57 Jahre nach dem Holocaust - Positionen
20.08.2002 - Vorbereitungsgruppe
Was fällt der deutschen Linken heute zum Titel der Veranstaltung ein? Aus welchen Positionen spricht sie? Nachfolgend die einzelnen Positionen, die während der Abendveranstaltung am 20.08. vorgestellt wurden und als Diskussionsgrundlage dienen sollten.
- Ich vergesse hier nie, dass ich im Land der Täter wohne. Eure Sicherheiten in bezug auf "die Linke" kann ich mir nicht leisten. Die Frage, ob sich für mein Leben und mein Handeln nach dem Nationalsozialismus Konsequenzen ergeben, muss ich mir nicht erst stellen.
- Wir in der Antifa kämpfen gegen die Neofaschisten, die das Nazi-Erbe fortsetzen wollen. Einige beziehen sich da auf den Buchenwaldschwur. Ein bisschen in der Tradition des antifaschistischen Widerstands sehen wir uns schon.
- Gegen die Palästinenser wird ein Vernichtungskrieg geführt. Sie sind als verfolgte Flüchtlinge die Juden von heute und Sharon der neue Hitler. Wir müssen uns auch aus unserer Geschichte heraus da einmischen.
- Meine Geschichte ist das nicht: Um Verfolgung und Holocaust müssen sich die Deutschen Gedanken machen. Klar bin ich hier geboren, aber was hab ich damit zu tun? Es kann ja auch mal jemand fragen, wie's hier aktuell so aussieht, statt nur auf die Vergangenheit zu blicken und die Gegenwart zu verschweigen.
- Weil der Staat, der für die Juden weltweit die letzte sichere Zuflucht ist, derzeit bedroht ist, hat für uns die Solidarität mit Israel oberste Priorität. Das insbesondere, seit sich Antisemitismus als Antiisraelismus tarnt. Einige von uns meinen zudem, dass Israel der letzte Garant für den Kommunismus ist.
- Wir leben in den neuen Konzentrationslagern von heute. Glaubt ihr etwa wenn man als Flüchtling hier lebt, fragt man sich nicht vor dem Hintergrund der deutschen Geschichte öfter, von welchen Nazis man hier immer noch umgeben ist?
- Nationalsozialismus? Wir haben heute ganz andere Probleme, Schill und Schily, Hartz-Kommission und Krieg.
- Wir machen in Göttingen jedes Jahr so ein Veranstaltungsprogramm zwischen dem 9. November und dem 27. Januar. Klar besetzen auch die die den Schlußstrich wollen die Gedenktage und wollen so das Erinnern an einen Tag verbannen. Wir meinen eher, dass müsste täglich stattfinden. Aber was soll's, wie machen Erinnerungspolitik an den Gedenktagen, weil wir meinen, dass bei den Staatsfeierlichkeiten oft konseqeunzenloses Zeug geredet nicht grundlos vieles vergessen wird auf das wir aufmerksam machen.
- Wir haben in den letzten Jahren Hausbesuche bei Nazitätern gemacht und ihnen gezeigt, dass sie nicht in Ruhe leben kˆnnen. Wir machen auch sonst Aktionen zum Thema Zwangsarbeit, weil wir es einen Skandal finden, dass die Opfer mit einem Appel und 'nem Ei entschädigt werden bzw. bei den Entschädigungszahlungen gar nicht berücksichtigt werden.
- Der Versuch eine Strasburger Synagoge während des No Border Camps aus einer Demo heraus zu besprühen, hat gezeigt, dass wir in der Linken neu über Antisemitismus reden müssen. Nicht über das was DKP und Antiimps so machen, sondern darüber, was wir eigentlich über Antisemitismus wissen, wo wir auch im kleinen dagegen aktiv werden, auch jenseits von Möllemann und Co, darüber warum wir so wenig über Antisemitismus wissen und darüber, wie er das Leben heute hier prägt.
- Der Holocaust war schlimm und darf sich nie wiederholen. Die Deutschen müssen sich damit auseinandersetzen, aber ich finde es nicht gut, dass wenn überhaupt mal jemand ein politisch historisches Denken entwickelt, der Nationalsozialismus und der Holocaust und inzigen Dreh- und Angelpunkt wird. Für uns aus afrikanischen Ländern spielt der (deutsche) Kolonialismus und seine Folgen eine viel größere Rolle.
- Der Antisemitismus nimmt weltweit zu. Neben Aktionen gegen antisemitische Äußerungen in Politik und Medien, gegen Schmierereien und Verwüstung jüdischer Friedhöfe analysiert unsere Gruppe den Antisemitismus in islamistischen Bewegungen, vor allem im Nahen und Mittleren Osten. Die militanten antisemitischen Islamistengruppen müssen notfalls auch mit Waffengewalt bekämpft werden. Daher befürworten wir im Einzelfall auch einen Krieg wie zuletzt in Afghanistan.
- Antisemitismus äußerst sich nicht nur als Juden- und Israelhass, Schmiereien an Synagogen und Verwüstung von Friedhöfen. Antisemitismus ist eine Denkform, die nichts mit Juden zu tun hat. Dazu gehört eine verkürzte Kapitalismuskritik, die sich bei Teilen der Antiglobalisierungs-Bewegung bemerkbar macht (Das unproduktive Finanzkapital reisst die Menschen ins Elend, Kapitalismus nur als Raffgier einzelner (jüdisch markierter) Personen, Staaten oder Institutionen zu begreifen etc..) Auch Anti-Intellektualismus, Sozialneid und Arbeitswahn müssen bekämpft werden. Wir müssen stärker auf unsere Argumentationen bei politischen Aktionen achten (v.a. in der Globalisierungsbewegung) und gesamtgesellschaftlich auf Bedingungen drängen, die Ich-starke Menschen wachsen lassen, die nicht den großen Neid entwickeln, die nicht andere schlechermachen oder gar tot prügeln müssen um sich selbst besser zu fühlen, die nicht auf einen großen Meister heraufsehen, sondern Menschen, die einfach menschlich sind.