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Von der Quotenforderung zum nationalen Pop
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Ein Gastbeitrag von Martin Büsser.
Martin Büsser ist Herausgeber der Buchreihe »testcard
– Beiträge zur Popgeschichte«, freier Journalist (u.a.
für Intro und Konkret) und Autor. Mit der Quotendebatte
und Pop-Nationalisierung befasst sich auch sein
Buch »Wie klingt die Neue Mitte? Rechte und reaktionäre
Tendenzen in der Popmusik« (Mainz 2001, Ventil
Verlag).
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Sonderheft Erinnerungskultur in Deutschland
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Von der Quotenforderung zum nationalen Pop
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Kurz nach dem Mauerfall begann
Deutschland, seine hässliche Fratze
wieder offen zu zeigen. Anfang der
1990er verging keine Woche ohne
rechtsradikale Brandanschläge auf
Wohnheime und geschändete jüdische
Friedhöfe. In diesem Zusammenhang
rückte erstmals in die öffentliche
Wahrnehmung, dass Rockmusik zunehmend
zum Sprachrohr für diskriminierende,
nationalistische und rassistische
Inhalte geworden ist. Parolen wie
»Nieder mit dem Misch-Masch-Blut,
denn das tut dem Vaterland nicht gut«
(Störkraft) haben den immer schon
naiven Glauben erschüttert, dass Rock
per se Rebellion gegen jegliche Autoritäten
und damit tendenziell emanzipatorisch
links sei.
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Die Medien reagierten
auf solche Extremformen des
sogenannten Rechtsrock mit Empörung,
Bürger und Politiker gingen gemeinsam
gegen rechte Gewalt auf die
Straße, bildeten Lichterketten. Während
Extremismus und rechte Gewalt
nahezu einhellig abgelehnt und sehr
schnell auf das stereotype Bild des pöbelnden
Skinheads projiziert wurden,
mehrten sich zugleich die Stimmen
aus der gesellschaftlichen Mitte, die
einen neuen, »normalen« Umgang mit
Patriotismus und Nation forderten.
Popkultur spiegelte diesbezüglich das
alle kulturellen und gesellschaftlichen
Bereiche durchdringende Zusammenspiel
aus Fremdenangst (»Das Boot ist
voll«) und Neubewertung des Nationalen
wider.
»Popstandort Deutschland«
Mitte der 1990er, noch bevor Musiker
wie Rammstein und Witt rechte
Ästhetik und Symbolik im Pop-Mainstream
hoffähig macsetzte in Deutschland die erste Diskussion
um eine nationale Radioquote
ein. Unter der deutlich antiamerikanisch
konnotierten Überschrift »Austritt
aus der Nato« gab Heinz Rudolf
Kunze dem »Spiegel« 1996 ein Interview
(Heft 25/1996), in dem er beklagte,
dass »die Flut an ausländischer
Musik und ausländischem
Schund« seit Ende des Zweiten Weltkriegs
von den Deutschen widerstandslos
geschluckt worden sei. Ähnliche
Töne schlug Dieter Thomas Heck
im Interview mit dem »Musikexpress«
(10/96) an: »Wir dürfen es nicht so
weit treiben, dass wir alles, was aus
dem eigenen Land kommt, runterdrücken.
Es gibt einfach Menschen,
die so etwas nicht fühlen und denen
musst Du es eben per Gesetz zeigen.
Ist es nicht schön, mal wieder deutsch
zu hören?« – Wie bitte? Menschen, die
die Schönheit der deutschen Sprache
nicht fühlen, vor allem wenn diese
von wertvollen Kulturgütern wie Wolfgang
Petri und Jürgen Drews vorgetragen
werden, sollen per Gesetz endlich
fühlen lernen, wie schön das doch ist?
Noch deutlichere Worte fand Altrocker
Achim Reichel im Branchenblatt
»Rockmusiker« (3/96): »Jetzt, da die
Siegermächte ihre letzten Besatzungstruppen
abgezogen haben, müsste es
doch das Interesse einer jeden Partei
sein, unserem Land nicht seine eigene
Gegenwartskultur vorzuenthalten«,
und sprach in diesem Zusammenhang
von »einer beispiellosen Vernichtungsaktion
unserer einheimischen Musikszene«.
Zu einer Zeit, als die Böhsen Onkelz
mit jeder neuen Veröffentlichung den
ersten Platz der deutschen LP-Charts
belegten und Neonazis einen neuen
Trend in Sachen Jugendkultur gesetzt
hatten, fiel diesen Herren nichts
weiter
ein, als nach einer Neubewertung
der deutschen Popkultur, nach dem
»Popstandort Deutschland« (Dieter
Gorny) zu rufen. Die Debatte kam daher
schnell dort an, wo sie hingehörte:
»Englisches Gedudel stoppen!«, kommentierte
die »Junge Freiheit« (35/96)
und sprach sich begeistert darüber
aus, dass der Musiksender »Viva«
längst »den Sinn für die Quote erbracht
hätte« – bei 40% der dort gespielten
Musik handelt es sich um
deutsche Produktionen.
Aus den wenigen hier genannten
Zitaten geht bereits hervor, dass die
Forderung nach einer Radioquote für
deutsche Produktionen neben wirtschaftlichen
Interessen bereits Mitte
der 1990er massiv politische Ziele verfolgte:
Mit Blick auf den Ausgang des
Zweiten Weltkriegs (Kunze) und die
Kultur der »Siegermächte« (Reichel)
ging es hier um nichts Geringeres als
den Wunsch, einen Schlussstrich ziehen
zu können, also das Erinnern an
deutsche Verbrechen zusammen mit
den nunmehr als »Besatzer« empfundenen
Befreiern zu entsorgen, um
sich so als erstarkte, geläuterte und –
vor allem gegenüber den USA – autarke
Nation neu zu erschaffen. Dies war
nicht immer so, wie ein Zitat des Kulturwissenschaftlers
Klaus Theweleit
belegt: Theweleit nannte das, was
nach dem Zweiten Weltkrieg mit Jazz,
Hollywood und Rock’n’Roll nach
Deutschland kam, im positiven, nämlich
befreienden Sinne »undeutsche
Sprachen«, »öffentlich geächtete Sprachen
und Klänge«, die bestens dazu
geeignet gewesen seien, eine Art symbolische
Entnazifizierung vorzunehmen
– gegenüber Eltern und Autoritäten,
die immer noch von »Negermusik
« sprachen. Und selbst noch die
zum Teil einem naiven, pauschalen
Antiamerikanismus erlegene Generation
protestierender Studenten Ende
der 1960er wäre trotz aller »Kulturimperialismus
«-Parolen nie auf die Idee
gekommen, ihre geliebten Doors, Bob
Dylan und die Rolling Stones zu entsorgen.
Antiamerikanismus und das Insistieren
auf eine deutsche Pop-Hegemonie
sind – nach ersten Anklängen
dieser Art im Zuge der »Neuen Deutschen
Welle« zu Beginn der 1980er
Jahre – erst seit den 1990ern eine die
ganze Branche und alle Musiksparten
durchziehende Allianz eingegangen,
die unterschwellig suggeriert, dass
aus dem eigenen Land die potenziell
hochwertigere Musik, aus den USA potenziell
eher Schund käme. Zwar
würde wohl kein Quoten-Befürworter
die Flippers gegen Sonic Youth, Randfichten
gegen Bright Eyes oder Gunter
Gabriel gegen Johnny Cash ausspielen
wollen – doch genau darauf liefe die
Einführung einer Quote hinaus.
Racheakt der deutschen Kultur
Seit George W. Bush zum meistgehasstesten
Politiker der Deutschen
avanciert ist, ist der Ton noch schärfer
geworden. Antiamerikanismus gibt
sich seit dem »Nein« der Bundesregierung
zu einer Beteiligung am Irakkrieg
als Pazifismus aus, welcher zugleich
jener reaktionären bis revanchistischen
Geschichtsschreibung in
die Hände spielt, die uns »die Deutschen
« als ein moralisch integres, zudem
einst von Hitler und Weltkrieg
unterjochtes »Volk« verkaufen will,
das nicht nur aus seiner Geschichte
gelernt hat, sondern wie alle anderen
auch deren Opfer war: Popsongs wie
»Was es ist« von Mia und »Wir sind
wir« von Van Dyk & Heppner korrespondieren
mit einem Film wie »Das
Wunder von Bern« und fügen sich
ganz in das neue Geschichtsbild eines
Guido Knopp (»ZDF History«) und
Jörg Friedrich (»Der Brand«).
George W. Bush kam, scheint es,
für die Deutschen zur rechten Zeit,
konnte als Anlass genommen werden,
den neuen nationalen Taumel in vermeintlicher
Unschuld zu zelebrieren.
Doch während sich die deutsche Kultur
derzeit in einer Art Racheakt gegen
alles »Amerikanische« und als
amerikanisch Empfundene auflehnt,
bemerken deren Protagonisten zugleich
gar nicht, wie sehr sie selbst
noch einen Großteil ihrer nun »gegen
Amerika« eingesetzten Ausdrucksmittel
allein den USA verdanken haben –
was wären all jene, die sich für die
Deutsch-Quote ausgesprochen haben,
ohne Blues, Country, Rock’n’Roll und
ohne den (sie vergessen es leicht: in
den USA, nicht in Mannheim oder
Stuttgart entstandenen) HipHop?
Eine Liste der Quoten-Befürworter
findet sich auf der Homepage des
»Vereins deutsche Sprache« veröffentlicht
(www.alle-in-eigener-sache.de).
Deren Seite gibt sich bereits ästhetisch
offen als ideologisch zu erkennen,
wirbt mit dem Bild der Germania
»für die Quote«, das Schwert in der einen
Hand in den Himmel gereckt, in
der anderen eine E-Gitarre. Die Rede
ist vom 1883 eingeweihten »Niederwalddenkmal« bei Rüdesheim, im
Volksmund auch »Die Wacht am
Rhein« genannt, ein gegen »Erbfeind«
Frankreich gerichtetes deutsches Ehrenmal,
das in diesem Kontext einen
ironischen Beigeschmack erhält, berufen
sich doch die Quotenbefürworter
immer wieder auf das Vorbild
Frankreich und die dort längst eingeführte,
und inzwischen von vielen
französischen Musikern massiv als den
Erfolg im Ausland vehement kritisierte,
Radioquote. Auf der Liste von
»Alles in eigener Sache« finden sich
Indie-, Kuschelpop- und Rap-Künstler
wie 2Raumwohnung, Maximilian
Hecker, Mieze (MIA), Sportfreunde
Stiller, Fury In The Slaughterhouse,
Moses Pelham, Smudo und Xavier Naidoo,
aber auch all jene Abgehalfterten,
die Angst haben müssen, ihre
Geld ohne Quote bald mit Auftritten
auf HL-Markt-Parkplatzfesten verdienen
zu müssen, darunter Ina Deter,
Wolf Maahn, Achim Reichel, Peter
Schilling, Stefan Waggershausen, Pe
Werner und Frank Zander. Die Initiative
erklärt unverhohlen, dass ihre
Quotenforderung keineswegs deutschtümelnd
sei: »Dieses ewiggestrige Argument
ist dümmlich. Die jetzige
Quasiquote ist amerikatümelnd.« Das
alte Argument: Wer nicht für uns ist,
ist für Amerika.
»…neues deutsches Land«
Seit Aufkommen der Debatte hat
sich einiges geändert: Mitte der 1990er
war die sogenannte Poplinke noch
tonangebend, also diskursmächtig genug,
um sich wirkungsvoll in die Quoten-
Diskussion einzumischen. Blumfeld,
Die Goldenen Zitronen, Die
Sterne und Tocotronic setzten alles
daran, sich gegenüber falschen Vereinnahmungen
zu distanzieren. Inzwischen
sind aber auch im Kosmos
von »L’Age d’Or«, »Kitty-Yo« und anderen
deutschen Independent-Labels,
die einst noch mit einer unmissverständlich
kritischen Haltung assoziiert
wurden, jede Menge junge Bands
nachgerückt, für die frühere Selbstverständlichkeiten
nicht mehr gelten
und die daher keine Probleme damit
haben, auf Samplern mit Namen wie
»Neue Heimat« zu erscheinen.
Spätestens anhand von Mia wurde
ernüchternd klar, dass Nationalismus
vor jenen nicht halt macht, die kurz
zuvor noch als Teil der eigenen, im
weitesten Sinne linken (Post-Punkoder
Indie-)Szene galten. »Fragt man
mich jetzt, woher ich komme / tue ich
mir selbst nicht mehr leid«, kiekst
Mia-Sängerin Mieze in schwarz-rotgoldende
Farben gehüllt, »wohin es
geht, das woll’n wir wissen / und betreten
neues deutsches Land.« Das
»Nein« der Bundesregierung zum
Irakkrieg war auch für Mia Auslöser
für den zitierten Song »Was es ist« gewesen,
der laut Mieze für ein »geklärtes
Verhältnis zu unserer Herkunft«
(»Blond«-Magazin) sorgen sollte. Mit
ihrem alternativ angehauchten, auf
»Ökostrom« abonnierten Pro-Deutschland-
Pop, arbeiten Mia an einer Normalisierung,
genauer gesagt Verniedlichung
des Nationalismus, von der
Witt und Rammstein mit ihren Wagnerund
Riefenstahl-Zitaten noch weit
entfernt waren. Letztere stießen bei
der Quoten-Lobby eher unangenehm
auf, da sie jenen brauen Sumpf aufwühlten,
der bei Mia inzwischen
quietschbunt verdrängt wird. »Nationalismus
artikuliert sich in Deutschland
unter den Bedingungen der
Neuen Mitte als etwas Lebendiges,
Aufgeschlossenes, Modernes«, schrieb
Felix Klopotek in »Intro« 12/04. Mia
sind damit ein neues Phänomen, nämlich
Regierungs-Pop, und zugleich Beweis
dafür, dass sich aus subkulturellen
Strukturen hervorgegangene Bands
nicht mehr notwendig vom gesellschaftlichen
Mainstream abgrenzen,
sondern dazugehören wollen.
»Er kommt weder in den Feuilletons
noch in den Charts vor, deshalb
will er die Deutschquote«, kommentierte
Klaus Walter (in »Spex« 11/04)
Heinz Rudolf Kunzes beharrliches Verlangen
nach der Quote. Dieses Motiv
dürfte viele Quoten-Lobbyisten antreiben,
da sie genau wissen, dass ihre
belanglose, durchschnittliche, alleine
mittels der (deutschen) Sprache kommunizierende
Musik im Ausland nie
eine Chance auf Gehör haben wird.
Dem gegenüber sprachen sich so gut
wie keine deutschen Künstler aus dem
Bereich der elektronischen Musik für
die Quote aus. Musiker wie Mouse On
Mars sind längst international bekannt,
haben ihre Musik nie über Landesgrenzen
definiert. »Wisst Ihr, was
ich mein Leben lang geliebt habe an
Blues-, Rock- und Popmusik?«, fragte
Rezzo Schlauch seine für die Quote
eingestellten Bundestags-Kolleginnen
und -Kollegen in einem erstaunlich
hellsichtigen offenen Brief in der
»taz« vom 2.10.2004: »Sie ist weltoffen
und anarchisch, hat die verschiedensten
Wurzeln und kommuniziert
über Staats- und Kulturgrenzen hinweg.
(...) Popmusik ist kein national
gewachsenes Kulturgut. Auch meine
Partei hat das früher gewusst. Jetzt
entwickeln sich ehemalige Anarcho-
Band-Managerinnen und grüne Friedenskämpferinnen
zu nationalen Popbeauftragten.«
Und die USA? Das Land, dem vorgeworfenen
wird, es übergieße uns mit
musikalischem Einheitsbrei, bräuchte
Mia und Sportfreunde Stiller selbst
dann nicht, wenn diese in Englisch
singen würden. In den USA hat sich
nämlich seit einigen Jahren eine ungemein
reichhaltige Independent-Kultur
ausgebildet, deren musikalische
Originalität in Deutschland ihresgleichen
sucht. Dort reagierten die meisten
Musiker auf die viel beschworene
Krise der Musikindustrie nicht mir Gejammer
oder mit der Forderung nachstaatlichen Regelungen, sondern mit
einer Rückkehr zum »Do It Yourself«,
mit der Ausbildung alternativer Netzwerke,
der Gründung eigener Labels
und Sub-Szenen. Wenn beleidigte
Deutsche von »anglo-amerikanischer
Dominanz« sprechen, erwähnen sie mit
keinem Wort die Szene um Godspeed
YBE und das »Constellation«-Label,
Bright Eyes und »Saddle Creek Records
«, die New Yorker »Antifolk«-Bewegung,
die hybriden HipHop-Experimente
das »Anticon«-Labels, die
Punk-Dancefloor-Fusionen von »DFA
Records« und den Freak-Out-Elektropop
von Animal Collective, Musikerinnen
wie Coco Rosie, den androgynen
Songwriter Devendra Banhart oder die
neuen Ansätze einer queeren Musikästhetik
bei The Hidden Cameras und
Xiu Xiu. Sie erwähnen es entweder
nicht, weil diese ungemein anregende
Musik so gar nicht in ihr Bild vom
»ausländischen Schund« passen mag,
weil sie sowieso in keinem Radio vor
oder nach der Quote gespielt würde,
oder weil sie diese Musik einfach
nicht kennen, aufgrund einer längst
pauschal ablehnenden Haltung gegenüber
den USA gar nicht wahrnehmen
wollen. Wie dem auch sei: Nahezu
alle spannende, dem Mainstream entgegenlaufende
Musik findet derzeit
vor allem in den USA statt und wird
auch weiterhin dort stattfinden, so
lange Musiker in Deutschland nichts
anderes im Sinn haben, als ihre Sprache
und Identität wie einen Vorgarten
zu pflegen.
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