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Populismus als politischer Zeitgeist
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Schwerpunkt
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Populismus als politischer Zeitgeist
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In Europa hat der Begriff des Populismus seit Jörg Haiders Aufstieg in Österreich
Konjunktur. In wellenförmigen Zyklen folgten dann die Wahlerfolge rechtspopulistischer
Parteien in Skandinavien sowie durch den kometenhaften Aufstieg des
Niederländers Pym Fortuyn und dessen Ermordung. In Deutschland sorgten die Schill-
Partei und die rechtspopulistischen Wahlkampfinszenierungen der FDP für erneute
Aufmerksamkeit.
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Wie der Begriff nahelegt wird damit
Bezug genommen auf propagandistische
Simplifizierungen in Anlehnung
an »des Volkes Stimme«: Rechtspopulismus
bedeutet demnach allgemein
die volkstümlich und rebellischautoritär
inszenierte Verkündung
extrem rechter Theoreme auf der Basis
emotionalisierter Agitation: »Charakteristisch
für die politischen Inhalte
des Populismus ist die prekäre Synthese
von Personalismus und Gemeinschaftsdenken
und seine ambivalente
Haltung zum gesellschaftlichen Fortschritt.
Historisch und auch gegenwärtig
besteht ein starker Hang nach
rechts, der auf eine gegebene ideologische
Affinität hindeutet.«1 Wenn
die Kritik an einem angeblich überbordenden,
die Wirtschaft lähmenden
und den Standort gefährdenden
Wohlfahrtsstaat im Mittelpunkt der
Wahlkampfpropaganda einer Rechtspartei
steht, spricht der Populismusforscher
Frank Decker von »ökonomischem
Populismus«, den er
gegenüber einer »politischen« sowie
einer »kulturellen« Variante desselben
Phänomens innerhalb westlicher
Demokratien abhebt.2 Eine solche
Definition jedoch lässt die Grenzen
zwischen Rechtspopulismus und
Rechtsextremismus noch nicht erkennen.
Frank Decker betont daher die
besonderen Organisationsmerkmale,
die inhaltlich oft willkürliche Agitation
gegen das Establishment und den
charismatischen Führungsstil des
Rechtspopulismus. Er stellt die These
auf, dass es beispielsweise »bei der
FPÖ und den skandinavischen Fortschrittsparteien
durchaus fraglich ist,
ob sie zu den rechtsextremen Vertretern
gerechnet werden können.«3
Hans-Henning Scharsach hingegen
sieht in solch unterschiedlichen Parteien
wie dem Vlaams Block, der FPÖ,
dem Front National, Berlusconis
Regierungsbündnis, der FDP unter
dem Duo Möllemann/Westerwelle und
weiteren neu- wie altrechten Parteien
das Aufkommen eines »rechten Populismus
in Europa«.4
Unklare Abgrenzungen
So missverständlich und widersprüchlich
populäre Deutungen des Rechtspopulismus
sind, so unklar ist auch
seine Abgrenzung zu hegemonialen
Politikmustern. In der Diskussion um
den Rechtspopulismus wird weitestgehend
ausgeklammert, dass dessen
zentrale propagandistische Bausteine
- Nationalismus, Rassismus,
Sozialneid und Autoritarismus gepaart
mit einer sich volkstümlich inszenierenden
Protestbewegung gegen
das »Establishment« - zugleich Eingang
gefunden haben in den Diskurs
der so genannten politischen Mitte.5
Rassismus und Nationalismus prägen
als konstitutive Merkmale des Rechtsextremismus
in einem zunehmenden
Maße »autoritäre Entwicklungen« der
gesellschaftlichen Mitte. Diese ziehen
eine Politik nach sich, die »partikularistisch
mit ethnisch-kulturellen, religiösen
oder ausschließlich territorialen
Kriterien begründet wird und sich
dabei auf kollektive Identitäten
stützt«.6 Wilhelm Heitmeyer vertritt
die These, »dass sich ein autoritärer
Kapitalismus herausbildet, der vielfältige
Kontrollverluste erzeugt, die
auch zu Demokratieentleerungen beitragen,
so dass neue autoritäre Versuchungen
durch staatliche Kontrollund
Repressionspolitik wie auch
rabiater Rechtspopulismus befördert
werden.«7
Eine derartige Verschiebung gesellschaftlicher
Widersprüche auf konstruierte
Feindbilder weist partiell
Affinitäten zu Tendenzen auf, die
Zeev Sternhell, Mario Sznajder und
Maia Asheri als »Grundelemente des
Faschismus« benennen: einen »völkische(
n) Nationalismus, genährt durch
Sozialdarwinismus und oft auch biologischen
Determinismus«.8 Gerade
die »kollektivistisch, antiindividualistisch
und antirationalistisch«9 verklausulierten
Erhöhungen nationaler
Kultur und Größe seien für das
Aufkommen des Faschismus maßgeblich:
»Das versagende Proletariat sollte
durch jene aufstrebende Macht der
modernen Welt ersetzt werden, die
aus dem Fortschritt, den Unabhängigkeitskriegen
und der kulturellen
Integration geboren worden war:
durch die Nation. Alle ihre Klassen
sollten zusammengeschweißt werden
im gemeinsamen Kampf gegen die
bürgerliche, demokratische Dekadenz.
«10 Die antirationalistische Produktion
von Feindbildern mittels
symbolischer Politik unter national(
istisch)en Prämissen prägt unter
ganz anderen - weitgehend neoliberalen
- Verhältnissen auch den politischen
Alltag westlicher Demokratien
heute.
In der wissenschaftlichen Diskussion
wird der Begriff des (Rechts-)
Populismus meist bei denjenigen
Parteien und Bewegungen verwendet,
die trotz der Verwendung faschistischer
Propagandaelemente erstens
kein geschlossen rechtsextremes
Weltbild aufweisen und zweitens ihre
autoritären Forderungen nach einem
»starken Staat« mit neoliberalen
Politikansätzen verbinden. In der Tat
zeigt sich hier eine Tradition spezifisch
rechter Agitation gegen den
»schmarotzenden Abzockerstaat«, der
im skandinavischen Raum schon in
den sechziger Jahren zu Wahlerfolgen
von extrem rechten Parteien geführt
hat, die in der europäischen Populismusforschung
als »Vorreiter des
europäischen Populismus«11 bezeichnet
werden. Nach ersten Erfolgen der
finnischen »Landpartei« etabliert der
»Steuerrebell« Mogens Glistrup in
Dänemark das Modell der »Fortschrittspartei
«, das dann in Norwegen
und auch in weiteren Ländern
Europas als Vorbild für Parteien mit
rechtspopulistischer Ausprägung
dient. War der »Aufstand der
Kleinbürger« gegen Steuer, Bürokratie
und »Wohlfahrtsstaat« in der
fordistischen Epoche der Nachkriegszeit
bis in die achtziger Jahre hinein
noch schwerpunktmäßig geprägt von
wirtschaftsliberalistischer Kritik am
so genannten Sozialstaat, so traten
im Zuge der Durchsetzung postfordistischer
Regulationsverhältnisse in
diesen Strömungen zugleich nationalistische
und rassistische Tendenzen
ins Zentrum ihrer Agitation. Exemplarisch
hierfür steht die Abspaltung
der dänischen Fortschrittspartei, die
Dänische Volkspartei unter Pia
Kjärsgaard.
Die Mischung aus populistischem
»Sicherheitsdiskurs« gegen »Kriminelle
«, »Fremde« und »Schmarotzer«
im Kontext von medial inszenierten
Aufständen des Kleinbürgers gegen
Steuer, Bürokratie, EU und Zuwanderung
machte unter dem sich durchsetzenden
Modell eines »nationalen
Wettbewerbsstaates«12 Schule für vergleichbare
Strömungen in Europa.
Zwischen dem Neoliberalismus und
neu aufgekommenen populistischen
Rechts-Parteien besteht ein politischideologisches
Abhängigkeitsverhältnis.
»Selbst dort, wo neue rechtsradikale
Parteien ihre wirtschaftsliberale
Rhetorik einschränken, bedeuten die
Konsequenzen ihres Aufstiegs Wasser
auf die Mühlen neoliberaler Sozialstaatskritik.
«13
Geradezu prototypisch für den
Rechtspopulismus in Westeuropa stehen
Jörg Haider und seine FPÖ, deren
Wahlerfolge primär darauf beruhten,
dass über einen längeren Zeitraum
hinweg neben sozialen Aufsteigern
und Befürwortern eines Modernisierungskurses
auch sozial Benachteiligte
und zutiefst verunsicherte
Mittelständler gewonnen werden
konnten.14 Krisen- und Auflösungserscheinungen
innerhalb des politischen
Systems führen jedoch auch
dann, wenn sich keine rechtspopulistische
Partei etablieren oder auf
Dauer halten kann, zu Verschiebungen
zwischen dem Zentrum und
der Peripherie. »Die äußerste Rechte
befindet sich nicht mehr am Rand des
politischen Spektrums, sondern in
dessen Mitte.«15 Im Zuge der Durchsetzung
postfordistischer, neoliberaler
staatlicher Regulationsformen
haben sich in Europa nicht nur neue
Parteikonstellationen herausgebildet,
sondern zugleich hat der rechte
Populismus mit neoliberalen Ansätzen
auch Eingang gefunden in den vorherrschenden
Politikstil.
Vom Rand in die Mitte
So zählt beispielsweise der ehemalige
CDU-Vorsitzende Wolfgang Schäuble
sogar die in Italien regierende Koalition
aus neoliberal orientierten
Rechtspopulisten (Forza Italia), Neooder
Postfaschisten (Alleanza Nazionale)
und Separatisten (Lega Nord)
zur »Mitte«. Er zieht eine Parallele
zum Regierungsbündnis von FPÖ und
ÖVP: »Eine ähnliche Entwicklung
kann man auch in Österreich beobachten,
seit Wolfgang Schüssel Bundeskanzler
ist - was im Übrigen
denen Recht gibt, die sagen: ,Aufgabe
großer Volksparteien ist es, zur Mitte
hin zu integrieren.’«16
Besonders in Großbritannien und in
Deutschland entfaltet sich für die
Sozialdemokratie eine »neue Mitte«
aus einer als »Modernisierungsprozess
« begriffenen konzeptionellen
Inanspruchnahme wertkonservativer
und neoliberaler Ideologie- und Programmfragmente,
die mit nationalstaatlich
orientierten Arbeits- und
Erwerbskampagnen aus dem Erbe der
historischen Arbeiterbewegung angereichert
sind. Roland Tichy, Berater
von Bundeskanzler Schröder, hält in
bedenkenswürdigem Einklang mit
konservativen und wirtschaftsliberalen
Positionen die »deutschen Tugenden
« für einen Trumpf im Prozess der
Globalisierung.17
Im aktuell hegemonialen Regulationsverhältnis
manifestiert sich die
Verantwortung des politisch-administrativen
Systems für eine »illusorische
Gemeinschaft«18, die ethnisierter
Feindbilder zu ihrer Selbstlegitimierung
bedarf. Der wieder
erstarkte Nationalismus ist daher
keine bloße populistisch aufgeladene
Gegenbewegung zum neoliberal globalisierten
Kapitalismus, sondern
zugleich ein propagandistisches Mittel
zu dessen Selbstlegitimierung:
Dieser Transformationsprozess des
politischen Systems vollzieht sich
mittels einer »Legitimationsstrategie,
die deutlich wohlfahrtschauvinistisch-
populistische, rassistisch und
nationalistisch konnotierte Züge
trägt.«19
In der Diskussion um den sogenannten
Rechtspopulismus sollte daher
weniger an dessen definitorische
Abgrenzung zum traditionellen
Rechtsextremismus - dessen faschistische
Bezugspunkte auf das Primat
der Politik im Sinne eines interventionistischen
(Führer-)Staates zumindest
in der nationalrevolutionär ausgerichteten
neonazistischen Szene
nach wie vor virulent ist - gefeilt werden.
Denn trotz höchst unterschiedli-
cher und in ökonomischen Fragen gar
höchst gegensätzlicher Ansätze
rechtsextremer Parteien und Bewegungen
stellen die als »Rechtspopulisten
« bezeichneten Strömungen
keine Abkehr, sondern eine politisch
konformere Neuausprägung der extremen
Rechten dar.
Wichtiger erscheint hingegen, die
zunehmende Hegemonie eines rechten
Populismus im politisch vorherrschenden
Diskurs zu analysieren und
zu bekämpfen. Der Unterschied zwischen
Schill und Schily liegt dabei
eher in den jeweiligen Machtbefugnissen.
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1| Frank Decker, Der neue
Rechtspopulismus in den
westlichen Demokratien,
in: Rechtspopulismus auf
dem Vormarsch? Eine
Tagung der SPD-Hamburg
am 1. Dezember 2001,
Broschüre, S. 10
2| s. Frank Decker, Parteien
unter Druck. Der neue
Rechtspopulismus in den
westlichen Demokratien,
Opladen 2000, S. 213f.
3| ebd., S.12
4| vgl. Hans-Henning
Scharsach, Rückwärts
nach rechts. Europas
Populisten, Wien 2002
5| vgl. Christoph Butterwegge/
Alexander Häusler,
Rechtsextremismus, Rassismus
und Nationalismus:
Randphänomene oder
Phänomene der Mitte? in:
Christoph Butterwegge
u.a., Themen der Rechten
- Themen der Mitte. Zuwanderung,
demografischer
Wandel und Nationalbewusstsein,
Opladen
2002. Hieraus sind wesentliche
Argumentationsstränge
in den vorliegenden
Aufsatz eingeflossen.
6| s. Dietmar Loch/Wilhelm
Heitmeyer, Einleitung:
Globalisierung und
autoritäre Entwicklungen,
in: dies. (Hrsg.), Schattenseiten
der Globalisierung,
Rechtsradikalismus,
Rechtspopulismus und
separatistischer Regionalismus
in westlichen
Demokratien, Frankfurt a.
Main 2001, S. 15
7| Wilhelm Heitmeyer,
Autoritärer Kapitalismus,
Demokratieentleerung
und Rechtspopulismus.
Eine Analyse von
Entwicklungstendenzen,
in: ebd., S. 500
8| Zeev Sternhell/Mario
Sznajder/Maia Asheri, Die
Entstehung faschistischer
Ideologie. Von Sorel zu
Mussolini, Hamburg
1999, S. 24
9| ebd., S. 17
10| ebd., S. 45
11| Hans-Henning
Scharsach, Rückwärts
nach rechts, a.a.O., S. 152
12| vgl. Joachim Hirsch,
Der nationale
Wettbewerbsstaat. Staat,
Demokratie und Politik im
globalen Kapitalismus,
Berlin/Amsterdam 1995
13| Herbert Kitschelt, Politische Konfliktlinien in westlichen Demokratien:
ethnisch-kulturelle und wirtschaftliche Verteilungskonflikte, in: Dietmar
Loch/Wilhelm Heitmeyer (Hrsg.), Schattenseiten der Globalisierung, a.a.O.,
S. 439
14| vgl. z.B.: Brigitte Bailer-Galanda/Wolfgang Neugebauer, Haider und die
Freiheitlichen in Österreich, 2. Aufl. Berlin 1997; Christa Zöchling, Haider.
Licht und Schatten einer Karriere, 2. Aufl. Wien 1999; Hans-Henning
Scharsach (Hrsg.), Haider. Österreich und die rechte Versuchung, Reinbek
bei Hamburg 2000; ders./Kurt Kuch, Haider. Schatten über Europa, Köln
2000
15| Ursula Birsl/Peter Lösche, (Neo-)Populismus in der deutschen Parteienlandschaft.
Oder: Erosion der politischen Mitte, in: Dietmar Loch/Wilhelm
Heitmeyer (Hrsg.), Schattenseiten der Globalisierung, a.a.O., S. 369f.
16| Wolfgang Schäuble zur Italien-Wahl und (zu) den Medien-Beteiligungen
der SPD: »Kräfte der Mitte gestärkt«, in: Rheinische Post vom 17.5.2001
17| s. Roland Tichy, Ab in die Neue Mitte!, Die Chancen der Globalisierung
für die deutsche Zukunftsgesellschaft, Hamburg 1998, S. 12f.
18| s. Günther Wolfswinkler, Marxistische Theoriearchitektur und die Dynamik
staatlichen Wandels. Legitimationsmuster, Herrschaftsstruktur und
Funktionsweise des kapitalistischen Staates im Spiegel staatstheoretischer
Entwicklungslinien, Duisburg 2000, S. 104
19| Joachim Hirsch, Postfordismus: Dimensionen einer neuen kapitalistischen
Formation, in: ders. /Bob Jessop/Nicos Poulantzas, Die Zukunft des
Staates. Denationalisierung, Internationalisierung, Renationalisierung,
Hamburg 2001, S. 202
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