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>(Hetero-)Sexualität< in einer Theorie der Geschlechterverhältnisse

11.08.2002 - Peter Wagenknecht

Die Geschlechterverhältnisse - als Verhältnisse der materiellen Produktion von Leben und Lebensmitteln sowie der kulturellen Produktion von Zeichen, Bedeutung, Wissen etc. (Hang 1996) strukturieren, was im Feld des Sexuellen zusammengefasst ist, was darin geschieht und möglich ist. Dabei können die verschiedenen Elemente des Sexuellen zu Herrschaftsakten, zur Ausbeutung, zu ideologischem Genießen oder subversiver Lust gehören. Sie sind Mittel, Waffen, Einsatz, zugleich aber auch Preis und Teil dessen, was auf dem Spiel steht, in den widersprüchlichen Praxen und den Kämpfen, die den Geschlechterverhältnissen ihre je historische Form geben.

Nach Foucault (1983) bringt erst der Diskurs der Sexualität in der Moderne ein »Sexualitätsdispositiv« hervor, mit dem die sexuellen Praxen als solche benannt, in einen Zusammenhang gesetzt und auf ein >Selbst< bezogen sind. Ein formierendes Wissen entsteht, das sich zwar untersuchen, aber nicht umgehen lässt. Es schreibt sich den sexuellen Subjekten ein, die sich und die Welt nur >in( diesem Wissen erkennen können, individualisiert sie und geht in ihre gesamte Lebenspraxis ein. Zugleich - und davon schweigt Foucault - transformiert dieses Wissen die Geschlechter: Es codiert Verhaltensformen in Innerlichkeitsverhältnisse und macht die so entstehenden Geschlechts>naturen< zur konstitutiven Norm der Geschlechter und ihrer hierarchischen Anordnung. Mit dieser Produktion von Normalität tritt nicht einfach ein weiteres Herrschaftsmoment in die Geschlechterverhältnisse ein, sondern die Herrschaft verändert ihre Form insgesamt.

In einem gewalttätigen, sich institutionalisierenden Prozess wird Heterosexualität zum >Natürlichen<, indem sexuelle und geschlechtliche Devianz produziert wird, also nicht-normale Sexualitäten und Vergeschlechtlichungen definiert werden, die als >unnatürlich< weniger legitimiert oder nicht intelligibel sind (1). Die Normalisierung ergreift sämtliche Lebenspraxen und gerinnt in der Wissensproduktion zum Sexualitätsdispositiv, das den Rahmen aufspannt, in dem die Geschlechter sich nurmehr denken lassen. »>Intelligible< Geschlechter errichten und erhalten in einem bestimmten Sinn Verhältnisse dauerhafter Übereinstimmung zwischen biologischem Geschlecht, sozialem Geschlecht, sexueller Praxis und Begehren.« Butler 1990, 17, Obers. P. W) Produkt der Normalisierung ist die »heterosexuelle Matrix« jene hierarchische Anordnung in genau zwei Geschlechter, die körperlich und sozial klar unterscheidbar, jeweils in sich vollständig und im sexuellen Begehren polar auf einander bezogen sind , auf der die heute hegemoniale Bedeutung des Begriffs >Geschlecht< beruht.

Dieser Prozess vollzieht sich herrschaftlich von oben nach unten aber in einem Feld sozialer Kämpfe, das zugleich neue Praxen und Akteure hervorbringt. Die Norm braucht Devianz, zu der sie in ein dialektisches Verhältnis tritt. Von devianten, gegen die Heteronormativität angeeigneten und behaupteten Positionen aus aber lassen sich die Natürlichkeit von Zweigeschlechtlichkeit und Heterosexualität bestreiten und die Produktion der Norm als Herrschaftstechnologie begreifen, um das Verhältnis von Norm und Devianz Oberhaupt aufzuheben. Dabei begründet und erfordert die theoretische Kritik, die selbst eine Form der Praxis ist, weitere Praxen zur bewussten Veränderung dieser Verhältnisse. Sexuelle Politiken intervenieren in die kulturelle Produktion der Geschlechter, in die symbolische Ordnung, und stellen so die naturalisierte Hierarchie in Frage (quaestio 2000b). Vor dem Hintergrund solcher und vor allem queerer Politiken möchte ich drei Punkte umreißen, an denen eine Diskussion über >Sexualität< für die Theorie der Geschlechterverhältnisse produktiv wird: die angenommene »natürliche Basis<< der Geschlechter, die Heterosexualisierung der Geschlechter unter dem Sexualitätsdispositiv und die neoliberale Tendenz zur Auflösung der Geschlechterpolarität in vielfach zerklüftete, dabei hierarchisch angeordnete und warenförmige Verschiedenheiten.

Natürliche Basis oder sinnlich-körperliche Substanz

Zum binären, heterosexuellen Konzept der Geschlechter gehören die Auslöschung der sozialen Praxen, in denen die Geschlechter erst geformt werden, und die Begründung ihrer Verfasstheit ans der Natur. 1 n der theoretischen Durchdringung dieses Prozesses fällt eine Grundentscheidung: Entweder werden die (zwei) Geschlechter als natürliche Tatsache verstanden, die von der Vergesellschaftung ergriffen, geformt Lind dann wiederum »als >Natur< behauptet« werden (vgl. Frigga Hang in diesem Heft). Oder das >Natürliche< wird nur als Substanz verstanden, die auf keine Weise für sich stehen kann, sondern von Vornherein gesellschaftlich geformt ist dann sind alle Geschlechter selbst eine Form, in die die >Natur< gebracht ist. Diese Ansicht werde ich hier vertreten. Der Unterschied beider Konzeptionen wird daran fassbar, wie in ihnen >Fortpflanzung< jeweils gedacht ist, wie dieses eine Element von Sexualität zu ihren anderen im Verhältnis steht.

Das erste Konzept folgt der Naturerkenntnis der Moderne, die zwei Geschlechter empirisch-biologisch nachweist. Darin müssen historische und kulturelle Variationen der Geschlechter (für Beispiele vgl. die Beiträge in Duberman, Vicinus und Chauncey jr. 1989 und Herdt 1996) auf unvollständiger oder falscher Naturerkenntnis beruhen und zwittrige Körper, die nicht in das Modell passen, als »Monster« (Reiter/Klauda 200 1 ) gebannt werden. Daraus ergibt sich noch nicht zwingend ein bestimmter Umgang mit diesen Vielfalten, aber letztes Kriterium der theoretischen Fassung von nur zwei Geschlechtern bleibt deren »natürliche >Komplementarität< in der Fortpflanzung« mithin der heterosexuelle Akt, der als VoraussetzungundTeildesGattungserhaltsprivilegiertist,wasalleanderenFormen der Vergeschlechtlichung tendenziell verwirft oder abwertet.

Gegen genau diese Tendenz steht das zweite Konzept, mit dem als körperlichsinnliche Substanz des Menschen das Gesamt aller Möglichkeiten begriffen wird, die in den konkreten Formen der Geschlechter und sexuellen Praxen ihre Wirklichkeit haben. Die Differenzierung in zwei oder mehr Geschlechter ist damit selbst ein Akt der Vergesellschaftung. In der Deutschen Ideologie schreiben Marx und Engels, ein Verhältnis, das »gleich von vornherein in die geschichtliche Entwicklung eintritt«, ist, dass die Menschen,

die ihr eignes Leben täglich neu machen, anfangen, andre Menschen Zu machen, sich fortzupflanzen das Verhältnis zwischen Mann und Weib, Eltern Lind Kindern, die Familie. Diese Familie, die im Anfange das einzige soziale Verhältnis ist, wird späterhin, wo die vermehrten Bedürfnisse neue gesellschaftliche Verhältnisse, und die vermehrte Menschenzahl nette Bedürfnisse erzeugen, Zu einem untergeordneten (MEW 3,29).

Mit dieser analytischen Konstruktion wird eine der drei »großen Arbeitsteilungen« eingeführt, um Arbeitsteilung als »entscheidende[n] Ansatzpunkt für alle komplexeren Formen von Herrschaft und Partikulareigentum« und zugleich »Voraussetzung der Entwicklung der Produktivkräfte und des gesellschaftlichen Reichtums« - theoretisch fassbar zu machen (Hang 1994, 565). Welche Voraussetzungen aber haben das Modell selbst und seine Begriffe'.' Welche nicht erwähnten Praxen bringen erst hervor, was hier als >Mann<, >Weib<, >Eltern<, >Kinder<, >Familie< bezeichnet wird'?

Im Kapital 1 schreibt Marx, der Mensch eigne sich »den Naturstoff in einer für sein eignes Leben brauchbaren Form« an, und indem »er durch diese Bewegung auf die Natur außer ihm wirkt und sie verändert, verändert er zugleich seine eigne Natur«. (MFW 23, 192) Was zuerst »instinktartige Form« der Arbeit war, wird »zweckmäßige Tätigkeit« (193). Der >Instinkt< ist jedoch ein rein spekulatives Element. Seine Kraft und seine Richtungen lassen sich nicht klären, weil es eine reine Naturform des Menschen nicht gibt. Menschwerdung ist Bewusst-Werden gefragt werden muss, woran dieser Prozess sich heften, was er als >Natur< aneignen konnte. In Bezug auf die Fortpflanzung konnte die >natürliche< Form der Arbeitsteilung zunächst nur eine sein zwischen denen, die Kinder austragen, gebären und nähren, und denen, die das nicht tun. In unseren Begriffen: eine Arbeitsteilung zwischen Müttern und Nicht-Müttern, keine zwischen Frauen und Männern. Später konnten Hilfestellungen, Wissensweitergabe von Mutter-Gewesenen an Mütter und mögliche Mütter hinzukommen. In dieser Vergesellschaftung wird die Tätigkeit zur Arbeit und entstehen die Bewusstseinsformen, in denen die Arbeit verstanden wird. Sie bilden eine Kategorie der >Produzentin von neuem Leben< wie auch immer diese bezeichnet wird. Erst daraus konnte ein »Verhältnis zwischen Mann und Weib« entstehen, mit dem diese sich als >Mann< und a1s >Weib< zu einander ins Verhältnis setzen. Das war aber kein notwendiger Prozess, wie andere Formen der Arbeitsteilung zeigen, die dem heute dominanten Modell zweier, komplementär angeordneter Geschlechter nicht entsprechen.

Wenn die Familie »im Anfange das einzige soziale Verhältnis« war, musste sie alle Menschen umfassen, deren tägliche Praxis der Lebens- und Lebensmittelproduktion sie miteinander verband bestand also gerade nicht nur aus »Mann und Weib, Eltern und Kindern«. Die Begriffswahl setzt den Ausgangspunkt der Arbeitsteilung in Analogie zur heterosexuellen Kernfamilie - die nicht gemeint sein kann, aber das Praxisfeld verdeckt, das sie erst hervorgebracht hat. Die Prozesse, in denen Menschen »anfangen, andre Menschen zu machen« wobei sie sich zur Fortpflanzung auf irgendwelche Weisen ins Verhältnis setzen, sich ihre körperliche Natur aneignen, Arbeit teilen und ein Geflecht sozialer Beziehungen entwickeln, in dem >Eltern< und >Kinder< nur mögliche Ausprägungen unter vielen anderen Formen von >Familie< sind verschwinden hinter der quasi-natürlichen Anordnung Vater + Mutter+ Kind.

Ein transhistorischer Familienbegriff verstellt Marx und Engels im Frühwerk den Blick, vor allem jedoch geht ihre Suche nach einem theoretischen Modell, mit dem die Entstehung der Arbeitsteilung begreifbar wird nicht von den sozial-werdenden Praxen aus, die sich gegeneinander differenzieren, sondern von den postulierten Naturformen, die sich ins Soziale verlängern und dort verändern. Damit werden Geschlechter und Familie nicht als historische in ihren Details arbiträre, in ihrer Ausprägung von Interessen und Verhältnissen bestimmte - Formen der Aneignung von Natur begriffen, sondern als in ihrem Kern von der Naturform mitbestimmt >die< Natur selbst ist als eine Determinante am Werk. Ungewollt hat solche Theorie eine offene Flanke zu metaphysischem Naturverständnis und zum Rekurs auf Natur in der ideologischen Begründung von Verhaltensnormen.

Dagegen steht konsequente Historisierung. »Die Mitglieder jeder Gesellschaft bringen sämtliche sexuellen Kategorien und Rollen hervor, in denen sie handeln und sich selbst begreifen. Die Kategorien und die Bedeutung der dazu gehörenden Aktivität unterscheiden sich ebenso sehr wie die Gesellschaften, in deren Verhältnissen sie vorkommen« Padgug, 1979, zit. n. 1992, 262f, Übers. P.W.). Die anthropologischen Universalkategorien sind Produkte gesellschaftlicher Verhältnisse aber auch die ihnen entgegengesetzten, um >Performativität< gruppierten Konzepte des feministischen Poststrukturalismus und der Queer Theorie. Letztlich stellt sich die Frage, wie Begriffsstrategien in den sozialen Kämpfen um die Geschlechterverhältnisse einsetzbar sind. Nach Diskussion von Entstehung und Funktionen der heterosexuellen Kohärenznorm komme ich auf solche politischen Einsätze zurück.

Heterosexualisierung der Geschlechterverhältnisse

Was Foucault als Diskurs der Sexualität analysiert, ist eine neue Form der Regulation gesellschaftlicher Verhältnisse und eminent der Geschlechterverhältnisse. Er selbst untersucht diese Regulation aber nur in ihrer bloßen Gestalt - ohne die Interessen, die sich darin bündeln und die historischen Akteure, die sie durchsetzen. Um Hinweise auf diese Interessen und Akteure freizulegen, ist es vor allem nötig, Foucaults Geschichte der Wissensanordnungen in eine der Praxisformen einzubetten, die das Wissen hervorbringen, die in ihm reflektiert und mit Hilfe dieses Wissens beherrscht werden.

Bei Foucault »taucht« im Wissen etwas »auf<<, das nach den Regeln des Wissens organisiert wird, wobei zugleich die Regeln der Organisation entstehen. So ein merkwürdiges Auftauchen ist die »Einpflanzung der Perversionen«: Statt der Eheleute wird plötzlich die »Sexualität der Kinder, der Irren und Kriminellen verhört, die Lust derer, die nicht das andere Geschlecht lieben, die Träumereien und Zwangsvorstellungen, [... ] All diese ehedem kaum wahrgenommenen Gestalten müssen nun vortreten, um [... ] zu gestehen, wer sie sind« (Foucault 1983, 53). Die Folgen der Veränderung werden geschildert, ihre Ursachen - ökonomische und politische Umbrüche - nicht. Die Wissensproduktion ergreift eine Fülle von Praxisformen, die mit dem Aufstieg des Industriekapitalismus entstehen mit dem Wachstum der großen Städte, der Zusammenfassung der Arbeitskräfte in der Fabrik (wo Männer, Frauen und Kinder arbeiten, ungleich entlohnt), der Verelendung großer Teile der Bevölkerung, den Wohnverhältnissen der unteren Schichten (zehn Personen in einem Zimmer, mehrere in einem Bett), der Zunahme von Prostitution' etc. Diese und weitere Veränderungen bringen vielfältige Formen sexuellen Verhaltens hervor, die als >neue< und jetzt öffentliche sichtbar werden. Sie werden, was im Diskurs der Sexualität verhandelt wird.

Mit der Aufhäufung des Wissens ist eine wachsende soziale Gruppe befasst, die aus dem Bürgertum stammt und im größer werdenden Staatsapparat Lohn und Brot hat. Diese Gruppe geht an die Wissensproduktion vor dem Hintergrund ihrer eigenen Lebenserfahrung, also geprägt von Lebensverhältnissen, die auf der geschlechtlichen Arbeitsteilung in der bürgerlichen Familie beruhen - wo der Mann außer Haus und die Frau als Hausfrau tätig ist. Diese Arbeitsteilung wird im Bürgertum möglich, wo der Geldanteil des Haushaltseinkommens sichtbar wächst und den anderen (Subsistenz-)Anteil zu seiner handelbaren Ware machen kann. Das Kapital tritt neben die produktiven Hauswirtschaften und beginnt, sie sich unterzuordnen (vgl. MEW 23, 533)1 - seine eigene zuerst. In der Zirkulationssphäre, im Wachstum des Kapitals und in der Zunahme seiner Bewegungen (von Waren und Geld), entsteht die >Öffentlichkeit< und zusammen mit dieser als ihr Gegenteil die >Privatsphäre<. Indem das Kapital neben die selbständigen Produzenten tritt und beginnt, sie auszusaugen, emanzipiert es sich von der Einbindung in eine eigene Hauswirtschaft, wird es öffentlich und männlich. Das setzt geschlechtliche Arbeitsteilung voraus, die in diesem Prozess transformiert wird. Die Veränderung hat viele Keime und beginnt lange bevor kapitalistische Produktionsverhältnisse sich durchsetzen. Die bürgerliche Gesellschaft und ihre Familienform stellen dann die - vom Staat garantierte - Unterscheidung in >Öffentliches< und >Privates< bereit. Darin wird Wissen von Männern und öffentlich produziert, und sie gehört zum Rahmen des Diskurses von der Sexualität.

Wo geschlechtliche Arbeitsteilungen vielfältige gegenseitige Abhängigkeiten enthielten, steht jetzt eine autonome Sphäre der anderen - von ihr abhängigen beherrschend gegenüber, und diese Ungleichheit geht in die Produktion des Wissens von Sexualität ein, wird darin überformt. Wo vorher Fleischesakte, grausam erzwungen, bezahlt, einverständig gesucht oder etwas dazwischen, jedenfalls Sache von zwei (selten wohl mehr) direkt Beteiligten waren, steht nun Sexualität, verhandelt als öffentliche Angelegenheit, um sie als eine Sache zwischen zwei Personen hervorzubringen zu den veröffentlichten Bedingungen. Skandalisiert werden Abweichungen: die Hysterikerin als übersexualisierte Frau gegenüber der Mutter; der Don Juan als Mann, der seine Geschlechtlichkeit nicht beherrscht und zur Herrschaft einsetzt, sondern selbst von ihr beherrscht ist, der - anfangs männliche Homosexuelle als Mensch, der Elemente des Männlichen und des Weiblichen in sich vereint, der ihm vorangegangene Hermaphrodit, der einst als sündiges Wesen mittelalterliche Spelunken bevölkerte und schließlich ein Kranker geworden ist. Zwischen die Geschlechter tritt eine klare sexuelle Grenze und der Umgang mit der eigenen Sexualität stellt ihnen unterschiedliche Anforderungen.

Diskurse benennen und ordnen die Gefühle, legen fest, was ein richtiger Mann, was eine richtige Frau ist und wie sie sich richtig zueinander ins Verhältnis setzen. Sie reflektieren die vor sich gehenden Veränderungen, ergreifen und organisieren sie, schreiben sie fest. Das vollzieht sich in einem Feld sozialer, diskursiver Kämpfe, deren Konstellation in ein Dispositiv gerinnt und ihre eigene Fortsetzung verfügt. Die Geschlechter gehen in den Diskurs der Sexualität als ungleiche hinein und im Diskurs wird ihre Ungleichheit zu Entfremdung aufeinander angewiesen werden sie in verschiedene Welten verwiesen. Das ist, was Freud und mehr noch Lacan als >Begehren< analysieren: ein immerwährendes Verlangen, n als >Begehren< ana ysier [Fehler im Original] zu vereinen, das nie erfüllt werden kann, weil beide auf ewig getrennt sind und genau diese Trennung das Verlangen selbst verewigt (dabei ist die Form naturalisiert, in der das Begehren entsteht, die ödipale Familie). Die ungleiche Anordnung lässt sich nicht verstehen, ohne dass die heterosexuelle Norm in die Analyse eingeht.

Die Heterosexualisierung der Geschlechterverhältnisse setzt eine in die Menschen hineinverlegte äußere Anordnung durch, mit der zum körperlichen Geschlecht nicht mehr nur nach Stand, Religionszugehörigkeit, Alter etc. differierende Verhaltensweisen gehören, sondern mit der die Erwartung eines bestimmten Verhaltens sich aus den immergleichen emotionalen Strukturen begründet. (Hingabe, Wärme, Fürsorge, etc. machen die Geschlechts>natur< der Frau aus, Kampf, Sieg, Herrschaft etc. die des Mannes -- und beide Geschlechter sind polar auf einander verwiesen.) Heterosexualität geht als Dispositiv in die Geschlechterverhältnisse ein, stützt sie materiell als Regulativ der Wissensproduktion, als Normalisierungsmodell, als Anrufungsverhältnis und als Zuweisungsmodus in der Arbeitsteilung. Erst vor diesem Hintergrund lassen sich die fordistische Fabrikarbeit (Gramsci, vgl. Hang 1998)und ingewisseinSiiinkomplementärdazu-diehistorischelndividualitätsform Hausfrau (Hang 2001), die umkämpften Interventionen des Staates (im Anschluss an Pottlantzas), die Reproduktion der Verhältnisse in den ideologischen Staatsapparaten (Althusser), Bevölkerungspolitik, Staatsrassismus (Focault) und vieles mehr untersuchen, das zu der von Frigga Hang entworfenen Theorie der Geschlechterverhältnisse gehört.

Die heterosexuelle Kohärenznorm kann nur wirksam sein, weil sie unerfüllbares Ideal ist, dem niemand völlig entspricht. In der Unmöglichkeit tatsächlicher Mustermänner und -frauen liegt die strukturierende Kraft der Norm und zugleich öffnet sich darin ein Einsatzpunkt für Widerstand. Im letzten Punkt geht es mir um ein theoretisches Verständnis für die Widersprüche, in denen sich sexuelle Politiken bewegen, wenn sich - wie gegenwärtig zu beobachten die starr polare Hierarchie sowohl zwischen den Geschlechtern als auch zwischen >normal< und >deviant< auflöst in vervielfältigte, sich überlagernde Hierarchien, wenn sich also die Norm pluralisiert, ohne dass Herrschaft und Ausbeutung verschwinden.

Sexuelle Politiken und neoliberale Warenform der Sexualität

Foucault untersucht eine umfassende Individualisierung, als deren Medium der Sex fungiert, der als »allerorts zu entschlüsselndes Geheimnis« (1983, 184) im Innern des Sexualitätsdispositiv nistet. »Jeder Mensch soll nämlich durch den vom Sexualitätsdispositiv fixierten imaginären Punkt Zugang zu seiner Selbsterkennung haben [ ... J, zur Totalität seines Körpers [ ... ], zu seiner Identität (weil er an die Kraft eines Triebes die Einzigkeit einer Geschichte knüpft).« (1 85) Diese Aussage wird durch ihren Kontext verblüffend, die Heterogenität und hierarchische Anordnung sozialer Positionen, denen zum Trotz überall derselbe Mechanismus wirkt. Gerade dadurch aber wird die Jagd nach dem Geheimnis des Sexes zum Instrument der kollektiven Unterwerfung: »Sexualität ist das spätmoderne >Opium< des Volkes, das unser Bewusstsein von den materiellen Dimensionen unserer sexuellen Existenz ablenkt.« (Evans 2000, 69) Zu untersuchen sind wenigstens drei Dimensionen der Entspannung von Sexualität in die Gesamtverhältnisse: Politik des Staates, individuelle Konsumtion, Konsumtion der Arbeitskraft durch das Kapital.

»Sexuelle (Staats-)BürgerInnenschaft« (citizenship) ist die Region der vom Staat gewährten, garantierten, differenzierten und differenzierenden Rechte. Umkämpft ist, welche sexuellen Subjekte welchen Schutz beanspruchen können, Zugang zu welchen Sozialleistungen haben, Asyl und Aufenthaltsrecht erhalten etc., also ein ganzes System der Regelung von Zugehörigkeiten und Ausschlüssen, in dem zu gewinnende Handlungsfähigkeit und regulierende Unterwerfung ineinander verknäult sind (quaestio 2000a). Vor allem hier setzen sexuelle Politiken bisher ein. Sie agieren in einem widersprüchlichen Feld: Die moralgesteuerte Regulation durch den Staat nimmt in dem Maße ab, wie emanzipatorische Bewegungen gegen Diskriminierungen von Frauen, Homosexuellen etc. vorgehen. Zugleich aber bleiben patriarchale Herrschaft und heterosexuelle Dominanz bestehen, das Gefüge staatlich fundierter juristisch-sozialer Positionen fächert sich hierarchisiert auf und die Hierarchie wird durch ökonomische Auffächerung vervielfältigt. Im Neoliberalismus zeigen sich diese Tendenzen - die schon seit Beginn des 20. Jahrhunderts angelegt sind geradezu als Zerklüftung des Sozialen.

Um die Wende der 1960er auf die 1970er Jahre -- hegemonial signifiziert durch Stonewall in den USA und durch die so genannte »Sexwelle« erlebt Sexualität einen Aufstieg in der aufsteigenden Konsumsphäre. Sexuelle Akte, Stile, >Identitäten< werden in viel größerem Maße zur Ware als je zuvor: In der Welt des Konsums hockt der Sex an jeder Ecke. Als kaum noch verhalltes Versprechen wird er eingesetzt, um Produkte zu verkaufen. Zugleich entsteht eine ganze Industrie, die ihn direkt auf den Markt bringt, seine Bilder, seine Werkzeuge, seine Arbeitskräfte. Sexuelle Vorlieben formieren sich zu Marktsegmenten und in deren Expansion liegt ein wichtiger Grund für die nachlassend moralische Haltung des Staates. Aber die sexuelle Individualisierung, die immer weiter treibende Suche nach der Wahrheit des >Selbst<, macht auch nicht gekauften Sex zu im Ideal wechselseitigen, also getauschten Akten des Konsums von Sinnlichkeit, die marktförmig organisiert sind. Sexualität ist in der Warenform verdinglicht. Die formale Gleichheit der Marktsubjekte verdeckt ihre reale Ungleichheit und ihre tatsächliche Einzigartigkeit.

Geschlecht und Sexualität sind Eigenschaften der Arbeitskraft, die sie je speziell vernutzbar machen. Die gesellschaftliche Arbeitskraft wird eingespannt in ein Netz sexistischer, rassistischer Herrschaftsverhältnisse - als in sich mehrfach differente konstituiert und weist unterschiedlich ausbeutbare Eigenschaften auf, die in den Arbeitsprozess eingehen. Teils sichtbar, teils unsichtbar, gehen Geschlecht und Sexualität auch ins hergestellte Produkt ein. Sichtbar etwa, wo das Arbeitsprodukt eine Dienstleistung ist, eine Repräsentation der Arbeitskraft selbst mit umfasst. Regelmäßig ist dabei geschlechtliche Kohärenz verlangt, oft genug eine Darstellung von Heterosexualität. Ist handwerkliches Geschick nötig, wird ein Mann erwartet, geht es um Fürsorge, eine Frau. Solche Erwartungen zu durchkreuzen kann den Absatz behindern, das Produkt aber auch interessanter machen. Vor allem in Bereichen hochbezahlter Dienstleistungsarbeit ist Individualität zum Ausweis von Kreativität geworden. Hier stehen Arbeitskräfte tendenziell weniger unter Zwang, die rigiden traditionellen Hetero-Geschlechtermodelle zu verkörpern (diese Tendenz hat viele Brüche), müssen aber Leistungsfähigkeit und Flexibilität zeigen. Die Leistung hängt widersprüchlich mit dem Geschlecht zusammen, etwa wo Männer sich im Beruf als >ganze< Männer erleben und verwirklichen (für ein Beispiel aus der Informationstechnologie vgl. Massey 1999) oder wo Frauen sich in >Männerberufen< als Frauen beweisen, indem sie höhere Anforderungen als Männer erfüllen (für Beispiele aus dem Bankgewerbe vgl. McDowell 1999). Flexibilität beweist sich in Ausdehnung der Arbeitszeit. Sie hat ebenfalls widersprüchliche Wirkungen, viele der Arbeitskräfte leben ohne Kinder, ein Teil (vor allem heterosexuelle Männer)aktualisiert aber auch das alte kleinfamiliäre Rollenmodell. Die Differenzierung der gesellschaftlichen Arbeitskraft, in die auf viele Weisen alte und neue Geschlechterentwürfe und sexuelle Selbstverhältnisse eingehen, führt insgesamt zur Abnahme von Solidarität. Damit kommen wichtige Fragen auf die theoretisch-politische Agenda: Wie hängen die alten, korporatistischen Formen des Arbeitskampfes mit der Repräsentation heterosexueller Männlichkeit zusammen? Welche anderen Formen wurden dadurch behindert oder unsichtbar gemacht? Wie kann im Zeitalter der sexuellen Individualisierung Solidarität neu entstehen?

Materielle Formierung der Sexualität, Heterosexualisierung der Geschlechter, neoliberale Auffächerung in vielfältige sexuelle Identitäten, Unter- und Postidentitäten bei heterosexueller und männlicher Dominanz - diese Themen gehören zur Theorie der Geschlechterverhältnisse. Für ihre Bearbeitung sind queere Kritiken der (Hetero-)Sexualität ein guter Ausgangspunkt (Genschel 1996). Gegen einen Teil der Queer Theory - den sie »avant-garde queer theory« nennt hat Rosemary Hennessy indes den Vorwurf erhoben, die vertretenen Auffassungen seien dem neoliberalen Projekt kompatibel. »Die liberale Ambivalenz gegenüber der Homosexualität wird im Spätkapitalismus aus den moralischen und rigorosen Kategorien von Toleranz und Ekel überführt in die eher postmodernen, unentschiedenen Formen von Spiel und Vergnügen, die an der Formierung einer hegemonialen postmodernen Kultur beteiligt sind.« (2000, 68f) Das unendliche Vergnügen am Spiel mit immer neuen Bezeichnungen und Rekontextualisierungen, das sich in der Theorie ebenso zeige wie in politischen Mobilisierungen, sei Teil der kulturellen Repräsentation der Warenform. Diese Kritik zielt darauf, in Dekonstruktionen von Geschlecht und Sexualität Herrschafts- und Ausbeutungsverhältnisse mitzudenken, die sich auf >Performativität< nicht reduzieren lassen. Damit gehört sie als ihr Spiegelbild zu der Denkbewegung, die zu umreißen ich versucht habe: Einführung der Dimension (Hetero-)Sexualität in den Begriff >Geschlechterverhältnisse<.

Anmerkung

1 Bekanntlich wurden lange Zeit auch Feministinnen, die sich gegen die >Natürlichkeit< der patriarchalen Herrschaft verwahrten, auf solche delegitimierten Sprechpositionen verwiesen unabhängig von ihren tatsächlichen erotischen Wünschen) und Praxen. 2 Werks schätzt, dass Ende des 19. Jahrhunderts etwa die Hälfte aller Prostituierten in Europa junge Männer waren (vgl. 1977, zit. n. Mattaei 1997, 142). 3 »Neben die selbständigen Produzenten, die in überlieferter, urväterlicher Betriebsweise handwerkern oder ackerbauen, tritt der Wucherer oder Kaufmann, das Wucherkapital oder das Handelskapital, das sie parasitenmäßig aussaugt. Vorherrschaft dieser Exploitationsform in einer Gesellschaft schließt die kapitalistische Produktionsweise aus, zu der sie andrerseits, wie im spätren Mittelalter, den Übergang bilden kann.«

Literatur

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