land in sicht ordnungswidrige aktionstage 16. bis 22. august 2002 in hamburg

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einige richtigstellungen betreff eurer hamburger wahlanalyse

07.03.2002 - Hamburger Vorbereitungskreis

liebe leute,

einige richtigstellungen betreff eurer hamburger wahlanalyse:

  1. die pro-schill -partei hatte ihre höchsten wahlerfolge in den bezirken mit hohen migrantInnenanteilen. das waren harburg mit 26 % ( dort lebten auch die verdächtigten wtc+pentagon attentäter) sowie gegenden in wilhelmsburg ( bis 37%). beides sind stadtteile, in denen wesentlich klassisch sozialdemokratische wahlklientel lebt - alte facharbeiterInnen und viele arbeitslose, die sog. modernisierungsverliererInnen. gleichzeitig quartiere, in denen z.t. sehr polarisierte strassenszenen existieren und die einen hohen anteil an bürgerInnen ohne wahlrecht haben bzw. davon kein gebrauch machen. dementsprechend hat man oft von siedlung zu siedlung extrem hohe unterschiede, jenachdem,wer da wohnt.
  2. die pro-schill-partei wurde in allen bezirken und wahllokalen mit über 10 % gewählt, durchschnittlich aber am geringsten in den stadtteilen mit neuem mittelstand und den wohlhabenden vororten, in denen schill eher als schmuddelkind und parvenü gilt. (für interessierte klickt euch durch bei www.hamburg.de zu wahlergebnis 2001). der hamburger speckgürtel bezeichnet die gemeinden rund um hamburg, die zu schleswig-holstei und niedersachsen gehören, welche oft in hamburg arbeiten und schulen etc. nutzen, allerdings in hamburg nicht wahlberechtigt sind. schillfreunde gibt es da sicher, aber wählen durften sie ihn bisher nicht.
  3. die pro-schill-partei versucht durchaus einen parteiapparat aufzubauen, mit z.t. abgehalfterten funktionären von klassischen parteien sowie durch den erfolg angezogen auch leute, die sich ein fortkommen versprechen. insofern lernt schill auch von haider, der kein ein-mann-unternehmen ist sondern vorsitzender der fpö, die er von einem alten nazisammelbecken zu einer modernen, kampagnefähigen partei in österreich umstrukturierte. eine frage ist, ob er an seiner eitelkeit und egozentrik scheitert. ein fingerzeig auf das gelingen liefert die landtagswahl in sachsen-anhalt.

insofern eine etwas andere gemengelage als behauptet.
mit besten grüßen
(anonymisiert)

12.3.2002

Lieber (anonymisiert),

du hast Recht, wenn du den FrankfurterInnen widersprichst, dass die Schill-WählerInnen nicht unbedingt aus den Stadtteilen kommen, wo jedes Haus eine Alarmanlage hat und die Kühlschränke gut gefüllt sind. In diesen Stadtteilen (Saasel, Wellingsbüttel, Popenbüttel, Sülldorf ...) hat Schill und durchschnittliche Wahlergebnisse erzielt.

Ganz so einfach, wie du es darstellst, war das Wahlergebnis der Schill-Partei aber auch nicht. Zwar stimmt es, dass sie in Wilhelmsburg ihr höchstes Wahlergenis einfahren konnten und dies der Stadtteil mit einem der höchsten MigrantInnenanteile (34 %) ist, aber im restlichen Stadtgebiet sieht die Sache viel komplizierter aus. Das zeigt schon ein kurzer Blick auf das Wahlergebnis in St. Pauli (MigrantInnenanteil 37,4 %), das in praktisch allen Sozialstrukturdaten mit Wilhelmsburg vergleichbar ist, wo die Schill-Partei aber eines der niedrigsten Ergebnisse verbucht hat. Im Süden und Osten Hamburgs erhielt Schill sowohl in den Stadtteilen mit hohem MigrantInnen-Anteil als auch in den (ländlichen) Stadtteilen, in denen fast überhaupt keine Menschen ohne deutschen Pass leben druchgängig überdurchschnittlich hohe Stimmenanteile über 20%. Die "niedrigsten" (immer noch um 10%) Ergebnisse erzielte Schill sowohl in den sehr wohlhabenden innerstädtischen Stadtteilen Rotherbaum und Harvesterhude als auch in den sehr armen Innenstadtteilen St. Georg und St. Pauli, während er in den wohlhabenden Vororten eher durchschnittliche Ergebnisse erzielte.

Auffällig ist, dass die Schill-Partei in den Stadtteilen ihre höchsten Ergebnisse hat, in denen sich seit Mitte der 1990er Jahre ein stabiles rechtsextremistisches WählerInnenpotenzial etabliert hat, wobei die Gewinne der Rechten mit in etwa gleichen Verlusten von SPD und CDU einher gingen. Schills WählerInnen kommen also sowohl aus den klassischen "Problemstadtteilen" als auch aus den relativ stabilen Umland-Stadtteilen, auf jeden Fall aber aus einem sich festigenden rechtsradikalen Milieu. Es spricht auch viel dafür, dass es nicht einfach die ModernisierungsverliererInnen sind, die Schill gewählt haben, sondern - ähnlich wie bei den rechtsradikalen Wahlerfolgen der 1980er Jahre - diejenigen, die noch etwas zu verlieren haben. Die hohen Stimmanteile der Schill-Partei auf dem Land sprechen zudem dafür, dass der Erfolg Schills auch auf die dort stärker verbreiteten autoritären Wertorientierungen zurückzuführen ist.

(ebenfalls anonymisiert)