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No Borders?
Die schwierige Verbindung von Antirassismus und sozialem Widerstand | AG3F im Gesprächaus: Subtropen 12/04
Mitte Juli findet in Jena das fünfte Grenzcamp der Kampagne »kein mensch ist illegal« statt. Im unmittelbaren Anschluss daran treffen sich europäische No-border-AktivistInnen mit und ohne Schengen-Pass zum internationalen Camp in Strasbourg. Über temporäre Assoziationen, Camps und Kampagnen sprachen wir mit der Antirassistischen Gruppe Für freies Fluten (AG3F).
AG3F: Schily hat immer gesagt, dass es in dem Gesetz um die Begrenzung der Einwanderung geht. Diese Orientierung stand vom ersten Entwurf an fest. Auch die verschiedenen Expertenkommissionen formulierten die Zuwanderungsbegrenzung als ihr Ziel und haben neue Verwertungsmöglichkeiten mit weiteren Einschränkungen im Bereich des Asylrechts kombiniert. Gleichzeitig aber ist zu sehen, dass die bisherige Abschottungsdoktrin brüchig wird, die seit dem Anwerbestopp für Arbeitskräfte 1973 die deutsche Ausländerpolitik immer deutlich dominierte. Jetzt kommt da etwas in Bewegung, und man versucht einen etwas pragmatischeren Umgang. Gesteuert werden soll der Arbeitskraftbedarf. Das hat zwei Konsequenzen. Die ganze Orientierung auf eine mögliche Einwanderung von Arbeitskräften bewirkt, dass Illegalisierte, die bereits hier leben, gar nicht in den Blick kommen. Deren minimale soziale Rechte werden eher noch weiter eingeschränkt, der Druck auf Leute, die sich selbst das Recht genommen haben, hierher zu kommen, wird erhöht. Doch in der Debatte um die Greencard ist noch etwas anderes passiert. Da ging es staatlicherseits darum, ein kleines Türchen zu öffnen, wenn auch der mentale Durchbruch in der rassistischen Bevölkerung nur von Parolen bestimmt ist wie »Die nehmen uns die Arbeit weg« oder »Manche Ausländer brauchen wir halt«. Aber der Prozess zeigt Widersprüche und Ambivalenzen. Klar ist, dass man die wenigen Verbesserungen im Gesetz, wie etwa die Anerkennung nicht staatlicher Verfolgung im Asylverfahren, nicht gegen die gleichzeitigen dramatischen Verschärfungen in vielen Bereichen aufrechnen kann. Doch stellt sich die Frage, welche Bedeutung diese verschlechterten Bedingungen perspektivisch und bezogen auf die Migration insgesamt haben, wenn beispielsweise weniger Migrantinnen und Migranten den Weg eines Asylverfahrens einschlagen. Die Auffassung, wonach alles nur katastrophal ist und immer schlimmer wird, bietet dagegen keine Perspektive. Die offene Frage ist also, ob und wie die neuen, wenn auch noch so kleinen Türchen, die jetzt der Arbeitsmigration geöffnet werden, genutzt und erweitert werden können. Die widerständige Geschichte der Migrationsbewegung gibt zumindest Grund, nicht alles gleich für Wirklichkeit zu halten, was staatliche Politik plant oder kontrollieren will. Wo seht ihr Ansatzpunkte? Im vergangenen Sommer habt ihr anlässlich der Grenzcamps versucht, mit dem Slogan »jeder mensch ist ein experte« den Greencard-Experten-Diskurs zu durchkreuzen und die Frage der Arbeitsmigration verstärkt in den Mittelpunkt zu rücken. Zunächst wurde»jeder mensch ist ein experte« von einem überregionalen Kreis von AktivistInnen kreiert, von einer »temporären Assoziation«, an der wir beteiligt sind. Der Slogan wurde häufig kritisiert, weil er mit dem Expertenbegriff spielt und so angeblich der Verwertungslogik nicht weit gehend genug widerspricht. Wir sehen das anders und finden , dass der Slogan in der Kombination mit »kein mensch ist illegal« eine sinnvolle Provokation darstellt. Aber es geht letztlich nicht um den Slogan, sondern um die Frage der Perspektiven. So war uns wichtig, darauf hinzuweisen, dass Migrationspolitik auch und gerade als Reaktion auf die selbstbestimmte Mobilität der Migrantinnen und Migranten zu begreifen ist. Den Kampf um die Nullmigration haben die EU-Staaten verloren, das haben selbst Leute wie der EU-Kommissar Antonio Vittorino zugestanden, und die jetzige Politik gleicht einer Reihe von Versuchen zu regulieren, was nicht verhindert werden kann. Das Ziel ist, die europäische Migrationspolitik von unterschiedlichen Ausgangspunkten her zu vereinheitlichen. Die Greencard für IT-Experten war nun in Deutschland ein erster Versuch, weitere Wege der geregelten Arbeitsmigration zu finden. Die seit Anfang dieses Jahres gültige Regelung für Pflegekräfte ist ein Beispiel, in welche Richtung das weitergehen kann. Deren Quasi-Legalisierung zeigt, dass es um weit mehr als nur den IT-Bereich geht, nämlich auch um schlecht bezahlte Arbeit für geringer Qualifizierte. Anerkannt wird jetzt eine seit Jahren bestehende Situation: Frauen aus Osteuropa, die als Touristinnen eingereist sind, suchen ein Einkommen und finden es im Bereich der Pflegedienste. In Deutschland, wo durch Razzien und Abschiebungen versucht wurde, diese Praxis zu unterbinden, wird nun mit einer Ausnahmeverordnung zum Anwerbestopp reagiert. Das Ganze zielt also auf eine neue Art der Rotationsmigration, auch wenn die Jobs auf drei Jahre begrenzt sein sollen und die Regelung auf Personen aus den osteuropäischen EU-Assoziationsstaaten beschränkt ist. Gleichwohl ist längst nicht ausgemacht, wie die Frauen aus Osteuropa das für sich nutzen können und werden. Die Regulierungsversuche sind immer wieder an den Subjekten selbst gescheitert. Auch das alte Regime, der Mythos vom »Gastarbeiter«, der nach getaner Arbeit zurückkehrt, ist daran gescheitert, dass die Leute sich durchgesetzt haben und geblieben sind. Die Regulierungsversuche scheitern an der Autonomie der Migration. Als vor fünf Jahren die Kampagne »kein mensch ist illegal« begann, ging es vor allem um den Schutz hier lebender illegalisierter Flüchtlinge und MigrantInnen. Ist die Kampagne dadurch auf eine humanitäre Orientierung festgelegt? Der »radikale Menschenrechtsstandpunkt«, wie das manchmal genannt wurde, ist der Ausgangssituation in den neunziger Jahren geschuldet. Sozialrevolutionäre Ansätze der Migrations- und Flüchtlingspolitik, wie es sie in den Achtzigern gab und die auch wir damals verfolgten, sind inzwischen versandet. Die rassistische Eskalation zwang in die Defensive, der notwendige Schutz der Betroffenen und die Verteidigung noch bestehender Rechte standen immer mehr im Vordergrund. Gesetzesverschärfungen, die faktische Abschaffung des Asylrechts und eine stete Steigerung der Abschiebezahlen bestimmten die staatliche Politik. Trotz dieser Orientierung, politisch vor allem gegen Abschiebungen zu mobilisieren, war die Kampagne insgesamt offener und offensiver angelegt. Es ging darum, die ganze Illegalisierungspolitik anzugreifen, die selbstbestimmte Einreise und den Aufenthalt zu rechtfertigen, weiterzuhelfen, Wohnung oder medizinische Versorgung zu organisieren, und das alles in einem breiten Bündnis. Die Kampagne war insofern notwendig und hat ja auch einiges in Gang gesetzt. Wir hatten damals das Beispiel der Sans papiers vor Augen, die Inspiration, die zu der Zeit aus Frankreich kam, tausende von Leute ohne Papiere, die ihre Rechte einforderten. Mit Madjiguène Cissé, einer Vertreterin der Bewegung der Sans papiers aus Paris, organisierte »kein mensch ist illegal« eine Rundreise. Es war der Versuch, Möglichkeiten zu sondieren und den Raum zu öffnen, um gemeinsam mit Selbstorganisierungsansätzen von Flüchtlingen und MigrantInnen hierzulande eine Öffentlichkeit und eine Gegenbewegung zu schaffen. Bekannt ist »kein mensch ist illegal« vor allem durch Kampagnen in der Kampagne, also etwa die »Deportation Class«-Kampagne gegen Lufthansa und andere Fluggesellschaften, die an Abschiebeflügen beteiligt sind. Gerade diese Kampagne ist sicherlich erfolgreich, aber was bedeutet das für die weitere Orientierung? Verlängert der Erfolg den »radikalen Menschenrechtsstandpunkt«? »Stop Deportation Class« war eine Imageverschmutzungskampagne, die gegen die Fluggesellschaften als »schwächste Glieder« in der Abschiebekette gerichtet war. Mit verschiedenen Aktionen, wie der Online-Demo, mit der im Sommer der Internetzugang bei Lufthansa zeitweilig blockiert wurde, gelang es, immer wieder Öffentlichkeit zu schaffen, die natürlich auf die Thematisierung der Abschiebungen begrenzt war. Doch war die Antiabschiebekampagne nicht nur medial erfolgreich. Die Kampagne brachte die Lufthansa mehrfach in die Defensive und dazu, zumindest die brutalsten Abschiebungen nicht mehr durchzuführen. Ein kleiner Sieg wurde auch gegen Tarom erzielt, die rumänische Fluglinie, die viele Jahre für den Bundesgrenzschutz Abschiebecharter geflogen hatte. Nach den ersten Aktionen, Go-ins in den Büros in Düsseldorf, Frankfurt und Berlin, stornierte das Tarom-Management seine Charterverträge mit dem BGS. Es gelingt also schon, Sand ins Getriebe der Abschiebemaschinerie zu streuen, und das war und bleibt auch in Zukunft eine Aufgabe antirassistischer Politik. In dem Kontext bewegte sich auch das Grenzcamp in Frankfurt im vergangenen Jahr. Das Camp hatte sich ja schon in den Jahren zuvor zu einem wichtigen Treffpunkt und Aktionsraum entwickelt. Das konnte in Frankfurt dann noch mal gesteigert werden. So brachten Aktionen gegen Abschiebung und Internierung rund um den Frankfurter Flughafen die Betreibergesellschaft Fraport mehrmals dazu, die Terminals für Besucher komplett zu sperren und damit dem deutschen Abschiebeflughafen Nummer eins ein öffentlichkeitswirksames Chaos zu bescheren. Trotzdem stellt sich die Frage, wie Kampagnen und Initiativen auf soziale Konflikte bezogen werden können, also über die eher moralischen oder humanitären Begründungen hinauskommen. In einigen Aktionen deuten sich bereits verschiedene Verbindungen an, um etwa den Zusammenhang von Migration und Arbeit besser zu thematisieren oder Verknüpfungen mit Globalisierungsthemen herzustellen. Statt dass einzelne Projekte und Initiativen wie bisher einfach nur nebeneinander stehen, wäre eine stärker perspektivische Diskussion jetzt notwendig. Wie könnten solche Verbindungen hergestellt werden? Im Herbst vergangenen Jahres hat »jeder mensch ist ein experte« eine Rundreise organisiert, auf der Vertreterinnen zweier Organisierungsansätze aus den USA von ihren Erfahrungen berichtet haben: Valery Rey Alzaga von der Gewerkschaft Seiu, die Reinigungs- und Dienstleistungskräfte - so genannte Janitors - organisiert, und Kimi Lee aus einem Garment Worker Center, einer Selbstorganisation von Textilarbeiterinnen. Diese Erfahrungen zeigen exemplarisch, wie sich Kämpfe von Migrantinnen und Migranten im Niedriglohnbereich mit der Forderung nach Legalisierung in einem multiethnischen Organisierungsprozess verbinden, wie sozialer Widerstand sich kombiniert mit Antirassismus. Das lässt sich natürlich nicht einfach auf hiesige Verhältnisse übertragen. Doch die Forderungen nach gleichen Rechten in einer multiethnischen Organisierung auf die Tagesordnung zu setzen, sehen wir jedenfalls als perspektivische Herausforderung. Die Kampagne der Janitors und der Garment Workers macht auch den Zusammenhang von Globalisierung und Migration deutlich: Die Freiheit der Migration, die Bewegungsfreiheit ist ein soziales Recht gegen die Ausbeutungshierarchien in der Globalisierung. Und darin läge die Brisanz? Die Brisanz oder die Perspektive wären die Verbindungslinien oder Schnittstellen, die hier angelegt sind. Zwischen Arbeit, Migration und der Legalisierungsforderung ergeben sich ganz andere, viel umfassendere Verknüpfungen. Es muss um eine sozial geerdete Perspektive antirassistischer Politik gehen, die eine Internationalisierung ohne Wenn und Aber zum Ausgangspunkt hat. Geht die Vorbereitung des europäischen Grenzcamps in Strasbourg, an der ihr euch beteiligt, in diese Richtung? Ja, mit Strasbourg bemühen wir uns sozusagen um eine neue Stufe internationaler Zusammenarbeit. Die Zusammensetzung der vorbereitenden Gruppen lässt hoffen, dass dies auch klappt. Denn die reicht in Frankreich von lokalen antirassistischen Gruppen, der Kampagne gegen Abschiebungen (CAE) und der MigrantInnenbewegung MIB bis zum Hausbesetzernetzwerk Sans titre. Dazu kommen europaweit AktivistInnen wie die Wiener Volxtheaterkarawane oder aus England so unterschiedliche Initiativen wie die Koordination Barbed Wire gegen Abschiebehaft und Street Carnival Sambagruppen. Das Camp ist als Fortsetzung der Grenzcampkette vom vergangenen Jahr gedacht, die sich von Spanien bis Slowenien und Polen, über die Demonstrationen in Genua bis nach Frankfurt zog. Strasbourg wird außerdem unmittelbar an das Camp im thüringischen Jena anschließen, das die Flüchtlingsorganisation The Voice vorschlägt. Dieses Camp soll vor allem die alltägliche Ausgrenzung von Flüchtlingen thematisieren, deren Lebenssituation in den Lagern und die ständigen rassistischen Kontrollen auf der Grundlage der so genannten Residenzpflicht, die ihnen die Bewegungsfreiheit verwehrt. Diesen Protest wollen sie dann auch weiter direkt vor den europäischen Gerichtshof in Strasbourg tragen. Aber auf Strasbourg fiel die Wahl für das Camp nicht wegen dieses Gerichts oder wegen des Europaparlaments. Vielmehr ist hier eine der zentralen Institutionen des europäischen Abschieberegimes untergebracht: das Schengen-Informationssystem (SIS) als die erste supranationale Fahndungsdatei, die sich in erster Linie gegen illegalisierte MigrantInnen richtet und damit ein konkretes Symbol des europäischen Grenzregimes darstellt. Thematisch soll das Strasbourg-Camp über Fragen des repressiven Grenzregimes hinausgehen. Mit »noborder meets peoplesí global action« ist ein Schwerpunkt überschrieben, in dem es nicht nur theoretisch um das Verhältnis von Globalisierung und Migration gehen soll. Und zum Komplex Migration und Arbeit werden wir wieder Gäste aus den USA einladen und die genannten Diskussionsansätze weiterzuentwickeln versuchen. Hier tauchen jetzt aber zwei Ebenen auf. Zum einen gibt es den Anspruch, in den alltäglichen Konflikten und Auseinandersetzungen Formen der Selbstorganisierung zu finden. Und gleichzeitig steht man vor dem Problem, sich supranational zu organisieren, da es letztlich um ein europäisches Grenzregime geht. Die Initiativen, die Camps und Mobilisierungen weisen in die zweite Richtung. Das erscheint zunächst als Widerspruch. Aber der Impuls, der von den Sans papiers ausging, die Impulse der Janitor-Veranstaltungsreihe oder auch die Impulse, die wir uns von dem Austausch, von der stärkeren Vernetzung und internationalen Zusammenarbeit in Strasbourg erhoffen, haben doch sicher Einfluss auf regionale und lokale Projekte. Das löst natürlich nicht das Problem, wie sich das in unseren Alltag übersetzt. Den Erfahrungen aus Frankreich oder den USA entsprechende Selbstorganisierungsansätze von Illegalen finden sich hier zunächst so nicht, das ist die Lücke, die schon bei der Gründung von »kein mensch ist illegal« bestand. Was bleibt, ist also zunächst weiter der Austausch zwischen verschiedenen Milieus, es bleibt ein »sozialer Suchprozess«, wie das mal richtig genannt wurde. Die beiden Seiten sehen wir jedenfalls nicht im Widerspruch, als Gegensatz, sondern sie ergänzen einander.
Das Gespräch führten Thomas Atzert und Jost Müller. |
05.05.2002 |