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zur weiteren diskussion um die verhältnisse zwischen refugees und nonrefugees...

einige anmerkungen und fragen aus dem ersten treffen für die zweite runde

gegenseitiger lernprozeß ...

es gibt zwar weder die homogene gruppe der refugees noch die der nonrefugees, vielmehr bestehen jeweils reichlich differenzen, die ein "wir" und "ihr" letztlich in frage stellen.
dennoch können und müssen wir für die jeweiligen sozialen realitäten, für die entsprechenden prioritären interessen und ziele sowie für die herangehensweisen und organisierungsformen von refugees und nonrefugees die existierenden unterschiede reflektieren.
dies muß ein kontinuierlicher, gegenseitiger lernprozeß sein, den wir mit den extrameetings und dem kommenden camp in jena verstärken können aber sicher nicht beenden werden ... "this is not a summer revolution!"

1. who supports whom?!?

einige nonrefugees: "wir sehen uns bisweilen in einer argumentation funktionalisiert als dumme unterstützerInnen, die ihre schuld für 500 jahre kolonialismus und den bestehenden rassismus abzutragen und deshalb den vorgaben und kampagnen der opfer, also der betroffenen flüchtlinge, zu folgen haben...".
einige refugees: "wir unterstützen euch tagtäglich gegen die rassistischen strukturen in deutschland, im aufbau für eine offene gesellschaft, und werden oftmals als vorzeigeflüchtlinge in euren kampagnen instrumentalisiert ..."

wir brauchen mehr zeit für offene und ehrliche auseinandersetzungen um jeweilige taktische kampagnen und längerfristige ziele (siehe punkt 4), wie wir uns aufeinander beziehen können und wollen ...
((erfahrungen/anlässe bieten die karawane (1 und jetzt 2), die grenzcamps, die residenzpflichtkampagne, antiabschiebekampagnen (einzelfallkampagnen und stop deportation class..), die von kanak attak nun nochmal in die debatte gebrachte legalisierungskampagne ...))

2. identitäten ... wie organisieren?

"wenn du mit mir sprichts, vergiß, daß ich jude bin ... und wenn du mit mir sprichst, vergiß nie, daß ich jude bin..." - dies wurde auf dem letzten extrameeting zitiert, um die ambivalenz der identitäten selbst sowie des umgangs damit deutlich zu machen.
die selbstorganisierung von "betroffenen"-gruppen ist nötig und wichtig, um die jeweiligen unterdrückungen klar benennen und spezielle forderungen und kämpfe dagegen entwickeln zu können.
z.b. organisieren sich schwarze oder kurdInnen oder flüchtlinge, weil sie ihre berechtigten interessen im allgemeinen kampf für eine bessere gesellschaft nicht ausreichend wiederfinden bzw. weil z.b. weiße, türkInnen oder nichtflüchtlinge die strukturen dominieren und ihre interessen zumeist an die erste stelle setzen.
gruppenspezifische, "identitäre" organisierung im sinne von selfempowerment bildet eine grundlage für die herausbildung eines umfassenden blickwinkels im kampf um emanzipation und befreiung. doch diese organisierungen können in neue dominanzen, nationalismen und reine partikularinteressen abdriften, wenn nicht der blick und das ziel gleichzeitig auf interessens- und identitätsübergreifende schritte gelegt werden. gegenseitiges interesse und offenheit einerseits, transparenz und vermittlung der jeweiligen organisierungen andererseits könnten diesen doppelförmigen, ambivalenten prozeß in der balance halten. also raum und zeit (eigene treffen, eigene organisierung ...) für spezifische interessen eröffnen bzw. respektieren, zum anderen immer wieder schnittpunkte schaffen und fragen nach möglichen übergreifenden perspektiven aufmachen.
geht es dann -in unserem kontext- letztlich um eine multiethnische organisierung?
oder -weitergefaßt- um das zusammenkommen in einer multitude, einer horizontal vernetzten struktur, in der die autonomien der jeweiligen ansätze respektiert und davon ausgehend gemeinsamkeiten entwickelt werden? und/oder was ist mit transidentitärem prozeß gemeint?

3. ein beispiel zu rassismus und geschlechterbeziehungen ...

das weiß-rote flatterband zur abgrenzung eines frauen-lesben-bereichs beim letzten camp in frankfurt brachte die auseinandersetzung neu auf den tisch:
  • einige refugees kritisierten diese "neue ausgrenzungsform" in einem camp, das doch den anspruch in sich trägt, die grenzen abbauen zu wollen. und die vorstellung, daß auch andere gruppen in einem nobordercamp ihre zelte "abgrenzen", würde sicherlich ein befremdendes bild ergeben.
  • andere (frauen und männer) verteidigen bzw. rechtfertigen diesen schritt der (in erster linie weißen) frauen als schutzraum, als kleinen bereich, wohin überhaupt keine männer zugang haben, um deren dominanzen und alle potentiellen sexistischen belästigungen oder übergriffe auszuschließen.
die unter punkt 3 benannten ambivalenzen können in ähnlicher form auch auf dieses auseinandersetzungsbeispiel im geschlechterverhältnis übertragen werden.
insofern wäre respekt gegenüber der entscheidung der frauen gefordert, die diesen "identitären schutzraum" für sich wünschen und/oder brauchen. und daß die frauen/lesben in einem geschlechtlich gemischten camp mitzuwirken, drückt ja das grundsätzliche interesse nach schnittpunkten oder gemeinsamer praxis aus.
andererseits wäre es gut, wenn diese einrichtung eines extrabereichs besser vermittelt würde, eine größere transparenz dieser erfahrung und entscheidung vor allem gegenüber denjenigen geschaffen würde, die mit den dahinterstehenden auseinandersetzungen nicht vertraut sind.

zudem wäre es sicher notwendig und hilfreich, wenn eine debatte um die frage (weiter)geführt würde, welche erfahrungen mit solchen sexistischen belästigungen oder übergriffen gemacht wurden, wie damit, am besten präventiv, umzugehen wäre, wie also auch darüber transparenz geschaffen und auseinandersetzung in gang gebracht wird.

4. gemeinsame fernziele und die taktische kampagnen und aktionsformen

"globale gerechtigkeit und die abschaffung aller unterdrückungs- und ausbeutungsformen..." ließe sich wohl als gemeinsames, wenn auch abstraktes fernziel definieren, dabei sei dahingestellt, ob ein basisdemokratisches, ein kommunistisches oder ein anarchistisches weltbild dahintersteht. wesentlicher für die erfahrungen der letzten jahre und die kommende zeit waren und sind allerdings fragen an taktische kampagnen, an damit verbundene forderungen und deren praktische ausgestaltung.

gerade im hinblick auf das kommende camp erscheint es sinnvoll, an einer konkreten kampagne, nämlich der gegen die residenzpflicht diese debatte zu vertiefen und an konkreten fragestellungen zu reden, die ja leicht auch auf viele andere kampagnen zu übertragen sind:
  • wie war diese kampagne entstanden, was waren/sind die zentralen bestimmungen? (flüchtlinge als trägerInnen, skandalisierung und menschenrechtsbezug, apartheidsbegriff als verbindung zu herkunftsländern...???...)
  • welche rolle wurde/wird unterstützungsgruppen darin gegeben, welche erwartungen bestanden/bestehen?
  • war eine (taktische) breite in reformistische/lobbyistische initiativen/parteien vorgesehen?
  • gab/gibt es eine konkrete erfolgserwartung oder ist die kampagne eher ein weg, ein prozeß für die (selbst)organisierung?
  • war/ist freedom of movement die "revolutionäre fortschreibung" der doch beschränkteren forderung nach abschaffung des residenzpflichtgesetzes?
  • welches verhältnis/welcher stellenwert besteht zu anderen antirassistischen kampagnen? als ergänzung/teil der vielfalt oder eher als zentraler focus?
  • welche aktionsformen wurden/werden favorisiert bzw. was sind erfahrungen/überlegungen zur ausweitung des zivilen ungehorsams?
  • wie würde die bilanz insgesamt aussehen nach etwa zwei jahren der kampagne? wo sind die grenzen, wo und wie geht es weiter (nach dem camp)?

24.05.2002

28.05.2002