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„…mit der Naziriecherei Schluss machen.“
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Dies ist die vollständige Version des im Heft nur gekürzt abgedruckten Beitrags.
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Geschichte
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„…mit der Naziriecherei Schluss machen.“
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Die Kritik Heinrich Bölls fiel vernichtend aus. In der Ausgabe des Spiegel vom 1. Dezember 1965 hatte der Schriftsteller Konrad Adenauers soeben publizierte „Erinnerungen 1945-1953“ besprochen und kaum ein gutes Haar an der Autobiografie des vormaligen Bundeskanzlers gelassen. Die Lektüre des Buches sei, so resümierte Böll, „niederschmetternd“ und „verderblich“ gewesen. Darüber hinaus nahm er die Gelegenheit war, noch einmal grundsätzlich mit der Politik Adenauers abzurechnen. Es waren vor allem drei Punkte, an denen sich der Zorn des späteren Literaturnobelpreisträgers entzündete. Zum einen habe Adenauer jegliche Form des Sozialismus „diffamiert“. Zum anderen sei die Wiederbewaffnung der Bundesrepublik vom Bundeskanzler „mit Hinterlist und Niedertracht“ vorangetrieben worden. Besonders heftig kritisierte Böll jedoch den Umgang mit der NS-Vergangenheit in der Adenauer-Ära: „Er bekam die Kriegsverbrecher frei, und er wurde mitschuldig an der moralischen Fäulnis, die alles zu befallen droht, was in diesem Land offiziell unter ‚Bewältigung der Vergangenheit’ läuft.“ Die Haltung Adenauers gegenüber Tätern und Profiteuren des NS-Regimes sei vor allem von opportunistischen Erwägungen geprägt gewesen. Demnach konstatierte Böll: „kommt (es) also gar nicht drauf an, ob einer und wie schuldig er sein mag, es kommt drauf an, ob einer noch gebraucht wird, ob seine Schuld oder Unschuld politisch gerade opportun ist.“
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Das Werben um die „Entnazifizierten“
Mit seiner wütenden Polemik hatte Böll die Vorstellungen von „Vergangenheitsbewältigung“ wie sie nicht nur für die CDU, sondern im Grunde für das gesamte politische Spektrum in der Bundesrepublik während der 1950er Jahre kennzeichnend waren, treffend charakterisiert. Schon kurz nachdem sie sich (neu) konstituiert hatten, begannen nahezu alle Parteien einschließlich der SPD, das Heer der ehemaligen NS-Funktionäre und der Mitläufer des Regimes zu umwerben. Diese Gruppe stellte ein quantitativ erhebliches Potential dar. So hatten im Mai 1945 allein 600.000 Personen leitende Positionen innerhalb der NSDAP eingenommen. Die SS verfügte zu diesem Zeitpunkt über mehr als eine Million Mitglieder. Dazu kam eine unübersehbare Zahl ehemaliger „normaler“ Parteigenossen und kleinerer Funktionsträger der NS-Polykratie. Bezeichnenderweise verortete sich der überwiegende Teil dieses Personenkreises nicht auf der Seite der Täter, sondern begriff sich als Opfer der von den Alliierten zunächst konsequent vorangetriebenen Entnazifizierungsmaßnahmen.
Die Forderungen nach einem Ende der „Entnazifizierung“ und einer Rehabilitierung der „Entnazifizierten“ gehörten demnach zu den festen Bestandteilen der politischen Rhetorik aller Parteien, die unverhohlen auf Stimmen der vormaligen NS-Funktionäre spekulierten. Im Rückblick erwiesen sich dabei die beiden Unionsparteien als besonders erfolgreich. Spätestens bis zur Mitte der 1950er Jahre hatten sich die CDU, bis zum Beginn der 1960er Jahre auch die CSU in Bayern als hegemoniale Parteien des bürgerlichen Lagers durchgesetzt. Die kleinen, aber am Anfang der Bundesrepublik temporär und regional einflussreichen rechts von der Union stehenden Parteien, waren größtenteils absorbiert und marginalisiert worden. Dies galt für die vor allem in Niedersachsen verankerte Deutsche Partei (DP) ebenso wie für den Bund der Heimatvertriebenen und Entrechteten (BHE), der bei den Landtagswahlen in Bayern, Niedersachsen und Schleswig-Holstein in den Jahren 1949/1950 noch zweistellige Wahlergebnisse erzielt hatte. An Einfluss verloren auch die offen rechtsextremen Parteien, wie etwa die vor allem in Bayern aktive Deutsche Gemeinschaft (DG) oder die Deutsche Reichspartei (DRP), die als faktische Nachfolgerin der 1953 vom Bundesverfassungsgericht verbotenen Sozialistischen Reichspartei (SRP) in Erscheinung trat. Letztere hatte bei den niedersächsischen Landtagswahlen im Jahr 1951 als Partei, die aus ihrer Nähe zum Nationalsozialismus keinen Hehl machte, 11 Prozent der Wählerstimmen auf sich vereinigen können. Lediglich der in zahlreichen Regionen ebenfalls äußerst rechts stehenden FDP gelang es langfristig einer Marginalisierung durch die Union zu entgehen.
Obgleich sich die politische Rhetorik von DP, BHE, DG, DRP/SRP und FDP explizit an die vermeintlich diskriminierten ehemaligen Wehrmachtsoffiziere, NS-Funktionäre, Arisierungsprofiteure und Vertriebene richtete, wanderten diese anfangs durchaus erfolgreich umworbenen Wählerschichten mehrheitlich zur Union ab. Der Erfolg von CDU/CSU basierte auf drei Säulen: Die Union vertrat mit ihrem strikten Antikommunismus und einer diffusen Abendlandideologie weltanschauliche Positionen, in denen sich offenkundig auch ehemalige Anhänger und Mitläufer des NS-Regimes wiederfinden konnten. Auf politisch-strategischer Ebene sahen die Konzepte von CDU/CSU vor, die kleinen Rechtsparteien etwa im Rahmen von Wahlabsprachen und Listenverbindungen entweder zu neutralisieren oder dort wo es opportun erschien, sie auch an der Macht zu beteiligen. Die dritte und zweifellos bedeutendste Säule stellte jedoch eine von der Adenauer-Regierung forcierte „Vergangenheitspolitik“ dar, die in einem „komplexen politischen Prozess der Amnestie, Integration und Abgrenzung“1 darauf zielte, die von den Alliierten voran getriebenen „Entnazifizierungsmaßnahmen“ zu korrigieren oder gar rückgängig zu machen.
Bürgerliche Sammlung – Der Aufstieg der Union
Die CDU entstand nach dem Zweiten Weltkrieg aus unterschiedlichen politischen Strömungen. Der Anspruch, eine mehrheitsfähige interkonfessionelle bürgerliche Sammlungspartei zu etablieren, stellte zu diesem Zeitpunkt zweifellos ein Novum in der deutschen Parteiengeschichte dar. Die Gründungsphase der CDU war daher von zahlreichen Spannungen und Konfliktlinien gekennzeichnet, war die Union doch bemüht ein politisches Spektrum abzudecken, das traditionell sich diametral gegenüberstehende sozialmoralische Milieus umfasste. So bildeten die überwiegend katholisch geprägten Gebiete wie etwa das Rheinland oder Westfalen, in denen während des Kaiserreichs und der Weimarer Republik die Zentrumspartei unangefochten dominiert hatte, zwar die organisatorischen Hochburgen der entstehenden CDU. Die Partei war jedoch bemüht auch in den dezidiert protestantisch-deutschnationalen Milieus Norddeutschlands Fuß zu fassen, die bei Wahlen in den 1920er Jahren zur DNVP später dann zur NSDAP tendiert hatten. Die Union war aber auch was die soziale Herkunft ihrer Mitglieder betraf alles andere als homogen. So fanden sich unter ihrem Dach sowohl Teile der partiell antikapitalistisch eingestellten, christlichen Arbeiterbewegung wider, als auch strikt antisozialistisch eingestellte Mittelständler und Landwirte. Mit einem ähnlichen interkonfessionellen, strömungsübergreifenden Anspruch trat die CSU in Bayern an. Auch sie wollte weg vom Image einer rein katholischen Interessenpartei, das noch für die Bayerische Volkspartei (BVP) während der Weimarer Republik kennzeichnend gewesen war.
Die Integration der divergierenden sozialen und politischen Spektren erfolgte nicht über umfangreiche Programme oder Programmdiskussionen. Diese gab es zwar, sie spielten aber für das Selbstverständnis und die politische Praxis der Union lediglich eine untergeordnete Rolle. Als bestes Beispiel hierfür kann das berühmte „Ahlener Programm“ der CDU vom 3. Februar 1947 gelten, dessen viel zitierte Eingangssätze lauteten: „Das kapitalistische Wirtschaftssystem ist den staatlichen und sozialen Lebensinteressen des deutschen Volkes nicht gerecht geworden.“ Für die konkrete Politik der CDU auf Bundes- wie auf Länderebene sollten diese kapitalismuskritischen Feststellungen freilich belanglos bleiben.
Zwischen „christlicher Demokratie“ und Antikommunismus
Zum strömungsübergreifenden ideellen Bezugspunkt der Union avancierte vielmehr der nicht näher definierte Begriff der „christlichen Demokratie“. Gerade der Hinweis auf das „Christliche“ den die Partei im Namen führte, konnte somit von den unterschiedlichen Strömungen flexibel gefüllt werden. Das „C“, so urteilt der Bochumer Historiker Frank Bösch, „gab dem katholischen Milieu und dem protestantisch-bürgerlichen Lager […] einen gemeinsamen, individuell deutbaren und scheinbar unpolitischen Kitt, der in der konkreten Wirtschafts- Sozial- oder Außenpolitik nur schwer zu finden war.“2
Über die Milieugrenzen hinweg wurden ebenso leidenschaftlich wie diffus die „geistigen Werte des christlichen Abendlandes“ beschworen, die Schutz bieten sollten vor der vermeintlich drohenden „gottlosen“ Massengesellschaft. Im positiven Bezug auf die „christliche Demokratie“ war somit zugleich eine entschiedene normative Abgrenzung sowohl gegenüber dem historischen Nationalsozialismus, als auch gegenüber jeder Form des Sozialismus enthalten, da beide Systeme gleichermaßen als Ausdrucksformen „vermasster“ Gesellschaften galten. Besonders die massive, seit dem Ende der 1940er Jahre sich weiter radikalisierende antisozialistische bzw. antikommunistische Rhetorik der Union trug dazu bei, milieuübergreifend in bürgerlichen Wählerschichten Fuß zu fassen. Vor allem aber gelang es auf diesem Wege, die zahlreichen ehemaligen Funktionsträger des NS-Regimes anzusprechen, ließ sich der Antikommunismus unter christlich-abendländischem Vorzeichen doch gewissermaßen als Fortsetzung des nationalsozialistischen Antibolschewismus mit anderen Mitteln verstehen. Die zentrale Bedeutung, die dem Antikommunismus als Integrationsideologie zukam, ermöglichte es somit vielen, ihre durch den Nationalsozialismus geprägten politischen Einstellungen und Weltanschauungen ohne allzu große Brüche in die Bundesrepublik hinüber zu retten. Nicht verwunderlich erscheint demnach der Stellenwert, den die antikommunistische Agitation im Rahmen der Wahlkampfpropaganda wie auch in der Tagespolitik der Union einnahm. Die Tiraden richteten sich dabei nicht nur nach außen gegen die real existierenden kommunistische Regime der Ostblocks, sondern zielten darüber hinaus innenpolitisch auf die SPD, was nicht zuletzt in den berüchtigten CDU-Wahlplakaten „Alle Wege des Marxismus führen nach Moskau“ oder „Wo Ollenhauer sät, erntet Stalin“ zum Ausdruck kam.
„Bürgerblock“ – Die Machtstrategien der Union
Die rigorose Abgrenzung nach links zeigte sich aber auch in der von der Union im Vorfeld von Wahlen forcierten „Bürgerblock“-Politik. Diese intendierte einerseits, das bürgerliche Lager einschließlich des extrem rechten Randes möglichst unter der Führung der CDU auf Grundlage von Listenverbindungen und Wahlabsprachen zu einen, andererseits sollte dadurch die SPD vollständig isoliert werden. In Niedersachsen, wo sich die Union mit der DP, dem BHE und der DRP/SRP konfrontiert sah, die allesamt mit Wahlergebnissen im zweistelligen Prozentbereich rechnen konnten, waren die Sammlungsbemühungen der CDU besonders ausgeprägt. Anlässlich der Kommunalwahlen im Jahr 1952 erging von der Parteiführung an alle Kreisverbände die Weisung, „einen Block der nichtmarxistischen Parteien“ zu bilden. Dementsprechend entstanden auf lokaler und regionaler Ebene zahlreiche Wahlbündnisse, die wie etwa in Holzminden unter dem Namen „Partei der Gemeinschaft“ firmierten und von CDU, DP, BHE und SRP getragen wurden. Während die niedersächsische CDU-Führung die lokale Einbindung der nazistischen SRP offenkundig für unproblematisch hielt, fiel die Abgrenzung gegenüber der Sozialdemokratie umso deutlicher aus. So erhielten alle Kreisverbände den „verbindlichen Hinweis […] unter keinen Umständen“ mit der SPD zu koalieren.3
Obwohl die Sammlungsbemühungen am rechten Rand vor allem beim katholischen Arbeitnehmerflügel der CDU auf teilweise massive Kritik stieß, setzte die Union auch im Vorfeld der Bundestagswahl 1953 auf diese Form der Bündnispolitik. Zwar war die SRP mittlerweile vom Bundesverfassungsgericht verboten worden, ebenso hatte die CDU darauf verzichtet mit der DRP Absprachen bezüglich der Aufteilung von Wahlkreisen zu treffen. Dennoch kam es in einigen Wahlkreisen zu „Wahlverhaltensvereinbarungen“ zwischen der Union und den Rechtsextremisten. Die Vereinbarungen sahen vor, dass die DRP darauf verzichtete eigene Kandidaten aufzustellen, während im Gegenzug die Christdemokraten zusicherten, im Wahlkampf nicht gegen die DRP zu agitieren.
Die CDU traf aber nicht nur Wahlabsprachen mit den rechts von ihr stehenden Parteien, sondern beteiligte diese auch an der Macht – selbst dann, wenn aufgrund der Mehrheitsverhältnisse die Notwendigkeit einer Koalition überhaupt nicht bestand. So hatten CDU/CSU bei der Bundestagswahl im September 1953 zwar die absolute Mehrheit erreicht, Adenauer entschloss sich jedoch auch die zu diesem Zeitpunkt bereits marginalisierten Parteien BHE (5,9 Prozent), DP (3,3 Prozent) sowie die FDP (9,9 Prozent) mit in die Regierungsverantwortung zu holen. Ähnliche Zugeständnisse gab es auch auf Landesebene. In Niedersachsen überließ die CDU nach der Landtagswahl im Jahr 1955 sogar das Amt des Ministerpräsidenten dem äußerst rechts stehenden DP-Vorsitzenden Heinrich Hellwege. Die Intentionen dieser Politik waren offenkundig. Vor allem auf Bundesebene ging es Adenauer darum, Einfluss auf die kleinen Rechtsparteien zu gewinnen. Die profiliertesten Repräsentanten dieser Parteien erhielten zwar Ministerposten im Bundeskabinett, gerieten jedoch, da sie gegenüber der Union über keinerlei Druckmittel verfügten, in die machtpolitische Abhängigkeit des Bundeskanzlers. Dies führte dazu, dass etwa die beiden BHE-Minister Waldemar Kraft und Theodor Oberländer 1955 zur CDU übertraten. Gleichzeitig machten sich die Christdemokraten teils offen, teils verdeckt daran, die Parteiorganisationen und Fraktionen von BHE und DP systematisch zu spalten. Dabei wurden den umworbenen Abgeordneten allerlei Posten und mögliche Parteikarrieren in Aussicht gestellt.
Diese Strategie erwies sich bis zum Ende der 1950er Jahre als äußerst erfolgreich. Zusammen mit Oberländer und Kraft hatten 1955 hatten bereits sieben Abgeordnete des BHE ihren Wechsel in die CDU-Fraktion bekannt gegeben. Der Trend setzte sich auch in den Bundesländern fort: In Schleswig-Holstein und Baden-Württemberg liefen die BHE-Mitglieder scharenweise zur CDU über. Ähnliche Entwicklungen waren auch in Bayern zu beobachten. Die DP wurde am Beginn der 1960er Jahre endgültig von der Union geschluckt. Im Juli 1960 verließen von 14 Bundestagsabgeordneten der DP 11 die Fraktion und traten zur CDU/CSU über. Die Tatsache, dass sich unter den Überläufern aus BHE und DP zahlreiche (ehemalige) Rechtsextremisten befanden, störte bei den Christdemokraten kaum jemanden. Bereits nach dem Verbot der SRP 1953 waren Anhänger der Partei bereitwillig aufgenommen worden. Mit Theodor Oberländer hatte man sich nun jedoch einen hochrangigen vormaligen NS-Funktionär zunächst ins Kabinett und dann in die Union geholt. Die Vergangenheit des Vertriebenenministers (1953-1960), der während des „Dritten Reichs“ SA-Hauptsturmführer, Gauamtsleiter und Reichsführer des Bundes Deutscher Osten gewesen war, führte während der 1950er Jahre zu vehementen, aber vergeblichen Forderungen Oberländer zu entlassen. Der ehemalige Volkstumskämpfer zeigte sich davon allerdings unbeeindruckt. In seinem Ministerium waren etliche frühere NSDAP-Mitglieder, von denen einige sogar das Goldene Parteiabzeichen getragen hatten, als Mitarbeiter beschäftigt.
„Bewältigung der NS-Bewältigung“ - Vergangenheitspolitik
Die seit Beginn der 1950er Jahre dramatisch zunehmende Präsenz ehemaliger NS-Funktionäre in der Politik, in den Ministerien und in der öffentlichen Verwaltung war freilich kein Zufall, sondern resultierte aus den bereits erwähnten „vergangenheitspolitischen“ Maßnahmen der Adenauer-Regierung, die eine „Bewältigung der frühen NS-Bewältigung“ (Norbert Frei) bezweckten. Bereits in seiner ersten Regierungserklärung im September 1949 brachte Adenauer die Haltung seiner Koalition zur „Entnazifierung“ und deren Folgen auf den Punkt, indem er konstatierte: „Durch die Denazifizierung ist viel Unglück und Unheil angerichtet worden.“4
Daran anschließend kündigte der Bundeskanzler eine Amnestie für Straftaten und Vergehen an die während des Krieges und in den „Wirren der Nachkriegszeit“ begangen worden waren. Nur wenige Monate später wurde ein entsprechendes Gesetz, trotz erheblicher Bedenken der Alliierten Hohen Kommission vom Bundestag einstimmig verabschiedet, das Straffreiheit für Taten vorsah, die mit bis zu einem Jahr Gefängnis geahndet werden konnten. Von dieser Amnestie profitierten mindestens 800.000 Personen, darunter vermutlich auch eine nicht unerhebliche Zahl an NS-Verbrechern, da minderschwere Fälle von Körperverletzung mit Todesfolge und Totschlag ebenso mit einbezogen waren wie Freiheitsberaubung und diverse Amtsvergehen. Zudem bot das Gesetz, NS-Funktionären, die nach 1945 untergetaucht waren die Möglichkeit, wieder in die Legalität zurückzukehren, ohne strafrechtlich belangt zu werden. Im Sommer 1954 folgte das zweite, ebenfalls einstimmig verabschiedete Straffreiheitsgesetz, das „Taten während des Zusammenbruchs“ amnestierte. Mitte der 1950er Jahre war die juristische Verfolgung von NS-Verbrechen praktisch zum Erliegen gekommen, was allerdings die kleinen Rechtsparteien nicht daran hinderte nun lautstark eine Generalamnestie für alle noch inhaftierten „Kriegsverurteilten“ zu fordern. Diesem Drängen gaben die Alliierten zwar nicht nach, im Rahmen umfangreicher Begnadigungswellen entließen sie jedoch zahlreiche NS-Verbrecher aus den Gefängnissen, darunter auch zum Tode verurteilte Einsatzgruppenführer.
Den entscheidenden Markstein für die soziale Integration ehemaliger Anhänger und Mitläufer des Nationalsozialismus stellte zweifellos das 1951 verabschiedete „Gesetz zur Regelung der Rechtsverhältnisse der unter Artikel 131 des Grundgesetzes fallenden Personen“ dar. Das so genannte 131er Gesetz verfügte, dass Beamte, die 1945 ihre Stellung verloren hatten, nun wieder in den öffentlichen Dienst übernommen werden sollten. Sämtliche staatliche und kommunale Behörden waren daher verpflichtet, mindestens 20 Prozent ihrer Planstellen mit Beamten aus diesem Personenkreis zu besetzen. Das Gesetz bedeutete zweifellos einen „vergangenheitspolitischen Dammbruch“.5
Zwar sind genaue Zahlen bis heute nicht bekannt, es ist jedoch davon auszugehen, dass mehrere hunderttausend Beamte und ehemalige Berufssoldaten der Wehrmacht wieder Beschäftigung im öffentlichen Dienst der Bundesrepublik fanden, darunter vermutlich Zehntausende, die politisch erheblich belastet waren. Selbst die frühere Mitgliedschaft in der Gestapo, der SS oder dem SD stellte schon bald keinen Hinderungsgrund mehr da, nunmehr in der Bundesrepublik verbeamtet zu werden.
Auf die Warnungen vor einer drohenden „Renazifizierung“ der Verwaltung reagierte Bundeskanzler Adenauer mit der gereizten Bemerkung, es sei nun an der Zeit „mit der Naziriecherei Schluss zu machen.“6
Nicht zuletzt die Bonner Ministerien entwickelten sich daher zu Tummelplätzen ehemaliger Nazis. So hatten zwei Drittel leitenden Beamten des Auswärtigen Amtes der NSDAP angehört. Unter den Referatsleitern waren es sogar vier Fünftel. Damit beschäftigte das Auswärtige Amt während der 1950er Jahre mehr NSDAP-Mitglieder als in der Zeit des „Dritten Reichs“. Ähnliche Zahlen ließen sich für das Justiz- und das bereits erwähnte Vertriebenenministerium nennen.
Aber auch in der Union wurde „Schluss gemacht“ mit der „Naziriecherei“ – sofern es diese jemals gegeben hatte. In der Partei, im Bundeskabinett und in den CDU-geführten Landesregierungen gelangten nun auch Politiker in einflussreiche Positionen, die aufgrund ihrer Tätigkeiten im „Dritten Reich“ als hochgradig belastet gelten mussten. Neben Theodor Oberländer ist hier beispielhaft Hans Globke zu nennen, der zum engen Vertrauten Adenauers und Ministerialdirektor im Kanzleramt avancierte. Die Tatsache, dass er in der Zeit des Nationalsozialismus einen juristischen Kommentar zu den Nürnberger Rassegesetzen verfasst hatte, erwies sich für seine Karriere in der Bundesrepublik nicht als hinderlich. Einen bemerkenswerten Aufstieg machte auch Kurt-Georg Kiesinger. Er war während des „Dritten Reichs“ Mitglied der NSDAP und in der Propagandaabteilung des Auswärtigen Amtes beschäftigt gewesen. Nach 1945 trat er schon bald der CDU bei und brachte es zum Ministerpräsidenten von Baden-Württemberg, bevor er Ludwig Erhard 1966 als Bundeskanzler nachfolgte. Kiesingers Vergangenheit war schon damals bekannt und geriet verstärkt in die öffentliche Diskussion, nachdem ihn Beate Klarsfeld während eines CDU-Parteitages im November 1968 als „Nazi“ bezeichnet und geohrfeigt hatte. An Rücktritt dachte Kiesinger damals freilich nicht.
Hans Filbinger, seinem Nachfolger als Ministerpräsident in Baden-Württemberg blieb dieser Schritt 10 Jahre später allerdings nicht erspart. Nachdem der Schriftsteller Rolf Hochhuth bekannt gemacht hatte, dass Filbinger in der NS-Zeit als Marinerichter auch an der Verhängung von Todesurteilen beteiligt gewesen war versuchte der CDU-Mann seine Vergangenheit mit der berühmt gewordenen Bemerkung: „Was gestern Recht war, kann heut nicht Unrecht sein“ zu verteidigen. Mit dieser Haltung schien er selbst seiner eigenen Partei im Amt des Ministerpräsidenten nicht mehr tragbar zu sein. Dennoch erfreut sich der mittlerweile 90 jährige Filbinger in der CDU noch heute größter Wertschätzung, was nicht zuletzt in seiner Nominierung als Wahlmann für die Bundespräsidentenwahl im vergangenen Jahr zum Ausdruck kam.
Die „moralische Fäulnis“, die Heinrich Böll im Jahr 1965 der Union im Umgang mit der NS-Vergangenheit sowie hinsichtlich der von ihr betriebenen Integration von Funktionären, Profiteuren und Tätern des Nationalsozialismus attestierte, haftete der Politik von CDU/CSU auch in späteren Jahren an. Die Strategien, die die Christdemokraten anwandten, um im extrem rechten Spektrum zu punkten, blieben bis heute im Wesentlichen unverändert und basierten bzw. basieren auf einer Mischung aus meist mit massivem Verbalradikalismus vorgetragenen Drohungen gegenüber den offen rechtsextremen Parteien bei gleichzeitiger populistischer Anbiederung an deren Wähler. Diese Politik forcierte die Union sowohl am Ende der 1960er Jahre nachdem die NPD in sieben Landtage eingezogen war, als auch am Ende der 1980er Jahre angesichts der Wahlerfolge von DVU und Republikanern. Zu erwarten ist, dass die CDU nun in Brandenburg und Sachsen versuchen wird, mit der bewährten Strategie die Wähler von DVU und NPD zu ködern.
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1| Vgl. Norbert Frei: Vergangenheitspolitik in den fünfziger Jahren, in: Wilfried Loth/Bernd A. Rusinek (Hg.): Verwandlungspolitik. NS-Eliten in der westdeutschen Nachkriegsgesellschaft, Frankfurt/M. 1998, S. 79-92, hier S. 80.
2| Vgl. Frank Bösch: Macht und Machtverlust. Die Geschichte der CDU, Stuttgart 2002, S. 15.
3| Zitiert nach: Frank Bösch: Die Adenauer-CDU. Gründung, Aufstieg und Krise einer Erfolgspartei 1945-1969, Stuttgart 2001, S. 142.
4| Zitiert nach: Axel Schildt: Ankunft im Westen. Ein Essay zur Erfolgsgeschichte der Bundesrepublik, Frankfurt/M. 1999, S. 117.
5| Vg. Frei, Vergangenheitspolitik, S. 86.
6| Zitiert nach Schildt, Ankunft im Westen, S. 122.
Literatur
Frank Bösch: Die Adenauer-CDU. Gründung, Aufstieg und Krise einer Erfolgspartei 1945-1969, Stuttgart 2001.
Frank Bösch: Macht und Machtverlust. Die Geschichte der CDU, Stuttgart 2002.
Norbert Frei: Vergangenheitspolitik in den fünfziger Jahren, in: Wilfried Loth/Bernd A. Rusinek (Hg.): Verwandlungspolitik. NS-Eliten in der westdeutschen Nachkriegsgesellschaft, Frankfurt/M. 1998, S. 79-92.
Alf Mintzel: Die CSU. Anatomie einer konservativen Partei 1945-1972, Opladen 1975.
Klaus-Jörg Ruhl (Hg.): „Mein Gott, was soll aus Deutschland werden?“ Die Adenauer-Ära 1949-1963, München 1985.
Axel Schildt: Konservatismus in Deutschland. Von den Anfängen im 18. Jahrhundert bis zur Gegenwart, München 1998.
Axel Schildt: Ankunft im Westen. Ein Essay zur Erfolgsgeschichte der Bundesrepublik, Frankfurt/M. 1999.
Ute Schmidt: Hitler ist tot und Ulbricht lebt. Die CDU, der Nationalsozialismus und der Holocaust, in: Werner Bergmann/Rainer Erb/Albert Lichtblau (Hg.): Schwieriges Erbe. Der Umgang mit Nationalsozialismus und Antisemitismus in Österreich, der DDR und der Bundesrepublik Deutschland, Frankfurt/M. 1995, S. 65-101.
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