20.09.2002 - Elke Sommer-Seiterschlaeger
Mit dem Hamburger Land-in-Sicht-Camp fand das antirassistische Campen 2002 sein Ende
Mit Beginn des Land-in-Sicht-Camps am 16. August kam es zu einem tief greifenden Klimawechsel in der Hansestadt, seit nun mehr drei Wochen scheint bis auf wenige kurze Hitzegewitter "die Sonn' ohn' Unterlass". Zumindest auf dieser Ebene ist das Camp seinem Anspruch des "Ferienkommunismus" gerecht geworden. Sein Einfluss auf die politische Großwetterlage Hamburgs und darüber hinaus war allerdings gering.
Der selbst verkündete, nicht geringe Anspruch der bundesweiten Camp-Vorbereitung war es, die herrschenden Verhältnisse auf drei verschiedenen Ebenen anzugehen. Zum einen durch eine inhaltliche Aufarbeitung der "autoritären Formierung" und des Rechtspopulismus, zum zweiten durch die Entwicklung und kritische Reflexion von Aktionsformen und Interventionsmöglichkeiten gegen ihn und schließlich mit der Erörterung der eigenen organisatorischen Möglichkeiten, sich dem organisierten Ressentiment entgegenzustellen.
Zumindest der organisatorische Rahmen des Ferienkommunismus gelang. Täglich geleerte Dixi-Klos in ausreichender Zahl, ein hervorragend geführtes Café Zelt, eine unermüdliche Volxsküche und nicht zuletzt die formidable Lage am Hamburger Elbufer waren ein qualitativer Sprung zu vielen vorangegangenen Camps. Auch auf der inhaltlichen Ebene konnte sich niemand über Mangel beklagen. Der morgens meist recht schlichte Tagesplan füllte sich stets bis zum frühen Nachmittag zum Überquellen mit Veranstaltungen aller Art.
Zurecht aber wurde auf dem Abschlussplenum kritisiert, die autoritäre Formierung als thematischer Schwerpunkt sei den CamperInnen zu weit aus dem Focus gerutscht. Von der angestrebten Internationalen gegen den Rechtspopulismus, es wurde sich um die Teilnahme von AktivistInnen aus diversen europäischen Ländern bemüht, blieb am Ende neben einer Veranstaltung mit der Amsterdamer Gruppe Kafka im Vorfeld nur eine abendliche Versammlung mit Heribert Schiedel vom Wiener Dokumentationszentrum des Österreichischen Widerstandes. Nichtsdestotrotz kann dieser Abend, und der sich daraus ergebende Workshop, als einer der erhellendsten Momente des Camps gelten.
... scheint die Sonn' ohn' Unterlass Stärker noch als auf dem Camp selbst war von außen keine klares Profil der Veranstaltung wahrnehmbar. Im Gegensatz zum vorjährigen Camp in Frankfurt gelang es nicht, einzelne Forderungen oder Positionen prononcierter in die Öffentlichkeit zu tragen. Dabei wollte man sich eigentlich mit einer Vielzahl von Aktionen dem Anspruch nähern, neue Interventionsformen gegen den Rechtspopulismus zu entwickeln. Es gab u.a. klassische BürgerInnen-Kontrollaktionen zum Thema "Innere Sicherheit", ein antikoloniales Schnitzeljagen, das Auto des kommandierenden Flottengenerals am Golf von Aden wurde demoliert, eine SPD-Wahlveranstaltung wurde mit Kotzgeräuschen beschallt, eine "Partitur" von Sirenen in einem Viertel aufgeführt, deren Melodie durch die Bewegung der Polizeistreifen entstand. Nur im Falle der Kontrollaktionen kam es jedoch zu einer kritischen Reflexion über ihre politische Nachhaltigkeit. Die Mehrheit der anderen Interventionen blieb entgegen des formulierten Anspruches unreflektiert. Am deutlichsten zeigte sich dies an der Vielzahl von Aktionen gegen den Einsatz von Brechmitteln. Denn so zahlreich die Aktionen waren, der selbsterhobene Anspruch, über die bloße Aktionsberichterstattung hinaus auch kritisch zu beleuchten, ob die Aktionsformen Perspektiven gegen die autoritäre Formierung aufzeigten, wurde nur selten erfüllt.
An diesem Punkt zeigte sich auch das Scheitern der angestrebten Verzahnung linksradikaler Zusammenhänge mit dem sozialen Widerstand gegen die Folgen der Schillschen Politik (Geschlossene Unterbringung, Knastausbau, Repressive Drogenpolitik, drastische Maßnahmen gegen Frauenprojekte, Hochschulpolitik). Als eine der wenigen Gruppen, die nicht dem autonomen Spektrum zuzurechnen war, hatte die "Brechmittelkampagne" den Weg über die Elbe geschafft und bot einen Workshop an, der jedoch nur von einer Hand voll Leuten besucht wurde. Bei allen übrigen Themen kann nur eine beidseitige Sprachlosigkeit von Autonomen und den Initiativen des sozialen Protestes in Hamburg attestiert werden. Überhaupt bleibt festzuhalten, dass sich ein Großteil der Hamburger Linken der politischen Chance dieses Camps verweigerte. Damit hatte sich am Ende auch die Frage erübrigt, welche organisatorischen Strukturen gegen die autoritäre Formierung über das Camp hinaus in Stellung gebracht werden könnten.
Außenwirkung gleich Null
Meist diskutiertes Thema des Camps war letztlich nicht, wie angestrebt, die Vertreibung Ronald Barnabas Schills, sondern das ob und wie von Filmaufnahmen auf dem Camp. Unterschwellig erscheint diese allabendlich aufflackernde Debatte als die hanseatische Version der Straßburger "Dixi-Debatte" (Chemiklos ja oder nein), die auch dort jedes Plenum zu sprengen drohte. Im Kern ist es wohl in beiden Fällen eine Debatte über campinterne Hierarchien und die Fallstricke der Selbstorganisation, denen sich jeder Ferienkommunismus zu stellen hat. Dass der Streit um Hierarchien in den Plena ausgetragen wurde, verweist auf eine viel zentralere Fragestellung, der sich die autonome Linke nach diesem Camp stellen muss. Eigentlich wäre eine solche Debatte Gegenstand des allmorgendlichen Delegiertentreffens gewesen, dem zentralen Entscheidungsgremium des Camps. Doch dort trafen sich kaum ein dutzend Personen, die auch nur zum Teil Delegierte organisierter Gruppen waren. Die meisten CamperInnen waren in losen Bezugsgruppen oder alleine angereist und nahmen die Entscheidungsgremien nicht war, ja, waren nicht in der Lage eigene Interventionsimpulse zu setzen. Damit setzt sich auch auf den Grenzcamps die Tendenz zum individuellen Eventhopping durch, ohne Perspektive einen politischen Alltag jenseits individualisierter kleinst Aktionen zu entfalten. Diese Tendenz widerspricht allerdings ganz grundlegend dem Anspruch des Campens, gruppenbildende Prozesse und deren überregionale Vernetzung zu befördern und damit einer politischen Organisierung der Linken zu dienen.