21.01.2002 - ---
Auch in den wahrlich barbarischen Zeiten nach dem bislang immer noch nicht ganz begriffenen 11. September gilt für uns nach wie vor: Einfach gegen die in globalem Maßstab ungerechten und unfreien Verhältnisse. Da wir aber nicht beabsichtigen diese von außerordentlich vielen Menschen auf der Welt geteilte Einsicht in einem hier durch den Staat durchaus erwünschten privatem Rahmen zu belassen, beabsichtigen wir sie zu gegebener Zeit und an gegebenen Ort zu veröffentlichen. Dafür scheint uns das schöne Hamburg an der Elbe kurz vor den Bundestagswahlen im Hochsommer ein ganz ausgezeichneter Ort sein. In Hamburg gibt es fast alles, was es sonst auf der Welt auch gibt: Armut, Reichtum, Rassismus, Glück, alternative Nischen, Drogen, Sex, Linke antirassistische Gruppen, Kapitalismus, Abschiebeknäste und jede Menge Leute die das alles auch noch so gut und richtig finden. Da ist es höchste Zeit uns auch da öffentlich einzumischen! Wir laden dazu ein, mit uns gemeinsam für den Hochsommer 2002 in Hamburg die antirassistischen Schill- Y -out days inhaltlich zu gestalten, vorzubereiten und durchzuführen.
Als aktuellen Anlaß wollen wir uns dabei in besonderer Weise mit der Bedeutung und den Wirkungen des grauenhaften Wahlerfolges des zwischenzeitlich zum Innensenator in dieser Stadt aufgestiegenen Roland Schill konfrontieren. Er und seine neugegründete Partei können als "Extremisten der Mitte" par excellence gelten. Bislang konnten in der Geschichte der BRD in die Institutionen des bürgerlichen Staates gelangte rechtsextremistische Parteien unter Hinweis auf den Nazifaschismus bislang erfolgreich stigmatisiert werden. Doch der Schill-Partei ist es aber nun gelungen , den Rechtsextremismus unter dem schillernden Anti-Kriminalitätsdiskurs absolut ungeteilte Anerkennung und Reputation zu verschaffen. Ist für die bürgerlichen Demokraten zumindest gedanklich noch klar, keine politischen Formationen zu befördern, die eine erneute Niederlage und Zusammenbruch dieses Staatswesens provozieren, so glauben sie sich mit den Extremisten der Mitte einen Anti-Kriminalitätswettlauf liefern zu müssen. Verloren geht dabei die ganz selbstverständliche Einsicht , daß zu einer wirklich freien Gesellschaft auch ein Mindestmaß an Kriminalität gehören muß, an der sie sich reproduziert. Auch wenn wir nicht verkennen, das die aktuelle Politik eines Schily von der faktischen Wirkung aktuell noch verheerender ist, warnen wir davor, die Bedeutung des individuell betrachtet sicher mehr idiotisch-pathologisch denn strategisch wirkenden neuen Hamburger Innensenator Schill zu unterschätzen. In seiner bislang durch Instiutionsbarrieren kaum gehemmten, rücksichtslosen Gestalt macht er einen Diskurs hoffähig, mit dem noch erheblich mehr Menschen als jetzt im wahrsten Sinne des Wortes nicht nur der Strick gedreht, sondern genau das auch noch gefeiert werden wird. Das alles ist nicht "irgendwie so ähnlich schlimm" wie überall, sondern macht die weit über Hamburg reichende überregionale exemplarische Bedeutung des in Schill personifizierten barbarischen Diskurses aus. Und das so etwas seine eigenen bedrohlichen Anschlußflächen zu der aktuell vom derzeitig noch amtierende Bundesinnenminister Otto Schily betrieben Politik besitzt, ist ganz offenkundig. Sich dem nicht notwendigerweise auch trickreich entgegen zu stellen, ist schlimmer als jedes gedankenlose Arrangement damit . Und jeder nicht geführte Kampf für etwas besseres wird schlimmer sein, als jede direkte Niederlage in der von uns angestrebten offenen Auseinandersetzung. So oder so: In dem Ausruf "LAND IN SICHT!" spiegelt sich unsere eigene Situation. So überraschend wie dieses Motto wird auch die Antwort auf die sich sofort daran anschließende Frage: "Wo ?" sein So wird es für jeden von uns Zeit selbst an die Reling zu stürzen, um den Horizont abzusuchen, eine unruhige Stimmung wird sich an Bord ausbreiten: "Was hat der Ausguck gesehen ?" Stellen wir uns diesem Motto!
Woher wir kommen, was wir uns vorstellen und welche Fragen uns beunruhigen Mit unseren antirassistischen Land in Sicht! - Schill-Y - out days wollen wir uns sowohl vom Inhalt als auch der praktischen Organisierung in die besten Momente der vorangegangenen vier Grenzcamps stellen. Dabei lag der heimliche Fokus dieser Camps in dem selten eingelösten, aber viel versprochenen Antirassismus, der häufig nur ein flüchtlingspolitischer oder gar ein paternalistisch-karitativer war. Dennoch verdanken wir gerade diesem von uns ansonsten heftig kritisierten Flügel den antirassistischen Zugriff. Er wurde im Zusammenhang mit Aktionen und Diskussionen zum Anker in einer Positionssuche , die langsam, aber sicher aus der fast grenzenlosen Beliebigkeit wieder Parteinahme, Politik; Kritik und Analyse in Bezug auf rassistische Ausgrenzungs- und Ausbeutungsformen in einer Linken anschiebt, der all das immer fremder zu werden schien. Allerdings teilen wir die mit dem fünften, diesmal in Thüringen geplanten Grenzcamp in Thüringen geplante Reduktion auf bloßen Antirassismus nicht. Das ist uns nicht nur praktisch wie theoretisch zu eng. Wir halten sie gerade im Sinne eines Kampfes für ein ganz anderes, besseres und glücklicheres Leben für falsch. Genausowenig wie man Antifa sein muß, um gegen Nazis zu sein, muß man Antirassist sein, um den Rassismus abzulehnen. Möglicherweise kann der Antirassismus den Rassismus für bestimmte Zeiten in Schach halten, überwinden wird diesen jedoch erst der Kampf für eine ganz andere Gesellschaft. In diesem und eben nicht auf Antirassismus eingeschränkten Sinne verstehen wir auch die antirassistischen Schill-Y-out-days in Hamburg.
Dabei wird sich der antirassistische Fokus der von uns angedachten Land in Sicht-Tage an einer ganzen Reihe von außerordentlich kniffligen Problemen beweisen müssen: Wird es uns in Hamburg gelingen, die tatsächliche Bedeutung des während des letzten Grenzcamps in Frankfurt im Verhältnis zwischen einer linken Antiragesellschaft und ihren zumeist nicht-deutschen Gästen, die in der Regel Flüchtlinge waren, zu beobachtenden sprachlosen Multikulturalismus in unsere eigene Diskussion zu zerren? Wird es uns gelingen, den derzeit scheinbar ausschließlich MigrantInen bedrohenden Begriff der staatlicherseits herbei organisierten ?Integration" als Kontrollmodus eines flexibel gehandhabten Ausgrenzungsregimes kenntlich zu machen; ein Kontrollmodus der übrigens auch für uns selbst seine heimtückischen Fallstricke birgt? Wenn die Worte von Hohlkammerkanzler Schröder stimmen, daß wir derzeit ?in Afghanistan die Art und Weise wie wir hier leben verteidigen" (sollen), müssen wir uns dann nicht mit der Frage konfrontieren, in was wir uns selbst und andere eigentlich politisch auffordern sich integrieren zu sollen, wenn wir viele Formen von in der Tat lebensbedohlichen Ausgrenzungen beklagen? Und allemal steht mit den Schill-Y-out days an, die von der Flüchtlingsorganisation The Voice in den letzten Jahren erfolgreich angestoßene und wesentlich getragene Kampagne gegen die Residenzpflicht auch in dem Sinne aufzunehmen und politisch weiter zu führen, indem wir dabei auch die Ursachen unser bislang eigentümlich sprachlosen Zustimmung reflektieren.
Ansonsten sollen die Land in Sicht Schill-Y- out days ganz selbstverständlich durch eine ganze Reihe von bei der Polizei angemeldeter Aktionen eine außenpolitische Dimension besitzen. In der aller besten Tradition der bisherigen Grenzcamps wollen wir eine ganze Reihe von "Grenzen" sowohl in der Stadt, zwischen uns, dem Staat, dem Kapital, und natürlich auch zwischen den Geschlechtern ins Visier nehmen. Dabei gehen wir gehen nicht nach Hamburg, um uns für Dealer, Flüchtlinge, Arme, Andere, Frauen, autonome Szene oder sonstwen einzusetzen. So selbstlos sind wir nicht und wollen es auch gar nicht sein. Wir gehen nach Hamburg um gegen ungerechte und unfreie Verhältnisse zu demonstrieren, in die wir tagtäglich sogar selbst und das zuweilen mit aller Dummheit verstrickt sind.
Mit den antirassistischen Schill-Y-out-days wollen wir überall Unruhe zu stiften, um mindestens eins zu lernen wie zu praktizieren: den Vorgriff auf eine glückliche und befreite Gesellschaft. Ganz in diesem Sinne wollen wir uns dann auch absolut an der Frage abarbeiten, wie das Camp nach innen politisiert werden kann. Unser eigenes verzagtes und viel zu oft autoritäres Denken soll mit den Schill - Y- out days aufgemischt werden. Und dann müssen wir auch noch unbedingt sehen, wie sich eine Woche lang ein Leben mit vielleicht mehr als 100 Leuten gemeinsam organisieren lässt; wie der bösen Welt ein kleines Stück Ferien-Kommunismus mit Perspektive auf mehr abzutrotzen ist. Nach unserem Traum sollen die Schill-Y-out-days eine Coproduktion von Menschen aus einem relativ breiten politischen Spektrum sein. Zu den bisherigen Grenzcamps kamen: AntirassistInnen, FlüchtlingspolitikerInnen, Autonome, Antifas, Rest- Antiimps, Wagenplätzler, Musiker on politics und PolitikerInnen under music, Anti-AKW-Bewegte, InnenstadtaktivistInnen und Kunst- und KulturaktivistInnen, Lebenslaute-Klassik-MusikerInnen und nicht zu vergessen die "radikalen MenschenrechtlerInen", die selbst über den ihnen zuteil gewordenen Titel etwas lächeln mußten. KampagnenspezalistInnen sind uns dabei genauso herzlich willkommen wie Antifas, die diese Tage dafür benutzen wollen ihre Recherchen zu Öffentlichkeitsarbeit zu machen und ihre eigenen Ansätze auf die Frage überprüfen wollen, ob Antifa ohne Antira heute eigentlich noch richtig ist.
Mit den Schill-Y-out days träumen wir von einem symbolisch mächtigen Angriff auf Schill und Schilly, die ihr Schlachtfeld in der Bundestagswahl 2002 schon ausgelotet haben. Für einen Hafen, dessen industrieromantische Pracht die stählerne Fassade eines europäischen (Post-)Kolonialismus darstellt und der als Inbegriff eines immer wieder leicht verdrängten Grenzregimes immer noch für Flüchtlinge nur die Nähe zum offenen Meer kennt. Für eine bundesweiten Blick auf die Symbolik der Flüchtlingsschiffe, für eine gemeinsame Suche nach den Grenzen und Möglichkeiten der Vernetzung mit MigrantInnen und Flüchtlingen, jenseits von Paternalismus und instrumenteller Zusammenarbeit. Für Schrecken und Lust an interner Provokation und Vorläufigkeit, für einen Versuch den komplexen städtischen innen- und außenpolitischen Fragen nicht in Schwarz-Weiß-Logiken auszuweichen. Für mutige, und manchmal ruhig auch heherzte Schritte in Richtung Glück und Befreiung im 21. Jahrhundert. Wo sich die Menschen finden würden, wenn man sie ließe, steht noch dahin.....
Von einer Teilnahme an den Schill-Y-out days erwarten wir von den Leuten im Grunde genommen nur, daß sie nicht einfach nur vorbehaltlos das Maul aufmachen, sondern, - und dann wird es sowohl schwierig als auch spannend - genau das auch bereit sind in die Diskussion und den Widerspruch zu überführen. Wem das alles zu kompliziert oder zu anstrengend ist, der braucht gar nicht erst zu kommen. Den anderen versprechen wir eine fast ölig anmutende Aufgeschlossenheit, Neugier in der aufdringlichsten Art und Weise und bohrende Nachfragen ohne Ende. Wer dabei nicht die Nerven verliert, wird nicht nur für den Rest unseres Lebens unser Freund oder Freundin sein, sondern auch eine ganze neue Welt gewinnen. Wir wollen das in Hamburg im Verlauf der antirassistischen Schill-Y-out-days ganz einfach ?die Musik spielt". Wenn das klappt, dann bekommen wir auch wieder ?Land in Sicht". Und das bedeutet mindestens die alten liegen gebliebenen Diskussionen mit einer ganz anderen Perspektive ohne Zwangsharmonie und auseinander sprengen zu etwas ganz anderem und damit besserem zu führen.
Über die Ausrichtung, und inhaltliche Bestimmung möglicher antirassistischer Schill-Y-out-days im August 2002 in Hamburg wollen wir bei einem Treffen
am Sonntag, den 17. Februar 2002 ab 12. 00 Uhr in der GWA, Hein-Köllisch-Platz 12, 20359 Hamburg, Tel: 040- 319 36 23
sehr öffentlich und intensiv sprechen, diskutieren und ruhig auch streiten.
Der Entschluß mit der praktischen und arbeitsintensiven Vorbereitung und
Durchführung dieses Projektes zu beginnen, muß sich dabei aus dem Reichtum
unserer eigenen Diskussion an diesem Tag ergeben. Das heißt: Wenn wir am
Ende dieser Diskussion nicht sehen, das wir tatsächlich den herrschenden
Verhältnissen etwas substantielles entgegen zu setzen haben, sprich auch zu
sagen haben, dann ist es richtig auf die Organisierung von
Schill-Y-out-days zu verzichten. Schill-Y-out-days als ein beliebiges
Auffüllunternehmen für eine ansonsten tote Zeit verdienen niemandes
Engagement. Wir wissen sehr wohl, das das auch für uns ein ungewohnter
hoher Maßstab ist. Aber anders ist nun mal eine ganze Welt - und um die
geht es mindestens - nicht zu gewinnen. So steht alles - selbst diese
Zeilen - auf dem Treffen in Hamburg zur Diskussion.
Energisch gegen den Normalzustand!
Ein paar Ex-Noch- Jung- Alt-Post-Autonome, Ex- und noch-GrenzcamperInnen, Antrias aus der ganzen Welt, und von allen denen sogar noch ein paar aus Hamburg selbst