Schonmal ein Paradies besetzt?
von h., ag3f, hanau - 05.07.2002 17:03
Rasenmühleninsel heißt der schöne, innenstadtnahe Parkstreifen in Jena-Paradies, den die Vorbereitungsgruppe des fünften Grenzcamps als Zeltplatz auserkoren hat. Doch die Stadt Jena sagt bislang nein und bemüht in ihrer umfangreichen Ablehnungsbegründung Ruhe, Ordnung und Sauberkeit bis zum Abwinken. So wird nun zur Innenstadtkundgebung und anschließenden Besetzung des paradiesischen Platzes aufgerufen, am Freitag, dem 12. Juli, wenn das kein mensch ist illegal - Camp 02 startet...
Ein Konzert ist zum Auftakt in Planung, am letzten Tag dann will ein Konvoi, mit Zwischenstopkundgebung am Frankfurter Flughafen, direkt zum ersten internationalen nobordercamp nach Strasbourg weiterziehen. Und die Tage dazwischen dürften wieder gut gefüllt sein, mit der schon campüblichen Mischung aus Diskussion und Aktivismus (siehe Programm).
Aktionen werden schwerpunktmäßig gegen die Isolation und Kontrolle, gegen die Entrechtung und Abschiebung von Flüchtlingen gerichtet sein. Doch "die Entscheidung, das Camp dieses Jahr in Jena stattfinden zu lassen, ist (auch) als Schritt dahin zu verstehen, die Dominanz von weißen, mehrheitsdeutschen AntirassistInnen zu brechen, um in der Kooperation mit selbstorganisierten Flüchtlingsgruppen eine antirassistischeidentitätsübergreifende Organisierung voranzutreiben."
Denn Thüringen als Campaustragungsort hatte The Voice sowie die Brandenburger Flüchtlingsinitiative in die Debatte gebracht. Diese beiden Selbstorganisationen verbanden ihre Kritik an mangelnder Zusammenarbeit und Einbeziehung im letzten Camp bei Frankfurt mit diesem praktischen Vorschlag. In Jena befindet sich das zentrale Büro von Voice, hier bestehen am ehesten die Erfahrungen und Voraussetzungen, eine Vielzahl von Flüchtlingen zu mobilisieren und damit erstmals zu einer ganz neuen, "gemischten Zusammensetzung der Grenzcampgesellschaft" zu kommen. Mit dem Versuch, die Auseinandersetzungen zwischen "refugees und nonrefugees" zu intensivieren, wurde auf zwei sogenannten "Extrameetings" bereits vielversprechend begonnen.
Who supports whom?, lautete eine der Ausgangsfragen. "Wir euch immer nur bei der Residenzpflichtkampagne",formulieren kritisch einige AntirassistInnen mit deutschem Paß. "Wir euch täglich beim Aufbau einer mutltiethnischen offenen Gesellschaft", antworten einige AktivistInnen der Selbstorganisationen selbstbewußt. Debatten um Identität, Differenz und transidentitäre Organsierung haben ein spannendes Niveau erreicht, im folgenden einige Auszüge eines zusammenfassenden Diskussionspapiers:
"Wenn du mit mir sprichst, vergiß, daß ich Jude bin ... und wenn du mit mir sprichst, vergiß nie, daß ich Jude bin..." - dies wurde auf einem der Treffen zitiert, um die Ambivalenz der Identitäten selbst sowie des Umgangs damit deutlich zu machen.
Die Selbstorganisierung von "Betroffenen"-Gruppen ist nötig und wichtig, um die jeweiligen Unterdrückungen klar benennen und spezielle Forderungen und Kämpfe dagegen entwickeln zu können.
Z.B. organisieren sich Schwaze oder KurdInnen oder Flüchtlinge, weil sie ihre berechtigten Interessen im allgemeinen Kampf für eine bessere Gesellschaft nicht ausreichend wiederfinden bzw. weil z.b. Weiße, TürkInnen oder Nichtflüchtlinge die Strukturen dominieren und ihre Interessen zumeist an die erste Stelle setzen.
Gruppenspezifische, "identitäre" Organisierung im Sinne von Selfempowerment bildet eine Grundlage für die Herausbildung eines umfassenden Blickwinkels im Kampf um Emanzipation und Befreiung. Doch diese Organisierungen können in neue Dominanzen, Nationalismen und reine Partikularinteressen abdriften, wenn nicht der Blick und das Ziel gleichzeitig auf interessens- und identitätsübergreifende Schritte gelegt werden.
Gegenseitiges Interesse und Offenheit einerseits, Transparenz und Vermittlung der jeweiligen Organisierungen andererseits könnten diesen doppelförmigen, ambivalenten Prozeß in der Balance halten. Also Raum und Zeit (eigene Treffen, eigene Organisierung ...) für spezifische Interessen eröffnen bzw. respektieren, zum anderen immer wieder Schnittpunkte schaffen und Fragen nach möglichen übergreifenden Perspektiven aufmachen.
Geht es dann -in unserem Kontext- letztlich um eine multiethnische Organisierung? Oder -weitergefaßt- um das Zusammenkommen in einer Multitude, einer horizontal vernetzten Struktur, in der die Autonomien der jeweiligen Ansätze respektiert und davon ausgehend Gemeinsamkeiten entwickelt werden? Und/oder was ist mit transidentitärem Prozeß gemeint?
Jedenfalls wurde nun im Vorfeld des Camps offener und interessierter denn je gestritten.
Wenn es gelingt, den "spirit" solcher Diskussionssprozesse in ein Camp zu verlängern, auf dem einige hundert refugees mit einigen hundert nonrefugees zusammentreffen, dann stehen die Chancen gut, mit dem Anspruch intensivierter Zusammenarbeit und "identitätsübergreifender Organisierungen" wirklich weiterzukommen.
Doch auch für "themenübergreifende Außenwirkungen" wird bereits geplant. Damit sind nicht allein, wie bei früheren Camps im Osten, antifaschistische Aktivitäten gegen neonazistische Treffpunkte gemeint. Sondern auch z.B. die Fortsetzung der Debatte "um die rassistische Kategorisierung von Menschen nach ihrer Verwertbarkeit" bezüglich der neuen "Zuwanderungsgesetze" und das Verhältnis von Kapitalismus und Rassismus insgesamt.
Mit Jenoptik und vor allem Carl Zeiss sitzen in Jena zudem zwei Unternehmen, die in "optronische" Rüstungsproduktionen involviert sind. Und letzteres verkauft seine "Präzisionsoptik" über die Oberkochener Tochterfirma nicht nur an "Heer, Luftwaffe und Marine" sondern auch an den Grenzschutz. "Zur Überwachung von Grenzen und großen Arealen finden international Grenzraumüberwachungsfahrzeuge der Zeiss Optronik GmbH Verwendung" heißt es stolz auf deren Homepage. Insofern symbolisiert Zeiss geradezu idealtypisch den Zusammenhang von Krieg nach außen und Kontrolle nach innen - und gerät damit "zielsicher ins Fadenkreuz" des Camp 02.
Es könnten sowohl die angekündigten Karawane-2-AktivistInnen sein, die im Juli vor dem Zeiss-Firmenportal die kriegerische Zerstörung ihrer Herkunftsländer thematisieren. Aber auch Pink Silver, dem "Shooting Star" des Camp 01, will AktivistInnen nach Jena mobilisieren und würde dann die Zeiss` Repräsentanz womöglich mit einem Dance In konfrontieren.
Jedenfalls zeichnet sich das antirassistische Grenzcamp einmal mehr als vielfältiger und herausfordernder Treffpunkt ab.