22.07.2002 - Autonome Stadtteilaktive Gruppe
Seit 14 Jahren entwickelt sich das Strassenfest im Schanzenviertel als selbstorganisierte, unabhängige und autonome Stadtteilkultur. Ein politisches Ziel war und ist dabei, den Widerstand gegen stadtplanerische Ausgrenzung und Vertreibung zu entwickeln. Das Strassenfest im Schanzenviertel war deshalb seit jeher auch immer ein Dorn im Auge der StadtstrategInnen und UmstrukturiererInnen. Am 24.08.2002 plant der Sanierungsbeirat und die Steg zur Einweihung der neu gestalteten Piazza im Schulterblatt nun ebenfalls ein Strassenfest. Wenn wir die eitle Festfreude trüben, dann tun wir dies nicht einfach nur deshalb, weil wir Spaßbremsen sind, sondern im Gegenteil, weil wir es eigentlich ganz lustig mögen, uns das Lachen aber in diesem Fall vergangen ist. Wir sehen das Piazza-Strassenfest mit Beteiligung der Steg als einen Versuch der feindlichen Übernahme dieses Terrains. Gesetzt werden soll eine andere Codierung von Stadtteilarbeit: Stadtteilarbeit im Beteiligungsmodell des Quartiersmanagement, nach den Zielen der städtischen Vorgaben. Kein Wort mehr davon, daß diese städtischen Vorgaben vielleicht genau der Dreck sein könnten, den es zu beseitigen gilt.
Canale Grande Das Piazza-Strassenfest ist für uns auf vielfältige Weise der Ausdruck einer politischen Entwicklung, die wir ablehnen. Die Piazza ist für uns kein Grund zum Feiern. Sie steht für eine zunehmende Zonierung und Reglementiereung des öffentlichen Raumes. Nicht, daß wir den Kneipen vorwerfen würden, die Gelegenheit zu nutzen, ihre Tische rauszustellen. Wir haben eigentlich auch nichts gegen breitere Gehwege, weniger Parkplätze und engere Strassen. Na ja, und draussen sitzen wir ja allemal ganz gerne. Was stört uns also an der Piazza? Für jeden Tisch, Baum, Strauch, für jede Lebensäußerung soll im städtischen Planungsrahmen Raum geschaffen werden. Alle Lebensrealitäten, die in diesem planerischen Muster keinen Platz finden, werden repressiv verdrängt. Im modernen Stadtteilmanagement erfolgt dies im Mediationsverfahren und Partizipationsgremium. Wer jetzt nur Bahnhof verstanden hat, hat schon mal schlechte Karten bei der Bürgerbeteiligung im Stadtteilmanagement, muss deshalb aber noch lange nicht die Koffer packen. Schlechter sieht es aus, wenn der Geldbeutel schlecht bestückt ist, denn dann wird man im Behördenjargon schnell zu einer randständigen Gruppe, die den positiven baulichen Veränderungen im Stadtteil im Wege steht. Kein schöner Zug. Aber gut, daß wir mal darüber gesprochen haben. Von der Piazzagestaltung profitieren wohl in erster Linie die Imbisse, Kneipen und der Vergnügungstross, der allabendlich in Scharen im Viertel rumhängt. Die AnwohnerInnen werden sich vermutlich nicht dafür bedanken, daß der wilde Biergarten im Schulterblatt nun zum öffentlich-rechtlichen Ballermann mutiert ist. Die Begeisterung beim Fixstern, das dieser dichtmachen, bzw. umziehen soll, wird sich auch in Grenzen halten. Erfahrungsgemäß werden auch die rumlungernden DrogenkonsumentInnen nicht lange begeistert sein. Denn diese loszuwerden, war ja das eigentliche Ziel der Aktion Piazza. Der Stadtplaner muss eben nur lange genug kleine Quadrate auf den Gehweg malen, die festschreiben, was sich darauf befinden darf. Das Döner Verkaufsschild, Vater Mertens im Anzug, Juniorchef Müller im Freizeitdress, die Sitzgarnitur vom Italiener, der Kinderwagen von Familie Kramer, Oma Krauses Dackel. Oh, ist ja gar kein Platz mehr für Gammel-Horst und Ampullen-Frauke. Macht nix. Kommt die Polizei vorbei und schon brauchen sie keinen Platz mehr.
Stadtteilpolitik In den siebziger Jahren entwickelte sich mit den Neuen Sozialen Bewegungen in der alten Bundesrepublik eine Praxis in vielen Stadtteilen, die über Selbstorganisierung der AnwohnerInnen funktionierte und zum Ziel hatte, Widerstand zu entwickeln und selbst zur Gestaltung der Lebenswelt beizutragen. Vorrangig ging es darum, Gegenmacht zu erlangen, meist gegen große bürokratische Apparate, die sich häufig genug im ebenso großen Stil durch Kahlschlagsanierungen hervortaten. Die Fronten waren scheinbar klar, und die städtische Planung geriet unter einen immer stärkeren Druck. Spätestens als durch Häuserkämpfe in zahlreichen westdeutschen Städten symbolisch sichtbar wurde, wie die Situation außer Kontrolle geriet, empfahl es sich, neue Konzepte zu entwickeln. Vor diesem Hintergrund entwickelten sich Begriffe wie "behutsame Erneuerung", "sanfte Sanierung" und "Bürgerbeteiligung". Das Ziel war klar. Grundsätzlich sind Beteiligungsprozesse ein Versuch, Konflikte mit Betroffenen steuerbar zu machen. Der "organisierte Konflikt" kann über frühzeitige Konsenssicherung die Legitimation der getroffenen Entscheidungen erhöhen. Die Beteiligung soll dabei doch - bitte schön - geordnet, in klaren Verfahrensschritten und übersichtlich ablaufen. Müssen sich Stadtteilinitiativen im Rahmen oppositioneller Stadtteilarbeit mühsam Gegenmacht erkämpfen, so wird im Stadtteilmanagement so getan, als hätten sie bereits eine Form von Gegenmacht. Doch in Wirklichkeit weiß keiner genau, wer, was, wann entscheiden kann. Die Gemengelage scheint unübersichtlich und widersprüchlich. Die Situation wird daher gesteuert von gesetzlichen Vorgaben, langwierigen abstrakten Entscheidungsprozessen und dominanten "Expertenmeinungen", die diese beeinflussen. Die einzige Macht, die sich vor diesem Hintergrund entwickeln kann, ist nicht Gegenmacht, sondern eine Beteiligung an den herrschenden Machtstrukturen im Rahmen deren Möglichkeiten. Zudem orientieren sich diese Formen des Stadtteilmanagements an klassischen, bürgerlichen Mittelschichtstandards. Geordnete Bürgerversammlungen oder Runde Tische, methodisch sauber moderiert, grenzen diejenigen Bevölkerungsgruppen aus, die sich eher ungeordnet und lautstark äußern oder durch Sprachschwierigkeiten und Unsicherheiten gar nicht äußern. Benachteiligten Gruppen stehen solche Foren zwar eigentlich offen, manchmal wird deren Anwesenheit sogar ausdrücklich erwünscht, aber wenn sie erstmal da sind, werden sie aus den genannten Gründen ebenso schnell wieder weggewünscht oder ausgegrenzt und verschwinden wieder. So wird über Bürgerbeteiligung das gehobene Bildungsbürgertum bei Laune gehalten und erhält eine Lobby, während ohnehin benachteiligte Bevölkerungsgruppen auf Distanz gehalten werden und aus der städtischen Planung weiter ausgeblendet werden. Die Auswirkungen staatlicher Politik durch Kürzungen von Sozialhilfe und Arbeitslosengeld, Deregulierung gesicherter Arbeitsverhältnisse, Mangel an billigen Wohnungen und gesellschaftlicher Ausgrenzung werden durch Runde Tische ohnehin nicht aufgehoben. Ein Beteiligungsverfahren ist konzeptionell auch gar nicht in der Lage, Verarmung zu verhindern. Stattdessen werden im Schanzenviertel bunte Schildchen gegen Hundekot medienpräsent als Erfolgsmodell des social sponsoring verkauft. Das hebt die Stimmung, während Schröder gleichzeitig im Rahmen des umstrittenen Hartz-Pakets die Arbeitslosenhilfe weitgehend abschafft und durch Sozialhilfe ersetzt. Gefragt wäre sozialer Widerstand gegen den massiven Abbau des Sozialstaats. Geantwortet wird mit Verweis auf Runde Tische - diesmal im Kanzleramt - und mit dem Blick zum "politisch Umsetzbaren"; also wird weiter über die Farbe der Hundekotkübel diskutiert.
Interventionsmöglichkeiten Es gibt zahlreiche Interventionsmöglichkeiten, die sich in Hamburg derzeit aufdrängen. Angefangen vom rechtspopulistischen Wahlerfolg des Bürgerblocks, über die Bildungsmisere zum angesprochen Sozialabbau, der in den nächsten Monaten wohl seinen größten Einschnitt seit Jahren erfährt. Es gibt aber auch lokale interventionswürdige Begebenheiten wie z.B. die aktuelle Verdrängung des Fixsterns, die anhaltende Polizeipräsenz und den Rückbau der Strese zur Rennstrecke. Die Frage scheint eher, ob diese politischen Themenfelder überhaupt aufgreifen werden sollen? Die radikale Linke beschäftigt sich zunehmend mit sich selbst oder mit dem substanzlosen Hadern über die Verhältnisse. Anknüpfungspunkte an die Bevölkerung scheinen sich vor dem Hintergrund der Auseinandersetzungen um Rassismus und gesellschaftlicher Ausgrenzung zu verbieten. Durch eine Sichtweise der Linken auf die Bevölkerung, die homogene Einschlüsse herstellt und sich über Feindbilder definiert, wird jedoch lediglich die gesellschaftliche Segmentierung, die Ein- und Ausschlussverfahren der neoliberalen Gesellschaftsumordnung als Abbildung nachvollzogen. Im Rahmen der politischen Intervention in den Stadtteil bedeutet dies, die alten Fehler unter umgekehrten Vorzeichen zu wiederholen. Aus den ungefragt revolutionären Subjekten wurden, ebenso ungefragt, die Motoren autoritärer Formierung. Sicher! Wir alle besitzen Privilegien und Vorurteile und eine kritische Benennung dieser Verhältnisse ist wichtig. Aber wenn dies vor einem Hintergrund geschieht, der die eigene Verwobenheit in Herrschaftsstrukturen außer acht lässt und die der anderen um so mehr angreift, dann geht der genaue Blick auf die Verhältnisse verloren. Notwendig ist stattdessen die Auflösung konstruierter Zuordnungen und Kollektive, die von der etablierten Stadtteilpolitik als Bevölkerungswillen ins Feld geführt werden. Wer Randgruppen konstruiert, bastelt sich zuallererst eine Mitte. Diese Zugehörigkeiten wollen wir auflösen, zugunsten eines Blickes, der die unterschiedlichen Lebensentwürfe und Privilegien im Einzelnen wahrnimmt. Nur so wird eine ehrliche und treffsichere politische Kritik möglich. Nur so lässt sich eine praktische Antwort auf die hybriden Einschlüsse unserer Zeit finden.
Wir halten nicht viel von einer Sicht auf diesen Stadtteil die alte Mythen hochhält und unter den Vorzeichen vergangener Sichtweisen die neue Situation deutet. Wir wollen den schleichenden Veränderungen dieser Normalität wieder neu auf den Grund gehen und Fragen stellen. In den letzten Jahren war der Blick auf die unterschiedlichen Identitäten im Stadtteil in erster Line von Abgrenzung geprägt. Veränderungen wurden meist per se als schlecht wahrgenommen, vereinfachend als Ausdruck der Yuppiesierung abgetan oder in Art eines linken Wertekonservatismus mit Blick auf die alten "besseren Zeiten" kopfschüttelnd zur Kenntnis genommen. Tatsächlich hat sich vieles zum Schlechteren gewendet. Angefangen von einer Steg, die sich im Rahmen der Drogendiskussion zu weiterer politischer Bedeutung gemausert hat, über die Veränderungen zu einem Vergnügungsviertel, bis hin zur Veränderung der BewohnerInnen- und architektonischen Struktur im Quartier. Die großen Bauprojekte sind mittlerweile abgeschlossen, die meisten Wohnungen saniert, die Mieten sind teuer, das Bier ist lauwarm. Die Ottensenierung des Schanzenviertels ist heute weitestgehend abgeschlossen und doch stellen wir verblüfft fest: das politische Terrain dieses Stadtteils gleicht weder Ottensen noch dem alten Stadtteil und auch die politischen Identitäten laufen kreuz und quer. Die Schanze ist nach wie vor ein umkämpfter Raum, auch wenn die kulturellen Ausdrucksformen unterschiedlicher, die politischen Ziele undurchschaubarer und die wahrgenommenen Widersprüche unvereinbarer erscheinen. Wir sind uns z.B. durchaus unsicher, ob die Entwicklung vom reinen Wohnviertel zum Partykiez wirklich ein Ausdruck ausgrenzender Tendenzen sein muss. Sind es doch nicht gerade die BewohnerInnen, die konservative Umstrukturierungsmodelle begrüssen. Und ist es nicht vor allem die linksalternative und postautonome Kultur- und Lifestyle-Szene, die sich am Caiphirina festhält und von alledem am wenigsten betroffen ist. Die obenauf schwimmt und zu den GewinnerInnen dieser Entwicklung zählt. Wir denken, es ist einfach wieder einmal Zeit geworden, den veränderten Bedingungen des Lebens neue Ansätze von gemeinsamen Widerstand, unter Einbeziehung der vergangenen Erfahrungen entgegenzusetzen. Vereinfachende Weltbilder in "die da drüben" und "wir hier" tragen nur zu einer entpolitisierenden und identitären Verfestigung bei, die die eigenen Lebensgewissheiten absichern soll. Sicherheit ist aber der falsche Weg für emanzipatorische Veränderung. Wir halten punktuelle, gesellschaftliche Bündnisse und gemeinsame Widerstandshandlungen gegen Sozialabbau, Umstrukturierung und Vertreibung für eine notwendige politische Perspektive. Uns ist dabei der subjektive Ansatz wichtig. Wir wollen keine StellvertreterInnenpolitik. Wir wollen aber sehr wohl über den eigenen Tellerrand schauen und ins Bewusstsein aller rücken, daß es gesellschaftliche Hierarchien gibt, deren Bestandteil wir sind. Wir wollen keine Bündnisse wie die bürokratische Parteipolitik zwischen den einzelnen Fraktionen der Traditionslinken betreiben, sondern Crossover-Politik. Projekte auf niedrigschwelliger und punktueller Ebene, die sich nicht über identitäre Abgrenzung bestimmen, sondern politische Forderungen entwickeln. Nicht weniger steht auf dem Spiel, als die Wiederaneignung des Lebens im losen Rahmen politischer Kollektive.
Dramaturgie Das diesjährige Strassenfest im Schanzenviertel, das am 31. August stattfindet, halten wir für einen solchen Versuch, den politisch richtigen Ort. Daher fordern wir alle zu einer eigenständigen Beteiligung an dieser Initiative auf. Nicht als gemeinsame Kuschelwiese, sondern als Experimentierfeld kritischer Massen und träger Individuen, im Bewusstsein der Unterschiede zwischen uns und nicht zuletzt ohne die uns oft eigene Überheblichkeit gegenüber anderen Ausdrucksformen. Wir wollen der Steg-Initative für das Piazza-Spektakel eine Absage erteilen und dem Leben Hallo sagen. Unsere auseinanderstrebenden Lebensentwürfe auf dem Pflaster der Strasse sonnen und böse Worte an die Gegenwart richten. Unter dem Pflaster Liegt der Strand...
Kein Weg mit der Steg! Kein Feiern für die Piazza!