land in sicht ordnungswidrige aktionstage 16. bis 22. august 2002 in hamburg

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18.06.2002 - Frankfurter Vorbereitungskreis

Hallo,

dies ist kein durchdachtes "Papier", sondern eine spontane Antwort auf die Sexismuskritik "einiger Hamburger Frauen" und als solche ebenfalls ein Input für die Diskussion beim nächsten Treffen.

Erst mal fand ich es klasse, daß ihr einen Input gebt für die sicher nicht leicht werdende Debatte und drangegangen seid, Begriffsklärungen vorzunehmen (auch wenn ich die zu Sexismus nicht ganz teile), z.B. mit der Differenzierung zwischen Sexualität, Sexismus und sexualisierter Gewalt.

Euer Intro, der Bezug auf den Auszug der beiden Frauen auf dem ersten Treffen, konnte ich nicht nachvollziehen. Was ist dabei euer Bezugspunkt? Ich denke, es ist eine Schwäche und keine Stärke und vor allem einfach schade, daß eine noch gar nicht richtig begonnene Auseinandersetzung abgebrochen wird, wenn eine einzelne Person etwas in den Ohren anderer "falsches" sagt. Begründet wird solch ein Abbruch zudem oft mit der Nichtreaktion der Zuhörenden auf eine solche "falsche" Äußerung. Ja wieso soll eine/r denn auf jeden Käse reagieren? Wieso wird erwartet, Positionen diskursiv durch möglichst heftige Distanzierung und Kritik auch noch zu verstärken, statt lieber das stark zu machen und an dem weiterzureden, was einem/einer wichtig ist?! Mensch muß sich doch nicht jeden Schuh anziehen, den eine/r in den Raum kickt!

Die Vorbereitungsrunde empfinde ich als heterogen, manchmal als disparat Es gibt jedesmal neue Gesichter zu sehen, andere dafür leider nie wieder. Bei jedem Treffen kamen bisher gewünschte und vorbereitete Diskussionen nicht zu stande - wie die zu Sexismus letztesmal beispielsweise, weil ihr Vorbereitenden nicht kommen konntet, andere Diskussionen wie die um Menschenrechte ebenfalls nicht, aus Zeitmangel. Diesem chaotischen Haufen unterstellt ihr durch die sprachliche Verwendung des Passivs eine einheitliche Sprechposition und eine einheitliche -und zwar ignorante - Haltung zu einem Thema, über das AUS DIESEN GRÜNDEN bislang noch nicht geredet werden konnte: "wurde gefordert", "ist kein Thema gewesen". Zum unterstellten, gemeinsamen Interesse des Treffens wird so: Die Auseinandersetzung mit sexualisierter Gewalt und Sexismus nicht zu wollen und dagegen eine über Sexualität zu stellen. Dies ist meiner Wahrnehmung nach die meist recht plakativ aber nicht mit viel Inhalt belastet formulierte Position einer einzelnen Person. Wieso verallgemeinert ihr diese Position und ignoriert das, was doch auf dem Treffen, dem ihr implizit Ignoranz unterstellt, gemeinsam beschlossen wurde und was ihr doch offenbar als Arbeitsauftrag übernommen habt: Die Vorbereitung eben dieses Sprechens über Sexismus auf dem (eigentlich letzten) Treffen?!

Der Einfachheit halber konzentriere ich mich nun aber auf den Punkt, zu dem ich den größten Widerspruch habe, eure vierte These: Reden über Sexualität sei in der gemischten Linken (noch) nicht möglich. Das stimmt nicht.

Ihr stellt sie in den Raum ohne sie zu begründen, erklärt scheint sie euch offenbar ausreichend durch den Auszug der beiden Frauen, mithin durch die platte und wie ich finde falsche Polarisierung eines Verfechters einer Auseinandersestzung mit sexualisierter Gewalt versus derer einer Debatte über Sexualität. Außerdem kontrastiert ihr den ignoranten Jungle-World Artikel über Deep Throat mit den Berichten der Hauptmitwirkenden über die sexualisierte Gewalt, die dieser Film für sie bedeutete, als sei damit alles über die Tendenz der Linken, sexualisierte Gewalt mit Sex zu verwechseln gesagt. Ist es nicht. Was dieses Beispiel mit dem Hamburger Camp zu tun hat, bleibt offen. Und so greift eure vierte These zu kurz und schüttet das Kind mit dem Bade aus. Geklärt werden muß meiner Meinung nach das WIE des Sprechens und nicht das OB!

Ihr bezieht euch ausdrücklich nicht auf das Frankfurt Camp, daß Ihr "nur vom Hörensagen" kennt. Warum aber nicht? Der Bezug auf einen Artikel, den vermutlich keine/r aus der Vorbereitungsgruppe geschrieben hat ist nicht fundierter als "Hörensagen", zumal einige aus der Vorbereitung zu Frankfurt aus erster Hand sprechen könnten und es dazu hier Texte zu lesen gab.

Auch wenn die Erfahrungen des Frankfurt-Camps nicht Basis der Hamburg-Vorbereitung sind, genau so, wie wir auch zu sonst nichts alle die gemeinsame Erfahrung haben, so ist sie doch eine Erfahrung einiger der Vorbereitenden und hoffentlich auch einiger CampteilnehmerInnen.

Statt den Raum mit Fragen nach diesen Bezügen im Vorbereitungskreis aufzumachen, macht ihr ihn zu, indem ihr diese Erfahrungen in den Bereich der "Hörensagen" verweist. Auch den Bezug zur "Geschichte des HH-Treffens", so, wie ihr sie schreibt, vermag ich, wie gesagt, in der Form nicht zu teilen.

In Frankfurt gab es mit dem Auslöser "Anlaufstelle" differenziertes, sensibles und zugleich kontroverses Sprechen über Sexismus UND Sexualität (und noch vieles andere), mit teils über 100 TeilnehmerInnen sowie Streit darum, was beides nicht miteinander zu tun hat und was möglicherweise doch. Nur ein plakatives Beispiel dafür: Was eine/r als sexistisch und bedrohlich empfindet, kann für eine/n anderen sexy sein - Beispiel "nackte Männeroberkörper", zudem spielen der Kontext, der Blick, die Haltung, die Intention des/der Sehenden/Angesehenen eine Rolle, die Art, wie sich bewegt wird. Wie wird Körper inszeniert, welche Körperpolitik wird gemacht, etc. Darüber zu sprechen ist doch spannend und lont sich allemal! (Ich beziehe mich weiter auf die Anlaufstellen-Texte, die ich vor ein paar Wochen hierhergeschickt hatte.)

Ich möchte ein ordnungswidriges Camp, in dem die eigene Vergesellschaftung, zum Beispiel die Kritik der patriarchalen Ordnungen eine Rolle spielen. Dazu gehören für mich Diskussionen um Sexismus und sexualisierte Gewalt - die ja gerde im Kontext mit Rassismus oft eine besondere Markierung erfahren - und eine genaue Kritik patriarchaler Gesellschaftsstrukturen ebenso wie eine Debatte um oder besser eine Kritik der Sexualität. Sie ist Teil "gemischter Praxis", ein nicht nur persönliches Politikum und ich habe ein Interesse daran, darüber auch in gemischten Strukturen zu sprechen, weil ich mich u.a. auch in ihnen bewege.

Das Gegeneinanderstellen eines Interesses von BefürworterInnen einer Sexismuskritik als Patriarchatskritik versus der unreflektierten angeblichen "LustfreundInnen" und ihrem Redenwollen über Sexualität ist absurd. Beides ist notwendig und schließt sich nicht aus, die Besetzung beider Diskussionen mit einem je positiven und negativen Verhältnis zu Lust ist irreführend. Die Auseinandersetzung mit patriarchaler Srukturen, als Teil der Vergesellschaftungsmaschine, in die wir alle eingespeist sind, kann meiner Erfahrung nach als Erkenntnisgewinn empfunden werden und als solcher auch lustvoll sein. Das Reden über Sexualität bedeutet dagegen doch nicht kritikloses Abfeiern von Heterosex als Glücksverheißung.

Daß dieses Konstrukt sich gleichwohl halten kann wird nicht durch ein Nichtredendürfen über Sexualität besser, was eure These im Grunde impliziert. Denn ein solches "Verbot" unterstellt den BefürworterInnen des Sprechens über Sexualität unausgesprochen eine bestimmte ART des Redenwollens. Diese mit dem Auszug der beiden Frauen, dem HH-Treffen seither und dem ignoranten Jungle-World Artikel nicht ausreichend erklärte Voraussetzung teile ich nicht.

Wir haben in Frankfurt begonnen, eine Diskussionsrunde zu Sexualität vorzubereiten, in der Raum sein soll für Wünsche, Ängste und Brüchigkeiten, die mit dem Thema verbunden sind. Wenn wirs zeitlich bis dahin schaffen, mit all den Schwierigkeiten, die wir natürlich damit haben, und wenn wir dazu Zeit finden, möchten wir unseren Zwischenstand auf dem nächsten Treffen vorstellen und zusammen überlegen, ob und wie er umsetzbar ist.

Bis zum Wochenende!

(anonymisiert)