie alles weitergehen soll. Sollte man das erfolgreiche Konzept, ein antirassistisches Grenzcamp in einer Großstadt durchzuführen, auch künftig beibehalten? Oder aus der »toleranten« Metropole Frankfurt doch besser wieder zurück in die Provinz gehen, wo rassistische Stimmungen dominieren, und dort die Verhältnisse von Flüchtlingen zum Thema machen? Oder sollte man ein noch größeres Camp organisieren? Vor fünf Jahren fand das erste Grenzcamp statt und seither schien es immer nur bergauf zu gehen. Die Zahl der Teilnehmer stieg kontinuierlich an. Antira und Antifa, Diskussion und Aktion in einem Camp zusammenzubringen - diese Idee besaß offensichtlich Mobilisierungspotenzial. Die respektvollen Erwähnungen des letzten Camps in großen bundesdeutschen Tageszeitungen, die erfolgreichen Blockaden des Frankfurter Flughafens aus Protest gegen Internierungslager und Abschiebeflüge und mehr als Tausend Menschen, die auf dem Platz in Kelsterbach campierten, schienen die Intentionen des Projekts Grenzcamp nur zu bestätigen. Dennoch kamen Zweifel auf. Einige Gruppen und Einzelpersonen aus der Grenzcampvorbereitung hatten sich zu diesem Zeitpunkt bereits entschieden. Sie bereiten nun im no-border-Netzwerk für die zweite Junihälfte ein »Internationales Camp« in Strasbourg vor, wo die Zentrale des Schengen-Informationssystems (SIS) zweifellos ein relevantes Ziel einer europäischen antirassistischen Mobilisierung darstellt. Die Organisatoren erwarten gut 2 000 Teilnehmer, die für Bewegungsfreiheit von Flüchtlingen und gegen staatliche rassistische Kontrolle aktiv werden sollen. Andere Aktivisten, die schon länger kritisierten, dass auf den bisherigen Grenzcamps nicht ausreichend über die verschiedenen Herrschaftsverhältnisse in einer Dominanzkultur diskutiert worden sei, organisieren nun ein eigenes »Crossover-Sommercamp«, das in der Nähe von Cottbus stattfinden wird. Dort sollen mit »politischen Aktionen, Performances, Diskussionen, Theorieworkshops, Küchenarbeit, Tanzen, Musik, Aufräumen und noch viel mehr« neue »Widerstandsperspektiven eröffnet« werden. Mit dem beabsichtigten »Aufbrechen heterosexueller, männlicher und weißer Dominanz« innerhalb der radikalen Linken sind die Ziele hoch gesteckt. Was die angestrebte »Aufhebung der Trennung von Hand- und Kopfarbeit« mit emanzipatorischer Politik zu tun haben soll, wird hingegen im Aufruf nicht erklärt. Außer den Camps in Strasbourg und in Cottbus soll es diesen Sommer auch wieder ein antirassistisches Grenzcamp in Deutschland geben. Doch die Vorbereitungsgruppe zerstritt sich bereits bei der Wahl des Ortes. In Frage kamen Hamburg oder Jena. Nach Hamburg, meinten die Befürworter, wären mehr Menschen zu mobilisieren und man könne politische Inhalte, die über antirassistische Themen hinausgehen, besser darstellen. Für Jena spreche, dass dort mit einer Migrantengruppe politisch kooperiert werde: der Flüchtlingsorganisation The Voice Africa Forum, die auch an früheren Camps beteiligt war und ihren Sitz in der thüringischen Stadt hat. The Voice machte sich gemeinsam mit den anderen Organisationen, die für Jena votierten, vor allem für die Unterstützung lokaler Strukturen stark. Weil einige Hamburger Antirassisten einwandten, dass ein Grenzcamp in ihrer Stadt ihre Arbeit »um Jahre zurückwerfen« könne, und sich außerdem keine Hamburger Gruppe bereit erklärte, die Vorbereitungen vor Ort zu übernehmen, fiel die Wahl Ende letzten Jahres auf Jena. Es folgten wütende Texte in der autonomen Zeitschrift Interim, einige Gruppen verließen die bundesweite Campvorbereitung. Mit der Entscheidung für Jena, so lautete das Argument, habe man die Chance verspielt, an die bisherigen Camps anzuknüpfen und »Krieg, Hamburg-Harburg, innere Sicherheit, Schill, Brechmittel, Abschiebeknast, Antifa und die Bundestagswahl« zum Thema zu machen. Außerdem sei die Zusammenarbeit mit Flüchtlingen zum alleinigen Ziel des Camps avanciert. Nun stellte sich zwar kurz nach der Entscheidung für Jena heraus, dass es auch in Thüringen Widerspruch aus antirassistischen Kreisen gab, und auch, dass es mit der Unterstützung vor Ort nicht so rosig aussah, wie The Voice angekündigt hatte. Doch Gruppen, die vermittelnde Positionen einnahmen, gaben zu bedenken, dass die meisten der Themen, die von den Hamburgern eingefordert wurden, auch »in Thüringen diskutiert werden und Aktionen dazu entstehen können«. Es müsse vor allem darum gehen, die Nachteile des jeweiligen Standorts auszugleichen. In Jena besteht nämlich die Gefahr, dass die Themenvielfalt des Camps zugunsten der Residenzpflicht-Kampagne aufgegeben wird. Die Residenzpflicht sei zwar auch ein wichtiges Thema, der Anspruch des Grenzcamps gehe jedoch weiter, argumentierten die Kritiker. So soll während des Camps beispielsweise auch über den Zusammenhang von Arbeit und Migration diskutiert werden. Einige der Gruppen, die wegen der Entscheidung für Jena die Vorbereitung verlassen hatten, bereiten in Hamburg nun die »Land-in-Sicht-Tage« vor. Die Organisatoren dieses Camps kritisieren die »Abwicklung sozialer Sicherungssysteme, den Ausbau repressiver Staatsorgane, der Festung Europa und militärische Konfliktlösungen«. Und sie fühlen sich dem »Kampf für eine glückliche und befreite Gesellschaft« verpflichtet. Mittlerweile ist der Streit, welcher Ort nun die besten Voraussetzungen bietet, wieder abgekühlt. Sogar die Termine der verschiedenen Camps wurden so gelegt, dass am politischen Zelten interessierte Menschen von Juli bis August von Event zu Event reisen können. Vom Jenaer Grenzcamp wird es sogar eine gemeinsame »Karawane« nach Strasbourg geben.
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04.07.2002 |