kassiber-Gespräch rund um die Camps im Sommer
von kassiber - 05.07.2002 17:00
...durchaus auch revolutionär gestimmte antirassistische Grundhaltung
Der Sommer 2002 hat reise- und diskussionsfreudigen wie aktionshungrigen Linken, AntirassistInnen sowie Feministinnen einiges zu bieten. Vier interessante Camps, die um ein überschaubares Klientel buhlen. Welche Zeit und Muße haben und sich nicht scheuen, in diesen Breitengraden einigen Wochen im Zelt zuzubringen, können aber durchaus alle mitnehmen: Zunächst das 5. Antirassistische Grenzcamp in Jena (12.-19. Juli), direkt anschließend das Sans frontières Camp in Strasbourg (19.-28. Juli), nach einer Woche Verschnaufpause das Crossover Summer Camp in Cottbus (3.-10. August) und abschließend die Land-in-Sicht-Tage in Hamburg (16.-22. August).
Während Cottbus und Strasbourg eher als “Zusatzangebote”
gehandelt werden, sind Jena und Hamburg Ergebnis eines Streits in der
deutsch-weißen autonomen antirassistischen Linken, der Ende vergangenen
Jahres eskalierte und schließlich zur Trennung führte. Nicht mehr -
wie in den vergangenen Jahren - ein großes, gemeinsames
Antirassistisches Grenzcamp wird es geben, vielmehr treten vor allem diese
beiden VeranstalterInnen in Konkurrenz zueinander. Mußte es soweit
kommen? Was waren die Gründe? Was unterscheidet die Camps? Werden deutsche
weiße AntirassistInnen von Flüchtlingen instrumentalisiert oder eher
umgekehrt? Oder stimmt beides so nicht?
Diese und andere Fragen zu diskutieren, hatte die kassiber-Redaktion
Anfang Juni VertreterInnen der Camps in Jena, Hamburg und Cottbus nach Bremen
eingeladen. Mit am Tisch saßen außerdem die LibaSoli-Kampagne gegen
die Abschiebung von rund 500 staatenlosen kurdischen LibanesInnen aus Bremen,
die aufgrund ihrer erfolgreichen Arbeit inzwischen bundesweite Publizität
erfahren hat, sowie die Karawane für die Rechte der Flüchtlinge und
MigrantInnen, die am 17. August in Bremen startet und am 21. September, einen
Tag vor der Bundestagswahl, in Berlin ankommen wird.
Mit dabei waren: Kalle und Charlotte (die allerdings nur kurzzeitig anwesend
sein konnte) für die LibaSoli-Kampagne, Alfons und Paula für das
Crossover Summer Camp, Grete für die Land-in-Sicht-Tage, Gregor für
das Antirassistische Grenzcamp und Debjani für die Karawane. Mit Ausnahme
der Letztgenannte heißen alle Beteiligten - wie üblich - ganz anders
und legen Wert darauf, nicht offizielle SprecherInnen “ihres”
Projekts zu sein, im Zweifelsfall also ihre persönliche Meinung vertreten
zu haben. Moderiert wurde das Gespräch von einem Mann und einer Frau aus
der kassiber-Redaktion.
kassiber: Stellt Euch und die Gruppen, in denen Ihr arbeitet, doch erst
mal kurz vor.
Kalle: Die LibaSoli-Kampagne wurde vor zweieinhalb Jahren gestartet,
weil damals eine große Gruppe, nämlich rund 500 kurdische
LibanesInnen, einer mächtigen Diffamierungskampagne seitens des Bremer
Innensenators ausgesetzt wurde. Verschiedene klassische Antira-Gruppen und
Flüchtlingsunterstützungsgruppen haben sich da bald eingeklinkt und
mit Aktionen, Demonstrationen, Eingaben, Pressearbeit - jeweils zusammen mit
einem Teil der Betroffenen - erst einmal versucht, dieses krude Bild in der
Öffentlichkeit von den 500 in “mafiaartigen” Strukturen
organisierten “Asylbetrügern” und “Scheinasylanten”
geradezurücken.
Was die LibaSoli-Kampagne heute für mich und Leute, mit denen ich
zusammenarbeite, ausmacht, ist, die Verbindung von autonomer, linksradikaler
Politik mit einer klassischen antirassistischen Soli- und
Unterstützungsarbeit für MigrantInnen zu versuchen - erst einmal auf
eine Stadt, nämlich Bremen, bezogen. Den Charme und die Macht dieser
Kampagne macht auf jeden Fall aus, daß es, zwar nicht besonders stark,
aber dennoch Verbindungslinien gibt zu Resten der linksliberalen
Öffentlichkeit und UnterstützerInnen aus dem bürgerlichen
Spektrum, seien es LehrerInnen, ArbeitskollegInnen, ein paar
GewerkschafterInnen oder Leute aus der Kirche. Mittlerweile, vor allem dieses
Jahr, ist daraus - für die linke Szene gesprochen - der erst einmal
relativ erfolgreiche Versuch geworden, mit direkten Aktionen in das
reibungslose Ablaufen einer Abschiebemaschinerie einzugreifen. Also mal wieder
Punkte zu haben, wo konkret Sachen verändert werden können. Das
läuft aber immer parallel zur Pressearbeit, zur klassischen Soli- und
Unterstützungsarbeit für die Betroffenen, zur rechtlichen Beratung
etc.
Aber letztlich ist für mich der Kern, diese beiden Seiten, die durchaus
auch revolutionär gestimmte antirassistische Grundhaltung, die immer mehr
meint als die konkreten Einzelfälle, um die es eben im Tagesgeschehen
geht, mit einem konkreten Subjekt, sprich: den Betroffenen selbst,
zusammenzubringen, zu versuchen, sich aneinander zu reiben und gegenseitige
Erfahrungen zu machen.
Charlotte: Seit ungefähr einem Jahr gibt es in der
LibaSoli-Kampagne auch ein zusätzliches Frauentreffen, weil im ersten Jahr
der Kampagne die Treffen mit den kurdischen LibanesInnen, zumindest von
libanesischer Seite, eigentlich nur von Männern besucht wurden. Durch
diese Treffen hat es noch mal eine andere Verknüpfung auch in den Bereich
der autonomen FrauenLesben-Szene gegeben.
Alfons: Das Crossover-Summer-Camp-Projekt ist im Sommer 2000 entstanden,
ursprünglich aus der Unzufriedenheit mit der mangelnden Thematisierung von
Sexismus bzw. der Unterbelichtung feministischer Inhalte in antirassistischer
Politik. Es haben sich dann Leute, die mit der Organisierung des
antirassistischen Grenzcamps zu tun hatten, mit Leuten, die damit gar nichts zu
schaffen hatten, zusammengefunden, um ein Projekt zu machen, das den Widerstand
gegen verschiedene Herrschaftsverhältnisse in ihrem Zusammenhang
zusammenbringen wollte. Im ersten Schritt ging es um den Zusammenhang von
Rassismus, Sexismus und Antisemitismus, zu versuchen, diese Verhältnisse
erstmals in ihrem Zusammenhang denken zu können.
Als wir festgestellt haben, daß unsere Gruppe relativ klein geblieben war
und relativ homogen - im Sinne von weiß, deutsch-dominiert -, haben wir
unser ursprüngliches Projekt Summer Camp 2001 aufgegeben und uns darauf
verlegt, die Crossover-Conference im Januar 2002 in Bremen zu organisieren. Die
war, für uns etwas unerwartet, mit rund 500 TeilnehmerInnen
zahlenmäßig ein ziemlicher Erfolg. Dort fand sich eine Mischung aus
Queers, linksradikalen Frauen/Lesben-Zusammenhängen, deutschen
antirassistischen und anderen linksradikalen Zusammenhängen zusammen. Es
gab auch einen gewissen Anteil von migrantischen Leute, die da waren, insgesamt
waren 20 Prozent der BesucherInnen nicht aus Deutschland, insofern war es eine
internationale Veranstaltung.
Auf der Crossover-Conference hat sich dann die Vorbereitungsgruppe für das
Summer Camp mehr oder weniger ausgetauscht und ist jetzt ein internationales
polnisch-englisch-deutsches Netz mit einer größeren Anzahl von
Deutschen.
Debjani: Die Karawane für die Rechte der Flüchtlinge und
MigrantInnen ist 1998 im Zusammenhang mit dem Widerstand gegen die
Verschärfung des Asylbewerberleistungsgesetzes entstanden. Damals zog die
Karawane durch 45 deutsche Städte. Es ging darum, dem Gefühl von
Hoffnungslosigkeit, von Machtlosigkeit, das in Deutschland zu herrschen schien,
etwas entgegenzusetzen, uns einen öffentlichen Raum zu nehmen, den
eklatanten Rassismus, in Form von staatlichem Rassismus, der für die
Mehrheitsgesellschaft unsichtbar war, in der Öffentlichkeit zur Sprache zu
bringen. Deshalb gingen wir mit der Parole “Wir haben keine Wahl, aber wir
haben eine Stimme!” wir auf die Straße.
Sehr schnell war ein sehr wichtiger Schwerpunkt der Kampf gegen Abschiebungen,
weil es einfach darum ging, unsere Mitglieder nicht zu verlieren. Von
Abschiebung bedroht waren auch zentrale AktivistInnen, wodurch unsere
Alltagsarbeit nicht mehr gesichert war, weil nie klar war, wie lange
MitstreiterInnen noch beteiligt sein würden.
Von Anfang an ging es um den Kampf gegen die Illegalisierung. Eine sehr
rassistische Illegalisierung, die fast jede/n von uns trifft und sehr
vielschichtig ist: durch die Residenzpflicht, durch die Kriminalisierung mit
Gesetzen, die nur für Schwarze oder Nicht-Deutsche gelten, und
letztendlich durch die Abschiebungen. Aber auch Organisationen, die im
Karawane-Bündnis vertreten sind. Und von Anfang an sind die verschiedenen
Länder, aus denen wir kommen, in unseren Analysen und Forderungen zum
Ausdruck gebracht worden: die Fluchtursachen, die Gründe, warum Menschen
hier sind, die Beziehungen zwischen Deutschland und diesen Ländern, die
Rolle der multinationalen Gesellschaften, die Plünderungen und die Kriege
in Nigeria, in Westafrika, in Kurdistan, Sri Lanka oder Nepal.
Was als Bündnis von Flüchtlingen, MigrantInnen und deutschen
Antirassismus-Gruppen anfing, hat sich in vielerlei Hinsicht bewegt, und heute
ist die Karawane ein sehr starker Flüchtlingsrechtszusammenhang. Für
die Flüchtlinge und MigrantInnen war es sehr wichtig, den Kampf in
Deutschland nicht nur als einen Kampf für das Bleiberecht in Deutschland
zu sehen, sondern das auch mit dem in den Ländern, woher wir kamen, zu
verknüpfen. Also nach dem Motto “Es geht nicht nur um das Recht, hier
zu leben, sondern auch um das Recht, in unseren eigenen Ländern, zu
leben”. Und wir werden uns auf keinen Fall ausschließlich mit dem
Recht, hier zu sein, begnügen, auf Kosten der Menschen in diesen
Ländern, auf Kosten einer fortgesetzten Ausbeutung der Länder, aus
denen wir kommen.
Auf einem der Karawane-Nachbereitungstreffen gab es ein Auseinandergehen, weil
einige deutsche antirassistische Gruppen, die eine sehr zentrale Rolle in der
Vorbereitung und Durchführung der Karawane hatten, das als eine sehr
rückschrittliche Position sahen. Sie haben sich mehr an den Erfahrungen
vergleichbarer Sans-papier-Bewegungen, z.B. in Frankreich, orientiert. Und den
Vorschlag gemacht, daß wir jetzt zu einem weiteren Schritt über
gehen und uns auf den neuen Slogan “Wir bleiben hier” einigen
sollten, weil das einfach radikaler wäre. Aber das ist im
Karawane-Bündnis mehrheitlich als nicht richtig gesehen worden.
Ich sehe einen sehr großen Unterschied zwischen der Karawane und der
deutschen radikalen Linken oder Flüchtlingsunterstützungsgruppen, was
die Wichtigkeit dieses internationalen Zusammenhangs angeht. Die
Flüchtlinge tragen immer einen doppelte Geschichte in sich, die die
unterschiedliche Erfahrung mit sich bringt.
Grete: Die Land-in-Sicht-Tage sind dadurch entstanden, daß einige
Leute, die in den letzten Jahren viel an der Organisation des Antirassistischen
Grenzcamps mitgewirkt haben, mit verschiedenen Dingen im Ablauf der Grenzcamps
unzufrieden waren. Insbesondere damit, wie das letztes Jahr in Frankfurt/Main
gelaufen ist und dabei vor allem auch damit, daß das Camp in Frankfurt
von vielen Leuten als ein erfolgsorientierter “Massen-Event”
begriffen wurde. Aber Versuche, sich untereinander zu organisieren und
miteinander zu diskutieren, für ein paar Tage zusammen zu leben und auch
einen Alltag zu organisieren - und daraus vielleicht auch eine politische
Perspektive zu entwickeln - sind viel zu kurz gekommen. Neben anderen
Differenzen hat das dann dazu geführt, zu sagen: Wir versuchen einfach mal
was Kleineres, ohne außenpolitischen Erfolgsdruck sozusagen. Wir
versuchen, nächstes Jahr ein Camp zu machen, wo es viel darum geht, wie
wir selbst miteinander reden und uns organisieren, um unseren Umgang
miteinander. Wir versuchen das mal, laden ein, und wenn es dann Interesse gibt,
dann machen wir das, und wenn nicht, dann eben nicht.
Und es hat sich gezeigt, daß es ein Interesse dafür gibt. So ist das
Projekt “Land in Sicht” entstanden, das im August in Hamburg
stattfindet, ein Camp, das sich nicht primär antirassistisch begreift. Das
ist also keine Abspaltung vom Antirassistischen Grenzcamp, sondern eine eigene
Sache.
Wir wollen eher eine binnenpolitische Wirkung, das Camp zielt weniger auf
spektakuläre Außenerfolge ab. In den Vorbereitungsdiskussionen haben
sich vor allem die Ausgrenzung von Menschen und die autoritäre Formierung
der Gesellschaft als thematische Schwerpunkte herausgeschält. In Hamburg
mit Schill ist natürlich auch der Rechtspopulismus ein brandaktuelles
Thema. Antirassismus hat natürlich einen Ort darin und muß ihn auch
haben, aber die Vorbereitenden des Camps legen unterschiedliches Gewicht
darauf, welche Bedeutung eine antirassistische Perspektive für das, was
wir da versuchen, überhaupt hat. Man kann daher nicht sagen: “Bei
Land-in-Sicht ist das so und so...”
“Ausgrenzung in der Stadt” trifft natürlich in hohem Maße
auch MigrantInnen, aber eben nicht nur Flüchtlinge. Das ist auch etwas,
was unserer Meinung nach in den bisherigen Grenzcamps etwas zu kurz gekommen
ist, daß nämlich Migrantinnen gar nicht nur Flüchtlinge sind.
Gregor: 1998 haben die Grenzcamps begonnen, damals mit zwei Camps: ein
FrauenLesben-Grenzcamp in Görlitz und ein gemischtes Grenzcamp in
Rothenburg. Initiiert wurde das von einem Mix eher radikaler weißer
autonomer Linker und, sagen wir mal, autonom orientierten AntirassistInnen. Das
FrauenLesben-Camp hat es dann nicht noch einmal gegeben, aber noch drei weitere
gemischte Camps: zwei an der sogenannten Ostgrenze, eins am Flughafen
Frankfurt/Main.
Was die Organisierung betrifft, ist wichtig, und da liegt auch der Unterschied
zu beispielsweise LibaSoli oder zur Karawane, daß die beiden ersten
Grenzcamps ausschließlich aus weißen Zusammenhängen
hervorgegangen sind. Auf dem zweiten Camp in Zittau sind dann erstmals auch
Flüchtlinge dazu gestoßen, damals gleich schon in Gestalt von
“The Voice”. Es gab da nur wenige nicht organisierte
Flüchtlinge, daneben die paar MigrantInnen und noch viel weniger
Flüchtlinge, die innerhalb der deutsch-weiß dominierten radikalen
Linken “sowieso” mit an Bord waren. “The Voice” und
später auch die Brandenburger Flüchtlingsinitiative sowie einige
andere Zusammenhänge sind also immer auch dabeigewesen - das ist
vielleicht das beste Wort dafür. Aber immer nur am Rande, nie haben sie
eine zentralere, gleichberechtigtere Rolle gespielt - sowohl was die Anzahl der
Leute betrifft als auch in Bezug auf die Verantwortungsübernahme.
Was es aber vor allem nicht gegeben hat, war eine intensive Auseinandersetzung,
wie diese Antirassistischen Grenzcamps überhaupt vorbereitet werden
sollen: Mehrheitlich weiß-deutsch dominiert? Mit gezielter Kooperation?
Es gab Ansätze zu solchen Diskussionen, die sind aber nie fortgeführt
worden.
Das hat nach dem letztjährigen Grenzcamp in Frankfurt unter anderem
seitens der Brandenburger Flüchtlingsinitiative zu einer recht harschen
Kritik geführt: Es waren zwar immer etwa 40 Flüchtlinge dabei, die
haben aber immer an einer bestimmten Stelle zusammen gezeltet, haben ihre
Sachen gemacht, Ausstellungstafeln gezeigt, einzelne Veranstaltungen gemacht,
beim Essen hat sich’s aber auch immer schön separiert - zugespitzt:
Hier läuft was nicht richtig, wenn auf einem Antirassistischen Grenzcamp
die in der Gesamtgesellschaft üblichen Trennungen und Separierungen auf
gewisse Weise reproduziert werden. Es wurde auch kritisiert, daß auf den
Camps eher so ein karitativer Flüchtlings-Unterstützungsgeist
herrsche. So haben die Flüchtlinge immer mindestens eine Aktion gemacht.
Die wurde dann sehr unterstützt, aber vorher hieß es auch immer:
“Hey, macht keine anderen Aktionen, morgen ist ‚The
Voice’-Demo!” und so.
Richtig krude wurde es aber erst auf dem Frankfurter Grenzcamp, als es die Idee
gab, Leute aus einem nahegelegenen Flüchtlingsheim auf die Campwiese zu
holen. Das ist dann auch passiert. Ständig sind Autos hingefahren, haben
ein paar Leute abgeholt. Aber bestenfalls haben ein paar einzelne dann auch
wirklich was mit den Flüchtlingen gemacht, haben denen erzählt, was
das Camp überhaupt ist. Viele sind aber, ohne sprachlich etwas zu
verstehen, zwei, drei Stunden über die Campwiese gestolpert und waren
danach mehr oder weniger froh, wieder zurückzufahren. Das wurde von der
Brandenburger Flüchtlingsinitiative aufgezeigt als Beispiel dafür,
wie es nicht laufen sollte.
Im Anschluß an das Frankfurter Camp gab es für die Frage, wo das
fünfte Antirassistische Grenzcamp stattfinden soll, zwei Vorschläge:
Jena und Hamburg. Jena war zuerst da, dafür haben sich vor allem “The
Voice” und die Brandenburger Flüchtlingsinitiative
“beworben”. Nach heftigen Debatten wurde sich dann für Jena
entschieden. Ich will grad nicht versuchen, die zum Teil sehr eskalative
Debatte zu schildern, in deren Zuge es zu einer Spaltung im
Vorbereitungszusammenhang gekommen ist. Ich will lediglich noch zusammenfassen,
welche Gründe für Jena vorgebracht wurden. Erstens wurde
argumentiert, daß deutsche Weiße mehr Ressourcen haben, mehr
Möglichkeiten, mehr Geld, mehr Zeit, mehr Bewegungsfreiheit etc., und
Flüchtlingsselbstorganisation unterstützt werden muß. Das ist
vielleicht das traditionellste Motiv gewesen.
Der zweite Grund, der für wesentlich mehr Leute eine wichtige Rolle
gespielt hat, ist das Anti-Residenzpflicht-Motto “Freedom of
movement”. Das verstehen viele in einer revolutionären Perspektive;
die Anti-Residenzpflicht-Kampagne bedeutet eben nicht nur, daß dafür
gekämpft wird, daß Flüchtlinge ihren Landkreis verlassen
dürfen, sondern auch, daß in einer Welt, in der weltweit das Kapital
fließen darf und die BewohnerInnen des Nordens hingehen dürfen,
wohin sie wollen (umgekehrt aber nicht), das Recht auf totale Bewegungsfreiheit
der Menschen weltweit gefordert wird. Insofern meint das auch die Aneignung des
Wohlstandes im “Norden” durch die Menschen aus dem
“Süden” durch die Niederreißen der Nationalstaaten.
Das dritte Argument war, daß die deutschen linksradikalen
Zusammenhänge mehrheitlich deutsch-weiß dominiert sind und daß
das kein Zufall ist, sondern Effekt rassistischer Ein- und
Ausschlußmechanismen. Gar nicht im Sinne davon, daß deutsche
weiße Linke so rassistisch wären, daß sie Flüchtlinge und
MigrantInnen einfach nicht wollten und ausschließen würden, sondern
eher im Sinne davon, daß Flüchtlinge, MigrantInnen und deutsche
Weiße zum Teil sehr unterschiedlichen sozialen Bedingungen unterliegen -
sei es durch staatlich-politischen Rassismus, sei es durch gesellschaftlichen
Rassismus, Rassismus in der Ökonomie, im Ausbildungssektor usw. - und
daß diese unterschiedlichen Bedingungen letztendlich dazu führen,
daß mensch an ganz vielen Stellen sich gar nicht trifft, sich fremd
bleibt, daß bestimmte Kooperationsprozesse gar nicht zustande kommen
können.
Grete: Zu der Entscheidungsfindung in Göttingen möchte ich
gern noch mal was sagen: Für Hamburg sprach aus der Sicht der Leute, die
das favorisierten, daß es gute Erfahrungen damit gab, mal aus diesem
kleinstädtischen Grenzbereich wegzukommen und in eine größere
Stadt zu gehen. In diesem Sinne wurde Jena von vielen, die schon lange dabei
waren, eher als ein Schritt zurück aufgefaßt. Was man an Hamburg -
wie schon an Frankfurt - ganz gut zeigen kann ist, daß Grenzen kein
Problem von “normalen” Außengrenzen sind, sondern daß es
eben diese Schengen-Außengrenzen gibt, die sich mitten im Land
befinden.
Es gab dann Antira-Gruppen in Hamburg, die gesagt haben, sie finden das ganz
doof, das in Hamburg zu machen, denn das würde sie in ihrer Arbeit
behindern, also eher zurückwerfen als förderlich sein. Das war dann
ein Grund, weswegen in Göttingen gesagt wurde, in Hamburg können wir
das nicht machen, obwohl zu diesem Zeitpunkt die Mehrheit der Anwesenden
Hamburg favorisierte. Insgesamt ist die Form der Entscheidung etwas
unglücklich gewesen sind, und daraus hat sich ja dann auch ein
größerer Krach entwickelt.
Der politische Streit, der da dranhängt, ist auch - und du hast das ja
gerade eben angedeutet: Wenn die Flüchtlinge sagen: “Wir wollen aber
unbedingt Jena!”, muß man dann sagen: “Ja, dann wollen wir auch
unbedingt Jena!”, also darf man nicht dagegen sein, bloß weil die
Flüchtlinge das wollen?
Debjani: Das ist nach meiner Erfahrung nie der Fall gewesen. Von der
Karawane haben sich die weißen Deutschen zurückgezogen mit der
Begründung, daß die Politik, die von der Karawane gemacht wird, eine
falsche Politik ist. Ich kenne keinen Fall, wo so eine Bevormundungspolitik, so
ein Selbstbevormundungsvorsatz seitens der deutschen Antira-FreundInnen der
Karawane da war.
Gregor: Ich hatte eben drei Gründe aufgezählt, warum nach Jena
gegangen wird, und da ist allenfalls der erste Grund so ein
Flüchtlings-Unterstützungsteil, also die Orientierung daran, was die
Flüchtlinge sagen. Der zweite und dritte Grund sind aber anders.
“Freedom of movement” ist eine revolutionäre Forderung im
weitesten Sinne, das ist etwas, wo deutsche weiße antirassistische
Linksradikale gesagt haben, daß das an ein eigenes Verständnis
globaler Zusammenhänge anschließt, und deshalb wollen sie mit
Flüchtlingen und MigrantInnen zusammen etwas in Jena machen. Und das
dritte Argument, aktiv rassistische Ein- und Ausschlußmechanismen zu
bekämpfen, fällt erst recht nicht unter die Perspektive “Tun,
was die Flüchtlinge machen/vorschlagen”. Das ist eher ein
dekonstruktiv-postkoloniales Argument, um das mal mit aufgebauschten Worten zu
sagen, wo es darum geht, die Grundlage, weshalb es überhaupt
Flüchtlinge, MigrantInnen und deutsche Weiße gibt, anzugreifen. Und
das gehört zu meinem ganz ausdrücklichen antirassistischen
Selbstverständnis.
Auch die Flüchtlinge sagen ganz eindeutig, sie wollen nicht zum Objekt von
Unterstützungsarbeit gemacht werden und paternalistische
Unterstützung bekommen, sie wollen als politisches Subjekt
gleichberechtigt ernst- und wahrgenommen werden. Und wenn es Streit gibt,
wollen sie sich auch streiten und nicht, daß ihnen die deutschen Antiras
den Streit mit irgendeiner Unterwerfungsgeste sozusagen ersparen.
Grete: Aber was macht man, wenn man politischen Dissens hat? Wie zum
Beispiel mit “The Voice”, der bei ganz vielen Leuten einfach da ist.
Sagt man dann: “Was du jetzt hier willst, das ist nicht mein politisches
Ziel” und zieht sich dann da raus? Und reproduziert man damit nicht wieder
diese Trennung? Das sehe ich als das zentrale und völlig ungelöste
Problem der ganzen Sache an. Denn man möchte doch politischen Dissens
haben dürfen, der sich nicht darauf reduzieren läßt, daß
man dann wieder Ausschlußmechanismen reproduziert. Was aber andererseits
auch nicht völlig von der Hand zu weisen ist.
Dann kommt natürlich noch dazu, daß es nach meinem Verständnis
“The Voice” nicht darum geht, ein gemeinsames politisches Projekt zu
entwickeln, sondern die deutschen Antiras in gewissem Sinne zu
funktionalisieren. “The Voice” selbst hat relativ wenig Interesse
daran, ihrerseits mit Deutschen zusammenzuarbeiten und darin auch die eigenen
Positionen zu hinterfragen. Das ist ihr gutes Recht, aber in all den
Auseinandersetzungen, die es im Laufe der letzten Jahre gab, konnte man doch
sehr wenig Offenheit feststellen, auf andere Positionen wirklich einzugehen.
Wenn man - mal zugespitzt formuliert - davon ausgeht, daß der Versuch,
Trennungen zwischen MigrantInnen und Deutschen zu überwinden, nur
einseitig von deutscher Seite aus betrieben wird, dann frage ich mich, ob das
ein besonders erfolgversprechendes Projekt ist.
kassiber: Was ich an der Diskussion nicht ganz verstehe: Wenn ich gucke,
was es in der autonomen Szene für politische Differenzen zwischen den
verschiedenen Gruppen gibt, sind die sehr groß. Hier wird aber ein
bißchen so getan, als wären die Deutschen, die an diesem Camp
teilnehmen, ein homogener Haufen ...
Und ich habe den damaligen Knatsch in der Karawane so verstanden, daß das
AntirassismusBüro (ARAB) damals gesagt hat: “Wir haben eine bestimmte
politische Konzeption, wir wollen eine sozialrevolutionäre
antirassistische Mobilisierung. Das klappt so nicht. Daran sind sozusagen
einerseits die Flüchtlinge ‚Schuld’, daran sind aber auch die
deutschen SozRevs, Autonomen und die fehlenden sozialen Bewegungen
‚Schuld’, und deswegen machen wir das nicht mehr.” Das ist aber
eine andere Begründung als die vorhin von Debjani genannte.
Deswegen noch mal die Frage, wie es sich mit der Zusammenarbeit mit
Flüchtlingen und MigranInnen verhält. Aus der LibaSoli-Kampagne
bekomme ich das zum Beispiel so mit, daß es von den kurdischen
LibanesInnen nur ganz selten politische Statements gibt, daß es mehr
Zusammenarbeit auf der persönlichen Ebene gibt als auf der politischen
...
Kalle: Zunächst muß ich mal sagen, daß die kurdischen
LibanesInnen hier in Bremen sich in vielerlei Hinsicht von den
Flüchtlingen und MigrantInnen unterscheiden, die bei “The
Voice”, der Flüchtlingsinitiative Brandenburg oder der Karawane aktiv
sind. Sie unterscheiden sich zum Beispiel in dem vorhin erwähnten Punkt
“Wir bleiben hier!” - denn der gilt für die kurdischen
LibanesInnen völlig unwidersprochen. Sie sollen in die Türkei
abgeschoben werden, wo sie mehrheitlich noch nie waren. Die Leute sind seit
zehn bis 16 Jahren hier, die wollen in Bremen leben, das ist überhaupt
keine Diskussion. Dann ist es bei der ganz großen Mehrheit so, daß
sie eben nicht aus einer politischen Bewegung im weitesten Sinne kommt, wie die
meisten Flüchtlinge und MigrantInnen, die in den verschiedenen
Selbstorganisationen aktiv sind. Für die kurdischen LibanesInnen war
letztlich die konkrete Bedrohung, von ihrem Wohnort deportiert zu werden,
Ausgangspunkt, überhaupt aktiv zu werden.
Es gibt in der LibaSoli-Kampagne, wenn man es von der negativen Seite her
betrachtet, auch ein Machtverhältnis, weil die deutsche Seite
natürlich viel besser über den politischen Raum, darüber, wie
solche Auseinandersetzungen laufen usw. Bescheid weiß als die
libanesische. Und da auch ganz viel beratend und unterstützend tätig
ist. Nach zwei Jahren Kampagne ist aber auch zu beobachten, daß das an
ganz kleinen Punkten bröckelt. Das heißt über das ganz konkrete
Selbst-Aktivwerden, um sich vor einer Abschiebung zu schützen, haben
einzelne LibanesInnen auch Kontakt bekommen zu grundsätzlicheren Fragen
wie: Wie ist das überhaupt mit Grenzen? Warum gibt es überhaupt diese
Staaten?
Unser Verhältnis zu den LibanesInnen läßt sich im Prinzip auf
drei Ebenen beschreiben. Zum einen gab es aus der radikalen linken Ecke, die
nach einer langjährigen antirassistischen Arbeit dazustieß und zu
der ich mich auch zähle, praktische Überlegungen, wo perspektivisch
in Bremen politisch was zusammengeführt werden könnte, wo sich diese
Kräfte bündeln ließen. Ohne konkreten Aufhänger kann so
etwas nicht funktionieren und da bot sich die damals schon angelaufene
Solikampagne für die libanesischen KurdInnen an. Gleichzeitig gab es die
Hoffnung, nicht eine rein autonome, sondern eine an den Rändern bis ins
bürgerlich-liberale Spektrum ausfransende Kampagne hinzukriegen. Nicht
zuletzt gab es damals die Überlegung, auch wieder die Restlinken in Bremen
zusammenzuführen - Gruppen, die bis dahin, wenn überhaupt, mehr
schlecht als recht zusammenarbeiteten. Jetzt arbeiten die verschiedensten
Gruppen zusammen, teilweise auch FrauenLesben-Zusammenhänge, die das
vorher so nicht gemacht haben, die Stimmung ist gut, man geht
freundlich-solidarisch miteinander um, und es gibt immer mal wieder große
Erfolgserlebnisse bei gemeinsamen Aktionen. Soviel zu der ersten Ebene,
sozusagen aus linksradikaler Perspektive.
Wenn der Kontakt weniger über politische Auseinandersetzungen läuft,
sondern eher persönlich, von Wohnzimmer zu Wohnzimmer oder von Wohnzimmer
zu WG-Küche - teilweise wohnen die Leute ja im selben Stadtteil, das sind
ja mehrere Hundert - tut sich für mich auch noch mal eine neue Perspektive
für diese Politik auf. Ich kenne viele von den kurdischen LibanesInnen
ganz gut, ich würde sogar sagen, daß ich mit ein, zwei Leuten
befreundet bin. Insofern ist die drohende Abschiebung dieser Leute für
mich mittlerweile eine ganz andere Motivationsgrundlage, mich einzubringen, und
Gewinnen bzw. Verlieren hat für mich noch einmal eine ganz andere
Dimension bekommen. Weil die Abschiebung von einzelnen Leuten konkret auch in
mein Leben eingreift.
Die dritte Ebene ist, ähnlich wie Gregor das für das Grenzcamp gesagt
hat, daß das auch wesentliche erste Schritte sind, um einfach mal in
Kontakt zu kommen, eine Begegnung zu haben, was zu lernen, sich auch irgendwie
kreativ verstören zu lassen. Dieses “Ach, so macht ihr das ...”
gilt durchaus für beide Seiten. Das ist für mich die entscheidende
Grundlage, wenn man längerfristig, über die Wahrnehmung der jeweils
anderen hinausgehend, wirklich zu etwas Gemeinsamem kommen will. Zumindest
für mich - ich möchte jetzt nicht für alle in der
LibaSoli-Kampagne reden - sind Einzelpersonen ein ganz wesentlicher Punkt des
Ganzen.
kassiber: Aber ist es nicht so, daß hier weiße deutsche
Autonome auf inhaltlicher Minimalkonsensebene Politik für Flüchtlinge
machen? Es findet da zwar eine Zusammenarbeit von Gruppen statt, wie es sie
seit Jahren nicht gegeben hat, aber eine inhaltliche Verständigung gibt es
meiner Meinung nach kaum. Was veröffentlicht wird, das richtet sich gegen
Innensenator Kuno Böse, gegen Abschiebebullen etc., aber es gibt in dem
Sinne keine theoretischen Veröffentlichungen, was die Zusammenarbeit einer
Antirassismusbewegung mit Flüchtlingen angeht.
Charlotte: Das stimmt. Das ist eine Chance, die wir noch nicht so
richtig genutzt haben, uns genau in dieser Konfrontation mit direkter
Zusammenarbeit und noch einmal mehr damit zu beschäftigen, wie das konkret
funktioniert, was für eine Rolle wir darin haben und was für eine
Rolle wir annehmen.
Noch einmal zu der Frage, inwieweit es auch mit den LibanesInnen eine
politische Auseinandersetzung gibt: Ich denke, das liegt auch an unserer
Haltung. Ich kenne das zum Beispiel vom Frauentreffen, daß von den
LibanesInnen die Frage kam, warum wir das eigentlich machen, was unser Denken
dahinter ist. Wir bewegten uns gar nicht auf dieser Ebene, sondern fragten nur:
Wer braucht dies? Wer braucht das? Was ist die nächste Aktion? Ich
würde mir wünschen, daß wir sowohl im Kontakt mit den
LibanesInnen als auch untereinander, als UnterstützerInnengruppe, mehr in
die Auseinandersetzung reingehen.
Kassiber: Ist denn das Verhältnis ein annähernd
gleichberechtigtes? Wie wäre es denn zum Beispiel, wenn die kurdischen
LibanesInnen eine Selbstorganisation hätten? Grete hat vorhin ihre
Schwierigkeiten mit “The Voice” benannt, woanders gibt es Probleme
mit PKK-nahen Gruppen oder verschiedenen Gruppen im Internationalen
Menschenrechtsverein Bremen. Das geht hin bis zu einer quasi
Verweigerungshaltung vieler Leute, auch nur auf Demos zu gehen, weil sie eben
mit bestimmten inhaltlichen Konzeptionen von MigrantInnen-Selbstorganisationen
bzw. mit parteiähnlichen Strukturen nicht übereinstimmen. Wie
wäre es denn, wenn die kurdischen LibanesInnen sich selbst stärker
organisieren und formieren würden?
Kalle: Die Gruppe der kurdischen LibanesInnen, die wirklich an unserer
Zusammenarbeit beteiligt ist, besteht aus maximal 200 Leuten, darunter auch
Kinder, die vielleicht auf Demos mitgehen, aber sich darüber hinaus nicht
aktiv beteiligen. Eine gewisse Selbstorganisation im Sinne eines Zusammenhangs
der gegenseitigen Hilfe und Unterstützung war hier von vornherein gegeben,
allerdings in Form von Verwandtschafts- und Nachbarnschaftsbeziehungen, von
täglichen gegenseitigen Besuchen, gemeinsamen Gängen zur Moschee usw.
Da ist also jede Menge Grundlage da, die aber nicht politisch durchdekliniert
wird.
Man könnte natürlich nur spekulieren, wie es denn wäre. Aber ich
hab vorhin schon von Politisierungstendenzen gesprochen, vor allem bei
Jüngeren, die hier eine gebrochene Identität leben: ehemals
Flüchtlinge, mittlerweile sich selbst als MigrantInnen in der deutschen
Mehrheitsgesellschaft verstehend, mit den entsprechenden Konsequenzen. Aber der
konkrete Alltag ist eindeutig vom Wie-krieg-ich-Geld,
Wieviel-Verlängerung-gibt-mir-die-Ausländerbehörde und
Wo-könnte-ich-mich-im-Zweifelsfall-verstecken geprägt, absolut ohne
Raum, sich in aller Ruhe weitere politische Gedanken zu machen, wie man sich
hier organisieren könnte.
Ihre Forderungen sind im Prinzip: “Wir wollen hier bleiben. Wir wollen
arbeiten dürfen. Wir wollen ganz normal, wie die Deutschen auch, unser
Auskommen haben.” Das ist der Grundkonsens, so wie ich ihn wahrnehme, der
natürlich trotzdem hochpolitisch ist, weil er in krassem Gegensatz zu dem
steht, was ihnen zugestanden werden soll. Von der politischen Seite aus werden
sie zu Betrügern gestempelt, zu Verbrechern, werden entsprechend
diskriminiert in der konservativen und Bild-Presse. Insofern gibt es einen sehr
hoch aufgeladenen, polarisierten Grundkonflikt, der hochpolitisch ist, der von
ihnen allerdings erst einmal als individueller und existentieller Konflikt
wahrgenommen wird.
Paula: Das Crossover Summer Camp ist eigentlich aus der Vorstellung
heraus entstanden, daß linke und linksradikale Politik zum
größten Teil im Antira-Bereich stattfindet, dabei aber feministische
Positionen unterschwellig als selbstverständlich angenommen werden, aber
es in Wirklichkeit gar nicht sind. Das war auch auf dem Grenzcamp Thema, aber
mit den immer wieder gleichen Debatten, die an einem bestimmten Punkt anfangen,
immer wieder das Gleiche diskutieren und von vorne aufrollen. Uns ging es
darum, ein Camp zu organisieren, das Leute ansprechen soll, die von vornherein
Lust haben, sich damit auseinanderzusetzen, die Verbindung von feministischer
und antirassistischer Politik ins Auge zu fassen. Einen Rahmen zu schaffen, um
Widerstandsperspektiven zu eröffnen und Bündnisse zu schaffen. Das
gibt einen ganz anderen Background für Diskussionen und ist ja vielleicht
auch Anreiz für andere Leute, zum Beispiel FrauenLesben, dort hinzufahren,
die sich vorher nicht in gemischten Zusammenhängen bewegt haben, weil sie
auf diese Debatten keine Lust mehr hatten. Das Ganze passiert von uns aus einem
Verständnis heraus, daß radikale Politik eigentlich
selbstverständlich feministisch sein bzw. feministische Politik eine
linksradikale Position einnehmen, das heißt eine Verknüpfung von
Herrschaftsverhältnissen mit einbeziehen sollte.
Bei Sexismus ist es ganz offensichtlich, daß man sich auch mit eigenen
Sexismen auseinandersetzen muß, bei Rassismus ist das nicht unbedingt
naheliegend. Denn es gibt zwar viele gemischte Gruppen, aber viel mehr, die
keine MigrantInnen in der Gruppe haben, und da ist es eben nicht
selbstverständlich, sich auch mit eigenen Rassismen auseinanderzusetzen.
Vor diesem Hintergrund waren uns auch gemischte Organisationen wichtig,
daß wir also nicht ein reines FrauenLesben-Camp machen (was nicht dagegen
spricht, auch eine FrauenLesben-Organisierung zu bilden, denn es bedarf
natürlich immer noch Frauenfreiräumen). Und wir wollen mit
MigrantInnen zusammenarbeiten, schon einfach darum, um in der
Auseinandersetzung Fragen zutage zu fördern, wie die danach, wie wir mit
unseren Konflikten Ausschlußmechanismen oder Spaltungen produzieren. Und
gerade eine Bündnispolitik bietet ja die Chance, das zu erkennen und zu
thematisieren.
Wir sprechen daher gezielt feministische MigrantInnen an, als ReferentInnen
aufzutreten, und unsere Mobilisierungsversuche sind international, wir
versuchen , die Aufrufe in viele verschiedene Sprachen zu übersetzen,
versuchen, Übersetzungen auf dem Camp zu organisieren usw.
Alfons: Weil wir eine relativ gute Osteuropa-Connection haben, werden
auf dem Crossover Summer Camp relativ viele osteuropäische Leute sein, das
schätzen wir zumindest so ein.
Gregor: Du hast gesagt, daß ihr FrauenLesben-Räume
eröffnen wollt. Gerade für FrauenLesben, die sich sonst nicht in
gemischten Zusammenhängen bewegen, ist das wichtig. Wie würdet Ihr
ein Problem handhaben, wie es das beispielsweise bei unserem letzten
Vorbereitungstreffen gab, wo Flüchtlinge sowohl von der Brandenburger
Flüchtlingsinitiative als auch von “The Voice” ein weiteres Mal
den FrauenLesbenbereich auf dem letztjährigen Grenzcamp massiv in Frage
gestellt haben: “Hier werden beim No-Border-Camp neue Grenzen aufgemacht.
In diesem Falle ist die Grenze so ein rot-weißes Flatterband und
verläuft entlang der Geschlechterlinien. Damit werden neue
Unpäßlichkeiten aufgemacht - hier können Männer eben nicht
durch.” Es wurde von ihnen politisch ein Widerspruch zwischen einem
No-Border-Camp und einem FrauenLesben-Bereich aufgemacht. Vor allem von
deutsch-weißer Seite wurde darauf erwidert, daß Grenzen, die von
oben zur Ausgrenzung gesetzt werden, was ganz anderes sind als Grenzen, die von
den von Herrschaftsverhältnissen Betroffenen als Selbstschutz organisiert
werden. Argumente also, die auch von Euch gekommen wären, auf einer
theoretisch-analytischen Ebene.
Wir haben uns vorläufig darauf geeinigt, daß wir gesagt haben:
“Natürlich gibt es einen FrauenLesben-Bereich!” und haben
beschlossen, auf dem Camp in Veranstaltungen - das ist sozusagen der
Kompromiß - auch darüber zu streiten. Aber aus einer FrauenLesben-
oder einer antisexistischen Männerperspektive, die ich teilen würde,
könnte man auch sagen: “Moment mal, das sind Rückschritte von
schon einmal erkämpften Positionen. Die sind klar und sollten nicht mehr
diskutiert werden.”
Paula: Deswegen ist ja auch das Projekt Summer Camp entstanden, um nicht
jedes Mal wieder die Diskussion um Frauenräume, um Redelisten usw. von
vorn anfangen zu müssen. Deswegen haben wir auch unsere Positionierung
niedergeschrieben, damit Leute, die zu unserem Camp kommen, sich schon vorher
darüber im Klaren sein können. Damit eben ein gewisser Konsens, was
man zusammen politisch will, von vornherein vorhanden ist, um so mal
intensivere Diskussionen führen zu können, ohne daß die ganze
Energie dafür schon weg ist.
Deswegen nennt sich unser Camp eben explizit “feministisches Camp”,
denn das ist ein ganz wesentlicher Bestandteil. Weil das aber nicht
selbstverständlich ist, muß dem Ganzen eben so ein Name gegeben
werden.
Gregor: Sozusagen ein geplanter Ausschluß, daß eben von
vornherein die Leute nicht hinkommen, die das in Frage stellen würden?
Paula: Ja, ich glaube, daß die Leute, die unsere Positionen nicht
teilen, da nicht hinkommen.
Debjani: Ich kann es gut verstehen, daß ihr die Frage, ob ihr mit
bestimmten MigrantInnen zusammenarbeiten wollt oder nicht, diskutiert. Aber ich
frage mich auch, ob MigrantInnen das überhaupt wollen.
Ich stelle fest, daß viele MigrantInnen, mich eingeschlossen, einfach
keine Lust haben, Unterstützungsarbeit für die Linken zu machen. Wenn
manche Leute nicht da sind, heißt das für mich nicht, daß sie
ausgeschlossen werden, sondern einfach, daß sie keine Lust haben. Weil
sie das einfach nicht als Priorität sehen. Es gibt da eine Sache, die
grundsätzlich problematisch ist: Wenn MigrantInnen nur in der Rolle als
Dienstleistende zu gewinnen sind. Dienstleistende auch in der Form von: Wenn
sie sich nur dann dazu entschließen können, zu einem Treffen zu
gehen, weil sie ein Honorar bekommen, und zwar weil sie nicht darauf vertrauen,
daß daraus eine politische Zusammenarbeit entstehen kann.
Paula: Aber es gibt ja auch MigrantInnen, für die ein
FrauenLesben-Bereich genauso wichtig ist ...
Debjani: Es geht nicht um den FrauenLesben-Bereich, es geht um die
Beispiele, die Du gerade gegeben hast für die Zusammenarbeit mit
MigrantInnen: daß einzelne MigrantInnen eben als ReferentInnen eingeladen
werden. Genau das kenne ich auch. Entweder ich arbeite in bestimmten
politischen Zusammenhängen, die offen sind, aber wo sich Leute dafür
entscheiden, dort zu arbeiten, weil sie meinen, die politische Zielsetzung zu
teilen. Oder aber ich trage zu bestimmten gemeinsamen Prozessen bei als
Informationslieferantin mit einer sehr klaren Dienstleistungsrolle.
Paula: Das kenne ich von feministischer Seite auch, daß du halt
angesprochen wirst als feministische Frau, weil du die Spezialistin für
feministische Positionen oder so was sein sollst.
Alfons: Ich möchte noch einmal klarstellen, daß wir für
das Crossover Summer Camp von vornherein migrantische Leute angesprochen und
zur Zusammenarbeit eingeladen haben. Wir haben den eigentlich paradoxen Versuch
gemacht, als mehrheitsgesellschaftlich dominierter Zusammenhang, in dem nicht
alle jahrelange antirassistische Arbeitserfahrung haben, den Kontakt zur
migrantischen, nichtdeutschen Leuten zu suchen, den wir teilweise sozial und
alltäglich gar nicht hatten. Mit unterschiedlichem Erfolg, weil das Ganze
teilweise eine etwas gewollte Angelegenheit war und ist - diese
ReferentInnensuche sehe ich auch ein bißchen als einen Ersatz. Es
wäre uns natürlich viel lieber, wenn wir die Leute in unseren eigenen
Reihen hätten, als daß wir die von außen anfragen
müßten, weil das eben genau diesen Geschmack hat von “Wir
kaufen uns jetzt mal ne Vorzeigeperson ein.” Ich finde es trotzdem
richtig, das zu machen. Ich verstehe die Tatsache, daß wir für die
Crossover-Conference in Bremen Umut Erel, Encarnacion Gutierrez Rodriguez und
Hito Steyerl eingeladen haben, auch als symbolisches Statement, denn wenn es um
den Zusammenhang von Rassismus und Sexismus geht, dann gibt es meiner Ansicht
nach aufgrund gesellschaftlicher Positionierungen Leute, die besonders geeignet
sind, dazu was zu sagen, nämlich migrantische Frauen bzw. migrantische
Feministinnen.
Unsere “Einladungspolitik” bedeutet natürlich nicht, angebliche
Männercombos wie “The Voice” gar nicht erst einzuladen. Aber wir
haben eher Kontakte mit FeMigra (Feministische MigrantInnen) oder versuchen mit
ADEFRA (Arbeitsgemeinschaft deutsche schwarze Frauen/schwarze Frauen in
Deutschland) oder welchen von der Initiative Schwarze Deutsche zu reden.
Debjani: Die Wahl von ADEFRA ist zwar eine feministische Wahl, aber sie
ist auch eine Klassenwahl. Sie ist eine eindeutige Wahl gegen die Klasse, die
am meisten dem Rassismus, der ganzen Entrechtung ausgesetzt ist. Weil die
Gruppen, die du dann da mit einschließt, dir sehr nahe stehen, quasi ein
Spiegelbild sind - universitär, mit einer gewissen Stellvertreterpolitik,
Lobbypolitik. Und damit gibt es auch, wenn es um den revolutionären Ansatz
geht, die Gefahr einer akademisch-theoretischen Nabelschau, die bestimmte Leute
erst einmal demotiviert oder demobilisiert.
Manchmal sind die bequemsten Lösungen nicht die politisch ergiebigsten und
fruchtbarsten. In der Karawane war unsere Zielsetzung von Anfang an eine
Bündnispolitik zwischen Flüchtlingen, MigrantInnen und deutschen
linken Organisationen - ein gleichberechtigtes Bündnis. Das ist Teil des
Selbstverständnisses der Karawane. Und das ist uns eigentlich nicht
gelungen. Genau weil es um die Frage der Definitionen, die Definitionsmacht
usw. ging. Nach meinem Eindruck sind die Leute und Organisationen gegangen, die
es sich leisten konnten - die deutschen. Geblieben sind die Leute, die
eigentlich keine andere Wahl hatten. Sie hatten keine andere Wahl als zu
kämpfen, also in der Art vom sozialrevolutionären Ansatz. Um andere
Bündnisse zu schaffen, hätten Flüchtlinge in den Diskurs der
MigrantInnenorganisationen reingehen müssen. Aber die ganzen Ansätze,
die politische Agenda hätte nicht dem entsprochen, was für
Flüchtlinge erst einmal lebenswichtig ist.
Zugespitzt ausgedrückt: Ein Bündnis zwischen weißen Deutschen
und MigrantInnen - wenn ich jetzt MigrantInnen sage, meine ich akademische
MigrantInnen, Greencard-MigrantInnen - kann nur auf der Grundlage der
MigrantInnen stattfinden, weil es ein Dominanzverhältnis zwischen diesen
beiden Gruppen gibt. Genauso muß sich ein Bündnis zwischen
MigrantInnen und Flüchtlingen die Interessen der Flüchtlinge, also
der Schwächsten, zum Schwerpunkt setzen. Und ab dem Zeitpunkt, wo das zu
einer Frage von UnterstützerInnen - Unterstützen wird, sind die
ersten Probleme schon vorhanden. (Was ich auch als Rassismus-Problem sehen
würde, aber das ist wieder eine andere Diskussion.)
Ich bemerke sehr oft, daß die Dominanzgesellschaft schnell ihre Arbeit
als UnterstützerInnenarbeit wahrnimmt. Wenn ich heute hier bin, sehe ich
das erst einmal als eine Unterstützung für Euren
Diskussionsprozeß, weil für mich das Grenzcamp relativ fremd ist
für meine politische Arbeit. Viele MigrantInnen haben einfach keine Lust
mehr, diese Unterstützungsarbeit zu machen.
Gregor: Ich würde als politische Zielsetzung formulieren, daß
man - über Prozesse der trans-identitären Organisierung - irgendwann
tatsächlich eine Gruppe ist. Ich weiß, daß das, solange die
Rassismen existieren, wie sie existieren, nicht geht.
Hast Du das Gefühl, daß das, was wir jetzt im Grenzcamp versuchen,
ernsthaft zusammenzukommen, gleichberechtigt zu planen, ein stückweit im
Widerspruch steht zu dem, was Du in Bezug auf die Karawane sagst, in
Widerspruch auch zu dem Ich-hab-keine-Lust-mehr? Könntest Du, wenn Du die
Karawane nicht hättest, sagen: “Auf das Grenzcamp hab ich keine Lust,
weil ich zu schnell das Gefühl habe, in die UnterstützerInnenrolle
für weiße Deutsche zu geraten, die ja im Grunde genommen erst mal
einen Umgang für ihren eigenen Rassismus finden müssen”?
Debjani: Natürlich ist mein Anliegen, trans-identitäre Politik
von der “Karawane” aus zu betreiben, die ist quasi mein politischer
Raum.
Die Auseinandersetzung, die jetzt im Grenzcamp stattfindet, ist für mich
schon ein Entgegenkommen. Erst einmal ist das ein selbstorganisierter Raum, wie
Ihr das beschrieben habt, aber ein deutsch-dominierter linksradikaler Raum, wo
die Grenzen natürlich offen sind und viele herzlich willkommene, aber eher
nicht vorgesehene Gäste da waren, zum Beispiel “The Voice”. Das
und das, was Du gesagt hast, entspricht auch genau meiner eigenen Wahrnehmung
des Grenzcamps. Ich hatte bis jetzt eigentlich keinen Bezug zu dem Grenzcamp.
Aber wenn ich eingeladen worden wäre, wäre ich wahrscheinlich schon
hingegangen.
Das Grenzcamp ist für mich ein völlig berechtigtes,
selbstorganisiertes Projekt, das aber meinen eigenen unmittelbaren
Fragestellungen und politischen Durchsetzungsvorstellung nicht entspricht, weil
ich einfach an diesem Grenzcamp-Prozeß nicht beteiligt war. Und deswegen
ist das für mich von Anfang an eine schlechte Voraussetzung, eine
schlechte Grundlage. Für mich wäre das eine bessere Grundlage, wenn
das auf dem Raum von Selbstorganisierung von Flüchtlingen und MigrantInnen
stattfinden würde.
Alfons: Für mich war dieser Summer-Camp-Prozeß von vornherein
etwas sehr Ambivalentes, wo ich viele Zweifel hatte und habe. Denn ich denke
eigentlich, daß etwas zu beginnen, das in Richtung
“trans-identitär” gehen soll, aber akademisch deutsch-weiß
dominiert anfängt, von vornherein eine schwierige oder unmögliche
Ausgangsbasis hat. Jetzt habe ich aber den Eindruck, daß der
Prozeß, der die letzten fast zwei Jahre gelaufen ist, schon weg von einer
mehrheitsgesellschaftlich deutschen Organisierung hin zu einer gemischteren
Organisierung geht, und zwar mit einer wirklichen Auseinandersetzung zwischen
den Leuten. Da würde ich Dir völlig zustimmen, das hat einen ganz
klaren Klassencharakter, was wir da gerade machen.
Wenn dieser Prozeß aufhört und sich das festläuft, dann
würde ich sagen: Knicken. Aber ich habe die Hoffnung, daß da was
passieren kann, daß zu diesem Summer Camp beispielsweise Leute aus Polen
kommen, die eben ganz und gar nicht akademisch sind. Und daß vielleicht
die Zusammenarbeit mit Flüchtlingen, mit einzelnen
Flüchtlingsorganisationen in Zukunft besser läuft.
Debjani: Ich finde, daß eigentlich jede Initiative wichtig ist.
Und daß wir zu wenige sind und viel mehr werden müssen - damit ist
jede politische Organisierung, jede Konsolidierung wichtig. So sehe ich die
Camps im Sommer auch als ein Moment von Bewußtseinsbildung, von Bildung,
von politischer Reflexion usw. Für mich ist es notwendig, daß sich
jede deutsche Organisierung auch gegenseitig stärkt. Ich finde, daß
die Zusammenarbeit auf der Grundlage stattfinden sollte, daß die Camps
Impulse entwickeln, stärken, die dann auch die Selbstorganisierung von
Schwarzen, Flüchtlingen, MigrantInnen, SexarbeiterInnen usw. stärken
und unterstützen.
Wenn diese Stärkung nicht stattfindet, wenn es keine Berührungs-,
keine Reibungspunkte gibt, dann ist das für mich nicht mehr relevant. Wenn
das auf irgendeine Art hindert oder sogar schwächt, dann ist das sogar
problematisch. Von daher ist die Lösung für mich nicht, daß
mehr Flüchtlinge im Sommer in die Camps gehen, sondern daß die Camps
selbstorganisiert in der Gesellschaft breiter mobilisieren und damit
letztendlich auch die Selbstorganisierung von Flüchtlingen,
SexarbeiterInnen, Illegalisierten stärken. Das wäre das einzige
sozialrevolutionäre und überhaupt sinnvolle politische Projekt. Und
das wird hoffentlich auch Spaß machen, weil das dann sichtbare,
meßbare Erfolge bringt.
Gregor: Noch einmal dazu, daß die Debatte um den
FrauenLesben-Bereich oberflächlich sei: Ich habe bei vielen deutschen
weißen Männern, mit denen ich schon seit Jahren diskutiere,
tatsächlich ein sehr oberflächliches Gefühl. Das Gefühl:
Verdammt, wir drehen uns im Kreis, es ändert sich kaum was, auch nach x
Jahren Diskussion nicht. Wenn ich aber mit Männern von “The
Voice” und der Brandenburger Flüchtlingsinitiative über den
FrauenLesben-Bereich diskutiere, hat das für mich überhaupt nichts
Oberflächliches. Dann habe ich das Gefühl, okay, das ist eine
Debatte, die hab ich noch nie mit euch geführt, ich weiß gar nicht,
von welchen Punkten aus ihr losredet, ihr wißt auch gar nicht, von
welchem Punkt aus ich losrede, ihr wißt gar nicht, wie ich zu meinem
Ergebnis gekommen bin, ich weiß nicht, was euer Hintergrund ist - und das
finde ich einen spannenden und in diesem Sinne notwendigen Prozeß. Ich
hab das Gefühl, daß wenn ich mit ihnen zusammenkommen möchte,
ich auch durch diesen Prozeß durchgehen oder es wenigstens versuchen
muß!
Grete: Ich bin ganz damit einverstanden, daß wenn man ein wie auch
immer geartetes gemeinsames Projekt mit Flüchtlingen und MigrantInnen hat,
man sich auch diesen nervigen Diskussionen stellen muß, und zwar ohne die
Hoffnung, daß es am Ende eine glatte Lösung gibt. Weil es eben
Widersprüche gibt, die sich nicht in zwei, drei Debatten wegdiskutieren
lassen.
In der Vorbereitung der Land-in-Sicht-Tage ist es aber Konsens, daß man
nicht die Auseinandersetzung mit Flüchtlingen braucht, um eigene Politik
zu legitimieren, weil das auch eine Funktionalisierung bedeuten könnte.
Sondern daß die Diskussionen geführt werden müssen, wenn es
sich ergeben sollte, daß es gemeinsame Projekte gibt in irgendeiner Form.
Manchmal greift das in Teilen etwas zu kurz, nach dem Motto “Wieso, wenn
die kommen wollen, dann sollen sie doch kommen!” Und damit ist die Debatte
dann auch abgewürgt.
Gregor: Ich finde im Rahmen der Hamburg-Thüringen-Entscheidung ist
nicht wirklich versucht worden, gemeinsam ins Gespräch zu kommen.
“The Voice”, ab dem zweiten Grenzcamp da, ist erst einmal ein
bißchen schrill rumgekommen. Doch man war irgendwie froh: “Oh,
super, da sind Flüchtlinge!”, war dankbar, weil das natürlich
dem Camp gut zu Gesicht steht. Ansonsten war man von Anfang an konfrontiert
damit, daß da ein Typ von “The Voice” unglaublich viel redet,
da war man dann ziemlich genervt. Und wenn bei deren Grenzcamp-Demos geredet
wurde, dann wurden keine vorbereiteten Redebeiträge verlesen, sondern es
wurde zehn Minuten frei geredet, sogar gesungen, das fühlte sich komisch
an, anders, fremd.
Es wurde dann versucht, kleine Debatten zu führen, auch über
politische Zielsetzungen. Da ist so schnell nichts draus geworden. Es gab die
Erfahrung, daß wenn man mit “The Voice” geredet hat, die immer
über die Residenzpflicht-Kampagne geredet haben. Auch das hat sich
schräg angefühlt. Auf dem dritten Grenzcamp kam es dann entlang eines
Sexismusvorwurfs zum Knall. Abermals wurde sich nur pragmatisch geeinigt:
Schwarze Männer sind nicht sexistischer als weiße Männer, so
viel muß feststehen, trotzdem muß man sich auch kritisieren
können, man darf die Herrschaftsverhältnisse nicht gegeneinander
ausspielen.
Nach dem Frankfurter Grenzcamp gab es zum ersten Mal die Chance, ernst zu
machen und zu fragen: Was steckt denn hinter all diesen komischen
“Fremdheitsgefühlen”? Da hätten wirklich mal die Karten auf
den Tisch gepackt werden können, da hätte man anfangen können,
in einen wirklich konfrontativen Auseinandersetzungsprozeß zu treten.
All diese Fragen von wechselseitiger Instrumentalisierung, von Schuld, die
angeblich seitens “The Voice” und anderer
Flüchtlingsorganisationen an die Deutschen heran getragen werden, von
Sexismus und Rassismus, all das hätte diskutiert werden können. Doch
genau an diesem Punkt wurde gekniffen. Und das ist für mich kein Zufall.
Ich weiß auch, daß diese Spaltung noch tausend andere
persönliche und politische Gründe hatte, die im Untergrund
mitgelaufen sind. Dennoch, würde ich sagen, war es politisch falsch, uns
hier zu spalten. Ich hätte es für wichtiger gehalten (im Sinne von
Prioritätensetzung), endlich mal die Widersprüche, die die ganzen
Jahre da waren, in Angriff zu nehmen. Diese Chance wurde verspielt, indem da
ein neues Camp eröffnet wurde - Hamburg.
Grete: Das ist so nicht richtig. Um es gleich vorweg zu schicken: Ich
bedaure total, daß das auseinander geknallt ist, und ich halte das
persönlich auch für einen großen Fehler.
Die Leute, die die Vorbereitung maßgeblich trugen, haben sich viele Jahre
mit großem Erfolg und trotz aller politischen und persönlichen
Differenzen zusammengerauft und eine tolle Sache auf die Beine gestellt. Jetzt
werden die Energien halt in verschiedene Projekte gesteckt, statt in ein und
dasselbe. Es ist aber nicht so, daß weil jetzt Hamburg gemacht wird,
irgendwie eine Chance verspielt wurde, das in Jena zu klären. Denn die
Leute, die in Göttingen mit ihrem Hamburg-Vorschlag für das Grenzcamp
nicht durchgekommen sind, hatten, so wie das da jetzt läuft, auch gar
keine Lust mehr, sich da einzubringen. Und haben gesagt: Okay, versuchen wir
mal ein Projekt hinzukriegen, das unserer Vorstellung entgegenkommt, und machen
das in Hamburg. Doch auch wenn das mit Hamburg nichts geworden wäre,
hätten sie mit Jena nichts zu tun haben wollen. Zumindest die, die in
dieser Auseinandersetzung richtig 250prozentig drin steckten.
Aber ich würde es nicht so sehen, daß alle Leute, die aufgrund der
Streitereien gesagt haben, das ist nicht mehr mein Projekt, versuchen, sich vor
dieser Auseinandersetzung zu drücken. Das entspricht nicht dem Ablauf der
Geschehnisse.
kassiber: Am Anfang habt Ihr ja die Konzepte der Camps vorgestellt, aber
es ist immer noch die Frage, was die perspektivischen bringen. Wie soll es
weitergehen? Wie wirkt sich das, was in den Camps gemacht und diskutiert wird,
nachher auf die konkrete Arbeit vor Ort aus?
Grete: Für Hamburg muß man da zwei Ebenen unterscheiden. Zum
einen die überregionale Vorbereitung, zum anderen die Hamburger Gruppe,
die sich zum Teil, ganz klar, nicht deckungsgleiche Sache davon versprechen.
Bei den Hamburgern selbst ist es so, daß sie hoffen, dadurch auch
stadtintern wieder in Gespräche und Auseinandersetzungen zu kommen, und da
gibt es auch schon Leute, die sich erhoffen, davon was längerfristiges zu
machen. Der überregionale Teil sieht das erst einmal eher als eine
einmalige Kiste an.
Es geht halt darum, ordnungswidrig zu campen. Einerseits die Stadt, die das gut
gebrauchen kann, ein bißchen aufzumischen, andererseits unter uns andere
Formen von Vergesellschaftung zu proben, zu finden, auch mal kritisch zu
hinterfragen, zum Beispiel: Wie laufen eigentlich solche Entscheidungsprozesse
oder so auf solchen Veranstaltungen in der Regel ab? Was gibt’s da
für unsichtbare und zum Teil gar nicht so unsichtbare Hierarchien, wo sind
die Grenzen von einer grenzenlosen Demokratisierung? (Das ist jetzt vielleicht
nicht so gut ausgedrückt.)
Zum Beispiel ist es auf den letzten beiden Camps vorgekommen, daß sich
Leute wahnsinnig viel Mühe gegeben, ewig diskutiert und um Positionen
gerungen haben, um dann am Ende ein Papier zu präsentieren. Das war einmal
in Forst das Papier, wo es um Rassismus und Sexismus ging, und das war im
letzten Jahr in Frankfurt/Main die Stellungnahme zu den Ereignissen in Genau.
Und beide Male gab es auf dem Plenum eine minimale Minderheit von ungefähr
drei Leuten, die in der Lage war zu verhindern, daß darüber ein
Beschluß herbeigeführt wurde. Einfach, indem sie selber nicht
einverstanden waren oder indem sie gesagt haben: “Och, da kann ich jetzt
nicht zustimmen, denn ich war an dem Diskussionsprozeß nicht
beteiligt.” Da gibt es ein Verständnis von Konsensprinzip, das dazu
führt, daß man überhaupt nichts mehr entscheiden kann, weil nie
alle einverstanden sein werden. Wie kann man mit solchen Konflikten umgehen,
ohne sich immer nur auf Minimalpositionen zurückziehen zu müssen?
Neben den schon genannten inhaltlichen Fragen, sind das Fragestellungen,
für deren Diskussion da ein Raum sein soll.
Gregor: Dadurch, daß das Grenzcamp jetzt schon zum fünften
Mal stattfindet, ist da natürlich eine gewisse Kontinuität gewachsen.
Aber lieber möchte ich einen Zweifel formulieren, und zwar möchte ich
einen Vergleich zwischen der LibaSoli-Kampagne und aktuellen
Grenzcamp-Prozessen machen. Also ich bin in jüngerer Zeit immer wieder
neidisch auf die LibaSoli-Leute gewesen, weil ich gesehen habe, daß genau
diese kleinen Schritte von sich kennen lernen usw., die von Woche zu Woche
stattfinden können, daß es von Monat zu Monat eine Aktion gibt,
daß die wirklich zu Hause in den Wohnzimmern und den WG-Zimmern sitzen,
daß da so eine bestimmte Atmosphäre von Vertrautheit aufkommt, sich
mal wirklich ganz anders erleben, ganz andere Arten von Gesprächen
führen zu können. Das ist was ganz anderes als für die
Grenzcamp-Vorbereitung zweimonatlich nach Jena zu fahren.
Kalle: Zur Zukunftsperspektive von LibaSoli - das ist natürlich
jetzt kein Konsens, kein Endprodukt irgendeiner Diskussion: Wir versuchen nach
wie vor zu gucken, wo konkrete Ansatzpunkte sind, in Abschiebevorhaben im Land
Bremen wirklich eingreifen zu können. Und sind da, glaube ich, lange noch
nicht am Ende angekommen. Wir versuchen jetzt auch einen Beitrag zu leisten
für eine auch ruhig überregionale Aktionskultur,
Aktionsdiskussionskultur, wie wir auch profitieren von Aktionen aus anderen
Städten. Die Perspektive erschöpft sich aber nicht darin, daß
es den weißen Deutschen nur um das Bleiberecht für kurdischen
LibanesInnen geht, sondern es war von Anfang an auch die Diskussion, daß,
wenn das funktioniert, das natürlich auch ein Ansatzpunkt für andere
sein kann, seien es Einzelfälle, seien es große Gruppen - wie schon
die TamilInnen, in Zukunft vielleicht Roma aus dem Kosovo -, die davon
betroffen sind, daß sie aus dem Land gekickt werden sollen.
Ich will meine Basis erst einmal vor Ort aufbauen, um mit der
weiß-dominierten autonomen Linken in einer mittleren Großstadt wie
Bremen wieder ein relevanter Faktor zu werden. Daß auf uns wieder
reagiert werden muß, was ja ansatzweise hier und da mal aufscheint.
Paula: Wir wünschen uns natürlich, daß dieses Summer
Camp nicht nur einmal stattfindet, sondern sich auch weiterhin Leute finden
werden, die das regelmäßig organisieren. Und vielleicht auch Leute
aus anderen Ländern sagen: Im nächsten Jahr soll das Ganze bei uns
stattfinden. Und daß solche Projekte wie die Crossover-Conference auch
weiterhin daraus entstehen können. Ansonsten zielt das Ganze
natürlich auch auf die Binnenwirkung ab: Daß Diskussionen am Laufen
gehalten werden, daß Leuten einfach ein Background gegeben wird,
daß sie wissen, es gibt Leute, die sich mit feministischen Positionen
auseinandersetzen, überhaupt Debatten darüber geführt werden,
wie diese aussehen können, wie Bündnispolitik funktionieren kann oder
wie Aktionsformen aussehen. Davon versprechen wir uns auch, daß das in
verschiedene Städte getragen wird und dort wieder zum Thema gemacht wird,
was im Moment nicht so viel der Fall ist.
kassiber: Es gibt in diesem Sommer mit Jena, Hamburg, Cottbus sowie
Strasbourg vier Events, die ein ähnliches Klientel ansprechen. Können
sich so viele Camps nebeneinander nicht auch kontraproduktiv auswirken?
Gregor: Ja!
Kalle: Die Camps haben unterschiedliche Schwerpunktsetzungen, jede hat
ihre Berechtigung, aber je mehr es gibt, desto weniger kommt unterm Strich
für jedes einzelne Camp dabei raus. Insofern sind für mich, egal wie
oft ich das Gegenteil gelesen und gehört habe, die Land-in-Sicht-Tage in
Hamburg sozusagen zum Schaden des Antirassistischen Grenzcamps: Du kannst ja
nicht unbegrenzt Urlaub nehmen. Es gibt vier wichtige und interessante Camps
und die wenigsten werden an mehr als ein bis zwei teilnehmen.
Grete: Ich würde ich das bestreiten. Erstens kann man das so nicht
rechnen, weil man ja gar nicht weiß, wer wann wie wohin gefahren
wäre. Zweitens wird damit der Erfolg zu sehr an Zahlen festgemacht. Zu
sagen, jetzt fahren einige hier hin und einige da hin und dann wird das alles
nicht so groß - und dann wird das alles automatisch schlechter, ist eine
Logik, die einfach vorne und hinten überhaupt nicht richtig funktioniert.
Das letztjährige Camp in Frankfurt/Main war zwar ein Riesenteil,
andererseits aber in vielerlei Hinsicht auch das schlechteste Grenzcamp, was
wir je hatten. Hingegen war das Camp in Forst viel kleiner, aber gerade
deswegen war es dort möglich, viel intensivere Auseinandersetzungen zu
führen.
kassiber: Vielen Dank für das Gespräch.
Homepage: http://www.nadir.org/nadir/initiativ/kombo/k_home.htm