Zum Autor
Jens Renner, Jahrgang 1951, ist Redakteur der in Hamburg erscheinenden Zeitschrift „ak - analyse & kritik". Buchveröffentlichungen: „Rückkehr zur europäischen Normalität. Die Linke in Italien" (Bonn 1992); „Die Republik des Nordens. Der aggressive Regionalismus der Lega Nord", in: Hannes Hofbauer u.a.: „Krisenherd Europa", Göttingen 1994.
JENS RENNER
DER FALL BERLUSCONI
RECHTE POLITIK UND MEDIEN DIKTATUR
VERLAG DIE WERKSTATT
CIP-Titelaufnahme der Deutschen Bibliothek: Renner, Jens:
Der Fall Berlusconi : rechte Politik und Mediendiktatur /Jens Renner. - 1. Aufl. - Göttingen : Verl. Die Werkstatt, 1994 ISBN 3-89533-116-3
1 2 3 1996 1995 1994
Copyright © 1994 by Verlag Die Werkstatt,
D-37083 Göttingen, Lotzestr. 24a
Alle Rechte vorbehalten.
Gesamtherstellung: Verlag Die Werkstatt GmbH
Gedruckt auf 100% Recycling-Papier.
ISBN 3-89533-116-3
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INHALT
1. Die Zeit der Populisten
Berlusconi, Perot, Tapie - Moderne Volkstribune
und die Macht der Medien........................ 7
2. Die Wende
1989 und die Folgen für Italien.....................21
3. Der modernisierte Faschismus
Berlusconis rechter Partner: der MSI.................57
4. Der Aufstieg
Vom Staubsaugervertreter zum Multimillionär..........83
5. Die Kampagne
Forza Italia - die Firma wird Partei.................111
6. Das Modell
Berlusconi als Vorbild für „Forza Germania?..........135
7. Konsequenzen
Gibt es Mittel gegen die Mediendiktatur?............169
Anmerkungen.................................187
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Selbstdarsteller Silvio Berlusconi, nach gewonnener Wahl im März 1994 mit Gattin Veronica.
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DIE ZEIT DER POPULISTEN
BERLUSCONI, PEROT, TAPIE - MODERNE VOLKSTRIBUNE UND DIE MACHT DER MEDIEN
Montag, der 28. März 1994, war ein außergewöhnlicher Tag für die Mailänder Börse. Der zweite Tag der vorgezogenen Neuwahlen zum italienischen Parlament versetzte die Börsianer in hektische Betriebsamkeit. Noch nie hatte es an einem Wahltag einen solchen Boom gegeben; der Kursanstieg um durchschnittlich 3,7% bedeutete darüberhinaus Jahresrekord. Die Lira stabilisierte sich gegenüber D-Mark und Dollar, die Staatspapiere zogen an. Die Euphorie hatte einen einfachen Grund: Durch die Ergebnisse inoffizieller Umfragen zum Wahlverhalten war das Gerücht, die Rechte würde mit absoluter Mehrheit gewinnen, fast zur Gewißheit geworden.
Der Protest der Besiegten gegen das Eingreifen des großen Geldes in die noch laufende Wahl nützte nichts: Silvio Berlusconi, Anführer der neugegründeten Wahlpartei Forza Italia („Vorwärts Italien") und für den Londoner Economist „man of the year", hatte das Unmögliche möglich gemacht: Die Einbeziehung der Erzfeinde Umberto Bossi (Lega Nord) und Gianfranco Fini (Neofaschisten/Alleanza Nazionale) in das Wahlbündnis Polo della libertà war der entscheidende Schritt zur absoluten Mehrheit der Rechten in der neuen Abgeordnetenkammer.
„Mehr als ein Erdbeben" sei das, kommentierte der Corriere della sera einen Tag später: „Aus den Wahlurnen des 27. und 28. März hat etwas Gestalt angenommen, das einer Revolution ziemlich ähnlich ist." Das wäre dann die zweite innerhalb von zwei Jahren - nach der sogenannten „Revolution der Mailänder Staatsanwälte", die seit 1992 mit Hunderten von Ermittlungsverfahren gegen das Korruptionssystem der bis vor kurzem alles beherrschenden Parteien, namentlich der Christdemokraten
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und der Sozialisten, zu Felde zogen. Als Folge dieser beispiellosen und im ganzen Land bejubelten Offensive der dritten Gewalt hatte FIAT-Präsident Cesare Romiti Anfang 1993 so etwas wie eine moralische Läuterung erhofft: „Mehr als alles andere sind es Krisen, die ein Land verändern. Auch wenn manches schiefläuft, Italien wird sich wandeln und gewiß zum Guten. Wir alle werden etwas ärmer sein, aber wieder Ideale haben. Das Leben erhält wieder einen Sinn."1
Die angekündigte „Revolution" des Silvio Berlusconi wurde in der Chefetage des bekanntesten italienischen Industriekonzerns etwas weniger blumig kommentiert. „Wenn Silvio Berlusconi gewinnt, gewinnen auch wir anderen Unternehmer; wenn er verliert, verliert er ganz allein"2, soll FIAT-Boss Gianni Agnelli, Senator auf Lebenszeit, über das Abenteuer des auch in Unternehmerkreisen umstrittenen Aufsteigers gesagt haben.
Nach den Europawahlen im Juni 1994 wurde Berlusconi geradezu zum Superstar: Forza Italia gewann fast drei Millionen neue Wählerinnen und Wähler hinzu und kam auf 30,6%. Seine Anhänger erklärten ihn zum unangefochtenen Führer für die nächsten zwei Jahrzehnte - eine Einschätzung, die denn doch etwas voreilig war. Ein Dekret, das die Verhängung von Untersuchungshaft einschränkte und insbesondere die wegen Korruptionsverfahren einsitzenden Politiker, Staatsbeamten und Unternehmer begünstigte, führte nach nur zwei Monaten zur Regierungskrise. Unter dem Druck des Volkszorns mußte es wieder zurückgenommen werden. Die Regierung des starken Mannes wankte, aber sie fiel nicht.
Mit dem Wahlsieg des italienischen Rechtsblocks gewann die nie so richtig überwundene Ansicht, „Männer" würden „die Geschichte machen", neu an Verbreitung. Im Zeitalter der Dauerberieselung durch kaum unterscheidbare Fernsehprogramme orientiert sich die Berichterstattung immer mehr an der Dramaturgie der gängigen Unterhaltungsserien, wo das Gute mit dem Bösen kämpft und die Helden mal oben und mal unten sind. Politik wird zum persönlichen Wettstreit zweier oder mehrerer Konkurrenten. Clinton „erleidet eine Niederlage", Jelzin „setzt sich durch", der Kanzler „schreitet unbeirrbar voran", und Berlusconi „triumphiert".
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Die Gewöhnung an diese Art der Politikdarstellung beginnt allerdings nicht erst mit der flächendeckenden Verbreitung des Fernsehens. Hans Magnus Enzensberger schrieb schon 1957 in seinem brillanten Essay „Die Sprache des Spiegel" über die „Unentbehrlichkeit des Helden" und zitierte aus dem Statut des angeblichen „Nachrichtenmagazins": „Nichts interessiert den Menschen so sehr wie der Mensch. Deshalb sollten alle Spiegel-Geschichten einen hohen menschlichen Bezug haben. Sie sollten von Menschen handeln, die etwas bewirken."3 Daß sie mit ihrer „an die totalitären Schlagworte vom Führerprinzip und vom Persönlichkeitskult"4 (Enzensberger) erinnernden Richtlinie gute Geschäfte machen würden, wußten die Spiegel-Macher von dem Soziologen Joseph Schumpeter, der schon 1942 über den „reduzierten Wirklichkeitssinn" des Durchschnittsbürgers auch in demokratischen Gesellschaften geschrieben hatte: „So fällt der typische Bürger auf eine tiefere Stufe der gedanklichen Leistung, sobald er das politische Gebiet betritt. Er argumentiert und analysiert auf eine Art und Weise, die er innerhalb der Sphäre seiner wirklichen Interessen bereitwillig als infantil anerkennen würde. Er wird wieder zum Primitiven. Sein Denken wird assoziativ und affektmäßig."5
Neu sind die technischen Mittel, den politischen „Infantilismus" noch zu steigern. Hier war Berlusconis Wahlkampfmaschinerie ganz auf der Höhe der Zeit. Aufbauend auf den Erfahrungen der Präsidentschaftswahlkämpfe von Reagan, Bush und Clinton wurde die geballte Medienmacht seiner Fininvest-Gruppe - drei Fernsehkanäle, Zeitungen und Zeitschriften -optimal eingesetzt. Daß das Publikum prinzipiell geneigt ist, auch solche selbsternannten Retter zu akzeptieren, die erkennbar eigene Interessen verfolgen, war bereits bewiesen. Die Stunde der populistischen Quereinsteiger beginnt nicht mit Berlusconi. Zwei seiner Vorläufer, die auch weiterhin im Rennen sind, sollen hier kurz vorgestellt werden: Ross Perot und Bernard Tapie.
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Ein Milliardär aus Texas
Als Henry Ross Perot im Februar 1992 in einer Fernseh-Talkshow seine Kandidatur für das Amt des US-Präsidenten ankündigte, sorgte das weltweit für Schlagzeilen. Der Außenseiter, der sich da ins Spiel brachte, war die Verkörperung des amerikanischen Traums, auch wenn die Legende nicht ganz mit der Wirklichkeit übereinstimmt. Zwar wuchs er zunächst in bescheidenen Verhältnissen auf, aber schon sein Vater, ein Pferdehändler und späterer Baumwollmakler, brachte es „dank seiner kaufmännischen Talente bald zu beachtlichem Wohlstand."6 1930 in dem osttexanischen Nest Texarkana geboren, war Ross Perot schon in seiner Zeit als Vertreter bei IBM aufgefallen, als er einmal sein Jahressoll bereits am 19. Januar erfüllt hatte. Mit 1.000 Dollar, die seine Frau von ihrem Lehrerinnengehalt gespart hatte (so die Legende), machte er sich 1962 selbständig und gründete die Firma „Electronic Data Systems" (EDS). Gerade mal sechs Jahre später wurde der Wert von EDS auf 375 Millionen Dollar geschätzt - ein „märchenhafter" Aufstieg, der allerdings ganz ohne Zauberei und gute Feen bewirkt wurde. Möglich wurde der Senkrechtstart durch öffentliche Aufträge im Rahmen der medizinischen Wohlfahrtsprogramme „Medicare" und „Medicaid". Nach dem Verkauf von EDS an General Motors gründete er die Computerfirma „Perot Systems", die zu 40% ihm und zu 60% seinen Mitarbeitern gehört. 1992 wurde sein Gesamtvermögen auf 3,3 Milliarden Dollar geschätzt.
Trotz dieses ungeheuren Reichtums präsentiert er sich mit einigem Erfolg als Anwalt der kleinen Leute. Großverdiener will er stärker besteuern und damit Vergünstigungen für den Mittelstand finanzieren. Ideologisch vertritt Perot eine Mischung aus stramm rechten bis liberalen Ideen: Von seinen Angestellten verlangt er einen moralisch „sauberen" Lebenswandel: Ehebruch und Homosexualität sind verpönt; die Drogengesetze sollen verschärft werden; die Möglichkeiten zu legaler Abtreibung sollen dagegen erweitert werden, und statt des Schulgebets fordert Perot obligatorischen Sexualkundeunterricht. Offen nahm er gegen die Beteiligung der USA am zweiten Golfkrieg Stellung und forderte statt dessen ein israelisch-amerikanisches Kom-
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mando-Unternehmen zur Ermordung Saddam Husseins. 1979 hatte er eine Aktion zur Befreiung zweier im Iran als Geiseln festgehaltener EDS-Angestellter finanziert. Ken Follet schrieb darüber das Buch „On Wings of Eagles" und hatte wesentlichen Anteil daran, daß Perot zum Volkshelden wurde.
Im Zentrum seiner Agitation steht der Staat mit seiner Verschwendungssucht, seiner Bürokratie und seinem Mangel an Effizienz. „Ich wäre ein schlechter Politiker", hatte er 1970 einem Reporter anvertraut, „ich habe keine Geduld für Papierkram und Untätigkeit."7 Dabei blieb er bis kurz vor seiner Bewerbung um das Präsidentenamt. Daß er zum Wohle seiner Unternehmen mit allen jeweils amtierenden Präsidenten der USA zusammengearbeitet hat, verschweigt er - es würde seine pauschale Abrechnung mit „den Politikern" unglaubwürdig machen.
Seine Kampagne war allerdings zu einseitig auf dem Image des zupackenden Tatmenschen aufgebaut, der ohne viel Gerede „die Probleme löst". Programmatisch blieb vieles unklar. Das von seinen Beratern ausgearbeitete brutale, aber in sich stimmige Programm zur Haushaltssanierung wollte er so nicht übernehmen - es hätte ihn Stimmen gekostet. Nachdem seine Popularität im Sommer 1992 zu verblassen begann, zog er seine Kandidatur zunächst zurück. Mit dem im Herbst erklärten Rücktritt vom Rücktritt verfolgte er schon nicht mehr das Ziel, wirklich Präsident zu werden. Seine Kandidatur, die ihm schließlich 19% der Stimmen einbrachte (nachdem sein Spitzen-Umfrageergebnis im Juni bei 39% gelegen hatte) sollte ihm die Möglichkeit eröffnen, ohne die Last des Amtes auf die Regierungspolitik massiv Einfluß zu nehmen. Das Kalkül ging auf: Wahlsieger Clinton betonte die Gemeinsamkeiten mit dem „Mann des Volkes"; einer seiner obersten Meinungsforscher gab die Stimmung im Weißen Haus mit den Worten wieder: „Sie sind geradezu besessen von Perot und seinen Anhängern ... Jeder zweite Satz lautet: Wie kriegen wir die auf unsere Seite?"8
Zweierlei hat der im ersten Anlauf gescheiterte Kandidat Perot den USA hinterlassen. Zum einen seine Wahlkampforganisation „United we stand, America" (UWSA), die ihn bei Bedarf zu einer erneuten Kandidatur „drängen" könnte. Die von
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der Zentrale in Dallas aus straff geführte Gruppierung ist eine einflußreiche pressure group, die unter Umständen zur dritten Partei werden könnte. Zweitens hat er der US-amerikanischen TV-Kultur eine neue Methode zur Massenmanipulation hinzugefügt: das „Fernsehreferendum".
Es funktioniert wie eine Quiz-Sendung oder ein Grand-Prix der europäischen Schnulzen - nur „demokratischer": mit Zuschauerbeteiligung. Im März 1993 kaufte Perot für eine halbe Million Dollar eine halbe Stunde Sendezeit bei NBC und ließ vom Bildschirm aus über Wege aus der Krise abstimmen. Eine weitere halbe Million hatte er für Zeitungsanzeigen ausgegeben, in denen die Liste der Fragen unters Volk gebracht worden war. Um die gewünschten Ergebnisse zu erzielen, versah er die 17 Fragen, über die das Fernsehpublikum abstimmen sollte, mit „erläuternden" Kommentaren. Seine Idee, den Regierungsmitgliedern mit Ausnahme des Präsidenten den Gebrauch regierungseigener Flugzeuge zu verbieten, begründete er so: „Sie sind Diener des Volkes und sollen auf den Flughäfen Schlange stehen wie wir, ihr Gepäck verlieren und schlimmen Mahlzeiten ausgeliefert werden. Dies bringt sie der Wirklichkeit näher."9 Die Anbiederung beim „kleinen Mann" tat ihre Wirkung: Die Popularitätskurve des Milliardärs, der im Falle seiner Wahl großzügig auf das Präsidentengehalt (läppische 280.000 Dollar) zu verzichten versprach, erreichte einen Spitzenwert von 59%.
Ein Volkstribun aus Marseille
Die Titel, die Bernard Tapie in der internationalen Presse verliehen werden, belegen eindrucksvoll, daß wir es hier nicht mit einem x-beliebigen Prahlhans zu tun haben: Er erscheint als „Paradiesvogel", „Glücksritter", „Superstar" und „Schwarm des Volkes", als „ein Zorro der Unternehmer", „ein Tausendsassa in Wirtschaft, Sport und Politik", „Frankreichs brillantester Aufsteiger", ein „Showtalent", „Finanzjongleur" und Joker des Präsidenten" - aber auch als ein „Mann im Zwielicht", „politischer Geschäftemacher" und „Pleitier", der „mit dem Rücken zur Wand steht".
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Ein seelenverwandter Showmaster der Politik: Bernard Tapie.
Erstaunlicherweise sind all diese Attribute nicht übertrieben. Sie beschreiben einen Mann, der im Unterschied zu Perot und Berlusconi wirklich von ganz unten kommt. Der 1943 geborene Sohn spanischer Einwanderer, in einem Pariser Vorort aufgewachsen, profilierte sich schon frühzeitig als Multitalent. Während er an der Ecole d'Electricite industrielle studierte, betätigte er sich erfolgreich als Chanson-Sänger: Von seiner ersten Schallplatte wurden 100.000 Exemplare verkauft. Seine Karriere als genialer Händler begann mit dem Verkauf von Fernsehapparaten an der Haustür. 1977 erwarb er seine erste eigene Firma. Berühmt wurde Bernard Tapie durch die Sanierung bankrotter Firmen, die er mitunter zum symbolischen Preis von einem Franc aufkaufte. Dabei machte er extensiv von den Bestimmungen des Konkursrechts Gebrauch, das nicht nur die Stundung der Schulden, sondern auch Entlassungen ohne Sozialplan
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erlaubt. Manchmal setzte Tapie bis zu 80% der Belegschaft auf die Straße - und verkaufte den „sanierten" Betrieb ein oder zwei Jahre später mit riesigem Gewinn. Seiner Reputation als „Freund der kleinen Leute" tat das keinen Abbruch.
Tapie schämte sich auch nicht, seinen so erworbenen Reichtum offen zur Schau zu stellen. Zu seinem Privatvermögen gehört eine 74 Meter lange Yacht; allein seine Möbel und Bilder haben einen Wert von 100 Millionen DM. Mittlerweile sind seine Unternehmen allerdings mit Schulden in Höhe von mindestens 400 Millionen DM belastet; ein Teil seiner Kunstsammlung wurde vom Gerichtsvollzieher sichergestellt. Mit dem spektakulären Kauf der deutschen Sportartikelfirma Adidas hatte Tapie sich überhoben. Nach weniger als drei Jahren mußte er alle seine Aktien verkaufen. Gegen Tapie laufen u.a. Verfahren wegen Steuerhinterziehung - er hatte seine Yacht als Handelsschiff deklariert - und wegen Bestechung: Unter seiner Präsidentschaft beim Fußballclub Olympique Marseille, 1993 Europapokalsieger der Landesmeister, waren gegnerische Spieler geschmiert worden. Der Club, dessen Miteigentümer Tapie ist, mußte zwangsweise in die zweite Liga absteigen.
In Marseille ist Tapie nach wie vor ein Volksheld, der sich berechtigte Hoffnungen auf das Bürgermeisteramt machen kann. Über die popularitätsfördernde Wirkung seiner Zusammenstöße mit der Justiz schrieb die satirische Wochenzeitschrift Le Canard enchaine: „Kurz vor der Wahl ein paar Tage im Gefängnis, und der Rathaus-Chefsessel ist ihm sicher."10 Als Tapie im Juni 1994 von der Polizei früh morgens aus dem Bett geholt und in Handschellen abgeführt wurde, war auch sein Freund Jean-Francois Hory überzeugt: „Das alles wird ihm bei seinen Anhängern nur noch mehr Sympathien einbringen."11 Tapie setzt auch alles daran, sich als politisch Verfolgter und Märtyrer der Marginalisierten darzustellen. Hilfreich ist dabei, daß er die Sprache der Vororte so beherrscht, daß es echt klingt. Die Arbeitslosigkeit müsse für illegal erklärt werden, fordert der Mann, der selbst Tausende entlassen hat - und ihm wird geglaubt.
Schon vor seinem Einstieg in die Politik war Tapie bekannter als die meisten Minister. Dem Fernsehpublikum erschien er
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regelmäßig als Moderator einer von ihm selbst konzipierten Fernsehsendung und als Hauptdarsteller von Werbespots, „in denen der Chef persönlich, dazu noch witzig, für seine Produkte wirbt".12 Seit seinem politischen Debüt hat Tapie eine Reihe spektakulärer Erfolge vorzuweisen. Protegiert von Staatspräsident Mitterrand persönlich, erreichte er im Juni 1988 bei den Neuwahlen zur Nationalversammlung in Marseille beachtliche 49,9%; Jean-Marie Le Pen (Front National) konnte in seiner eigenen Hochburg geschlagen werden. Im März 1992 erreichte er bei den Regionalwahlen mit der Liste Energie Sud ebenfalls mehr Stimmen als die Rechtsextremisten und die Bürgerlichen. Wenig später wurde er vom damaligen Premier Beregovoy (PS) zum Minister für Stadtentwicklung berufen, um durch spezielle Bau- und Sanierungsprogramme zur Befriedung der verwahrlosten Vorstädte beizutragen. Nach nur 52 Tagen im Amt mußte Tapie gehen, weil ihm eine Anklage wegen Veruntreuung, Hehlerei und Bilanzfälschung drohte. Nach einem Vergleich erhielt er sein Amt noch einmal für kurze Zeit zurück - bis die Bürgerlichen im April 1993 die Regierung übernahmen.
Bei den Europawahlen im Juni 1994 konnte Tapie, der nicht Mitglied der sozialistischen Partei ist, sondern in der Nationalversammlung zur Gruppe der „Präsidialmehrheit" gehört, mit seiner Liste Energie radicale den Sozialisten massiv Stimmen abjagen: 30% holte Tapies Liste in Marseille, 12% im Landesdurchschnitt - die Sozialisten verzeichneten mit erbärmlichen 14,5% das schlechteste Ergebnis seit ihrer Neugründung im Jahre 1971. Ihr Parteivorsitzender Michel Rocard trat zurück und schied aus dem Kreis der Bewerber für die Präsidentschaftswahlen 1995 aus. Tapie, der von einigen ganz offen als „Retter der Linken" gehandelt wurde, hatte schon vorher eine Kandidatur mit den Worten ausgeschlossen, er habe noch nicht bewiesen, „ein Staatsmann" zu sein - allerdings soll er dabei, berichtet Der Spiegel (Nr. 19/1994), „von einem Ohr zum anderen" gegrinst haben.
Ein Präsidentschaftskandidat Tapie, wird sich mancher Linke sagen, wäre auch nicht schlechter als die anderen; darüberhinaus verspricht er zumindest gute Unterhaltung. Auch um die Konkurrenten aus den Reihen der sozialistischen Partei wäre es nicht allzu schade: Die Partei wetteifert seit mehr als zehn Jahren mit
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den Bürgerlichen darum, wer der beste Sanierer der maroden Wirtschaft ist. Die von Jacques Delors 1983 proklamierte Wirtschaftspolitik der „austerite", die Privatisierungen und Massenentlassungen bedeutete, führte ein Jahr später zum Ende des „französischen Experiments": der gemeinsamen Linksregierung mit den Kommunisten. Tapie, der skrupellose Sanierer, wäre nicht nur keine Alternative zu Delors (dem möglichen Präsidentschaftskandidaten der Sozialisten). Er würde auch nicht davor zurückschrecken, zur Durchsetzung seiner wirtschaftspolitischen Ziele nationalistische Stimmungen anzuheizen. Mitte der achtziger Jahre versuchte er mit seiner Autobiographie „Gagner" (deutsch: „Gewinnen auf der ganzen Linie") und auf öffentlichen Veranstaltungen bei seinen vor allem jugendlichen Fans die „Lust am Unternehmertum" zu wecken; falls die ausbleibe, werde Frankreich bald nur noch „ein gigantischer Ferienpark (sein), in dem reiche Ausländer uns Erdnüsse zuwerfen, während sie unseren Poeten, Intellektuellen und Philosophen lauschen".13 Damals lobte das Wirtschaftsblatt Le Point ihn für seine „pädagogischen Ambitionen".
Als Tapie Ende der siebziger Jahre mit den bürgerlichen Parteien ins politische Geschäft kommen wollte, wurde der „Emporkömmling" abgewiesen. Ein neuer Annäherungsversuch wäre nicht überraschend.
Ein Mailänder Medien-Mogul und die Qualitäten des „idealen Populisten"
Seine Meinung über den Hasardeur Tapie hat Berlusconi bisher für sich behalten. Auf die Frage nach Affinitäten zu Ross Perot reagierte er mit taktischer Abgrenzung: Im Unterschied zu dem „Konservativen" Perot sei er ein „Fortschrittlicher, der den Staat revolutionieren möchte".14 Über Berlusconis „Revolution" wird noch zu reden sein; „fortschrittlich" ist, verglichen mit Perot, vor allem sein Image. Während der Mann aus Texas mit dem militärisch kurzen Haarschnitt als Saubermann auftritt, der seinen Angestellten nicht nur einen weißen Kragen, sondern auch ein „sauberes" Privatleben vorschreibt, wirkt Berlusconi zeitgemä-
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ßer, lockerer, weniger provinziell und altmodisch. In gewisser Weise ist er eine Synthese aus Perot und Tapie: Mit Tapie teilt er Telegenität, Showtalent und Eleganz und nicht zuletzt die sportlichen Erfolge, die ihn zum Massenidol werden ließen: Sein AC Milan dominierte in den letzten Jahren mehr noch als Olympique Marseille den europäischen Fußball. Mit Perot gemeinsam hat Berlusconi den Ruf des Unbesiegbaren, dem alles gelingt, was er nur anfaßt; der sich trotz Protektion von oben als Selfmademan präsentiert und seinen Erfolg dreist als Ergebnis harter Arbeit und unternehmerischer Risikobereitschaft ausgibt.
Ansprechpartner sind für alle drei die „kleinen Leute": mittelständische Unternehmer, aber auch, besonders im Falle Berlusconi, Kleingewerbetreibende ohne Angestellte. Tapie wendet sich darüberhinaus vor allem an erwerbslose Jugendliche und Deklassierte, die er aus ihrem Elend zu erlösen verspricht. Allen gemeinsam sind die hemmungslosen Tiraden gegen „die Politiker" (von deren Fürsprache sie gleichwohl profitieren) und den parasitären Staat. Nationalismus äußert sich in Verweisen auf „amerikanische Tugenden", die „Grande Nation" bzw. das angeblich wohlgeordnete Italien des „Wirtschaftswunders". Er ist zwar verhalten, kann aber bei Bedarf auch aktiviert und in ungehemmter Form verabreicht werden. Ihr mehr oder weniger direkter Zugriff auf die Medien ermöglicht es den drei Heilsbringern, auch solche Vorgänge zur Legendenbildung zu nutzen, die noch gar nicht abgeschlossen sind. Dunkle Punkte in der Vergangenheit werden durch ihre mediengerechte Verarbeitung zumindest geschönt, wenn nicht in ihr Gegenteil verkehrt: Auf das kurze Gedächtnis des Publikums ist allemal Verlaß.
Der entscheidende Unterschied zwischen Berlusconi und seinen beiden Vorläufern besteht darin, daß letztere über Achtungserfolge bisher nicht hinausgekommen sind. In den USA scheint 1992 die Situation für einen „Retter" wie Ross Perot noch nicht reif gewesen zu sein. Mit seinem Ausspruch -„Würde man Donald Duck aufstellen, er würde die Wahl gewinnen, weil er nicht aus dem verhaßten politischen System kommt"15 - lag Noam Chomsky zumindest zeitlich daneben. Noch genügte ein bißchen „Wandel" in Gestalt von Bill Clinton. In Frankreich führte das Abwirtschaften der bis dahin regieren-
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den Sozialisten 1993 zum Sieg des bürgerlichen Lagers. Mit dem Auftauchen eines dezidiert rechten „Anti-Tapie" könnte das in der parlamentarischen Demokratie übliche Wechselspiel über kurz oder lang nicht mehr funktionieren. Während Tapie bei den Europawahlen 1994 den Sozialisten massiv Stimmen abjagte, reduzierte ein adliger Populist, der mit vollem Namen Vicomte Philippe Le Jolis de Villiers de Saintignon heißt, den gemeinsamen Stimmenanteil der Regierungsparteien RPR und UDF auf 25,6%. EU-Gegner de Villiers, Anführer der Liste L'Autre Europe („Das andere Europa"), errang mit seinen nationalistischen Tiraden und seinem Eintreten für die Todesstrafe auf Anhieb 12,4%. Dieser Erfolg ging auch zu Lasten des Front National, der mit 10,5% der Stimmen aber immer noch über einen erheblichen und vermutlich stabilen Wähleranteil verfügt.
Verglichen mit der Situation in Frankreich, wo noch am ehesten „italienische Verhältnisse" vorstellbar sind, scheint das deutsche Parteiensystem seine alte Stabilität wiedergefunden zu haben. Das Schlagwort von der „Parteienverdrossenheit" ist nur noch selten zu hören. Der noch vor kurzem unaufhaltsam scheinende Niedergang der „Volksparteien" zugunsten rechtsextremer (Reps, DVU) und rechtspopulistischer Gruppierungen (Statt-Partei, Bund freier Bürger) ist gebremst. Das hängt auch damit zusammen, daß die Volksparteien und ihre Repräsentanten eine besondere Art von „Lernfähigkeit" gezeigt haben. Weniger denn je versuchen sie es mit Programmen oder Argumenten. Was zählt und Stimmen garantiert, ist erstens „Medienpräsenz" und zweitens der Beweis von „Führungsstärke". Wir lernen von Berlusconi, um einen „deutschen Berlusconi", einen Quereinsteiger, der alles durcheinanderbringt, überflüssig zu machen - dieses simple Rezept scheint bis auf weiteres zu funktionieren. Der echte, unverfälschte „Berlusconismus" - verbunden mit der Gründung zumindest äußerlich neuer politischer Formationen - ist eher eine Option für eine Situation, in der der Austausch des politischen Personals zur Notwendigkeit wird. Ob und wann diese Situation eintritt, kann derzeit niemand mit Gewißheit voraussagen.
Zu Berlusconis Sieg haben mit Sicherheit auch seine besonderen Qualitäten als „großer Kommunikator" und Verführer bei-
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getragen. Ebenso sicher ist aber, daß er im Italien des Jahres 1994 besondere, wenn nicht einmalig günstige Bedingungen vorgefunden hat. Nach dem völligen Prestigeverlust der bisherigen Regierungsparteien war ein Austausch des politischen Führungspersonals unumgänglich geworden. Unter dem Gesichtspunkt politischer und wirtschaftlicher Effizienz und internationaler Konkurrenzfähigkeit kam dieser Wechsel sogar erheblich zu spät. Die unumschränkte Herrschaft der Democrazia Cristiana, die nach 1945 zu einer Art Staatspartei geworden war, hatte den in den anderen europäischen Ländern üblichen (oder zumindest möglichen) Wechsel zwischen Regierung und Opposition fast fünf Jahrzehnte lang verhindert und die Regeneration des Systems eingeschränkt. „Ein Zeitraum von zwanzig Jahren kann als Grenze gelten, innerhalb derer ein einigermaßen gutes Funktionieren des Systems ohne Austausch möglich ist", schreibt der renommierte Politologe Giorgio Galli.16
Nachdem die juristische Abrechnung mit der Korruptionswirtschaft auf breiter Linie begonnen hatte, mußten nicht nur die altbekannten - und nunmehr verhaßten - Personen zurückgezogen werden. Die Zerrüttung der Wirtschaft und die höchste Staatsverschuldung in Europa hatten auch Konsens darüber geschaffen, daß „etwas geschehen" müsse. Gleichzeitig wollte die Mehrheit der Italienerinnen und Italiener den Wandel in überschaubaren Grenzen halten, zumindest für sich persönlich: Statt für eine konzeptionslose und halbherzige „Linke" zu stimmen, die die kapitalistische Modernisierung sozial „abzufedern" versprach, entschieden sie sich für den vermeintlich starken Mann - in der Hoffnung, nach der Abwicklung des nicht nur von Umberto Bossi so genannten italienischen „Realsozialismus" zu den Siegern zu gehören. Daß der Gewaltritt Opfer kosten werde, wurde von ihnen billigend in Kauf genommen: „Der Versuch, sie aufzuhalten, ist sinnlos", kommentierte Eugenio Scalfari, der Herausgeber der linksliberalen Tageszeitung La Repubblica - „sie wollen es wagen, auch wenn sich während des Rittes jemand weh tut, jemand anderen zu Fall bringt und ihn unter die Hufe des Pferdes stößt."17
Wenn in Italien die Politik der rücksichtslosen Sanierung der Wirtschaft, des Sozialabbaus und der Entsolidarisierung gelin-
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gen sollte, wird das Nachahmer in den übrigen Ländern Westeuropas ermuntern - so wie die von Berlusconi betriebene Rehabilitierung des Faschismus die deutschen „Vergangenheitsbewältiger" bereits zu verstärkter Betriebsamkeit ermuntert hat. Der „Fall Berlusconi" könnte vorwegnehmen, was anderswo, auch in Deutschland, ebenfalls bevorsteht.
Um vorschnelle Analogieschlüsse zu vermeiden, ist allerdings zunächst eine genauere Beschäftigung mit den „italienischen Spezialitäten" notwendig. Das folgende Kapitel behandelt deshalb die parteipolitischen Umgruppierungen ab 1989.
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DIE WENDE
1989 UND DIE FOLGEN FÜR ITALIEN
Es ist üblich geworden, die Umwälzungen in Italien als Folgen der Umwälzungen in Osteuropa zu interpretieren. Tatsächlich war die wesentliche Voraussetzung für die Erosion des italienischen Parteiensystems dessen innere Brüchigkeit und Unfähigkeit zur Innovation. Im europäischen Einigungsprozeß konnte ein Land mit ineffizienten Institutionen und einer subventionierten Wirtschaft, die nur einen begrenzten Wettbewerb zuließ, auf Dauer nicht mithalten. Daß hier schließlich fast das gesamte bisherige politische Leitungspersonal ausgetauscht wurde, hat eine innere Notwendigkeit. Der Zusammenbruch des „Realsozialismus" hat diesen Prozeß zwar nicht ausgelöst, aber beschleunigt.
Das Jahr 1989 brachte mit dem Fall der Mauer ein besonders spektakuläres Ereignis, das zu Recht als historischer Einschnitt gewertet wird. Allerdings war der Zerfall des „sozialistischen Lagers" Ergebnis eines länger andauernden Prozesses, das seit dem Amtsantritt Gorbatschows als Generalsekretär der KPdSU absehbar war. Die ersten, die sich in Italien auf das „postkommunistische Zeitalter" einzustellen begannen, waren die Kommunisten.
Godesberg all'italiana: PCI wird PDS
Mit der im November 1980 vollzogenen „zweiten Wende von Salerno" - die erste hatte 1944 den Abschied von der Revolution bedeutet - zog der Parteivorstand des Partito Comunista Italiano (PCI) einen Schlußstrich unter die gescheiterte Politik des „historischen Kompromisses" mit der Democrazia Ctistiana (DC).
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Nachdem der christdemokratisch geführten Regierung unter Andreotti schon im Januar 1979 die Unterstützung aufgekündigt worden war, wurde nun die Parole „demokratische Alternative" ausgegeben. Angestrebt wurde ein Linksbündnis mit den Sozialisten, das auch linkskatholische Kräfte einbeziehen sollte.
Der PCI-Kongreß von Florenz formulierte 1986 darüberhinaus das Ziel einer neuen wiedervereinigten linken Partei: „Es ist unser Wille und unser Ehrgeiz, dazu beizutragen, daß die beiden großen Erfahrungen der Arbeiterbewegung, die sozialistische und die kommunistische, sich einander nähern und ihre historische Spaltung zu überwinden suchen."1 Der folgende 18. PCI-Kongreß (Rom, 19. - 22.3.1989) wurde schon vorher als „Parteitag der Wende" angekündigt, der einen „wahren theoretischen Salto" vollführen und „riformismo forte" („starken, entschiedenen Reformismus") zur Leitlinie der Partei erklären würde.
Die Formulierungen stammen von Achille Occhetto, seit dem Rücktritt Alessandro Nattas im Mai 1988 Sekretär des PCI.
Wesentliche Bedingung für die Wandlung des PCI war der neue Kurs der KPdSU; die unangefochtene Leitfigur des Kongresses von Rom hieß Michail Gorbatschow. Seine Grußadresse per Video auf Großleinwand riß die Delegierten zu Beifallsstürmen hin. Occhetto, der sich in seiner Eröffnungsrede zehnmal auf den sowjetischen Hoffnungsträger berief, wurde vom neugewählten Zentralkomitee mit 235 Ja- gegen nur zwei Nein-Stimmen als Parteisekretär bestätigt. Selbst die „orthodoxe" Strömung um Armando Cossuta, „den letzten Leninisten"2, die in diesem ZK acht Sitze hielt, mochte das Bild der Geschlossenheit nicht stören.
Die programmatische Wende des PCI stieß gleichwohl bei den Sozialisten auf Ablehnung. Vor dem Parteitag hatte PSI-Sekretär Bettino Craxi Hoffnungen geweckt und Occhettos „betonte Lobpreisung der freiheitlichen Werte im Gegensatz zu einer Tradition des politischen Despotismus"3 hervorgehoben. Bei der von Occhetto eingeleiteten Kursänderung, so Craxi weiter, handele es sich um „einen Prozeß der Revision und Transformation, der in Bewegung ist und der, wenn er fortschreitet, nur die Distanzen, die noch zum PSI bestehen, schrittweise verrin-
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gern kann". Dem Zuckerbrot folgte die Peitsche, als zunächst Craxi, dann der gesamte PSI-Vorstand den neuen Kurs des PCI als „frontismo" ablehnte. Gemeint war damit Occhettos Aufforderung an die Sozialisten, das „gemeinsame Haus" mit den Christdemokraten zugunsten eines Reformbündnisses mit den Kommunisten zu verlassen. Eine solche „Frontbildung", befand die sozialistische Führung, sei nur gegenüber dem Faschismus, nicht aber gegenüber der Democrazia Cristiana zulässig.
Neun Monate nach dem „Parteitag der Wende" proklamierte die Occhetto-Fraktion den entscheidenden Bruch mit der Vergangenheit: „Eine Erneuerung des PCI reicht nicht mehr aus... Wir schlagen ein neues Subjekt vor... Das bedeutet sicherlich nicht, unsere Wurzeln abzuschneiden... Es bedeutet im Gegenteil, ihnen neuen Saft zu geben... Es geht also nicht um die Selbstauflösung des PCI. Sondern um die Konstruktion einer neuen demokratischen politischen Formation des Volkes - reformerisch, offen für progressive laizistische und katholische Komponenten, Interpret der neuen Fragen aus der Welt der Arbeit und der Kultur wie aus den Bewegungen der Jugendlichen und der Frauen, aus der Umweltbewegung, dem Pazifismus und der Bewegung für Gewaltlosigkeit, aus dem Feminismus... Mit ihrem ideellen, organisatorischen und politischen Erbe wollen die Kommunisten Initiatoren «dieser neuen Formation sein."4
Ein Drittel des Zentralkomitees wollte die von Occhetto ausgerufene „konstituierende Phase einer neuen Formation" nicht mitmachen. Die „Front des Nein" zog sich durch die gesamte Partei. Pietro Ingrao, Symbolfigur der „undogmatischen" PCI-Linken, warnte vor der Illusion, auf dem Wege der Namensänderung und Neugründung ließe sich die Basis der Partei politisch verbreitern. Am innerparteilichen Kräfteverhältnis zwischen „Si" und „No" (Ja oder Nein zur „neuen politischen Formation") änderte sich bis zum 20. und letzten PCI-Kongreß (Rimini, 31.1.-3.2.1991) nichts mehr. Mit Zweidrittelmehrheit wurde die Gründung des Partito Democratico della Sinistra (Demokratische Partei der Linken - PDS) beschlossen. Die Front des Nein zerfiel. Ihr größter Teil, darunter auch Pietro Ingrao, trat zunächst dem PDS bei. Die Cossuta-Fraktion spaltete sich ab und gründete den Movimento per la rifondazione comunista (Bewe-
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gung für die kommunistische Neugründung, kurz: RC), der sich später als Partei konstituierte. Ingrao trat 1993 enttäuscht aus dem PDS aus.
Wenige Wochen nach PDS-Gründung gelang Achille Occhetto ein medienwirksamer Coup, als er den angesehenen Wirtschaftswissenschaftler Michele Salvati dafür gewinnen konnte, für die neue Partei ein „Programm-Manifest" zu verfassen. Salvati, der dem PCI nie angehörte, kommt aus der sozialistischen Linken. Das Vorbild, an dem Salvati sich bei seiner Arbeit orientierte, war das Godesberger Programm der SPD: „Ich möchte die jüngeren Genossen einladen, es zu lesen, und die älteren, die es so sehr kritisiert haben, es noch einmal zu lesen: 20 magere Seiten, die den vergangenen 30 Jahren sehr gut standgehalten haben". Das Wochenmagazin Panorama, das diesen Appell Salvatis zitierte, witterte die kleine Sensation und trug weiteres einschlägiges Material aus Salvatis Schriften zusammen: „Die Kapitalisten und die Unternehmensführer erfüllen eine Aufgabe von öffentlichem Nutzen", und: „Das Privateigentum an Produktionsmitteln in einem Kontext des Wettbewerbs spielt eine fundamentale Rolle von allgemeinem Interesse".5
Occhetto, der Erfinder des „riformismo forte" vertrat seit Jahren ähnliche Positionen wie Salvati, vermied es aus gutem Grund aber, Reizworte wie Godesberg in die Debatte zu werfen. Aber spätestens seit dem PCI-Parteitag der „Wende" gilt in der Wirtschaftspolitik der Partei die liberale Maxime „mehr Markt, weniger Staat".
Occhetto weist dem Staat die Aufgabe zu, „die Spielregeln für eine Pluralität von öffentlichen und privaten Subjekten zu formulieren"6. Auf betrieblicher Ebene ist Mitbestimmung das Ziel. Vorbild ist auch hier die deutsche Sozialdemokratie. Folgerichtig hat Occhetto in einem Brief an den damaligen Vorsitzenden der Sozialistischen Internationale, Willy Brandt, die historische Überlegenheit des sozialdemokratischen Modells anerkannt: „Das historische Scheitern des Kommunismus zeigt, daß sich eine Regierung des Fortschritts, die fähig ist, Gerechtigkeit und Freiheit zu sichern, nur auf die Demokratie gründen kann. Eine unwiderlegbare Bestätigung dafür kommt aus den Erfahrungen der Sozialdemokratie, die trotz Begrenzungen und
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Schwierigkeiten von substantiellen Errungenschaften an Wohlstand und Kultur gekennzeichnet sind."7
Schon der PCI-Parteitag von Bologna hatte den Bewegungen ein weitgehendes Angebot gemacht. Der Sozialismus als „weltweiter Prozeß" könne auf die Kommunisten, die Sozialisten und Sozialdemokraten ebenso wenig verzichten wie auf die „movimenti", namentlich christliche, grüne und feministische Bewegungen, hieß es in dem mehrheitlich beschlossenen Parteitagsdokument.8 Mit den Erfahrungen der Strömungen sollten sich die Kommunistinnen nicht nur auseinandersetzen, sondern auch „vermischen". So steht es im Antragstext der Occhetto-Fraktion, der auf dem Kongreß von Bologna mit Zweidrittelmehrheit angenommen wurde. Daß sich in demselben Papier einige Absätze weiter der erstaunliche Satz findet „Die Rolle der Arbeiterklasse ist entscheidend", erinnert an das sprichwörtliche „kräftige Sowohl-als-auch" der deutschen Sozialdemokratie.
Der PCI-Kongreß von Bologna, der im März 1990 die Ausarbeitung eines „fundamentalen Programms" beschloß, begann dessen Gliederung nicht zufällig mit der zukünftigen Europapolitik der damals noch namenlosen „neuen politischen Formation": „Nunmehr müssen sich die Kräfte des Fortschritts und des Konservatismus auf europäischem Niveau definieren und vor diesem neuen Horizont alle ihre Handlungen und ihre Politik messen. (...) Es ist das Interesse der Linken, die Prozesse der Integration und des Aufbaus des gemeinsamen Europa zu beschleunigen."9 So schnell wie möglich müsse das europäische Parlament mit Entscheidungsbefugnissen ausgestattet werden und eine „echte Regierung der Gemeinschaft" wählen. Ein wesentliches Hindernis dagegen, daß „das ganze Italien nach Europa" gebracht werden kann, war nach Ansicht Achille Occhettos das Problem der „Regierbarkeit des Landes", die „kriminelle Gegenmacht" der Mafia in Süditalien. Occhetto: „Ich denke, daß wir daraus eine nationale Aufgabe von allgemeiner strategischer Bedeutung machen müssen, damit Italien im Konzert der europäischen Nationen mit erhobenem Haupt auftreten kann."10
Nicht überzeugend wirkt auch die Verknüpfung, die der PCI/PDS zwischen der europäischen Einigung und der Lösung des weltweiten Nord-Süd-Gegensatzes vornimmt: „Die
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Beschleunigung des Zusammenschlusses des Europa der zwölf ist wesentlich auch, um die Reform- und Demokratisierungsprozesse in Osteuropa zu unterstützen und um eine konkrete Politik der Kooperation mit dem Süden der Welt einzuleiten, eine Politik der veränderten Austauschverhältnisse zur Lösung des Schuldenproblems zugunsten der Entwicklungsländer."11 Auf welchem Wege der Zusammenschluß einer Reihe führender Industrieländer - führend nicht zuletzt in der Ausplünderung der sog. Dritten Welt - das bisher bestehende einseitige Unterordnungsverhältnis in Richtung auf eine „solidarische Weltwirtschaftsordnung" umdrehen soll, wird auch das zukünftige PDS-Programm nicht angeben können.
Der Traum von der „Linksregierung"
Die Europapolitik des Partito Socialista Italiano (PSI), die sich auf der Ebene allgemeiner Ziele und Idealvorstellungen wenig von der des PCI/PDS unterscheidet, war hier einfach näher an der Realität. Ohne Umschweife wurde zugegeben, daß die europäische Einigung auch Instrument für weltweite Großmachtpolitik sein soll: „Die Entscheidung für Europa wird also eine historische Entscheidung und eine große Gelegenheit: Gelegenheit für kollektive Entwicklung, die Europa auf das Niveau der beiden größten Wirtschaftsmächte, der Vereinigten Staaten und Japan, heben und ihm erlauben kann, sich schrittweise nach Osten auszudehnen und seine Verpflichtungen gegenüber den anderen benachbarten Regionen zu erfüllen."12 Traditionell beanspruchtes italienisches Einflußgebiet in Europa sind (Ex-)Jugoslawien und Albanien.
Daß die angestrebte wirtschaftliche Expansion militärisch abgesichert werden soll, war für die italienischen Sozialisten kein Staatsgeheimnis. „Eine Außenpolitik ohne angemessene Unterstützung durch militärische Macht läuft Gefahr, wirkungslos zu werden."13 Der PSI unterstützte deshalb den Aufbau einer rein europäischen schnellen Eingreiftruppe. Aus der internationalen Rolle Italiens ergibt sich für den PSI die Notwendigkeit zur Umstrukturierung der eigenen Streitkräfte: „Italien braucht
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heute eine mobile, wirkungsvolle, technologisch hochentwikkelte und nach neuer Risikoabwägung aufgestellte Verteidigung: eine Verteidigung, die nicht mehr nur territorial ist, sondern auch in anderen Gegenden als dem nationalen Territorium und vielleicht weit entfernt davon wirken können muß - aus Gründen unserer Verantwortung und möglichen Verpflichtungen zum Schutz des internationalen Rechts."14
Die „Entscheidung für Europa" war keine leere Floskel. Unter Außenminister De Michelis (PSI), der später im Sumpf der Korruption versank, kam Italien seinen „Verpflichtungen" auf besondere Weise nach. Auf dem Parteitag von Bari im Juni 1991 hatte Craxi seine Bereitschaft zur „Verteidigung" Europas gegen den „Flüchtlingsstrom" ganz offen erklärt und dabei den von den Nazis geprägten Begriff der „Festung Europa" als Zielvorstellung propagiert: „An den Grenzen der 'Festung Europa' ist ein Druck entstanden, der aus dem Osten kommt und sich zu dem Druck addiert, der aus dem Süden kommt. Die verzweifelten Albaner, die, angezogen durch die Lichter der Städte, das Meer überquert haben, sind nur die Vorhut eines Heeres, das sich in Marsch setzen könnte."15 Um das zu verhindern, hat die italienische Regierung wenige Wochen später unter ausdrücklicher Billigung und Mittäterschaft der Sozialisten - die damals amtierende Einwanderungsministerin war die Sozialistin Margherita Boniver - 15.000 Albaner, die in Italien den „goldenen Westen" erblickten, mit brutaler Härte aus dem Land gejagt. Der PDS hat die häßlichen und „Italiens Ansehen abträglichen" Szenen, die sich damals in Bari und Brindisi abspielten, zwar kritisiert. Die dahinter stehende Politik der Abschottung hat er dagegen nicht grundsätzlich verurteilt - weil seine Minister in der angestrebten Koalition mit den Sozialisten oder anderen Partnern sie hätten mitmachen müssen.
Hier kann und wird die Rechtsregierung auf Kontinuität setzen. Die Provokationen der Neofaschisten, die Istrien und Dalmatien Italien einverleiben wollen (vgl. folgendes Kapitel), werden sich dagegen einstweilen kaum in Realpolitik umsetzen lassen. Als öffentlich ausgesprochene Zielvorstellungen künftiger regionaler Machtpolitik müssen sie jedoch ernst genommen werden.
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Daß die vom PCI/PDS so sehnlich herbeigewünschte „Linksregierung" mit den Sozialisten nicht zustande kam, lag keineswegs am PDS. „Regierungsfähig" war der PCI schon seit der „Wende von Salerno" - oppositionsfähig nur mit Einschränkungen. Schon in den fünfziger Jahren wurden neun von zehn Gesetzen mit Zustimmung der Kommunisten verabschiedet. Das wurde von den Regierungsparteien durchaus mit Gegenleistungen honoriert. So konnte auch der PCI - wenn auch in erheblich bescheidenerem Umfang als DC und PSI - für Teile seiner Wählerschaft Vergünstigungen herausholen. Auch bei der Vergabe der Schmiergelder wurde der PCI/PDS berücksichtigt, ohne allerdings auch nur annähernd an die Summen heranzukommen, die DC und PSI zusammenrafften. Seine Einbeziehung in das System der illegalen Parteienfinanzierung ist dennoch nicht zu leugnen, zumindest auf kommunaler Ebene. Auch bei der Aufteilung der lukrativen Posten an der Spitze staatlicher Unternehmen wurde die Partei nicht übergangen. So würde die Wiederverwendung des 1976 erfolgreichen Wahlkampfslogans „Siamo il partito delle mani pulite" („Wir sind die Partei der sauberen Hände") heute allgemeines Hohngelächter hervorrufen.
Wie schnell von den Linksdemokraten eben gefaßte Beschlüsse aufgegeben wurden, wenn man sich innenpolitisch isoliert sah, zeigt beispielhaft das Agieren des neu gegründeten PDS gegenüber dem zweiten Golfkrieg. Der 20. Parteitag des PCI im Februar 1991, gleichzeitig Gründungskongreß des PDS, hatte ganz im Zeichen des Protestes gegen den Krieg gestanden. Nach schroffen Polemiken der PSI-Führung und Teilen der Presse gegen den „weltfremden Pazifismus" der neuen Partei knickte die PDS-Führung ein. Craxi und Occhetto einigten sich auf eine gemeinsame Erklärung, in der einerseits die Einstellung der Bombardements „auf die Städte und insbesondere auf die Wohngebiete" gefordert wurde; andererseits wurden die kriegführenden italienischen Soldaten der „Solidarität der gesamten Nation" versichert.16
Es wäre allerdings ungerecht und würde das Bild verfälschen, wollte man den PDS als gänzlich unfähig zur Opposition darstellen. Gerade gegenüber Berlusconi hat schon der PCI klar Position bezogen. Gegen die rücksichtslose Zerstückelung von Fern-
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sehfilmen durch Werbung hatte die Partei einen Gesetzentwurf eingebracht, der insbesondere unter Kulturschaffenden auf große Sympathie stieß. Schlagersänger und Entertainer Adriano Celentano war in dieser Frage ebenso auf der Seite der „Kommunisten" wie Federico Fellini und andere namhafte Filmregisseure. Mit solchen keineswegs umstürzlerischen, seinen Interessen allerdings in höchstem Maße abträglichen Initiativen erklärt sich Berlusconis wütendes Gegeifer gegen die „Stalinisten" und ihre „Anschläge" auf die (unternehmerische) Freiheit.
Darüberhinaus hat der PCI es verstanden, eine demokratische Gegenkultur zu schaffen. Diese Leistung darf in dem katholisch geprägten Italien, wo die Geistlichen jahrzehntelang offen zur Wahl der Christdemokraten aufriefen, nicht unterschätzt werden. Die während des Sommers im ganzen Land stattfindenden Feste des Zentralorgans L'Unità waren ein publikumswirksames Gegengewicht gegen die kirchlichen Massenveranstaltungen und ließen ebenso wie diese Menschen aller Generationen auf den Straßen und Plätzen zusammenströmen.
Auch zeigten kommunistisch geführte Stadtregierungen einiges Organisationstalent bei der Verwaltung kommunaler Einrichtungen. Die seit einigen Jahren vermehrt anzutreffende Ansicht, nur ein „starker Mann" könne die Leistungen der bisher weitgehend ineffizienten und trägen Behörden auf „europäisches Niveau" heben, konnte hier sichtbar widerlegt werden. Das PCI-regierte Bologna wurde in den siebziger Jahren fast schon zum Wallfahrtsort der westeuropäischen Linken. Die hier praktizierte fortschrittliche Verkehrspolitik und die behutsame Sanierung des Altstadtkerns machten die Innenstadt von Bologna zum Modell für ganz Italien. Darüber hinausgehende Hoffnungen, die Vorzeigekommune Bologna könne auch politisch zum Modell werden, zerbrachen spätestens mit der Jugendrevolte des Jahres 1977. Ekkehart Krippendorff schrieb 1979: „Aber Bologna als Wegbereiter einer alternativen sozio-politischen Ordnung Italiens und seine dreißigjährige Nachkriegsgeschichte als die Pionierzeit für ein sozialistisches Italien - diese Erwartung der Bologneser Kommunisten stellt sich spätestens angesichts der brennenden Barrikaden der Märztage 1977 als eine - wenn man so will: tragische - Illusion heraus."17
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Nichtsdestotrotz: Auch heute noch ist der ehemals „rote Gürtel" in Mittelitalien gegen den Rechtstrend sehr viel widerstandsfähiger als der Rest des Landes. In der Emilia-Romagna, der Toscana und Umbrien kamen PDS und Rifondazione Comunista bei der Wahl im März 1994 zusammen auf 43,2% bis 44,5%; Forza Italia blieb mit 15,3% bis 16,5% unter ihrem Durchschnitt, die Neofaschisten erreichten in Umbrien mit 16,3% ein überdurchschnittliches Ergebnis.18 In der Toscana und Umbrien stammen sämtliche direkt gewählten Deputierten aus dem Lager der Progressisti. In der Emilia-Romagna gewann das Rechtsbündnis aus Lega Nord, Forza Italia, CCD und UDC gerade mal drei von 32 Direktmandaten.
Rifondazione Comunista - ein Neuanfang bei 5%
Teilen muß sich der PDS die Wahlerfolge mit Rifondazione Comunista (RC), der Partei der „kommunistischen Neugründung", die in der Toscana mit 10,1% ihr bestes Ergebnis erzielen konnte. Für die meisten Italien-Korrespondenten deutschsprachiger Zeitungen ist der Fall seit langem klar: Rifondazione Comunista ist eine hoffnungslos altmodische Ansammlung von Stalinisten und sonstigen Nostalgikern. Stereotyp werden die „roten Halstücher", die „geballten Fäuste", der Gesang der Internationale und von „bandiera rossa" herausgestellt, um den Neugründern den ihnen angeblich gebührenden Platz im Revolutionsmuseum zuzuweisen. Daß die Wirklichkeit differenzierter ist, zeigt schon ein Blick auf Äußerlichkeiten ganz anderer Art. Die Mailänder Wochenzeitung Panorama hat auf einem Fest von RC im Oktober 1991 „allerhand Exzentriker" ausgemacht: „kommunistische Befürworter der Legalisierung weicher und Liberalisierung harter Drogen, Homosexuelle, Vegetarier und Tierversuchsgegner, Punks, Rockfans und Jugendliche ohne politische Erfahrung."19
Armando Cossuta, lange Jahre Wortführer des „orthodoxen" PCI-Flügels, wird von den Medien als besonders halsstarriger Altstalinist bezeichnet. Tatsächlich war er zwischen 1971 und 1976 die Nummer zwei des PCI hinter Berlinguer und „geriet
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erst in Dissens zur Parteimehrheit, als Berlinguer den 'strappo', den berühmten Bruch mit Moskau vollzog und von einem 'erschöpften Impuls' der Oktoberrevolution sprach, ein Urteil, das Cossuta damals nicht unterschreiben wollte". (Udo Gümpel)20 Sergio Garavini, der 1956 als einer von wenigen PCI-Funktionären den Einmarsch der Roten Armee in Ungarn verurteilte und später gegen den Parteiausschluß der Manifesto-Gruppe um Rossana Rossanda und Luigi Pintor stimmte, antwortete auf die Frage, warum er nun ausgerechnet bei RC mitmache: „Hier geht es nicht darum, Etiketten zu verteilen, sondern darum, eine von den Unternehmern unabhängige Politik für die arbeitende Bevölkerung Italiens zu entwickeln, ohne Einmischung von irgend jemand und ohne das ständige Schielen auf eine Beteiligung an der politischen Macht".21
Leitfigur von RC ist und bleibt Enrico Berlinguer, einer der Väter des „Eurokommunismus" und seines „Dritten Weges". Auf dem Gründungskongreß „brandete minutenlang Beifall auf, als ein Redner Enrico Berlinguer erwähnte"22 - eine Begeisterung, die der langjährige ehemalige PCI-Funktionär Valentino Filippetti, jetzt RC, in Worte zu fassen versuchte: „Das Herz unserer Bewegung schlägt für Enrico Berlinguer, den kämpferischen Berlinguer der kommunistischen Sonderstellung, des 35-Tage-Kampfes bei Fiat."23 Berlinguers Urteil über den „erschöpften Impuls der Oktoberrevolution" wird auch von Cossuta längst geteilt: „Von den Erfahrungen der osteuropäischen Länder übernehmen wir so gut wie nichts. Das sind für uns Erfahrungen einer abgeschlossenen Vergangenheit, die große historische Momente hatte, die zur Oktoberrevolution führten, dank denen in der Sowjetunion, in der Welt neue Bedingungen erobert wurden. Doch dieses Modell ist in keiner Weise auf die italienischen Verhältnisse anwendbar."24
Wie es scheint, ist Rifondazione Comunista die einzige im Parlament vertretene Partei, die den neuen Rechtsblock frontal angreift. Mit nationaler „Versöhnung" hat die Partei nichts im Sinn. Daß Umberto Bossi, der Anführer der Lega Nord, auf der großen antifaschistischen Demonstration am 25. April 1994 in Mailand beschimpft und ausgepfiffen wurde, fand der neue RC-Sekretär Fausto Bertinotti völlig in Ordnung. Die Feier zum
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49. Jahrestag der Befreiung von Faschismus und deutscher Besetzung sei „inkompatibel" mit der Politik der Lega, die entgegen Bossis Versprechen, „niemals mit den Faschisten" zusammenzugehen, an der Rehabilitierung des Faschismus mitwirkt. Ganz anders äußerte sich die Führungsspitze des PDS. Während Occhetto „Aufrührer" am Werk sah, übermittelte sein Nachfolger Massimo D'Alema dem lombardischen Heuchler so etwas wie eine Entschuldigung: „Mir tut es leid für Bossi."25
Der Rechtspopulismus der Lega Nord
Die Hoffnung der PDS-Führung, Bossi und die Lega Nord aus dem Rechtsblock herauszubrechen und in ein „antifaschistisches" Bündnis einzubinden, kann sich bestenfalls auf die taktische Anpassungsfähigkeit der nordischen Regionalisten gründen. Insbesondere Umberto Bossi zeichnet sich durch einen außergewöhnlichen Machtinstinkt aus, der ihn auch vor spektakulären Kurskorrekturen nicht zurückschrecken läßt. Daß der jahrelange Aufwärtstrend der Lega Nord seit März 1994 gebrochen ist, läßt weitere Schwenks nicht ausgeschlossen erscheinen.
Noch im April 1992 schien der Triumphzug der Lega unaufhaltsam. Während der Ätna glühende Lava spuckte, lenkten die italienischen Medien das Interesse der internationalen Öffentlichkeit auf eine weitere Naturkatastrophe. „Un terremoto" -ein politisches Erdbeben hätten die Wahlen zu Abgeordnetenkammer und Senat ausgelöst und den Neuanfang aller Politik auf die Tagesordnung gesetzt.
In der Tat sorgten die italienischen Wählerinnen am 5. und 6. April 1992 für einige Umwälzungen. Die ewige Regierungspartei Democrazia Cristiana verlor gegenüber 1987 4,6% und erreichte mit 29,7% das schlechteste Ergebnis seit ihrer Gründung. Die an stetiges Wachstum gewöhnten Sozialisten vom PSI erlitten erstmals seit 20 Jahren leichte Verluste. Aus dem greifbar nahe scheinenden „sorpasso", dem erstmaligen Vorbeiziehen des PSI am PDS (vormals PCI), wurde nichts. Der PDS, mit 16,1% immer noch erste Kraft einer stark nach rechts verschobenen „Linken", verlor 10,5%, verglichen mit dem PCI-Ergebnis von
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1987 (und mehr als die Hälfte gegenüber dem 34,4%-Rekord-ergebnis des PCI von 1976). Rifondazione Comunista kam auf 5,6%.
Die regierende Viererkoalition aus Christdemokraten, Sozialisten, Liberalen und Sozialdemokraten verlor mit nur noch 48,8% (1987: 53,6%) ihre Mehrheit. Ihre knappe Mandatsmehrheit (331 von 630 in der Kammer, 163 von 315 im Senat), reichte allerdings zum Weiterregieren aus. Das angebliche „Erdbeben" war - verglichen mit der Umwälzung von Ende März 1994 - nur ein leichtes Donnergrollen. Spektakulär war vor allem der Aufstieg der Lega Nord, die sich aus den regionalistischen „Ligen" der Lombardei, Liguriens und Venetiens formiert hatte. Sie erreichte 8,7% und konnte mit knapp 3,4 Millionen Stimmen dreizehnmal so viele Wählerinnen mobilisieren wie fünf Jahre zuvor.
Toni Visentini beschreibt die Lega der Anfangsjahre als Gruppierung politisch orientierungsloser und verunsicherter Klein-und Kleinstunternehmer aus den Randzonen des Veneto und der Lombardei. Zusammen mit Handwerkern und Kaufleuten bildeten sie ursprünglich die soziale Basis der Lega: „Sie alle haben einen gemeinsamen Feind: den Staat, der sie knallhart besteuert und kleinlich mit ihnen umspringt, während er gleichzeitig im Süden ... in Spendierlaune auftritt; in jenem Süden, der immer mehr der organisierten Kriminalität anheimfällt."26 Es liegt nahe, in der Lega Nord eine reine Mittelstandsvereinigung zu sehen. Der Südtiroler Grüne Alexander Langer, in den siebziger Jahren Chefredakteur der linksradikalen Tageszeitung Lotta Continua, charakterisiert die „typischen" Lega-Anhänger so: „...erfolgreiche 'self-made-men', deren utopischer Horizont noch am ehesten in den Schweizer Kantonen und den dazugehörigen Banken und der allgemeinen Volksbewaffnung zu suchen ist."27
Betrachtet man die sehr unterschiedliche finanzielle Leistungsfähigkeit der 20 Regionen Italiens, wird das Hauptmotiv des norditalienischen Regionalismus schnell deutlich: Man will nicht länger „für andere" zahlen, sondern das hart erarbeitete Geld selbst ausgeben. Nach einer Untersuchung der Agnelli-Stiftung decken die acht südlichen Regionen ihren Finanzbedarf maximal zu 70 Prozent (Abruzzen), die Basilicata gar nur zu
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37%. Von den acht Nordregionen erwirtschaften die vier größten (Piemont, Lombardei, Venetien, Emilia-Romagna) dagegen erhebliche Überschüsse; die Lombardei deckt ihren Finanzbedarf zu 183%. Anders gerechnet: Jeder Lombarde gibt dem Staat jedes Jahr 2.385.000 Lire (1994 etwa 2.385 DM; Anm. J.R.) mehr, als er aus der Staatskasse erhält."28 Das Programm der Lega gegen diese „schreiende Ungerechtigkeit": Teilung des Landes in drei „Makro-Regionen" mit Steuer- und Finanzhoheit. Nur noch die Landesverteidigung, die Außenpolitik und die Polizei sollten von Rom aus gelenkt werden. Um regierungsfähig zu werden, hat die Lega ihren Sezessionismus vorerst aufgegeben. Ob sie - bei einem Auseinanderbrechen der Rechtskoalition - die separatistische Agitation bruchlos wieder aufnehmen kann, muß bezweifelt werden. Einstweilen hat Bossi sich mit Berlusconi und Fini auf ein „föderalistisches" Italien als Zielvorstellung geeinigt und dafür auch der Stärkung der Zentralgewalt (durch Direktwahl des Staatspräsidenten, Ausweitung der Rechte des Regierungschefs u.ä.) zugestimmt.
Neben dem Steuerprotest stand jahrelang die Kritik an der ineffizienten, die „unternehmerische Initiative" hemmenden staatlichen Verwaltung im Vordergrund. Daß Umberto Bossi später zum unangefochtenen Idol der Lega werden konnte, ist nicht nur seinem machtpolitischen und demagogischen Geschick zuzuschreiben. Er verkörpert als abgebrochener Student aus kleinen Verhältnissen, der es dennoch „aus eigener Kraft geschafft" hat, die norditalienischen Tugenden: Fleiß, Strebsamkeit, Opferbereitschaft.
Vom Lokalpatriotismus der ersten kommunalen Wahllisten im Zeichen der Lega ging man zum Regionalismus über - einem rassistischen Regionalismus, der sich aggressiv von den als faul und kriminell angesehenen Süditalienern abgrenzt. Die Frage der Zuwanderung von Menschen aus Nicht-EG-Staaten wurde erst 1989 in das Programm aufgenommen und ebenfalls mit aggressiver Abgrenzung beantwortet. Zeitweilig wurde ein Referendum angedroht, um einen Einwanderungsstopp durchzusetzen.
Später erschien diese Linie nicht mehr opportun. Vor den nationalen Parlamentswahlen im April 1992 bemühte Bossi sich
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um Distanz zu Jean-Marie Le Pens Front National, der bei den französischen Regionalwahlen mit seiner brutalen Ausländerraus-Kampagne gerade knapp 14% der Stimmen kassiert hatte. „Nichts, absolut nichts" habe er mit Le Pen gemein, betonte Bossi schon zwei Tage nach der französischen Regionalwahl und distanzierte sich vom „Rassismus" der französischen Nationalisten: ,Jene sind Faschisten, wir sind Demokraten. Le Pen ist für den Zentralismus, wir für den Föderalismus. Wir sind Freunde aller Völker, auch der bedauernswerten Nichteuropäer, die hier keine Arbeit finden können."29
Daß die angeblich sein Mitleid erregenden Immigrantinnen nach dem Willen der Lega unverzüglich abgeschoben gehören, verschwieg Bossi an dieser Stelle. Bleiben darf nur, wer - unabhängig von Herkunft und Hautfarbe - sich bedingungslos den „lombardischen" (und den „deutschen" so ähnlichen) Sekundärtugenden unterwirft. In seiner Autobiographie „Vento dal nord. La mia Lega la mia vita" schreibt Bossi: „Der schwärzeste der Schwarzen hat dieselben Rechte wie mein Nachbar. Er hat aber auch dieselben Pflichten. Das heißt, er muß seinen Beitrag zum nationalen Reichtum leisten, bevor er Anspruch auf die Zuteilung von Wohnungen, Arbeitslosenunterstützung und medizinische Betreuung erheben kann."30
Die Besonderheit der Lega Nord besteht in ihrem inneritalienischen Rassismus. Auch die faulen „terroni" aus Kalabrien und Sizilien sollen aus dem reichen Norden verschwinden. Nachgeholfen werden soll über spezielle Verordnungen, die den in der Region Geborenen vorrangige Berücksichtigung bei der Vergabe von „Arbeitsplätzen, Aufträgen, Wohnungen, Fürsorge, Zuschüssen" garantiert. In einem Flugblatt der Lega Veneta wird diese Forderung konkretisiert. Aus dem Süden zugezogene Lehrerinnen und Lehrer sollten aus den Schulen des Nordens verschwinden, „damit man in unseren Schulen unsere Sprache spricht und unsere Luft atmet; damit unsere Lehrer nicht arbeitslos bleiben, um den Privilegien anderer Platz zu machen; damit unsere Kinder gute Verteidiger unserer Freiheiten werden und nicht gute Sklaven".31
Ende Oktober 1992 tauchten im Trentino Plakate der Giovani del Nord, der Jugendorganisation der Lega, auf, in denen die
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im Norden lebenden „ehrlichen und braven" Sizilianer, Calabresen und Campanier zu einem „mutigen Akt" aufgefordert wurden: „Geht nach Hause!"32 Als in ganz Italien die Medien über das Plakat berichteten, sah sich Umberto Bossi, dem die „Ungeschicklichkeit" der Lega-Jugendlichen zweifellos ungelegen kam, zu einer halbherzigen Distanzierung gezwungen. Andererseits sind solche „spontanen" Aktionen logische Folge der jahrelangen Agitation der Lega, der ständigen Beschwörung der Katastrophe. „Falls der Niedergang weitergeht, wird Italien definitiv ein mediterranes Land: eine Mischung aus Nordafrika, Balkan und Mittlerem Osten" - diese Schreckensvision von Gianfranco Miglio, dem jahrelangen Chefideologen der Lega, der mit seinen Tiraden Bossi bisweilen in den Schatten stellt, legt akuten Handlungsbedarf nahe. Miglio, der zeitweise als Minister der neuen Rechtsregierung im Gespräch war, dann aber leer ausging, hat sich inzwischen beleidigt zurückgezogen und wirft Bossi Despotismus und den Verrat an den separatistischen Idealen der Lega vor.
Die zuweilen freundlichere Wortwahl gegenüber den Menschen des Südens ändert nichts an der Tatsache: Die Lega Nord ist die Partei der aggressiven Abgrenzung, des Wohlstandschauvinismus und der Intoleranz gegenüber Minderheiten. Es ist kein Zufall, daß die „lombardische Kultur" bzw. die des Nordens „vorzugsweise negativ definiert wird", wie Laura Balbo und Luigi Manconi schreiben, d.h. „mittels der Abwertung der Kultur anderer: der süditalienischen Einwanderer und der Einwanderer aus Nicht-EG-Staaten. Aus diesem Grunde darf die Ablehnung der 'terroni' (die heute sicherlich abgeschwächt ist) oder der 'marocchini' weder unterschätzt noch als sekundärer Zug oder als 'Extra' betrachtet werden. Diese Ablehnung ist wesentlicher Bestandteil der Identität der Lega und manifestiert sich konstant als unüberwindliches Bedürfnis nach einem Feind. (...) Intolerante Parolen und Handlungen sind für diese emotionale Mobilisierung funktional, die nicht einfach ein Instrument der politischen Strategie der Lega ist. Sie ist die Lega selbst."33
Der Rassismus der Lega und ihre Intoleranz gegenüber Minderheiten erklären ihren Aufstieg aber nur zum Teil. Unverzichtbarer Bestandteil ihres Erfolgsrezepts war in den vergange-
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nen Jahren die Konfrontation mit den Parteien des „alten Systems", die vor allem Umberto Bossi mit seinen maßlosen, aber wohlkalkulierten Schimpftiraden gegen „Rom" meisterhaft zu inszenieren verstand. Die Democrazia Cristiana sei eine „Partei von Schurken, die wir in zwei Teile spalten werden". Der zentrale Slogan der Lega hieß über Jahre „Roma ladrona - la Lega non perdona" (zu deutsch etwa: „Räuberisches Rom - die Lega kennt kein Pardon").
Auch Lynchjustiz sei eine Art von Justiz, befand Gianfranco Miglio. Der Lega-Deputierte Leone Orsenigo erschien im März 1993 in der Abgeordnetenkammer mit einem Galgenstrick, den er drohend in Richtung der Regierungsparteien schwenkte. Im September 1993 bezeichnete Bossi die auf Zeit spielenden Führer der Regierungsparteien als „Banditen, die man an die Wand stellen sollte, so wie sie die Faschisten nach dem Krieg liquidiert haben."34 Auch vor Drohungen gegen die in Sachen Korruption ermittelnden Richter und Staatsanwälte schreckte er nicht zurück: „Wenn ein Richter uns in die Schmiergeldaffäre hineinziehen will, soll er wissen, daß sein Leben nur noch 300 Lire wert ist. Wir sind schnell mit den Händen, und bei uns kosten Patronen nur 300 Lire."35 Der Ansehensverlust des „alten Systems" der „partitocrazia" (Parteienherrschaft), das Bedürfnis nach Rache und die Sehnsucht nach unbelasteten Saubermännern machten es möglich, daß die Lega mit solchen faschistoiden Provokationen auch bei Menschen Sympathien gewann, denen die „Republik des Nordens" ziemlich gleichgültig ist. Die Wahlergebnisse des Jahres 1994 beweisen, daß die Drohung mit dem Sezessionismus nicht der für den jahrelangen Boom der Lega ausschlaggebende Faktor gewesen sein kann: 31% der bisherigen Lega-Wähler sind zu Forza Italia übergelaufen, die noch unverhüllter als die Lega Wirtschaftsliberalismus und Mittelstandsförderung durch massive Steuererleichterung zu ihrem Programm gemacht hat.
Noch Ende 1993 schien der Lega die Verdoppelung ihres Stimmenanteils gegenüber 1992 so gut wie sicher. Tatsächlich blieb sie im März 1994 mit nur 8,4% der Stimmen sogar noch unter ihrem Ergebnis von 1992 (8,6%). Daß sie die Zahl ihrer Mandate verdoppeln und damit zur stärksten Fraktion werden
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konnte, liegt zum einen am neuen Mehrheitswahlrecht, zum anderen an Berlusconis Großzügigkeit bei der Nominierung der gemeinsamen norditalienischen Wahlkreiskandidaten. Berlusconi führte die Lega so einerseits aus ihrer regionalen Beschränktheit heraus, andererseits brachte er ihr auf ihrem eigenen Territorium empfindliche Verluste bei. Forza Italia wurde in allen Wahlkreisen des Nordens stärkste Partei, ausgenommen Lombardei 2, wo die Lega, und Trentino-Alto Adige, wo die Südtiroler Volkspartei vorn lagen. Bei der Europawahl setzte sich der Trend von der Lega Nord zu Forza Italia weiter fort: Forza Italia erreichte mit 30,6% einen fast schon triumphalen Erfolg, die Lega fiel auf 6,6%.
Das vorläufige Ende des Höhenfluges kam gerade mal fünf Jahre nach dem Durchbruch, als die Lega bei den Europawahlen 1989 in der Lombardei 8,1% und zwei Sitze im europäischen Parlament erreicht hatte. 1989 war nicht zufällig das Jahr der Wende" auch für die Lega Nord. Mit dem Ende des Realsozialismus änderten sich auch wesentliche Bedingungen der italienischen Politik.
Die Erosion einer Staatspartei
Seit Kriegsende war die Parteienkonstellation ein verkleinertes Abbild des globalen Ost-West-Gegensatzes gewesen. Als die Anti-Hitler-Koalition zerbrach, waren auch die Tage der antifaschistischen Einheitsfront gezählt. An die Stelle des Comitato di Liberazione Nazionale (CNL), bestehend aus Kommunisten, Sozialisten, Liberalen, Christdemokraten und den Radikaldemokraten der Aktionspartei (Partito d'azione), traten zwei politische Blöcke. Um die seit 1945 ununterbrochen regierenden Christdemokraten gruppierten sich die kleineren laizistischen Parteien. Den Gegenpol bildete die kommunistische Partei, bis 1956 im Bündnis mit den Sozialisten. Gestützt auf den „fernen, aber wirksamen Schutz der USA" (Lucio Caracciolo)36, übernahm die DC die Funktion einer Staatspartei. Als eines von zwölf Gründungsmitgliedern trat Italien im April 1949 der NATO bei und blieb bis heute deren wichtigster Stützpunkt im
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Mittelmeerraum. Wer sich mit der DC anlegte, untergrub das ganze System - das ist seit den fünfziger Jahren das „charakteristische Leitmotiv ihrer Politik", wie Giorgio Galli schreibt: „Die wachsende Korruption zu kritisieren (...), ist gleichbedeutend mit Schwächung der demokratischen Institutionen, die vom Totalitarismus bedroht sind."37
Die scharfe Konfrontation zwischen links und rechts drückte sich auch in enger Bindung der Menschen an „ihre" Partei aus. Ganze Familien dachten und wählten christdemokratisch, kommunistisch oder sozialistisch. Die in den 70er Jahren forcierten Bemühungen des PCI, im Bündnis mit der DC „Regierungsverantwortung" zu übernehmen, scheiterten nicht etwa an unüberbrückbaren Differenzen. Alle Selbstverleugnung nutzte dem PCI nichts, nicht nur wegen der teils offenen, teils versteckten Einmischung der USA (und auch der BRD unter Helmut Schmidt). Für die DC war der Antikommunismus unverzichtbarer Bestandteil ihrer politischen Identität. Mit dem Kollaps des Realsozialismus geriet auch der Antikommunismus in die Krise.
Nicht nur die abnehmende Ausstrahlung nicht mehr zeitgemäßer Ideologien (vor allem des christdemokratischen Antikommunismus), auch die organisatorische Schwäche der einstmals mächtigen Parteien erleichtert vielen Wählerinnen die Neuorientierung: Vor allem im Norden haben die politischen Kräfte, ohne die bis vor kurzem bei der Vergabe von Aufträgen und Jobs nichts lief, nicht mehr viel anzubieten.
Die italienische „partitocrazia", die Parteienherrschaft, hat dem Land jahrzehntelang politische Stabilität verliehen - trotz aller Regierungskrisen und Kabinettsumbildungen, die zwischen 1945 und 1993 insgesamt 52 Regierungen hervorbrachten. Konstanter Machtfaktor war die Democrazia Cristiana (DC), die allen diesen Regierungen angehörte, fünfzehnmal allein regierte. Seit der USA-Reise des DC-Vorsitzenden Alcide De Gasperi im Jahre 1947 wurde Italien in „Special relationship" zum reichen Großen Bruder geführt. Der Sieg der DC bei der „Schicksalswahl" 1948 (in der Agitation der DC und der Pfaffen eine Entscheidung über „Freiheit oder Sozialismus") wurde nicht zuletzt durch die „humanitäre Hilfe" der USA sichergestellt. Fünf Wochen vor der Wahl hatte US-Außenminister
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George C. Marshall die Italiener gemahnt, nicht undankbar zu sein: „Wenn das italienische Volk die Macht einer Regierung anvertrauen sollte, in der eine Partei den beherrschenden Einfluß ausübt, die ihre Feindschaft gegenüber der amerikanischen Hilfeleistung wiederholt und unüberhörbar erklärt hat, müßten wir schlußfolgern, daß das italienische Volk wünscht, auf dieses Programm zu verzichten".38 28 Jahre später war es die BRD-Regierung unter Helmut Schmidt, die mit ähnlichen „Klarstellungen" in den italienischen Wahlkampf eingriff.
Erstmals 1981 gab die Christdemokratie den Posten des Regierungschefs an eine andere Partei ab. Die schroffe Links-Rechts-Konfrontation, verkleinertes Abbild des globalen Ost-West-Gegensatzes, wurde allerdings schon lange vor dem Zusammenbruch des realsozialistischen Lagers gemildert, zunächst gegenüber den Sozialisten, etwa ab 1972 auch gegenüber dem PCI.
Parteienproporz und Schmiergelder
Die Einbindung linker Parteien in einen „historischen Kompromiß" mit der hegemonialen Kraft, der Democrazia Cristiana, bedeutete auch deren Teilhabe an den mehr oder weniger illegal angehäuften Mitteln zur Parteienfinanzierung. Da die Verteilung der Reichtümer nicht von einer zentralen Instanz nach festgelegten Quoten vorgenommen wurde, können die Anteile der einzelnen Nutznießer nur geschätzt werden. Fest steht, daß die DC den Löwenanteil eingesteckt hat, die Sozialisten in den vergangenen Jahren kräftig nachholten und die Kommunisten vergleichsweise schäbig abgefunden wurden. Die kleineren jahrzehntelang mitregierenden Parteien PRI (Republikaner; Stimmenanteil 1992: 4,4%), PLI (Liberale; 2,8%) und PSDI (Sozialdemokraten; 2,7%) dürften erheblich mehr eingesteckt haben, als ihrem Stimmenanteil entsprochen hätte.
Geradezu gigantische Beträge zur Parteienfinanzierung steuerten die Staatsunternehmen bei: u.a. IRI („Institut für den industriellen Wiederaufbau"); ENEL („Nationale Gesellschaft für Elektrische Energie"); ANAS („Nationales Autonomes Unter-
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Das mächtige Triumvirat ,,CAF", 1992 noch in Amt, Würden und Siegerpose: Craxi (oben), Andreotti und Forlani (unten).
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nehmen für Straßen"); EFIM („Gesellschaft für die Finanzierung der verarbeitenden Industrie"); ENI („Nationale Kohlenwasserstoff-Gesellschaft"). Die Leitungsposten dieser riesigen Holdings wurden nach Parteienproporz verteilt („lottizzazione"). Schon 1950 wurde dafür der Begriff „sottogoverno" (wörtlich „Unterregierung") geprägt - „eine der zutreffendsten Charakterisierungen unseres öffentlichen Lebens" (Giorgio Galli).39
Über das Finanzgebaren des staatlichen Chemiekonzerns ENI hat der inhaftierte frühere Finanzchef des Unternehmens, Florio Fiorini, abenteuerliche Dinge ausgeplaudert. In den 70er Jahren habe er mit Spitzenmanagern verschiedener europäischer Banken (darunter Deutsche Bank, Citibank, Renault Finance und die sowjetische Vanhestorgbank) eine „Siebenerbande" gebildet, die durch koordinierte Währungsspekulation enorme Summen erwirtschaftet habe. 15.000 Dollar davon sollen täglich an die Kassen italienischer Parteien abgeführt worden sein: je 40% an DC und PSI, 10% an die Sozialdemokraten und 10% an die Republikaner.
Die auf den ersten Blick extrem übertrieben erscheinende Summe von jährlich 10 Milliarden DM an Schmiergeldern, die das Turiner Einaudi-Institut errechnet hat, ist so unwahrscheinlich nicht, wenn man berücksichtigt, daß auch mittlere und kleine Unternehmen in großem Umfang zur Kasse gebeten werden. Staatliche Aufträge, die Bewilligung von Anträgen auf dem „kurzen Dienstweg" und andere behördliche Dienstleistungen waren nur gegen Zahlung inoffizieller „Gebühren" zu erhalten. Dieses System hatte sich über die Jahre so weit durchgesetzt, daß dessen Profiteure einfach abwarten konnten, bis „ihr" Geld gezahlt wurde, weil „derjenige, der Bestechungsgelder zahlen soll, nicht einmal mehr darauf wartet, dazu aufgefordert zu werden" (der Mailänder Staatsanwalt und neue Nationalheld Antonio Di Pietro).40
Wer kein Geld hatte, zahlte mit seiner Wählerstimme. Vor allem die Vergabe von Arbeitsplätzen erfolgte auf diesem Wege. „Während die Basis für die Korruption des Nordens die Schmiergeldaffäre war, ist sie für den Süden die gekaufte Wählerstimme", erklärt Leoluca Orlando, ehemaliger Bürgermeister
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von Palermo und Wortführer der Anti-Mafia-Partei La Rete („Das Netz").41
Postenvergabe nach Parteienproporz, Klientelwesen und der Brauch, durch verschiedene Gefälligkeiten die Entscheidungen der Verwaltungen mindestens zu beschleunigen, erleichtern der organisierten Kriminalität die Beeinflussung von Entscheidungsträgern erheblich. Geschäftspartner der Mafia waren weniger staatliche Mandatsträger (die in Italien häufig ausgewechselt werden) als vielmehr die Parteichefs auf lokaler, regionaler und nationaler Ebene. Sie verfügen über eine Macht, „wie sie z.B. in der Bundesrepublik unvorstellbar ist. Nur sie bestimmen faktisch über die Effizienz oder Ineffizienz von Ämtern -sind doch gerade sie es, die die Besetzung aller wichtigen Posten untereinander aushandeln. Ein System, das im Endeffekt zur völligen Aufteilung des gesamten öffentlichen Stellen-Kuchens unter die Gefolgsleute der diversen Provinz- und Landesfürsten geführt hat." (Werner Raith)42
Als gerichtlich bewiesen gilt, daß die Mafia in den 60er und 70er Jahren die wichtigsten Figuren der sizilianischen Democrazia Cristiana kontrollierte. Noch zu beweisen ist, daß die jahrzehntelange Kooperation von Mafia und DC mit Wissen und unter Anleitung von Giulio Andreotti stattgefunden hat. Andreotti, jahrzehntelang einflußreichster Politiker Italiens, der seine Parteibasis in Sizilien hatte, streitet - wie immer - alles ab.
Richter Antonino Caponnetto, der in den achtziger Jahren die Ermittlungen im „Maxi processo" gegen die sizilianische Mafia leitete, ist vom Zusammenhang von Korruption und Mafia überzeugt. Er spricht von einer „Zweckgemeinschaft zwischen Politik und Mafia" und weist auf den nicht zufälligen Ausgangsort des Skandals hin: „Mailand war für die Mafia schon immer wichtig. Hier sind die berüchtigten Cosa-Nostra-Familien Carollo und Fidanzati zu Hause, hier wurde schon Luciano Liggio verhaftet. Mailand ist auch einer der Hauptumschlagplätze für Drogen, hier investiert die Mafia einen Großteil ihres finanziellen Überschusses."43
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Wie alles aufflog
Der Ablauf der Ereignisse, die zur Aufdeckung des Systems der Korruption führten, ist leicht rekonstruierbar. Am 17. Februar 1992 wurde Mario Chiesa, Sektionssekretär der Sozialistischen Partei (PSI) in Mailand, verhaftet, als er ein Kuvert mit sieben Millionen Lire (nach damaligem Kurs 10.000 DM) Schmiergeld entgegennahm. Als Präsident eines Mailänder Waisen- und Altersheims hatte Chiesa als Gegenleistung für die Vergabe eines Auftrags an eine kleine Reinigungsfirma eine „Spende" für seine Partei verlangt. Der Kleinunternehmer ging zur Polizei und Chiesa in die Falle.
Dieser unscheinbare Fall hatte erstaunliche Wirkungen. Nach weiteren belastenden Aussagen geschröpfter Unternehmer brach Chiesa sein Schweigen. Die ersten Prominenten wurden belastet, u.a. „Bobo" Craxi, Sohn des damals noch mächtigen PSI-Sekretärs Bettino Craxi. Von Mailand, fortan „Tangentopoli" („Stadt der Schmiergelder") genannt, zog die Affäre ihre Kreise im gesamten Land. „Tangentopoli" wurde zur Chiffre für ein System von Korruption und Begünstigung, das spätestens seit 1976 in seinen Grundstrukturen bekannt war. Damals hatten die Mitglieder des PCI und der Unabhängigen Linken in der Untersuchungskommission zum ersten Erdölskandal ihr Minderheitsvotum zu Protokoll gegeben. Bei der damaligen Schmiergeldaffäre, so stellten die linken Abgeordneten fest, „handelt es sich nicht um eine vereinzelte bescheidene Operation; es handelt sich um zahlreiche Machenschaften auf dem Hintergrund eines dichten Netzes von Interessen, Beziehungen, Geschäften ... mit Gewinnen von vielen Hunderten von Milliarden Lire, die im Zusammenhang von immer engeren Beziehungen zwischen Wirtschaftsmächten und politischer Macht... realisiert wurden."44 Zwischen 1966 und 1973 hatten die Staatsbetriebe ENEL (Elektrizität) und ENI (Chemie) fast fünf Milliarden Lire für die illegale Parteienfinanzierung ausgegeben. Dennoch überstanden alle belasteten Politiker den Skandal ohne Schaden - Giulio Andreotti kam wegen Verjährung der Straftat um eine Anklage herum.
Als die Regierenden bei den Wahlen im April 1992 gerade noch einmal davongekommen waren, ließ sich die „Revolution
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Die Wochenzeitung „Panorama", inzwischen dem Berlusconi-Imperium einverleibt, karikierte 1992 den Korruptions-Sumpf.
der Staatsanwälte" nicht mehr aufhalten. In Venedig stürzte der „rote Doge", Außenminister De Michelis (PSI). Schon im Herbst 1993 wurde gegen 1200 Staatsbeamte und Politiker (darunter 15% der Abgeordneten und Senatoren) ermittelt. Etliche Minister mußten zurücktreten. Prominenteste „Opfer" waren die bis
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vor kurzem mächtigsten Männer der italienischen Politik: Bettino Craxi (PSI), Giulio Andreotti (DC) und Arnaldo Forlani (DC), die Mitglieder des inoffiziellen Triumvirats „CAF" (Kürzel, gebildet aus den Anfangsbuchstaben ihrer Namen). Manager von Großunternehmen (FIAT, ENI u.a.) wurden verhaftet. Mindestens zehn Beschuldigte begingen Selbstmord.
Die Frage, warum ein im Prinzip allgemein bekanntes System der illegalen Parteienfinanzierung nun „plötzlich" auf so breiter Linie unter Anklage geriet, kann auf verschiedenen Ebenen beantwortet werden. Zum einen wurden die Schmiergeldzahlungen den Unternehmen schlicht zu teuer. Der Historiker Sergio Romano: „Ende der achtziger, Anfang der neunziger Jahre aber wurde die heimliche Regierung so kostspielig, daß sie vor allem die Zukunft der nördlichen Regionen gefährdete, die sich von einem vereinigten Europa am meisten erhofften."45 So gesehen hat das „Europa des Kapitals" zu zwei innenpolitischen Entwicklungen Italiens beigetragen: dem teilweisen Zusammenbruch des alten Parteiensystems und dem - zumindest vorübergehend - kometenhaften Aufstieg der Lega Nord.
Neu war aber nicht nur die Tatsache, daß reihenweise betrogene Betrüger bereit waren, gegen ihre bisherigen Geschäftspartner auszusagen. Neu war auch der Eifer der Ermittlungsbehörden, die sich - im Unterschied zu früheren Zeiten, wo schon ein dezenter Wink von oben große Wirkung tun konnte - auch von klangvollen Namen nicht schrecken ließen.
Die offensichtliche Schwächung der regierenden Parteien, selbst der Quasi-Staatspartei DC, war auch ein Ergebnis der veränderten Weltlage: „Während sich in Deutschland die Wiedervereinigung vollzog, brach in Italien ein Staatssystem zusammen, das der Kalte Krieg hervorgebracht hatte und in dessen Zentrum die von ihrem Antikommunismus zehrende christdemokratische Partei stand." (Ernesto Galli Della Loggia)46 Anders ausgedrückt: Der schon zitierte „ferne, aber wirksame Schutz der USA" für ihre christdemokratischen Freunde und deren Verbündete fiel mit dem Ende des globalen Ost-West-Gegensatzes weg. Anklagen selbst gegen höchste Politiker können seitdem als interne Angelegenheit Italiens behandelt werde. Der Aburteilung der Kriminellen mit weißem Kragen steht keine Einschrän-
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kung der „nationalen Souveränität" durch die Führungsmacht des westlichen Bündnisses mehr im Wege. Das gilt auch für die Mafia, die am Ende des Zweiten Weltkriegs von den US-Truppen als antikommunistische „Ordnungsmacht" neu etabliert wurde; als stabilisierender Faktor von weltpolitischer Bedeutung haben die Clans ausgedient und müssen sich fortan selbst helfen.
Die weltpolitischen Umwälzungen waren aber nur die -wenn auch unverzichtbare - äußere Bedingung für den Zusammenbruch der bisherigen Parteienherrschaft. Wesentliche innere Ursache war die Brüchigkeit des gesamten Systems. Die enge Kooperation von Wirtschaft und politischer Elite, die jahrelang beiden Seiten Vorteile gewährt hatte, brachte auf die Dauer eine Reihe von Anomalien hervor, die Italien zu einem Sonderfall des kapitalistischen Europa machten. Für Giorgio Galli ist es „klar, daß die mangelnde Erneuerung an der Regierungsspitze, die Fälschung der Statistiken und die chronische Steuerungerechtigkeit die drei Eigenschaften des 'Falls Italien' sind, die den drei fundamentalen Prinzipien einer Industriegesellschaft auf der Grundlage der repräsentativen Demokratie widersprechen."47 Seit den achtziger Jahren vereinte sich zudem die „Korruptionswirtschaft, die die Unternehmen von den Staatsmonopolen bis zu den Kleinbanken unterwandert ... mit der Verbrechenswirtschaft."48
Die Ausschaltung bzw. Einschränkung des Wettbewerbs führte zur höchsten Staatsverschuldung in Europa und schmälerte die internationale Konkurrenzfähigkeit der italienischen Wirtschaft. 1993 ergab „ein Vergleich mit öffentlichen Aufträgen in Frankreich und Großbritannien... für Italien korruptionsbedingte Mehrkosten der staatlich bezahlten Bauarbeiten von 30%... Eine gewöhnliche Straße kostete ... in Italien dreimal soviel wie in Frankreich; und für die Autobahn Palermo-Messina gab der Staat 40 Mio. DM pro Kilometer aus - in Deutschland kalkuliert man mit ca. 10 Mio."49 Die Korruption hat aber auch katastrophale soziale Folgen. In den zahllosen Investitionsruinen sind unermeßliche Summen gebunden. Der vielleicht krasseste Fall von Mißwirtschaft auf Kosten der Armen und Bedürftigen ging als „Irpiniagate" in die endlose Geschichte der
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Skandale ein. Die eigentlichen Adressaten der gigantischen, auch aus Mitteln der Europäischen Gemeinschaft gezahlten Gelder gingen weitgehend leer aus: Opfer des Erdbebens in der Campania im November 1981, deren Häuser Jahre nach dem Unglück immer noch nicht wieder aufgebaut waren.
Zur immensen Staatsverschuldung trägt auch die systematische Steuerhinterziehung bei. Nutznießer sind die Selbständigen, die in der Vergangenheit wesentlicher Teil der christdemokratischen Klientel waren und nun mit einigem Erfolg von Berlusconi umworben werden. „Laut Steuerstatistik verdienen die Lohnabhängigen in Italien im Durchschnitt mehr als Selbständig-Erwerbende und Unternehmer", schreibt die Neue Zürcher Zeitung (13.8.1992) und nennt Beispiele für die angeblich miserablen Verdienste des italienischen Mittelstandes: „So verfügen laut Steuerstatistik 38,7% der Advokaten und Rechtsanwälte, 43,8% der Geometer, 40,7% der Agronomen und Veterinäre, 21,6% der Händler und Steuerberater, 19,8% der Ärzte und 21,5% der Börsenhändler über ein Bruttoeinkommen von weniger als 20 Mio. Lire (rund 24.000 DM)."50
Zwiespältige Empörung
Der von allen Beobachterinnen berichtete Stimmungsumschwung in der italienischen Bevölkerung traf zum einen die Mafia. Immer weniger Menschen waren bereit, sie als nicht zu ändernde Naturkatastrophe hinzunehmen. Und das Aufbegehren gegen korrupte Politiker wurde um so lautstärker, je mehr die unter Verdacht Geratenen Schwächen zeigten. Bei Andreotti trug dazu das Attentat auf seinen sizilianischen Statthalter und mutmaßlichen Verbindungsmann zur Mafia, Salvo Lima, bei: „Wer sich außerstande zeigt, seine Gefolgsleute zu schützen, hat ausgespielt."51 In die berechtigte Empörung über die Machenschaften der Nomenklatura und ihrer Handlanger und die Schadenfreude darüber, daß es ihnen nun an den Kragen gehen könnte, mischten sich allerdings auch äußerst gefährliche Gefühlsregungen: Rachebedürfnis, Kopf-ab-Mentalität und der Ruf nach Lynchjustiz, auf der anderen Seite Verklärung der Sau-
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bermänner und positiven Helden, von denen ein „Aufräumen" mit dem „alten System" erwartet wurde und wird.
Nach den Mafia-Morden im Sommer 1992 sprach sich in einer Umfrage des Instituts SGW die Hälfte der Befragten für die Wiedereinführung der Todesstrafe aus. Drei Viertel der Befragten erklärten sich bereit, Einschränkungen der persönlichen Freiheitsrechte hinzunehmen, wenn dadurch die Mafia wirksamer bekämpft werden könnte.
Nicht allen politischen Kräften, die seit Ende der achtziger Jahre eine „Erneuerung" der Institutionen betrieben, wird man die bewußte Förderung solcher autoritären Regungen unterstellen können. Aber ohne eine reichliche Portion Populismus kam keiner der selbsternannten Retter und Erneuerer aus, am allerwenigsten die DC-Dissidenten Leoluca Orlando und Mario Segni. Im Juni 1991 verbuchte die von ihnen geführte Referendumsbewegung einen ersten Erfolg mit der Änderung des Wahlgesetzes: Bei einer Beteiligung von 62,5% votierten 95,6% der Abstimmenden für die Abschaffung der vier „Präferenzstimmen" und der Wahl durch Angabe der Listenplatznummer; beide Regelungen hatten Klientelismus, Wahlbetrug und die Einflußnahme der Mafia erleichtert. Namentlich Bettino Craxi hatte den Boykott des Referendums betrieben, um es am vorgeschriebenen Quorum von 50% Stimmbeteiligung scheitern zu lassen - ein schlimmer Fehler, der den Sieggewohnten einiges Prestige kostete. La Repubblica (11.6.1991) titelte „Vince l'Italia pulita" - gewonnen habe das „saubere Italien", deren Repräsentanten sogleich das nächste Referendum vorbereiteten.
Am 18. und 19. April 1993, genau 45 Jahre nach der „Schicksalswahl" des Jahres 1948, durften dann die wahlberechtigten Italienerinnen auf acht verschiedenfarbigen Stimmzetteln ihre Meinung sagen. Ja oder Nein zur: t> Verfahrensänderung bei der Senatswahl,
> Reform der Parteienfinanzierung,
> Straffreiheit von Drogenabhängigen,
> Abschaffung des Verfahrens, die Direktoren der Sparkassen durch das Schatzministerium ernennen zu lassen,
> Auslagerung des Umweltschutzes aus der Zuständigkeit des Gesundheitsministeriums,
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> Abschaffung der Ministerien für Staatsbeteiligungen, für Landwirtschaft und für Tourismus.
Achtmal siegte das Ja: am deutlichsten bei der Änderung der bisherigen Parteienfinanzierung (90,1%), knapp bei der Frage der Straffreiheit für Drogenkonsumenten (55%).
Die Abschaffung des bisherigen Verfahrens zur Senatswahl war zur Schicksalfrage der Nation hochstilisiert worden. Auf den Tag genau 45 Jahre nach der entscheidenden Wahl des Jahres 1948, welche die bis dahin unendliche Geschichte christdemokratischer Herrschaft eröffnete, entschieden sich 82,1% für ein Ja auf die Frage: „Wollt ihr, daß das Gesetz Nr. 29 vom 6. Februar 1948 betreffend 'Wahlverfahren für den Senat der Republik' abgeschafft wird, beschränkt auf die folgenden Teile: Artikel 17, zweites Komma, wie durch Artikel 1 modifiziert?"
Legionen selbsternannter Volkspädagogen hatten unermüdlich den Sinn dieses hoffnungslos unverständlichen Satzes zu erklären versucht: Ein Ja ermögliche die Einführung des Mehrheitswahlrechts, später auch bei der Wahl der Abgeordnetenkammer, und damit das Ende der korrupten „Ersten Republik" und die Schaffung einer völlig neuen, demokratischen und gerechten „Zweiten Republik". Praktisch ausgedrückt: Mehrheitswahlrecht - nur ein siegreicher Wahlkreiskandidat kommt ins Parlament - würde bedeuten, so der palermitanische Richter Giuseppe Ayala, „daß wir sicher wären, daß kein Angehöriger von 'Tangentopoli' (dem Land der Korrupten)... mehr ins Parlament kommen kann. Denn versteckt auf einer Parteiliste könnten sie durchkommen, mit offenem Visier aber nie."52
Auch Eugenio Scalfari, Herausgeber der Tageszeitung La Repubblica und ein Mann von außergewöhnlicher Intelligenz, war sich nicht zu schade, am Vortag der Abstimmung noch einmal alle Register zu ziehen: „Dieses Ja wird den Leoparden vertreiben."53 „Der Leopard" ist eine in Italien allgegenwärtige Metapher in Anlehnung an den gleichnamigen Roman von Giuseppe Tomasi di Lampedusa: „Wenn wir wollen, daß alles bleibt, wie es ist, dann ist es nötig, daß alles sich verändert", sagt dort der taktische Garibaldi-Anhänger Tancredi zu seinem im alten Denken verharrenden Onkel, dem Großgrundbesitzer.54
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Ähnlich monumental wie die Versprechungen vor dem Wahlgang waren die Schlagzeilen am Tag danach: „Italien ist erwacht" (La Repubblica), „Das neue Italien entsteht" (Corriere della sera), „Triumph des Ja - Italien verändert sich" (La Stampa), „Sieg der Bürger" (Referendums-Promoter Mario Segni).
Kaum war das Triumphgeschrei über das Ergebnis des Referendums verklungen, als die ehrlicheren unter den politischen Kommentatoren sich die bittere Wahrheit eingestehen mußten: „Die Zweite Republik entsteht schlecht. Sie entsteht auf einer Lüge." So beginnt ein bemerkenswerter Kommentar von Ernesto Galli della Loggia im Corriere della sera, der dann fortfährt: „Wie übrigens auch zu ihrer Zeit die Erste Republik auf einer ähnlichen Lüge entstand. Damals war die Lüge die angebliche -zuerst moralische, dann bewaffnete - Revolte des ganzen italienischen Volkes gegen den Faschismus, die 'antifaschistische Revolution'. Auch heute spricht die neue Lüge von Revolution -nicht mehr antifaschistisch, sondern gegen die Parteienherrschaft - die sich vollziehe und als Protagonisten sozusagen regenerierte Italiener hat, moralisch erneuert (...) und beseelt von einem neuen Geist der Ehrlichkeit, einer neuen Hingabe an das öffentliche Wohl und an das Staatsbewußtsein."55
Zur Kennzeichnung der Situation in Italien verwendet der Kommentator des Mailänder Bürgerblattes den Terminus der „passiven Revolution". Antonio Gramsci erläutert diesen von ihm wesentlich mitgeprägten Begriff am Beispiel der neueren italienischen Geschichte. Das Wort von der „passiven Revolution" bringe „das historische Faktum zum Ausdruck, daß a) im Verlauf der italienischen Geschichte eine Initiative des Volkes gefehlt hat und b) die Tatsache, daß der 'Fortschritt' sich als restaurative Antwort bzw. Reaktion der herrschenden Klassen auf das sporadische und unmethodische Umstürzlertum der Volksmassen erweist, wobei ein Teil der Forderungen aus dem Volk doch erfüllt werden. Es handelt sich also um 'fortschrittliche Restaurationsschritte' bzw. 'Revolutionen-Restaurationen' oder auch 'passive Revolutionen'."56
Hinzugefügt werden muß, daß Gramsci auch den Faschismus als „passive Revolution" betrachtet hat.
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Ein schwaches „Linksbündnis"
Mit der nach dem Referendum von April 1993 erfolgten Ernennung des parteilosen Chefs der italienischen Notenbank, Carlo Azeglio Ciampi, zum neuen Regierungschef sollte ein weiteres Zeichen für den Neuanfang gesetzt werden. Der erste Ministerpräsident seit 1861, der nicht aus der Mitte des Parlaments kam, setzte mit einem Kabinett der „Professoren" sein „Leben für die Lira" (La Repubblica), d.h. für Geldwertstabilität, von der Regierungsbank fort. Vor allem aber leitete seine Regierung zügig die Änderung des Wahlgesetzes ein. Nach der neuen Regelung werden Dreiviertel der Sitze in beiden Kammern des Parlaments per Mehrheitswahlrecht in einem Wahlgang vergeben. Das restliche Viertel wird mittels Verhältniswahl ermittelt; neu eingeführt wurde eine Vier-Prozent-Hürde.
Es ist offensichtlich, daß dieses Wahlverfahren mit Demokratisierung rein gar nichts zu tun hat. Es begünstigt die großen Parteien und zwingt die kleinen auf Gedeih und Verderb in zweifelhafte Wahlbündnisse. Die größten Schwierigkeiten, ein aussichtsreiches Wahlbündnis zusammenzubekommen, hatten die nach dem Zusammenbruch der alten Regierungsparteien geschwächten Kräfte der „Mitte".
Selbst ausmanövriert hatte sich Mario Segni, der ehemalige Christdemokrat und populäre Wortführer der Referendumsbewegung. Nachdem er zwischenzeitlich schon als künftiger Ministerpräsident einer auch vom PDS mitgetragenen Regierung gehandelt worden war, blieb ihm und seinem Patto per l'Italia („Pakt für Italien") als Bündnispartner schließlich nur noch die aus der Democrazia Cristiana hervorgegangene „italienische Volkspartei", der Partito popolare italiano (PPI). Dieses ausgedünnte „Zentrum" konnte bei der Wahl im März 1994 kein einziges Direktmandat gewinnen. Die Hoffnung, zwischen Rechten und „Linken" als Zünglein an der Waage den Ausschlag geben zu können, war mit den wenigen über die Listenwahl gewonnenen Sitzen nicht zu realisieren.
Dagegen schien es zunächst so, als würden die „Linken" vom neuen Mehrheitswahlrecht profitieren. Dem PDS gelang die Einbeziehung sehr unterschiedlicher Kräfte zum Pol der Progres-
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sisti („Fortschrittliche"). Neben den beiden PCI-Nachfolgeparteien gehörten dazu: La Rete, die Antimafia-Partei des ehemaligen Christdemokraten Leoluca Orlando; Alleanza Democratica, eine u.a. von Teilen der Republikanischen Partei gegründete Gruppierung; I Verdi (die Grünen); die Reste des Partito Socialista; Rinascita Socialista („sozialistische Wiedergeburt"), die vom PSI abgespaltene Gruppe um den kurzzeitigen Parteisekretär Giorgio Benvenuto; schließlich die Linkskatholiken Cristiano Sociali („Christlich-Soziale").
Dieses breite Bündnis hatte allerdings ein wesentliches Defizit. Es stand nicht für ein gemeinsames Reformprojekt, sondern war rein wahltaktisch begründet. Gemeinsames Ziel war es, so viele Wahlkreiskandidaten wie möglich durchzubringen. Als Defensivbündnis gegen den Durchmarsch der Rechten konnte es keinerlei Aufbruchstimmung verbreiten; zu unterschiedlich waren die Positionen der Beteiligten zu wesentlichen politischen Fragen. Z.B. in der Frage der Reform staatlicher Institutionen: Mit ihrer - leicht verklausulierten - Position, zum Zwecke der Stärkung der Exekutive müsse über die Direktwahl des Ministerpräsidenten „nachgedacht" werden, stehen die Sozialisten Forza Italia sehr viel näher als Rifondazione Comunista, die „harte Opposition" gegen das Präsidialsystem, das Mehrheitswahlrecht und jegliche Machtausweitung der Regierung auf ihre Fahnen geschrieben hat.
Eine besondere Bandbreite dokumentieren die beschäftigungspolitischen Forderungen der beteiligten Parteien: RC fordert Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohnausgleich, der PDS die Einführung von Zeitverträgen für Erwerbstätige „mittlerer Qualifikation"; La Rete liegt mit ihrer Forderung nach besonderer Förderung mittlerer und kleiner Betriebe voll auf Linie der Lega und von Forza Italia, während die Grünen mit ihrem Plan, durch ökologischen Umbau der Produktion eine Million Arbeitsplätze zu schaffen, völlig allein dastehen.
Auch in den Bereichen Gesundheitswesen und Steuerpolitik gehen die Positionen der „fortschrittlichen" Parteien - entsprechend den Erwartungen ihrer jeweiligen Klientel - weit auseinander. In der Außenpolitik schließlich prallen Welten aufeinander. Der PSI fordert größeren Einfluß Italiens in Europa, der
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PDS will die Streitkräfte „in Richtung Professionalisierung" umstrukturierern und hat „Vertrauen zur NATO". Die NATO „überwinden" will dagegen RC, die außerdem das Vetorecht der Großmächte in der UNO abschaffen und die Blockade gegen Kuba beenden will. Man kann darüber streiten, ob ein solch heterogener Haufen „regierungsfähig" ist; offensichtlich aber ist er nur begrenzt mobilisierungsfähig. Nicht das Werben für die eigenen politischen Vorstellungen stand im Zentrum der Wahlkampagne, sondern die Warnung vor Berlusconi und seinen neuen neofaschistischen Freunden.
Nach der Niederlage im März 1994 wurde im PDS offen darüber räsonniert, ob es nicht besser gewesen wäre, Carlo Azeglio Ciampi zum Spitzenkandidaten zu küren. Dessen Sparpolitik auf Kosten der Armen ist zwar selbst aus sozialdemokratischer Sicht „eigentlich" nicht zu tolerieren. Das Argument für den Bankier: Er hat den Staatshaushalt konsolidiert, die Wahlrechtsänderung durchgesetzt und kommt mit seinem Image als Politiker mit Tatkraft und Sachverstand dem verbreiteten Verlangen nach dem starken Mann entgegen. Gleichzeitig hätte man sich mit Ciampis Nominierung die lästigen und die bürgerliche „Mitte" verschreckenden Kommunisten vom Leibe gehalten.
Der „Pol der Freiheit" -
Berlusconi macht das Unmögliche möglich
Die Teilkommunalwahlen Ende 1993, die dem MSI spektakuläre Zugewinne gebracht hatten, waren in Hinblick auf die kommenden nationalen Wahlen für die Rechten dennoch nicht zufriedenstellend verlaufen. In der Stichwahl hatten sich außer in einigen mittleren Städten Süditaliens überall „fortschrittliche" oder „linke" Kandidaten durchgesetzt. Die Lega Nord konnte weder in Venedig noch in Genua ihr Ziel, den Bürgermeister zu stellen, erreichen. In Triest kam sie nicht einmal in die Stichwahl. Zwar bedeuteten die 25 bis 30%, die sie in den norditalienischen Großstädten erreichte, und die knapp 50% in Umberto Bossis Heimatstadt Varese die - wenn auch verlangsamte - Fortsetzung des Erfolgstrends. Zwar konnte sie selbst in Genua, der liguri-
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schen Hafenstadt mit ausgeprägter linker und antifaschistischer Tradition, knapp 30% im ersten und 40% im zweiten Wahlgang erreichen. Dennoch: Gegen ein breites „fortschrittliches" Lager mit jeweils nur einem gemeinsamen Wahlkreiskandidaten hätte sie selbst in einigen ihrer norditalienischen Hochburgen den kürzeren gezogen.
Das Problem der Lega Nord war nach wie vor ihre regionale Beschränktheit. In Rom kam sie trotz wohlüberlegter Umbenennung in „Lega Italia Federale" über 1% nicht hinaus. Bossi sei „der Strauß der Lombardei, dem ein Kohl fehlt"57, formulierte treffend Massimo D'Alema, damals noch die „Nummer zwei" des PDS: Ein potenter Bündnispartner der norditalienischen Separatisten war auf nationaler Ebene nicht in Sicht. Die Neofaschisten schienen als vehementeste Vertreter eines starken Zentralstaats dafür nicht in Frage zu kommen, obwohl es in der rassistischen und rechtspopulistischen Agitation beider Gruppierungen reichlich Gemeinsamkeiten gab. Als der christdemokratische Staatspräsident Francesco Cossiga Anfang der neunziger Jahre seine Tiraden gegen die Parteienherrschaft startete, zollten ihm sowohl die Lega als auch der MSI demonstrativ Beifall. Es entstand die Redensart von der „Partei des Präsidenten", die natürlich nur in den identischen Demagogien der Cossiga-Freunde, nicht als Organisationsform existierte.
Der in Silvio Berlusconis Brain-Trust ausgeheckte Ausweg aus dem Dilemma der Rechten war so genial wie simpel: Wenn direkte Absprachen zwischen MSI und Lega Nord nicht möglich waren, mußte ein Vermittler her. Eine Partei, die einerseits die von DC und PSI abgefallenen Wähler der „Mitte" anzog, andererseits das zerstrittene Lager der Rechten einigte: Forza Italia. Durch separate Absprachen mit der Lega im Norden und Alleanza Nazionale in Mittel- und Süditalien wurde das Unmögliche möglich: Das rechte Wahlbündnis polo della libertà („Pol der Freiheit") entstand, ohne daß Lega und MSI/AN auf ihre Eigenständigkeit verzichten mußten. Zwar konkurrierten auf diese Weise im Norden AN-Kandidaten mit gemeinsamen Kandidaten von Forza Italia und der Lega Nord. Das kostete in einigen Wahlkreisen den Sieg, war aber gegenüber der völligen Zersplitterung der Rechten das kleinere Übel. Im Süden gab es
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dieses Problem nicht, weil die Lega auf die Aufstellung ohnehin chancenloser Wahlkreiskandidaten verzichtete. Dem von rechten Christdemokraten gegründeten Centro cristiano democratico (CCD) und der aus der Liberalen Partei hervorgegangenen Unione di centro (UDC) waren von Forza Italia ebenfalls einige aussichtsreiche Wahlkreise überlassen worden.
Berlusconis großzügige Bündnispolitik begünstigte vorläufig vor allem die Lega Nord, die bei einem Stimmenanteil von 8,4% die größte Fraktion in der Deputiertenkammer stellte. Forza Italia, mit 21% stärkste Partei, rangierte nach Mandaten erst auf dem vierten Platz hinter dem PDS (20,4%) und Alleanza Nazionale (13,5%). Wie es scheint, hat Berlusconi auch hier seine unternehmerische Erfahrung eingebracht: Wohl wissend, daß gegebenenfalls auch aus der Minderheitsposition heraus die Geschicke des Gesamtunternehmens gelenkt werden können, verzichtete er generös auf die kleinliche Erbsenzählerei herkömmlicher Koalitionsverhandlungen. Als Bossi nach dem Wahlsieg mit der Zahl der Lega-Mandate zu pokern versuchte, konnte Berlusconi gelassen auf die neuesten Umfrageergebnisse verweisen, die der Lega wegen ihres zwischenzeitlichen Verzögerungskurses bei der Regierungsbildung einen erheblichen Rückgang in der Wählergunst bescheinigten.
Für Italien - und für Europa - war schon das Zustandekommen des rechten Wahlbündnisses ein Schritt von neuer Qualität. Erstmals nach dem Zweiten Weltkrieg wurde eine Partei, die sich offen als Nachfolgeorganisation des Faschismus bekennt, von Kräften rehabilitiert, die sich selbst als Demokraten der „Mitte" definieren. Auch ohne die folgende Regierungsübernahme durch den Rechtsblock waren damit Zeichen gesetzt, die auch von interessierter Seite in anderen europäischen Ländern verstanden wurden. Die FAZ, in Sachen deutscher „Vergangenheitsbewältiger" selbst aktiv, frohlockte: Ein „Tabu des Vergangenheitserbes" war gebrochen, „ein Denkverbot überschritten".58
Wer sind diese italienischen „Postfaschisten", von deren Rehabilitierung nicht nur die deutschen Rechten Sperren für die ihrer Meinung nach allzu lange hingenommene „antifaschistische Ausflucht"59 erhoffen?
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DER MODERNISIERTE FASCHISMUS
BERLUSCONIS RECHTER PARTNER: DER MSI
Der Movimento Sociale Italiano („Italienische Soziale Bewegung") wurde am 26. Dezember 1946 in Rom gegründet. Sein Name erinnert bewußt an die Repubblica Sociale Italiana der Jahre 1943 bis 1945, Mussolinis von der deutschen Besatzungsmacht abhängiges Marionettenregime mit Sitz in Salà am Gardasee. Auch programmatisch setzte der MSI auf Kontinuität. Disziplin, Gehorsam, Hierarchie, Gesetz und Ordnung sind Werte an sich. Über das neofaschistische Staatsideal schrieb Rutilio Sermonti, ehemaliger SS-Offizier und Berater des späteren MSI-Sekretärs Pino Rauti, 1974 in der neofaschistischen Zeitschrift Civiltà: „Unser Staat ist organisch. In ihm sind Individuen oder Persönlichkeit in eine feste hierarchische Bindung gestellt - einen Egalitarismus gibt es nicht. Der organische Staat ist qualitativ strukturiert nach dem Wert des Einzelnen. Die Legitimation bezieht er aus folgenden Basisprinzipien: Ehre, Treue, Glauben, Opfer, Heroismus, Liebe zum Vorgesetzten, zum Ideal, zum Wahren... Selektion ist Strukturprinzip dieses Staates... Die an solcher hierarchischen Wertordnung ausgerichtete Ordnung wird durch die Streitkräfte garantiert."1
Der Wahlkampfschlager aller europäischen Rechtsextremisten, der Rassismus, wurde vom MSI erst relativ spät entdeckt. Anders als beim Front National des Jean-Marie Le Pen, der jahrelang gern gesehener Gast in der Parteizentrale in Rom war, spielte der Rassismus aber nie die zentrale Rolle beim MSI. Für Le Pens häufige Anspielungen auf den verderblichen Einfluß der Juden gibt es in der offiziellen Politik seiner italienischen Partner so gut wie keine Entsprechung. Die 1938 von den Nazis übernommenen faschistischen Rassengesetze werden vom MSI
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verurteilt. Das Londoner Institute of Jewish Affairs, das seit 1992 einen Antisemitism World Report herausgibt, berichtet sogar von einigen Artikeln gegen Antisemitismus im Parteiblatt Il Secolo d'Italia.
Auf israelische Vorbehalte gegen offizielle Kontakte zu den fünf Ministern von Alleanza Nazionale antwortete Gianfranco Fini betont „verständnisvoll". In einem Interview mit der israelischen Tageszeitung Yediot Aharanot bemühte er sich, „Mißverständnisse" aus der Welt zu schaffen. Er sei ein Mann der Rechten, habe aber den Terminus „postfaschistisch" nur gebraucht, „um den Journalisten zu helfen". Zu den israelischen Befürchtungen erklärte er: „Ich verstehe Israels Gründe. Es ist der einzige Staat der Welt, dessen Motive ich verstehe, auch wenn die Repräsentanten meiner Partei demokratisch gewählt worden sind. Ich hoffe, die Prüfung zu bestehen, die die israelische Regierung uns auferlegt hat."2
Noch bevor Fini diese Extraportion Schleim abgesondert hatte, war ihm von der Jerusalem Post bescheinigt worden, kein Antisemit zu sein. Die Zeitung gab zugleich ihrer Hoffnung Ausdruck, die Berlusconi-Regierung könne „vielleicht die israelfreundlichste sein, die Italien je gehabt hat".3 Diese Erwartung teilt auch der in Jerusalem und Turin lebende italienische Jude Vittorio Segre, Autor der Biographie L'ebreo felice (deutsch „Der Glücksrabe"), der die AN-Minister ausdrücklich mit einbezieht: „Was Israel angeht, so ist es wahrscheinlich, daß die Vertreter der Alleanza Nazionale' sich stärker philoisraelisch zeigen werden als die Kommunisten und Christdemokraten des vergangenen Regimes."4
Das ist durchaus möglich, auch wenn Finis Behauptung gegenüber Yediot Aharanot, innerhalb der AN gebe es „nicht den Schatten von Antisemitismus oder Rassismus", dreist gelogen ist. Die Soziologen Balbo und Manconi betonen völlig zu Recht, daß die „fremdenfeindliche Komponente" für Mitglieder und Wählerinnen des MSI von besonderer Bedeutung ist. Sie verweisen auch auf Gianfranco Finis Warnung vor den Gefahren „kultureller, nicht ethnischer Rassenmischung". Eine 1990 durchgeführte vergleichende Umfrage unter den Parteitagsdelegierten des MSI und des Front National ergab gleichwohl deutli-
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che Unterschiede: 14% der MSI-Delegierten sahen Einwanderer als wesentliche Ursache für die vermehrte Kriminalität - beim FN waren es 88%; 60% der MSI-Delegierten wollten illegale Ausländerinnen umgehend ausweisen (FN: 94%); 46% der befragten Neofaschisten (87% der FN-Delegierten) waren dafür, Einwanderern soziale Leistungen vorzuenthalten.5 Das sind -auch bezogen auf den MSI - Zahlen, welche die Umschreibung „fremdenfeindliche Komponente" arg beschönigend erscheinen lassen. Der Vergleich mit dem Front National zeigt allerdings, daß die europäischen Rechtsextremisten auch in Sachen Rassismus durchaus nationale Besonderheiten aufweisen.
Außenpolitisch kombinierte der MSI zunächst militanten Antisowjetismus mit schroffer Abgrenzung von den USA. In faschistischer Tradition wurde das Mittelmeer zum „mediterranen Lebensraum Italiens" proklamiert und eine „Rückkehr an die Arbeit in Afrika" gefordert. Mit Fortdauer des Kalten Krieges schwenkte die Partei auf eine „überspitzt proatlantische, proamerikanische Haltung" um. (Rosenbaum) Das Bekenntnis zu einem auch nach außen starken Staat brachte ihr erhebliche Unterstützung in den Streitkräften und den Geheimdiensten ein, ebenso bei den Carabinieri und anderen Polizeitruppen. Aus Fallschirmjägerkasernen wurden Abstimmungsergebnisse bis zu 99% für den MSI gemeldet. Eine Reihe prominenter Offiziere saß für den MSI im Parlament.
Zu den MSI-Mitgliedern und -Wählerinnen der Anfangsjahre gehörten darüberhinaus reaktionäre Kleinbürger, vor allem aus dem Süden des Landes, altfaschistische Kader und Monarchisten. Erst 1963 konnte der MSI auf nationaler Ebene die Monarchisten überflügeln. Bis zur Parlamentswahl des Jahres 1972, als sich die Reste der Monarchistischen Partei (Partito demoeratico di unità monarchica - PDIUM) dem MSI anschlossen, konkurrierten Neofaschisten und Monarchisten um die Vorherrschaft auf der extremen Rechten. Nach dem Zusammenschluß lautete der Name der Partei MSI-DN. Der Zusatz steht für Destra Nazionale („Nationale Rechte"). Ihre höchste Mitgliederzahl (über 400.000) erreichte die Partei in den 70er Jahren.
Die „Schicksalswahl" des Jahres 1948, bei der die Democrazia Cristiana (DC) mit 48,5% triumphierte, brachte dem MSI, der
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über 2% (sechs Mandate) nicht hinauskam, eine empfindliche Niederlage. Daß er überhaupt kandidieren durfte, ist der Inkonsequenz der demokratischen Kräfte anzulasten. Im Dezember 1947 war ein Gesetz verkündet worden, das die Fortsetzung faschistischer Bestrebungen unter Strafe stellte. In Artikel 1 hieß es: „Wer die aufgelöste faschistische Partei in irgendeiner Form, sei es Partei oder Bewegung oder paramilitärischer Organisation, wiedergründet und militärisch oder paramilitärisch Gewalt als Mittel für den politischen Kampf anwendet sowie die Ziele der aufgelösten faschistischen Partei verfolgt, wird mit Gefängnis von zwei bis zu 20 Jahren bestraft."6 Dieses klare Verbot wurde aber nicht durchgeführt. Angewendet wurde statt dessen ein Gesetz, das faschistische „Mitläufer" amnestierte. Federführend war Justizminister Palmiro Togliatti, der langjährige Sekretär der Kommunistischen Partei und Begründer des „italienischen Weges zum Sozialismus."
Geschützt und gefördert wurden die Neofaschisten immer wieder durch die Democrazia Cristiana. Zwar hatte ihr Innenminister Mario Scelba 1951 ein Gesetz vorgelegt, das die Auflösung des MSI und seiner paramilitärischen Untergliederungen zum Ziel hatte. Zwar wurde das Gesetz, nach seinem Urheber Legge Scelba genannt, schließlich 1953 verabschiedet - angewandt wurde es nicht. Der christdemokratische Ministerpräsident Adone Zoli verhalf dem MSI 1957 sogar zu einem besonderen Triumph, als er die Überführung von Mussolinis Leichnam an dessen Heimatort erlaubte. Die Beisetzung im Mausoleum von Predappio wurde zu einer unübersehbaren faschistischen Manifestation.
Daß der MSI sich von seiner Niederlage des Jahres 1948 erholen konnte, ist nicht zuletzt auf die Bündnispolitik der Democrazia Cristiana zurückzuführen. Als Statthalter des Westens, unterstützt und geführt vom Großen Bruder in den USA, war die DC stets auf der Suche nach Bündnispartnern zur Absicherung antikommunistischer Mehrheiten. Zwar vermied sie zunächst Bündnisse mit dem MSI auf nationaler Ebene, regierte aber ab 1953 zusammen mit ihm die südlichen Regionen Campania und Apulien. Hinzu kam eine Vielzahl von Rathauskoalitionen.
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Den ersten und jahrzehntelang einzigen Versuch, die Neofaschisten indirekt an der Regierung des Landes zu beteiligen, unternahmen die Christdemokraten im Jahre 1960. Ministerpräsident Fernando Tambroni stützte sein am 8. April gewähltes rein christdemokratisches Kabinett auf eine hauchdünne Parlamentsmehrheit, zu der ihm Monarchisten und Neofaschisten verhalfen.
Nach dem Rücktritt dreier christdemokratischer Minister -aus Protest gegen das neofaschistische „Zünglein an der Waage" - spitzte die MSI-Führung die innenpolitische Krise weiter zu und berief ihren nationalen Kongreß in die ligurische Hauptstadt Genua, eine der Hochburgen des antifaschistischen Kampfes, ein. Am Vorabend des Kongresses demonstrierten 100.000 Menschen gegen die faschistische Provokation und belagerten die Hotels, in denen die MSI-Delegierten abgestiegen waren. Die Regierung ließ Panzer auffahren, Polizeikräfte griffen mit Wasserwerfern, Tränengas und Knüppeln an. Auch bei Solidaritätsdemonstrationen in anderen Landesteilen schlug die Polizei brutal zu. In Reggio Emilia wurden fünf Kommunisten erschossen; insgesamt kamen elf Antifaschisten ums Leben. Der MSI-Kongreß wurde verboten - aus Sicherheitsgründen; Tambroni mußte zurücktreten.
Bei der Wahl christdemokratischer Staatspräsidenten akzeptierte die DC den MSI noch zweimal als Mehrheitsbeschaffer: 1962 wurde Antonio Segni, 1971 Giovanni Leone mit Hilfe neofaschistischer Stimmen in das höchste Staatsamt gewählt.
„Ehrbare Bürger" und Bombenleger
Nach dem Scheitern des Experiments von 1960 war die extreme Rechte isoliert, der „polo escluso" („ausgeschlossene Pol"), dem die Parteien des „arco costituzionale" („Verfassungsbogen") unter Einschluß des PCI gegenüberstanden. Die DC wandte sich in den folgenden Jahren den Sozialisten zu und schaffte es in den siebziger Jahren, auch den PCI in eine informelle „Regierung der nationalen Solidarität" einzubinden. Innerhalb des MSI setzten sich die „Radikalen" durch, die den „gemäßigten", auf
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Respektabilität und Bündnisfähigkeit gegenüber der DC orientierten Kurs der bisherigen Parteiführung schon immer mit Argwohn betrachtet hatten. 1969 kehrte Pino Rautis konspirativ organisierte Gruppe Ordine Nuovo, die sich 1956 aus Protest gegen den „gemäßigten" Kurs der MSI-Mehrheit abgespalten hatte, in die Partei zurück.
Im gleichen Jahr wurde Giorgio Almirante Parteisekretär und blieb das, bis er 1987, ein Jahr vor seinem Tode, zugunsten seines Zöglings Gianfranco Fini abdankte. Almirante gelang es fast zwei Jahrzehnte lang, die konkurrierenden Strömungen des MSI zusammenzuhalten. Während Schlägertrupps, die von der Parteiführung zumindest geduldet waren, gegen rebellierende Arbeiter und Studenten vorgingen, wurde in Wahlkämpfen an die von der Stärke der Linken verunsicherten „anständigen Italiener" appelliert. Diese Doppelstrategie brachte dem MSI 1972 ein Spitzenergebnis von 8,7% bei nationalen Wahlen; in einigen Großstädten des Südens erreichte er einen mehr als doppelt so hohen Stimmenanteil: 23% in Catania, fast 20% in Neapel und Reggio Calabria. (Die besondere Anfälligkeit des Südens für den Neofaschismus hat auch historische Gründe. Zwei prägende Erfahrungen des Nordens fehlen: der Partisanenkampf und die, wenn auch nur kurze, antifaschistische Einheitsfront.)
Über die direkte Beteiligung der MSI-Zentrale an der Ausführung der terroristischen „Strategie der Spannung" seit 1969 fehlen juristisch einwandfreie Beweise. Indizien für das Wirken neofaschistischer Hintermänner und auch ausführender Täter gibt es allerdings reichlich. So hatte Giorgio Almirante im Juni 1972 öffentlich zur Gewalt aufgerufen: „Unsere Jungen müssen sich auf den frontalen Zusammenstoß mit den Kommunisten gefaßt machen. Damit meine ich auch den physischen Zusammenstoß."7 Die unzähligen Anschläge mit Beteiligung von MSI-Mitgliedern und Ehemaligen, die sich kleineren Terrorgruppen angeschlossen hatten, zeigen, daß die Botschaft verstanden wurde. Ermittlungen gegen Almirante und Rauti wegen des Verdachts der Beteiligung an Bombenanschlägen blieben ergebnislos.
Die Unterscheidung der „gemäßigten" von den „radikalen" bzw. „intransigenten" MSI-Führern ist nicht immer ganz ein-
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fach. Zumindest taktisch zeigen sie sich mitunter erstaunlich flexibel. Das gilt nicht nur für Almirante, den alten Kämpfer und langjährigen Opponenten gegen die Parteilinie, der als Parteisekretär zur Integrationsfigur wurde. Auch Pino Rauti, der Organisator rechten Straßenterrors gegen Linke, kennt, wenn es der Partei nützt, keine Berührungsängste. Nachdem er 1990 den Almirante-Zögling Gianfranco Fini als Parteisekretär abgelöst hatte, erklärte er seine Bereitschaft zur Koalition auch mit Grünen, Sozialisten und Kommunisten. Rautis taktischer „Antikapitalismus", der an die faschistischen Ursprünge anknüpft, sollte dem MSI auch Stimmen enttäuschter Linkswähler zuführen. Fini wiederum, der 1991 den Parteivorsitz zurückerobern konnte, wird in Teilen der internationalen Presse seit Jahren als Exponent eines modernen, verfassungstreuen und demokratischen Konservatismus porträtiert. Tatsächlich wird er - im Unterschied zu seinem Kontrahenten Rauti - nicht verdächtigt, ein Drahtzieher des schwarzen Terrors gewesen zu sein. Daß er als Politiker nicht weniger gefährlich ist als Rauti, belegen einige nicht mißzuverstehende Äußerungen. Es sei keineswegs skandalös, „die bleibenden Werte des Faschismus zu aktualisieren", erklärte er 1987 auf dem MSI-Kongreß von Sorrento, auf dem er erstmals zum Parteisekretär gewählt wurde: „Ich lehne vom Faschismus das ab, was angeschimmelt ist: römische Grüße, schwarze Hemden, aber das Wort Faschismus macht mir keine Angst."8 Während Rauti allgemein die aus dem Kollaps des Realsozialismus erwachsenden Chancen beschwor, wurde Fini angesichts des Zerfalls Jugoslawiens konkret: „In diesem historischen Augenblick kann und darf Italien nicht darauf verzichten, die Rückkehr Istriens und Dalmatiens zum Mutterland anzustreben."9 Was auf den ersten Blick „extrem" anmutet, ist tatsächlich nur die Zuspitzung einer auch von anderen - dem ehemaligen sozialistischen Außenminister Gianni De Michelis und seinem Nachfolger, dem Christdemokraten Emilio Colombo -ganz offiziell betriebenen Machtpolitik. De Michelis, der wegen Korruption aus dem Amt gejagte ehemalige „rote Doge" von Venedig, hatte schon 1992 die Gründung eines autonomen Gebietes Istrien angeregt, um eine italienische Einflußzone in Ex-Jugoslawien zu schaffen.
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Berührungspunkte zwischen dem MSI und den staatstragenden Parteien gab und gibt es auch auf anderen Politikfeldern. Den mit der „Spitzhacke" selbst gegen seine eigene Partei, die Christdemokratie, wütenden ehemaligen Staatspräsidenten Cossiga versicherte der MSI bei jeder Gelegenheit seiner vollen Unterstützung. Mit dem langjährigen PSI-Sekretär Craxi forderten die Neofaschisten eine Präsidialrepublik nach französischem Muster. Auch in der erst mit Gründung des Rechtsblocks Polo della libertà zerfallenen All-Parteien-Koalition gegen die Lega Nord spielte der MSI seinen Part. Wo alle anderen das Modewort „Föderalismus" im Munde führten - in der Absicht, der Lega den Boden zu entziehen - machte sich der MSI zum bedingungslosen Fürsprecher des italienischen Zentralstaats, der „mit allen Mitteln" gegen die norditalienischen Separatisten zu verteidigen sei. Daß er für die Rettung der nationalen Einheit auch zum Bürgerkrieg bereit wäre, machte Fini im Herbst 1992 unmißverständlich deutlich: „Wenn Bossi wirklich, wie er androht, die Kalaschnikows herausholen würde, könnte man, glaube ich, jemandem, der Italiener bleiben will, nicht verbieten, nicht nur mit Ideen, sondern auch mit den Händen zu kämpfen."10
Lob und Anerkennung erfährt der MSI allerdings nicht erst, seitdem er sich um die angeblich bedrohte nationale Einheit verdient macht. Der damalige PSI-Sekretär Bettino Craxi forderte schon 1983, zu Beginn seiner vierjährigen Amtszeit als Ministerpräsident, die Ausschlußpolitik gegen den MSI zu beenden. Seitdem besuchten Vertreter anderer Parteien regelmäßig auch die Parteikongresse der Neofaschisten.
Das offene Bekenntnis des MSI zum historischen Faschismus und zu Mussolini wurde von den staatlichen Organen ungerührt zur Kenntnis genommen. So marschierten am 17. Oktober 1992 - in nicht zufälliger zeitlicher Nähe zum 70. Jahrestag des „Marsches auf Rom" am 28. Oktober 1922, der Mussolinis Ernennung zum Regierungschef durch König Vittorio Emanuele III. vorausging - mindestens 20.000 Neofaschisten durch die italienische Hauptstadt. Aus der Demonstration, die von der Polizei völlig unbehelligt blieb, ertönten immer wieder Rufe „Duce, Duce" und „Viva il fascismo", Tausende reckten den Arm zum „römischen Gruß".
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„Warum wird Apologie des Faschismus nicht mehr als Verbrechen gewertet?" fragte angesichts des faschistischen Aufmarsches das Parteiblatt der Republikaner, La Voce Repubblicana, und gab dann selbst die Antwort: „Vielleicht weil die politisch dominanten Kräfte meinen, es sei nützlich, Proteststimmen einer Rechten zuzuführen, die sich in jeder Phase ihrer parlamentarischen Geschichte als den Interessen der Christdemokratie gefügig erwiesen hat; einer Christdemokratie, die während des Wahlkampfes nicht zufällig die Nachrichtensendung Tg1 ausführliche Berichte über die Aktivitäten des MSI hat bringen lassen?"11
Die Ergebnisse der Kommunalwahlen von Rom und Neapel Ende 1993 zeigten die Hinfälligkeit dieses zynischen Kalküls. Die Christdemokratie hatte zwei Drittel ihrer Wähler verloren, der MSI seinen Stimmenanteil mehr als verdreifacht. Wenn vom Untergang der einstigen Staatspartei DC die Erben Mussolinis profitieren, dann ist das kein unerklärliches Naturereignis; die Christdemokraten tragen dafür einen erheblichen Teil der Verantwortung.
Noch eine Modernisierung: Alleanza Nazionale
Erst Berlusconi schaffte das, wozu weder die Christdemokraten noch der skrupellose Machtpolitiker Craxi den Mut gehabt hatten: die Einbeziehung der Neofaschisten in ein formelles Bündnis. Der Anlaß war klug gewählt. Bei der Stichwahl um das Amt des römischen Bürgermeisters standen sich im Dezember 1993 der ehemalige Grüne Francesco Rutelli, ein Zögling von Marco Pannella, und der jungdynamische „Postfaschist" Gianfranco Fini gegenüber. Diese Konstellation bereitete vielen konservativen Wählerinnen und Wählern nur wenig Kopfzerbrechen. Für sie war das keine Wahl zwischen Demokratie und Faschismus, sondern zwischen einem unberechenbaren Außenseiter und einem „seriösen" Politiker mit vielleicht nicht ganz sauberer Vergangenheit. Ganz „pragmatisch" entschieden sie sich für den „seriösen" Kandidaten des MSI. Aufschlußreich für die „unbefangene" Herangehensweise konservativ denkender Römer ist
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das Wahlverhalten der römischen Juden, über das die Allgemeine Jüdische Wochenzeitung schreibt: „Auch im Wahlbezirk des römischen Ghettos, der noch weitgehend von Juden bewohnt wird, hat der MSI die meisten Stimmen erhalten, eine Tatsache, die in der Gemeinde am Tiber zu heftigen Diskussionen führte. Vor allem Geschäftsleute, einer von ihnen kandidierte sogar selbst auf einer rechten Liste, unterstützen den MSI-Chef. Sie hielten es wie ihr Kollege Fiorentini, der öffentlich erklärte: 'Ich habe nicht den MSI gewählt, sondern die Person Fini'."12
Am Ende reichte es für Fini dann doch nicht ganz. Er kam auf 46,9%; auch die Mussolini-Enkelin Alessandra, Bürgermeisterkandidatin in Neapel, unterlag knapp. Der Freude der Neofaschisten tat das kaum Abbruch. Sie hatten einen Durchbruch erzielt. In einigen Städten Süditaliens (Chieti, Benevento, Taranto, Caltanissetta) und in Latina (Lazio) gewannen ihre Kandidaten sogar die Stichwahl.
Vor allem aber waren sie nun auch auf nationaler Ebene als wählbare Kraft akzeptiert. Berlusconis offene Parteinahme für Fini, seine Ankündigung, mit einer eigenen Partei zu den nationalen Wahlen anzutreten, wurde von Fini und der MSI-Führung als historische Chance begriffen. Der MSI bedankte sich mit einer „Gegenleistung": Um die eigene Bündnisfähigkeit zu unterstreichen, änderte man flugs den Namen. Die Behauptung, Alleanza Nazionale sei eine völlig neue Partei, da auch einige Monarchisten und bisher parteilose Persönlichkeiten gewonnen werden konnten, glaubte zwar kaum jemand. Aber die Abkehr von dem belasteten Namen Movimento Sociale, der die enge Bindung der Partei an Mussolinis Repubblica Sociale ausdrückte, wurde mit Beifall aufgenommen - als angeblich weiterer Schritt der „Vergangenheitsbewältigung", mit dem die Neofaschisten sich endgültig zu „Postfaschisten" geläutert hätten. Diese kosmetische Änderung war für das Zustandekommen des rechten Wahlbündnisses Polo della libertà unverzichtbar. Umberto Bossi, der mehrfach kategorisch erklärt hatte, er werde „niemals mit den Faschisten" zusammengehen, wurde so das - wenn auch schwächliche - Argument an die Hand gegeben, bei Alleanza Nazionale handele es sich um etwas Neues.
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Gianfranco Fini, Führer der Alleanza Nazionale
Es deutet einiges darauf hin, daß Fini sein ambivalentes Taktieren nach dem Wahlsieg der Rechten auch weiterhin beibehalten wird. Zum einen provozierte er mit dem Bekenntnis, Mussolini sei für ihn nach wie vor „der größte Staatsmann des Jahrhunderts", zum anderen taktierte er bei der Regierungsbildung sehr zurückhaltend. Während Bossi zeitweise das ganze Unternehmen in Frage stellte und schließlich durch seine Ultimaten das Optimale für die Lega Nord herausholte, spielte Fini den Part von Berlusconis dankbarem und bescheidenem Juniorpartner. Bossi konnte durch sein Pokerspiel Roberto Maroni, die Nummer zwei der Lega, als Innenminister und Vize-Ministerpräsident durchsetzen. Fini erhandelte für seinen Statthalter Giuseppe Tatarella, ebenfalls stellvertretender Ministerpräsident, das vergleichsweise unscheinbare Amt des Postministers. Nur drei der fünf AN-Minister kommen aus dem MSI.
Mirko Tremaglia, außenpolitischer Sprecher des MSI, der Minister für die im Ausland lebenden Italienerinnen werden wollte, ging leer aus. Er hatte die vermeintliche Gunst der Stunde genutzt, um eine Grenzverschiebung nach Osten zu fordern: Der 1975 zwischen Italien und Jugoslawien geschlossene
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Vertrag von Osimo müsse revidiert werden. Damals war die 1945 vonjugoslawischen Partisanen besetzte Zone B südlich von Triest endgültig Jugoslawien zugeschlagen worden. Der kleinere nördliche Teil dieses Gebietes gehört heute zu Slowenien, der größere südliche zu Kroatien.
Tremaglias Forderung, Istrien und Dalmatien heim ins Reich zu holen, entspricht voll und ganz dem Programm von MSI und AN. Im Wahlprogramm von AN wird offen dem Revanchismus das Wort geredet. Dort heißt es: „Nach der deutschen Wiedervereinigung muß die italienische kommen, mit der Rückkehr von Istrien, Fiume (Rijeka; Anm. J.R.) und Dalmatien nach Italien.13 Als durch die internationalen Proteste klar wurde, daß Tremaglias Vorstoß „zum falschen Zeitpunkt" erfolgt war, konnte und wollte Fini nichts mehr für ihn tun.
Die Politik der „Testballons" wird von Fini dennoch weiterverfolgt. Schon im Mai 1994, noch während der konstituierenden Phase der neuen Rechtsregierung, brachten Abgeordnete von MSI/AN einen Antrag ins Parlament ein, der die Aufhebung des Verbots der faschistischen Partei Mussolinis forderte. Dieses Verbot hat immerhin Verfassungsrang. Außenminister Antonio Martino (Forza Italia), im Spiegel-Interview nach seiner Meinung zu dieser Provokation befragt, hatte einige Mühe, die Angelegenheit herunterzuspielen: „Das war eine unglückliche Initiative - aber Gianfranco Fini hat sich sofort von ihr distanziert." Auf die Vorhaltung der Interviewer, daß Fini den Antrag selbst unterschrieben habe, wußte Martino nur noch zu antworten: „Dazu müssen Sie ihn schon selber befragen, es war von einem Versehen die Rede."14 In Wahrheit kann von einer Distanzierung keine Rede sein. Fini versuchte lediglich, einen taktischen Fehler zu korrigieren: Das Einbringen des Antrages sei „nicht opportun" („inopportuno"), d.h. es kam ungelegen -wie auch der das Ausland alarmierende Aufmarsch von Nazi-Skins in Vicenza „ungelegen" kam. Die vermeintliche Richtigstellung gibt zu schlimmsten Befürchtungen Anlaß. „Inopportuno; wer weiß, was sich hinter diesem Adjektiv verbirgt: Man kann es machen, aber nicht heute, warten wir ein paar Monate. Ist es das, was der ehrenwerte Abgeordnete Fini sagen wollte?"
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fragte denn auch Eugenio Scalfari, Herausgeber der Tageszeitung La Repubblica (17.5.1994).
Ebenfalls kein Versehen, sondern Finis tiefe Überzeugung ist es, daß der frühe Mussolini „überwiegend positiv" zu bewerten sei. Erst die auf Druck der Nazis erfolgte Verkündung der antijüdischen „Leggi razziali" (Rassengesetze) im Oktober 1938 markiere einen negativen Einschnitt. Die Verfolgung und Ermordung von Antifaschisten, Antonio Gramscis mehr als zehnjährige todbringende Kerkerhaft, die Abschlachtung Hunderttausender Äthiopier seit Oktober 1935 - in Finis Weltbild sind das allesamt Taten aus Mussolinis „überwiegend positiver" Periode. Rep-Vorsitzender Schönhuber, ebenfalls ein glühender Verehrer Mussolinis, ist da im übrigen vorsichtiger: Er datiert den Sündenfall des Regimes auf das Jahr 1935, als italienische Truppen Äthiopien überfielen.
Auf antifaschistischen Druck antworten die Neofaschisten allerdings zuweilen auch mit Neubewertungen ihrer eigenen Geschichte. Am 10. Juni 1994 jährte sich zum 70. Mal die Ermordung des sozialistischen Abgeordneten Giacomo Matteotti durch ein faschistisches Kommando. Matteotti hatte am 30. Mai 1924 in einer mutigen Parlamentsrede den Terror der Faschisten während des Wahlkampfs zur Sprache gebracht. Am 10. Juni wurde er auf offener Straße in ein Auto gezerrt, verschleppt und ermordet. Bei der Suche nach den Verantwortlichen, zu der das Regime wegen der breiten öffentlichen Proteste gezwungen war, wurde deutlich, daß die Spur bis in das Vorzimmer Mussolinis führte. 70 Jahre später brachte das neofaschistische Parteiblatt Il Secolo d'Italia „auf Seite 1 eine klare, unmißverständliche Verurteilung der von Mussolini so hoch gefeierten Bluttat".15 An der Gedenkfeier für Matteotti, die am 10. Juni in einem Nebenraum des Parlaments stattfand, mochten die Neofaschisten als einzige Partei dennoch nicht teilnehmen.
Einen anderen Jahrestag nutzte Fini für eine neuerliche geschichtsklitternde Provokation. D-Day, den 6. Juni 1944, Tag der alliierten Landung in der Normandie, bezeichnete er als den Tag, „an dem auch ein Teil der europäischen Kultur untergegangen ist".16 Demnach wären die Soldaten der Wehrmacht Freiheitskämpfer gewesen - Verteidiger der durch Cola, Swing und
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Jazz bedrohten „europäischen Kultur". Hier trifft Fini sich mit seinem innerparteilichen Widersacher Pino Rauti, der sich stolz zu seinem Eintreten für die Repubblica Sociale von Salò bekennt, die ebenfalls die „europäische Kultur" vor dem Untergang zu bewahren suchte: „Ich habe für so viele Bonzen, die sich niederträchtig verhielten, die Kastanien aus dem Feuer geholt. Ich war einer der 600.000 Freiwilligen der RSI."17
Historikerstreit all'italiana
Gleichzeitig versucht Fini immer wieder mit erstaunlichem Erfolg, sich als demokratischer Biedermann zu präsentieren. Am Tag, an dem die Abgeordnetenkammer über die neue Regierung Berlusconi abstimmte, rief er zur Überwindung aller „Totalitarismen" auf. Der Antifaschismus sei kein Wert an sich, wohl aber „ein wesentlicher Schritt (passaggio), um die Demokratie zu erreichen."18 Das sind Töne, wie sie auch von Historikern, Politikern und Kommentatoren der „Mitte" zu hören sind. In der überaus heftig geführten Auseinandersetzung um die künftige Bedeutung des italienischen Nationalfeiertags hatten nicht wenige Finis Partei ergriffen und zur nationalen „Versöhnung" aufgerufen. Der 25. April 1945, alljährlich als „festa della liberazione" begangen, ist eigentlich ein Datum von seltener politischer Eindeutigkeit. An diesem Tag begann in Norditalien der Volksaufstand gegen Faschismus und deutsche Okkupation; vier Tage später wurde Mussolinis Leiche mit dem Kopf nach unten öffentlich aufgehängt; am 2. Mai ergaben sich die deutschen Besatzungstruppen. Der Antifaschismus wurde Bestandteil der italienischen Verfassung und des nationalen Konsenses.
Nicht erst seit den Wahlerfolgen des MSI versuchen nationalkonservative Historiker, den als nicht mehr „zeitgemäß" empfundenen Antifaschismus in die Rumpelkammer zu verfrachten. Renzo De Felice, Mussolini-Biograph und Verfasser des immer noch zitierfähigen Standardwerkes „Storia degli ebrei italiani sotto il fascismo" („Geschichte der italienischen Juden unter dem Faschismus") sorgte schon 1975 für heftige Gegenreaktionen, als er den Faschismus für „ein abgeschlossenes Kapitel"19 erklärte.
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1987 provozierte er die Öffentlichkeit mit der Forderung, die Verfassungsnormen gegen den Faschismus abzuschaffen, da sie „grotesk" seien. De Felices Hauptthese besagt, daß der italienische Faschismus - im Gegensatz zum Nationalsozialismus -innovativ und modern gewesen sei, auch in der Sozialpolitik. Für den Aufschwung der Neofaschisten fühlt sich De Felice in keiner Weise mitverantwortlich. Er habe nur - der historischen Wahrheit zuliebe - darauf bestanden, daß Mussolini größere Fähigkeiten besessen habe, als die jahrzehntelang dominanten Historiker hätten zugeben wollen.
In den letzten Jahren ist die Zahl der Intellektuellen, die den Faschismus für nunmehr „überwunden" erklärten, beständig gewachsen. Der Philosoph Norberto Bobbio, früher Weggefährte der Sozialisten, rief während des Wahlkampfes im Frühjahr 1994 dazu auf, „die Gegenüberstellung von Faschismus und Kommunismus zu überwinden".20
Sein Kollege Lucio Coletti fand selbst an Gianfranco Finis provokativem Bekenntnis, Mussolini sei der „größte Staatsmann dieses Jahrhunderts", nichts auszusetzen: „Auch Stalin war ein großer Staatsmann." Darüberhinaus bescheinigte Coletti den Verteidigern der faschistischen Republik von Salò, sie hätten bis zuletzt „für den Sieg eines - wenn auch für mich falschen - Ideals gekämpft".21 Genauso sieht es auch der Historiker Salvatore Sechi: „Wer für die Repubblica Sociale gekämpft hat, war auf der falschen Seite, verdient aber gleichwohl Respekt."22
Diese Neubewertung der Vergangenheit - nicht Todfeinde, sondern politische Gegner mit jeweils unterschiedlichen, aber durchaus respektablen „Idealen" hätten sich 1945 gegenübergestanden - hat erheblich an Boden gewonnen. Immer häufiger wird gefordert, bei der Beurteilung des Faschismus das „Gute" gegen das „Schlechte" abzuwägen. Francesco Alberonis Aufruf, den 25. April als Festtag gegen „alle Totalitarismen" zu begehen, enthält Angebote für Menschen unterschiedlichster politischer Überzeugungen: „Das zwanzigste Jahrhundert wurde beherrscht von Kriegen, von Fanatismus und Totalitarismus. Nicht nur vom italienischen Faschismus, sondern auch vom deutschen Nazismus und vom sowjetischen Kommunismus."23
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Druck von rechtsaußen
Finis „Nein zu allen Faschismen", so die Schlagzeile des Corriere della sera (21.5.1994) nach dessen erster Rede im neugewählten Parlament, liegt also durchaus im Trend. Wenn der Antifaschismus als Verfassungsgarantie fällt, ist auch der Faschismus bereit, demokratische Schminke aufzulegen. Der von Fini betriebenen Politik, gegen eine Vorleistung der demokratischen Kräfte eine Gegenleistung zumindest in Aussicht zu stellen, wird allerdings in seiner eigenen Partei mit einigem Mißtrauen begegnet.
Pino Rauti, der ehemalige MSI-Sekretär, warnt vor der „schleichenden Liquidation" des MSI, dem tagtäglichen „Zerfall unseres Erbes".24 Die faschistische Vergangenheit sei ein ergiebiges Bergwerk, das man keinesfalls zuschütten dürfe: „Ich finde, wir sollten uns erinnern, daß hinter uns der Marsch auf Rom liegt, der Korporativismus, der zweite Weltkrieg gegen die Plutokratien, die Repubblica Sociale..." Für Rauti bleibende Werte -„ein kulturelles und programmatisches Vorratslager, aus dem wir schöpfen".25
Die Partei verlassen will Rauti nicht. Er setzt auf den angeblich wachsenden Unmut der Basis: „An der Spitze wird das Aufgehen in Alleanza Nazionale begrüßt. Je weiter man nach unten kommt, um so mehr wächst die Ablehnung."26 Nach den Europawahlen im Juni 1994, bei denen die Neofaschisten sich behaupten konnten, sind seine Karten allerdings nicht besser geworden. Die 12,5% für Alleanza Nazionale bedeuten gegenüber der Parlamentswahl im März zwar einen Rückgang um 0,9%; dennoch wurden sie allgemein als Bestätigung für Finis „pragmatischen" Kurs gewertet. Auch für Rauti ist die Regierungsbeteiligung - „nach so vielen Jahren der Dämonisierung" -eine schöne Sache; er schlug sogar vor, im neuen Europaparlament, in das er als Abgeordneter von AN einzog, eine gemeinsame Fraktion mit Forza Italia zu bilden.
Differenzen gibt es in der Frage, wie sich die Partei gegenüber den lärmenden Nazi-Skins verhalten soll, die durch den allgemeinen Rechtstrend zur Intensivierung ihrer Aktivitäten ermutigt werden. Nach einer von der Polizei genehmigten Demo in Vicenza, bei der 200 Skins Parolen riefen wie „Der Faschismus
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hat gesiegt" und „Wir sind die Herren Italiens", forderte Fini, die Randalierer zur Zwangsarbeit in Bergwerke zu stecken. Rauti erklärte dagegen auf Nachfrage, er würde den jungen Leuten lieber seine Bücher zu lesen geben.
Manches deutet darauf hin, daß Finis Gefolgsleute die „intransigenten" MSI-Veteranen, die bei jeder Gelegenheit auf ihre Vergangenheit in der Repubblica Sociale von Salò hinweisen, am liebsten loswerden möchten. Staatssekretär Maurizio Gasparri, früher Redakteur des MSI-Zentralorgans Il Secolo d'Italia, nutzte gar ein Interview in der PDS-Zeitung L'Unità, um Rauti und andere Kritiker von Finis Kurs als „kindisch" abzuqualifizieren. „Einige neue Exponenten von AN" hätten sogar versucht, ihn von einer Kandidatur für das Europaparlament abzubringen, beklagte sich Rauti: „Aber sie haben einen großen Fehler gemacht. Ich wollte gar nicht kandidieren, aber nach diesen Pressionen habe ich mich doch dafür entschieden."27
Auch von der illegalen Ultrarechten wird Rauti bedrängt. Neben Berlusconi, dem „Hyperliberisten" von der Loge P2, sei kein Platz für Faschisten, findet der Ultrarechte Maurizio Bocacci: „Mit den Freimaurern wollen wir nichts zu tun haben." Sein Programm, für das er schon Teile der MSI-Basis gewonnen haben will: Konfrontation mit Berlusconis „Hyperliberismus", eine „anti-zionistische" Politik, „radikale Opposition gegen das internationale Finanzkapital", Maßnahmen gegen die Einwanderung, Bestehen auf der Einverleibung Istriens und Dalmatiens, schließlich Abschaffung aller Gesetze, die die Neugründung der faschistischen Partei verbieten. Daß die Abspaltung von 80 altgedienten MSI-Mitgliedern, die Anfang Juli 1994 den Movimento di opposizione nazionale („Bewegung der Nationalen Opposition" - MON) gründeten, Fini ernsthafte Probleme bereiten könnte, ist kaum zu erwarten. „Wir sind und bleiben Faschisten", erklärte der 73jährige MON-Anführer Domenico Leccisi und warf Gianfranco Fini vor, zum „Werbeträger für Berlusconi" verkommen zu sein.29
Um solchen kritischen Stimmen, die Fini Verrat an den faschistischen Idealen vorwerfen, entgegenzutreten, war das MSI-Parteiblatt Il Secolo d'Italia schon gleich nach Konstituierung der Rechtsregierung auf eine besondere Idee verfallen: In der Aus-
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gabe vom 21.5.1994 wurde ein imaginäres „Interview" mit Mussolini gebracht, in der „Seine Exzellenz" sich zur Politik seiner Erben äußert. In der Regierung Berlusconi, so wird dem „Duce" in den Mund gelegt, gefalle ihm neben dem stellvertretenden Ministerpräsidenten Tatarella (MSI) vor allem Parlamentsminister Giuliano Ferrara (Forza Italia). Und Fini, sein Nachfolger, der nicht zur Regierung gehört, aber die Fäden zieht? Auch er gefällt Mussolini, „weil er Antifaschist ist wie ich".30
In der in München herausgegebenen braunen Druckschrift „Rechtskampf", einem „persönlichen Rundbrief an Freunde, Bekannte und andere Interessierte", wird das Dilemma des italienischen Regierungsfaschismus auf den Punkt gebracht. Unter ihrem Vorsitzenden Fini entferne sich MSI/AN „rasant" von den „einstmals neofaschistischen Idealen." Trotzdem würden die „Kameraden" der illegalen Rechten weiterhin Hoffnung in den MSI setzen, in dem es - „nicht zuletzt durch die Impulse, die die revolutionäre Rechte gegeben hat" - heute „brodelt": „Immer häufiger beschimpfen Funktionäre von der Basis Parteichef Fini als 'Opportunisten' und 'Idioten', der seinen Frieden mit der politischen Klasse gemacht habe. Bei den Siegesfeiern jugendlicher MSI-Anhänger überall im Land (nach den Wahlen im März 1994; Anm. J.R.) wurden die alten Fahnen aus der Epoche des Faschismus geschwenkt und der 'römische Gruß' entboten. Es kam zu z.T. schweren Zusammenstößen mit der Polizei. Unwahrscheinlich, daß Gianfranco Fini mit dieser Basis seinen Kurs der Anpassung und der Schleimerei lange wird fahren können, ohne über die eigenen Füße zu stolpern."31
Die hier durchscheinende Hoffnung, der „Schleimer" Fini möge durch die prinzipientreuen alten Kämpfer gestürzt werden, ist nur mittelbar realistisch. Fini wird den Ultrarechten auch weiterhin Zugeständnisse in Form von zumindest verbalen Provokationen machen müssen. Darüberhinaus sieht auch Fini die von Rauti beschworene Gefahr, Alleanza Nazionale und der MSI könnten zu einer „Fotokopie" von Forza Italia verkommen. Fini: „Bei der Wahl zwischen dem Original und der Fotokopie wird sich niemand jemals für die Fotokopie entscheiden."32 Gewisse Absetzbewegungen vom übermächtigen Partner Forza Italia sind also geboten. Das könnte zu gegebener Zeit von Ber-
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lusconi zum Vorwand für einen Rausschmiß der Neofaschisten aus der Regierung genommen werden. Berlusconi hält es ohnehin für opportun, seine Koalition zur „Mitte" hin zu öffnen und weitere christdemokratische Fachleute des „alten Systems" mit Posten zu betrauen.
„Italien ist Avantgarde"
Als „Beginn einer Rechtswende in ganz Europa" feierte Rep-Vorsitzender Schönhuber, von La Repubblica zum Interview gebeten, den Erfolg seiner „lieben Kollegen" vom MSI, deren Abgeordnete im Europaparlament er als „Demokraten und vernünftige Leute" kennengelernt habe. Für Deutschland erhofft er sich „eine Art Italianisierung der politischen Situation". Jean-Marie Le Pen (Front National) war sich sicher, daß das Abschneiden der italienischen Neofaschisten die Chancen auch der anderen „nationalen Bewegungen" bei den bevorstehenden Europawahlen verbessern würde.33
Letzteres ist nur teilweise eingetreten. Schönhubers Hoffnung auf eine „Italianisierung" hat sich in Deutschland auf Wahlebene bisher nicht realisiert. Der rechte Wahlerfolg gab vor allem den Ideologen der deutschen Rechten Auftrieb, nicht den Parteipolitikern. Allen voran die FAZ versuchte sogleich, die Vorgänge südlich der Alpen auf die deutsche Situation anzuwenden. „In Italien ist der Historikerstreit entschieden", freute sich Italien-Korrespondent Heinz-Joachim Fischer.34 Das Herzensanliegen der „Zeitung für Deutschland", die Herstellung „nationaler Identität" auf dem Wege der Aussöhnung mit der Vergangenheit, sieht Fischer in Italien so weit fortgeschritten, daß die Deutschen davon nur lernen könnten:
Mit dem Wahlerfolg von Alleanza Nazionale und ihrer Regierungsbeteiligung sei „in Italien der antifaschistische Vorbehalt gefallen, ein Tabu des Vergangenheitserbes gebrochen, ein Denkverbot überschritten. Ob es gefällt oder nicht, eine Mehrheit der italienischen Wähler rückte von der reflexartigen Verurteilung des Faschismus ab und will unterschei-
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den zwischen dem Guten und dem Schlechten damals, in welchem Mischungsverhältnis auch immer. (...) Der antifaschistische Hebel, früher in den kommunistischen Staaten und im Westen von der Linken gern gehandhabt, taugt also nicht mehr in der politischen Auseinandersetzung heute. Wer jetzt in Italien von Recht und Ordnung spricht, steht nicht mehr schlechter da als jener, der für den demokratischen Sozialismus eintritt. Gegen den letzten erhebt auch niemand mehr den Vorwurf, wie Botho Strauß jüngst anmerkte, 'er mache Stimmung für die Wiederkehr stalinistischer Blutbäder'. Vielleicht haben es die Italiener damit leichter, weil Mussolini kein Auschwitz veranstalten ließ. Aber auch jenen, die für Hitler Verantwortung tragen, ist nun die antifaschistische Ausflucht versperrt. Das bedeutet aber gerade nicht, daß der politische Geist Italien nun immer merkbarer nach rechts rückte. Aber jetzt herrschen zwischen links und rechts gleiche Bedingungen. Der eine kann sich nicht moralisch erhabener, intellektuell redlicher und historisch belehrter dünken. (...) Daß Berlusconi die 'Inkubationszeit des Faschismus' wiederholen werde, erscheint als parteipolitisches Interpretationsmuster zur Polarisierung tauglich, doch als demokratische Sicherung nicht mehr brauchbar. Denn in Italien ist der Historikerstreit entschieden. Jetzt heißt es, sich in der Gegenwart zu bewähren. Für alle."35
Dieser Kommentar wurde deshalb so ausführlich zitiert, weil er die Ambitionen einer ganzen konservativen Strömung auf den Punkt bringt, die „von Italien lernen" will - und das im Unterschied zu solchen übereifrigen Trittbrettfahrern wie den Reps zumindest intellektuell bewältigt. Ernst Nolte, der mit seiner abstrusen These, der nazistische „Rassenmord" sei nur die Antwort auf den bolschewistischen „Klassenmord" gewesen, den deutschen Historikerstreit auslöste, ist einer von denen, die das aus ihrer Sicht hoffnungsvolle Zeichen der Zeit erkannt und sich unverzüglich zu Wort gemeldet haben. Seine Sympathieerklärung für Mussolini36 hat beste Aussichten, von seinen italienischen Gesinnungsgenossen übersetzt und in die dortige Debatte geworfen zu werden. Der Übergang vom „konstitutionellen
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Faschismus" zum „totalitären Faschismus" sei 1924 von den Linken provoziert worden, die die Ermordung des Sozialisten Giacomo Matteotti durch die Faschisten nicht einfach hinnehmen wollten und mit ihren Protesten das ganze Regime in Frage stellten: „Durch den Fall Matteotti bestand für Mussolini die Gefahr, ganz auf die Macht verzichten zu müssen." Daß er auf diese Lage mit verstärkter Repression antwortete, mag sein deutscher Bewunderer ihm nicht übelnehmen.
Bestürzender noch ist, welche Lehren Nolte aus dem Triumph der Rechten in Italien zieht. Auf die Frage, ob Italien, „das erste europäische Land, das das Tabu des Antifaschismus gebrochen hat", damit Ausnahme oder Avantgarde sei, antwortet Nolte: „Ich glaube eher, daß Italien hier zur Avantgarde gehört". Der „Wind von rechts" sei „eine sehr gesunde Erscheinung". Nicht nur der neuen italienischen Regierung wünscht er größere Unabhängigkeit von parlamentarischer Kontrolle: „Ich halte es nicht von vornherein für verwerflich, wenn in bestimmten schwierigen Situationen die Regierung sagt: Wir wollen zwei Jahre mit Dekreten regieren, ohne daß das Parlament zu jeder Frage gefragt werden muß. Verwerflich wäre nur, wenn man sich nach einer begrenzten Zeit, nach zwei, höchstens drei Jahren, nicht dem Urteil des Volkes stellt." Gebt mir drei Jahre Zeit, und ihr werdet Deutschland nicht wiedererkennen - dieser Ausspruch stammt nicht von Nolte, sondern von Hitler, und der hat bekanntlich Wort gehalten.
Wegen dieser Parteinahme für die „Diktatur auf Zeit" bezeichnete die Frankfurter Rundschau Nolte als „bekennenden Verfassungsfeind".37 Die Beschwörung des „Staatsnotstandes" durch Helmut Kohl auf dem Höhepunkt der „Asyldebatte" macht deutlich, daß es sich bei Nolte keineswegs um einen vom Altersstarrsinn befallenen Einzelgänger handelt. Ob seine Empfehlungen in praktische Politik umgesetzt werden, hängt nicht zuletzt davon ab, welchen weiteren Weg das italienische „Vorbild" nimmt. Von Berlusconi („zu sehr Medienstar") und Bossi („Separatist") hält Nolte wenig. Sein Favorit ist Gianfranco Fini, den er gegen den Verdacht, er sei ein „starker Mann" im Sinne eines Diktators, in Schutz nimmt.
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Können Europas Rechtsextremisten von Italien lernen?
Jean-Marie Le Pens Hoffnung, daß vom Wahlerfolg der italienischen Neofaschisten auch die übrigen europäischen Rechtsextremisten profitieren könnten, hat sich nicht verwirklicht. Der Front National blieb bei der Europawahl im Juni 1994 mit 10,5% gegenüber 1989 (11,7%) zwar fast stabil; einen herben Rückschlag erlitten dagegen die deutschen Republikaner, deren Vorsitzender Schönhuber, wie oben zitiert, ebenfalls auf der italienischen Erfolgswoge mitschwimmen wollte. Der Stimmenanteil der Reps ging von 7,1% (1989) auf 3,9% zurück; nur in zwei Bundesländern (Bayern und Baden-Württemberg) wurde der Sprung über die 5%-Hürde geschafft. Deutliche Zugewinne erreichte die extreme Rechte allein in Belgien; sie wird im neuen Straßburger Parlament drei Sitze einnehmen (bisher verfügte sie über ein Mandat).
Zugelegt haben ansonsten eher rechte Listen von „Euro-Skeptikern" aus dem bürgerlichen Lager wie z.B. in Frankreich L'Autre Europe mit ihrer Betonung von Nationalstaat und Familie. Mit dem Aufschwung der italienischen Rechten dürften diese Ergebnisse am allerwenigsten zu tun haben. Auch Le Pen, dessen Front National offenbar über einen festen Wählerstamm verfügt, hat keinerlei Grund, Danksagungen nach Rom zu telegrafieren. Im Gegenteil: Fini und seine Gefolgsleute verweisen, unterstützt von Berlusconi, bei jeder sich bietenden Gelegenheit auf die angeblich tiefen Differenzen, die ihre Partei von den französischen Nationalisten trennen würden. Den Gedanken an eine gemeinsame Europa-Fraktion mit den Reps oder dem FN wiesen sie weit von sich.
Eine solche Fraktion hat im übrigen auch im alten Europa-Parlament nur sehr kurz bestanden. Wegen Meinungsverschiedenheiten mit den Reps in der Südtirol-Frage war der MSI der Fraktion nicht beigetreten. Übrig blieben der Front National (10 Sitze), die Reps (6) und der Vlaams Blok (1 Sitz), bis die Republikaner 1990 die Fraktion wieder verließen. Schönhuber ging seinerzeit zunehmend auf Distanz zu seinem bisher von ihm selbst so bezeichneten „Freund" Le Pen und zu Teilen der Reps.
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Bei seinem Antrittsbesuch in Deutschland legte sich Berlusconi in einem Interview mit dem Bonner General-Anzeiger38 für seine geläuterten „Postfaschisten" von MSI/AN ins Zeug. Deren Regierungsbeteiligung sei „absolut nicht vergleichbar mit einer hypothetischen Regierungsbeteiligung des Front National von Le Pen in Frankreich oder der Republikaner" in Deutschland. Le Pen konterte: Berlusconi, in seinem „lobenswerten Bestreben, die Anwesenheit von AN-Ministern neben ihm zu rechtfertigen, glaubt sich verpflichtet, den FN als Schreckgespenst zu benutzen".39 Einerseits ist es zwar richtig, daß Berlusconis Abgrenzung von Reps und FN taktisch begründet ist; andererseits machen beide Parteien es Berlusconi auch leicht, Alleanza Nazionale als etwas „völlig anderes" herauszustellen.
Le Pens Politik des kalkulierten Skandals, seine offen zur Schau gestellte Gewalttätigkeit lassen ihn auch dann als „Extremisten" erscheinen, wenn er sich - wie in der Frage der Zuwanderung und der rechtlichen Stellung von Einwanderern - in weitgehender Übereinstimmung mit den Bürgerlichen befindet. Die von ihm betriebene Rehabilitierung des Nazismus stellt Gianfranco Finis Bemühungen, den Faschismus zu verharmlosen, bei weitem in den Schatten. „Als Le Pen den Mord an sechs Millionen Juden als 'Detail der Geschichte des Zweiten Weltkriegs' bezeichnete, als durch algerische Augenzeugen öffentlich wurde, daß Le Pen im Algerienkrieg folterte, als Le Pen die 'Verbrennungsöfen' ('four-crematoire') der KZs im Zusammenhang mit Minister Durafour zu einem Wortspiel benutzte ('Durafour-crematoire') - da schien es, als hätten ihn die Skandale nur weiter nach oben gebracht." (Georg Blume/Alexander Smoltczyk)40 Seine Gefolgsleute identifizieren sich nicht nur mit Le Pens Ideen, sondern auch mit seiner Person: Ein Algerienkämpfer und Folterer, der zudem bei einer Wirtshausschlägerei ein Auge verlor - was für ein Kerl in den Augen seiner männlichen Anhänger, die ihrem Idol im engsten Familienkreis oder bei rassistischen Menschenjagden nacheifern. Dagegen ist Gianfranco Fini ein legalistischer Schwächling. Die Frage ob Le Pen und der Front National ebenso anpassungsfähig wären wie der MSI, wenn einmal „Regierungsfähigkeit" gefragt sein sollte, ist einstweilen rein hypothetisch.
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Auch Schönhubers Republikaner werden auf mittlere Sicht nicht in die Verlegenheit kommen, sich als koalitionsfähig präsentieren zu müssen. Wie es scheint, hat Schönhuber seinen jahrelang versuchten „Spagat" zwischen Nazis und verfassungstreuen Konservativen mehr und mehr aufgegeben. Noch im Juni 1992 präsentierte er sich als derjenige, der die Reps von allzu braunen Gestalten „gesäubert" und der Partei den „Zugang zu Kreisen eröffnet (habe), die uns bisher reserviert gegenüberstanden." - „Mit Radikalinskis, Skins, Heil-Schreiern, die sich selbst Neonazis nennen, wollen wir nichts zu tun haben",41 rief er den Parteitagsdelegierten zu, die ihn mit satter 90%-Mehrheit als Vorsitzenden bestätigten.
Zeitweise handelte er auch entsprechend und ließ die offiziellen Statements der Partei ebenso wie ihr Führungspersonal auf allzugroße Affinität zum Nazismus abklopfen. Die rassistischen Tiraden von Politikern der CDU/CSU, aber auch der SPD gaben ihm darüberhinaus Gelegenheit, sich als vergleichsweise gemäßigt darzustellen. So hatte Friedhelm Farthmann (SPD) seinen Vorschlag zur Beschleunigung der Asylverfahren in die markanten Worte gekleidet: „An Kopf und Kragen packen und raus damit!"42 - nämlich mit den Asylbewerbern; für Schönhuber eine willkommene Gelegenheit zu erklären, daß Farthmann wegen dieser Äußerung als Rep-Mitglied sofort ausgeschlossen worden wäre.
Honoriert wurde diese Politik der „Mäßigung" allerdings nicht. Im Gegenteil: Durch ihre eigene rasante Rechtsentwicklung - vor allem in den Fragen „Asyl/Ausländer" und „innere Sicherheit" - ließen CDU und CSU in den Augen vieler potentieller Rechtsaußen-Wähler die Reps als überflüssig erscheinen. Schönhubers antisemitische Tiraden gegen Ignatz Bubis nach dem Brandanschlag auf die Lübecker Synagoge im März 1994 und sein offenes Eintreten für Freys DVU einige Monate später markieren so einerseits ein Ende der Verstellung: Da diese letztlich nutzlos war, konnte er genausogut offen aussprechen, was er ohnehin denkt; andererseits ist die Wendung zum offenen, unverschlüsselten Antisemitismus der gezielte Versuch, durch Tabubruch Schlagzeilen zu machen und das erhebliche Potential harter Antisemiten anzusprechen und zu mobilisieren.
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In Wählerstimmen hat sich das bisher nicht ausgezahlt. Schönhubers Stellvertreter Schlierer machte die antisemitischen Ausfälle seines Chefs implizit für den Mißerfolg bei der Europawahl mitverantwortlich. Notwendig seien ein „neuer Politikstil" und die „Mitgestaltung in unserem politischen System".43 Das hätte Gianfranco Fini nicht besser ausdrücken können. Durchsetzbar ist eine am italienischen Vorbild orientierte Kurskorrektur mittelfristig kaum; außerdem käme sie wohl zu spät.
Bleibt schließlich Jörg Haiders Freiheitliche Partei Österreichs (FPÖ) - eine, nach Erscheinungsbild und Bündnisfähigkeit zu urteilen, überaus „moderne" Partei des europäischen Rechtsextremismus. Ebenso wie der MSI steht sie personell und programmatisch für die Kontinuität des Faschismus. Ihre Vorläuferorganisation, der Verband der Unabhängigen (VdU) war, so Simon Wiesenthal, „eine nahezu lupenreine Nazi-Partei".44 1956 von alten Nazis gegründet, definiert die FPÖ ihr „freiheitliches" Programm in Abgrenzung zum „Liberalismus alter Schule" und zum „klassenkämpferischen Marxismus". Ziel ist die „soziale Volksgemeinschaft", vornehmste Aufgabe, so der 16jährige Jörg Haider als Sieger eines Redewettbewerbs des Österreichischen Turnerbundes, sei „die Abwehr aller Bestrebungen, die auf eine Loslösung Österreichs vom Deutschtum gerichtet sind".45 Der Satz stammt aus dem FPÖ-Programm. Von Anfang an gehörte die Rehabilitierung alter Nazis und die Verharmlosung des Nazismus zu den wesentlichen Anliegen der FPÖ. Der Empfang des Kriegsverbrechers Walter Reder durch Vizekanzler und Verteidigungsminister Frischenschlager (FPÖ) sorgte 1986 für fast weltweites Aufsehen. Die SPÖ hielt dennoch an der Koalition fest.
Im gleichen Jahr gelangte Jörg Haider putschartig an die FPÖ-Spitze. Haider kombinierte geschickt braune Traditionspflege und Verharmlosung des Nationalsozialismus mit „modernem" Rechtspopulismus und Rassismus. Militante Neonazis im In-und Ausland entdeckten und propagierten das „Modell Haider" - so der Titel der Zeitschrift Nation und Europa. Deutsche Monatshefte (Nr.ll/199l). Gleichzeitig wurde Haider von seinen mächtigen Freunden aus der FDP, namentlich dem damaligen Vorsitzenden Graf Lambsdorff, gegen den Vorwurf des Rechtsradika-
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lismus in Schutz genommen. Auch das von Haider 1991 abgelegte Bekenntnis zur „ordentlichen Beschäftigungspolitik des Dritten Reiches" unterbrach seine Karriere nur für kurze Zeit. Der Mann wird noch gebraucht, wenn nicht als künftiger Koalitionspartner, dann zumindest als konsensstiftender Ideologe. Haider über Haider: „Ich gehe davon aus, daß wir wirklich viel erreicht haben, in dem Sinn, daß es eine Bewußtseinsänderung gibt, auch in den anderen Parteien, denn die großen Sprüche des Jörg Haider sind ja zum Programm der anderen Parteien geworden."46
Haiders einfaches Erfolgsrezept läßt sich zum Glück nicht so ohne weiteres kopieren. „Er verfügt über all das, was der extremen Rechten in Deutschland fehlt: Eine im politischen System fest verankerte Partei, eine funktionierende Organisationsstruktur mit Parallelorganisationen, eine breite Wählerbasis, ein geschickt formuliertes Programm, intellektuelle Zuträger, eine überaus wirksame populistische Agitationstechnik und eine attraktive Führerfigur." (Walter Oswalt)47
Was letzteres angeht, leiden die deutschen Rechtsextremisten unter einem entscheidenden Mangel. Figuren wie Schönhuber oder Frey reichen nicht im entferntesten an Leute wie Haider oder Fini heran, die sich in sehr unterschiedlichen Milieus zu bewegen wissen, die jugendlichen Elan und „Modernität" verkörpern, ohne die „alten Kämpfer" des Faschismus vor den Kopf zu stoßen. „Wir können froh sein, daß das solche Gurken sind"48 - bewertete Joschka Fischer das Leitungspersonal der deutschen Rechten anläßlich der Wahlerfolge von Reps und DVU bei den Landtagswahlen in Baden-Württemberg und Schleswig-Holstein im Frühjahr 1992. Fischer hat recht: Die Ausschöpfung des rechtsextremen Wählerpotentials hängt nicht zuletzt von der Präsentation glaubwürdiger und zeitgemäßer Führerfiguren ab. Daß die starken Männer weder vom Himmel fallen noch durch möglichst treue Kopie erfolgreicher Vorbilder im Ausland „aufgebaut" werden können, ist immerhin ein Trost.
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DER AUFSTIEG
VOM STAUBSAUGERVERTRETER ZUM MULTIMILLIONÄR
Den deutschen Rechtsextremen fehlt aber nicht nur vorzeigbares Führungspersonal. Vor allem haben sie - bislang - keinen ernstzunehmenden Fürsprecher aus der bürgerlichen „Mitte", der sie in aller Öffentlichkeit für bündnisfähig erklären würde. Über Lokalparlamente, z.B. in Hessen und Bayern, hinausgehende Absprachen zwischen CDU/CSU und Reps sind auf absehbare Zeit nicht zu erwarten. Das nicht etwa wegen politisch-programmatischer Unvereinbarkeiten; wie gesehen finden es die Reps hin und wieder sogar opportun, sich von besonders inhumanen Vorstößen der „Demokraten" in der Ausländerpolitik abzusetzen. CDU und CSU hingegen setzen bisher mit einigem Erfolg darauf, durch rassistische und rechtspopulistische Tiraden die Reps „überflüssig zu machen".
In Italien war seit „Tangentopoli" eine solche Politik nicht mehr möglich. Der Ansehensverlust der staatstragenden Parteien hatte den Neofaschisten zusätzlich zu ihrer bei fünf Prozent und mehr liegenden Stammwählerschaft neue Anhänger in Scharen zugeführt. Spätestens mit den Kommunalwahlen Ende 1993 waren sie zu einer festen Größe geworden, auf die ein Rechtsblock, wollte er die nationalen Wahlen gewinnen, nicht verzichten konnte. Der Mann, der diese Einsicht in praktische Politik umsetzte, die Neofaschisten gegen alle Widerstände aus ihrer jahrzehntelangen Isolation herausführte und als geläuterte konservative Demokraten präsentierte, war Silvio Berlusconi. Und er war vermutlich der einzige, dem das gelingen konnte. Wer ist dieser Silvio Berlusconi, den auch viele Linke anfangs als reines Kunstprodukt unterschätzten?
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Berlusconis Aufstieg vollzog sich Ende der 70er Jahre. Nach dem Tode Aldo Moros war die informelle „Regierung der nationalen Solidarität" zerbrochen; die Hoffnung der Kommunisten, auch formell an der Regierung beteiligt zu werden, hatte sich endgültig zerschlagen. Der PCI hatte jahrelang der christdemokratischen Minderheitsregierung zu parlamentarischen Mehrheiten verholfen und wurde nun nicht mehr gebraucht. Die seit Anfang 1976 allein regierende Christdemokratie suchte sich neue Bündnispartner und bereitete ab 1979 in der Koalition mit Sozialdemokraten und Liberalen eine breite Regierung vor, die von Juni 1981 bis Anfang der neunziger Jahre im wesentlichen stabil bleiben sollte: Die Fünferkoalition des „pentapartito", bestehend aus Christdemokraten (DC), Sozialisten (PSI); Sozialdemokraten (PSDI), Liberalen (PLI) und Republikanern (PRI).
Trotz mehrerer Regierungsumbildungen war dieser Block Garant für innenpolitische Stabilität. Daß immer mal wieder der Ministerpräsident ausgewechselt wurde, änderte daran nichts. Mit dem Triumvirat Craxi (PSI), Andreotti und Forlani (beide DC) - nach den Anfangsbuchstaben ihrer Familiennamen kurz CAF genannt - gab es auch personelle Kontinuität.
Während weiterhin alles unter Kontrolle von DC und PSI blieb und mit Bettino Craxi ein neuer starker Mann die Bühne betrat, der sich selbst zu Höherem berufen sah, gab es in der Finanzwelt so etwas wie einen „Wachwechsel". Giorgio Galli schreibt über das Ende der siebziger Jahre: „Eine neue Gruppe von Finanziers steigt auf, Ausdruck der Stabilität des Systems: Die schnellen persönlichen Erfolge (und zuweilen die schnellen Abstürze) bringen eine Phase der Bereicherung einer ganzen Schicht zum Ausdruck."1 Diese gern als zweites italienisches „Wirtschaftswunder" bezeichnete Phase vertiefte die Kluft zwischen Arm und Reich - und zwischen Norden und Süden.
Zu den zehn wichtigsten Aufsteigern - den „neuen Herren der italienischen Wirtschaft nach einem Jahrzehnt von Aufstieg und Zusammenbrüchen"2 - gehörte auch Silvio Berlusconi.
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Der Selfmademan - Legende und Wirklichkeit
Nach der von ihm selbst gebastelten Legende verdankt Berlusconi seinen Aufstieg aus kleinen Verhältnissen nur sich selbst, seiner Arbeitswut und Beharrlichkeit, seinem unternehmerischen Geschick und der Bereitschaft zum Risiko. Richtig ist, daß Berlusconi, 1936 am Rande von Mailand geboren, aus kleinbürgerlichem Elternhaus stammt. Sein Vater ist Bankangestellter, die Mutter Hausfrau, aber für beide ist es selbstverständlich, daß ihr ältester Sohn Karriere macht. Silvio Berlusconi wächst also in einem typischen „aufstiegsorientierten" Milieu auf. In seine Bildung wird investiert; gleichzeitig wird erwartet, daß er sich „im Leben bewährt".
Zu diesem Zweck wird der zwölfjährige Silvio (und später auch sein 13 Jahre jüngerer Bruder Paolo) externer Schüler eines Internats des Salesianerordens. Die Schule steht in dem Ruf, auf Disziplin zu achten und „gute Manieren" zu lehren. „Ein aufgeweckter Junge" sei Silvio Berlusconi gewesen, „selbstsicher, mit der Neigung, sich in Szene zu setzen", erinnert sich der Lehrer für Kunstgeschichte, Erminio Furlotti.3 Bei Schulaufführungen habe er stets den Part des Ansagers gehabt und sich sicher und exakt ausgedrückt. Ehemalige Mitschüler heben seine schon damals ausgeprägte Geschäftstüchtigkeit hervor. Wenn er seinen Banknachbarn vorsagte, habe er sich das mit Bonbons oder Geld bezahlen lassen. Am meisten aber habe er mit Rezitationen im Elternhaus herausgeschlagen: Wer ihn hören wollte, ob Eltern, Freunde oder sonstige Verwandte, habe Eintrittsgeld zahlen müssen. Berlusconis Vater Luigi, der die schmeichelhaften Zeitungsgeschichten über seinen jugendlichen Sohn als Phantasieprodukte zurückweist, hebt gleichwohl „Stolz, Unabhängigkeit und Dickköpfigkeit" seines fünfzehnjährigen Sohnes hervor, der in seinem Freundeskreis stets den Ton angegeben habe.4
Nach Beendigung der Schule beginnt Berlusconi an der Mailänder Universität mit dem Jura-Studium. Geld verdient er mit dem Verkauf von Staubsaugern und als Entertainer: „In den Sommermonaten verdingt er sich auf den Kreuzfahrtschiffen der Reederei Costa als Unterhalter (was heute 'Bord-Animateur'
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genannt wird): Während der Fahrten auf dem Mittelmeer erzählt er Witze, spielt mit einem Strohhut auf dem Kopf Sketche und singt Lieder von Nat King Cole und Frank Sinatra."5 Wer kann sich Helmut Kohl bei ähnlichen Show-Einlagen vorstellen? Bill Clinton hat immerhin in jungen Jahren Saxophon gespielt und mit der gezielt aufgewärmten Erinnerung daran im Wahlkampf Punkte gemacht. Demgegenüber erscheint Berlusconi als der geborene Selbstdarsteller, der sich für keine Geschmacklosigkeit zu schade ist - vorausgesetzt, sie bringt etwas ein!
In seiner Zeit als Sänger und Animateur lernt Berlusconi nicht nur die Kunst, die eigene Person optimal in Szene zu setzen, er gewinnt auch Freunde fürs Leben. Fedele Confalonieri, später zweiter Mann der Fininvest, begleitet ihn auf dem Piano, Alberto Civatiello, später ebenfalls Manager im Hause Berlusconi, sitzt am Schlagzeug. Gemeinsam treten sie in Rimini auf -eine von vielen heute „alten Seilschaften" unter Berlusconis Leitung ist entstanden. „In meiner Studentenzeit habe ich viele Freunde kennengelernt", sagt Berlusconi später - „die dauerhaftesten Freundschaften entstehen in diesem Alter."6
1961 besteht er das Examen - mit einer Arbeit über juristische Aspekte der Werbung, die ihm zusätzlich einen Preis von 2 Millionen Lire einbringt. Er schafft es, sich vor dem Militärdienst zu drücken, und bereitet sein erstes größeres Geschäft vor. Um ein von ihm entdecktes Baugrundstück kaufen zu können, gründet er zusammen mit einem Partner seine erste Firma, die Cantieri riuniti milanesi, in die er 10 Millionen Lire einbringt. Nach heutigem Kurs wären das 200 Millionen, also etwa 200.000 DM. Zur Legende vom Selfmade-Man gehört, daß Berlusconi das Geld mit seinen Auftritten als Musiker ehrlich erarbeitet und zusammengespart haben will. Die Journalisten Ruggeri und Guarino halten es dagegen für sicher, daß Papa Luigi Berlusconi seinem Sohn das Startkapital vorgeschossen hat - eine Investition, die sich bald bezahlt macht. In den sechziger Jahren gibt es nicht nur in Mailand eine große Nachfrage nach Wohnraum. Wohnungen werden verkauft, bevor sie gebaut sind. Der Käufer zahlt einen Teil im voraus, den Rest später. Berlusconi sucht sich seine Kunden zunächst im Bekanntenkreis und arbeitet nach dem Schnee-
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ballsystem. Wer eine Wohnung kauft, erhält Rabatt, wenn er einen weiteren Käufer wirbt.
Entgegen der Legende, Berlusconi habe seine Karriere als Bauherr begonnen und damit in einer Zeit der Wohnungsnot sozusagen dem „Allgemeinwohl" gedient, beschränkt sich seine Tätigkeit zunächst auf die eines Vermittlers von Geschäften. „Es ist interessant festzuhalten", schreibt Giuseppe Turani, „wie der Mann, der sich später als 'Erbauer von Städten' darstellen wird, anfangs in das Baugeschäft einsteigt, ohne irgendetwas zu bauen: Er kauft Grundstücke, holt die Baugenehmigungen ein, macht Werbung und verkauft, aber den Beruf des Maurers überläßt er anderen. Zu dieser Zeit ist er so sehr 'nichts', daß er diese Arbeit lieber spezialisierten Firmen überläßt. Kurz und gut, sein Glück besteht paradoxerweise darin, im Mailand der sechziger und siebziger Jahre ein Finanzier ohne Geld zu sein."7 Das Baufieber begünstigt die Bodenspekulation. Ackerland wird in Bauland verwandelt und vervielfacht damit „über Nacht" seinen Wert.
1963 gründet Berlusconi zusammen mit mehreren Partnern die Firma Edilnord. In Brugherio bei Mailand soll ein Wohngebiet für 4.000 Menschen entstehen. Ein Prozent des Gewinns, so die Vereinbarung, geht an Berlusconi. Enrico Botta, einer der Beteiligten, erinnert sich mehr als 20 Jahre später nur noch vage, wer das ehrgeizige Projekt finanziert hat: „Über Geld spricht man besser nicht; es gehört sich nicht, darüber zu spekulieren, wer hinter den Unternehmen steht."8 Fest steht, daß die im schweizerischen Lugano ansässige Finanzierungsgesellschaft für Residenzen, vertreten durch den Schweizer Rechtsanwalt Renzo Rezzonico, das notwendige Kapital zur Verfügung gestellt hat. Der weitere Verlauf der „pista svizzera", der schweizerischen Spur, ist unklar.
Daß das Geld aus dem von der Mafia kontrollierten Drogenhandel stammt, ist immerhin eine durchaus naheliegende Vermutung. In der Lombardei existieren unzählige Scheinfirmen, die Geschäftsverbindungen in den Tessin unterhalten und verdächtige finanzielle Aktivitäten entfalten: „Plötzlich wachen sie auf und beschließen überdimensionale Erhöhungen ihres Kapitals, z. B. von 20 Millionen auf 2 Milliarden. Die Sache stinkt. Wenn dann die Erhöhung mit Geld vollzogen wird, das in der
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Schweizerischen Eidgenossenschaft lagert, besteht fast Gewißheit, daß es sich um Gelder der Mafia handelt, die vor allem aus dem Drogenhandel stammen."9 Daß Berlusconis Edilnord ebenfalls mit Geldern mafioser Provenienz operierte, ist natürlich nicht beweisbar. Der Verdacht ist allerdings weit verbreitet. Nach anderen Spekulationen soll die vatikanische Mafia Opus Dei zu Berlusconis finanziellen Förderern gehören. Von den Verstrickungen der Geheimloge Propaganda Due (P2) und der von ihr kontrollierten Banken wird noch zu sprechen sein.
Mit dem Bau der Trabantenstadt Milano 2 in Segrate, an der Peripherie von Mailand, schafft Berlusconi den Durchbruch zu einem der führenden Kapitalisten Italiens. Im September 1968 erhält die Edilnord das mehr als 700.000 Quadratmeter große Grundstück zu einem überaus günstigen Preis. Der Vorbesitzer, Graf Leonardo Bonzi, hat es mit dem Verkaufen sehr eilig, nachdem seine auf dem Gelände stehenden Villen Objekte des „Vandalismus" geworden sind und er selbst - natürlich anonym - eingeschüchtert und bedroht worden ist. Aus der Schar der Interessenten wählt Bonzi Berlusconis Edilnord.
Die zunächst erteilte Baugenehmigung wird später durch das Veto des Provinz-Verwaltungsausschusses zurückgezogen. Nach der Auflösung dieses Ausschusses fallen seine Entscheidungsbefugnisse an die regionale Kontrollkommission. Hier haben nicht Bürokraten, sondern Politiker das Sagen: „Mit den Politikern ist die Verständigung für Berlusconi einfach, das zeigen die Fakten: Am 29. März 1972 billigt die Kommune von Segrate (unter Führung von Bürgermeister Renato Turri, einem Exponenten der Sozialistischen Partei Italiens) einen neuen Vertrag zum Vorteil der Edilnord, und kurz darauf ratifiziert ihn die Regionalkommission blitzartig. Die Realisierung von Milano 2 kann unverzüglich beginnen..."10 1974 aufgenommene Ermittlungen gegen leitende Angestellte der Edilnord (wegen Unregelmäßigkeiten während der Genehmigungsverfahren) verlaufen ergebnislos. 1979 wird Milano 2 fertiggestellt - Wohnraum für 10.000 Menschen, die sich auf ihr nicht billiges neues Domizil etwas einbilden dürfen: Hier gibt es 5.000 Bäume, einen künstlich angelegten See und 40 Quadratmeter Grünfläche pro Einwohner (die Vergleichszahl für Mailand: 3,5 Quadratmeter). Für Berlusconis
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Image als Bauherr ist es nicht unwichtig, daß er hier nicht irgendwelche schäbigen Billigbauten hingestellt, sondern Mailands Mittelschichten ein vergleichsweise angenehmes Wohnviertel „geschenkt" hat. Dazu gehören auch Sportanlagen, Läden und diverse Dienstleistungsbetriebe. Autostraßen und Fußwege sind getrennt. Seit 1975 ist Berlusconi nicht mehr nur Vermittler, sondern „Konstrukteur", dessen Unternehmen sich um sämtliche anfallenden Arbeiten kümmert.
Auf Milano 2 im Osten Mailands folgt Milano 3 im Süden. Berlusconi gelingt es, sich die lukrativsten (weil verkehrstechnisch am besten erschlossenen) Flächen zu sichern. Nach seinen Plänen sollen in der winzigen Ortschaft Basiglio (450 Einwohner) Wohnungen für weitere 25.000 Menschen geschaffen werden. Später wird die angestrebte Zahl auf etwas mehr als 10.000 reduziert, aber auch das wäre nach einem neuen Gesetz der Region, das die überdimensionale Ausdehnung kleiner Kommunen verbietet, nicht mehr zulässig. Eile ist geboten: Zwei Tage vor Inkrafttreten der neuen Regelung wird die Baugenehmigung erteilt. Nachgeholfen haben christdemokratische und sozialistische Regionalpolitiker. Berlusconi bedient sich also der gleichen Fürsprecher, die sich schon im Falle von Milano 2 als hilfreich erwiesen haben. „Die Wiederholung dieses Partnerschaftsmodells", kommentiert Mario Piazza, „beweist, daß es sich nicht um zufällige Übereinstimmungen zwischen Unternehmer und Parteien handelt, sondern um eine gefestigte Struktur, die es Berlusconi erlaubt, seine Initiativen mit größtmöglichen Vorteilen zu vertreten und voranzubringen."11
Im Juni 1978 wird die Finanziaria d'Investimento, kurz: Fininvest, als Gesellschaft mit beschränkter Haftung gegründet. Trotz eines Stammkapitals von nur 20 Millionen Lire wird sie zum Geldgeber für alle mit ihr verbundenen Einzelfirmen. Wem die Fininvest eigentlich gehört, ist unklar. Gesellschafter sind der Servizio Italia und die Società azionaria fidudaria, zwei Treuhandgesellschaften der Banca Nazionale del Lavoro - einer der Banken, die damals von der geheimen Loge P2 kontrolliert werden.
So undurchschaubar das Geflecht der von Berlusconi gegründeten und häufig schnell wieder liquidierten Firmen auch ist -personell ist die Fininvest-Gruppe eine Art Familienunterneh-
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men. Seit den siebziger Jahren ist das Führungspersonal weitgehend unverändert geblieben. Dazu gehören Bruder Paolo Berlusconi und Vetter Giancarlo Foscale, Jugendfreund Fedele Confalonieri, ferner Umberto Previti, 1978 alleiniger Geschäftsführer der Fininvest, Gianni Letta und Marcello Dell'Utri. Die langjährige Zusammenarbeit mit immer denselben Leuten erleichtert später die Mobilisierung der Firma für den Wahlkampf: Während Dell'Utri, Chef der Werbeagentur Publitalia, die Kampagne von Forza Italia professionell leitet, werden Previti und Letta nach dem Wahlsieg Minister. Der einst von Lenin auf die Formel „Heute Bankier, morgen Minister - heute Minister, morgen Bankier" gebrachte bourgeoise Ämtertausch ist von Berlusconi auf eine neue Stufe gehoben worden. Es regiert die Firma, die ihre fähigsten Manager -je nach Bedarf- auf diesen oder jenen Posten versetzt.
Der Fernseh-Pirat
Milano 3 wirft nicht den gleichen Profit ab wie Milano 2. Das Baugewerbe stagniert, Investoren richten ihr Interesse auf andere Bereiche. Berlusconi versucht sich noch beim Bau eines Ferienzentrums mit gigantischem Yachthafen bei Olbia (Sardinien). Auf die hierbei von ihm in Anspruch genommene Unterstützung mafioser Zusammenhänge wird noch zurückzukommen sein. Dennoch ist die Bilanz dieses Unternehmens nicht berauschend. Berlusconi geht es ebenso wie anderen Bauunternehmern, die „nicht mehr das bauen können, was sie geplant haben, und nicht mehr alles verkaufen, was sie gebaut haben. So sind sie in dieser langen Ruhepause auf dem Immobilienmarkt gezwungen, andere Geldquellen zu erschließen, wenn sie nicht ihre aus Steinen und Schulden gebauten Schlösser über sich zusammenbrechen sehen wollen."12
Berlusconi hat bereits konkrete Pläne. Indro Montanelli, bis Anfang 1994 Herausgeber von Il Giornale, erinnert sich: „Als er Milano 2 gebaut hatte und mit Milano 3 anfing, sagte er mir eines Tages: Die Baubranche steht vor einer Krise, ich werde sie seinlassen. Ich muß etwas anderes machen. Und was willst du
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machen, fragte ich ihn? Ich will ins Fernsehen, sagte er. Du bist verrückt, sagte ich, ein echter Verrückter, das Fernsehen ist eine Falle. Alle, die sich ins Fernsehen gewagt haben, sind gescheitert: Agnelli als erster, Mondadori als zweiter, Rusconi als dritter. Alle sind gescheitert, und auch du wirst scheitern, sagte ich. Ich muß zugeben, ich hatte nichts verstanden. Denn Berlusconi ging ins Fernsehen und gewann die Schlacht. Wie hat er das geschafft? Und das ist der Punkt. Berlusconi hatte einen politischen Ziehvater."13
Bevor dieser „Ziehvater" oder „Pate" - gemeint ist natürlich Bettino Craxi - mit Regierungsdekreten zugunsten von Berlusconi interveniert, ist allerdings von den „Piraten des Äthers" echte Pionierarbeit zu leisten, die durch kaum ein Gesetz eingeschränkt wird. Im Juli 1976 hatte das Verfassungsgericht zwar das Monopol der staatlichen Fernsehanstalt RAI bestätigt, erstmals aber private Sender zugelassen, allerdings nur auf kommunaler Ebene. 1980 wird verfügt, daß die Frequenzen vom Postministerium zu verteilen sind. Für Berlusconi grenzt es, so erklärt er im selben Jahr, an ein Wunder, „daß man wenigstens in diesem Bereich für eine gewisse Zeit ohne ständig neue und einander widersprechende Gesetze, Regelungen und Fesseln agieren kann". Gesetzliche Beschränkungen seien auch überhaupt nicht nötig, denn „der Markt hat hier wie anderswo auch alle nötigen Antikörper in sich, um eine Selbstregulierung des privaten Fernsehsektors zu gewährleisten."14
Ausgangspunkt für Berlusconis Fernseh-Imperium ist der Regionalsender Telemilano-Canale 5. Das Verbot, überregional zu senden, wird mit einem Trick umgangen: Die Sendungen werden auf Videokassetten aufgezeichnet und zeitlich versetzt auch in anderen Teilen des Landes ausgestrahlt. Aber Berlusconi attackiert das Monopol der RAI auch ganz offen. Ein für allemal müsse entschieden werden, ob die RAI eine öffentliche Anstalt oder eine private Firma sei, verlangt er im April 1981: „Wenn sie eine öffentliche Anstalt ist, muß sie sich darum kümmern, mehr Kultur als Unterhaltung zu machen; wenn sie eine private Firma ist, müssen auch für sie die Antitrust-Normen gelten, und es wird nicht möglich sein, die drei Programme beizubehalten."15
Mit seiner aggressiven Werbungsakquisition wird Telemi-
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lano-Canale 5 aber auch für die kleineren Privatsender zum übermächtigen Konkurrenten. Um diese aus dem Felde zu schlagen, werden großzügige Rabatte gewährt. Drei Werbespots zum Preis von einem sind keine Seltenheit. Für die Abwerbung bekannter Unterhaltungskünstler der RAI werden enorme Summen eingesetzt. Als einer der ersten Fernsehstars wechselt Quizmaster Mike Bongiorno zu Berlusconi. Dieser Liebling der Massen, schrieb Umberto Eco schon 1961, „verkauft sich als das, was er ist, und das, was er ist, ist so geartet, daß es keinem Zuschauer Minderwertigkeitsgefühle verursacht, nicht einmal dem unbedarftesten." Ein Garant für hohe Einschaltquoten und die Verkörperung der in Berlusconis Programmen dominierenden seichten Unterhaltung: „Der Zuschauer sieht das Abbild seiner eigenen Beschränktheit glorifiziert und offiziell mit den Insignien einer nationalen Autorität ausgezeichnet."16 Das von Mike Bongiorno gesprochene „Basic Italian" (Eco) ist das allgemein akzeptierte Verständigungsmittel. US-amerikanische Serien, Klamauk-Shows und halbnackte Frauen sollen gute Laune verbreiten und das Publikum für Werbung aller Art (auch politische) empfänglich machen.
Berlusconi und Craxi
Die regierenden Christdemokraten und Sozialisten, die jeweils eigene staatliche Fernsehprogramme kontrollieren (RAI 1 und RAI 2; RAI 3 „gehört" dem PCI/PDS) und dort unverhüllt Parteipropaganda betreiben, sehen sehr wohl die enormen Möglichkeiten des Privatfernsehens bei der politischen Beeinflussung des Publikums. Sie unterstützen Berlusconis Angriff auf das Monopol der RAI ganz offen und begründen das mit dem Verfassungsgebot der „freien Meinungsäußerung" und der „Entscheidungsfreiheit der Bürger".
Zu einer Kraftprobe zwischen Berlusconi, anderen privaten Anbietern und ihren politischen Schutzpatronen auf der einen, der Justiz in Gestalt dreier Richter auf der anderen Seite kommt es im Oktober 1984. Berlusconi hat bereits 1982 den Sender Italia Uno übernommen und sich im Frühjahr 1984 auch bei Rete-
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quattro eingekauft. Am 14. Oktober 1984 dringen auf richterliche Anordnung Finanzbeamte und Polizisten in Berlusconis und andere private Fernsehanstalten ein, beschlagnahmen Videokassetten und schalten die Sendeanlagen ab. Sie tun das in Übereinstimmung mit dem Urteil des Verfassungsgerichts, das privaten Sendebetrieb nur im regionalen Rahmen erlaubt. Ein Teil der Presse reagiert empört. 5.000 Arbeitsplätze würden aufs Spiel gesetzt, schreibt Il Giornale Nuovo, seit 1976 in Berlusconis Besitz. Berlusconi droht mit einem Referendum und fordert ein sofortiges Eingreifen des Parlaments zu seinen Gunsten.
Am 20. Oktober reist er zu seinem Freund Bettino Craxi nach Rom. Der Taufpate seiner Tochter aus zweiter Ehe ist seit 1983 Ministerpräsident. Craxi reagiert sofort: „Wenige Stunden später, mit einer Schnelligkeit wie bei einer nationalen Katastrophe, unterschreibt er ein Sonderdekret, das die Aktion der Richter unwirksam macht und die Illegalität legalisiert."17 Es wird noch am selben Tag vom Kabinett beschlossen.
Die Verfassungsmäßigkeit dieser Intervention ist umstritten: Nach Artikel 77 sind „provisorische Maßnahmen mit Gesetzeskraft" nur „in außergewöhnlichen und dringenden Notfällen" erlaubt. Am 28. November 1984 verwirft die Mehrheit der Abgeordnetenkammer das „Decreto-Berlusconi" als nicht verfassungsgemäß. Craxi reagiert am 6. Dezember mit einem neuen Dekret „Berlusconi bis", das im Januar und Februar 1985 von beiden Kammern des Parlaments angenommen wird, nachdem Craxi für den Fall der Ablehnung mit einer Regierungskrise gedroht hat.
Heute gilt Craxi mehr noch als die viel länger von der illegalen Parteienfinanzierung profitierenden Politiker der DC als Symbolfigur des „alten Systems". Er ist der Oberschurke, mit dem in puncto Schlechtigkeit allenfalls noch Andreotti konkurrieren kann, gegen den wegen Anstiftung zum Mord ermittelt wird. Jahrelang war Craxi wegen seines „hemdsärmeligen" Politikstils, mit dem er sich über Konventionen und gute Sitten hinwegsetzte, von nicht wenigen schaudernd ehrfürchtige Bewunderung entgegengebracht worden. Daß die grenzenlose Verachtung, der er heute ausgesetzt ist, in keinster Weise auf seinen einstigen Günstling und Geschäftspartner Berlusconi abgefärbt hat,
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ist ziemlich erstaunlich. Dem Sieger wird alles verziehen; der einstmals mächtige Verlierer dagegen ist ein willkommenes Objekt des allgemeinen Rachebedürfnisses. Wenn Craxi nach seiner Verurteilung zu achteinhalb Jahren Gefängnis mit den bereits von ihm angedeuteten „brisanten Enthüllungen"18 aufwarten sollte, könnte es auch für Berlusconi unangenehm werden.
Einschlägige Zitate, die Berlusconi bis an sein Lebensende diskreditieren könnten, gibt es zuhauf: Ergebenheitserklärungen zugunsten der Mächtigen, von denen der erste nun krimineller Machenschaften (Beteiligung am betrügerischen Bankrott des Banco Ambrosiano) überführt ist. Noch im Sommer 1989 hatte Berlusconi offen erklärt, er wolle ein Fernsehprogramm machen, „das an den Ideen von Andreotti, Craxi und Forlani orientiert ist". Eugenio Scalfari übersetzte diesen demaskierenden Ausspruch damals in „einfache Worte": Berlusconi wolle der Regierung die Medien zur Verfügung stellen, statt sie zu deren Kontrolle zu gebrauchen.19 Insbesondere Craxi mußte sich in Berlusconis Medien niemals Kritik gefallen lassen.
Die wesentliche „Idee" des CAF, die Berlusconi mit Hilfe seiner Medien zu verbreiten trachtete, bezog sich auf die Reform der staatlichen Institutionen. „La grande riforma" war jahrelang das Zauberwort für eine Politik, die staatliche Effizienz durch Machtkonzentration sicherstellen wollte. Eine Präsidialrepublik wie zu Zeiten De Gaulles war das Ideal; durch Einführung von Mehrheitswahl und Fünf-Prozent-Klausel sollte die parlamentarische Opposition klein gehalten werden.
Angriff auf die Pressefreiheit
Mit der im Laufe des Jahres 1984 erfolgten Übernahme des Senders Retequattro, bisher im Besitz der Mondadori-Gruppe, wird Berlusconi nicht nur unumschränkter Herrscher über das private Fernsehen. Er wird auch Teilhaber des Verlagshauses Mondadori, zunächst mit einer nur geringen Beteiligung. Mondadori, kontrolliert von der Familie Formenton und von Olivetti-Präsident Carlo De Benedetti, gibt eine Reihe lokaler Zeitungen sowie die Zeitschriften Epoca, Donna und Panorama heraus. Im
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Sommer 1989 werden auch die Tageszeitung La Repubblica und das Wochenmagazin L'Espresso dem Verlag einverleibt. Im November desselben Jahres bricht die Familie Formenton mit De Benedetti, an dessen Stelle Berlusconi tritt. Zwischen 320 und 350 Milliarden Lire muß er dafür lockermachen. Die Öffentlichkeit ist in Aufruhr - zu offensichtlich ist das politische Motiv, das Berlusconi mit diesem kostspieligen Geschäft verfolgt: Drei regierungskritische Presseorgane sollen auf CAF-Linie gebracht werden.
Eugenio Scalfari, Herausgeber von La Repubblica, ist schon seit längerem offenen Pressionen und Drohungen vor allem durch Bettino Craxi ausgesetzt. In Italien sei eine Verlegergruppe am Werk, „die gegen meine Person und gegen unsere Partei eine Haß- und Verleumdungskampagne führt, die in ihrer Dauer, Intensität, Wissenschaftlichkeit in der Geschichte der republikanischen Demokratie ohne Beispiel ist"20 - Worte Craxis von Juni 1989, die sein Parteifreund Gianni De Michelis aufgreift und zuspitzt: Es gehe nicht nur um die Beschädigung der Sozialisten, sondern um die „Destabilisierung des Systems"21. Die Tageszeitung Il Giorno ergänzt: „Der Plan Scalfaris und der Mondadori-Gruppe: Das politische System einbalsamieren und die kommunistische Partei retten, die in der Krise ist und ihre Identität verloren hat."22 Der angebliche „Kommunistenfreund" Scalfari antwortet mit gleicher Schärfe: Berlusconi wolle, statt die Regierung mit Hilfe der Medien zu kontrollieren, ihnen diese zur gefälligen Verfügung stellen - „Wir bewegen uns hin zu einem Regime plebiszitären Typs und zu Formen der Manipulation des Konsenses, die wir nach dem Sturz des Faschismus in Italien nicht mehr gekannt haben."23
Mit solchen, die Mächtigen reizenden Tönen soll nun Schluß sein - diese Kampfansage wird von den italienischen Journalistinnen und Journalisten wohl verstanden. Im Januar 1990 treten sie in einen eintägigen Streik: Die Nachrichtensendungen sämtlicher Radio- und Fernsehsender fallen aus, keine Zeitung erscheint. Auch in der Regierungspartei Democrazia Cristiana wächst der Unmut. Im Mai 1990 stellt der Präsident des Verfassungsgerichts ein Ultimatum: Noch vor den Sommerferien müsse das lange überfällige Mediengesetz verabschiedet sein -sonst werde das jahrelange Provisorium zugunsten Berlusconis
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für verfassungswidrig erklärt. Anfang Mai passiert „La legge Mammi", so genannt nach Postminister Oscar Mammi von der Republikanischen Partei, beide Kammern des Parlaments. Vorausgegangen sind teils offene, teils verdeckte Interventionen von Berlusconis Lobbyisten. Berlusconis Mann im Postministerium ist Davide Giacalone, der für seinen Minister Oscar Mammi die für Berlusconi wesentlichen Teile des neuen Gesetzes ausarbeitet. Seine Direktiven erhält er von Gianni Letta, der Nummer Drei der Fininvest und seit Mai 1994 Minister in Berlusconis Regierung.
Giacalones wichtigste „Gefälligkeit" für Berlusconi ist die Anerkennung falscher Frequenzpläne, mit denen etwaige private Konkurrenten aus dem Felde geschlagen werden. Die bei der „Besetzung des Äthers" angewandten „Wildwestmethoden" schildert einer der von der Fininvest angeheuerten „Piraten-Techniker" so: Über Nacht hätten er und andere „Piraten" selbstgebastelte Sendeanlagen aufgestellt - „nur um sagen zu können: Diese Frequenz ist jetzt besetzt." Ingenieure hätten falsche Frequenzpläne aufgestellt: „Sie logen über die Verteilung der Sendeanlagen und erfanden Ausstrahlungspunkte, wo es gar keine gab. Aber auf den Karten trugen sie dann einen Sender mit einer bestimmten Frequenz ein, der tatsächlich nicht existierte."24 Der ehedem in Diensten der Fininvest stehende Journalist Gigi Moncalvo bestätigt diese Darstellung: „Ich weiß sicher - da schließlich das Gesetz Mammi das Bestehende legalisierte -, daß jemand in Italien in höchster Eile gemauerte Häuschen verstreut hat mit Antennen, die nicht sendeten. Nur um von dem Gebiet Besitz zu ergreifen."25 Nach getaner Arbeit verläßt Giacalone das Ministerium und erhält einen lukrativen Beratervertrag im Berlusconi-Imperium.
Änderungsanträge des PCI zum Gesetzentwurf der Herren Mammi, Giacalone und Letta, mit denen der Werbeanteil während der Sendungen beschränkt werden soll, finden zwar im Senat zunächst eine Mehrheit. Der schließlich verabschiedete Gesetzestext enthält hingegen nicht die kleinste Änderung -Ministerpräsident Giulio Andreotti (DC), seit Juli 1989 zum sechsten Mal Regierungschef, verknüpft das Votum über das Mediengesetz mit einer Vertrauensabstimmung über seine Per-
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son. Die Idee dazu stammt von Berlusconi, der diesen Trick ganz offen empfohlen hat.
Mit dem Gesetz Mammi kann Berlusconi hochzufrieden sein. „Ich habe allein gegen alle gekämpft und gewonnen"26, gibt er zu Protokoll - dreist gelogen ist daran nur, wie wir gesehen haben, das „allein gegen alle". Von den neun privaten Fernsehsendern mit landesweiter Lizenz kontrolliert Berlusconi drei direkt (Canale Cinque, Italia Uno, Retequattro) und drei verdeckt (Telepiù 1, 2 und 3). Die Auflage, auch Nachrichtensendungen ins Programm zu nehmen, eröffnet nicht nur die Möglichkeit, auch auf diesem Sektor mit der RAI in Konkurrenz zu treten; sie erweist sich mit Blick auf Berlusconis politische Ambitionen sogar als Vorteil.
Auf die Kontrolle von La Repubhlica und L'Espresso muß Berlusconi allerdings verzichten. Er behält das Wochenmagazin Panorama, das sich in kurzer Zeit von einem kritischen zu einem zahnlosen Presseorgan wandelt - zumindest bei Themen wie Korruption, Verbindungen zwischen Politik und Mafia und Medienkonzentration. Auch die Tageszeitung Il Giornale darf Berlusconi aufgrund der neuen Gesetzgebung nicht behalten -er tritt sie an seinen jüngeren Bruder Paolo ab.
Berlusconi und die Geheimloge P2
Als 1981 die geheime Freimaurerloge Propaganda Due (P2) enttarnt wurde, konnte sich Silvio Berlusconi gar nicht erklären, wie sein Name auf deren Mitgliederliste geraten sein könnte. Fast alle anderen 962 Würdenträger aus Politik, Wirtschaft, Armee, Polizei und Geheimdiensten, die der Loge angehört hatten, leugneten ebenfalls jeden Beitrag zu den Aktivitäten der P2. Für Berlusconi hätte das beinahe eine Verurteilung wegen Falschaussage nach sich gezogen: Im September 1988 hatte er unter Eid ausgesagt, keinerlei Aufnahmegebühr für den Eintritt in die Loge bezahlt zu haben. Das war, wie das Appellationsgericht in Venedig im Mai 1990 feststellte, eine Lüge. Der Angeklagte habe „den objektiven und subjektiven Tatbestand des angeklagten Delikts begangen."27 Zu einer Verurteilung kam es
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dennoch nicht: Das 23. Amnestiegesetz in der Geschichte der italienischen Republik hob die erwiesene Straftat auf.
Im April 1994, knapp drei Wochen nach dem Wahlsieg von Forza Italia, wurde Berlusconi in Sachen P2 ein weiteres Geschenk gemacht. Eine Schwurgerichtskammer des Appellationsgerichts in Rom urteilte, die P2 sei lediglich ein Club zur gegenseitigen Förderung von Geschäften und Karrieren, nicht aber eine staatsfeindliche Vereinigung gewesen. Das Gericht hatte in dritter Instanz über den Bombenanschlag auf den Bahnhof von Bologna, bei dem am 2. August 1980 85 Menschen getötet worden waren, zu befinden. Zwar sah es eine Zusammenarbeit zwischen Neofaschisten, den Geheimdiensten und der P2 als erwiesen an und bestätigte die in zweiter Instanz aufgehobene Strafe für Licio Gelli: zehn Jahre Haft wegen „Verleumdung" bzw. „Legens falscher Spuren". Die gleiche Strafe erhielt Gellis „rechte Hand", der Geheimdienstoffizier Francesco Pazienza.
Eine direkte Tatbeteiligung Gellis und anderer im Auftrag der Loge handelnder Dunkelmänner ließ sich bislang nicht beweisen. Hinweise auf die Verwicklung der Loge in die seit 1969 verübten „Staatsmassaker" gab es immer wieder - „die Spur der P2 (zieht sich) durch nahezu alle Skandale, Putschversuche, Bombenattentate und eine Vielzahl von ungeklärten Verbrechen." (Friederike Hausmann)28 Giorgio Galli erinnert daran, daß die P2 auch mit dem Bombenanschlag auf der Piazza Fontana in Mailand (12.12.1969; 16 Tote), mit dem die faschistische „Strategie der Spannung" begann, in Verbindung gebracht worden war. Anfang der siebziger Jahre sei unter Richtern und Journalisten „im Flüsterton davon gesprochen (worden), die Initiale des 'Signor P', der als Auftraggeber des Massakers auf der Piazza Fontana galt, bezeichne nicht eine Einzelperson (Pacciardo oder Pino Rauti, den Führer der 'Linken' im MSI), sondern eine Organisation, 'P', die des 'Meisters vom Stuhl'."29
Für alle Fälle behielt man sich in der Loge die illegale militärische Option vor. Das geheime Sitzungsprotokoll vom 5. März 1971 („Ort der Zusammenkunft: Rom; 40 Geladene; 3 entschuldigt Abwesende; ein unentschuldigt Fehlender") notiert folgende Tagesordnung:
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Der Pate: Lido Gelli, Maestro Venerabile der Geheimbge P 2.
,,a) politische und wirtschaftliche Situation Italiens;
b) Bedrohung durch die italienische Kommunistische Partei, in Abstimmung mit dem Klerikalismus, hinsichtlich der Ergreifung der Macht;
c) Mangel an Einfluß der Ordnungskräfte;
d) Fehlen einer leitenden Klasse und völlige Unfähigkeit der Regierung in Richtung auf die für die zivile und soziale Entwicklung des Landes notwendigen Reformen;
e) Ausbreitung der Korruption, der Maßlosigkeit und all der schlechtesten Aspekte der Moral und des Gemeinsinns;
f) unsere Position im Falle eines Aufstiegs zur Macht durch die Kleriko-Kommunisten;
g) Beziehungen zum italienischen Staatsapparat."30
Die Diskussion über das Verhalten der Loge gegenüber einer Regierungsbeteiligung des PCI endete ohne Ergebnis. Ob im Falle des Falles „passive Nachgiebigkeit" zu üben sei oder „Notstandspläne" entwickelt werden müßten, konnte von den Ver-
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sammelten nicht vereinheitlicht werden. Das Protokoll hält fest: „Weil wir hierauf keine Antwort haben, überweisen wir diese Frage an die Zentrale, auf daß uns diese - sofern sie es richtig findet - entsprechende Aufklärung zuteil werden läßt."31 Eine schriftliche Antwort der „Zentrale" ist nicht überliefert; wahrscheinlich gibt es keine. Im Wissen um ihre Verbindungen zu christdemokratischen und anderen Spitzenpolitikern dürfte die Zentrale die Frage der „kommunistischen Gefahr" wohl etwas gelassener diskutiert haben als die erkennbar verstörten 40 römischen Logenbrüder. Im schlimmsten Fall stand man keineswegs machtlos da: Armee-, Geheimdienst- und Carabinieri-Einheiten und die Untergrundarmee „Gladio" waren für den Bürgerkrieg von oben gerüstet. Die 1962 und 1970 auf halbem Wege gestoppten Putschversuche des Carabinieri-Generals De Lorenzo bzw. des Fürsten Valerio Borghese scheiterten vermutlich vor allem an der - taktisch begründeten, nicht grundsätzlichen - Mißbilligung des wachsamen Großen Bruders USA, dessen Geheimdienst CIA unmittelbar nach dem Kriege Entwicklungshilfe beim Aufbau der antikommunistischen Bürgerkriegstruppe Gladio geleistet hatte.
Naturgemäß besser beweisbar als eindeutig illegale subversive Aktionen der P2 ist ihre weniger spektakuläre, aber wirkungsvolle Tagespolitik. Eugenio Scalfari schreibt über die wesentlichen Aktivitäten der Loge auf wirtschaftspolitischem Gebiet: „Es gab im wesentlichen vier Betätigungsfelder: Schmiergelder für Geschäfte mit öffentlichen Einrichtungen und Industrien, Kontrolle über die Kreditvergabe der Banken, illegale Devisenexporte, Plazierung der Logenbrüder an die Spitze der entsprechenden Karriereleitern. Die Intervention der P2 war möglich und profitabel in jedem dieser Sektoren, da ihnen Fehlentwicklungen der staatlichen Institutionen gegenüberstanden und gegenüberstehen. (...) (Dazu gehört) das System der Schmiergelder für Aufträge, Geschäftsabschlüsse, Lizenzen und Genehmigungen, für Darlehen der öffentlichen Kreditinstitute, für Regierungsentscheidungen über Preise, Tarife und verbilligte Kredite. (...) Die Zahlungen erfolgen am hellichten Tag, auf der Basis festgelegter Anteile. Und die Geld-
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eintreiber fordern dazu auf, um Parteien und Parteiflügel zu finanzieren."32
Das „Mißverständnis", die P2 verfolge staatsfeindliche Bestrebungen, mußte fast zwangsläufig zu dem oben erwähnten Freispruch durch das römische Appellationsgericht führen. Massimo Teodori, ehemaliger Abgeordneter der Radikalen Partei und Mitglied der P2-Untersuchungskommission, legt nahe, daß die Staatsanwälte mit ihrer unklugen Anklage den Freispruch provoziert haben. Der Vorwurf, Gelli habe die Institutionen des Staates zerschlagen wollen, sei völlig unsinnig: „Es ging ihm so gut, er schwamm im Reichtum, weshalb sollte er sie ändern?"33
Die P2 war eine kriminelle, aber keine umstürzlerische Vereinigung: „Das wahre Ziel der Loge ist nicht etwa ein Staatsstreich, sondern der Aufbau einer Geheimmacht, die ganze Bereiche des öffentlichen Lebens und der italienischen Wirtschaft verwaltet."34 Diese wichtige Klarstellung stammt von dem Politikwissenschaftler Giorgio Galli, der den Beteiligten damit keineswegs eine Entschuldigung liefert: Jeder, der zum 'Palazzo' der Macht gehörte, ob er in der Loge eingeschrieben war oder nicht, und in den siebziger Jahren häufig mit Licio Gelli zusammentraf oder mit ihm befreundet war, (war) sich vollkommen darüber im klaren ..., daß er es nicht mit einem beliebigen Meister der Freimaurerloge zu tun hatte, sondern mit einer Person, die bereits im Dienst der Nazis gestanden hatte und danach 'Grenzgänger' gewesen war und stark verdächtigt wurde, Verbindungen zu Terroristen zu unterhalten, die Blutbäder unter der unschuldigen Bevölkerung anrichteten ..."35
Berlusconi ließ sich durch diese klaren Tatbestände nicht anfechten. Im Dezember 1988, kurz nach seiner vor Gericht beschworenen Falschaussage über die von ihm angeblich nicht bezahlte Aufnahmegebühr, stellte er sich dumm: „Auch ich, wie 50 Millionen andere Italiener, bin immer noch gespannt zu erfahren, welche Taten oder Untaten Licio Gelli tatsächlich zur Last gelegt werden ...Jahre der Untersuchungen haben nur dazu gedient, den verschiedenen politischen Sekten ein ebenso bequemes wie zweckdienliches Feld für Angriffe und Verleumdungen zu bieten."36
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Keine Verleumdung ist, daß Licio Gelli Berlusconis politischen Siegeszug mit allergrößter Genugtuung betrachtet und den neuen starken Mann mit Lob überschüttet: „Silvio Berlusconi will das Wohlergehen des italienischen Volkes und das vergangene Regime vergessen machen, um den neuen Generationen eine Zukunft zu geben."37 Er hätte auch sagen können: Berlusconi will die „demokratische Wiedergeburt des Landes" -eine Formel, die noch unverhohlener an den von Gelli redigierten Plan der P2 - „Il piano per la rinascita democratica del paese" - erinnern würde. Gelli läßt denn auch keinen Zweifel daran, daß er Berlusconi als Vollender „seiner" Ideen sieht, der „seinen" Plan so gut wie verwirklicht hat: „Es fehlt noch das letzte Stück: Die Präsidialrepublik."38 Die Rehabilitierung der Neofaschisten und ihre Einbeziehung in Koalitionen hatte Gelli schon in den siebziger Jahren gefordert.
Keine Verleumdung ist auch, daß Berlusconi sich beim Aufbau seines Medienimperiums von denselben Gedanken leiten ließ, die in Gellis Programm ausformuliert sind. Was der „Maestro Venerabile" in den Jahren 1975/76 niederschrieb, begann Berlusconi ab 1978 umzusetzen: Den „umgehenden Aufbau" des privaten Fernsehens, um die „öffentliche Meinung des Landes zu kontrollieren".40 Ein entscheidender Schritt dazu war der 1979 von Berlusconi unter Einsatz erheblicher Geldmittel getätigte Ankauf mehrerer hundert Serien-, Kino- und Fernsehfilme. „All das gekaufte Material wird dann für das benutzt, was ganz offensichtlich als die genaue Umsetzung des P2-Projekts erscheint: Berlusconi kontaktiert zahlreiche Fernsehbetreiber aus anderen Gegenden und bietet ihnen die Überlassung von Serien, Dokumentar- und Spielfilmen an, unter der Bedingung, daß sie in einen Ring von Sendern, der von Berlusconi kontrolliert wird, eintreten - tatsächlich sieht der 'Plan' der P2 die Einsetzung einer 'Agentur' zur Koordinierung der 'Kette' lokaler Fernsehsender vor."40
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Berlusconi und die Mafia
Berlusconi selbst verfährt mit dem Problem Mafia ähnlich wie mit dem der P2: Er weiß von nichts. Von La Repubblica nach seiner Meinung zum Thema Mailand und die Mafia befragt, antwortete er: „Sicherlich ist Mailand krank, aber ich glaube nicht, daß das wahre Problem der Druck der Mafia ist. Der Virus ist der des Immobilismus." Berlusconi vermißt den Willen der Politiker, aus Mailand eine „Stadt der Zukunft" zu machen und sich über Blockaden und Investitionshemmnisse hinwegzusetzen. Gibt es überhaupt Mafia in Mailand? Berlusconi will es nicht ausschließen, aber für den „Immobilismus" seien ganz andere Kräfte verantwortlich: „Die Grünen und die Umweltbewegungen haben die Konfusion und die lähmenden Elemente vervielfacht."41 Daß die Mailänder Börse an der Piazza degli Affari zum Zeitpunkt des Interviews gerade von „Persönlichkeiten ersten Ranges", wie Giorgio Galli notiert, „als Umschlagplatz für die Geldwäsche illegaler Gelder aus Entführungen und aus dem Drogenhandel"42 ausgemacht worden war, scheint für Berlusconi eine Lappalie zu sein. Ehrlicherweise muß gesagt werden, daß seine bemerkenswerten Formulierungen von September 1991 stammen; heute würde er sich zu dem Thema sicherlich „nachdenklicher", „staatsmännischer" äußern.
Für Leoluca Orlando, den im November 1993 mit 78% der Stimmen gewählten antimafiosen Bürgermeister von Palermo, gibt es zumindest „sehr ernsthafte Indizien" für Verbindungen Berlusconis zur Mafia: „Die Brüder Dell'Utri gehören zu den wichtigsten Mitarbeitern von Silvio Berlusconi. Sie leiten Publitalia, die als Werbefirma sozusagen die Lunge von Berlusconis Gruppe Fininvest ist und auch die Wahlkampagne für Forza Italia betreut hat. Publitalia hat die Parteiprogramme geschrieben, die Kandidaten ausgewählt - kurz, das Produkt Berlusconi vermarktet. Nun, die Brüder Dell'Utri hatten seit jeher freundschaftliche und geschäftliche Beziehungen mit Spitzenleuten der Mafia. Es sagt doch alles, daß Marcello Dell'Utri, Nummer 3 von Forza Italia und des Berlusconi-Imperiums, persönlich mit der Mafia verbunden ist."43
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Daß Forza Italia das Kronzeugengesetz abschaffen will, ist für Orlando ein weiterer Beleg für Berlusconis pro-mafiose Politik. Nicht etwa grundsätzliche Bedenken gegen den Wahrheitsgehalt von Kronzeugenaussagen sind das Motiv für diese Gesetzesänderung; vielmehr soll das angeblich zusammengebrochene „alte System", zu dessen Stützen die Mafia gehört, stabilisiert werden. (Daß Orlando seinerseits keinerlei Bedenken gegen Deals mit ausgestiegenen Mafiosi hat, den Deutschen gar die schnelle Einführung des „Großen Lauschangriffs" gegen die „organisierte Kriminalität" empfiehlt, steht auf einem anderen Blatt.) Das im Juli 1994 erlassene Regierungsdekret gegen die Untersuchungshaft in Korruptionsverfahren war ein Geschenk auch für die Mafia. Nicht wenige der beschuldigten Unternehmer, Staatsbediensteten und Politiker, die unter dem Druck der Haft häufig überraschend schnell zu Geständnissen bereit waren, dürften nicht nur über Bestechung und illegale Parteienfinanzierung, sondern auch über mafiose Geschäfte erhellende Aussagen machen können. Bevor das Dekret auf Druck der öffentlichen Meinung wieder zurückgezogen werden mußte, waren 1.500 Inhaftierte auf freien Fuß gesetzt oder in Hausarrest entlassen worden - für etliche zumindest Gelegenheit, belastende Beweismittel verschwinden zu lassen.
Die sizilianische Cosa Nostra hat in Berlusconi ihren zukünftigen Ansprech- und Geschäftspartner erkannt. Leoluca Orlando: „Das muß ja den Paten der Mafia gefallen, die verzweifelt nach neuen politischen Referenten suchen, nachdem die bisherigen, besonders Andreotti, nicht mehr da sind, um ihre Interessen zu wahren. In Sizilien weiß jedes Kind, daß die Mafia geschlossen für Berlusconi gestimmt hat."44 So konnte Forza Italia bruchlos die alles dominierende Position der Democrazia Cristiana übernehmen: Mit 34,8% (Sicilia 1) bzw. 32,4% (Sicilia 2) erreichte Berlusconis Partei ihre mit Abstand besten regionalen Ergebnisse. 37 der 41 sizilianischen Direktmandate gingen an den Block der Rechten.45 Der erste Teil des Geschäfts ist gelaufen. Die Mafia hat Wählerstimmen geliefert, für die Berlusconi sich revanchieren muß.
Daß die Mafia-Clans eine Verständigung mit der neuen Regierung suchen, ist offensichtlich. Die bisherigen Aktionen
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des Staates gegen die Mafia seien nicht mehr als ein „Strohfeuer" gewesen, findet Kronzeuge Tommaso Buscetta. Sein Todfeind Salvatore („Totò") Riina hat es übernommen, aus der Gefängniszelle heraus über die Zukunft seiner Gefolgsleute zu verhandeln. Seine Botschaft an Innenminister Maroni und die neue Rechtsregierung: „Ich bin nicht gegen euch, sondern gegen die Kommunisten. Dann sollt ihr auch nicht gegen mich sein." Das ist zwar nicht der Wortlaut, wohl aber der Sinn seiner Erklärung, von Buscetta treffend auf den Punkt gebracht.46 Flankiert wurde Riinas „Kriegserklärung" (Buscetta) von einer Reihe von Anschlägen gegen Kommunalpolitiker der Linken, zunächst ohne Todesopfer. Mit dem Sprengstoffanschlag auf ein Haus in Piana degli Albanesi wurde gezielt an die blutige Vergangenheit dieses Ortes erinnert. Am 1. Mai 1947 hatten dort Salvatore Giuliano und seine Bande im Auftrag der Mafia ein Massaker verübt. Von den Arbeitern und Bauern, die sich an der nahegelegenen Portella della Ginestra zu einer Maikundgebung versammelt hatten, wurden elf ermordet; sechsundzwanzig wurden zum Teil schwer verletzt. Der im Mai 1994 an diesem historischen Ort verübte Anschlag, der „nur Sachschaden" verursachte, sollte offensichtlich an die „Verdienste" der Mafia als antikommunistische Ordnungsmacht erinnern.
Nicht nur in Sizilien arbeiten die Clans an einer „politischen Lösung". Der Mafia-Experte und PDS-Abgeordnete Pino Arlacchi weist darauf hin, daß auch in Kalabrien „sehr suspekte Persönlichkeiten" als Wahlkreiskandidaten antraten, denen das neue Mehrheitswahlrecht den Weg in die Abgeordnetenkammer erheblich erleichtert hat. Noch im April 1993 hatte Luciano Violante, ehemaliger Vorsitzender der Antimafia-Kommission und ebenfalls Mitglied des PDS, die Hoffnung geäußert, das Mehrheitswahlrecht werde der Mafia den Zugang zur politischen Macht erschweren. Wenn kleine Wahlkreise geschaffen würden „mit Kandidaten, von denen jeder weiß, ob sie Mafiosi sind oder anständige Leute, ist der Unterschied für jeden nachvollziehbar".47 Wie das Wahlergebnis von Ende März 1994 beweist, hat die neue Übersichtlichkeit die Menschen nicht davon abgehalten, eben jenen Mafiosi die Stimme zu geben. Das alte System des Stimmenkaufs funktioniert nach wie vor. Auch
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nach den spektakulären Polizeiaktionen 1992/93, die zur Verhaftung Riinas und anderer mafioser Führungskräfte führten, sind „die Dunkelmänner der Mafia und geheimer Logen, wie auch das Innenministerium zugibt,... noch immer in der Lage, mehrere Millionen Wählerstimmen zwischen Neapel und Palermo zu manövrieren." (Werner Raith)48
Arlacchi geht davon aus, daß die Strukturen von Cosa Nostra, 'Ndrangheta und Camorra trotz der Verhaftung der Bosse intakt geblieben sind. Es werde immer offenkundiger, so Arlacchi, „daß die Mafia nur Teil eines komplexen, illegalen Systems im Untergrund ist. Dazu gehören Gruppierungen der extremen Rechten, subversive Kräfte bei den Geheimdiensten oder auch das Netzwerk der internationalen Finanzkriminalität."49 Als „Bindeglied zwischen der Mafia und der bürgerlichen Gesellschaft" (Arlacchi) dienen vor allem in Süditalien die Freimaurerlogen. Hier trifft man sich ganz ungezwungen: „Viele 'Männer von Ehre' (als Vertreter ihrer Clans) gehören Freimaurerlogen an, denn hier können sie enge Kontakte mit Unternehmern, mit den Institutionen, mit den Verwaltern jener Macht knüpfen, die von der illegalen Macht von 'Cosa Nostra' verschieden ist,"50 schreibt Richter Agostino Cordova. Die süditalienischen Logen seien geradezu ein „Treffpunkt für alle" - dazu gehören nicht zuletzt Agenten der Geheimdienste, deren Verwicklung in rechtsterroristische Anschläge in einigen Fällen auch gerichtlich erwiesen ist.
Logischerweise lassen sich die vielfältigen Verfilzungen legaler und illegaler Geschäfte und Aktivitäten nicht in Form eines Schaubildes darstellen - mit hierarchischer Gliederung und klaren Befehlsstrukturen. Die These, Forza Italia sei nichts anderes als der legale Arm der P2, ist sicherlich verlockend, aber nicht zu beweisen - und vielleicht auch ein bißchen naiv. Giovanni Ruggeri und Mario Guarino, die in ihrem nützlichen Buch „Berlusconi. Inchiesta sul Signor TV" konsequent auf eine solche Schlußfolgerung hinschreiben, liefern letztendlich doch nur eine Reihe von Indizien.
Erwiesen ist, daß die Loge P2 auch nach ihrem Verbot im Jahre 1982 nicht zu existieren aufhörte. In einem Ende 1993 vorgelegten Ermittlungsbericht der Zollbehörde werden „Hun-
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derte von finanziellen Operationen, die auf den ehemaligen Chef der P2, Licio Gelli, zurückführbar sind" aufgelistet. „Woher kommen die dutzenden Milliarden, die Gelli auf den Banken deponiert hat?" fragte La Repubblica (29.12.1993). Von „Freunden" („amici"), antwortete dieser. Oder waren es „amici degli amici" - „ein Ausdruck, der allgemein für die in mafiose Geschäfte verwickelten Gruppen verwendet wird und der sich mit 'die Freunde der Freunde' nur unzureichend übersetzen läßt. Er bezeichnet ein dicht ineinander verwobenes Beziehungsgeflecht verschiedenartiger Personen in durchaus unterschiedlichen sozialen, bürokratischen, politischen Positionen. Eindeutig ist dabei nur, daß eben diese 'Freunde' einander in jeder Lage beistehen." (Werner Raith)51
Laut Gerichtsbeschluß darf behauptet werden, daß Berlusconi selbst zu diesen „Freunden" gehört. Eine von Berlusconi angestrengte Verleumdungsklage gegen die Autoren Giovanni Ruggeri und Mario Guarino wurde im Dezember 1988 abgewiesen. Die Behauptung, Berlusconi habe bei der Planung des Touristenzentrums Olbia 2 persönlich oder über Mittelsmänner mit der „weißen Mafia" zusammengearbeitet, sei nicht zu beanstanden. Zu Berlusconis übel beleumundeten Geschäftspartnern gehörte Anfang der achtziger Jahre auch Flavio Carboni, „amico di amici"52, dem es nach Aussage seiner Konkurrenten immer wieder „gelang, dort Baugenehmigungen zu kriegen, wo wir Schwierigkeiten hatten".53 Carboni war Kompagnon des Bankrotteurs und P2-Mitglieds Roberto Calvi, der im Juni 1982, nach dem Zusammenbruch der von ihm geleiteten Banco Ambrosiano, erhängt unter der Blackfriars Bridge in London aufgefunden wurde. Calvis Flucht nach London war von Carboni organisiert worden. Das von Carboni in das Projekt Olbia 2 eingebrachte Kapital stammte zu wesentlichen Teilen von dem Mafiaboss und Drogenhändler Domenico Balducci.
Die zahlreichen Zeitungsartikel, Aufsätze und Bücher, in denen gegenwärtig Berlusconis enge Zusammenarbeit mit Gelli und anderen Dunkelmännern rekonstruiert wird, sind sicherlich verdienstvoll. Mit ihrer Hilfe lassen sich die heuchlerischen Reden über Moral und Neuanfang den keineswegs moralischen, teilweise illegalen Taten des „neuen" Mannes und seiner Gefolgs-
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leute gegenüberstellen. Andererseits ist der aufklärerische Effekt solcher Enthüllungen begrenzt. Erstens ist Berlusconis Vergangenheit den Leuten in groben Zügen bekannt - was sie nicht davon abhält, ihn zu wählen. Zweitens ist die Vorstellung, Politik sei eine große „Verschwörung", formal zwar nicht ganz falsch; aber die Auseinandersetzung über die wesentlichen Inhalte der Politik findet in aller Öffentlichkeit statt. Trotz aller Lügen über seine angeblich hochmoralischen Motive hat auch Berlusconi niemanden über seine Absichten getäuscht.
Flucht in die Politik?
Daß Berlusconi genau im richtigen Moment die politische Arena betrat, stimmt in zweifacher Hinsicht. Zum einen wegen der günstigen äußeren Bedingungen - der parteipolitisch verwaisten Mitte und des Booms der Neofaschisten - die die Bildung des vorher undenkbar erscheinenden rechten Blocks möglich machten. Zum anderen wäre bei einem späteren Start -nicht nur wegen des Wahltermins - die einzigartige Chance vertan gewesen. Das strahlende Bild des erfolgreichen Unternehmers Berlusconi hat seit einiger Zeit Risse bekommen; dieses Image aber war eine unverzichtbare Voraussetzung für den Wahlsieg von Forza Italia. Auch die offene Zurschaustellung seines „märchenhaften" Reichtums hat dazu ihren Teil beigetragen. Berlusconi vor und in seiner von einem großen Park umgebenen Villa in Arcore - diese Bilder sind seit Jahren allgegenwärtig. Auch daß es dort kostbare Bilder, eine enorme Bibliothek, vergoldete Wasserhähne und einen gigantischen Fernsehsalon gibt, ist kein Geheimnis.
Aber längst gehen nicht mehr nur die Erfolgszahlen durch die Presse: 300 Unternehmen mit 40.000 Beschäftigten; 11 Milliarden DM Jahresumsatz; ein Marktanteil von 44,7% für Berlusconis Fernsehkanäle (45,2% für die RAI). Der Schuldenberg der Fininvest wird auf mindestens 4 Milliarden DM geschätzt. Daß auf eine Lira Kapital 4,3 Lire Schulden kommen, vermutet La Repubblica (15.10.1993), die die Schulden der Fininvest auf 7.140 Milliarden Lire (etwa 7 Milliarden DM) schätzt. Und laut
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L'Espresso (17.10.1993) beträgt das verfügbare Nettovermögen der Fininvest lediglich 110 Milliarden Lire. Besonders defizitär ist die Kaufhauskette Standa, die in 550 Filialen Tausende von Menschen beschäftigt. Aber auch Berlusconis TV-Projekte laufen keineswegs allesamt wunschgemäß. Der Versuch, ganz Europa in den Griff zu bekommen, ist vorerst gescheitert; die Sender La Cinq in Frankreich und Tele 5 in der BRD, an denen Berlusconi beteiligt war, haben den Betrieb eingestellt. Aber auch in Italien gibt es Anzeichen, daß die durch den maßlosen Werbeanteil finanzierten fetten Jahre des Privatfernsehens vorbei sind. Die italienischen Fernsehanstalten (die RAI eingeschlossen) halten, was den zeitlichen Umfang der Werbung angeht, unangefochten den Weltrekord: 700 Minuten täglich gegenüber 540 in den USA und 160 in England. Hier hat der von Berlusconi verehrte „freie Wettbewerb" zu einem Wachstum geführt, das nun, da die Preise für Werbe-Spots sinken, für etliche Anbieter zur tödlichen Gefahr werden könnte. Berlusconi scheint derzeit nicht in der Lage, von den Schwierigkeiten der anderen zu profitieren, indem er sie so wie früher einfach aufkauft.
Seit Herbst 1993 drängen die Banken auf eine übersichtlichere Strukturierung der Fininvest. Daß Berlusconi insbesondere den staatlichen Geldunternehmen, bei denen er verschuldet ist, nun mit der Autorität des Regierungschefs gegenübertreten kann, dürfte ihm einiges leichter machen. Zumindest wird für äußerste Diskretion gesorgt sein.
Berlusconis neues Amt dürfte auch mit Blick auf eventuell bevorstehende Gerichtsverfahren gegen Spitzenmanager der Fininvest von großem Nutzen sein. Mit Fedele Confalonieri, Marcello Dell'Utri und Gianni Letta sind immerhin die in der Firmenhierarchie nach Berlusconi ranghöchsten Manager in Verdacht geraten. Aber die Ermittlungsverfahren wegen illegaler Parteienfinanzierung, Bestechung und anderer Delikte müssen ja nicht unbedingt Prozesse nach sich ziehen - eine echte Bewährungsprobe für den neuen Ministerpräsidenten.
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„Das Parlament der Zweiten Republik": Die „Linke" (Umberto Bossi von der Lega Nord), die „Mitte" (Silvio Berlusconi), die „Rechte" (Gianfranco Fini von der Alleanza Nazionale). Karikatur aus La Repubblica.
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DIE KAMPAGNE
FORZA ITALIA- DIE FIRMA WIRD PARTEI
Der unter „kultivierten" Menschen verbreitete Vorbehalt, Berlusconi sei zwar ein guter Unternehmer, als Politiker aber zu unerfahren, ist hoffnungslos altmodisch. Kann es heute noch „unpolitische" Großunternehmer geben? Wo ist die Grenze zwischen Geschäft und Politik? Richtig ist immerhin, daß Großkapitalisten - auch Berlusconi - bisher ihre Politik lieber im Verborgenen betrieben. Das hat jahrzehntelang beide Seiten zufriedengestellt, funktioniert aber jetzt - zumindest in Italien - nicht mehr. Gerade die einstmals mächtigsten Anführer der Regierungsparteien sind restlos diskreditiert und können froh sein, wenn sie nicht den Rest ihres Lebens im Gefängnis verbringen müssen.
Dennoch ist Berlusconi seinem bevorzugten Partner Bettino Craxi auch heute noch dankbar. Als die Abgeordnetenkammer im Mai 1993 die Aufhebung von Craxis parlamentarischer Immunität ablehnte, gratulierte er ostentativ als einer der ersten. Noch im November 1993, kurz vor dem offiziellen Beginn seiner Wahlkampagne, exponierte er sich zugunsten des Schurken. Daß Craxi und seine Partei am Ende waren, muß Berlusconi aber spätestens im Mai 1993 klar gewesen sein. Nicht der Ausgang der Referenden zu Wahlrechtsreform, Parteienfinanzierung etc. war bedrohlich, sondern die öffentliche Meinung, die einen Neuanfang forderte, während die Medien dem Ganzen die Weihe einer „demokratischen Revolution" gaben.
Fedele Confalonieri, die Nummer zwei der Fininvest, ist der Meinung, „Berlusconi habe sich angesichts der Zerfaserung im konservativen Lager von der Gunst der Stunde faszinieren lassen und halte sich einfach für besser als die vorhandenen Akteure".1 Ebenso wie andere Getreue von König Silvio hatte Confalonieri von dem Unternehmen Forza Italia abgeraten. Also eine ein-
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same Entscheidung des Mannes, der sich selbst für unwiderstehlich hält? Nicht notwendigerweise. Vielleicht gab es auch noch -bislang anonyme - Ratgeber von größerer Überzeugungskraft.
Dem Rechtsphilosophen Paolo De Lalla Millul zufolge hatte Berlusconi keine Wahl mehr: Nach dem jähen Sturz seines „Paten" Bettino Craxi konnte Berlusconi „keinen Beauftragten mehr in die Politik schicken, um zu verhindern, daß man ihm Knüppel zwischen die Beine warf - in der Angelegenheit, die ihn vor allem, wenn nicht ausschließlich, interessiert, das heißt die Firma, Fininvest."2 Eine Mitte-Links-Regierung unter Einschluß des PDS hätte ihm Schwierigkeiten mit einem Antitrustgesetz, den Sendelizenzen oder gesetzlichen Beschränkungen des Werbungsanteils in seinen Sendungen bereiten können; Schwierigkeiten, deren Lösung zumindest erheblich mehr Zeit erfordert hätte als unter der verläßlichen Schirmherrschaft von Craxi. Der hatte seinerzeit mit einem Federstrich für seinen Freund das Gesetz außer Kraft gesetzt und ein „Provisorium" geschaffen, das jahrelang fortbestand. Einen geeigneten Nachfolger hätte Berlusconi „mit einem Seufzer der Erleichterung" akzeptiert, meint De Lalla Millul; selbst „einen etwas nachgiebigeren Mario Segni", der ihn davor bewahrt hätte, seine Firma zu vernachlässigen.3
Auch Indro Montanelli vertritt die Ansicht, daß Berlusconi aus purem Geschäftsinteresse in die Politik gegangen ist. Nach dem Sturz von Craxi habe er sich „für einen Augenblick in einem Zustand echter Orientierungslosigkeit" befunden. „Zu mir sagte er: 'Ich bin nun eine Waise, ich habe jetzt keinen Bezugspunkt mehr in der Politik. Sie werden mich in Stücke reißen, um sich meine Frequenzen anzueignen.'" Mit dem Verschwinden Craxis von der politischen Bühne sei es wahrscheinlich gewesen, so Montanelli weiter, daß das von Craxi durchgedrückte Mediengesetz Mammi, das Berlusconi begünstigte, „wieder aufgehoben worden wäre und daß man Berlusconi die Lizenzen für mindestens zwei seiner drei Kanäle entzogen hätte."4 Nach dieser Interpretation mußte Berlusconi, ob er wollte oder nicht, seine Tätigkeit verlagern und seine unternehmerischen Fähigkeiten in den Dienst der Politik stellen.
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Worin bestehen Berlusconis besondere Fähigkeiten? Sein Partner Pietro Canali, mit dem er 1961 seine erste Firma Cantieri Uniti Milanesi gründete: „Seine Stärke? Immer fünf Minuten vor den anderen anzukommen, und außerdem die Gabe, die Leute überzeugen zu können. Man muß gesehen haben, wie leicht er es schaffte, Wohnungen zu verkaufen."5
Die Fähigkeit, für unternehmerische ebenso wie für politische Initiativen jeweils den richtigen Augenblick zu wählen, nennt Paolo De Lalla Millul „tempismo". Der „besondere Instinkt für Zeiten", der den großen „Industriekapitän" Berlusconi auszeichne, habe ihn auch den optimalen Zeitpunkt für seinen Einstieg in die Politik wählen lassen: „Er hätte keinen besseren Moment wählen können."6
Berlusconi „betritt das Spielfeld"
Was naiven Beobachtern der politischen Szene zunächst als unüberlegter Fehltritt erscheinen konnte, erwies sich wenig später als kalkulierter Schritt nach vorn: Silvio Berlusconis Parteinahme für den Neofaschisten Gianfranco Fini bei der Bürgermeisterwahl in Rom Ende November 1993 war die spektakuläre Eröffnung einer beispiellosen politischen Kampagne. Dem vorhersehbaren Aufschrei des Protestes folgte Berlusconis Rede an das Volk, die in Abänderung des Programms über seine drei Fernsehsender landesweit ausgestrahlt wurde. „Um das Land zu retten", sei er bereit, den „heroischen Schritt in die Politik zu tun". Tage später machte er - scheinbar beeindruckt von den Protestaktionen seiner eigenen Angestellten u.a. in der Panorama-Redaktion, die durch einen Streik das Erscheinen des Wochenblattes verhinderten - einen Rückzieher. Vor dem Club der Auslandspresse erklärte er, er bleibe Unternehmer. Die Parteinahme für Fini sei „ein schwerer Fehler" gewesen - ein taktischer Fehler allerdings nur, da die harten Reaktionen voraussehbar waren. Die Karikaturen, die ihn mit dem Fez der Faschisten zeigten, und die durchgängige Verwendung des Schimpfwortes vom „schwarzen Ritter" („il cavaliere nero") seien „stalinistische Lügen, weil ich dabei helfen will, die Linke zu besiegen".7 Seine
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Ankündigung, in die Politik zu gehen, wollte er nun lediglich als Aufmunterung für die uneinigen Kräfte der „Mitte" verstanden wissen, der Gefahr von links gemeinsam entgegenzutreten.
Ob Berlusconi ernsthaft daran geglaubt hat, die Herren Bossi (Lega Nord), Fini (MSI/AN), Martinazzoli (DC/PPI) und Segni (Patto per l'Italia) zu einem anti-linken Wahlbündnis bewegen zu können, darf wohl bezweifelt werden. Nach dem voraussehbaren Scheitern dieser allzu breit angelegten Bündnispolitik konnte (und wollte) Berlusconi nicht mehr zurück: Er mußte die eigene Person in den Dienst der guten Sache stellen und Italien vor dem späten Sieg des Kommunismus bewahren. Seine kategorische Erklärung vom 23. Oktober - „Eine Partei Silvio Berlusconis hat nie existiert und wird nie existieren"8 - erwies sich als Geschwätz von gestern, das einen großen Politiker nicht kümmern muß.
Bis Ende Januar waren - streng nach dem Prinzip des Parteiaufbaus von oben nach unten - im ganzen Land 4.000 Forza-Italia-Clubs aus dem Boden gestampft; schon Mitte Februar hatte sich ihre Zahl angeblich auf fast 10.000 erhöht, und am Wahltag sollen es 12.000 mit insgesamt 700.000 „Wahlhelfern" gewesen sein. Auf der Suche nach geeigneten Kandidatinnen und Kandidaten waren etliche Angestellte aus Berlusconis diversen Unternehmen monatelang quer durch das Land gereist. Fundament der aufzubauenden Parteistruktur ist die Werbeagentur Publitalia, bei der die meisten der für die 26 Regionen9 zuständigen Wahlkampfmanager angestellt sind. Talentiert erscheinende Bewerber wurden einen Tag lang auf Tauglichkeit geprüft, vor allem auf „Telegenität". Die Präsidenten der örtlichen Forza-Italia-Clubs, die nicht gewählt, sondern von oben ernannt werden, zahlen für ihr Amt eine Gebühr von umgerechnet 500 DM. Auch die Ausrüstung der Mitglieder mit Wimpeln, Aufklebern, Anstecknadeln und anderem grün-weiß-roten Schnickschnack für den Wahlkampf mußte im voraus bezahlt werden. „Schulung" erfolgte per Videokassette: Wie sich ein Markenartikel-Hersteller seine hochmotivierten und agilen „Salesmen" heranzieht, rekrutiert Forza Italia ihre Politik-Verkäufer. Davon war in Licio Gellis „Plan" noch nicht die Rede; ansonsten sind die Anleihen bei den organisationspolitischen Ideen des Großmei-
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sters unübersehbar: „Der 'Plan' der P2 sah die Bildung von 'Clubs (vor), wo Unternehmer, Vertreter der freien Berufe, Verwaltungsbeamte' und nur 'wenige und ausgesuchte' Berufspolitiker repräsentiert sein sollten. Die Berlusconi-Partei artikuliert sich in Clubs und beteiligt 'Personen, die sich in Unternehmen, in den Berufen, an der Universität bewährt haben sollen', unter ihnen nur wenige Berufspolitiker (z.B. die wenigen Überläufer von der DC-Rechten)." (Ruggeri/Guarino)10 Daß Berlusconi sich an der Auswahl der neuen Spitzenkräfte für Forza Italia mit großem persönlichen Einsatz beteiligt hat, versteht sich von selbst.
Am 26. Januar sprach Berlusconi mittels seiner Fernsehsender erneut zum Volk. Seine neuneinhalb Minuten lange Rede begann mit den Worten „Italien ist das Land, das ich liebe" und gipfelte in dem eindringlichen Appell, das geliebte Vaterland vor dem Zugriff der Roten zu retten. So banal und demagogisch der von ihm aufgesagte Text ist - er hat sein Ziel, maximale Aufmerksamkeit zu erregen, erreicht. Im folgenden Teile der Erklärung im Wortlaut. Durch die Übersetzung ist allerdings einiges von der formalen Brillanz dieses Meisterwerks eines politischen Werbetextes verloren gegangen; die inhaltliche Armut dieser „programmatisch" gemeinten Erklärung wird dadurch um so deutlicher:
„Italien ist das Land, das ich liebe. Hier habe ich meine Wurzeln, meine Hoffnungen, meine Erfahrungen. Von meinem Vater habe ich fürs Leben gelernt, und ihm bin ich im Berufe des Unternehmers gefolgt. Hier habe ich gelernt, die Freiheit leidenschaftlich zu lieben. Ich habe mich entschieden, auf das Spielfeld hinabzusteigen und mich der öffentlichen Sache anzunehmen, weil ich nicht in einem illiberalen Land leben will, das von unreifen Kräften und von Männern regiert wird, die mit doppeltem Faden an eine politisch und ökonomisch verheerende Vergangenheit geknüpft sind. Um diese neue Lebensentscheidung erfüllen zu können, habe ich heute meinen Abschied von jeglicher Verpflichtung in der Unternehmensgruppe, die ich gegründet habe, eingereicht. Ich verzichte also auf meine Rolle als Verleger und Unternehmer,
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um meine Erfahrung und all meine Kraft einer Schlacht zur Verfügung zu stellen, an die ich mit absoluter Überzeugung und der größten Zähigkeit glaube. Ich weiß, was ich nicht will. Zusammen mit den vielen Italienern, die mir ihr Vertrauen gegeben haben, weiß ich auch, was ich will. Und ich habe auch die begründete Hoffnung, es zu verwirklichen - in ehrlicher und loyaler Allianz mit all den liberalen und demokratischen Kräften, die die bürgerliche Pflicht fühlen, dem Land eine glaubwürdige Regierungsalternative zu den Linken und den Kommunisten zu bieten. Die Referendumsbewegung hat zu einer Entscheidung des Volkes für ein neues Wahlsystem des Parlaments geführt, aber damit das neue System funktioniert, ist es unverzichtbar, daß sich dem Kartell der Linken ein Pol der Freiheiten entgegenstellt, der fähig ist, die besten Kräfte eines sauberen, vernünftigen, modernen Landes anzuziehen. An diesem Pol der Freiheit müssen sich alle die Kräfte beteiligen, die sich auf die fundamentalen Prinzipien der westlichen Demokratie berufen, angefangen mit jener katholischen Welt, die reichlich zu den letzten fünfzig Jahren unserer gemeinsamen Geschichte beigetragen hat. Das Wesentliche ist, auch den italienischen Bürgern die gleichen Ziele und die gleichen Werte vorzuschlagen, die bisher die Entwicklung der Freiheiten in allen großen westlichen Demokratien gestattet haben. Jene Ziele und jene Werte, die dagegen in keinem der Länder volles Bürgerrecht erworben haben, die von den alten kommunistischen Apparaten regiert werden, so sehr diese sich auch neu anstreichen und recyceln. Und man sieht auch nicht, wie allein Italien von dieser elementaren Regel eine Ausnahme machen soll. Unsere Linken geben vor, sich geändert zu haben. Sie behaupten, Liberaldemokraten geworden zu sein. Aber das ist nicht wahr! Ihre Männer sind immer noch dieselben, ihre Mentalität, ihre Kultur, ihre tiefsten Überzeugungen, ihr Verhalten sind dieselben geblieben. Sie glauben nicht an den Markt, sie glauben nicht an die Privatinitiative, sie glauben nicht an den Profit, sie glauben nicht an das Individuum. Sie glauben nicht, daß die Welt sich durch den freien Beitrag so vieler voneinander ganz verschiedener Menschen verbessern kann. Deshalb sind wir
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gezwungen, uns ihnen entgegenzustellen. Denn wir glauben an das Individuum, an die Familie, an das Unternehmertum, an den Wettbewerb, an den Fortschritt, an die Effizienz, an den freien Markt und an die Solidarität, die Tochter der Gerechtigkeit und der Freiheit."11
Dieses scheinbar jämmerliche „Manifest einer persönlichen Revolution"12 lohnt eine genauere Betrachtung. Berlusconis „Antikommunismus ohne Kommunisten", seine Warnung vor den prinzipiell nicht lernfähigen Exponenten „der Linken" könnte als eklatanter Fall von Realitätsverlust eines Machtbesessenen interpretiert werden. Den Sozialdemokraten Achille Occhetto, die italienische Ausgabe von Rudolf Scharping, mit der revolutionären Vergangenheit des PCI in Verbindung zu bringen, ist schon eine besondere Infamie - aber eine wohlkalkulierte. Auch das „sowjetische Modell" ist vom PCI/PDS ebenso wie von den angeblichen „Stalinisten" von Rifondazione Comunista längst verworfen worden. Keine der im Parlament vertretenen Gruppierungen der „Linken" stellt die Marktwirtschaft in Frage.
Elegant umschifft Berlusconi die naheliegende Frage, wieso ausgerechnete er - als Nutznießer des „alten Regimes" - nunmehr Protagonist des „neuen" sein soll. Seine Berufung auf die fünfzigjährigen Wohltaten der „katholischen Welt" ist direkt an die bisherigen Wählerinnen der Democrazia Cristiana gerichtet. Sie vermittelt ihnen die beruhigende Gewißheit, daß Berlusconi für Kontinuität steht. Die Aufzählung der alten bürgerlichen Werte (Familie, Individuum, Profit etc.) unterstützt diesen Eindruck.
Das Arrangement auf und um Berlusconis Schreibtisch, von dem aus er sich an das Volk wendet, soll ebenfalls beruhigend wirken. Hier sitzt nicht nur ein kluger Kopf (Bücherwand als Hintergrund), ein hart arbeitender und erfolgreicher Geschäftsmann, sondern auch ein Familienvater, dem vor allem die Zukunft seiner Nachkommen am Herzen liegt: Schreibtisch und Hintergrund sind deutlich erkennbar mit Familienfotos bestückt. Den von Statusverlust Bedrohten, den von Zukunftsängsten Geplagten sprechen solche Bilder offenkundig sehr viel
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eher an als Horrorfilme der Republikaner (oder anderer Rechtsextremer) über Kriminalität, „Ohnmacht des Bürgers" und eine zurückweichende Staatsmacht.
Alle Kommentatoren zeigten sich von Berlusconis sorgfältig einstudiertem TV-Spektakel beeindruckt; vor allem von dem Kontrast zwischen der Ärmlichkeit der Botschaft und dem großspurigen Auftreten des selbsternannten Retters, das ganz auf die Sehgewohnheiten des durch Tausende von Werbespots geschulten Publikums zugeschnitten ist - „er bekommt die Reden von Werbeleuten geschrieben, die genauso über Windeln, Wein, Käse oder Schinken dichten". (Dario Fo)13 In Berlusconis Wahlspots sind die Akzente etwas anders gesetzt als in der eher aggressiven Erklärung vom 26. Januar. Hier dominiert „positives Denken": Von Italien, dem „Land, das ich liebe", werden die schönsten Landschaften und Städteansichten eingeblendet. Die Botschaft ist offenkundig: Wer Berlusconi wählt, verteidigt dieses schöne Land vor den auf Änderung orientierten Kräften der Linken, die zumindest für eine Ungewisse und damit bedrohliche Zukunft stehen.
Aber Berlusconi beschäftigt nicht nur einen Stab von Psychologen, Linguisten, Sozialwissenschaftlern und Werbeleuten -auch der eine oder andere Maskenbildner dürfte bei ihm die Stellung seines Lebens gefunden haben. Dario Fo, der Theaterregisseur und Autor subversiver politischer Farcen, hat ein besonderes Auge für den Aufwand, der mit dem Äußeren des Kandidaten betrieben wird: „Er benutzt Gelatine-Folien - wie die größten Diven im Kino. Dann läßt er auf das Kameraobjektiv einen feinen Seidenstrumpf ziehen, der filtert. So wirkt sein Gesicht wie glattgezogen, es wird wieder faltenfrei." Daß Berlusconi sich nie öffentlich mit seinen inzwischen erwachsenen Kindern aus erster Ehe zeigt, ist für Dario Fo ebenfalls kein Zufall: „Das würde sein wahres Alter verraten."14
Auch bei Berlusconis wenigen Wahlkampfveranstaltungen wurde nichts dem Zufall überlassen. Wenn er betont locker, stets eine Hand in der Hosentasche, über die Bühne schlendert, ist jede Bewegung geprobt. Nur selten tritt er ans Rednerpult, was signalisiert: Hier steht kein Langweiler wie die anderen Politiker, die ihre vorbereiteten Reden vom Blatt lesen. Viel-
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Zu Berlusconis Marketing-Methoden gehört die feudale Pose. Oben im „Spiegel" (vor seiner Villa San Martina in Arcore), unten in „Newsweek".
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mehr sehen wir einen Entertainer bei der Arbeit, der den Leuten etwas bietet für ihr Geld: die Form von Unterhaltung, die sie aus seinen Fernsehkanälen gewohnt sind; eine „gepflegte Erscheinung" im dunklen Anzug vor hellblauem Hintergrund mit feinen weißen Wölkchen. Die Show, auf Riesenbildschirm vergrößert und als Videokassette auch an kleineren Orten reproduzierbar, ist nicht das Ergebnis von Intuition, sondern von harter Arbeit. Dario Fo sieht in Berlusconi die „Verkörperung des Marketings": „Er verkauft sich selbst, sein politisches Image, wie einen Schmierkäse, wie eine Windel, wie Schinken oder Salami. Er hat eine Umfrage gemacht: Was wollen und brauchen die Italiener hier und heute? Also die wollen einen Mann wie den bekannten Richter Di Pietro (Ermittler in Korruptionsverfahren und Volksheld; Anm. J.R.), aber etwas eleganter, der wohlgepflegte Hände hat, dessen Krawatte gut sitzt, der die Familie hinter sich weiß, der Sicherheit ausstrahlt, der wohl situiert ist und nach frischer Wäsche riecht, nach gutem Parfüm, der eben geduscht hat: eine Glücksvorstellung."15
Wissenschaftliche Wahlkampfplanung
Ihren Anfang nahm Berlusconis Wahlkampagne bereits im Juni 1993 nach den Kommunalwahlen in Mailand, Turin und einer Reihe kleinerer Städte, bei denen vor allem die Lega Nord, aber auch vom PDS angeführte Linksbündnisse Triumphe feiern konnten. Für die Lega erschien im nationalen Rahmen die Verdopplung ihres Stimmenanteils des Jahres 1992 (8,7%) im Bereich des Möglichen; PDS und Rifondazione Comunista hatten sich vor allem in ihren mittelitalienischen Hochburgen gut behauptet und konnten bei den damals schon absehbaren Neuwahlen ebenfalls mit Zugewinnen rechnen.
Wegen dieser für ihn höchst unerfreulichen Aussichten versammelte Berlusconi im Juni 1993 einen Brain-Trust um sich, dem er folgende Aufgabe stellte: „Ich habe drei Intuitionen. Wenn wir das Parlament wählen, gewinnt der PDS. Ist ein alternatives Lager möglich? Finden wir neue Kandidaten? Schaffen wir es, dem jakobinischen Protest Ausdruck zu verleihen, jenseits
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von Lega und MSI?". So erzählt es Gianni Pilo, ein von den Medien so genannter „Magier der Statistiken"16 und Mitglied in Berlusconis Beraterstab. Das von Pilo und anderen Strategen angewandte Verfahren zur Wählerbeeinflussung könnte man für Scharlatanerie oder groben Unfug halten - wenn es nicht so auffallend gut funktioniert hätte: In acht „focus groups" wurde unter der Leitung eines Psychologen jeweils eine repräsentative Auswahl von Wahlberechtigten versammelt. Ohne den Zweck der Untersuchung bekanntzugeben, notierte der Leiter dann die „Stimmungen, Absichten und Wünsche der Anwesenden". Herausgekommen sei als Wunschbild „ein Italien, das Ehrlichkeit, Transparenz, Kompetenz und Kommunikationsfähigkeit" fordert - „das genaue Gegenteil dessen, wozu die Politiker imstande sind", so Angelo Codignoni, ein weiterer Beteiligter.
Die Methode der direkten Wählerbefragung ist im übrigen keine italienische Erfindung. Nicht erst seit Clintons Wahlsieg über Bush wird ihr von Experten eine entscheidende Bedeutung beigemessen. Schon im US-Präsidentschaftswahlkampf 1988 hatten die Kandidaten Bush und Dukakis ebenso wie ihre Stellvertreter Quayle und Bentsen ohne genaue Vorbereitung durch ihre angestellten Meinungsforscher keinen öffentlichen Auftritt gewagt. „Die Manuskripte für die Redebeiträge der Kandidaten sind, nach Vorgabe unendlich detaillierter Umfragen, maßgeschneidert auf die Besorgnisse und Erwartungen der Wähler, die Formulierungen in Focus-Gruppen durchgetestet und auf höchstmögliche Wirkung hin ausgefeilt", schrieb damals der Spiegel (Nr.41/1988).
Aus den italienischen „focus groups" ergaben sich insbesondere sehr konkrete Hinweise auf das, was Berlusconi schaden oder nützen könnte: Getrost ignoriert werden durften danach -weil es „die Leute nicht interessiert" - Vorwürfe wegen Berlusconis Kontakten zu Craxi und zur Mafia oder wegen seiner P2-Mitgliedschaft; ebenso die Kritik an seinem Medienmonopol; zu Mario Segni sei Distanz geboten, da der als „politischer Manipulator" betrachtet werde. Nützlich dagegen wäre der Kontakt zu einigen wenigen für glaubwürdig gehaltenen Journalisten: Gianfranco Funari, der sich von Berlusconi im Streit
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getrennt hatte, wurde wegen seiner besonders hohen „Glaubwürdigkeitswerte" umgehend wieder eingestellt.
Daß Berlusconi in einem Femseh-Interview mit dem CNN-Journalisten Wolfgang Achtner die Fassung verlor und zu schimpfen begann, hat ihm - entgegen dem Eindruck sämtlicher politischer Kommentatoren - nicht geschadet. Die Menschen in den „focus groups" fanden es normal, daß jemand, der von einem Interviewer bedrängt wird, „die Stimme erhebt".
Den Linken empfehlen die Wahlkampf-„Wissenschaftler" nicht weniger als einen Wandel ihrer Kultur: „Achille Occhetto ist belehrend, pädagogisch, er sollte sich den Film ,The Wall' von Pink Floyd (,Teacher, leave us kids alone!' Anm. J.R.) ansehen. Die Linke redet. Wir hören zu. - Sie breiten ihr Programm über den Kopf des Landes aus. Wir befragen die Leute, um zu erfahren, was sie im Kopf haben."17
Berlusconis Gegner, nicht nur auf der Linken, hätten ihn, so La Stampa (29.3.1994), nicht ernst genommen, ihn fälschlicherweise für ein Kunstprodukt aus „Fleisch und Plastik" gehalten, das „Liturgie und fiction" durcheinanderbringe - „als man merkte, daß diese Analyse nicht stimmte, war es zu spät."
6. Februar in Rom: Wahlkampferöffnung durch Forza Italia
Auf der Eröffnungsveranstaltung von Forza Italia, die am 6. Februar 1994 in Rom stattfand, suchte Berlusconi zunächst sein Image eines berechnenden, kühl kalkulierenden Unternehmers, für den der Einstieg in die Politik nur ein neues, überdimensionales Geschäft ist, zu revidieren:
„Während ich hierher kam, dachte ich, und ich denke es noch, daß da ein Verrückter unterwegs war, um sich mit anderen Verrückten zu treffen." In Anlehnung an das „Lob der Narrheit" („Laus stultitiae") des Erasmus von Rotterdam zitiert Berlusconi sich selbst. In einem Vorwort zu einer Neuausgabe dieses Buches hatte er, der Gebildete mit den weit über sein Geschäft hinausgehenden Interessen, geschrieben: „Die wichtigsten Entscheidungen, die weisesten Entscheidungen, die richtigsten Entscheidun-
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gen, die wahre Weisheit, entspringen nicht aus dem Verstand, nicht aus dem Gehirn, sondern aus einer weitsichtigen, visionären Verrücktheit."
Von Geschäftsinteressen keine Spur - die „Vision" war stärker als alle Rationalität! So weit zu hören war, sind seine Zuhörer an dieser Stelle nicht, wie eigentlich zu erwarten gewesen wäre, in schallendes Gelächter ausgebrochen. Sie haben sogar die folgende Passage ohne erkennbare Abwehrreaktion über sich ergehen lassen. In Gedanken an Erasmus und dessen wahre Weisheit habe ihn das Verantwortungsgefühl gepackt:
„In diesem Moment fühlte ich eine Verpflichtung, der nicht auszuweichen war, und ich habe schon gesagt - und dabei vielleicht übertrieben -, daß ich mich fühlte wie jemand, der aufbrechen muß, um eine schöne Reise zu machen, schöne Ferien, einen angenehmen Besuch, und der sich unversehens neben jemandem findet, dem er Hilfe leisten müßte; also -trotz der Ferien, der Reise, des Besuches - wäre es nicht möglich gewesen, den Kopf abzuwenden, weil es dafür eine eindeutige Bezeichnung gibt - vielleicht übertreibe ich, wenn ich es sage: unterlassene Hilfeleistung. Und deshalb sind wir hier: weil wir alle uns aufgerufen fühlen, unseren Egoismus hinter uns zu lassen, um alles in unser Macht stehende für unser Land zu tun."18
Wenn das Land in Gefahr sei, würden die Bürger zu den Waffen gerufen: Hier nennt Berlusconi den Feind nicht beim Namen, wohl aber die - so suggeriert er - bedrohten Freiheiten, zu deren Verteidigung er sich und seine Zuhörer berufen sieht: Gedankenfreiheit, Religionsfreiheit, Koalitionsfreiheit und - last but not least - die Freiheit, Geschäfte zu machen. Letztere müsse durch „eindeutige und für alle gleiche Normen" gesichert werden.
Daß es zwischen diesen schönen Idealen auch Unvereinbarkeiten geben kann, gesteht Berlusconi in einem besonders bemerkenswerten Satz zu: „Natürlich wollen wir ein Land mit weniger Korruption, aber wir wollen auch ein Italien, das mehr auf das Wohl der Bürger achtet..." Der durch das „aber" behauptete Gegensatz kann ohne Bosheit auch so umschrieben werden:
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Ein bißchen Korruption muß schon sein, wenn man erfolgreich für das Bürgerwohl arbeiten will! Berlusconis kurz nach seiner Amtseinführung gemachte Ankündigung, das Anti-Korruptions-Gesetz „vorübergehend" außer Kraft setzen zu wollen, beweist, daß er sich in seiner oben zitierten Rede nicht etwa mißverständlich ausgedrückt hat. „Es handelt sich um eine mutige Entscheidung, weil sie kleine und große Unternehmen, die stillstanden, wieder in Schwung bringen wird", erläuterte Berlusconis Kanzleichef (in der Funktion eines deutschen „Ministers im Kanzleramt") Gianni Letta den entsprechenden Kabinettsbeschluß.19 Der Mann weiß, wovon er spricht. Gegen ihn wird wegen der gefälschten Frequenzpläne und wegen illegaler Parteienfinanzierung ermittelt.
Das im zweiten Teil seiner Rede angekündigte „detaillierte Programm" von Forza Italia soll im folgenden Kapitel an einigen exemplarischen Fragen untersucht werden. Welchen „Anteil" dieses Programm an dem Erfolg von Forza Italia hatte, ist natürlich nicht in Prozentzahlen anzugeben. Kaum jemand wird es in Gänze gelesen haben, aber immerhin waren seine zentralen Punkte Gegenstand der Diskussion in den Medien.
Der Staat solle sich auf seine eigentlichen Aufgaben beschränken: Landesverteidigung, Polizei und Außenpolitik. Der Spitzensteuersatz müsse von 50% auf 30% gesenkt werden; dann würde die massive Steuerhinterziehung durch die Unternehmer sofort aufhören. Diese Behauptung ist nicht nur lächerlich, sondern auch durch die in Kapitel 2 genannten Zahlen widerlegt. Die weitaus meisten Selbständigen denken gar nicht daran, 30% Steuern zu zahlen, sondern deklarieren ihr Einkommen so weit herunter, daß jedem nicht gänzlich hartherzigen Arbeiter oder Angestellten die Tränen kommen müßten - wenn es da mit rechten Dingen zuginge.
Steuersenkung und Abbau der Staatsverschuldung würden Berlusconi zufolge gleichzeitig eine Beschäftigungsoffensive ermöglichen: Eine Million neue Arbeitsplätze verspricht Berlusconi innerhalb der nächsten zwei Jahre. Daß die angestrebte Privatisierung weiter Teile der Wirtschaft, auch des Gesundheitsund des Ausbildungswesens, die Zahl der Erwerbslosen nicht verringern, sondern vergrößern würde, dürfte auch den meisten
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Forza-Italia-WählerInnen klar gewesen sein. Ihre Hoffnung richtet sich daher weniger auf die Sanierung der gesamten italienischen Wirtschaft. Sie hoffen vielmehr, an dem Sieg des erfolgreichen Geschäftsmannes teilzuhaben - eine Hoffnung, die im Wahlkampf bewußt geschürt wurde. Gerüchte über Neuansiedlungen von Kaufhausfilialen machten die Runde - logischerweise würden Forza-Italia-Hochburgen dabei einen entscheidenden Standortvorteil bieten.
Der Klientelismus lebt auch nach dem Ende der von der Democrazia Cristiana dominierten „partitocrazia" weiter wie bisher, wenn auch die Zahl der Begünstigten vermutlich noch kleiner werden wird. Daß die Sieger, allen voran Berlusconi, ihren Wahlsieg versilbern wollen, wird als selbstverständlich hingenommen. Zuweilen sprechen sie es auch ganz offen aus. Eugenio Scalfari, Herausgeber der Tageszeitung La Repubblica und so etwas wie eine demokratische Institution, zitiert einen Repräsentanten von Forza Italia, der vor laufender Kamera das Problem der Verquickung von Politik „zum Wohle des Landes" und Berlusconis privaten Geschäftsinteressen für nicht existent erklärte: „Die Wähler wußten sehr gut, daß Berlusconi Träger großer persönlicher Interessen ist. Wenn sie trotzdem so zahlreich für ihn gestimmt haben, zeigt das, daß sie diesem Umstand keinerlei Gewicht beimessen."
Das sei eine ebenso wahre wie schreckliche Antwort, schreibt Scalfari. Sie ist sicherlich ehrlicher als die gleichzeitig gehaltenen Reden von der Pflicht gegenüber dem Staat und dem Gemeinsinn. Ob man dessen Fehlen beklagen will, wie Scalfari das tut, oder nicht: Das Bild, das er vom „neuen Italien" der zweiten Republik zeichnet, gleicht dem der ersten: „Herausgekommen ist ein mit der Tradition konformes Bild des Landes, wo der Staat nicht existiert und die Institutionen dazu dienen, Macht und Einfluß dessen zu mehren, der sie erobert, seiner Verbündeten, seiner Getreuen, seiner Klienten."20
Die naheliegende und vielfach dargebotene Erklärung, Berlusconis Erfolg beruhe auf der Täuschung und Manipulation der Öffentlichkeit via Fernsehen, greift also eindeutig zu kurz. Die Redensart von der „videocrazia", durch welche die jahrzehntelang bestimmende „partitocrazia" abgelöst worden sei, verzerrt
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das Bild. Das „Medium" hat nicht die „Message" ersetzt, sondern nur optimal unter die Leute gebracht. Und Berlusconi hat seine Pläne nicht versteckt, sondern offen ausgesprochen. Das hat ihm zumindest nicht geschadet.
Forza Milan - Forza Italia
Ein besonderer Erfolgsgarant war die Verwendung des Namens „Forza Italia" („Vorwärts Italien"). Dieser Slogan ist zwar nicht neu: Schon 1983 war die Democrazia Cristiana damit in den Wahlkampf gezogen und hatte mehr als 5% Stimmenanteile verloren. Ihr Kalkül, mit einem Schlachtruf der Fußballfans die Begeisterung über den italienischen WM-Sieg von 1982 für sich zu instrumentalisieren, konnte nicht aufgehen. Ihre ältlichen und sichtbar unsportlichen Exponenten Andreotti, Fanfani, Cossiga oder Forlani stachen von den Fußballhelden Rossi, Altobelli und Zoff allzu stark ab. Wichtiger noch: die christdemokratische Partei, von damals schon fast 40 Jahren an der Regierung schwer gezeichnet, hatte keinerlei Ähnlichkeit mit der Mannschaft der Azzurri, die als Außenseiter gestartet war und nacheinander die Kicker aus Brasilien, Argentinien, Polen und der BRD an die Wand gespielt hatte.
Bei Berlusconi lagen die Dinge völlig anders. Daß er sich selbst durch tägliches Jogging und Hanteltraining fit hält, ist dabei eher zu vernachlässigen. Seit er 1985/86 die Aktienmehrheit beim Traditionsclub AC Milan erworben hatte, galt er auch im Sport als Erfolgsmensch. Am 17 April 1994, drei Wochen nach dem Wahlsieg von Forza Italia, holte Milan den dritten Meistertitel in Folge. Trainer Fabio Capello wußte, was von ihm erwartet wurde, und widmete diesen Erfolg Silvio Berlusconi, „der uns immer nah war". Generaldirektor Adriano Galliani kündigte sogleich eine breite „Resistenza" gegen etwaige Rückzugspläne des durch sein politisches Amt belasteten Präsidenten an. Auch die Spieler stimmten in die Lobeshymnen mit ein. Marco van Basten freute sich zwar über die Rückkehr des 1993 im Streit geschiedenen Ruud Gullit, warnte aber eindringlich vor einer Schwächung des Unternehmens durch Berlusconis Ausstieg.21
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Auch Ruud Gullit, zum AC Milan zurückgekehrter Topspieler, hilft indirekt mit, Berlusconis Ruhm zu mehren. Ergebenheitsadressen an den Chef, wie sie von seinem Stürmerkollegen van Basten zu hören sind, sind von ihm allerdings bislang nicht bekannt.
Bei diesen Sympathieerklärungen handelt es sich zweifellos nicht allein um Artigkeiten gegenüber dem eitlen Chef. Berlusconi hat nicht nur durch die Investition enormer Summen die besten Spieler Europas zusammengekauft, sondern die Firma AC Milan auch nach seiner „Unternehmensphilosophie" ausgerichtet. Der von ihm persönlich ausgesuchte Trainer Fabio Capello, früher Nationalspieler, war zunächst Manager der Fininvest und u.a. als Generaldirektor der firmeneigenen Sportunternehmen tätig. Das unter seinem Vorgänger, dem heutigen Nationaltrainer Arrigo Sacchi, eröffnete „Laboratorium des modernen Fußballs" (Berlusconi) wurde von ihm perfektioniert. Von seinen Spielern verlangt er „liberales Denken" und die Bereitschaft, Verantwortung zu übernehmen. Die einzelnen Mannschaftsteile arbeiten analog den Abteilungen in Berlusconis übrigen Unternehmen: Die Stürmer sind die „Männer vom Marketing - die müssen die Show verkaufen"; Abwehrspieler dagegen sind „Buchhalter, die müssen sehen, daß wir nicht zu sehr im Soll sind"; den Mittelfeldspielern, die das Spiel dirigieren, falle dagegen die Aufgabe von „Managern" zu. Der Spiegel (Nr. 7/1993), der diese eindrucksvollen Capelli-Aussprüche zusammengetragen hat, irrt allerdings in der Schlußfolgerung, Berlusconi würde mit der Ausrichtung des AC Milan zu einem „seelenlosen, aber überaus effizienten Dienstleistungsprinzip" bewußt
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auf „Bürgernähe" („für den Macher des AC Mailand ein Wert von gestern") verzichten.
Nach seiner Wahl zum Präsidenten des AC Milan im März 1986 präsentiert er dem Volk im Juli seine Mannschaft für die kommende Saison - ein gewaltiges, nie dagewesenes Spektakel für 10.000 Fans der „Rossoneri" (die Vereinsfarben sind schwarz und rot): Im Stadion landen drei gemietete Hubschrauber, denen unter dem Jubel der Menge die Spieler und das Leitungspersonal des Vereins entsteigen. Die Konkurrenz rümpft die Nase und macht Witze über die Hollywood-würdige Show. Aber die Tifosi sind begeistert. Mit einer Werbekampagne in den hauseigenen Fernsehprogrammen gelingt es, die Zahl der Dauerkartenbesitzer auf Rekordhöhe zu bringen. Seit dem Erwerb des AC Milan sei die Fininvest, so der Präsident wörtlich, „wie ein Eisberg: Der unsichtbare Teil ist der Rest der Aktivitäten, was vor den Augen glänzt, ist Milan."22 Und wenn der Club mal nicht glänzt, sondern seine Führung krimineller Machenschaften verdächtigt wird, hat Berlusconi natürlich von nichts gewußt: Beim Kauf des Spielers Gianluigi Lentini vom AC Turin im Sommer 1992 hat dessen Präsident Gian Mauro Borsano, ein sozialistischer Abgeordneter und Craxi-Freund, über eine Tessiner Briefkastenfirma acht Millionen Schweizer Franken zugeschoben bekommen, natürlich unversteuert. Während Borsano später gestand, will der nichtsahnende Milan-Präsident „aus allen Wolken gefallen" sein.
Berlusconi hat frühzeitig erkannt, welche enorme Popularität sich bei einem Volk von „Fußball-Verrückten" mit Siegen auf dem grünen Rasen begründen läßt. Die von ihm selbst erzählte Anekdote strotzt zwar vor Selbstgefälligkeit, dürfte aber dennoch nicht völlig ohne wahren Kern sein:
„Es gibt unter den Fans eine beeindruckende Solidarität. Zum Beispiel wenn ich nach Rom fahre und dort in ein Ministerium oder den Palazzo Chigi (den Sitz des Ministerpräsidenten; Anm. J.R.) gehe, sehen die Leute, die Amtsdiener, die Funktionäre, die Angestellten weder Craxi noch Forlani noch Andreotti, sie sehen nur mich. Nur ich werde 'Herr Präsident' gerufen. Und alle sagen: 'Bitte, Herr Präsident', 'Kommen Sie,
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Herr Präsident', 'Möchten sie einen Kaffee, Herr Präsident', 'Brauchen sie etwas, Herr Präsident?', 'Zu Ihrer Verfügung, Herr Präsident'. Sie sind voller Zuvorkommenheit mir gegenüber. Sie halten die Aufzüge an, um mich nicht warten zu lassen. Die Polizisten stoppen den Verkehr. Die Amtsdiener laufen mir entgegen. Es ist einfach peinlich. Es ist nicht die Ehrfurcht vor der wichtigen Persönlichkeit oder dem 'Fernsehkönig' oder demjenigen, den die amerikanische Zeitschrift 'Fortune' als 'reichsten Italiener' bezeichnet. Nein. Es ist hauptsächlich und vor allem anderen eine Solidarität unter Fans. Wenn sie mich 'Präsident' nennen, beziehen sie sich allein auf den 'Präsidenten von Milan'. E basta."23
Diese Geschichte verrät zwar einiges über den Geisteszustand des Emporkömmlings Berlusconi, der es „zum Sterben schön" findet, populär zu sein und geliebt zu werden. Bei allen Übertreibungen gibt sie aber auch Aufschluß über die Verbundenheit der Italienerinnen mit „ihrem" Verein, der Anhänger, Fanclubs und Büros im ganzen Land unterhält. Hier hat der AC Milan in den vergangenen erfolgreichen Jahren gegenüber Juventus Turin Boden gut gemacht, dessen Mannschaft in den achtziger Jahren weitgehend identisch mit der italienischen Nationalelf war und selbst in entlegenen Orten Siziliens Fanlokale hat. Insgesamt könnte die Identifikation mit dem - erfolgreichen - Verein in dem gleichen Maße zunehmen, wie die Bindung an die aus Familientradition gewählte Partei abgenommen hat. Daß „Parteienverdrossenheit" die Hinwendung zu Leitfiguren außerhalb der Politik fördert, ist eine durchaus naheliegende Vermutung. Bisher haben Milans beispiellose Erfolge Berlusconis Image optimal gestützt. Das Attribut, als Unternehmer „fuoriclasse" (Extraklasse) zu sein, hat er denn auch mit den teuersten der von ihm gekauften Fußballstars gemeinsam. Zur gleichen Zeit, als der Senat dem Ministerpräsidenten Berlusconi mit hauchdünner Mehrheit das Vertrauen aussprach, deklassierte der AC Milan in Athen den FC Barcelona mit 4:0 im Europapokalfinale der Landesmeister. Zwei voneinander völlig unabhängige Ereignisse, die aber von den Medien gezielt in Beziehung gesetzt wurden: Was Berlusconi anpackt, gelingt ihm auch - zumindest gegen-
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wärtig. Die PDS-Zeitung L'Unità verarbeitete den doppelten Schock auf ihre Weise - und wurde dafür anti-italienischer Gefühle verdächtigt: Sie verbannte die Nachricht vom grandiosen Sieg des AC Milan von der Titelseite in den Sportteil.
Im Nachhinein betrachtet, mag Berlusconis Engagement bei Milan als Teil eines langfristig angelegten Planes erscheinen. In Wirklichkeit bedeutet dieses Engagement ein Abweichen von seinen üblichen Geschäftsprinzipien, nach denen - durch entsprechende Rückversicherungen und Absprachen mit den Mächtigen - das Risiko stets so gering wie möglich zu halten ist. Daß sportlicher Erfolg, insbesondere im Fußball, auch durch noch so viele Lira-Milliarden nicht zu kaufen ist, muß Berlusconi klar gewesen sein. Sein späteres Eingeständnis, er habe vor diesem Schritt Angst gehabt, ist so gesehen durchaus glaubwürdig.
Die Bereitschaft zum unternehmerischen Risiko (in diesem Falle ohne Anführungszeichen zu schreiben) hat sich für Berlusconi mehr als bezahlt gemacht. Hinter der unglaublichen Bilanz des AC Milan unter Fabio Capello sieht der Corriere della sera „die Planung des Unmöglichen": „Drei Meistertitel in Folge, 57 Spiele in Folge ohne Niederlage, 929 Minuten ohne Gegentor, nur vier Niederlagen" - Capello ist der einzige Trainer in der Geschichte des italienischen Fußballs, der drei Meisterschaften in Folge gewann. Dennoch fiel der Hauptteil des Ruhms auf Berlusconi, in der Stunde des Triumphs, obwohl gar nicht persönlich anwesend, „mehr denn je Hauptdarsteller"!24
Unmittelbar nach dem Europapokaltriumph nutzten Milans Spitzenangestellte Galliani und Capello die Gunst der Stunde für politische Propaganda. Capello: „Dies ist vor allem der Sieg des Präsidenten." Wie das? Antwort Capello: „Wenn diese Mannschaft etwas Unwiederholbares geworden ist, verdankt sie es seiner Siegermentalität." Angefangen habe alles 1987, als Berlusconi als Ziel vorgab, Milan zur besten Mannschaft der Welt zu machen. Capello: „Wir haben an seine Entscheidungen geglaubt und an die Männer, die er wollte. Er hat sich nie geirrt, entgegen der Meinung aller ist er in die Politik gegangen und hat gewonnen." Galliani schlug noch einen größeren Bogen: „Er war immer schneller als die anderen. Als die anderen Häuser bauten,
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konstruierte er Städte, er erfand ein nationales Fernsehen, als die anderen sich mit kleinen Sendern befaßten. Er ist in die Politik gegangen und nach zwei Monaten ist er Ministerpräsident: Wir haben das Glück, in Kontakt mit diesem außergewöhnlichen Mann zu leben."25
So wird „Sportpolitik" gemacht! Dagegen ist das jahrelang obligatorische Elfmeterschießen mit Helmut Kohl im Trainingslager der deutschen Nationalmannschaft nur eine peinliche Veranstaltung. Auch Kohls demonstrative Präsenz bei der Weltmeisterschaft in den USA brachte nicht den erhofften Erfolg - weil die bundesdeutschen Kicker schmählich versagten. Berlusconi dagegen hatte es gar nicht nötig, nach Übersee zu jetten. Vor dem drohenden Ausscheiden der italienischen Mannschaft schon in der Vorrunde übermittelte er seine Botschaft via Medien: „Siegt oder bleibt drüben!" Von der mit viel Glück errungenen Vize-Weltmeisterschaft hat er dann letztlich doch nicht profitiert. Der zweite Platz der italienischen Mannschaft wurde von den Tifosi zwar bejubelt. Er konnte aber nicht den nationalistischen Taumel auslösen, den Berlusconi gerade so dringend brauchte, um sein zugunsten der Korruptionsverdächtigen erlassenes Anti-U-Haft-Dekret (vgl. nächstes Kapitel) ohne großes Aufsehen unter Dach und Fach zu bringen.
In Kenntnis der Formel - Milan ist gleich Berlusconi - konnte Berlusconis politischer Brain-Trust gar keinen anderen Parteinamen wählen als Forza Italia; mußte er die Verwendung fußballerischer Metaphorik bei jeder sich bietenden Gelegenheit dringend anraten. „Scendo in campo" („ich steige aufs Spielfeld hinab"), sagte Berlusconi in seiner Erklärung vom 26. Januar 1994: Der Joker wechselt sich selbst ein, da seine Mannschaft das Spiel zu verlieren droht. Auch diese Bildersprache ist keine eigene Erfindung. Paolo De Lalla Millul erinnert an die „angelsächsische und 'spielerische' Art, Politik als 'Match' zu konzipieren, oder, wenn man will, als Wettbewerb von 'Mannschaften'." Das sei, spricht der Philosoph, vermutlich noch wirkungsvoller als das von Berlusconi ebenfalls systematisch benutzte Konzept des „Unternehmens" Italien.26
Die Identifizierung Berlusconis mit den Erfolgen des AC Milan - und darüber auch mit denen der italienischen National-
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mannschaft, in deren WM-Aufgebot 1994 sieben Milan-Stars standen - ist auch wegen einer Besonderheit der italienischen Presselandschaft von großer Bedeutung. Anders als in Deutschland und Großbritannien, wo Hetzblätter wie Bild oder Sun tagtäglich den Massen die rechte Richtung weisen, existieren in Italien keine „Boulevardblätter" vergleichbarer Machart - wohl aber drei Sport-Tageszeitungen mit beträchtlicher Auflage.
Pleiten, Pannen, Widersacher
Vom Ergebnis her betrachtet könnte Berlusconis Kampagne allzu glatt erscheinen. Tatsächlich hat es seit November 1993 auch offenen Widerstand und lautstarke Proteste gegen Berlusconi gegeben. Nicht zuletzt im eigenen Hause: Für einen halben Tag streikten die Journalisten des Mondadori-Verlages; der zweitägige Streik der Panorama-Redaktion führte dazu, daß eine Ausgabe des Wochenmagazins nicht fertiggestellt werden konnte. Giuliano Ferrara, Fernsehjournalist und in Berlusconis Regierung Minister für die Beziehungen zum Parlament, betätigte sich dagegen als Stimme seines Herrn: „In den Streik zu treten, um dem eigenen Verleger zu verbieten, seinen Beruf auszuüben, ist ein Attentat auf die Pressefreiheit und eine flagrante Verletzung der Berufsregeln."27
Seine prominentesten Angestellten wußte Berlusconi schnell zu beruhigen. Der beliebte Talkmaster Maurizio Costanzo, der auf politischer Unabhängigkeit bestanden hatte, erklärte sich mit einer entsprechenden Garantieerklärung Berlusconis zufrieden; Costanzo hatte sich in der Frage der römischen Bürgermeisterwahl auf die Seite des Grünen Francesco Rutelli gestellt. Auf vorsichtige Distanz ging auch Berlusconis Freund Marco Pannella, früher die „charismatische" Führungspersönlichkeit der Radikalen. „Lieber Silvio, mit Fini hast Du einen Fehler gemacht. Denk noch mal drüber nach", schrieb er in einem offenen Brief28, in dem er gleichzeitig das Recht des „Bürgers Berlusconi" verteidigte, Politik zu machen. Die Verstimmung war denn auch nur von kurzer Dauer. Nach dem Wahlsieg von Forza Italia wurde Pannella ernsthaft als künftiger Außenminister
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gehandelt; er scheiterte u.a. am Einspruch der Neofaschisten.
Sehr viel eindeutiger war die Ablehnung von Seiten der Konkurrenz. Auf dem Titelbild des Wochenmagazins L'Espresso erschien eine Fotomontage mit Berlusconi in Faschistenuniform. Intimfeind Luciano Benetton widersprach nicht nur Berlusconis Eintreten für Fini, sondern auch seiner dem zugrundeliegenden Analyse: „Von einem Anwachsen des fortschrittlichen Lagers ist nichts zu befürchten. Was die Unternehmer angeht, so sehe ich nicht, warum nicht auch sie Fortschrittliche sein können."29
Der berühmte Kolumnist Giorgio Bocca, ein ehemaliger Partisan, der zeitweilig Sympathien für die Lega Nord hegte, zog schon Ende November 1993 eine Bilanz von Berlusconis politischem Abenteuer: „Selbst ein Kind begreift, daß diese politische Entscheidung den Unternehmen der Fininvest nur schaden kann." Berlusconis „selbstverstümmelnde Entscheidung" für den Eintritt in die Politik erinnere an den späten Craxi - „eine Mischung aus Obsession und Dickköpfigkeit, worauf nur die Sklaven und die Höflinge hören..."30
Nach Berlusconis Rückzugserklärung vor der internationalen Presse schien das Unternehmen Forza Italia beendet, bevor es richtig angefangen hatte. Welch ein Irrtum!
Den Garantieerklärungen, mit denen Berlusconi seinen Redakteuren und Fernsehleuten unabhängiges Arbeiten zusicherte, folgte der Versuch, den gesamten von der Fininvest kontrollierten Medienapparat gleichzuschalten. Die Mitarbeiter der in Finanznöte geratenen Tageszeitung Il Giornale wurden von Berlusconi persönlich unter Druck gesetzt. Auf einer Redaktionskonferenz Anfang Januar 1994 lockte er mit neuen Geldern -vorausgesetzt, die Redaktion stelle sich ganz in den Dienst seiner Bewegung. Indro Montanelli, der Gründer und damals 84jäh-rige Herausgeber des Blattes, legte daraufhin sein Amt nieder. Noch im November 1993 hatte Montanelli Berlusconi attestiert, er habe sich nie in redaktionelle Angelegenheiten eingemischt. Der „große Alte" des italienischen Journalismus, von Berlusconi zum „besten Journalisten Italiens" erklärt, zog damit den Schlußstrich unter eine jahrelange Zusammenarbeit mit Berlusconi. Der Konservative, der in seiner Jugend Faschist gewesen war,
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hatte 1976 die denkwürdige Wahlempfehlung geprägt: „Nase zuhalten, DC wählen!" Seit Januar ist Montanelli Chefredakteur der neugegründeten Tageszeitung La Voce.
Als am 11. Februar 1994 Berlusconis Bruder Paolo wegen Korruptionsverdachts verhaftet wurde, war das ein weiterer Rückschlag, der von einigen Kommentatoren für wahlentscheidend gehalten wurde. Giuseppe Clerici, der Direktor der Cariplo-Bank, hatte vor Gericht geschworen, Paolo Berlusconi sei mit einem Koffer voll Bestechungsgeldern für Bauaufträge, umgerechnet 1,1 Mio. DM, in seinem Büro aufgetaucht. Daß der große Bruder von diesen Geschäften nichts gewußt haben soll, erschien ausgeschlossen. Paolo ist nicht nur Silvios Verwandter, sondern auch sein Geschäftspartner: Ihm hat er die Zeitung Il Giornale überlassen. Nach einigen Tagen war Paolo wieder frei, und die Aufregung legte sich. Auch eine Durchsuchungsaktion in der Parteizentrale von Forza Italia, wenige Tage vor der Parlamentswahl, überstand Berlusconi ohne Schaden. Sie gab ihm gar noch Gelegenheit zu hemmungslosen Tiraden über Polizeistaatsmethoden und die unfaire Behandlung eines Newcomers durch die Kräfte des alten Systems.
Aufzuhalten war Forza Italia zu diesem Zeitpunkt so oder so nicht mehr. Insbesondere die ehemaligen Wählerinnen und Wähler von DC und PSI, die mehr als die Hälfte der Anhängerschaft von Forza Italia stellten, wollten den „neuen" Mann an der Regierung sehen. Obwohl in den letzten vier Wochen vor den Parlamentswahlen die Veröffentlichung von Umfrageergebnissen zum Wahlverhalten verboten ist, war die Sache lange vor Schließung der Wahllokale gelaufen. Nicht nur die Börsianer wußten Bescheid und kauften, was der Markt hergab: Sieg der Rechten, die Linke geschlagen, die Mitte zerrieben.
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DAS MODELL
BERLUSCONI ALS VORBILD FÜR »FORZA GERMANIA«?
Als Indro Montanelli Anfang 1994 die Tageszeitung II Giornale, die Berlusconi zum Zentralorgan seiner Wahlkampagne machte, verließ, verabschiedete er sich mit einem wenig schmeichelhaften Urteil über die charakterlichen Eigenschaften seines langjährigen Chefs: „Er hält sich für eine Kreuzung aus Churchill und De Gaulle, und er glaubt das wirklich."1
Silvio Berlusconi hat aber auch noch lebende Vorbilder, die bis vor wenigen Jahren im Zentrum der Weltpolitik agierten -allen anderen voran Margaret Thatcher und Ronald Reagan. Von letzterem übernahm er neben der wissenschaftlichen Planung seiner Kampagne (vergleiche voriges Kapitel) vor allem die präzise einstudierte und effektvolle Darbietung der Politik nach außen. Reagan war für seine Zeit sicherlich „der Idealtyp des Fernsehzeitalters: Er agiert(e) kinogerecht" und getreu der Erkenntnis, „daß die Politik im Zeitalter der Massenmedien nicht das Denken, sondern die Emotionen der Millionen Fernsehzuschauer ansprechen muß".2
An der optimalen Fernsehwirkung des Präsidenten arbeitete ein ganzer Stab von Experten, deren Tätigkeit mit dem Sammelbegriff „Berater" eher abgewertet wird. „Wir wollten die weitestgehende Kontrolle über das, was die Leute sahen", bekannte PR-Manager David Gergen, „wir hatten ein Drehbuch, in dem im voraus alles genauestens festgelegt war. Das wichtigste am Parteitag war unserer Meinung nach die Show." Bei Ansprachen aus dem Weißen Haus wurde Reagan mit dem Rücken zum Fenster gesetzt; eine teure Beleuchtungsanlage erhellte das Arbeitszimmer von außen und setzte ihn optimal in Szene: „Natürliches Licht und der grüne Garten oder im Winter der
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Schneesturm ließen den Präsidenten zehn Jahre jünger erscheinen," fanden die PR-Leute, die sich ganz offen dazu bekannten, „die öffentliche Meinung durch Marktstrategien zu formen." So wie Berlusconi mit seinen Wahlspots, wie Dario Fo sagt, genausogut „Windeln, Käse oder Salami" verkaufen könnte, versuchten Reagans Strategen, die Erkenntnisse optimaler Windel-, Käse- und Salamiwerbung auf die Politik anzuwenden: „Viele unserer kleinen Schauspiele, viele Auftritte des Präsidenten haben eine Beziehung zur Werbung."3 Funktionieren konnte die „Video-Präsidentschaft" vermutlich nur, weil Reagan keinerlei Ambitionen hatte, „Politik zu gestalten". Dafür waren andere zuständig.
Im Unterschied zum „großen Kommunikator" Reagan ist Berlusconi kein reiner Präsidentendarsteller. Einstweilen scheint er seinem Job geistig gewachsen; obwohl ihm ein vielköpfiger Beraterstab zur Seite steht, nimmt er selbst massiv -und offensichtlich mehr als jede andere Einzelperson - Einfluß auf die von ihm vertretene Politik. Reagan dagegen verbrachte halbe Tage damit, die Kernaussagen „seiner" Politik auswendig zu lernen. Am Ende seiner zweiten Amtszeit war er erkennbar verbraucht. Sein „kinogerechtes" Agieren bekam komische bis peinliche Züge, wenn er auf Auslandsreisen die von ihm besuchten Länder durcheinander brachte. Vermutlich dürfen Politiker dieses Zuschnitts, um nicht zur eigenen Karikatur zu werden, auf keinen Fall die Altersgrenze überschreiten.
Das Programm: Thatcherismus in den Neunzigern
Während Berlusconi sich in der Kunst der Politikdarbietung an den Erfahrungen aus „Hollywood-Ost" (Scherzwort für das Washington der Reagan-Ära) orientiert, greift er programmatisch auf „Bewährtes" made in Britain zurück. Wegen seiner Anleihen bei Denken und Handeln der „Eisernen Lady" verlieh ihm La Repubblica den nicht allzu schmeichelhaften Titel „Mr. Thatcher".
Obwohl das Programm von Forza Italia also keineswegs originell ist, verdient es Beachtung. Das dünne Heftchen im Taschen-
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kalenderformat, auch inhaltlich mehr als dürftig, könnte Nachahmer auch außerhalb Italiens finden. Ohne lange Herleitungen kommt es zur Sache. Einem kurzen Geleitwort des Führers (über die „Probleme, die uns alle angehen" und die den altmodischen Ideen der Linken entgegengesetzte „Zukunftsvision") folgt die Präambel „Fünf Ziele für 45 Vorschläge"; der Rest ist alphabetisch geordnet von „1. Agricoltura" (Landwirtschaft) bis „45. Volontariato" (freiwilliger Dienst). Das spart Zeit: Der Erwerbslose schlägt gezielt nach unter „Occupazione" (Beschäftigung), die Rentnerin unter „Anziani" (Alte) oder „Pensioni" (Renten) - wer liest schon Parteiprogramme von vorn bis hinten? Besonders benutzerfreundlich ist auch die Zweiteilung der einzelnen Abschnitte in die Beschreibung des Problems („il problema") und die Auflistung von Maßnahmen und Forderungen („le proposte"): Die Situationsbeschreibung kann mühelos übersprungen werden.
Die Programme der beiden großen deutschen „Volksparteien" strahlen hier einerseits erheblich mehr „Seriosität" aus; andererseits schrecken sie auch den gutwilligsten Leser durch ausgedehnte Präliminarien ab. Das SPD-Programm (beschlossen im Dezember 1989) stellt den politischen Einzelthemen sieben Seiten über „Grunderfahrungen und Grundwerte", „unsere geschichtlichen Wurzeln", „unser Bild vom Menschen", „unser Verständnis von Politik" voran. Das Programm der CDU (von Februar 1994) verfährt ähnlich. Zusätzlich wird die Lektüre durch allzu wuchtige Stichworte am Rand erschwert: „Politik aus christlicher Verantwortung", „Bewahren und Erneuern", „Verantwortung vor Gott", „Irrtum und Schuld", „Bewahrung der Schöpfung" oder „Grundwerte im Spannungsverhältnis" lassen die CDU als Weltanschauungspartei erscheinen, die philosophisches Grübeln vor pragmatische Problemlösung setzt.
Das Programm von Forza Italia kommt dagegen mit fünf kurz umrissenen übergeordneten Zielen aus: „Freiheit der Bürger", „Freiheit im Staat", „effektive Solidarität", „wirtschaftliche Entwicklung" und - mehr ein Arbeitstitel - „Italien und Europa". Daß Freiheit an erster Stelle Freiheit des Unternehmers bedeutet, wird auch hier - wie in Berlusconis Reden - ohne jede Scheu ausgesprochen. „Wir wollen ein blühendes Italien in Freiheit,
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wo der größtmögliche Teil der Entscheidungen der Wahl der Einzelnen, der Familien und der Betriebe, anvertraut wird." So lautet der erste Satz, dem drei Zeilen weiter eine Definition von „Freiheit" folgt, die wirklich jedes Mißverständnis ausschließt: „Ein Italien, in dem alle frei sind, produktive und kommerzielle Aktivitäten zu beginnen, befreit von den bürokratischen Fesseln und den unzähligen Hindernissen, die heute die Schaffung von Reichtum verbieten."
Die größtmögliche Bereicherung des Unternehmers erfordert die Beschränkung der Steuern und Abgaben auf das, was „für die großen nationalen Ziele absolut notwendig" ist. Die im sozialen Bereich ausgegebenen „astronomischen Summen" sollen drastisch reduziert werden - „durch Mechanismen von Konkurrenz und Markt". Die „authentische" bzw. „effektive Solidarität", die das Programm proklamiert, wird dann allein den „weniger erfolgreichen und hilfsbedürftigen Mitbürgern" zugute kommen. Niemand soll verhungern im neuen „glücklichen Italien" - für alles weitere hat er/sie selbst zu sorgen.
Die „großen nationalen Ziele" bleiben einstweilen vage. Italien soll wieder „Protagonist der Geschichte Europas" werden; die Außenpolitik dürfe nicht länger von „Improvisation" gekennzeichnet sein, sondern müsse von einer „korrekten Definition der nationalen Interessen" geleitet werden. Worin die bestehen, wird unter dem Stichwort „Außenpolitik" allenfalls angedeutet. Das Ende des Bipolarismus habe „die möglichen Aktionsfelder" der italienischen Außenpolitik erweitert: Allerdings müsse die nun wieder mögliche „autonome Außenpolitik" mit der UNO, der NATO und den europäischen Partnern abgestimmt werden - aus diesen Allgemeinplätzen lassen sich außenpolitische Abenteuer, etwa eine Bedrohung der östlichen Nachbarn Slowenien und Kroatien, schwerlich ableiten. Auch nicht aus dem ebenso unkonkreten Abschnitt „15. Europa". Dort wird mit Bedauern konstatiert, „daß Italien, abgesehen von sehr seltenen Ausnahmen, keine Protagonistenrolle in der Struktur und dem Leben der Gemeinschaft gespielt zu haben scheint". Italienische „Größe" hat Forza Italia nicht im Angebot - wenn man von den allgemeinen Floskeln absieht. Wichtiger schien es den Programmschreibern, dem italienischen Nachholbedarf in
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Sachen „Europa" durch handfeste Dienstleistungen Rechnung zu tragen: „Führungskräfte, Bürokratie, Unternehmer" sollen durch ein nationales Programm auf die „Herausforderungen der europäischen Gesetzgebung" vorbereitet werden; die „Verbraucher" werden auf die vielfältigen Möglichkeiten hingewiesen, die Fonds der EU anzuzapfen. Auch die Betonung des „Subsidiaritätsprinzips" - Entscheidungen sollen „so bürgernah wie möglich" gefällt werden - dient weniger der Ankündigung italienischer Sonderwege als der Beruhigung derer, die durch die europäische Einigung verunsichert sind.
Die übrigen 43 Stichworte, die der italienischen Innenpolitik gewidmet sind, bieten Variationen eines einzigen Leitgedankens: Das freie Unternehmertum muß auf alle nur erdenkliche Weise gefördert werden, damit es seinem ureigensten Ziel, der „Schaffung von Reichtum", gerecht werden kann. Diese in der Einleitung verwendete Formulierung (im Original „la creazione di richezza") taucht im Programm kein zweites Mal auf. Sie ist als selbstverständlicher Zweck der Wirtschaft (und der ihr dienenden Politik) eingeführt. Über die Verteilung des Reichtums wird nicht ein Wort verloren; hier und da - und immer in Zusammenhang mit dem, was die großen Parteien in Deutschland „Sozialmißbrauch" nennen - wird beteuert, daß den „wirklich Bedürftigen" geholfen werden müsse. Die immer wiederkehrenden positiven Standardformeln sind Privatisierung, Wettbewerb, Konkurrenz, Markt, Steuersenkung und Steuererleichterung, Flexibilität, Mobilität, Entwicklung etc. Dagegen stehen als zu überwindende Übel: Bürokratie, Korruption, (Effizienz-) Krise, Staat, Gesetzeshindernisse. Verursacher und Profiteure dieser Mißstände sind nicht etwa die Linken, sondern ganz allgemein der Staat oder auch „die Politiker". (Die Kommunisten, deren sozialdemokratische Nachfolgepartei PDS der Hauptfeind von Forza Italia ist, kommen in dem gesamten Programm nur als Nutznießer von Geldzuwendungen „aus dem Osten" vor.)
Die Konfrontation mit „dem Staat", die Forza Italia dem Publikum vorspielt, die furchtlose Herausforderung der zahlreichen und mächtigen Kräfte des „alten Regimes", ist zumindest auf dem Papier des Wahlprogramms schon glorreich bestanden. Denn was ist die „Ursache aller sozialen und wirtschaftlichen
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Probleme des Landes"? Natürlich das „explosive Anwachsen der öffentlichen Ausgaben". Das Gegenmittel? „Eine drastische Senkung der öffentlichen Ausgaben, die -jenseits von Proklamationen und nutzlosen Illusionen - eine effektive Wiederaufnahme der privaten Investitionen als der einzigen Garantie für den wirtschaftlichen Aufschwung des Landes erlaubt."
So banal das klingt - die Programmschreiber haben diesen Wunderglauben ausnahmslos auf alle politischen Einzelfragen angewandt und schreiten forsch von einer Privatisierung zur nächsten, senken die Steuern oder verteilen Prämien, vereinfachen Gesetze und verkleinern die bürokratischen Apparate. Wesentliche Etappen der berlusconianischen Gegenrevolution, die - falls sie gelingt - zu den opferreichsten der Gegenwart gehören dürfte:
► Gegen die „Effizienzkrise der öffentlichen Versorgungsbetriebe" (beispielhaft genannt werden Stadtreinigungen und Gesundheitsdienste) hilft nur die Privatisierung: „Wo das nicht sofort möglich ist, müssen sie wie private Unternehmen geführt werden." Was u.a. bedeutet: die „Flexibilität" bei der Anstellung von Arbeitskräften muß „beträchtlich" erhöht werden - der Kündigungsschutz wird weitgehend abgeschafft.
► Privatisierung soll auch die Wohnungsnot beseitigen, unter der wiederum die Wirtschaft leidet. Die mangelnde „Mobilität der Einzelnen und ihrer Familien" verhindert den effektiven Einsatz von Arbeitskräften. Daß hier ausgerechnet der Verkauf öffentlicher Immobilien Abhilfe schaffen könnte, glaubt natürlich kein einziger Forza-Italia-Repräsentant; schließlich sind die Mieten in den Großstädten schon jetzt auf europäischem Niveau (und in Rom darüber). Aber die Klientel will halt versorgt sein...
► Die Notwendigkeit privater Rentenversicherung wird dem Wahlvolk durch besondere Schreckensbilder nahegebracht. Die Beibehaltung des Rentensystems würde bedeuten, daß die Erwerbstätigen für die Finanzierung der Renten bald auf die Hälfte ihres Lohnes verzichten müßten; von der verbleibenden Hälfte müsse noch einmal ein erheblicher Teil für die „Finanzierung des Staates" abgezogen werden - eine ziemlich unsinnige Rechnung, die allein dazu dient, die sofortige und radikale Privatisierung des Rentensystems zu legitimieren. Gegen die schlimmsten Aus-
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wüchse der Altersarmut (und gegen das schlechte Gewissen der Besserverdienenden) hilft der Staat: Er „muß Invaliditäts- und Altersrenten nur denen zahlen, die unter einem Mindesteinkommen liegen." Bei den Invaliditätsrenten - bisher für viele eine kleine, aber lebenswichtige Zusatzeinnahme - soll erheblich gestrichen werden: statt massenhaftem, von Korruption und Klientelismus hervorgebrachtem „Mißbrauch" Beschränkung der Zahlungen auf die „wirklichen Invaliden".
► Die von Forza Italia geforderte Umgestaltung des Gesundheitswesens würde das Rentenproblem zusätzlich entschärfen: Die Lebenserwartung der Armen würde zwangsläufig zurückgehen - eine Konsequenz, die die Programmschreiber natürlich nicht aussprechen, aber mitdenken. Damit die Lohnnebenkosten sinken, soll nur noch eine Versicherung für größere Operationen („grandi interventi") für alle verpflichtend sein. Für den Rest ist jeder einzelne selbst verantwortlich und darf „frei wählen" zwischen privaten und öffentlichen Anbietern auf dem Gesundheitsmarkt. Allerdings soll der öffentliche Sektor verkleinert werden, u.a. durch Privatisierung der großen Krankenhäuser.
► Die private Wirtschaft, die Forza Italia durch die staatliche Bürokratie gegängelt und an der Arbeit gehindert sieht, soll auf vielfältige Weise gefördert werden. Zum einen durch größere „Flexibilität" und „Mobilität der Arbeit" - Einstellungen und Entlassungen sollen allein von den Interessen der Unternehmen bestimmt werden. Nicht nur das Handwerk soll vor „restriktiven Normen über Entlassungen" und vor „gewerkschaftlichen Rechten im besonderen" geschützt werden. Kleine und mittlere Betriebe sollen „flexible" Arbeitsverträge abschließen können, „die weitgehend an die, auch zeitlich begrenzten, Erfordernisse der Unternehmen gebunden sind". Darüberhinaus gilt für die „Industriepolitik" insgesamt: „Flexibilität der Märkte, Deregulierung, um die Schaffung neuer Beschäftigung zu erleichtern, Mobilität der Arbeit, Revision der Verfahren von Einstellung und Entlassung, Steuerbefreiung für Investitionsgewinne sind Bestandteile dessen, was die italienische Industrie braucht."
► Bevorzugte Objekte der beabsichtigten Einstellungsoffensive sind Frauen, denen Teilzeitarbeit und Fristverträge angebo-
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ten werden sollen, und junge Menschen, für die zwischen Ausbildung und Eintritt in das normale Berufsleben eine Übergangszone eingerichtet werden soll. „Una zona cuscinetto" - was wörtlich „Kissen-Zone" bedeutet - diese niedliche Umschreibung steht für gänzlich ungesicherte Arbeitsverhältnisse mit erheblich reduzierten Einkünften. Gegenüber der herkömmlichen Schwarzarbeit hätte dieses Modell einen zweifelhaften „Vorteil": Es schafft „reguläre" Arbeitsplätze und läßt so die Erwerbslosenstatistik in einem etwas günstigeren Licht erscheinen. Schließlich muß Berlusconi, so hat er es versprochen, innerhalb der nächsten zwei bis zweieinhalb Jahre eine Million neuer Arbeitsplätze vorweisen können. Die Manipulation der Statistik ist da allemal der erfolgversprechendste Weg. Das wußte auch schon Margaret Thatcher, deren Regierung mindestens eine Million Menschen aus dem Arbeitslosenregister kippte und den angeblichen Rückgang der Erwerbslosigkeit stolz als Ergebnis ihrer Politik verkaufte.
► Echtes Wirtschaftswachstum könnte durch die verstärkte Produktion und den Verkauf von Rüstungsgütern entstehen. Auf diesem Sektor war Italien jahrelang der mit Abstand größte Waffenexporteur der Europäischen Gemeinschaft, schon länger gut im Geschäft (u.a. mit Libyen, Südafrika, dem Irak und Argentinien). Zwar enthält das Programm von Forza Italia keine eindeutige Forderung, die Rüstungsindustrie auszubauen, wohl aber mindestens zwei Hinweise, die entsprechend interpretiert werden können. Im Abschnitt Verteidigung wird der zu hohe Personalkostenanteil beklagt und die marktwirtschaftliche Umgestaltung des „gesamten (Militär-)Systems" gefordert. Daß es hier nicht nur um nationale „Sicherheit" und gleichberechtigte Kooperation mit den NATO-Partnern, sondern auch um internationale Wettbewerbsfähigkeit geht, wird im Zusammenhang mit einer Passage aus dem Abschnitt Außenpolitik deutlich. Nach dem Ende der Blockkonfrontation „fallen eine ganze Reihe von Barrieren für unsere wirtschaftliche und kommerzielle Expansion, die bis gestern aus politischen Motiven bestanden". Neben den schon zitierten erweiterten außenpolitischen „Aktionsfeldern" würden so auch „Gelegenheiten für unsere Entwicklung" geschaffen.
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► Damit diese Gelegenheiten genutzt werden können, sollen nicht zuletzt Universitäten und Schulen ihren Beitrag zum industriellen Aufschwung leisten. Die Forschung will Forza Italia ganz offen an den Interessen der Privatunternehmen ausrichten. Ein Mittel zur Wiedererlangung voller Wettbewerbsfähigkeit („competitività commerciale e produttiva") soll die straffe Reorganisierung der überfüllten Universitäten sein. Numerus Clausus, kostendeckende Studiengebühren, Unternehmergeist („imprenditoriabilità") bei der Leitung der Universitäten sind Bestandteile der von Forza Italia vorgeschlagenen Radikalkur gegen die „schwerwiegende Effizienzkrise" des Bildungssystems. Noch drastischer sind die angedrohten Eingriffe in das Schulwesen. Der von Forza Italia auch hier diagnostizierten „Effizienzkrise", der „Distanz zur sozialen Realität und zur Arbeit" soll mit der Einführung des Wettbewerbs begegnet werden. Konkurrenz von privaten und staatlichen Schulen, mit voller Wahlfreiheit für den einzelnen Schüler - das Bildungsprivileg für die Reichen wird wiederhergestellt. Für einige wenige „wirklich würdige Studenten mit niedrigen Einkünften" soll der Staat Stipendien bereitstellen.
► Da das gesamte Programm davon handelt, kann der Abschnitt über „Privatisierung" kürzer gehalten werden als die meisten anderen. Hier bietet sich Gelegenheit für die Präsentation des „Volkskapitalismus": Aktienbesitz für (fast) alle - das hat schon bei Frau Thatcher die Verarmung großer Bevölkerungsteile nicht aufhalten können.
► Bemerkenswert „unideologisch" sind die Vorschläge zur Behandlung der Fragen von Asyl und Einwanderung. Zwar wird auf der Unterscheidung zwischen politischen und „Wirtschaftsflüchtlingen" beharrt und auch ein Hinweis auf besondere „Ausländerkriminalität" nicht vergessen. Die praktischen Vorschläge sind dagegen verblüffend pragmatisch: Welche und wie viele „extracomunitari" (Ausländerinnen von außerhalb der EU) ins Land gelassen werden, entscheidet allein die wirtschaftliche Zweckmäßigkeit: „Auch hier muß das Gesetz von Angebot und Nachfrage gelten". Daß Italien, bis in die sechziger Jahre hinein ein klassisches Auswanderungsland, nunmehr „Einwanderungsland" geworden ist, wird schlicht zur Kenntnis genommen.
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Fruchtlose Debatten über diesen nicht zu leugnenden Tatbestand sind nicht die Sache von Forza Italia. Daß die Zahl der Immigrantinnen verringert werden muß, ergibt sich aus der wirtschaftlichen Logik: „Wir können und dürfen nicht weitere Einwanderer aufnehmen, die wir nicht anständig empfangen und denen wir keine Arbeit und Lebensperspektive bieten können." Der Staat hat sich allein nach den Anforderungen der Unternehmen zu richten. Er sichert den Zugang der Einwanderer zu den zu besetzenden Arbeitsplätzen und sorgt für Unterbringung, Ausbildung und Sprachkurse.
► Auch die Familie wird ziemlich unverblümt als vorrangig wirtschaftliche Einheit dargestellt. Auf dieses „Element der Stabilität, des Ausgleichs und der Solidarität" kommen in Berlusconis Italien gewaltige Aufgaben zu. Wo staatliche Leistungen auf ein Minimum reduziert werden, muß die Familie unentgeltlich Sozialarbeit leisten und so die „Zersetzung des sozialen Gewebes" verhindern. Mit der Versorgung von Alten, Kranken, Drogenabhängigen, Arbeitslosen und Behinderten sollen die staatlichen Institutionen nur im äußersten Notfall behelligt werden. Schluß mit der alten Konzeption, nach der der Staat den Bürger „von der Wiege bis zur Bahre" zu umsorgen habe - eine solche Formulierung sucht man im Programm der CDU vergeblich. Obwohl die deutsche Christenpartei der Familie ganz ähnliche sozialversorgerische Aufgaben stellt wie Forza Italia, wird in ihrem Programm wortreich über dieses „Fundament der Gesellschaft" geschwärmt. Von „Geborgenheit und Zuwendung" ist da die Rede, von „Liebe und Vertrauen, Toleranz und Rücksichtnahme, Opferbereitschaft und Mitverantwortung, Selbständigkeit und Mündigkeit".
Repression und Konsens
Die brutale Offenheit des Programms von Forza Italia verblüfft. Sie steht auch in gewissem Widerspruch zu den auf Harmonie, Vertrauen und Optimismus ausgelegten Wahlkampfauftritten Berlusconis und den die Gefühle ansprechenden schönen Bildern der Fernsehspots. Daß Forza Italia mit diesem Programm
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gewählt wurde, ist ein Freibrief für die brachiale Politik, die Berlusconis Regierung direkt nach ihrer Amtseinführung begonnen hat. Nichts wurde verschwiegen; auch die weitgehende Abschaffung der Untersuchungshaft und die Gängelung der Staatsanwälte in Korruptionsverfahren stehen, nur leicht verklausuliert, im Programm. Die allgemeine Empörung darüber, daß die neue Regierung gerade diese Vorhaben unverzüglich in die Tat umsetzen wollte, wird Berlusconi und seine Mannen überrascht haben.
So gesehen taugt das Programm von Forza Italia nicht mehr als die - in der politischen Substanz ähnlichen - Sanierungsprogramme vergleichbarer Parteien der rechten Mitte, die ihre knallharten Absichten traditionell mit schönen Worten verhüllen. Hierzu ein letztes Zitat aus dem CDU-Programm: „Wir vertrauen auf die schöpferischen Fähigkeiten des Menschen, sich in Freiheit und Verantwortung zu entfalten. Wir wissen, daß der Mensch seine Fähigkeiten mißbrauchen und ohne Rücksicht auf soziale und ökologische Belange wirtschaften kann." Deshalb, so die Folgerung aus diesem nachdenklich-ausgewogenen Einerseits und Andererseits, müsse der Staat „Rahmenbedingungen setzen". Wo es denn gar nicht anders geht, ist auch Forza Italia für die Festlegung der Spielregeln. Auch daß der freie Unternehmer - ausnahmsweise - mal „soziale und ökologische Belange" verletzen könnte, wird in der Berlusconi-Partei zugestanden. Strafen will sie ihn dafür nicht: Beim Umweltschutz müsse man von einem System der „exzessiven Bestrafung" zu einem „Prämiensystem" übergehen, „das den Schutz der Umwelt fördert".
Ein Programm von seltener „Kohärenz" hat sich Forza Italia gegeben. Gut ist, was dem Unternehmer nützt - dieses klassenkämpferische Motto soll auf die unterschiedlichsten politischen Probleme angewandt werden. Der schon zitierte Ausspruch von FIAT-Chef Agnelli, ein Sieg Berlusconis sei ein Sieg der Unternehmer insgesamt, gilt über Italien hinaus. Wenn die Durchsetzung der im Programm von Forza Italia in aller Offenheit angedrohten Politik gelingt, ist das eine Ermunterung zu verschärftem Klassenkampf von oben auch in den übrigen Ländern Westeuropas. In der Sache - nicht in der Ausformulierung - ist dieses Programm richtungsweisend auch für Parteien anderer Länder,
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die kapitalistische Krisenbewältigung betreiben. Daß es schon einmal - und mit katastrophalen sozialen Folgen - erprobt wurde, tut dem keinen Abbruch. „Mr. Thatcher" versucht zu kopieren, was Mrs. Thatcher ab 1979 in ihrem Land angerichtet hat:
Das sog. „Thatcher Miracle" war ein „Wirtschaftswunder", das eine krasse Umverteilung von unten nach oben bewirkte. Richtschnur der von der „Neuen Rechten" betriebenen Wirtschaftspolitik war der Monetarismus des US-Ökonomen Milton Friedman: Die Begrenzung der zirkulierenden Geldmenge, bewirkt durch hohe Kreditzinsen und drastische Reduzierung der Staatsausgaben, sollte Inflation und Staatsverschuldung eindämmen. Die Inflationsbekämpfung gelang tatsächlich - auf Kosten eines gigantischen Anwachsens der Erwerbslosigkeit. Von 1,3 Millionen im Jahre 1979 (Inflationsrate 10,1%) stieg die Zahl der Erwerbslosen auf fast 3,8 Millionen im Jahre 1986, während die Inflationsrate auf etwa 5% fiel. Insbesondere für Schulabgänger war es fast unmöglich, einen Job zu finden. Das „freie Spiel der Kräfte" ließ vielen Betrieben keine Überlebenschance. Staatsunternehmen wurden privatisiert, der öffentliche Dienst ausgedünnt. Nur so konnte die Staatsverschuldung, die 1975/76 10% des Bruttosozialprodukts ausgemacht hatte, auf Null im Haushaltsjahr 1986/87 gebracht werden.4 Während die Subventionen für Staatsbetriebe und die Ausgaben im Gesundheitsund im Bildungswesen drastisch gekürzt wurden, blieb der Repressionsapparat von Sparmaßnahmen verschont. Eine „vorausschauende" Politik: So konnte gegen die 1980/81 einsetzenden Jugendrevolten (u.a. Brixton-Riots im April 1981) die geballte Macht des Polizeiapparats aufgefahren werden. Auch die Rechte der Gewerkschaften wurden eingeschränkt. Erschwert wurde die Einwanderung Nicht-Weißer aus den Commonwealth-Ländern; nach dem neuen Staatsbürgerschaftsgesetz von 1983 besaßen nur Menschen mit „engen Bindungen an Großbritannien" automatisch die volle Staatsbürgerschaft.5 Während die Realeinkommen 1981 um durchschnittlich zwei Prozent sanken, stiegen die Militärausgaben zwischen 1978/79 und 1982/83 um 16,7%: Es war die Zeit der „Nachrüstung" und des Malwinenkrieges (April 1982).
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Diese stichwortartige Bilanz der Thatcher-Jahre ist keineswegs als abgesicherte Zukunftsprognose in dem Sinne zu verstehen, daß sich die gleiche Entwicklung in Italien unweigerlich und in gleichem Tempo vollziehen wird. Ob Berlusconi ebenso stark ist wie die von ihm so hochgeschätzte Eiserne Lady, wird sich erst noch erweisen müssen. Forza Italia ist mit ihrem knallharten Privatisierungsprogramm zwar stärkste Partei geworden; mehrheitsfähig wurde sie erst in dem widersprüchlichen Bündnis mit der Lega Nord und den Neofaschisten. Über die strategische Unvereinbarkeit dieses Bündnisses ist viel geschrieben worden: Der Ultraliberalismus von Forza Italia widerspricht dem traditionellen Korporativismus der Faschisten; der mal mehr, mal weniger separatistische Regionalismus der Lega Nord beißt sich mit dem Zentralismus von MSI/AN, der „Partei des Südens" (um nur die zwei auffälligsten Bruchlinien zu nennen). Andererseits könnte die Heterogenität des Bündnisses auch ein Garant für seine längerfristige Hegemonie sein - weit über die Wahlerfolge von März und Juni 1994 hinaus. Die italienische Rechte sei ein „Meisterwerk der Inkohärenz", schreibt Cosimo Scarinzi, die Inkohärenz Folge der „totalen Verschiedenheit in der Zusammensetzung des sozialen Blocks, den die Rechte repräsentiert". Der Rechtsblock trete auf „als die Partei, die imstande ist, selbständige Arbeiter, alte und neue Mittelschichten, randständige und deregulierte Lohnarbeiter zu vereinigen"6 - letztere gehören traditionell zum Potential der Neofaschisten; um die Gunst der Mittelschichten und der Selbständigen wetteifern Forza Italia und Lega Nord.
Trotz des nicht besonders erfolgreichen Arbeitsbeginns der neuen Regierung ist das Rechtsbündnis sehr wohl politikfähig. Scarinzi: „Wahrscheinlich wird das neue Regime nichts unversucht lassen, zum Teil unvereinbare Ansätze zusammenzubringen: Kürzungen bei den Staatsausgaben und zugleich Wahrung der Klientel, freier Markt und Schutzmaßnahmen für Kleinbetriebe, Entstaatlichung und autoritäre Regierung der sozialen Widersprüche, gute Beziehungen zur römischen Kirche und protestantische Ethik."7 Daß sich dagegen Widerstand bilden wird, scheint unausweichlich. Rossana Rossanda, Mitbegründerin der linken Tageszeitung il manifeste, kann sich durchaus vor-
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stellen, daß die wachsende Arbeitslosigkeit nicht nur in Italien zu einer „linken Radikalisierung" führen könnte: „Was macht man denn mit all den Beschäftigungslosen? Entweder man bringt sie um, oder sie organisieren sich."8 Daneben gibt es natürlich noch weitere Abstufungen in der Qualität sowohl des Widerstands als auch der Repression. Über Ersteren kann einstweilen nur spekuliert werden: Ob er „organisiert" sein und von den Gewerkschaften mitgetragen werden wird, oder ob er eher die Form der englischen „Riots" oder der französischen Schülerbewegung annehmen wird, ob es vielleicht gar eine Vielzahl gleichzeitig stattfindender „spontaner" wie „organisierter" Kämpfe geben wird, ist derzeit nicht vorherzusagen.
Ziemlich eindeutige Aussagen lassen sich über die Gegenseite machen. Zusätzlich zu dem bereits existierenden und uneingeschränkt einsatzfähigen Bürgerkriegsapparat will Forza Italia verstärkt „Kontaktbereichsbeamte" („poliziotti di quartiere") einsetzen, um eine „engmaschige Überwachung" („vigilanza capillare") vor allem in den städtischen „Problemgebieten" zu gewährleisten. Die für den Kampf gegen die „organisierte Kriminalität" geforderten Spezialeinheiten lassen sich bei Bedarf natürlich auch gegen revoltierende Massen einsetzen: Wie schnell kann in der Logik der Herrschenden eine Stadtteilinitiative oder ein Arbeitslosenzentrum zur „kriminellen Vereinigung" werden!
Über die Aufrüstung der Polizei hinaus will die Rechtskoalition den „starken Staat" auch per Verfassungsänderung weiter absichern. Gegen das Versprechen eines stärkeren „Föderalismus" hat auch die Lega Nord den Vorstellungen Berlusconis zugestimmt. Und die sind sehr weitreichend: Nach Ansicht des ehemaligen Verfassungsgerichtspräsidenten Ettore Gallo käme die angestrebte Einführung der Präsidialrepublik einem „Staatsstreich" gleich.9 Zusätzlich zur Direktwahl eines mit größeren Kompetenzen ausgestatteten Staatspräsidenten soll auch die Position des Regierungschefs gestärkt werden. Falls der designierte Ministerpräsident in gemeinsamer Wahl beider Kammern keine Mehrheit erhält oder falls der amtierende Ministerpräsident das Vertrauen verliert, soll das Parlament „automatisch" aufgelöst und neu gewählt werden - ein sehr wirkungsvol-
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les Instrument in der Hand der Regierung, um das Parlament mit der Androhung von Neuwahlen zur Willfährigkeit zu erpressen. Die Rechte des Senats, der zweiten und bisher gleichberechtigten Kammer des Parlaments, sollen beschnitten werden. Er soll nur bei Verfassungsänderungen mitentscheiden; zu allen anderen Gesetzen soll er lediglich Vorschläge machen dürfen. Letztlich wirkungslos wäre auch die dem Senat zugestandene „Kontrolle der Regierung": Das Programm von Forza Italia sieht hierfür „Anhörungen", „Anfragen" und „Diskussion" vor. Die letztlich allein entscheidende Abgeordnetenkammer soll künftig nach reinem Mehrheitswahlrecht in zwei Wahlgängen gewählt werden. Wie sich dieses System zugunsten der Mehrheit auswirkt, zeigt das französische Beispiel: Bei den Wahlen im März 1993 gewann das konservative Bündnis UPF mit einem Stimmenanteil von nur 39,5% 484 von 577 Sitzen in der Nationalversammlung!
Wenn dieser „Staatsstreich" gelingen sollte, wäre jede parlamentarische Opposition auf Jahre hinaus an die Kette gelegt. Die Möglichkeit des jederzeitigen Wechsels zwischen Regierung und Opposition, wesentliche Grundvoraussetzung der parlamentarischen Demokratie, wäre nur bei innerer Erosion des Mehrheitsblocks möglich, die die vorzeitige Auflösung des Parlaments und Neuwahlen nötig machen würde. Bei normalem Gang der Dinge hätte die Mehrheit fünf Jahre Zeit, ihre Wiederwahl abzusichern - durch Gesetzgebung ebenso wie durch Propaganda.
Hier müssen nun allerdings zwei Einschränkungen gemacht werden. Die erste betrifft das Verfahren der Verfassungsrevision, für das besondere Vorschriften bestehen. Zwar gibt es nicht -wie im Grundgesetz der BRD - ein Stimmen-Quorum (Zweidrittelmehrheit). Artikel 38 der italienischen Verfassung bindet die Verabschiedung von Verfassungsänderungen aber an die „doppelte und qualifizierte Approbation" beider Kammern des Parlaments: Diese Gesetze müssen „mit absoluter Mehrheit der Stimmen und mit zwei aufeinanderfolgenden Beschlüssen verabschiedet werden, und zwar muß zwischen der ersten und der zweiten Abstimmung eine Spanne von mindestens drei Monaten verstreichen."10 Ob die regierende Rechtskoalition eine solche
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Prozedur siegreich überstehen würde, ist ungewiß. In den ersten Monaten ihrer Amtszeit erwies sich ihre Mehrheit mehrfach als sehr instabil.
Die zweite Einschränkung ist grundsätzlicher Natur. Der einseitige Ausbau der repressiven Funktionen des Staates, die Vernachlässigung „vertrauensbildender Maßnahmen" festigt nur scheinbar die Herrschaft. Das hatte schon Bettino Craxi erfahren müssen, der sich ab Ende der achtziger Jahre zu einseitig als „starker Mann" präsentierte und offen das Amt des direkt gewählten Staatspräsidenten anstrebte. Sein Image des tatkräftigen Exponenten einer reformfreudigen, unideologischen und modernen Partei, das er während der Jahre seiner Ministerpräsidentschaft aufgebaut hatte, zerbrach. Schließlich hatte er außer seinem Anspruch auf mehr Macht kaum noch etwas anzubieten - darüber konnten auf Dauer auch die Schmeicheleien von Berlusconis Medien nicht hinwegtäuschen. Craxi, dessen Partei in den 80er Jahren den PCI-Begründer Antonio Gramsci für sich zu vereinnahmen versuchte, vergaß eine der grundlegenden Erkenntnisse Gramscis über das Verhältnis von Repression und Konsens: „Die 'normale' Ausübung der Hegemonie auf dem klassisch gewordenen Terrain des parlamentarischen Regimes wird von der Kombination der Gewalt und des Konsenses geprägt, die sich unterschiedlich ausgleichen..."11
Vor außenpolitischen Abenteuern?
Aufständige Konsensbildung kann auch der vermeintlich starke Mann nicht verzichten - das zeigt auch Berlusconis Debakel mit dem Regierungsdekret zugunsten der Korruptionsverdächtigen. Selbst den italienischen Faschismus brachte das Mißverhältnis von Gewalt und Konsens vorübergehend in erhebliche Bedrängnis. Nach der Verschleppung und Ermordung des sozialistischen Abgeordneten Giacomo Matteotti im Juni 1924 durch ein faschistisches Kommando „schien es, als ob alle von der Regierung abrücken würden, deren Komplizenschaft mit dem Verbrechen kaum jemand in Zweifel zog. Viele Abzeichen der faschistischen Organisationen verschwanden von den Rockaufschlägen, und
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Mussolini selbst bekam die Isolierung zu spüren."12 Zwar konnte sich das angeschlagene Regime - nicht zuletzt wegen der Unentschlossenheit der bürgerlichen Opposition - schnell wieder konsolidieren. Mussolini selbst übernahm die volle Verantwortung für die Ermordung Matteottis und antwortete mit dem Erlaß antidemokratischer Dekrete, „die, wie man sagte, fascitissime (Superlativ von fascista; Anm. J.R.) waren". (Giuliano Procacci) Die verschärfte Unterdrückung wurde von einer Propagandaoffensive begleitet: „Die faschistische Regierung wandelte sich so zu einem Regime, in dem der Duce Gott und der Rundfunk sein Prophet war."13 Die Presse arbeitete getreu der Weisung Mussolinis, das „tägliche Werk" des Regimes darzustellen „und für dieses Werk eine Atmosphäre der Zustimmung"14 zu schaffen und aufrechtzuerhalten.
Seine breiteste Zustimmung erhielt das Regime allerdings erst im Jahre 1936, als Äthiopien in einem auch mit Giftgas geführten Kolonialkrieg unterworfen wurde. Das Schlachten kostete 275.000 Äthiopier das Leben, weitere 150.000 starben in den folgenden Jahren im Guerillakrieg, in Konzentrationslagern und durch „Vergeltungsmaßnahmen". Dennoch „brach diesmal nicht nur in faschistischen Kreisen, sondern auf jedem gesellschaftlichen Niveau ungeteilter Jubel aus".15
Auch Margaret Thatcher - die keinesfalls mit Mussolini in einen Topf geworfen werden soll - erreichte den Höhepunkt ihrer Popularität durch ein kriegerisches Abenteuer. Der Militärschlag gegen die 12.000 Kilometer von London entfernten Malwinen (Falkland-Inseln), die im April 1982 vom benachbarten Argentinien besetzt worden waren, wurde von 84% der Briten befürwortet. Die ein Jahr nach der argentinischen Kapitulation abgehaltenen Neuwahlen brachte den Konservativen einen klaren Sieg über die Labour Party, vor allem weil sie sich „als 'Partei der Nation' präsentierten und an den Falklandkrieg erinnerten, von dem sie bei den Wahlen immer noch profitierten".16
Der von Mussolini und Thatcher beschrittene Weg, über kriegerische Abenteuer gesellschaftlichen Konsens zu schaffen, scheint Berlusconis Regierung weitgehend versperrt. Der Anschluß ehemaliger italienischer Gebiete in den heute unabhängigen Staaten Slowenien und Kroatien wird bisher allein von
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den Neofaschisten lautstark gefordert. Deren Sprecher Fulvio Slugo erklärte sich zwar großzügig bereit, auf „ferne Länder wie Libyen oder Äthiopien" zu verzichten, „aber Istrien war bereits ein Teil des Imperium Romanum."17 Die italienische Regierung blockiert einstweilen den Assoziierungsvertrag der EU mit Slowenien und fordert die Rückgabe der Immobilien der bei Kriegsende emigrierten Italiener. Eine militärische Eskalation dieser Erpressungspolitik dürfte aber wohl ausgeschlossen sein.
Wahrscheinlicher ist schon, daß die Rechtsregierung sich als lautstarker Fürsprecher militärischer Interventionen zu profilieren versucht. Forza Italia will laut Programm „Legitimation und Konsens bezüglich der Friedensaktionen der internationalen Gemeinschaft" ausdrücklich stärken. Und Italien soll dabei sein, wenn - natürlich nicht aus Gründen „kleinlicher nationalistischer Opportunität" - die „verschiedenen Arten von Konflikten" eingedämmt werden; „an der Seite unserer Verbündeten" und mit dem Ziel, „generell die Präsenz Italiens zu bejahen". Als Mussolini am 10. Juni 1940 das „Volk Italiens zu den Waffen" rief, hatte er seinen Militärführern den Zweck eines Kriegseintritts an der Seite Nazi-Deutschlands mit zynischer Offenheit so erläutert: „Ich brauche nur einige tausend Tote, um mich als Kriegführender an den Verhandlungstisch setzen zu können."18
Wie das Beispiel des Malwinenkrieges zeigt, läßt sich innenpolitisch auch aus einer erheblich kleineren Zahl toter „Helden" Kapital schlagen. Ein solches Kalkül soll Berlusconi keineswegs unterstellt werden. Allerdings wäre er nicht der erste, der versuchen könnte, internen Schwierigkeiten mit außenpolitischen Abenteuern zu begegnen. Als „Modell" taugt eine solche Politik nicht. Würde Berlusconi sie - im Rahmen der „internationalen Gemeinschaft" - voranzutreiben versuchen, könnte er damit auch bei den „Partnern" Prestige gewinnen: als treibende Kraft des neuen, „humanitär" begründeten Kolonialismus, dessen Drängen man sich nicht widersetzen kann. Vorausgesetzt, man hält es für opportun, sich drängen zu lassen.
Die arg vereinfachende Frage, ob Berlusconi „der neue Mussolini" sein könnte, hat gleichwohl ihre Berechtigung. Indro Montanelli, der sie bejaht, kann sich Berlusconi auch in der Rolle
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des nationalistischen Einpeitschers vorstellen: „Er könnte der Neue sein, eine Art lächelnder Diktator, Peron sehr viel ähnlicher als Mussolini. Mit Reden vom Balkon, wo er vom unsterblichen Italien schwadronieren würde, daß wir nach dem Siege streben. Kurz und gut, mit diesen nationalistischen Phrasen, die die Italiener wenigstens kurzzeitig trunken machen können."19
Die Tücken des „Berlusconismus"
Nach Berlusconis innenpolitischem Fiasko vom Juli 1994 ist allerdings mit außenpolitischen Machtdemonstrationen fürs erste kaum zu rechnen. Das Dekret über die Einschränkung der Untersuchungshaft (u.a. Haftverschonung für Korruptionsverdächtige) hätte fast zum Sturz der Regierung geführt. Der „Berlusconismus" - der sich über jeden Widerstand hinwegsetzende Führungsstil - hat einen empfindlichen Rückschlag erlitten. Für den „lächelnden Diktator" war die vom Volkszorn erzwungene Rücknahme des Dekrets mehr als die Niederlage in einer „Sachfrage". Er hat sich als unfähig erwiesen, seine Klientel, die in die Schmiergeldaffären verstrickten Unternehmer, Staatsbediensteten und Politiker, wirkungsvoll zu schützen. Mit seinen Drohungen, die dann allesamt folgenlos blieben, hat Berlusconi sich ein Stück weit lächerlich gemacht.
Fünf Tage dauerte die Kraftprobe, bei der es nicht nur um das Dekret, sondern um „den Berlusconismus als Methode des Regierens" (Eugenio Scalfari)20 ging: Am 13. Juli legt Justizminister Alfredo Biondi (Unione di Centro - UDC) dem Kabinett ein Dekret vor, das einstimmig angenommen wird: „Danach darf nur noch in Untersuchungshaft genommen werden, wer des Terrorismus, des illegalen Drogenhandels oder mafioser Bandenbildung verdächtig ist, allen anderen muß 'Hausarrest' zugestanden werden, 'sofern die überwachungstechnischen Voraussetzungen dafür vorliegen'."21 Ein eklatanter Fall von Klassenjustiz - Hausarrest für die Reichen, deren Villen ohne Mühe überwacht werden können; Knast für die Armen, die in unübersichtlichen Mietshäusern wohnen.
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Am folgenden Tag verbreiten Zeitungen und Fernsehen den Inhalt des Dekrets. Am Nachmittag erklären die Staatsanwälte des Mailänder Pools „Mani pulite" („saubere Hände"), sie würden zurücktreten bzw. um ihre Versetzung nachsuchen. Durch die Freilassung der Korruptionsverdächtigen sehen sie ihre Arbeit gefährdet, weil es kaum noch Geständnisse geben werde und ungehindert Beweismittel vernichtet werden könnten. Minister Giuliano Ferrara (Forza Italia) antwortet: „Was interessieren uns die Mailänder Staatsanwälte."22
Die Öffentlichkeit sieht das anders. Innerhalb weniger Stunden erhält die Repubblica-Redaktion via Fax Tausende von Protestbotschaften, von denen viele von Forza-Italia-WählerInnen stammen sollen. Drei Tage nach seiner Zustimmung zu dem Dekret behauptet Innenminister und Regierungsvize Roberto Maroni (Lega Nord), er sei hintergangen worden. Ferrara beschimpft ihn deswegen öffentlich als Idioten. Bossi verlangt, daß das Dekret zurückgezogen wird, Fini fordert weitreichende Änderungen. Berlusconi droht mit einem Zusatz, der die Liste der nicht mit Untersuchungshaft bedrohten Delikte noch verlängern würde. Gleichzeitig kündigt er den Rücktritt seiner Regierung an, falls das Dekret nicht durchkomme. Einen Tag später legt Maroni noch einmal nach und spricht von einer Regierung von Betrügern. Berlusconi verlangt von seinem Innenminister Widerruf und Entschuldigung und droht ihm mit Entlassung. Im Gegenzug fordert Bossi den Rücktritt Berlusconis, der das „infame Dekret" zu verantworten habe. Fast alle Staatsanwaltschaften solidarisieren sich mit ihren Mailänder Kollegen. Wieder einen Tag später bietet Berlusconi Änderungen und Zusätze an, schließt aber die Rücknahme des Dekrets aus. Die Suche nach einem Kompromiß beginnt, während Bossi mit Teilen der Opposition Kontakt aufnimmt. Am 19. Juli überstürzen sich die Ereignisse. Um 13 Uhr kündigt Berlusconi eine Ansprache über sämtliche Fernsehkanäle des Landes an, die um 13 Uhr 15 beginnen soll. Um 13 Uhr 10 stellen Bossi und Fini aus Straßburg, wo sie an der konstituierenden Sitzung des Europaparlaments teilnehmen, ein Ultimatum: Wenn das Dekret nicht zurückgezogen werde, würden sie ihre Minister aus der Regierung zurückziehen. Berlusconis Fernsehauftritt entfällt. Um 17
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Uhr tritt das Kabinett zusammen und beschließt die Rücknahme des Dekrets, dessen Text nun als Gesetzentwurf ins Parlament eingebracht werden soll.
Gemessen an seinen kraftstrotzenden Sprüchen hat Berlusconi eine überaus schmerzliche, beinahe tödliche Niederlage erlitten. Eugenio Scalfari zog eine vorläufige Bilanz der Ereignisse, für ihn eine Mischung aus „Farce" und „Tragödie": „Die Regierung und ihr Präsident haben jede innere und internationale Glaubwürdigkeit verloren." Auch Staatspräsident Oscar Luigi Scalfaro, der das Dekret unterschrieb, habe „keine gute Figur gemacht": Ein „Garant" der Verfassungsnormen, wie er von sich selbst behauptet, ist er offensichtlich nicht. „Die Minister der Lega und von Alleanza Nazionale - entweder weil sie von Berlusconi und Biondi betrogen wurden oder weil sie unfähig waren zu verstehen, was sich vor ihren Augen entschied -haben eine klägliche Vorstellung ihrer politischen Fähigkeiten geliefert." Schließlich: „Die Lira und die Staatspapiere haben ihre niedrigste Notierung erreicht." Daß all das zum frühzeitigen Abschied vom „berlusconianischen" Regierungsstil führen könnte, mag Scalfari nicht hoffen. Der „Berlusconismus" wird weiterleben: „Die Art, mit Arroganz zu regieren, die tiefe Verachtung der Opposition, welche die schlechtesten Eigenschaften der Italiener herausfordert und auf die Macht des Fernsehens und der Möglichkeiten, die Wahrheiten zu manipulieren, zielt."23
Die Verlockung, ein bißchen „berlusconianischen" Führungsstil auch außerhalb Italiens einzuführen, dürfte nach dieser Affäre nicht gerade zugenommen haben. Wo der Neid auf einen Mann, der sich scheinbar alles erlauben kann, vorherrschend war, kehrten Selbstzufriedenheit und Schadenfreude ein. Die gemächliche Politik des „Aussitzens" hat sich gegenüber dem spektakulären „Befreiungsschlag" als überlegen erwiesen. Kommentare Helmut Kohls zur italienischen Regierungskrise sind nicht überliefert. Fest steht, daß er mit seiner Politik, den neuen Mann erst einmal auf Distanz zu halten, richtig gelegen hat. Sollte der sich halten und tatsächlich längerfristig zum starken Mann Italiens werden, ist für die gedeihliche Zusammenarbeit der beiden Potentaten immer noch Zeit genug. Hinderungs-
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gründe gibt es weder programmatisch noch personell: Auf die Frage, ob Kohl bei seinem ersten Treffen mit Berlusconi die Regierungsbeteiligung der italienischen Neofaschisten thematisieren wolle, antwortete Regierungssprecher Vogel, das „sei nicht unbedingt die deutsche Sache". Wegen der eigenen Vergangenheit sei man nicht berufen, „den Zeigefinger zu heben".24
Wahlverein oder Volkspartei
Ein wesentlicher Pfeiler von Berlusconis Wahlkampagne war die fast flächendeckende Ausbreitung der Forza-Italia-Clubs. Eine streng hierarchisch aufgebaute Organisation, die wegen des Verzichts auf zeitraubende demokratische Prozeduren wie Wahl von Kandidaten und Funktionären oder Beschlußfassung über das Programm erheblich schlagkräftiger war als die herkömmlichen Parteien. Daß der gesamte Parteiaufbau von Berlusconis hauseigener Werbeagentur Publitalia organisiert wurde, sich damit ein privates Unternehmen als Partei konstituierte, dürfte eine echte Weltneuheit sein. Die Rekrutierungsbemühungen lösten einen landesweiten Run auf die besten Plätze aus, auch wenn die offiziell verbreiteten Mitgliederzahlen - angeblich 700.000 im März 1994 - getrost nach unten korrigiert werden dürfen, insbesondere was die der angeblich aktiven „Wahlhelfer" angeht. Daß die Clubs ganz auf die Unterstützung des strahlenden Kandidaten (und des jeweiligen Wahlkreisbewerbers) ausgerichtet waren, hat ihre Effizienz in der Wahlkampagne erhöht. Forza Italia ist durch und durch eine Führerpartei. Ohne Berlusconi läuft nichts. Selbst zur Europawahl kandidierte er in sämtlichen Wahlkreisen, obwohl er als amtierender Regierungschef ein Mandat im Straßburger Parlament gar nicht annehmen darf. Der Trick hat sich ausgezahlt. Berlusconi erhielt mehr als 30%; die von ihm errungenen Sitze gingen verabredungsgemäß an nachrückende Kandidaten, die keiner kennt.
Auf Dauer könnte diese Orientierung zu einseitig sein. Wenn der Chef in Schwierigkeiten gerät, verliert auch seine Partei den Schwung. Bei ungünstiger „Wetterlage" ist sie ähnlich schwerfällig wie die herkömmlichen „Volksparteien".
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Letztere bieten ihren Mitgliedern zumindest die Illusion, „bei der politischen Willensbildung des Volkes" mitzuwirken, wie es im Grundgesetz heißt. Zwar mehren sich die Klagen über das Desinteresse der Parteibasis, und zuweilen liest man Reportagen über groß angekündigte Versammlungen, zu denen dann gerade mal eine Handvoll Interessierter erscheint, zumeist Inhaber der goldenen Ehrennadel für jahrzehntelange Mitgliedschaft. Dennoch wäre beispielsweise die SPD schlecht beraten, die flächendeckende Mitgliederbetreuung als zu ineffektiv aufzugeben. Die Urabstimmung über ihren Parteivorsitzenden, an der sich die Hälfte der sozialdemokratischen Mitglieder beteiligte, wurde geradezu als Sternstunde einer Volkspartei gewürdigt und von der Konkurrenz neidisch beobachtet. Über den Sinn und das Ergebnis dieser formaldemokratischen Veranstaltung ließe sich viel Kritisches (auch Satirisches) sagen; immerhin hat sie bewiesen, daß die Volksparteien in Maßen mobilisierungsfähig sind und nicht vorzeitig für tot erklärt werden sollten. Der vielfach hausbackene Wahlkampf, die verglichen mit Berlusconis perfekter Show häufig dilettantischen Werbespots, sollten nicht zu dem Fehlschluß verleiten, diese hoffnungslos altmodischen Vereine würden demnächst von zeitgemäßeren Nachfolgern abgelöst.
Ihre Modernisierung im Sinne effektiver Unternehmensführung ist allerdings unumgänglich. Daß der Aufstieg in Führungspositionen normalerweise Jahrzehnte dauert, ist einfach nicht mehr zeitgemäß. Hier hat Forza Italia mit seiner Personalpolitik erhebliche Vorteile: Bewerber werden getestet und bei ausreichender Eignung „eingestellt". Zu solchen „Innovationen" - die natürlich das absolute Gegenteil von Demokratisierung wären - dürften die großen Parteien durchaus in der Lage sein.
Die eine Zeitlang tagtäglich beschworene „Parteienverdrossenheit" ist kein stetig anwachsender Prozeß. Daß die „Partei der Nichtwähler" bei mancher Landtagswahl deutlich vor den Etablierten liegt, ist nicht per se ein Indiz für Instabilität. Der Politikwissenschaftler Michael Eilfort, der im Mai 1994 eine Untersuchung zum Thema „Wahlenthaltung als Form des Wahlverhaltens" vorstellte, widerspricht der Auffassung, der „Grund des geringen Wahleifers von Jugendlichen liege in ausgeprägter Poli-
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tikverdrossenheit oder in Distanz zum politischen System". Vielmehr „sähen Jüngere in der Stimmabgabe weniger eine Bürgerpflicht als Ältere".25
In Deutschland steht das Parteiensystem einstweilen gefestigt da. Neulinge oder Quereinsteiger haben es ungeheuer schwer. Das mußten sowohl die Statt-Partei als auch der Europa-feindliche „Bund freier Bürger" des FDP-Dissidenten Brunner erfahren. Beide Gruppierungen konnten mit einiger Berechtigung davon ausgehen, in eine politische Marktlücke gestoßen zu sein. In Umfragen erklärten bis zu 20%, sie „könnten es sich vorstellen", einer Statt-Partei die Stimme zu geben. Der Dilettantismus der führend Beteiligten, von denen jeder der Chef sein wollte, hat dieses hoffnungsvoll gestartete Unternehmen in Rekordzeit scheitern lassen. Brunner nützte auch die Unterstützung hochkarätiger Demagogen von rechtsaußen nichts; weder Gauweiler noch Haider konnten das Debakel des Bürgerbundes bei der Europawahl verhindern. Zur Bundestagswahl trat die Partei wegen „organisatorischer Schwäche" dann gar nicht erst an.
Die anderen „Medien-Mogule": Murdoch, Kirch & Co.
Natürlich könnte man argumentieren, Dilettanten wie Brunner seien eben als Volkstribune ungeeignet. Aber wer wäre geeignet? Berlusconis Wahlsieg legt nahe, sich im Kreise der übrigen „Medien-Mogule" umzusehen. „Ein Citizen Kane im Weißen Haus" wäre schon möglich, findet Ex-Präsident Jimmy Carter.26 Namen fallen ihm nicht ein; Ted Turner sei sein Freund und dessen CNN der beste Sender der Welt, „weil er immer allen beteiligten Parteien das Wort gibt".
Also vielleicht Keith Rupert Murdoch, der Australier mit US-Paß, der seine Geschäfte in allen Erdteilen mit Ausnahme Afrikas betreibt. In Australien hat Murdoch drei Viertel, in Großbritannien rund ein Drittel des Print-Marktes in der Hand. Insbesondere sein skrupelloses Agieren auf dem britischen Markt machte ihn zum Symbol des „eiskalten Menschenschinders" (Capital 2/89). 1986/87 kämpften die Drucker der Times-Gruppe 13 Monate lang gegen die Verlagerung der Produktion
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in das moderne Druckzentrum Wapping vor den Toren Londons - vergeblich. 3.000 Jobs gingen verloren, die Gewerkschaften erlitten eine strategische Niederlage. In Großbritannien instrumentalisierte Murdoch seine Medien für Thatcher und gegen Labour; das Massenblatt Sun macht Stimmung gegen Ausländer und soziale Randgruppen und propagiert einen hemmungslosen Nationalismus. Der dort betriebene Revolver-Journalismus unterschreitet oft genug das Niveau der Bild-Zeitung. In Australien unterstützt Murdoch die Labour-Party: „Der Medienzar hängt sein Mäntelchen stets nach dem Wind. (...) Hauptsache, die Kasse stimmt." (Ralf Sotscheck)27
Fast schon weltbeherrschend ist Murdochs Stellung im TV-Bereich. Sein Satellitensender Star TV kann zwei Drittel der Weltbevölkerung erreichen. Mit dem Konzern 20th Century Fox betreibt er auch die Produktion von Filmen, die er weltweit zu vermarkten versucht: „Die Modernisierung der Welt bedeutet zwangsläufig deren Amerikanisierung." (Murdoch)28 Dennoch könne in seinen Programmen „von Gleichschaltung keine Rede sein". Sich selbst bezeichnet er zwar als Konservativen -beim Betrachten seiner Programme sei das aber nicht zu merken: „Die meisten unserer Unterhaltungssendungen haben sehr wenig politischen Inhalt."29
Auch einen „deutschen Berlusconi" gibt es bereits: Leo Kirch, dessen Unternehmensgruppe über rund 15.000 Kinofilme und 55.000 Stunden Serien, Kinderprogramme, Dokumentationen, Opern, Konzerte und Shows verfügt und damit sämtliche deutschen TV-Stationen mit Ausnahme des Spartenkanals n-tv beliefert. Das öffentlich-rechtliche ZDF ist von seinen Lieferungen fast total abhängig. Über seine Tochtergesellschaft ISPR kaufte er 1992 die Ausstrahlungsrechte der Fußball-Bundesliga für den von ihm kontrollierten Sender Sat 1.
Sein persönlicher Einstieg in die Politik kann allerdings ausgeschlossen werden kann: Leo Kirch (Jahrgang 1926) ist krank und fast blind. Er gilt als „medienscheu" und gibt keine Interviews. Das formelle Dementi seines Geschäftsführers Jan Mojto, „Leo Kirch werde nicht den deutschen Ableger der Forza-Partei gründen"30, ist durchaus glaubwürdig. Auch sein Sohn Thomas, der dem Sender Pro 7 vorsteht, scheidet als selbsternannter Retter
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des Vaterlandes aus. Er habe, berichten Bekannte der Familie Kirch, „bei weitem nicht die Persönlichkeit seines Vaters", sei vielmehr „gebeutelt von Minderwertigkeitskomplexen" - „Charisma, der Drang in ein öffentliches Amt sei bei Thomas Kirch schwer vorstellbar".31
Beruhigend ist diese Abstinenz dennoch nicht. Die Offenheit, mit der Leo Kirch seine Fernsehkanäle, Zeitungen und Zeitschriften in den Dienst seines Freundes Helmut Kohl stellt, erinnert an die Arbeitsteilung zwischen Berlusconi und Craxi, als der noch der starke Mann der italienischen Politik war. „Noch nie hat in Deutschland ... ein einzelner Unternehmer soviel Medienmacht in einer Hand konzentriert wie Kirch", schreibt Der Spiegel (30/1994). Die Sender Sat 1, Pro 7, Kabelkanal und Deutsches Sportfemsehen (DSF), an denen er und seine Familie beteiligt sind, erreichen einen Zuschaueranteil von 27% (Öffentlich-Rechtliche: 34%); der Netto-Werbeumsatz betrug 1993 mehr als zwei Milliarden DM (Öffentlich-Rechtliche: 815 Millionen).32
Seitdem Kirch, der schon Anfang der fünfziger Jahre als Filmhändler begann, den Axel-Springer-Verlag kontrolliert, hat er direkten Zugriff auf Bild und dessen Ableger (Bild der Frau, Sport-Bild, Auto-Bild), Welt, Bild am Sonntag, Welt am Sonntag und mehrere Zeitschriften, darunter Hör zu, Funk Uhr und Journal für die Frau.
Der Apparat des Leo Kirch ist Helmut Kohl seit Jahren zu Willen. Eigens für ihn wurde auf Sat 1 die Sendung „Zur Sache, Kanzler" konzipiert. Dem frech klingenden Titel zum Trotz sind kritische Fragen hier ausgeschlossen. Moderator Heinz Klaus Mertes, früher Chefredakteur des Bayerischen Rundfunks, fungiert als Stichwortgeber. Auch wer da beizeiten auf ein anderes Programm umschaltet, bleibt von der „Heimsuchung" (Kohl) nicht verschont. Ausgerechnet ein Auftritt des Kanzlers bei der Konkurrenz von RTL brachte den Durchbruch in der Zuschauergunst: Sechs Millionen Zuschauer waren live dabei. Seitdem, so Der Spiegel, sei Kohl geradezu zum gesuchten Showstar geworden, den alle gleichzeitig verpflichten wollen. Kohls Berater Ackermann wird mit den Worten zitiert: „Die Anstalten drängeln sich bei uns, und wir sind aus der Rolle der Bittsteller heraus."33 So funktioniert die Marktwirtschaft: Wenn die Leute
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Zwei, die sich verstehen: Berlusconi und Kirch. Die Medien-Mogule besitzen bereits gemeinsame Kapitalanteile am Deutschen Sportfernsehen (DSF), am italienischen Pay-TV Telepiù sowie am spanischen Sender Tele-Cinco. Eine weitere Kooperation wird offenbar angestrebt.
Kohl wollen, zeigen wir ihnen Kohl - auch wenn wir natürlich weiterhin furchtbar kritische Leute bleiben. Die vermeintlich oberschlaue Politik der SPD, Kirch zu bekämpfen, indem man Bertelsmann (RTL) unterstützt, endet spätestens hier im totalen Fiasko.
In den diversen Porträts des „deutschen Berlusconi" wird viel über dessen geschlossen rechtes Weltbild, den festen katholischen Glauben geschrieben, der ihn Helmut Kohl „bedingungslos ergeben"34 mache. Daß er selbst von der Freundschaft zu seinem Idol seit Jahren profitiert, geht dabei eher unter. Die Interventionen Kohls zugunsten Kirchs, jedenfalls die bekannt gewordenen, haben zwar nicht den Beigeschmack des Illegalen, der Craxis verfassungswidrigem „Dekret Berlusconi" anhaftete. Aber ebenso wie Craxi diese lebensrettende Maßnahme zugunsten Berlusconis ergriff, intervenierte auch Kohl, als Kirch das Wasser bis zum Hals stand: Nach Ansicht von „TV-Insidern"35
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vermittelte er den Einstieg des Milliardärs Otto Beisheim (Metro) in den Medienmarkt, der Kirch 1990 aus der Zahlungsunfähigkeit half und ihm nach eigenen Worten den „schönsten Tag meines Lebens"36 bescherte. Zu Lebzeiten von Franz-Josef Strauß, der wie Friedrich Zimmermann („Old Schwurhand") ebenfalls zu Kirchs Gönnern zählte, holte der für die Ausarbeitung des bayerischen Mediengesetzes zuständige Wolf-Dieter Ring, wie er selbst zugibt, „in den Detailfragen den Rat von Kirch ein"37 - Oscar Mammi, der Schöpfer des Berlusconi begünstigenden italienischen Mediengesetzes, läßt grüßen. Schließlich wurde in der Mainzer Staatskanzlei von Bernhard Vogel (CDU), Kohls Nachfolger als rheinland-pfälzischer Ministerpräsident, der Sender Sat 1 konzipiert. Kohls von Kirch spendierte Publicity-Reise zur Fußball-Weltmeisterschaft in den USA - mit 80 geladenen Gästen zum Preis von 250.000 DM -sieht Der Spiegel als „eine Art Erfolgshonorar".
Solche kleinen Aufmerksamkeiten für die Gönner aus dem Politik-Business waren auch bei Berlusconi üblich: Jahrelang erhielten DC, PSI und die kleineren Regierungsparteien Werbeminuten zum Vorzugspreis (bis zu 90% Preisnachlaß) oder zum Nulltarif. Zwischen 1985 und 1992 hat sich die Fininvest diese Rabatte 15 Milliarden Lire kosten lassen.
Die Partei der Unternehmer
Diese Analogien können natürlich einen wesentlichen Unterschied zwischen der italienischen und der deutschen Situation nicht verwischen: In Italien war die Absetzung der vollständig diskreditierten politischen Elite eine zwingende Notwendigkeit. Für die wirtschaftlich Mächtigen sollte sich aber „alles ändern, damit alles bleibt, wie es ist": Die Kandidatur eines von ihnen wurde damit zwar nicht zwingend notwendig, aber immerhin möglich.
Aber auch unabhängig von den besonderen Bedingungen des Umbruchs in Italien ist der „Fall Berlusconi" ein Sonderfall: Berlusconi vereinte in sich fast alle Eigenschaften und Fähigkeiten, die ein erfolgreicher Kandidat haben kann (zumindest am Wahl-
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tag; weil ein Teil des Glanzes inzwischen verblaßt ist, verwende
ich für die Beschreibung einiger seiner Qualitäten bewußt die
Vergangenheitsform):
> Er war der Garant für Kontinuität in einer viele verunsichernden Umbruchsituation.
> Gleichzeitig pflegte er geschickt das Image des „neuen" Mannes.
> Er konnte sich als erfolgreicher Unternehmer präsentieren.
> Ein von ihm selbst gesteuerter Medienapparat sorgt für optimale Wirkung seiner Auftritte und Botschaften.
> Er hatte und hat mächtige, anonyme Freunde, die über enorme Geldmittel verfügen.
> Auch im Fußball, der größten Leidenschaft zumindest der männlichen Italiener, steht sein Name für spektakuläre Siege.
> Er ist ebenso Machtmensch wie Heuchler, außerdem gelernter Entertainer.
> Er vermittelt den Eindruck, er glaube an das, was er sagt -auch dann, wenn die Fakten eindeutig gegen ihn sprechen.
> Seine „gepflegte äußere Erscheinung" entspricht der des aus der Werbung vertrauten Erfolgsmenschen, der sich alles leisten kann - Waren ebenso wie persönliche „Extratouren". Das ist unbestreitbar eine seltene Kombination von günstigen
äußeren Umständen und persönlichen Talenten. Die anfängliche Reserve der italienischen Unternehmer gegenüber Berlusconis Kandidatur bezog sich auch weniger darauf, daß man ihm den Job nicht zutraute. Vorbehalte gab und gibt es wegen seiner allzu offensichtlichen Eigeninteressen, die eine effektive Arbeit für den „ideellen Gesamtkapitalisten" behindern könnten. Nach seiner Wahl zum Ministerpräsidenten kam dann das offizielle Ja des Unternehmerverbandes Confindustria für die neue Regierung, deren Programm „sich an unseren Werten orientiert", wie Verbandspräsident Luigi Abete sich ausdrückte.38
Nach den ersten Monaten der Berlusconi-Regierung haben die Sorgen im Unternehmerlager wieder zugenommen. Nach dem Fiasko mit dem zurückgenommenen Dekret über die Aussetzung der Untersuchungshaft für Korruptionsverdächtige (das von den involvierten Unternehmern natürlich befürwortet wurde) sank der Wechselkurs der Lira auf einen historischen
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Tiefpunkt. Der schon zitierte Ausspruch von FIAT-Boss Agnelli, Berlusconi siege für alle Unternehmer, aber verliere allein, stimmt seit dessen Amtsantritt nicht mehr. Bisher läuft das Experiment der Unternehmer-Regierung keineswegs so erfolgversprechend, daß es andere zur Nachahmung beflügeln könnte. „Diesmal wählen wir uns selbst" - das Motto der links-alternativen Bunten Liste von 1978, das die Basisverankerung des Bürgerinitiativenbündnisses zum Ausdruck bringen sollte - ist kein überzeugender Slogan für eine Partei der Reichen. Der direkte Einstieg berühmter (und entsprechend auch gehaßter) Großkapitalisten in die Politik weist auf eine zugespitzte Krisensituation hin, die in den übrigen Ländern Westeuropas so nicht besteht.
In Italien kam die Gründung von Forza Italia auch keineswegs so plötzlich, wie Berlusconi glauben machen will. Schon seit Jahren wurde über eine „Partei der Industriellen" nachgedacht. Im August 1991 z.B. startete Berlusconis Wochenmagazin Panorama eine Werbekampagne für den FIAT-Manager Cesare Romiti, der drastischer als andere Kapitalisten das Versagen der italienischen Politiker beklagte und Maßnahmen zur „Rekonstruktion des Landes" - durch Senkung der „Kosten der Arbeit" - forderte. Anderenfalls riskiere „Italien in Europa einen Schlag auf die Nase, an dem es 30 Jahre lang genug haben wird." Eine Bewerbung um ein politisches Amt war mit diesen Warnungen nicht verbunden, und auch andere Kapitalisten schlossen eine Unternehmer-Partei einstweilen kategorisch aus. Statt dessen forderten sie ein „politisches Profil" für den Unternehmerverband, „auch in der Frage der Institutionenreformen". Panorama brachte schon damals den Chef des eigenen Hauses ins Spiel, der namentlich mit Olivetti-Chef De Benedetti in offener Feindschaft lebte. „In Krisenzeiten ist es besser, die Rivalitäten zu beenden"39, zitiert das Blatt die Confindustria-Bosse. De Benedetti schien das genau so zu sehen: „Diese Wirtschaft ist jetzt an der Endstation angelangt. Wir spielen die letzten Karten aus, um die verlorene Glaubwürdigkeit als modernes Industrieland zurückzugewinnen."40 Die vorläufig letzte Karte trug das Bild von „König Silvio" Berlusconi.
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Dessen alte Feindschaft - nicht nur zu De Benedetti - könnte bald neu angeheizt werden. Berlusconis Kollegen erwarten eine starke Regierung, die ihr Programm zum Wohle des Kapitals zügig in die Tat umsetzt. Die ersten Monate seiner Amtszeit werden sie nicht zufriedengestellt haben. Berlusconi glänzt nach wie vor ausschließlich auf dem Gebiet der Selbstdarstellung. Die Menschen hätten schon gemerkt, daß die von ihm geführte Regierung „besser gearbeitet hat als alle ihre Vorgänger"; „das Vertrauen der Bürger ist da"; „zwei von drei Italienern gefällt meine Regierung"41 - Behauptungen von geradezu peinlicher Realitätsferne. Gianni Pilo, der „Magier der Statistiken", versorgt den Chef mit phantastischen Umfrageergebnissen - und macht sich und seine vor kurzem noch bewunderte „wissenschaftliche" Arbeitsweise zunehmend lächerlich. 75% der Italiener seien für Berlusconi, will er Ende Juli 1994 (kurz nach der Krise, die fast zum Sturz der Regierung geführt hätte) herausgefunden haben - Berlusconi selbst zog davon wohlweislich ein paar Prozentpunkte ab.
Allein auf der Basis gefälschter Umfrageergebnisse kann natürlich auf Dauer keine Regierung bestehen. Die Schwierigkeiten bei der Sanierung der Wirtschaft könnte Berlusconi zu einer Verlagerung seiner Aktivitäten auf ein Feld veranlassen, auf dem er bisher seine einzige „historische Leistung" vorzuweisen hat: das der „symbolischen" Politik, der „Vergangenheitsbewältigung" und Rehabilitierung des Faschismus. Die deutschen Rechten, die seit langem das „normale" und „unverkrampfte" Bekenntnis zur Nation einklagen, erhoffen sich hier allesamt Schützenhilfe vom italienischen „Modell". Einige - Schönhuber, Nolte und FAZ-Kommentator Fischer - gestehen das auch ganz offen ein; andere Propagandisten deutschen Nationalstolzes müssen - aus Rücksicht auf ihre exponierte Stellung - einstweilen vorsichtiger sein. Wolfgang Schäuble, der ranghöchste nationalistische Ideologe, schrieb - vor dem Sieg der italienischen Rechten - über das mangelhafte Nationalgefühl der Deutschen: „Eine solche emotionale Bindung, das verinnerlichte Ethos einer stets zur Selbstbehauptung und Verteidigung der Freiheit bereiten Schicksalsgemeinschaft konnte nach dem Zweiten Welt-
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krieg natürlich nicht über Nacht heranreifen."42 Die Herstellung „nationaler Identität", die Bereitschaft zur (weltweiten) „Verteidigung der Freiheit" kann in Deutschland nur auf dem Wege der Aussöhnung mit der braunen Vergangenheit gelingen. Um diesen Prozeß der „Reifung" zu beschleunigen, wird die ausstrahlende Kraft des italienischen Modells auch Schäuble willkommen sein.
Berlusconi allerdings bewegt sich hier in einem Dilemma. Schließlich wurde er gewählt, „weil er das Problem der Arbeitslosigkeit und des wirtschaftlichen Aufschwungs lösen sollte, nicht um eine Debatte über den Faschismus zu führen." (Gian Enrico Rusconi) Das ist vielmehr das Ressort von Gianfranco Fini, der in der Tagespolitik vergleichsweise „moderat" agiert und damit gegenüber Berlusconi und Bossi in den ersten Monaten der Rechtsregierung eindeutig an Popularität gewonnen hat.
„Berlusconismus" auf deutsche Art
Der Augenschein spricht dagegen - Helmut Kohl soll die deutsche Ausgabe von Berlusconi sein? Hier der kleine, drahtige, elegante, weltmännische Charmeur und Selbstdarsteller - dort der extrem übergewichtige, häßliche, sich linkisch bewegende Drauflos-Redner mit dem unausrottbaren Oggersheimer Akzent; unterschiedlicher können Menschen kaum sein. Und doch haben Helmut Kohl und sein Beraterstab zwei wesentliche Lehren des „Berlusconismus" verstanden; genau genommen sind sie von selbst darauf gekommen und durch Berlusconis Triumph nur in dem bestätigt worden, was sie schon wußten. Erstens: Ständige Medienpräsenz ist eine wesentliche Voraussetzung für Erfolg. Zweitens: Um die Menschen anzusprechen, muß Optimismus verbreitet werden.
Von Kohls Medienpräsenz zeigte sich selbst die taz, der man alles Mögliche, aber keine heimlichen Sympathien für Kohl nachsagen kann, beeindruckt: „Wie der Mann das macht, bleibt sein Geheimnis. Eben war er noch auf dem DGB-Kongreß, dann sehen wir ihn vergnügt schwitzend neben Clinton im Fußballstadion in Chicago, und schon steht er staatsmännisch in der
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Münchner Residenz, wo er sich den Adenauer-Freiheitspreis der rechtslastigen Deutschlandstiftung e.V. überreichen läßt; vor 1.200 ausgewählten Gästen -150 davon gar auf eilig eingerichteten Stehplätzen. Kein Wunder, daß Hans Klein bei der sonntäglichen Begrüßung im Herkules(!)saal vom 'schier übermenschlichen' Einsatz des Gepriesenen spricht. Was die Medienpräsenz des Kanzlers angeht, hat er auf jeden Fall recht. Denn natürlich läßt es sich das Bayerische Fernsehen nicht nehmen, die Preisverleihung drei volle Stunden lang live zu übertragen."44
Zu seiner Personality-Show auf Sat 1 kommen die Auftritte in den übrigen Programmen hinzu; auch wenn in der ARD Volkslieder gesungen werden, ist er dabei; eine Einladung von RTL-Moderator Hans Meiser nutzt er zur Eigenwerbung. Der Spiegel (31/1994) zitiert Volker Rühe: Kohl sei „total in der Abteilung Verkauf tätig. Die Abteilung Produktion leitet inzwischen ein anderer" - Wolfgang Schäuble, der strategische Denker und Ideologe. Diese Arbeitsteilung - das Hamburger Nachrichtenmagazin muß es wissen - wurde tatsächlich schon vor Berlusconis Durchmarsch vereinbart. In der Wahlkampagne solle „voll auf die Emo-Schiene" gesetzt werden, wird ein Wahlkampfberater zitiert - „Wahlwerbung auf möglichst niedrigem Niveau, Politik als 'Infotainment', kein Streit in der Sache, um nirgends anzuecken - das war das Ergebnis der Strategiegespräche, zu denen Kohl Ende vorigen Jahres (1993; Anm. J.R.) seine engsten Ratgeber zusammengerufen hatte."45
Mit der „Rote-Socken"-Kampagne gegen die PDS und das angeblich drohende „Volksfrontbündnis" mit der SPD wurde dann immerhin noch ein Thema gefunden, das zur Polarisierung taugte. Dank dieses Schreckgespenstes konnte die Wahl zu einer „Richtungsentscheidung" erklärt werden, bei der Deutschlands Zukunft auf dem Spiel stehen würde. Auch Berlusconi hatte solch einen „Antikommunismus ohne Kommunisten" (Achille Occhetto) gepflegt, um damit Wähler zu mobilisieren.
Im übrigen aber hieß das Wahlprogramm der CDU schlicht Helmut Kohl. Im Mittelpunkt der Wahlkampagne, so CDU-Generalsekretär Peter Hintze, stehe die „Kanzler- und Aufschwungentscheidung" - womit letztlich ein und dasselbe gemeint war: Kohl ist der Aufschwung, kein Aufschwung ohne
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Kohl. Der Kanzler war Alleindarsteller, in TV-Spots, Plakaten und Großveranstaltungen, wobei die Plakate mit dem „Kanzler für die Menschen" (Hintze) erstmals völlig ohne Worte auskamen: Kohl inmitten einer jubelnden Menschenmenge - da war selbst das CDU-Signet verzichtbar.
Kohl gleich Aufschwung, Kohl gleich Optimismus - „Zuversicht", das Schlüsselwort aus Kohls alljährlichen Neujahrsbotschaften, wurde zur Richtlinie der Politikdarstellung. Zu der parteioffiziellen Kampagne wider die schlechte Stimmung gesellte sich ein formal überparteilicher Verein namens „Wir für Deutschland" - eine Art „Forza-Kohl"-Club, an dem vor allem Top-Manager aus der privaten Wirtschaft beteiligt waren. Mit Zeitungsanzeigen und Werbespots sollten „Mißmut und Pessimismus" ermutigende Alternativen entgegengesetzt werden: die „positive Wirkung von Vorbildern", eine „positive Bilanz der Einheit", ein „positives nationales Selbstwertgefühl".46 Auf Plakaten ergriffen mehr oder weniger prominente Zeitgenossen mehr oder weniger offen Partei, z.B. Berti Vogts, Bundestrainer: „Man muß an die eigene Stärke glauben. Wer zweifelt, kann für sich und unser Land nicht gewinnen!" (verzapft vor der Fußball-WM), oder Hans Josef Brauwers, ein Gärtner auf eigener deutscher Scholle: „Miesmacher kann unser Land jetzt nicht gebrauchen. Sondern Leute, die kräftig mit anpacken." Darunter stand jeweils der Satz, der auch als Drohung aufzufassen ist: „Das Land sind wir." Die TV-Spots dieses Vereins zeigten „schöne Landschaftsbilder, lachende Kinder, glückliche Arbeiter".47
Forza Germania - du bist schön! Berlusconi, der mit seinen Spots die gleiche Stimmung transportierte, kann hier noch etwas lernen: Wie man sich das Ganze von einer Initiative finanzieren läßt, an der sogar rechte Sozialdemokraten (die Gewerkschaftsvorsitzenden Hermann Rappe und Willi Arens, dazu Ex-Minister Georg Leber) teilnehmen dürfen.
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KONSEQUENZEN
GIBT ES MITTEL GEGEN DIE MEDIENDIKTATUR?
Wer die Gefahren, die aus dem Modell Italien auch für andere europäische Länder erwachsen, ernst nimmt, wird sich Gedanken machen müssen, wie denn eine Verständigung der noch handlungsfähigen linken und demokratischen Opposition auf gemeinsame Gegenwehr erreicht werden kann. In Italien wurde mit den antifaschistischen Demonstrationen am 25. April 1994 -dem 49. Jahrestag des Volksaufstands gegen Faschismus und deutsche Okkupation - dem neuen Rechtsblock eine deutliche Warnung übermittelt. „Die Geschichte sind wir", „Der Partisanenkampf ist nicht vorbei" - mit diesen und ähnlichen Parolen demonstrierten in Mailand 300.000 Menschen ihre Bereitschaft, das antifaschistische Erbe zu verteidigen. Selbst die angestaubte Partisanenhymne „Bella ciao" habe wie ein junges und höchst aktuelles Lied geklungen, befand La Repubblica tags darauf.
Gemeinsame Aktionen derer, die den Antifaschismus als Verfassungsgarantie verteidigen wollen, werden auch in Zukunft unverzichtbar sein. Daß die Rechten - in Italien wie in Deutschland - die Aussöhnung mit der schwarzen bzw. braunen Vergangenheit betreiben, um ein neues, auch aggressiv nach außen mobilisierbares Nationalbewußtsein zu schaffen, wurde ausführlich dargelegt. Allerdings können die eindrucksvollen antifaschistischen Aktionen des 25. April die Zerstrittenheit des „fortschrittlichen" Lagers in nahezu sämtlichen Fragen der Politik nicht verdecken. Rifondazione Comunista, unter den Parlamentsparteien die entschiedenste Verteidigerin der antifaschistischen Kultur und Tradition, leugnet diesen Zustand zwar nicht. RC-Sekretär Fausto Bertinotti hebt auch die Notwendigkeit hervor, die „Kritikfähigkeit gegenüber kapitalistischer Modernisierung wiederherzustellen" und sich darin deutlich vom PDS
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abzusetzen, der „in all diesen Jahren dafür gearbeitet (hat), diese Modernisierung zu unterstützen". Dennoch plädiert er dafür, „die Diskussion über die internen Beziehungen der Linken zurückzustellen" und statt dessen eine Politik der Aktionseinheit zu betreiben: „Mit der 'Aktionseinheit' wollen wir eine politische und soziale Massenbewegung schaffen, die in der Lage ist, die Rechte bei der Konstruktion ihres Regimes zu stoppen." Ber-tinotti spricht nicht vom Faschismus, sondern von Tendenzen der Rechtsregierung, „ein autoritäres Regime zu installieren". Folgerichtig will er auch „Kräfte mit christlich-demokratischer Tradition"1 in Bündnisse einbeziehen.
Auch Rossana Rossanda, Mitbegründerin der kommunistischen Tageszeitung il manifesto, warnt davor, die Funktion des Antifaschismus als erledigt anzusehen oder „Garantien für die Unschädlichkeit eines Fini" abzugeben, wie das führende Intellektuelle - sie nennt Vittorio Foa, Norberto Bobbio und Lucio Colletti - seit einiger Zeit tun. Solche Erklärungen seien „einigermaßen unklug, da ein starker faschistischer Stimmenanteil den Weg zu einem Prügelstaat freimacht, und es ist nicht gesagt, daß sich dieser bei einer Verschärfung der sozialen Krise nicht noch als nötig erweisen wird: Nach einer ersten Unschlüssigkeit beneidet Le Figaro Italien um eine Regierung, die es vielleicht besser als Balladur verstehen wird, mit den Arbeitslosen und den Jugendlichen auf der Straße fertigzuwerden."2
Die Redaktion von il manifesto, die wesentlichen Anteil an der erfolgreichen Mobilisierung zum 25. April 1994 hatte, geht in der Brandmarkung der Berlusconi-Regierung noch einen Schritt weiter als Bertinotti und Rossanda. Am Tag nach der Vorstellung der neuen Minister erschien das Blatt mit einer geschwärzten Titelseite und der Schlagzeile „Governo nero" („Schwarze Regierung"); darunter einige wenige Zeilen Text: „Faschisten und Monarchisten, Lega-Leute und christdemokratischer Schrott, Industrielle, Anwälte und Manager der Fininvest: das sind die Minister der Regierung Berlusconi. Eine kompakte Regierung der extremen Rechten, die drei nationale Fernsehkanäle und viele Zeitungen besitzt und die die (staatliche Fernsehanstalt) RAI kontrollieren wird. Eine Regierung, die Ita-
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lien spaltet und der (Staatspräsident) Scalfaro pathetisch die Einheit des Landes anempfiehlt."3
Es wäre verfehlt, Berlusconi und seine Mannen (der Regierung gehört eine einzige Frau an) gegen diese Anklage in Schutz zu nehmen. Berlusconi hat sich mit den Kampfgefährten und Erben Mussolinis gemein gemacht und fünf von ihnen (drei aus dem alten MSI) in seine Regierung geholt; er hat damit ein verbrecherisches Regime rehabilitiert, das Oppositionelle ermorden ließ, in Afrika Völkermord betrieb, an der Seite Nazi-Deutschlands in den Weltkrieg zog und an der Vernichtung der Juden mitwirkte. Er muß es sich also gefallen lassen, ein Faschistenfreund genannt zu werden. Allerdings ersetzt die Agitation keine Analyse - aus der Vereidigung von fünf neofaschistischen Ministern folgt noch nicht, daß seit dem 10. Mai 1994 in Italien der Faschismus herrscht bzw. der Weg in den Faschismus unvermeidlich ist. Nicht wenige italienische Linke aber, insbesondere „die standhaften Teile der institutionellen Linken, aber auch der kämpferische Teil der Arbeiter (scheinen) davon überzeugt zu sein, daß es nun darum gehen muß, wieder eine Art antifaschistischer Front gegen die Rechte von Berlusconi, Fini und Bossi auf die Beine zu stellen, um somit einer Opposition Auftrieb zu verschaffen, die sich in vieler Hinsicht arm an Vorschlägen, Initiativen und Ideen darzustellen weiß", schreibt Cosimo Scarinzi und fährt fort: „Es fehlen auch nicht diejenigen, die sich schon in der Pose von Widersachern sowohl des Regimes, das sich mühsam aufbaut, als auch einer blinden und tierischen Masse sehen, die den schwarzen cavaliere (Berlusconi) gewählt hat."4
Andere Exponenten der außerparlamentarischen italienischen Linken bekennen offen ihre Auffassung, „daß das Gerede vom Faschismus eine Vereinfachung ist". Sergio Bologna u.a. ziehen es vor, von einer „konservativen Revolution" zu sprechen, und rufen einen außerhalb Italiens meistens übersehenen Umstand in Erinnerung: „Von der öffentlichen Meinung sind die Parteien der linken Koalition viel eher als Verteidiger denn als Reformer des alten Systems der ersten Republik empfunden worden."5
Die nüchterne Analyse der Situation fällt angesichts der faschistischen Provokationen schwer: Gianfranco Fini lobt Mus-
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solini; Parlamentspräsidentin Irene Pivetti (Lega Nord) ergänzt, der Duce habe viel für die Frauen getan; ein Europakandidat von Alleanza Nazionale (AN) will Homosexuelle in Konzentrationslager sperren; Arbeitsminister Mastella (AN) spielt auf die Lüge von der "Jüdischen Weltverschwörung" an und macht für die Schwäche der Lira die "jüdische Lobby" in New York verantwortlich; Umweltminister Matteoli (ebenfalls AN) bezeichnet Abtreibung ohne alle Einschränkung als Mord. Dazu kommt Berlusconis ungenierter Versuch, das Staatsfernsehen RAI auf Regierungskurs zu bringen.
Dennoch ist der Einwand von Cosimo Scarinzi richtig, daß die so „entstandenen Stimmungsbilder ... auf praktisch-politischer Ebene gefährlich sind".6 Denn wo der Faschismus sich gerade etabliert oder unmittelbar bevorsteht, kann es für die demokratischen Kräfte, welcher Partei auch immer sie anhängen, nur eine Aufgabe geben: die antifaschistische Einheitsfront zu formieren. Wie bereits gezeigt wurde, hat sich in Italien der prinzipienlose, von vielen als konservativ empfundene Zusammenschluß der progressisti gerade als ein Grund für den Triumph der Rechten herausgestellt. Hier wäre gerade die deutliche Profilierung einer linken Alternative gefordert, die sich der Krisenbewältigung auf Kosten des unteren Drittels der Gesellschaft entgegenstellt.
Der Führungswechsel im PDS ist leider kein Indiz dafür, daß diese Partei ihre positive Haltung zur kapitalistischen Modernisierung überdenken will - eher im Gegenteil. Massimo D'Alema, der neue Mann, will den Bruch mit den PCI-Traditionen weiter forcieren: „Ich habe Dinge gesagt, die auch in unserem Lager Unruhe auslösen; Schluß mit der Rigidität hinsichtlich der Arbeit; Schluß mit dem Tabu der privaten Schule; Schluß mit einer Linken, die nur die Gefahren sieht, die aus Berlusconis Änderungen entstehen. (...) Ich bin gewählt worden, weil ich gesagt habe, ich will alles ändern ..."7
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Deutsche Linke und der Sieg der Rechten in Italien
Die meisten deutschen Linksradikalen, die sich über den „Fall Italien" verbreitet haben, scheinen die praktisch-politischen Folgen ihrer wenig fundierten Thesen nicht sonderlich zu interessieren. Hier geht es eher nach der Devise: Je katastrophaler die „Analyse" und die Prognose für die baldige Kopie des italienischen Vorbilds in Deutschland ausfallen, um so „linker" darf sich deren Urheber fühlen. In den linken Tageszeitungen - taz, Neues Deutschland und Junge Welt - erleben wir einen Wettbewerb der Oberflächlichkeiten, in dem der eigentliche Gegenstand des Streits mehr und mehr aus dem Blick gerät. Hier passen sich offensichtlich auch die linken Massenmedien dem allgemeinen Seichtigkeitstrend immer mehr an: Statt Information und Argumentation wird Spektakel geboten.
So präsentierte Frank Wehner im Neuen Deutschland nach den italienischen Wahlen „Europas neues Traumpaar: Shiri und Silvio" (Artikelüberschrift). Gemeint waren Schirinowski und Berlusconi, „so fern und doch in vieler Hinsicht nah". Das ist Populismus von links ohne jeden aufklärerischen Wert: Der Autor ist zufrieden, wenn sein Publikum sich im Angesicht des personifizierten Bösen so richtig gruselt. Sein ernst zu nehmender Hinweis, in Italien habe „1922 schon einmal etwas angefangen, das andere dann zu schlimmster Hochform brachten"8, wird durch solche effekthascherischen Formeln gleich wieder entwertet.
Den genau entgegengesetzten Weg schlug der langjährige Italien-Korrespondent der taz, Werner Raith, ein. Vermutlich in der Absicht, dem häufig uninformierten Katastrophismus etwas entgegenzusetzen, redete er seinerseits die Gefahr klein. Auch gegenüber den Neofaschisten müsse „die uns doch sonst so heilige Unschuldsvermutung" gelten; zwar könne man annehmen, „daß viele Neofaschisten das Verbot der Neugründung der Mussolini-Partei in der Verfassung gerne streichen, internationale Verträge - wie den über die Zugehörigkeit von Istrien und Dalmatien zu Jugoslawien - brechen und gar kriegerische Abenteuer auf dem Balkan und in Nordafrika durchaus in Erwägung ziehen möchten. Nur: Aus dem Programm läßt sich dies nicht ableiten."9 Wie wir gesehen haben, irrt der Korrespondent: Die
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Revision des Vertrags von Osimo (bezüglich Istriens und Dalma-tiens) ist eine programmatische Forderung von Alleanza Nazionale. Und das Verbot der faschistischen Partei Mussolinis - einschließlich des Verbots ihrer Neugründung - wollten die neugewählten neofaschistischen Abgeordneten gleich im Mai 1994 per Gesetzesinitiative aufheben lassen. Der entsprechende, dann als „nicht opportun" zurückgezogene Antrag trug auch die Unterschrift von AN-Sekretär Gianfranco Fini. (vgl. Kapitel 3)
Die Breitseite der dritten linken Tageszeitung ließ nicht auf sich warten. Zwei Tage nach Raiths mißlungenem Versuch, die „polizeilich unbescholtenen Minister der Nationalen Allianz" in Schutz zu nehmen, konterte Jürgen Elsässer in der Jungen Welt mit einer persönlichen Beschimpfung des taz-Korrespondenten: „Zum Staatsbesuch von Berlusconi rollen FAZ und TAZ den schwarzbraunen Teppich aus. (...) Dieser TAZ-Korrespondent wird es im Neuen Italien noch weit bringen." Elsässer verschweigt das eigentliche Thema des verunglückten taz-Kommentars. Anläßlich von Berlusconis Antrittsbesuch bei Kohl hatte Raith die Frage gestellt: „Darf man so einem die Hand geben?" Er beantwortete sie mit einem klaren Ja - u.a. mit Hinweis auf die kriminellen Machenschaften von Berlusconis Vorgängern. Die Inschutznahme der AN-Minister („Unschuldsvermutung") fälscht Elsässer um in ein „Lob"; zu den kriminellen Taten, die z B. dem stets mit höchsten Ehren empfangenen Giulio Andreotti zur Last gelegt werden, äußert er sich nicht: Hier geht es immerhin um mafiose Bandenbildung und Anstiftung zum Mord.
Die demonstrative Ignoranz gegenüber der Vorgeschichte des März 1994 - den fast fünf Jahrzehnten „blockierter Demokratie" in Italien (Michael Braun) - ist überhaupt ein häufig anzutreffendes Merkmal der einschlägigen Kommentare deutscher Linker. Wo diese Vorgeschichte überhaupt zur Kenntnis genommen wird, muß sie geschönt und als „normal" ausgegeben werden. So ist die Mafia für Hermann L. Gremliza ein etwas anderer „Sozialstaat im Staat"10, und Christian Schmidt erklärt die „sozialpolitischen Verhältnisse" Italiens für „normal"11 (wenn auch mit Anführungszeichen). Zu diesen angeblich „normalen" Verhältnissen gehören Klientelismus, Korruption, Postenschacher
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und die systematische Bereicherung der Politiker und ihrer Parteien, die den Staat als ihre Beute betrachten.
Werner Raith kann man allenfalls zugute halten, daß er sich der nostalgischen Verklärung dieser jüngsten italienischen Vergangenheit entgegenzustellen versuchte. Schon in seinem ersten Kommentar zur „ganz neuen Lage" nach dem Erdrutschsieg der Rechten vergriff er sich dabei allerdings in der Wahl seiner Argumente: „Der sogenannte 'Stammwähler' verweigert seine Dienste, an seine Stelle tritt der Pragmatiker. Das wird, zumindest in Italien, unter Umständen noch instabilere Verhältnisse als bisher schon bedingen. Doch muß das nicht unbedingt ein Nachteil sein. Es wird zumindest jenen Sargnagel der Demokratie tilgen, welcher in der bisher nahezu unangefochten waltenden Sicherheit der Politiker bestand, ihr Amt qua festgefügter Partei nahezu unendlich festhalten zu können und sich ums Volk und seine Bedürfnisse einen Dreck zu scheren."12 Woher er dieses Vertrauen in den „Pragmatismus" der Wählerinnen und Wähler nimmt, die sich bald wieder anderen Kräften als den Rechten zuwenden könnten, bleibt sein Geheimnis. Mit der provokatorischen Überschrift „Italiens Wahl hat auch Positives" machte der Kommentator seinerseits deutlich, daß ihm an einer konstruktiven Debatte über das italienische Wahlergebnis und seine Folgen für Europa wenig gelegen ist.
So stehen sich denn zwei Thesen gegenüber, mit deren Begründung sich ihre Urheber nicht weiter aufhalten: „Mehr als ein 'Rechtsruck' nämlich ist das Wahlergebnis ein Nicht-Linksruck"13 (Raith); und: „Wir erleben die Herausbildung eines modernen Faschismus", „Berlusconis Italien (wird) prototypisch für das werden, was westeuropäischer Standard von morgen sein wird"14 (Schmidt). Alles halb so schlimm, findet der eine - die Katastrophe ist nicht mehr aufzuhalten, verkündet der andere.
Der TV-Kulturimperialismus will Weltherrschaft
Wo der Kampf schon verloren gegeben wird, muß über eine zweite Frage, die Berlusconis Siegeszug weltweit auf die Tagesordnung gesetzt hat, gar nicht mehr nachgedacht werden. Gibt
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es Mittel, die den Monopolisten der vierten Gewalt wirksam entgegengesetzt werden können?
Die technische Entwicklung auf dem Gebiet der elektronischen Medien verläuft derart rasant, daß Silvio Berlusconis in die Politik verlegtes Familienunternehmen schon bald als hoffnungslos überholt angesehen werden könnte. Die Technik der „digitalen Kompression" soll - zunächst in den USA - die Installation eines „Information Highway", einer „Datenautobahn", ermöglichen. Über ein Endgerät, eine Mischung aus Computer, Fernseher und Telefon, das an ein Glasfasernetz angeschlossen ist, wird „interaktives" Fernsehen ebenso möglich wie „Home-Shopping": Per Fernbedienung und Computer-Maus ordert der „User" nicht nur seine Pizza, sondern stellt sich auch sein persönliches Fernsehprogramm zusammen. Vorläufer dieser neuen Medienanwendung ist die Methode des „pay-per-view" oder „video-on-demand" (nicht zu verwechseln mit dem schon etablierten „Pay-TV", dem Abonnementsfernsehen): „Der Zuschauer zahlt nur für das, was er auch gesehen hat. Die Gebühr für empfangene Programm-Minuten wird mit der Telefonrechnung eingezogen."15
Was von seinen Apologeten als „Demokratisierung" verkauft wird, dürfte tatsächlich zu einer Abhängigkeit des Fernsehkonsumenten von einigen wenigen internationalen Mega-Unternehmen führen. Die Etablierung der neuen Technik erfordert den Einsatz enormer Kapitalmengen. In den USA, wo Präsident Clinton den „Information Highway" zum vorrangigen Regierungsprojekt gemacht hat, das bis etwa 2017 verwirklicht sein soll, rüsten sich die Konzerne der Kommunikationsindustrie mittels immer größerer Fusionen. „Die über die neue Fusionswelle entstehenden Konglomerate sind insgesamt noch nicht abzusehen. Klar scheint derzeit nur, daß sich jeweils Kabelunternehmen mit Software-Firmen (Film- und Fernsehproduktion) und möglicherweise auch mit Hardware-Produzenten vereinen."16 Die im Programm von Forza Italia erhobene Klage gibt angesichts dieser erdrückenden Konkurrenz den Sachverhalt korrekt wieder: Sowohl bei der „technologischen Innovation" als auch bei der Privatisierung der bisherigen staatlichen Monopole in der Telekommunikation sei „Italien erheblich im Rückstand".
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Aus dem Rennen ist Berlusconis Fininvest-Gruppe deshalb noch lange nicht. Erstens ist die „Datenautobahn" bisher Zukunftsmusik; zum anderen ist Berlusconis Unternehmensgruppe keineswegs auf sich allein gestellt. Die Kooperation mit den anderen in Europa aktiven Mediengiganten funktioniert zum gegenseitigen Vorteil. Mit Leo Kirch ist Berlusconi sowohl beim Deutschen Sportfernsehen (DSF) als auch beim italienischen Pay-TV-Sender Telepiù verbunden. Dem öffentlichen Druck, wegen seines Mandats als Ministerpräsident wenigstens die meinungsmachenden Teile seines Konzerns zu verkaufen, könnte er auf elegante und wenig schmerzhafte Weise nachkommen: durch einen Verkauf an Murdoch oder Kirch mit garantiertem Rückkaufrecht. An der politischen Tendenz der entsprechenden Kanäle würde das nichts ändern.
Für den Fall, daß Kirch Berlusconis Kanäle übernehmen sollte, würde er sich damit auf direktem Wege für eine „Gefälligkeit" seines Mailänder Kollegen revanchieren: Dessen Eintritt beim DSF diente vor allem dazu, Kirch aus der Schußlinie zu ziehen. Das war einerseits völlig legal, führte aber auch den deutschen Kontrollgremien ihre ganze Ohnmacht vor Augen. Hans Hege (FDP), Vorsitzender der Konferenz der Landesmedienanstalten, zu diesem Trick: „Wir haben ja schon beim Fall Deutsches Sportfernsehen die Tendenz beobachtet, daß man sich international über Konzentrationsgrenzen hinweghilft, indem der eine Anteile hält, die der andere nicht halten darf."17
Die Konzentration von Medienmacht wird aber nicht erst dann zur Gefahr, wenn sich diese in den Händen dezidiert rechter Figuren befindet, die sie entweder persönlich nutzen (wie Berlusconi) oder politischen Freunden zur Verfügung stellen (wie Kirch). Die Kirch-Gruppe sei „ein an wirtschaftlichem Erfolg interessiertes Unternehmen, das keine politischen Ziele verfolgt"18, antwortete ein Sprecher auf Kritiken an der unentgeltlichen Kohl-Werbung auf Sat 1. Eine dreiste Lüge, sicherlich - aber was wäre gewonnen, wenn der Sender den sozialdemokratischen Kanzlerkandidaten gleichberechtigt behandelt hätte (statt ihn, wie geschehen, ins rheinland-pfälzische Regionalprogramm abzuschieben)? Das Beispiel Murdoch zeigt, daß die parteipolitischen Präferenzen der „Medien-Mogule" durchaus
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wechseln können, wenn es dem Wohle des Unternehmens nützt. Murdoch kann sich für die Zukunft sogar vorstellen, „den britischen Labour-Führer Tony Blair zu unterstützen"19 - ganz ohne Austausch der politischen Eliten verliert das System seine Innovationsfähigkeit, wie das italienische Beispiel zeigt.
Ob Murdoch selbst es mit dieser vergleichsweise flexiblen Politik schafft, „die Welt zu beherrschen" - dieses Ziel unterstellen seine Kritiker - ist dabei unerheblich. Das von ihm und anderen weltweit propagierte westliche Zivilisationsmodell wird durch keine globale Alternative mehr in Frage gestellt. Einzelne nationale Kulturen werden sich eine Zeitlang widersetzen; Regierungen werden versuchen, die kapitalistische „Medienvielfalt" zu verbieten. Auf Dauer ist beides aussichtslos. Über Satellit dringt die Botschaft bis in den fernsten Winkel: Kapitalismus ist schön, und Konsum ist Freiheit. Rupert Murdoch kennt die Wirkung seiner Programme nur zu gut: „Viele Arme wollen doch nur deshalb in die Vereinigten Staaten immigrieren, weil sie die amerikanischen Filme und Serien gesehen haben." Daß die von Murdoch hochgeschätzte „wunderbar offene Gesellschaft" der USA - wie auch Europas - die Einwanderung aus ärmeren Ländern gewaltsam verhindert, ist nicht mehr sein Problem. Er hat seinen Beitrag geleistet und darf stolz darauf sein, „daß die meisten Chinesen verrückt nach Nike-Schuhen, Levi's Jeans, McDonald's-Hamburgern und Coca-Cola sind".20
Angesichts dieses globalen TV-Kulturimperialismus lenkt die Konzentration auf den jeweils einen dominierenden Bösewicht - Berlusconi in Italien, Kirch in Deutschland - von der eigentlichen Aufgabenstellung ab: Durch Konzentrationsverbote und nicht nur formale Entflechtung Medienmacht zu beschränken. Die von Helmut Thoma (RTL) gegen Kirch betriebene Kampagne mag auf den ersten Blick unterstützenswert erscheinen. Thoma vergleicht seinen mächtigen Konkurrenten gern mit Hugenberg, dem pro-nazistischen Pressemonopolisten der Weimarer Republik, und meint, „schon wieder SA und SS marschieren zu sehen 'bei dem, was die Deutschen in Sachen Medienkonzentration aufführen'."21 Sein Hinweis, daß Otto Beisheim, Kirchs milliardenschwerer Retter, 1943 Scharführer bei der „Leibstandarte Adolf Hitler" gewesen sein soll, könnte den fal-
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schen Eindruck erwecken, die Konkurrenz zwischen RTL und Sat 1 wäre ein Kampf links gegen rechts. Das wird nicht nur durch einen Blick auf die jeweiligen Programme widerlegt. Der an RTL beteiligte Bertelsmann-Konzern war bis vor kurzem hinter Time Warner (USA) der zweitgrößte Medienkonzern der Welt und belegt jetzt immer noch Platz drei. Bertelsmann arbeitet natürlich auch mit Kirch zusammen, u.a. in der Media Service GmbH, an der auch die Telekom und das ZDF beteiligt sind. „Diese Kooperation sprengt das alte duale System von öffentlich-rechtlichen und privaten Sendern"22, schreibt Horst Röper und prognostiziert eine deutliche Zunahme solcher Kooperationen in den neunziger Jahren.
Bertelsmann hat so wenig wie Kirch ein Interesse an wirksamer staatlicher Medienkontrolle. Diese Kontrolle wird zwar immer wieder gefordert, faktisch gibt es sie nicht. Für die Erteilung von Sendelizenzen ist die Landesmedienanstalt zuständig, auf deren Gebiet die beantragende Firma ihren Sitz hat. Länderübergreifende Absprachen etwa zwischen Bayern und Nordrhein-Westfalen laufen nach dem Motto: „Wenn ihr Kirch nichts tut, tun wir Bertelsmann nichts"23, so der schon zitierte Medienrechtler Hege. Ausschlaggebend für das gleichermaßen wohlwollende Verhalten der CDU- wie auch der SPD-geführten Bundesländer ist das Standort-Argument - Arbeitsplätze und Steuereinnahmen. Das Argument gilt auch im internationalen Maßstab: Die staatstragenden Parteien tun alles, um den „Standort Deutschland" zu sichern. Auflagen, gar Entflechtungen wären da äußerst hinderlich - eine Politik des Laissez-faire, von der „wir alle" profitieren, behauptet Bertelsmann-Chef Mark Wössner: „Die Informations- und Entertainmentindustrie hat die Antriebsfunktion übernommen, die früher der Rüstungsindustrie zugeschrieben wurde."24
Zwar sind die Gefahren der Medienkonzentration und der fortschreitende Niveauverlust privater wie öffentlich-rechtlicher TV-Programme durchaus in der öffentlichen Diskussion. Der Wille, die Entdemokratisierung durch effektive Gegenmaßnahmen zu stoppen, ist allerdings in keiner der großen Parteien erkennbar. Der ohnmächtige Medienkontrolleur Hege, selbst FDP-Mitglied, hat denn auch „die Hoffnung auf die Politi-
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ker ... aufgegeben".25 Das von ihm angestrengte Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht, in dem er Kirchs DSF-Lizenz für ungültig erklären lassen will, soll eine Grundsatzentscheidung bringen. Der von Kirch bestellte Gutachter in diesem Verfahren, Ex-Verteidigungsminister Rupert Scholz (CDU), hat schon klargestellt, daß aus seiner Sicht hier „die Freiheit der Nachfrage durch das Publikum" zur Verhandlung ansteht. Das Monopol eines einzigen Fernsehveranstalters sei durchaus zulässig, vorausgesetzt, der Monopolist gewährleiste „in den eigenen Medien die nötigen Voraussetzungen" für eine „publizistische Konkurrenz".26 Im Hause Kirch scheint ihm diese Konkurrenz garantiert: Immerhin darf auf Sat 1 nicht nur Kohls Stichwortgeber Mertes, sondern auch der ehemalige Spiegel-Chefredakteur Erich Böhme seine Talkshow moderieren. Diesem werden - oh segensreicher Pluralismus der großen medienpolitischen Koalition! - gewisse Sympathien für die Sozialdemokratie nachgesagt.
Schlechte Ratgeber für die gebeutelte Linke
Nun ließen sich diese vor unseren Augen ablaufenden politischen und technischen Entwicklungen ohne allzu viel Mühe in einem Szenario komprimieren, das einem neuen - modernen, bunten und erlebnisreichen - Faschismus ähnlich sieht. Sinnvoller erscheint mir allerdings die Herangehensweise Antonio Gramscis, den „Pessimismus der Analyse" mit dem „Optimismus des Willens" zu kombinieren. Übertragen auf die italienische oder deutsche Situation der Jahre 1994ff soll das keineswegs heißen, daß alles schon nicht so schlimm kommen wird. Aber solange die Katastrophe noch nicht eingetreten ist, läßt sie sich auch noch abwenden - im Prinzip, jedenfalls.
Nicht zweckdienlich sind die Ratschläge, die der italienischen Linken, insbesondere dem PDS, von den Kräften der linken „Mitte" erteilt werden. Leute wie Eugenio Scalfari, Giorgio Bocca und Norberto Bobbio sind zweifelsohne „integre" Persönlichkeiten und über jeden Zweifel an ihrer demokratischen, antifaschistischen Gesinnung erhaben. Ihre Kritik am PDS aber kommt von rechts: Dem PDS fehle ein „Leader, der fähig ist, die
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gesamte Mitte-Links-Opposition zu vereinen, so wie Berlusconi die rechte Mitte vereint hat", meint Scalfari und hofft auf die Entstehung einer „Partei der liberalen Linken", die zwischen einem „sozialen Dirigismus" und einem „wilden Liberalismus" die Mitte hält.27 Giorgio Bocca wirft dem PDS gar vor, die Prägungen des „Kommunismus der Dritten Internationale" noch nicht überwunden und der „Modernisierung des Landes" nicht ausreichend Rechnung getragen zu haben.28 Für eine Partei, die sich seit Jahren und mit Recht ihrer vollen Übereinstimmung mit der deutschen Sozialdemokratie rühmt, ist das eine ebenso schmerzliche wie ungerechte Kritik. Zu befürchten ist, daß der PDS sie sich zu eigen macht und mit weiterer Rechtsentwicklung beantwortet. Die von vielen geforderte Aufkündigung des Bündnisses mit Rifondazione Comunista würde dazu gehören. Norberto Bobbio schließlich möchte ein seiner Meinung nach uneingelöstes Versprechen der bürgerlichen Revolution des Risorgimento auf die Tagesordnung setzen. „Italien haben wir geschaffen. Nun geht es darum, die Italiener zu schaffen"29, hatte Graf Camillo Cavour nach der Ausrufung der Monarchie im Jahre 1860 erklärt. Bobbios Bestandsaufnahme 134 Jahre später: „Es gibt keine Italiener, es gibt Lombarden, Venetier, Piemontesen." Er selbst sei stolz, zum „kultivierten Italien, von Dante bis Verdi" zu gehören. Den Massen, denen diese Namen wenig sagen und denen dieses Italien nichts bedeutet, hat Forza Italia ein zeitgemäßeres Nationalgefühl angeboten. Bobbio: „Es gibt also andere Kriterien (für Nationalstolz als die der Gebildeten; Anm. J.R.): Forza Italia ist ein Kriterium. Der Fußball, die Helden des Sports, Ferrari: Viele Italiener identifizieren sich mit diesen Dingen; eben diesen Dingen, die so viel Konsens um Forza Italia geschaffen haben und auf die sich Präsident Berlusconi in seiner Rede vor dem Senat bezogen hat."30 Bobbio sagt das nicht anklägerisch - er meint ein Defizit in der Politik der progressisti erkannt zu haben. Zwei Tage nach seiner Rede nahm Gianni Riotta, Kolumnist des Corriere della sera, den Ball auf. Der von Bobbio behauptete Gegensatz von Hochkultur und Massenkultur sei überholt. Die Linke könne nur dann siegen, wenn sie sich an das halte, „was Umberto Eco seit 30 Jahren lehrt: (...) es gibt keinen Bruch zwischen dem 'kultivierten Italien' und dem
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von 'Milan und Juventus'. Wann immer die Linke diese Lektion angewandt hat, hat sie auch Erfolg gehabt."31 Riottas Vorschlag (der mit Eco nun gar nichts mehr zu tun hat): Die Italienerinnen und Italiener sollten sowohl auf Fausto Coppi (den Radrennfahrer) als auch auf Eugenio Montale (den Dichter) stolz sein. Ein absonderliches Ansinnen: Der selektive Nationalismus von Forza Italia (Fußball und Ferrari) soll um Dante, Verdi und Montale erweitert werden.
In der Redaktion des PDS-Organs L'Unità wurde die Botschaft gehört und beherzigt. Während der Fußball-Weltmeisterschaft in den USA erschien die Zeitung von Chefredakteur Walter Veltroni, der im Kampf um den Parteivorsitz nur knapp unterlag, mit der Schlagzeile „Forza Italia" - wohl um die Anfeuerung der italienischen Mannschaft „nicht den Rechten zu überlassen". Eine Gruppe von Kriegsdienstverweigerern aus Rom setzte dieser Anbiederung an nationalistische Stimmungen die Gründung eines Komitees „Forza Nigeria" entgegen, um den Achtelfinal-Gegner der italienischen Mannschaft demonstrativ zu unterstützen. Die Initiative habe die alte Frage des Verhältnisses der Linken zur Nationalmannschaft neu gestellt, und das auf „teils scherzhafte, teils ernste Weise", kommentierte La Repubblica (2.7.1994) - eine gelungene, öffentlichkeitswirksame und zugleich unverbissene Aktion gegen den Alltagsnationalismus.
Während Kräfte der „Mitte" wie Norberto Bobbio dem PDS und dem Lager der „Fortschrittlichen" eine Extradosis Nationalgefühl verschreiben, meinen viele Linke, ein weiteres Defizit erkannt zu haben. Der Linken habe es nicht an Ideen und Projekten gemangelt, sondern an „Mythen und Träumen". Rossana Rossanda karikiert diese Diagnose mit beißendem Spott: „Das Fernsehen erteilt unserem schiefgewickelten Ökonomismus einen Verweis und lehrt uns, daß es nicht das Sein ist, das das Bewußtsein bestimmt, sondern daß es sich gerade umgekehrt verhält." Ihre Antwort auf die geforderte Abwendung vom „Konkreten und Materiellen" könnte nicht schärfer ausfallen: „Aus welchem Stoff sollten denn unsere Träume gemacht sein, wenn es ein Versehen war, daran zu glauben, daß man diese Welt ändern muß und kann? Auf was werden wir eine andere Gesellschaft gründen, wenn die Freiheitsrechte doch schon in dieser
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Gesellschaft gewährleistet sind? Wenn das alles keine Frage von Leben oder Tod mehr ist, die sieben von den acht Milliarden Menschen und einen bereits wachsenden Rand innerhalb unseres Umkreises betrifft?"32
Die Anpassung an den Publikumsgeschmack wird den unterlegenen Linken auch hinsichtlich der Politikdarstellung nahegelegt. Nötig sei ein Mann mit „Charisma" und Führungsstärke, ein „linker Berlusconi" eben. Gegen das „strahlende Zuversichtslächeln" Berlusconis hatten Martinazzoli (PPI) und Occhetto (PDS) von vornherein nichts zu bestellen, analysierte taz-Korrespondent Werner Raith und höhnte über das „Tic-hafte Augenzwinkern" und „spastische Fußwippen" der übrigen Kandidaten des links-grünen „Beerdigungsclubs".33 Diese Kritik läuft letztlich auf die Empfehlung an die Linke hinaus, es künftig wie Forza Italia zu machen und die Kandidatinnen und Kandidaten vorrangig nach dem Kriterium der „Telegenität" auszusuchen.
Die Grenzen der Manipulierbarkeit
Wo im weitesten Sinne linksoppositionelle Gruppierungen für den Einzug in Parlamente kämpfen - in der BRD Bündnis90/ Grüne und die PDS - werden sie natürlich auch das Fernsehen für ihre Zwecke zu nutzen versuchen. Nun könnte man argumentieren, die Präsenz ihrer Kandidatinnen und Kandidaten erwecke nur den falschen Eindruck von Ausgewogenheit oder Chancengleichheit der konkurrierenden Parteien. Dennoch bleibt ihnen keine Wahl: Um zu bestehen, werden sie nicht nur die ihnen zustehenden Wahlwerbezeiten nutzen, sondern auch ihre „Promis" in Talkshows schicken und für Politmagazine interviewen lassen. Daß dabei dann immer wieder die Medienstars - namentlich Joschka Fischer und Gregor Gysi - zum Zuge kommen, kann man als opportunistische Anpassung an den personenbezogenen Wahlkampf der Etablierten verurteilen. Um optimal Wählerinnen zu mobilisieren, ist es vermutlich unvermeidlich. „Wichtig" ist für viele Menschen nur diejenige Person, die sie aus dem Fernsehen kennen; erst durch die Bekanntheit des Anführers wird die Partei für sie wählbar.
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Nun kann es linker Politik nicht ausschließlich, nicht einmal vorrangig um ein günstiges Abschneiden bei der jeweils nächsten Wahl gehen. Die nachhaltige Beeinflussung des gesellschaftlichen Kräfteverhältnisses, die Schaffung neuen Konsenses wird durch noch so viele strahlende TV-Auftritte nicht zu bewerkstelligen sein. Wer das glaubt - und die den Rummel um ihre Person gewohnten „Medienstars" dürften da am ehesten zur Selbstüberschätzung neigen - ist dem Medium Fernsehen in die Falle gegangen. Untersuchungen belegen, daß weniger die Worte, als vielmehr die Bilder meinungsbildend wirken. Auf besonders drastische Weise erlebte das die CBS-Fernsehjournalistin Lesley Stahl, die 1984 einen kritischen Bericht über Reagans unpolitischen, den Problemen aus dem Weg gehenden Wahlkampf verfaßte. „Ich glaubte, das sei die härteste Kritik, die ich bisher an Reagan vorgetragen hätte", erinnerte sich die Autorin, die einen Tag nach der Sendung aus allen Wolken fiel: Ein hoher Beamter der Reagan-Administration lobte den Beitrag als „eine viereinhalbminütige kostenlose Werbung für eine zweite Amtszeit Ronald Reagans" - die kritischen Worte seien durch die Bilder völlig in den Hintergrund gedrängt worden. Dem Bericht waren Filmausschnitte unterlegt worden, die Reagan als netten Onkel zeigten: Bei der Einweihung eines Altersheims, im Gespräch mit Kindern, Farmern und behinderten Sportlern; Szenen, die im Gedächtnis des Betrachters länger haften bleiben als die kritischen Sätze der Journalistin: „Der Zuschauer sieht nur die Bilder und verdrängt den Text."34
Gegen das zitierte Beispiel ließe sich einwenden, der verantwortliche Fernsehredakteur habe sich da einen groben Schnitzer erlaubt. Derselbe kritische Bericht hätte auch mit Aufnahmen von Obdachlosen, Drogenabhängigen oder Blechlawinen auf verstopften Highways unterlegt werden können - mit dem Effekt, daß die meisten Zuschauer auf ein anderes, „schöneres" Programm geschaltet hätten. Aber selbst wenn man sich den Zwang von Einschaltquote und Chefredaktion wegdenkt, verbleibt „kritischer" Fernsehjournalismus in einem grundsätzlichen Dilemma: Kritik versucht per definitionem durch die Kraft ihrer Argumente zu überzeugen, nicht durch die suggestive Wirkung von Bildern. Rupert Murdoch hat völlig recht:
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Die bunte Welt des Fernsehens (in den USA ebenso wie in Deutschland oder Italien) ist eine einzige Werbesendung für den Kapitalismus und seinen weltweiten Herrschaftsanspruch. Wo oppositionelle Politikerinnen versuchen, mit dieser Bilderwelt „kompatibel" zu erscheinen, hören sie auf, Linke zu sein.
Umberto Eco hielt in der Einleitung seiner erstmals 1964 erschienenen Aufsatzsammlung „Apokalyptiker und Integrierte" den „apokalyptischen Kritikern" der Massenmedien vor, sie hätten sich „von Anfang an geweigert, das Werkzeug (die Massenmedien; Anm. J.R.) zu untersuchen, dessen Möglichkeiten und Reichweite kennenzulernen". Von der optimistischen Vorstellung, „die Massenmedien seien Werkzeuge und als solche instrumentalisierbar"35, ist er inzwischen zumindest teilweise abgerückt. Im Vorwort zur 1984 erschienenen deutschen Ausgabe des Buches schrieb er über die Weiterentwicklung seiner Position: „Beharrte ich in 'Apokalyptiker und Integrierte' auf der Frage, wie man die Massenkommunikation von innen verbessern könnte, so überlege ich nun, wie sie sich von außen verbessern läßt. Mit anderen Worten, ich insistiere jetzt weniger auf dem Problem der Produktion von Botschaften als auf dem ihrer Rezeption und einer anderen Erziehung zur Rezeption." „Kulturell gut vorbereitete Gruppen" müßten eine Art „semiotische Guerilla" bilden und „den anderen helfen ..., das Fernsehen, die Zeitungen, die Unterhaltungsliteratur und die Werbung 'zu lesen'."36
Lange vor der Ausbreitung des Fernsehens hatte Antonio Gramsci der Linken eine ähnliche Aufgabe gestellt. Sein Interesse galt insbesondere dem populären Fortsetzungsroman in Zeitungen und Zeitschriften, dessen Bedeutung für die Ausformung des Alltagsverstandes er herausstellte. Heute ist weniger die gedruckte Trivialliteratur als vielmehr ihre filmisch umgesetzte Variante maßgebend für die Herausbildung des Alltagsverstandes. Umberto Eco, der sich in seiner Polemik gegen die „Apokalyptiker" der Frankfurter Schule neben Marx auch auf Gramsci beruft, sieht im Medium Fernsehen nicht nur einen Forschungsgegenstand. Er will dessen Produktionen zum Gegenstand täglicher Auseinandersetzung machen, und zwar planvoller und systematischer, als das ohnehin geschieht: „Das Problem besteht nicht darin (wie viele Politiker immer noch
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glauben), den Sessel des Fernsehintendanten zu besetzen (um die Programme zu verbessern), sondern darin, einen Sessel vor jedem Fernsehgerät zu besetzen, um die Zuschauer dazu zu bewegen, über das Gesehene zu diskutieren und die Sprache der Unterhaltung, der Nachrichten und der Propaganda kritisch zu prüfen."37 Das ist, wie Eco zugibt, eine Utopie und muß auch nicht wörtlich genommen werden. Es ist eine eher allgemeine Aufforderung, kritisch, aber ohne elitären Dünkel an die Massenkultur heranzugehen - so wie er in seinen Studien „Phänomene aus der Nähe prüfte, bei denen die gute humanistische Bildung dazu riet, sie lieber aus der Ferne zu betrachten: mit nobler Arroganz und ohne sich die Hände schmutzig zu machen."38
Die Gefahr, daß die Restlinke damit zu einem Club der Fernsehkritiker verkommen könnte, ist relativ gering. Die Politik der italienischen Rechten - wie auch der kapitalistischen Modernisierer in vergleichbaren Ländern - ist auf Dauer durch kein noch so genial manipuliertes Fernsehprogramm konsensfähig zu machen. Die Vision des linken spanischen Schriftstellers Manuel Vazquez Montálban, in Italien werde Orwells Großer Bruder, „der die Medien kontrolliert, dadurch die Macht ohne Anwendung der herkömmlichen Repression aufrechterhalten"39 können, ist äußerst unrealistisch. Die Politik, für deren Durchsetzung Berlusconi gewählt wurde, wird wahrscheinlich schon bald die Menschen auf die Straßen und Plätze treiben und zu ganz traditionellen Kampfformen wie Streiks, Demonstrationen und Besetzungen greifen lassen.
Die schöne bunte Welt des Fernsehens könnte die Rebellion sogar ungewollt fördern. Umberto Eco hält es für möglich, „daß die Enthüllung eines zwar möglichen, aber noch nicht wirklichen Zustands in den Betroffenen Aufsässigkeit, eine wirksame Hypothese, jedenfalls ein Urteil hervorruft".40 Das gilt nicht nur für die Menschen der sog. Dritten Welt, wo die über Satellit empfangene westliche TV-Kultur unerfüllbare Wünsche weckt. Die Märchenwelt von Dallas und Arcore, die Spots mit Berlusconis geschöntem Italien und mit dem neuesten FIAT könnten über kurz oder lang auch dazu beitragen, daß sich die Unzufriedenheit der Arbeitslosen aus den Massenquartieren der italienischen Metropolen in grenzenlose Wut verwandelt.
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ANMERKUNGEN
Kapitel 1:
Die Zeit der Populisten
(1) Frankfurter Rundschau, 24.2. 1993
(2) Le Monde, 22.3.1994
(3) Hans Magnus Enzensberger: Einzelheiten I. Bewußtseins-Industrie; Frankfurt am Main (Suhrkamp) 1965, S.85
(4) ebd., S.86
(5) Joseph Schumpeter: Kapitalismus, Sozialismus und Demokratie; Bern 1946, zitiert in Dirk Käsler u.a.: Der politische Skandal. Zur symbolischen und dramaturgischen Qualität von Politik; Opladen (Westdeutscher Verlag) 1991, S.59
(6) Munzinger-Archiv/Internationales Biographisches Archiv (Ravensburg), 15.8.1992
(7) International Herald Tribune, 3.7.1992
(8) Süddeutsche Zeitung, 2.6.1993
(9) Die Welt, 23.3.1993
(10) zitiert in taz, 8.4.1994
(11) Frankfurter Rundschau, 30.6.1994
(12) Die Zeit, 19.9.1986
(13) ebd.
(14) Interview in Newsweek, 21.3.1994
(15) Interview in l'Unità, 3.6.1992; deutsch in Sozialismus 7-8/1992
(16) Giorgio Galli: Staatsgeschäfte. Affären Skandale, Verschwörungen. Das unterirdische Italien 1943-1990; Hamburg (EVA) 1994, S.156
(17) La Repubblica, 30.3.1994
Kapitel 2: Die Wende
(1) ak 304, 6.3.1989
(2) La Repubblica, 23.3.1989
(3) Interview in Panorama, 26.2.1989
(4) Antrag an den 19., außerordentlichen
PCI-Kongreß, dokumentiert in l'Unità, 24.12.1989
(5) Panorama, 24.3.1991
(6) Interview in l'Unità, 4.9.1988
(7) zitiert in Bettino Craxi: Unire i socialisti, rinnovare la repubblica. Relazione introduttiva al 46. congresso del PSI, Bari 27.6.1991; herausgegeben von: Direzione PSI, ufficio centrale stampa e pro-paganda; S.43
(8) l'Unità, 24.12.1989
(9) ebd.
(10) Interview in L'Unità, 4.9.1988
(11) l'Unità, 24.12.1989
(12) Craxi: a.a.O., S.19
(13) ebd., S.74
(14) ebd., S.75
(15) ebd., S.23
(16) La Repubblica, 15.2.1991
(17) Peter Kammerer/Ekkehard Krippendorff: Reisebuch Italien 1. Über das Lesen von Landschaften und Städten. Westberlin (Rotbuch) 1979, S. 90f.
(18) Die Zahlen beziehen sich auf die Listenwahl zur Abgeordnetenkammer
(19) Panorama, 13.10.1991
(20) WoZ (Zürich), 15.3.1991
(21) ebd.
(22) Frankfurter Rundschau, 12.2.1991
(23) Panorama, 24.2.1991
(24) Interview in Neues Deutschland, 11.12.1991
(25) La Repubblica, 26.4.1994
(26) Toni Visentini: Die Lega. Italien in Scherben; Bozen (Edition Raetia) 1993, S.28
(27) Kommune 6/1990
(28) ebd., S.145
(29) Panorama, 5.4.1992
(30) deutsch in Visentini: a.a.O., S.161
(31) zitiert in La Repubblica, 6.11.1986
(32) zitiert in La Repubblica, 27.10.1992
(33) ebd., S.45f.
187
(34) La Repubblica, 24.9.1993
(35) ebd.
(36) Frankfurter Rundschau, 2.4. 1992
(37) Giorgio Galli: Staatsgeschäfte. Affären, Skandale, Verschwörungen. Das unterirdische Italien 1941-1990; Hamburg (EVA) 1994, S.40f.
(38) zitiert bei Dietmar Stübler: Geschichte Italiens 1789 bis zur Gegenwart; Berlin/DDR (Akademie-Verlag) 1987, S.210
(39) Giorgio Galli: a.a.O., S.31
(40) Die Zeit, 12.3.1993
(41) ebd.
(42) Werner Raith: Parasiten und Patrone. Siziliens Mafia greift nach der Macht; Frankfurt am Main (Gutenberg)
1990, S.174
(43) Die Zeit, 12.3.1993
(44) zit. bei Giorgio Galli: a.a.O., S.151
(45) Die Zeit, 12.3.1993
(46) ebd.
(47) Giorgio Galli: a.a.O., S.336
(48) ebd., S.286
(49) Michael Braun: Italiens politische Zukunft; Frankfurt am Main (Fischer) 1994, S.143
(50) zitiert in Sozialismus 10/1992
(51) Werner Raith in der taz, 14.3.92
(52) ak 354, 5.5.1993
(53) La Repubblica, 17.4.1993
(54) Giuseppe Tomasi Di Lampedusa: Il Gattopardo, Milano (Feltrinelli) 1981, S.21
(55) Corriere della sera, 22.4.1993
(56) zitiert bei Andrea Catone: Gramsci, die passive Revolution, unsere Zeit; in Hanz Heinz Holz/Giuseppe Prestipino (Hrsg.): Antonio Gramsci heute. Aktuelle Perspektiven seiner Philosophie; Bonn (Pahl-Rugenstein Nachfolger)
1991, S.73f.
(57) Corriere della sera, 7.12.1993
(58) FAZ. 23.4.1994
(59) ebd.
Kapitel 3:
Der modernisierte Faschismus
(l) zitiert bei Petra Rosenbaum: Neofaschismus in Italien, Frankfurt/Köln
(EVA) 1975, S.23
(2) zitiert in Corriere della sera, 17.6.1994
(3) zitiert in II Giornale, 8.6.1994
(4) FAZ, 26.5.1994
(5) Laura Balbo/LuigiMancom: Razzismi. Un vocabulario, Milano (Feltrinelli) 1993, S.48
(6) zitiert bei Rosenbaum: a.a.O., S.37
(7) ebd., S.92
(8) zitiert bei Giorgio Galli: I partitipolitici italiani 1943-1991. Dalla Resistenza all'Europa integrata; Milano (Rizzoli) 1991, S.313
(9) Frankfurter Rundschau, 10.7. 1991
(10) La Repubblica, 20.10.1992
(11) ebd.
(12) Allgemeine Jüdische Wochenzeitung, 2.12.1993
(13) Der Spiegel 21/1994
(14) ebd.
(15) Neue Zürcher Zeitung, 14.6. 1994
(16) taz, 4.6.1994
(17) l'Unità, 18.5.1994
(18) Corriere della sera, 21.5.1994
(19) Regina Hunke: Historikerstreit auf Italienisch. Faschismus und Antifaschismus - ein verstaubtes Dogma? in: Michaela Namuth (Hrsg.): Modell Italien? Neues aus dem Land der Traditionen; Stuttgart (Hirzel) 1990, S.82
(20) Corriere della sera, 9.4.1994
(21) ebd.
(22) ebd.
(23) Corriere della sera, 18.4.1994
(24) La Stampa, 16.5.1994
(25) Interview in l'Unità, 18.5.1994
(26) La Stampa, 16.5.1994
(27) Interview in l'Unità, 18.5.1994
(28) La Repubblica, 17.5.1994
(29) Frankfurter Rundschau, 5.7.1994
(30) Corriere della sera, 21.5.1994
(31) Rechtskampf. Die Stimme des juristischen Widerstandes. April 94
(32) La Repubblica, 14.6.1994
(33) La Repubblica, 30.3.1994
(34) FAZ, 23.4.1994
(35) ebd.
(36) Interview in Die Woche, 19.5.1994
(37) Frankfurter Rundschau, 21./22./ 23.5.1994
(38) auszugsweise zitiert in Corriere
188
della sera, 17.6.1994
(39) ebd.
(40) Georg Blume/Alexander Smoltczyk: Neue Fronten; in Martina Kirfel/ Walter Oswalt (Hrsg.): Die Rückkehr der Führer. Modernisierter Rechtsradikalismus in Westeuropa; Wien (Europaverlag) 1991, S.105
(41) ak 344, 1.7.1992
(42) ak 343, 3.6.1992
(43) Der Spiegel 25/1994
(44) ak 349, 16.12.1992
(45) ak 349, 16.12.1992
(46) Walter Oswalt: Die FPÖ - ein Modell für Europa? In Kirfel/Oswalt (Hrsg.): a.a.O., S.93
(47) „Blick nach rechts". Sozialdemokratischer Pressedienst, 16.12.1991
(48) ak 343, 3.6.1992
Kapitel 4: Der Aufstieg
(1) Giorgio Galli: Affari di Stato. L'Italia sotteranea 1943-1990: storia politica, partiti, corruzione, misteri, scandali; Milano 1991, S.205
(2) Il Mondo, 3.4.1981, zitiert ebd., S.223
(3) zitiert in Giovanni Ruggeri/Mario Guarino: Berlusconi. Inchiesta sul Signor TV; Milano (Kaos Edizioni) 1994, S.23
(4) ebd., S.24
(5) ebd.
(6) ebd., S.25
(7) L'Espresso, 16.9.1984; zitiert ebd., S.38
(8) ebd., S.39
(9) ebd., S.40
(10) ebd., S.46
(11) ebd., S.58f.
(12) L'Espresso, 4.12.1983; zitiert ebd., S.64
(13) „Im Spinnennetz" Das Imperium des Silvio Berlusconi. Ein Film von Heribert Blondiau und Udo Gümpel (ARD, 13.6.1994); Manuskript S.13
(14) zitiert bei Ruggeri/Guarino: a.a.O., S.168
(15) ebd., S.169
(16) Umberto Eco: Phänomenologie des Quizmasters (Mike Bongiorno); in
ders.: Platon im Stripteaselokal. Parodien und Travestien; Frankf./Main, Wien (Gutenberg, Hanser) 1990, S.21
(17) Ruggeri/Guarino: a.a.O., S.173
(18) taz, 1.8.1994
(19) La Repubblica, 3.12.1989
(20) zitiert bei Ruggeri/Guarino: a.a.O., S.217
(21) ebd.
(22) Il Giorno, 28.7.1989, zitiert ebd.
(23) La Repubblica, 3.12.1989
(24) „Im Spinnennetz": a.a.O., S.9ff.
(25) zitiert bei Ruggeri/Guarino: a.a.O., S.230
(26) Frankfurter Rundschau, 25.8.1992
(27) zitiert bei Ruggeri/Guarino: a.a.O., S.18
(28) Friederike Hausmann: Kleine Geschichte Italiens seit 1943; Westberlin (Wagenbach) 1989, S.103
(29) Giorgio Galli: Staatsgeschäfte. Affären, Skandale, Verschwörungen. Das unterirdische Italien 1943-1990; Hamburg (EVA), S.216 (die deutsche Übersetzung von „Affari di Stato", vgl. Anm.l.)
(30) dokumentiert in: Werner Raith: In höherem Auftrag. Der kalkulierte Mord an Aldo Moro; Westberlin (Wagenbach) 1984, S.124
(31) ebd., S.125
(32) zitiert bei Giorgio Galli: Affari di Stato: a.a.O., S.193
(33) Corriere della sera, 18.4.1994
(34) Giorgio Galli: Staatsgeschäfte; a.a.O., S.214f.
(35) ebd., S.216
(36) Corriere della sera, 15.12.1988, zitiert bei Ruggeri/Guarino: a.a.O., S.214
(37) „Im Spinnennetz": a.a.O., S.36
(38) ebd., S.32
(39) Licio Gelli: La Verità (1989); zitiert bei Ruggeri/Guarino: a.a.O., S.68
(40) Ruggeri/Guarino: a.a.O., S.69
(41) La Repubblica, 24.9.1991
(42) Giorgio Galli: Staatsgeschäfte: a.a.O., S.320
(43) Interview in SonntagsZeitung, 15.5.1994
(44) ebd.
(45) Wahl zur Abgeordnetenkammer; Zahlen nach Corriere della sera, 30.3.1994
189
(46) La Repubblica, 27.5.1994
(47) Interview in Frankfurter Rundschau, 30.4.1993
(48) taz, 21.4.1993
(49) Interview in Der Spiegel 13/1994
(50) La Repubblica, 28.12.1993
(51) Werner Raith: Die ehrenwerte Firma. Der Weg der italienischen Mafia vom „Paten" zur Industrie; Westberlin (Wagenbach) 1983, S.8
(52) Giorgio Galli: Affari di Stato; a.a.O., S.205
(53) L'Unità, 1.8.1982; zitiert bei Giorgio Galli: ebd., S.247
Kapitel 5: Die Kampagne
(1) Süddeutsche Zeitung, 28.1.1994
(2) Paolo De Lalla Millul: Topografia della seconda Repubblica; 1. La Destra, Napoli (Edizioni Scientifiche Italiane) 1994, S.77
(3) ebd., S.77f.
(4) „Im Spinnennetz". Das Imperium des Silvio Berlusconi. Ein Film von Heribert Blondiau und Udo Gümpel, ARD, 13.6.1994, Manuskript S.21
(5) Giovanni Ruggeri/Mario Guarino: Berlusconi. Inchiesta sul Signor TV, Milano (Kaos Edizioni) 1994, S.36
(6) De Lalla Millul: a.a.O., S.81
(7) Cornere della sera, 27.11.1993
(8) La Stampa, 29.3.1994
(9) Bei der Wahl waren die bevölkerungsreichsten der 20 Regionen des Landes in zwei (z.B. Sizilien) oder drei (Lombardei) Gebiete unterteilt.
(10) Ruggeri/Guarino: a.a.O., S.262
(11) dokumentiert in Stefano D'Anna/ Gigi Moncalvo: Berlusconi in concert, London (Otzium) 1994, S. 341f.; Übersetzung: J.R. Die Sätze zwei bis vier sind dem Film-Manuskript „Im Spinnennetz" (S.2) entnommen
(12) ebd., S.342
(13) „Im Spinnennetz", S.18
(14) ebd., S.19
(15) ebd., S.26
(16) Corriere della sera, 30.3.1994
(17) ebd.
(18) dokumentiert in D'Anna/Moncal-
vo, S.117ff.
(19) Frankfurter Rundschau, 30.5.1994
(20) La Repubblica, 3.4.1994
(21) Corriere della sera, 18.4.1994
(22) zitiert bei Ruggeri/Guarino: a.a.O., S.201
(23) zitiert bei D'Anna/Moncalvo: a.a.O., S.135
(24) Corriere della sera, 18.4.1994
(25) La Repubblica, 20.5.1994
(26) De Lalla Millul, S.73
(27) La Repubblica, 25.11.1993
(28) Corriere della sera, 1.12.1993
(29) La Repubblica, 25.11.1993
(30) ebd.
Kapitel 6: Das Modell
(1) zitiert bei Giovanni Ruggeri/Mario Guarino, a.a.O. S.273
(2) Der Spiegel 41/1988
(3) ebd.
(4) Zahlen nach Andreas Skrypietz: Die Konservativen an der Macht. Margaret Thatcher als Premierministerin 1979-1990 (unveröffentlichtes Manuskript)
(5) Siegfried Bünger/Hella Kaeselitz: Geschichte Großbritanniens von 1918 bis zur Gegenwart; Berlin/DDR (Verlag der Wissenschaften) 1989, S.307
(6) Cosimo Scarinzi: Das rechte Italien -eine Episode von Dauer? in: Die Aktion, Heft 120/122 (Juli 1994)
(7) ebd.
(8) Interview in WoZ (Zürich), 1.4.1994
(9) Handelsblatt, 11.4.1994
(10) Ministerpräsidium der Republik Italien: Der italienische Staat und seine Verfassungsordnung; Rom 1976, S.50
(11) zitiert bei Sabine Kebir: Antonio Gramscis Zivilgesellschaft; Hamburg (VSA) 1991, S.99
(12) Giuliano Procacci: Geschichte Italiens und der Italiener, München (Beck) 1989, S.359
(13) ebd., S.360
(14) zitiert bei Giovanni de Luna: Mussolini; Reinbek (Rowohlt) 1978, S.82
(15) ebd., S.100
(16) Siegfried Bünger/Hella Kaeselitz: a.a.O., S. 321
190
(17) Der Spiegel 29/1994
(18) zitiert bei Dietmar Stübler: Geschichte Italiens 1789 bis zur Gegenwart; Berlin/DDR (Akademie-Verlag) 1987, S.162
(19) „Im Spinnennetz", a.a.O., S.34
(20) La Repubblica, 20.7.1994
(21) taz, 16.7.1994
(22) La Repubblica, 20.7.1994
(23) ebd.
(24) Frankfurter Rundschau, 17.6. 1994
(25) Hamburger Abendblatt, 21/22./ 23.5.1994
(26) Corriere della sera, 22.5.1994
(27) taz, 6.7.94
(28) zitiert nach Die Woche, 7.7.94
(29) Interview in Der Spiegel 32/1994
(30) Wochenpost, 19.5.1994
(31) ebd.
(32) Zahlen nach Der Spiegel 30/1994
(33) Der Spiegel 31/1994
(34) Der Spiegel 30/1994
(35) Der Spiegel 31/1994
(36) Süddeutsche Zeitung, 5.8.1992
(37) Wochenpost, 19.5.1994
(38) La Repubblica, 27.5.1994
(39) alle Zitate aus Panorama, 4.8.1991
(40) Süddeutsche Zeitung, 7.10.1991, zitiert in Fred Schmid: Forza Italia. Ökonomische Hintergründe zur Rechtsentwicklung in Italien; isw-spezial Nr. 7, Mai 1994
(41) Interview in Der Spiegel 32/1994
(42) Wolfgang Schäuble: Und der Zukunft zugewandt; Berlin 1994; zitiert in Der Spiegel 29/1994
(43) Interview in Die Weltwoche, 14.7.1994
(44) taz, 21.6.1994
(45) Der Spiegel 31/1994
(46) zitiert nach Der Spiegel 24/1994
(47) ebd.
Kapitel 7: Konsequenzen
(1) Interview in Junge Welt, 27.6.1994
(2) il manifeste, 8.4.1994; deutsch in Die Aktion Heft 120/122
(3) il manifesto, 11.5.1994
(4) Die Aktion Heft 120/122
(5) 1999 Heft 3/94
(6) Die Aktion Heft 120/122 (Daß die „Stimmungsbilder" vom akut drohenden Faschismus „bar jeder Vernunft" wären, wie der Autor hinzufügt, ist eine unsinnige - und damit falsche - Überspitzung.)
(7) La Repubblica, 2.7.1994
(8) Neues Deutschland, 30.3.1994
(9) taz, 16.6.1994
(10) konkret 5/94
(11) Bahamas 14 - 7/94
(12) taz, 30.3.1994
(13) ebd.
(14) Bahamas 14 - 7/94
(15) Helmut Monkenbusch (Hrsg.): Fernsehen. Medien, Macht Märkte; Reinbek bei Hamburg (Rowohlt) 1994, S.281
(16) Horst Röper: Geballte Gewalten, geteilte Kanäle. Auf dem Weg zur televisuellen Weltgesellschaft; in Helmut Monkenbusch (Hrsg.): a.a.O., S.71
(17) Interview in taz, 20.8.1994
(18) Frankfurter Rundschau, 22.8.1994
(19) Interview in Der Spiegel 32/1994
(20) ebd.
(21) Süddeutsche Zeitung, 5.8.1992
(22) Horst Röper: a.a.O., S.77f.
(23) Interview in taz, 20.8.1994
(24) Frankfurter Rundschau, 13.5.1994
(25) Interview in taz, 20.8.1994
(26) Frankfurter Rundschau, 16.8.1994
(27) La Repubblica, 14.6.1994
(28) ebd.
(29) zitiert nach Zibaldone. Zeitschrift für italienische Kultur der Gegenwart; Nr. 2 (Oktober 1986)
(30) La Repubblica, 20.5.1994
(31) Corriere della sera, 21.5.1994
(32) il manifesto, 8.4.1994; deutsch in Die Aktion Heft 120/122
(33) taz, 2.4.1994
(34) zitiert nach Der Spiegel 41/1988
(35) Umberto Eco: Apokalyptiker und Integrierte. Zur kritischen Kritik der Massenkultur; Frankfurt am Main (Fischer) 1992, S.32f.
(36) ebd., S.12f.
(37) ebd., S.13
(38) ebd.
(39) L'Espresso, 20.5.1994
(40) Umberto Eco: a.a.O., S.32
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Der kometenhafte Aufstieg des Silvio Berlusconi hat Italien über Nacht zum Traumland der europäischen Rechtsextremisten gemacht. Erstmals sind Neofaschisten an einer Regierung beteiligt, und erstmals machte ein millionenschwerer Unternehmer vor, wie man sich mit einer brisanten Mixtur aus wirtschaftlicher Macht, Medieneinfluß und populistischem Programm eine atemberaubende Polit-Karriere zusammenbrauen kann.
Jens Renner untersucht den Weg und
die Methoden Berlusconis ebenso wie
die politische Landschaft, in der seine
Kampagne zünden konnte: die Erosion
des alten Parteiensystems, die Schwäche der Linken, die Modernisierung der Rechten. Und er fragt nach
den Exportchancen des Modells
Berlusconi nach Deutschland, wo mit
Leo Kirchs Imperium erste Strukturen
einer »Mediendiktatur« installiert sind.
ISBN 3-89533-116-3