14.08.2002 - Frankfurter Vorbereitungskreis
1. Rechtspopulismus - Definition und Anwendung eines Begriffs
Seit mehreren Jahren wird der Begriff Rechtspopulismus auf europäische Wahlparteien von JournalistInnen und Politkwissenschaft und PolitikerInnen angewandt, um sie von den traditionellen Konservativen (Christdemokratie, Gaullisten, Volksparteien) und der radikalen Rechten (NPD, Nationalrevolutionäre u.a.) abzugrenzen. Geschieht dies, um zu verharmlosen, weil die Parteien inhaltlich zu nahe der neuen Mitte / Sozialdemokratie sind, um sie als faschistisch zu bezeichnen ? Oder ist die Motivation, sie als populistisch Erfolgreiche in Stimmungserzeugung und Gewinnung, im Werben und Versprechen darzustellen, aber als ungeeignet zu denunzieren, ihre Inhalte und Programme an der Macht umzusetzen ? Oder bezeichnet der Begriff tatsächlich einen neuen Typus und eine neue Generation von faschistischen Führern und Parteien, genau wie Mussolini Anfang der 20er Jahre einen neuen Typus darstellte ?
2. Rechtspopulismus an der Macht ?
Ist der Rechtspopulismus nicht schon längst politisch an der Macht, weil er mit den Interessen des Kapitals (der Ideologie des Neoliberalismus), von kriegerisch autoritärem Bürgertum und Eliten (Überlegenheit und Legitimation des Erfolgs, der Leistung/Arbeit und des Profits) im Angriff auf den Sozialstaat, der Kriegsfähigkeit, Innere Sicherheit und Bevölkerungspolitik (Einwanderung, Familienpolitik, gegen die Armutsbevölkerung) fast deckungsgleich ist ?
3. Sozialdemokratie und Rechtspopulismus ?Ein Linker in Europa kann nur noch erfolgreich sein, wenn er rechte Ideen akzeptiert. Und das ist die eigentliche, die beste Bestätigung unserer Politik? Jörg Haider Die europäische Sozialdemokratie und Gewerkschaften empfinden den Rechtspopulismus als Bedrohung ihrer Macht und ihres Einflusses. Der Rechtspopulismus gewinnt die Wahlen seit Jahren in der alten sozialdemokratischen weißen ArbeiterInnenklasse, die national um ihre Privilegien kämpft und fürchtet, sich als Opfer ?der Politik? empfindet. Europaweit lösen Rechte Regierungen sozialdemokratische Regierungen ab. Die Sozialdemokratie, die mehrheitlich nie antirassistisch war, versucht den Rassismus in die eigenen Hände zu nehmen, bestätigt damit jedoch die Legitimation des rassistischen Programms des Rechtspopulismus. Trotzdem wird der Regierungswechsel von Sozialdemokratie zum Rechtsbündnis auf der Linken als politische Katastrophe empfunden. Warum ?
4.Modernisierung oder Restauration, Globalisierung oder Nation?
Während im ak Hamburger GenossInnen schrieben, dass die Politik Schills zurück in die 50 Jahre will, stationär wäre, gegen die Reformen nach 68 gerichtet sei (ak 462, Mai 2002), schreibt Georg Seeslen (jungle world 47/99), dass die neuen Rechtspopulisten nicht statisch wären, sondern dynamisch, Beschleunigung und Globalisierung versprechen, und die Bewahrung des alten Glücks : die Globalisierung der Provinz oder Musikantenstadl in Peking, Laptop und Lederhose.
5. Das europaweite Bündnis der Rechtspopulisten: außer Reichweite?
Die rechtspopulistischen Parteien haben nationale Interessen und Besonderheiten, die gegensätzlich sind (Südtirol/Norditalien zwischen FPÖ und AN), oder auf historischen Unterschieden beruhen (Pro-Israel-Position Le Pens aus der Koalition Frankreich und Israel in Nordafrika/Naher Osten, Anti-Israel-Position Haiders aufgrund des manifesten Antisemitismus in der österreichischen Gesellschaft und Täterschaft im NS). Haiders Initiative für eine gemeinsame europäische Liste der Rechten rechts von der EVP für die Europawahlen 2004 kann bisher die gegenseitigen Abgrenzungen und nationalen Konkurrenzen nicht überwinden, obwohl sich alle Rechtspopulisten in theoretisch Vorteile versprechen. Auch die außenpolitische Ausrichtung wirdunterschiedlich sein: sind die neuen Rechtspopulisten prowestlich- und amerikanisch, und damit antiarabisch und muslimisch (Schill, Fini, Fortuyn) oder antiwestlich und antiamerikanisch (Haider, Le Pen, Frey), obwohl sie alle der Rassismus und Antisemitismus verbindet ?
Gegenstrategien und Widerstandsperspektiven
Günther Jakob plädiert in seinem Text ?Steirisches Erz? dafür, den Blickwinkel der Ausgegrenzten und verfolgten in den Mittelpunkt zu rücken, ihre Erfahrungen zu berücksichtigen und ihre Sprechmacht und Selbstorganisation zu unterstützen , und keine Konzessionen an das Publikum der Rechtspopulisten zu machen. Georg Seeslen spricht für eine kulturelle und soziale Öffnung, die Verteidigung von Urbanität als Projekt grenzenlosen Lebens.. Da es Identifikationen des Körpers seien, die den Rechtspopulisten in den mainstream hineintragen (Sexualität und Arbeit), würden Interessenpolitik und Ideologiekritik nicht weiterhelfen. Wenn die radikale und antifaschistische Linke europaweit mit dem Rechtspopulismus konfrontiert ist, muß dann auch unser Kampf europaweit werden? Das Land in Sicht Camp will Unordnung in die Ordnung bringen, provozieren und irritieren. Was kann die Linke über diese punktuellen Interventionen hinaus tun?