Vorbemerkung
Im folgenden Dokumentieren wir einige Texte über den symbolischen Spatenstich zum Baubeginn des Atomforschungsreaktors in Garching und den darauf folgenden Ereignissen und Festnahmen. Die anstehenden Verfahren gegen die von Polizei- und Justizrepression betroffenen DemonstrantInnen werden viel Geld kosten. Wir rufen deshalb zu ihrer Unterstuetzung auf. Spenden können auf folgendes Konto eingezahlt werden, von dem sie an die Betroffenen weitergeleitet werden:
m Donnerstag, dem 1. August feierte die Technische Universität München vor 400 geladenen Gästen den Baubeginn ihres neuen Atomforschungsreaktors FRM II in Garching bei München mit einem symbolischen Spatenstich. Die Versammelten Vertreter aus Politik und Wirtschaft begrüßten das umstrittene Projekt, darunter u.a. Vertreter des Bundesforschungsministeriums, der bayerischen Landesregierung und des Generalunternehmens Siemens. In seiner Rede erklärte der bayerische Ministerpräsident Stoiber, dass das 720-Millionen Mark teure Projekt für Deutschland notwendig sei, um "in zentralen Bereichen der Hochtechnologie" nicht "für immer den Anschluss zu verlieren". Stoiber zufolge solle der Reaktor Neutronen fuer die Grundlagenforschung, fuer Materialprüfung und für die Krebstherapie liefern. Die Proteste gegen den Neubau betrachtete er als spezifisch deutsche Technologiefeindlichkeit. Zu Protesten des Auslandes äußerte er sich nicht.
Der Bau des Reaktors war auch im Ausland - vor allem in den USA - auf besonders große Kritik gestoßen, weil er mit HEU (High Enriched Uranium) betrieben werden soll: hochangereichertes, waffentaugliches Uran. Dadurch wird erstmals seit ueber 16 Jahren ein weltweites Moratorium fuer den Bau von HEU-Anlagen gebrochen, das von den USA initiiert wurde, um diese waffentaugliche Substanz aus zivilen Reaktoren zu verdrängen und das Entstehen neuer Atommächte zu verhindern. Während die BefürworterInnen des Reaktors die vermeintliche Notwendigkeit des Einsatzes von HEU damit begründen, daß es für bestimmte wissenschaftliche Experimente unabdingbar sei, erklären KritikerInnen diese Argumentation für unhaltbar und verweisen auf die 50 Forschungsreaktoren weltweit, die mit niedrigangereichertem Uran arbeiten. Unklar ist zur Zeit, wie der Reaktor mit HEU versorgt wird, dessen Betrieb im Jahr 2001 aufgenommen werden soll: Die USA verhängte einen Lieferstopp gegen die BRD und auch Gesprüche mit Rußand, das ebenfalls über HEU-Vorräte verfügt, scheinen zu keinem Ergebnis zu führen. Zur Zeit wurden Gespräche mit den Betreibern der schottischen Wiederaufbereitungsanlage aufgenommen; Sollten sie zum Erfolg führen, würden hochradioaktive abgebrannte Brennstäbe aus Deutschland zur Wiederaufbereitung in die Anlage transportiert und HEU sowie der bei der Wiederaufbereitung anfallende Atommüll zurück transportiert. Um die Akzeptanz innerhalb der eigenen Bevölkerung zu steigern, investiert die bayerische Landesregierung jährlich eine halbe Millionen Mark in Werbung für den Reaktor.
Ausserhalb des Baugeländes nahmen zwischen 150 und 200 Personen an einer Protestkundgebung gegen den Bau des Reaktors teil. Eine Blockade der Zufahrtsstraße wurde von der Polizei aufgelöst. Später begab sich ein Teil der DemonstrantInnen zum Bauzaun, um ihrem Protest während der offiziellen Reden durch Pfiffe und Sprechchören kundzutun. Ein Demonstrationszug zum Bauzaun war zuvor gerichtlich verboten worden, nicht aber ein Spaziergang entlang der öffentlichen Straße die zum Bauzaun führt. Die Polizei erklärte später, es seien Vermummte unter den DemonstrantInnen gewesen, die mit Steinen geschmissen hätten, was AugenzeugInnen jedoch bestritten. Nach Beendigung der Veranstaltung wurden sechs DemonstrantInnen festgenommen und anderen mit Festnahmen gedroht. AugenzeugInnen berichten, dass die zivilen und uniformierten Polizisten in Abwesenheit der Presse hierbei mit äußerster Brutalität vorgingen. Die meisten Presseorgane betonten Später den gewaltlosen Polizeieinsatz und erwähnten die Festnahmen nicht. Die Festgenommenen wurden auf einer Polizeiwache erkennungsdienstlich behandelt und vorläufig unter Arrest gehalten, während es bei ihren Meldeadressen zu Hausdurchsuchungen kam, die mit "Gefahr im Verzug", d.h. ohne richterlichen Durchsuchungsbefehl begründet wurden. Gegen die festgenommenen DemonstrantInnen wurde wegen "Verstößen gegen das Versammlungsgesetz", in einem Fall außerdem wegen "Landfriedensbruchs" Anklage erhoben.
Spenden an das nachfolgende Konto zur Deckung der Verfahrenskosten werden an die Betroffenen weitergeleitet:
Kontoinhaber: R. Wogatzke / bei: Postbank, Essen, Deutschland / Kto. Nr. 5709 91-432 / Blz.: 360 100 43 / Verwendungszweck: Garching (Verwendungszweck unbedingt angeben).
Festnahmen in Garching
Die folgenden beiden Texte sind Berichte eines anarchistischen Genossen, die im Internet verbreitet wurden. Anmerkung zum Text: Die FAU (Freie ArbeiterInnen Union) ist eine anarcho-syndikalistische Gewerkschaft in der BRD. Die "Debatte" ist der interne Rundbrief der FAU. Die Rote Hilfe ist eine linke Gefangenenhilfsorganisation. Das ABC (Anarchist Black Cross = Anarchistisches Schwarzes Kreuz) ist ein internationales anarchistisches Gefangenenhilfs- und Antirepressionsnetzwerk, dessen deutsche Sektion Anfang dieses Jahres aufgelöst wurde und deshalb in diesem Fall nicht mehr tätig werden kann.
Liebe Genossinnen und Genossen,
im folgenden kommt ein kurzer Bericht über die Festnahmen während der Anti-Atom-Kundgebung am 1.August in München-Garching. Insgesamt wurden 6 GenossInnen von den Bullen festgenommen, darunter auch E. von der FAU Regensburg. Die Festnahmen verliefen mit massivem und brutalem Polizeieinsatz, u.a. wurde E. mehrmals von einem Zivicop auf den Kopf geschlagen. Alle Festgenommen wurden Erkennungsdienstlich behandelt. Zeitgleich gab es bei den Meldeadressen der Festgenommenen Hausdurchsuchungen mit der Allerweltsbegründung "Gefahr im Verzug". Die Festgenommenen wurden in die berüchtigte Münchner Ettstrasse gebracht, wo E. der Anruf eines Anwalts verwehrt wurde. (Da er sich weigerte ein Wisch zu Unterschreiben.) Bei allen wird nun wegen "Verstoss gegen das Versammlungsgesetz" Anklage erhoben, bei E. darüber hinaus wegen "Landfriedensbruchs", er hätte angeblich Farbeier mitgefuehrt.
Während der Demo gegen Stoiber und Co verhielten sich die Cops relativ ruhig, wohl wegen der grossen Medienpraesenz. So trugen die Bullen keine Kampfanzuege. Allerdings ist es wohl recht wahrscheinlich das einige Angehörige der Schlägertruppe SK sich in "normalen" Bullenuniformen an den Angriffen auf die DemonstrantInnen beteiligten.
DIE KOMMENDEN VERFAHREN KOSTEN VIEL GELD!
WIR RUFEN EUCH DESHALB AUF IN EUREN GRUPPEN FÜR DAS VERFAHREN GEGEN E. ZU SAMMELN.
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Neben den Hausdurchsuchungen von gestern, wurde nun heute eine weitere bei E.'s zweitem Wohnsitz bekannt. Die Bullen (4 Uniformierte u. 2 Zivile) hatten offensichtlich einen richterlichen Durchsuchungsbefehl im Gegensatz zu den Durchsuchungen vom Vortag. Unter den Beschlagnahmten Sachen befinden sich sämtliche "Debatten", anderes FAU-Material, ein Adressbuch und verschiedene Zeitschriften. Ein Beschlagnahmeprotokoll wurde nicht ausgehändigt !! Im Moment laufen Diskussionen über das weitere Vorgehen von Seiten der Betroffenen. (Anwälte, Rote Hilfe {leider kein ABC !}) Wir halten euch auf dem laufendem. Ein Spendenkonto wird eingerichtet.
ZeugInnenaussagen zu den Festnahmen in Garching
Dieser Text wurde von der Zeitschrift Anti Atom Aktuell - Redaktion Sued (S.Passlack@link-m.zer) zusammengestellt
Presseinformation 02.08.96
Augenzeugen-Berichte ueber Gegenveranstaltung
"1. Spatenstich zum FRM II" am 1. August 1996
*Brutaler Polizei-Einsatz durch Zivilpolizei*
Um eine neutrale Berichterstattung zu ermöglichen, folgen Augenzeugenberichte von teilnehmenden Atomkritikern, die von Polizeimassnahmen in keiner Weise betroffen waren und diese nur beobachteten. Die Zeugen sind der Redaktion persönlich und als glaubwürdig bekannt. Es gibt weitere Zeugenaussagen, die diese beiden Aussagen bestätigen. Siehe auch die Pressemitteilung vom 1.8.96 des "Bündnis gegen Atomreaktor Garching". Der Abdruck von nicht sinnentstellten Zitaten ist frei.
Berthold Denk (*, 24, Zahnmedizin-Student):
"Zum symbolischen ersten Spatenstich für den Bau des FRM II luden die Bürgerinitiative Garching und das SMV-Bündnis München zu einer Gegenkundgebung, nachdem ein Demonstrationszug verboten wurde. Schon ab 10 Uhr vormittags waren viele GarchingerInnen an der Einfahrt zum Forschungsgelände am eifrigen Pappschildschwenken und Luftballonaufpumpen. Leider war der Veranstaltungsort doch einiges vom offiziellen Festgelände entfernt, es bestand kein Hör- und Sichtkontakt. Ein guter Zusammenhang zwischen Festakt und Gegenkundgebung war aber dann die Anfahrt der geladenen Gäste in ihren Luxuskarossen - an der Veranstaltung der Bürgerinitiative vorbei. (..., s.u.)"
Annette Rechenbach (*, 18 Jahre, Gymnasiastin):
"Während die Buergerinitiative ein Kabarett-Stück 'Sender freies Garching' aufführte, kamen die ersten Besucher der offiziellen Veranstaltung mit ihren schwarzen S-Klasse-Wagen auf den Bauplatz. Sie wurden von den Demonstranten lautstark ausgepfiffen und auch daran gehindert weiterzufahren. Dies geschah lediglich durch passives in den Weg stellen. Die Polizei, die dies nicht akzeptieren konnte, ging mit provokativer Gewalt gegen die Jugendlichen vor. Diese wurden von der Strasse gestoßen und zum Teil am Kopf gepackt, dabei wurden auch kleine Kinder in den hinteren Reihen gefährdet. Wütend über dieses Vorgehen, traten auch vereinzelt Demonstranten mit Füßen gegen vorbeifahrende Autos, wobei kein Sachschaden entstand. Die gewalttätigen Ausschreitungen von Seite der Polizei nahmen erst dann ab, als sich einige Erwachsene auf die Seite der Jugendlichen stellten und die Presse ihre Kameras auf die Vorgänge richtete. So wurden die Demonstranten lediglich daran gehindert, die Straße zu betreten und die einfahrenden Autos zu behindern. Als alle Gäste eingefahren waren, zog etwa die Hälfte der Demonstranten Richtung Bauzaun, woran sie auch nicht gehindert werden konnten, handelte es sich doch um öffentliche Straßenfläche und hatte der Richter in der gerichtlichen Entscheidung doch dazu geraten, Richtung Bauzaun einen 'Spaziergang' zu machen, da eine Demonstration verboten worden war. An dem Stacheldrahtzaun zeigten sie, mit Pfiffen und Sprechchören, ihren Protest zu den innerhalb des eingezäunten Gelände abgehaltenen Reden von unserem Kultusminister Zehetmair und dem bayer. Ministerpraesident Stoiber. Dabei waren zahlreiche Zivilbeamten und auch Personen des Verfassungsschutzes, die Fotos machten und filmten. Es kam zu keinen Ausschreitungen und ich sah keine vermummten Personen die mit Steinen warfen, wie die Polizei später behauptete. Unter den Demonstranten standen auch Mitglieder der BI sowie Oppositionspolitiker des Landtags. Mit dem Ende der Rede von Herrn Stoiber löste sich die Versammlung auf und die Demonstierenden zogen geschlossen zurück zur Busstation. Als der Rest dort auf einen Bus wartete, griffen Polizisten ohne einen Grund überraschend mehrere Jugendliche an, die sie nach hinten an ein geparktes Auto drückten. Auch ein Bekannter von mir, von dem ich weiss, dass er nicht gewalttätig sein könnte, wurde handgreiflich angegriffen. Dabei wurden zwei Jugendliche verhaftet und mit den Händen auf dem Rücken abgeführt. Als ein Bus kam, und ein grosser Teil dort einsteigen wollte, kam es zu einer weiteren Festnahme. Zwei Jugendliche wurden gepackt und von drei Beamten auf den Boden gestoßen. Drei Beamte drückten ihnen die Knie in den Rücken, bis sich diese nicht mehr zu bewegen trauten. Aus meiner Sicht war lediglich ein gewalttätiges Vorgehen von Seiten der Polizei zu beobachten. Die Verhaftungen hätten friedlich durchgefuehrt werden können und ob diese gerechtfertigt waren wird sich zeigen, wenn der Vorwurf der Sachbeschädigung des Autos sich nicht bestätigen sollte, was ich für wahrscheinlich halte. Ich denke, hier geht es darum, Demonstranten einzuschüchtern, das Recht auf demokratische Protestmöglichkeiten de facto einzuschränken, da der Protest unangenehm ist. Warum sind die Festnahmen nicht auf frischer Tat, also bei der angeblichen Beschädigung des Autos erfolgt? Weil dort Presse gewesen wäre, die den Einsatz der Polizei beobachtet hätte, auf dem Rückweg der Demonstranten war diese nicht mehr da, um zu filmen wie Jugendliche geschlagen und verletzt wurden. Hier wird versucht, den friedlichen Protest im Keim zu ersticken."
Berthold Denk (*, 24, Zahnmedizin-Student):
"(..., s.o.) Wohl wegen des sehr starken Medieninteresses kamen dabei die getragenen Tonfas noch nicht zum Einsatz. Während die Bürgerinitiative ihre Kundgebung fortsetzte, zogen ca. 100 DemonstrantInnen zum Festgelände, wobei die Polizei nicht eingriff. Nur durch den Bauzaun und ca. 20 m vom Festakt getrennt, konnten dann zwei Stunden lang die Festreden durch ein massives Trillerpfeifenkonzert und durch Parolen erheblich gestört werden. Schon dabei fielen einige Zivilbullen um die GegnerInnen auf, gefilmt wurde meistens nur aus der Entfernung. Nachdem der offizielle Teil des Festaktes mit dem ersten Spatenstich beendet wurde, gingen die DemoteilnehmerInnen geschlossen Richtung Bushaltestelle. Plötzlich wimmelte es nur so von Zivis (Zivilpolizisten, d. Red.), zum Teil im Demo-Zug. Daraufhin wurde mehrheitlich als Block mit Seitentransparenten gegangen. Als an der Bushaltestelle sich die Gruppe etwas auflöste, begannen einige Greiftrupps aus ziviler und uniformierter Polizei, einzelne Menschen festzunehmen. Wohl weil keine Kamera mehr dabei war, gingen sie dabei äußerst brutal vor. AtomgegnerInnen wurden gewürgt, geschlagen und getreten. Auch auf bereits am Boden liegende Menschen wurde noch eingetreten. Schläge auf den Kopf und mit dem Ellenbogen auf die Brust waren üblich. Daraufhin flüchteten die 50 Jugendlichen in den Bus. Viele der Jugendlichen besaßen noch nicht sehr viel Demoerfahrung und viele waren daraufhin überrascht, als an der Endhaltestelle des Busses mehrere Wannen mit der gewaltsamen Räumung des Busses und einer Massenfestnahme drohten. Nach dem Aussteigen wurde eine Frau abgegriffen, später gab die Polizei zu, sie verwechselt zu haben. Bei ihrer Festnahme gingen uniformierte Schläger wieder überaus brutal vor, warfen mehrere GegnerInnen in ein Gebuesch und stießen auch mit dem kurzen Tonfaende zu. Erst in der S-Bahn war man/frau vor Übergriffen sicher. Wie schon bei der Tschernobyl-Demo im April wird es in München immer schwieriger, sich von einer Demo zu entfernen. Sobald kein Kamerateam o. ä. mehr da ist, werden auch bei solidarischem Verhalten der DemoteilnehmerInnen immer mehr abgegriffen, mit zum Teil unglaublicher Gewalt seitens der zivilen, aber auch der uniformierten Polizei."
* die Zeugen sind der Redaktion bekannt, Vor- & Nachnamen wurden geändert.
Eine Meldung von A-Infos (D)
Nachdruck mit Quellenangabe erwünscht, über Belegexemplare würden wir uns freuen.