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Geschichte Cliquen und Kameraden Der Wiederaufbau der Sicherheitsbehörden in der frühen Bundesrepublik - Im Flensburger Polizeipräsidium herrschte in den letzten Tagen des Zweiten Weltkrieges hektische Betriebsamkeit. Der endgültige Zusammenbruch des »Dritten Reiches« stand unmittelbar bevor. Der Terrorapparat des Regimes befand sich auf der Flucht. Anfang Mai setzten sich große Teile des Reichssicherheitshauptamtes (RSHA) aus dem umkämpften Berlin nach Schleswig-Holstein ab. Am 3. Mai traf der Reichsführer SS, Heinrich Himmler mit seinem Stab in Flensburg ein. Ihm folgten die Belegschaften mehrerer RSHA-Ämter. Flensburg wurde, wie der Historiker Gerhard Paul resümiert, in den letzten Kriegstagen »mit Planern, Organisatoren und Exekutoren des nationalsozialistischen Völkermordes geradezu überschwemmt«.1 Die Bemühungen dieser hochkarätigen NS-Täter, sich abzusetzen, wurden von der Flensburger Polizei mit allen Kräften unterstützt. Im Polizeipräsidium wurden Ausweise gefälscht, während sich in den Kellern des Gebäudes die abgelegten schwarzen Uniformen der SS stapelten. Insgesamt verschafften die Polizei sowie die nahe gelegenen Marineschule in Mürwik mindestens 2.000 Personen eine neue Identität.

Dennoch gelang es dem britischen Militärgeheimdienst in den Wochen nach der Kapitulation des Deutschen Reiches allein in der Gegend um Flensburg rund 2.500 mutmaßliche Gestapo-Beamte aufzuspüren. Kurz nach Kriegsende waren die Institutionen des NS-Terrors zerschlagen. Im Nürnberger »Hauptkriegsverbrecherprozess« wurden Gestapo, SS und SD zu »verbrecherischen Organisationen« erklärt. Umso bemerkenswerter erscheint es daher, dass sich nur wenige Jahre später die Kernbelegschaften der bundesdeutschen Sicherheitsbehörden, sei es im Bereich der Kriminalpolizei, sei es in den Verfassungsschutzämtern oder beim Bundesnachrichtendienst (BND), aus genau jenem Personenkreis rekrutierten, der wie kaum ein anderer, an den Verbrechen des Nationalsozialismus beteiligt gewesen war.

Die Polizeireformen der Alliierten

Zunächst verfolgten die Alliierten das Ziel einer umfassenden Entnazifizierung der deutschen Polizei. Am konsequentesten ging dabei die sowjetische Militäradministration vor, in deren Einflussbereich das polizeiliche Personal nahezu vollständig ausgetauscht wurde. Aber auch Briten und Amerikaner machten sich daran, das deutsche Polizeiwesen neu zu strukturieren. Höhere Polizeioffiziere sowie Beamte, die der SS, dem SD oder der Gestapo angehörten oder ein Parteiamt der NSDAP im Range eine Ortsgruppenführers bekleidet hatten, wurden unmittelbar nach Kriegsende in »automatischen Arrest« genommen wurden.

Die alliierten Militärverwaltungen lösten die Verbände der Ordnungspolizei auf, die in erheblichem Maße an den nationalsozialistischen Massenmorden beteiligt gewesen waren. Einen weiteren Bruch mit dem bisherigen deutschen Polizeisystem stellte die Kommunalisierung der Polizeibehörden nach anglo-amerikanischem Vorbild dar. Die Polizei verlor ihre weitgehenden präventiven Befugnisse ebenso wie traditionelle Zuständigkeiten im Bereich der Verwaltung, die anderen kommunalen Behörden, etwa den Gesundheits- und Ordnungsämtern übertragen wurden.

Restauration und Renazifizierung?

Die von den Alliierten forcierte Entnazifizierung der Beamtenschaft sowie die Dezentralisierung des Polizeiapparates gerieten nur wenige Monate nach Ende des Zweiten Weltkrieges ins Stocken. Besonders in der britischen Militärverwaltung setzte sich ein Pragmatismus durch, der schon zu einem frühen Zeitpunkt einer »Restauration der deutschen Polizei« (Falco Werkentin) den Weg ebnete.

Die systematische Überprüfung tausender Beamter für die Alliierten erwies sich schon bald als zu aufwändig. Seit September 1945 wurden daher zahlreiche rangniedere Angehörige der Kriminal- und Ordnungspolizei aus dem »Automatischen Arrest« entlassen. Die in den folgenden Jahren eingeleiteten Entnazifizierungsverfahren vor deutschen Spruchkammern, eröffneten selbst ehemaligen Gestapo-Mitarbeitern am Ende der 1940er Jahre die Rückkehr in den Polizeidienst.

Angesichts steigender Kriminalitätsraten unterliefen die Militärverwaltungen den eigenen Anspruch, die deutschen Polizeistrukturen zu kommunalisieren. Schon im Januar 1946 wurde in Hamburg ein zentrales Kriminalamt für die britische Zone (KPABrZ) ins Leben gerufen. Das KPABrZ, das gewissermaßen eine Vorläuferorganisation des Bundeskriminalamts (BKA) darstellte, koordinierte seit 1947 die Arbeit der entstehenden Landeskriminalpolizeiämter in den Ländern der britischen Besatzungszone. Das Personal dieser Polizeibehörden rekrutierte sich zu großen Teilen aus dem Heer der vormaligen Mitarbeiter des Reichskriminalpolizeiamtes. Die Bereitschaft der West-Alliierten, die noch kurz zuvor postulierten Prinzipien stark zu relativieren, war einem weiteren Aspekt geschuldet: Im Zuge der sich verschärfenden Blockkonfrontation verlor die Auseinandersetzung mit dem NS-Regime und dessen Protagonisten zunehmend an Bedeutung.

Zur vollen Entfaltung kamen die Seilschaften ehemaliger Beamter des NS-Sicherheitsapparats erst mit Gründung der Bundesrepublik im Jahr 1949. Die von den Alliierten installierten kommunalen Polizeistrukturen wurden überwiegend beseitigt. Gleichzeitig begannen alle Bundesländer mit der Aufstellung geschlossener paramilitärischer Bereitschaftspolizeieinheiten. Im Jahr 1951 wurde das BKA gegründet. Bereits seit dem Herbst 1950 verfügte die Bundesrepublik mit dem Bundesamt für Verfassungsschutz und den Verfassungsschutzämtern auf Landesebene über einen Inlandsgeheimdienst. Der Bundesnachrichtendienst, als Auslandsgeheimdienst, nahm offiziell im Jahr 1956 seine Arbeit auf.

Hitlers Kriminalisten und die Gründung des BKA

Besonders deutlich zeigten sich die personellen und organisatorischen Kontinuitätslinien beim BKA. Als zentrale Figuren fungierten hier der Kriminaloberinspektor Rolf Holle, der seit 1937 der Kripo angehörte und Paul Dickkopf, der während des Zweiten Weltkrieges für den Geheimdienst der Wehrmacht gearbeitet hatte. Bereits im Jahr 1948 entwickelten die beiden, zunächst im Verborgenen, Organisationspläne für eine künftige Bundeskriminalpolizei, die weitgehend jenen des früheren Reichskriminalpolizeiamtes entsprachen. Zudem knüpften sie im politisch-administrativen Bereich Netzwerke und Koalitionen, um die Personalauswahl für die neue Polizeibehörde beeinflussen zu können. Holle und Dickkopf, der in den Jahren zwischen 1965 und 1971 selbst zum Präsidenten des BKA avancierte, agierten äußerst erfolgreich. So gelang es ihnen, zahlreiche Kameraden aus dem gemeinsam in den Jahren 1938/1939 an der Schule der Sicherheitspolizei und des SD in Berlin-Charlottenburg absolvierten Kommissarlehrgang in Führungspositionen des BKA unterzubringen. Insgesamt bewarben sich im März 1951 rund 6.700 Personen auf die damals lediglich 231 Planstellen des BKA. Der Kampf um die Führungspositionen im BKA war, so urteilt der Historiker Patrick Wagner, »im Kern eine Auseinandersetzung zwischen Cliquen, Zirkeln und Seilschaften, die auf Kontakten und Freundschaften beruhten, welche in die NS-Zeit zurückreichten«.2

Es mag kaum verwundern, dass sich von Beginn an eine beträchtliche Zahl ehemalige Funktionsträger der Reichskriminalpolizei in der Behörde tummelte. Von 47 leitenden Beamten des BKA im Jahr 1959 waren fünf im RKPA mit der Einweisung von Sinti und Roma, »Asozialen« und Homosexuellen in die Konzentrationslager befasst gewesen. 15 hatten als Angehörige der berüchtigten Einsatzgruppen an den Massenmorden in Osteuropa und der Sowjetunion teilgenommen. Jeder Dritte war zudem Mitglied der Gestapo gewesen. Auf der Ebene der Landeskriminalämter und bei den lokalen Kripo-Stellen sah die Personalstruktur kaum anders aus. Allein in Nordrhein-Westfalen waren nach Presseangaben, am Ende der 1950er Jahre rund 60 leitende Kripo-Beamte mit einschlägiger SS-Vergangenheit beschäftigt.

Tarnen und Täuschen – SS-Männer im Dienste des Verfassungsschutz

Ähnliche Verhältnisse herrschten bei den Verfassungsschutzämtern. Zwar wurden die ersten Mitarbeiter des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV) vorwiegend aus den Entnazifierungs- und Lastenausgleichsbehörden rekrutiert, schon bald aber griff man auch hier auf »bewährte« ehemalige Angehörige der Gestapo und des SD zurück. Noch im Jahr 1963 hatten 16 frühere Gestapomitarbeiter führende Positionen im BfV inne. Einer von ihnen war Erich Wenger, der als Leiter Gruppe »Informationsbeschaffung« innerhalb der Abteilung IV (Spionageabwehr) fungierte. Wenger hatte eine nationalsozialistische Bilderbuchkarriere gemacht. Seit Mai 1933 Angehöriger der SS, war er 1935 zur Berliner Gestapo gekommen. 1939 wechselte er ins RSHA. 1944 führte er in Frankreich ein Kommando, das mit der Bekämpfung französischer Partisanen beauftragt war. In der Kriegsgefangenschaft wechselte Wenger seine Identität und wurde im September 1950 im BfV eingestellt. Erst im Jahr 1954 nahm er wieder seinen richtigen Namen an. Im BfV wusste man über die Verschleierungsstrategien Wengers Bescheid, der keineswegs der einzige war, der unter falscher Identität für den Verfassungsschutz arbeitete. Auf diese Weise hoffte man, die Alliierten, die bis zur Mitte der 1950er Jahre ihr Veto gegen Personalentscheidungen der Verfassungsschutz-ämter einlegen konnten, hinsichtlich der NS-Vergangenheit mancher Geheimdienstler zu täuschen. Durchaus mit Erfolg: Ein ehemaliger Beamter des Verfassungsschutzes beschrieb die vom BfV praktizierten Täuschungsmanöver folgendermaßen: »Die Alliierten […] wussten nichts von ihrer Existenz. Kamen die Verbindungsoffiziere in das Haus, gab es Alarm, und alles ging auf Tauchstation, in nahe Cafés oder nach Hause. Sie kehrten erst wieder zurück, wenn die Luft rein war«.3

Von den »Fremden Heeren Ost« zum Bundesnachrichtendienst

Besondere Kontinuitätslinien zur Zeit des Nationalsozialismus wies auch der BND auf. Dessen organisatorischen Kern bildete die Abteilung Fremde Heere Ost (FHO) des Oberkommandos des Heeres, die seit 1942 von Reinhard Gehlen geführt wurde. Die FHO hatte während des Zweiten Weltkrieges ein dichtes Spionagenetz in Osteuropa und der Sowjetunion errichtet. Unmittelbar nach dem Zusammenbruch des »Dritten Reiches« bot Gehlen die Informationen, die seine Dienststelle über das sowjetische Militärpotential gesammelt hatte, dem US-amerikanischen Geheimdienst CIC an. Dieser zeigte großes Interesse an einer Kooperation mit der Gruppe um Reinhard Gehlen. Finanziert vom CIC, wurde die »Organisation Gehlen« errichtet, die als faktischer deutscher Geheimdienst zunächst den USA zuarbeitete, bevor sie 1956 im BND aufging. Das Personal der Organisation Gehlen wie auch des BND entstammte in erster Linie der FHO. Dennoch waren auf den Führungsebenen des Bundesnachrichtendienstes während der 1950er Jahre von 50 leitenden Offizieren, mindestens sechs ehemalige Angehörige des SS und des SD. Die Dunkelziffer lag vermutlich um einiges höher, da es besonders beim BND gängige Praxis war, frühere Mitarbeiter des NS-Sicherheitsapparates unter falschem Namen zu beschäftigen.

Bruchlinien

Die unübersehbare Präsenz ehemaliger nationalsozialistischer Funktionseliten in den Sicherheitsbehörden der frühen Bundesrepublik kann im Rückblick nur als eine beispiellose »moralische Katastrophe« (Dieter Schenk) bezeichnet werden. Erklärungsbedürftig bleibt indes, weshalb sich Polizei und Geheimdienste trotz ihrer personellen Renazifizierung zu institutionellen Stützen des demokratischen Verfassungsstaates entwickeln konnten. Vor allem vier Aspekte sind hier zu nennen.

Erstens war eine zumindest formale Anerkennung der rechtstaatlichen Ordnung der Bundesrepublik für die durch die NS-Zeit schwer belasteten Mitarbeiter von Polizei, Verfassungsschutzämtern und BND unumgänglich, wollten sie nicht die Aufmerksamkeit der alliierten Kontrollinstanzen oder der Justiz auf sich ziehen. Zweitens schwelte innerhalb der Belegschaften von Polizei und Geheimdiensten ein Generationenkonflikt. Die Seilschaften der alten Kameraden, wie etwa die »Charlottenburger« im BKA oder die ehemaligen Gestapo- und SD-Angehörigen im BfV, sorgten bei Beamten, die ihre Laufbahn erst in der Nachkriegszeit begonnen hatten, für erheblichen Unmut. Die früheren Kriminalisten und Geheimdienstler des NS-Staates galten als autoritär und arrogant. Zudem blockierten sie über Jahre hinweg die Karrieren ihrer jüngeren Kollegen. Das Verhältnis zwischen beiden Generationen war demnach eher durch Konkurrenz als durch Konsens geprägt.

Drittens zeichneten sich in der Bundesrepublik seit dem Ende der 1950er Jahre erste Umrisse einer entstehenden kritischen Öffentlichkeit ab. Die »Spiegel-Affäre« im Herbst 1962 sowie illegale Abhöraktionen des BfV, die in den Jahren 1963/64 bekannt wurden, entwickelten sich zu politischen Skandalen, bei denen die zweifelhaften Praktiken der Sicherheitsbehörden ins Zentrum der Auseinandersetzungen rückten. Der legendär gewordene Rechtfertigungsversuch von Bundesinnenminister Hermann Höcherl (CSU), die Mitarbeiter des Verfassungsschutzes könnten nicht »den ganzen Tag mit dem Grundgesetz unterm Arm« herumlaufen, warf weitere Fragen nach dem demokratischen Selbstverständnis des BfV auf. Die Medien begannen, sich stärker als bisher für die Präsenz ehemaliger NS-Beamter in den Sicherheitsbehörden zu interessieren. So wurde bekannt, dass der für die Ermittlungen gegen den Spiegel zuständige stellvertretende Leiter der Sicherungsgruppe Bonn des BKA, Theo Saevecke, als SS-Hauptsturmführer in den Jahren 1943/44 an der Deportation italienischer Juden sowie an Geiselerschießungen beteiligt gewesen war. Großes Aufsehen erregte auch der Prozess gegen Georg Heuser im Jahr 1963. Der Chef des Landeskriminalamtes von Rheinland-Pfalz, der während des Zweiten Weltkriegs die Gestapo in Minsk kommandiert hatte, musste sich vor dem Landgericht Koblenz wegen der Ermordung von mindestens 30.000 Menschen verantworten und wurde zu 15 Jahren Zuchthaus verurteilt.

Viertens rückte seit dem Ende der 1950er Jahre der Typ des nationalsozialistischen »Schreibtischtäters« stärker ins öffentliche Bewusstsein. Der Prozess gegen Adolf Eichmann in Jerusalem im Jahr 1961 sowie die Ermittlungstätigkeit der 1958 gegründeten Zentralen Stelle der Landesjustizverwaltungen zur Aufklärung nationalsozialistischer Verbrechen verdeutlichten, dass es einer erheblichen Zahl nationalsozialistischer Funktionseliten bedurft hatte, um die Vernichtungsmaschinerie am Laufen zu halten. Als Protagonisten dieses Tätertyps galten besonders die SS-, SD- und Gestapo-Beamten der mittleren Führungsebene. Die Feststellung, dass sich genau dieser Personenkreis in den Belegschaften der bundesdeutschen Sicherheitsbehörden wieder hatte etablieren können, löste in der Öffentlichkeit zunehmend kritische Reaktionen aus und beschränkte die Handlungsspielräume der alten Kameraden.

Der Preis der »Resozialisierung«

Die »Resozialisierung« (Patrick Wagner) der ehemaligen Kriminalisten und Geheimdienstler des NS-Regimes in der frühen Bundesrepublik forderte nicht nur in moralischer, sondern auch in politischer Hinsicht einen hohen Preis. In den Behörden konservierten sich über Jahrzehnte hinweg Ressentiments und Feindbilder, die in der Zeit des Nationalsozialismus (teilweise auch schon davor) geprägt worden waren. Die Kriminalpolizei, besonders das BKA, hielt bis weit in die 1960er Jahre an den Vorstellungen vom »geborenen Berufsverbrecher« fest. Ausgehend von diesen kriminalbiologischen Auffassungen forderten führende Vertreter des BKA in den 1950er Jahren wiederholt präventivpolizeiliche Kompetenzen, wie sie zur Zeit des Nationalsozialismus existiert hatten. Ebenso bestand die von den Kriminalpolizeibehörden seit dem Kaiserreich vorgenommene rassistische Stigmatisierung von Sinti und Roma als »Asoziale« bis in die jüngste Vergangenheit weiter.

Ein Aufgabenfeld, in dem Polizei und Geheimdienste in den ersten Jahrzehnten der Bundesrepublik hingegen äußerst zurückhaltend oder überhaupt nicht tätig wurden, war die Strafverfolgung von NS-Tätern. Bei den Landeskriminalämtern, die gewöhnlich mit der Fahndung nach NS-Verbrechern beauftragt wurden, galten die zuständigen Beamten, die oftmals gegen ihre eigenen Kollegen ermitteln mussten, lange Zeit als »Verräter« und »Nestbeschmutzer«. Es ist daher kaum verwunderlich, dass die meisten Verfahren schon in einem frühen Stadium im Sande verliefen. Auch die Geheimdienste schützten flüchtige NS-Täter. Der BND war bereits seit 1958 über den Aufenthaltsort Adolf Eichmanns in Argentinien informiert, blieb aber untätig. Einer der engsten Mitarbeiter Eichmanns im RSHA, der hochrangige Gestapo-Beamte Alois Brunner, arbeitete sogar für die Organisation Gehlen, mit deren Hilfe er schließlich 1954 in Syrien untertauchen konnte.

Die »braunen Wurzeln« (Dieter Schenk) des Bundeskriminalamtes, der meisten Landeskriminalämter, des BND wie auch der Verfassungsschutzämter werden in der offiziösen Geschichtsschreibung dieser Behörden weitgehend ignoriert. Bereits im Jahr 2002 hatte die Bundesregierung lapidar festgestellt, die »Organisation Gehlen« sei »keine deutsche Einrichtung« gewesen. Ähnlich knapp viel die Reaktion auf eine Anfrage der Bundestagsabgeordneten Ulla Jelpke (PDS) hinsichtlich der Entstehungsgeschichte des BKA aus. In der Antwort der Bundesregierung vom Dezember 2001 heißt es: »Das Bundeskriminalamt hat keine nationalsozialistische Vergangenheit. Es ist im Jahre 1951 gegründet worden.« Für das BKA ist diese Legende trotz aller amtlichen Verschleierungsstrategien materialreich widerlegt worden. Auch der Verfassungsschutz und der BND werden sich langfristig kaum mehr hinter spitzfindigen Schutzbehauptungen der Bundesregierung oder restriktiv ausgelegten Archivgesetzen verstecken können. 1| Gerhard Paul: »...zwinkerte man mit den Augen und schwieg«. Schweigekartell und Weißwäschersyndikat im hohen Norden oder: Wie aus NS-Tätern und ihren Gehilfen Nachbarn und Kollegen wurden, in: ders.: Landunter. Schleswig-Holstein und das Hakenkreuz, Münster 2001, S. 346-389, hier S. 347.
 
2| Patrick Wagner: Hitlers Kriminalisten. Die deutsche Kriminalpolizei und der Nationalsozialismus, München 2002, S. 163.
 
3| Zitiert nach: Wagner, Patrick: Ehemalige SS-Männer am »Schilderhäuschen der Demokratie«? Die Affäre um das Bundesamt für Verfassungsschutz 1963/64, in: Fürmetz/Reinke/Weinhauer: Nachkriegspolizei, S. 169-198, hier S. 172.
 
Literatur
 
Henze, Saskia/Knigge, Johann: Stets zu Diensten. Der BND zwischen faschistischen Wurzeln und neuer Weltordnung, Hamburg/Münster 1997.
 
Linck, Stephan: »To exploit this product of German genius… is surely good business.« Zur Personalpolitik der britischen Besatzungsmacht gegenüber der deutschen Kriminalpolizei nach 1945, in: Gerhard Fürmetz/Herbert Reinke/Klaus Weinhauer (Hg.): Nachkriegspolizei. Sicherheit und Ordnung in Ost- und Westdeutschland 1945- 1969, Hamburg 2001, S. 105-127.
 
Paul, Gerhard: »… zwinkerte man mit den Augen und schwieg« Schweigekartell und Weißwäschersyndikat im hohen Norden oder: Wie aus NSTätern und ihren Gehilfen Nachbarn und Kollegen wurden, in: ders.: Landunter. Schleswig-Holstein und das Hakenkreuz, Münster 2001, S. 346-389.
 
Schenk, Dieter: Auf dem rechten Auge blind. Die braunen Wurzeln des BKA, Köln 2001.
 
Wagner, Patrick: Hitlers Kriminalisten. Die deutsche Kriminalpolizei und der Nationalsozialismus, München 2002.
 
Wagner, Patrick: Ehemalige SS-Männer am »Schilderhäuschen der Demokratie«? Die Affäre um das Bundesamt für Verfassungsschutz 1963/64, in: Fürmetz/Reinke/Weinhauer: Nachkriegspolizei, S. 169-198.