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»Planmäßige Schädigung der feindlichen Bevölkerung«
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Geschichte
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»Planmäßige Schädigung der feindlichen Bevölkerung«
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Der »Maji-Maji«-Krieg 1905 bis 1907: Hintergründe und Folgen eines deutschen KolonialverbrechensHintergründe und Folgen eines deutschen Kolonialverbrechens
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Wie an jedem Tag begann auch an jenem
20. Juli des Jahres 1905 die Arbeit
auf der Baumwollplantage der im südlichen
Teil Deutsch-Ostafrikas gelegenen
Gemeinde Nandete noch vor Sonnenaufgang.
Nur kurze Zeit später ereignete
sich jedoch ein ungewöhnlicher
Vorfall. Zwei Männer und eine Frau, die
alle drei der Bevölkerungsgruppe der
Matumbi angehörten, waren auf dem
Feld erschienen und hatten damit begonnen,
Baumwollpflanzen demonstrativ
aus dem Boden zu reißen. Die symbolische
Bedeutung der Aktion schien
unmissverständlich. Die Plantagen galten
als besonders markanter Ausdruck
der deutschen Kolonialherrschaft in
Ostafrika, die durch Landraub, willkürliche
Steuergesetze und nicht zuletzt
durch die Einführung der
Zwangsarbeit gekennzeichnet war. Die
Zerstörung der Baumwollpflanzen
wirkte wie ein Fanal. Zahlreiche Feldarbeiter
schlossen sich spontan den
drei Matumbi an. Die Aufseher der
Plantage wurden ebenso in die Flucht
geschlagen, wie die aus der Bezirkshauptstadt
Kibata herbei beorderten
Polizeikräfte. Zwar versuchten die kolonialen
Verwaltungsbehörden zunächst,
die Ereignisse als lediglich lokale Unruhen
herunterzuspielen, schon bald
war jedoch unübersehbar, dass der
Aufstand von Nandete den gesamten
Süden der Kolonie erfasst und sich zu
einem Krieg gegen die deutsche Herrschaft
in Ostafrika entwickelt hatte.
Vordergründig spielte für die Entschlossenheit
mit der zahlreiche
Kämpfer den bewaffneten Widerstand
aufnahmen der weit verbreitete Glaube
an das »Maji«, einer Medizin, die nahezu
unverwundbar machen sollte, eine
maßgebliche Rolle.
Die entscheidenden Ursachen der
Erhebung sind jedoch in der von den
Deutschen seit 1884 in Ostafrika praktizierten
Ausbeutungs- und Unterdrückungspolitik
zu suchen. Der Maji-
Maji-Krieg, der Anfang 1907 offiziell
endete, wies, wie bereits der Krieg gegen
die Herero und Nama in Deutsch-
Südwestafrika (1904–1908), genozidale
Züge auf. Vor allem durch die von
den Deutschen (mit) verursachten
und bewusst in Kauf genommenen
Hungersnöte, kamen zehntausende
ums Leben.
Ankunft der »Herrenmenschen«
Die deutsche Präsenz in Ostafrika
fußte von Beginn an auf Lüge und Betrug.
Zunächst war es der Historiker
Carl Peters (1856–1918) und die von
ihm gegründete »Gesellschaft für
deutsche Kolonisation« (GdK), die seit
1884 in Ostafrika Einflussgebiete und
Kolonien für das Deutsche Reich reklamierten.
Besonders in den Küstengebieten,
später auch im Landesinneren konnte
er ein gutes Dutzend so genannter
Schutzverträge mit lokalen Machthabern
abschließen und somit in den
Besitz großflächiger Territorien gelangen.
Als Gegenleistung versprach
Peters seinen Vertragspartnern im
Falle einer äußeren Bedrohung die militärische
Unterstützung des Deutschen
Reiches. Für derartige Zusagen
besaß der »dumme Kerl«, wie Reichskanzler
Bismarck den Koloniallobbyisten
gerne nannte, allerdings nicht
das geringste Mandat. Dies freilich
kümmerte Peters wenig, trat er doch
mit dem Gestus eines »Herrenmenschen
« auf, der keinen Hehl aus seiner rassistischen Weltanschauung
machte.
Obgleich Bismarck den kolonialen
Bestrebungen zunächst skeptisch gegenübergestanden
hatte, vollzog sich
seit 1885 ein Wandel in der deutschen
Haltung zur Kolonialpolitik. Ausschlaggebend
für diese Entwicklung
war zum einen die Kongo-Konferenz
in Berlin 1884/1885, bei der die europäischen
Mächte einschließlich
Deutschlands sowie die USA ihre globalen
Interessensphären untereinander
abgestimmt hatten. Zum anderen
begann sich im Deutschen Reich eine
organisierte Koloniallobby zu formieren,
die mit ihrer lautstarken Agitation
die deutsche Außenpolitik zunehmend
beeinflusste. Im Februar
1885 wurden daher die von Carl Peters
getätigten Erwerbungen in Ostafrika
vom Kaiser offiziell zu deutschen
»Schutzgebieten« erklärt. Deren Verwaltung
sowie die Erschließung weiterer
Territorien im Landesinneren blieben
aber de facto der privaten, aus der
GdK hervorgegangenen Deutsch-Ostafrikanischen
Gesellschaft (DOAG)
überlassen.
Erst mit dem so genannten Araberaufstand
im Jahr 1888 setzte die
Phase einer aktiven, vom Deutschen
Reich betriebenen Kolonialpolitik in
Ostafrika ein. Besonders in den Küstenregionen
hatte das oftmals selbstherrliche
Auftreten der DOAG zu erkennbarem
Unmut in weiten Kreisen
der Bevölkerung und unter den dort
ansässigen arabischen Händlern geführt.
Nachdem es zu einzelnen gewalttätigen
Übergriffen auf deutsche
Siedler gekommen war, bewilligte der
Reichstag zwei Millionen Mark für die
Aufstellung einer von Hermann Wissmann
geführten, vorwiegend aus sudanesischen
Söldnern bestehenden
Eingreiftruppe, die den Aufstand niederschlug.
Aber auch in den folgenden
Jahren kam es wiederholt zu kleineren
Erhebungen, die sich gegen die
deutsche Herrschaft richteten. Allein
in den Jahren 1891–1897 unternahm
die aus Wissmanns Söldnerarmee hervorgegangene
»Kaiserliche Schutztruppe
Deutsch-Ostafrika« mindestens
61 »Strafexpeditionen«, mit dem Ziel,
rebellierende Bevölkerungsgruppen,
wie etwa die Hehe, die Ngoni oder die
Matumbi, zur Anerkennung der deutschen
Machtansprüche zu zwingen.
»Inwertsetzung« – Die Konsolidierung
der deutschen Herrschaft in Ostafrika
Die wesentliche Ursache für den
anhaltenden Widerstand, der im Juli
1905 zum Maji-Maji-Krieg eskalierte,
bildete die vom Deutschen Reich seit
der Jahrhundertwende forcierte »Inwertsetzung
« der Kolonie, die sich bis
dahin als kostspieliges, staatlich subventioniertes
Zuschussunternehmen
erwiesen hatte. Zwischen 1898 und
1905 erließ die Kolonialverwaltung
eine Reihe von Verordnungen, die zum
einen zu einer Erhöhung der Steuereinnahmen
führen, zum anderen den
deutschen Siedlern und Plantagenbesitzern
den Zugriff auf afrikanische
Arbeitskräfte, notfalls durch Zwangsrekrutierung,
erleichtern sollten. War
1898 erstmals eine Hüttensteuer zu
bezahlen, verschärften sich unter dem
seit 1901 amtierenden Gouverneur Gustav
Adolf Graf von Götzen die Mechanismen
der fiskalischen Auspressung.
Neben der Einführung von Abgaben für
selbstgebrautes Bier (Pombe-Steuer)
musste nunmehr jeder »erwachsene
Mann im Binnenland« an Stelle der
Hüttensteuer eine Kopfsteuer entrichten,
was faktisch eine Erhöhung der
Steuerlast um das Vierfache bedeutete.
Erschwerend kam hinzu, dass die
deutsche Kolonialverwaltung nur Bargeld
als Zahlungsmittel akzeptierte.
Es lag auf der Hand, dass derartige
Vorgaben von weiten Teilen der nichtdeutschen
Bevölkerungsmehrheit, die
überhaupt nicht in die Geldwirtschaft
eingebunden waren, kaum erfüllt werden
konnte. Flankiert von Verbotsverfügungen,
wie etwa einer Wildschutzverordnung,
mit der die in Ostafrika
traditionelle Jagd untersagt wurde,
bezweckten die Maßnahmen in erster Linie, die ökonomische Eigenständigkeit
der Einheimischen zu brechen,
um diese dem von den Deutschen errichteten
Lohn- und Zwangsarbeitssystem
zu unterwerfen. Als dessen markantester
Ausdruck fungierten seit
1902 vor allem im Süden Deutsch-Ostafrikas
die so genannten Kommunalschamben.
Hierbei handelte es sich
um Felder und Plantagen, die gemäß
einer Verfügung des Gouverneurs von
den jeweiligen Kommunen zu bewirtschaften
waren. Da sich aufgrund der
schlechten Entlohnung kaum Freiwillige
für diese Tätigkeit fanden, wurden
die Dorfbewohner oftmals von der
Kolonialverwaltung zur Arbeit gezwungen.
Die Arbeitsbedingungen auf
den Feldern waren in der Regel miserabel
und nicht selten von gewalttätigen
Übergriffen der Aufseher geprägt.
Insofern erscheint es kaum verwunderlich,
dass am Beginn des Maji-Maji-
Krieges die demonstrative Attacke auf
die Kommunalschambe von Nandete
stand.
»Maji« gegen Maschinengewehre – Der Beginn des Krieges
Bemerkenswert an dem Aufstand
war vor allem, dass er, anders als die
früheren Erhebungen, von rund 20
verschiedenen Bevölkerungsgruppen
getragen wurde. Zwar existierte keine
übergeordnete Führung, einen einigenden
Faktor bildete jedoch, neben
der kollektiv erfahrenen Unterdrückung,
der sich um die Jahrhundertwende
im Süden Ostafrikas ausbreitende
Glaube an die von dem Heiler
Kinkjikite Ngwale verkündete
Botschaft des »Maji«. Dieser angeblichen
Wundermedizin, bestehend aus
Wasser, Mais und Hirse, wurden immunisierende
Kräfte zugeschrieben. Den
Prophezeiungen Kinkjikites zufolge
sollte das Maji die Waffen der Kolonialherren
unbrauchbar machen. Die
Gewehrkugeln der Deutschen würden,
so hieß es, von den Körpern der Getroffenen
wie Regentropfen abperlen.
In den ersten Tagen des Maji-Maji-
Krieges schien sich dieser Glauben zu
bestätigen. Tausende Kämpfer stürmten
Plantagen und Felder sowie die
Amtssitze einiger von der Kolonialverwaltung
eingesetzter einheimischer
Ortsvorsteher. Am 16. August 1905
gelang sogar die Eroberung der deutschen
Militärstation in Liwale. Die
nicht einmal 600 im Süden der Kolonie
stationierten Soldaten der »Kaiserliche
Schutztruppe« hatten dem
sich dezentral ausbreitenden Aufstand
zunächst kaum etwas entgegenzusetzen.
Jedoch wurde schon zu Beginn
des Krieges deren waffentechnische
Überlegenheit deutlich. Vor
allem der Einsatz von Maschinengewehren
fügte den aufständischen
Kämpfern fürchterliche Verluste zu. So
endete etwa ein Frontalangriff von
rund 16.000 Maji-Kriegern auf die Militärstation
von Mahenge im August
1905 im Kugelhagel der Deutschen.
Über den Verlauf der Schlacht notierte
Kommandant Theodor von Hassel in
sein Tagebuch: »Außer 20 Kiwanga-
Leuten [Verbündete der Deutschen]
hatte ich keinen Mann verloren. Aber
der Gegner? Ganze Reihen, ja Berge
von Toten konnte ich durch mein Glas
auf allen Kampfplätzen erkennen.«
Augenscheinlich hatte das »Maji«
seine magische Wirkung verfehlt. Der
unter den »Maji«-Kriegern verbreitete
Nimbus vermeintlicher Unverwundbarkeit
war stark erschüttert. Daher
änderten die Aufständischen in der
Folgezeit ihre Strategie. Sie vermieden
nun offene Feldschlachten, nutzten
ihre Geländekenntnisse und versuchten
die deutsche Kolonialverwaltung
durch kleinere überfallartige Angriffe
zu zermürben. Es entbrannte
ein regelrechter Guerillakrieg, in dem
sich die Kaiserliche Schutztruppe von
Beginn an brutaler Methoden bediente.
Seit November 1905 wurden
mehrere »Strafexpeditionen« mit dem
Ziel in Marsch gesetzt, den Widerstand
der Maji-Krieger zu brechen. Diesem
Auftrag ließ die Schutztruppe Taten
folgen: Vermeintliche oder tatsächliche
Anführer des Aufstandes, die in
deutsche Gefangenschaft geraten waren,
wurden in der Regel nach nur
kurzem Prozess hingerichtet. Zudem
verlangten die Offiziere der Schutztruppe
von den unterworfenen Bevölkerungsgruppen
willkürlich festgelegte
Strafzahlungen, die, sofern die
Beträge nicht aufgebracht werden
konnten, in Form von Zwangsarbeit
beglichen werden mussten.
»Verbrannte Erde« – Der Krieg gegen
die Zivilbevölkerung
Am verheerendsten wirkte sich jedoch
die von den Deutschen angewandte Strategie der »verbrannten
Erde« aus. Um den Maji-Kriegern
Rückzugsräume und Versorgungsmöglichkeiten
zu nehmen, begann die
Schutztruppe damit, Felder und Dörfer
zu zerstören, Brunnen unbrauchbar
zu machen und das Vieh in den Aufstandsgebieten
zu töten oder zu beschlagnahmen.
Das Aushungern ganzer
Landstriche bildete somit spätestens
seit 1906 den Kernbestandteil der
deutschen Kriegsführung in Ostafrika.
So vertrat etwa Hauptmann Wangenheim
die Auffassung, dass nur »Hunger
und Not […] die endgültige Unterwerfung
herbeiführen« könnten. In
ähnlicher Weise äußerte sich Gouverneur
Graf von Götzen, der das Vorgehen
der Schutztruppe im Rückblick
vorbehaltlos rechtfertigte: »Wie in allen
Kriegen gegen unzivilisierte Völkerschaften
[…] war auch im vorliegenden
Fall die planmäßige Schädigung
der feindlichen Bevölkerung an
Hab und Gut unerlässlich.« Die Folgen
waren dramatisch. Umweltzerstörung,
endlose Flüchtlingsströme und grassierende
Hungersnöte prägten die betroffenen
Regionen auch dann noch,
als der bewaffnete Widerstand gegen
die deutsche Kolonialherrschaft schon
längst zusammen gebrochen war. Zwar
datierte das Militär das Ende des Maji-
Maji-Krieges offiziell auf den 18. Februar
1907, das Sterben jedoch ging
weiter. Präzise Angaben zu den Opferzahlen
existieren nicht. Der amtliche
»Jahresbericht über die Entwicklung
der deutschen Schutzgebiete in Afrika
und in der Südsee« von 1906/1907
bezifferte die ostafrikanischen Kriegstoten
auf 75.000, wobei die katastrophalen
Auswirkungen der Hungersnöte,
die sich bis ins Jahr 1908 zogen,
größtenteils unberücksichtigt
blieben. Die tatsächliche Zahl der Opfer
dürfte demnach weitaus höher anzusetzen
sein. Der Historiker Ludger
Wimmelbücker geht davon aus, dass
mindestens 180.000 Afrikaner den
Maji-Maji-Krieg und dessen Folgen
nicht überlebten. Andere Schätzungen
halten sogar bis zu 300.000 Tote für
wahrscheinlich. Die Verluste auf deutscher
Seite waren indessen marginal:
Insgesamt wurden bei den Auseinandersetzungen
15 Europäer getötet. Zudem
kamen 389 afrikanische Soldaten
der Schutztruppe und 66 Träger ums
Leben.
Die Opferzahlen, die den letztendlich
einseitigen Verlauf des Krieges
dokumentieren, mögen auch erklären,
weshalb die Vorgänge in Ostafrika in
der deutschen Öffentlichkeit kaum
Beachtung fanden. Die »Deutsche Kolonialzeitung
« berichtete beispielsweise
im September 1905 lediglich
von einem »räuberischen Aufstande«,
der durch die »Hetzereien eines Zauberers
in den Matumbibergen« ausgelöst
worden sei. Die vermeintlichen
Protagonisten der Erhebung, die Matumbis,
wurden in dem Artikel als
»Diebe« und »Säufer« verunglimpft.
Auch die »Deutsch-Ostafrikanische
Zeitung« wollte in der Aufstandsbewegung
keine ernsthafte Bedrohung
der deutschen Machtansprüche erkennen,
galt ihr doch die schwarze Mehrheitsbevölkerung
der Kolonie als ein
»auf einer niederen Kulturstufe stehendes
kindisches Menschengebilde«.
Diese von rassistischen Ressentiments
durchzogenen Kommentare waren auch
für die weitere, insgesamt äußerst
spärliche Berichterstattung über den
Maji-Maji-Krieg charakteristisch.
Somit geriet hierzulande eines der
düstersten Kapitel deutscher Kolonialgeschichte
in Vergessenheit. Vielmehr
prägten langlebige populäre Mythen
um die vermeintlichen militärischen
Heldentaten des Generals Paul
von Lettow-Vorbeck, der während des
Ersten Weltkrieges die »Schutzgebiete
« gegen die Briten verteidigt
hatte, die Erinnerung an die deutsche
Präsenz in Ostafrika bis in die unmittelbare
Gegenwart.
Eine kritische Auseinandersetzung
mit dem deutschen Kolonialismus
setzte in der Bundesrepublik erst seit
den 1970er Jahren ein. So waren es
vor allem die im Rahmen der Neuen
Sozialen Bewegungen entstandenen
antikolonialen Solidaritätsgruppen,
»Dritte-Welt«-Initiativen und Geschichtswerkstätten,
die auf die deutschen
Kolonialverbrechen in Afrika
am Beginn des 20. Jahrhunderts aufmerksam
machten. Dennoch blieb
auch innerhalb einer linken Öffentlichkeit
die Beschäftigung mit dem
Maji-Maji-Krieg und dessen Folgen ein
randständiges Thema, das erst allmählich,
im Kontext des hundertsten Jahrestages
des Kriegsausbruchs 2005
größere Beachtung fand. Eine Reihe
von Veröffentlichungen, Internet- und
Ausstellungsprojekten machte nunmehr
auf die Hintergründe und Dimensionen der deutschen Kolonialverbrechen
in Ostafrika aufmerksam.
Der Maji-Maji-Krieg – ein kolonialer
Genozid?
In diesem Zusammenhang wurde
nicht zuletzt die Frage diskutiert, ob
die deutsche Kriegführung, ähnlich
wie in Südwestafrika zu einem Völkermord
geführt habe. Angesichts der
von den Deutschen durch die Strategie
der »verbrannten Erde« (mit)verursachten
Hungerkatastrophen und
der immensen Opferzahlen erscheint
es gerechtfertigt auch den Maji-Maji-
Krieg und dessen Folgen als kolonialen
Genozid zu bezeichnen. Allerdings
ist anzumerken, dass im Feldzug gegen
die Herero und Nama eine konsequentere
Vernichtungsabsicht zum
Ausdruck kam, als im Vorgehen der
»Schutztruppe« in Ostafrika. Die Einrichtung
von Konzentrationslagern
oder die Existenz eines expliziten Vernichtungsbefehls
wie ihn Oberbefehlshaber
Lothar von Trotha im Oktober
1904 im Kampf gegen die Herero erlassen
hatte, sind aus dem Maji-Maji-
Krieg nicht bekannt. Die Entvölkerung
ganzer Landstriche in den Aufstandsregionen
erfolgte nicht auf der Grundlage
systematischer Planungen, sondern
wurde gewissermaßen als ein aus
den vermeintlichen militärischen Notwendigkeiten
resultierender »Kollateralschaden
« in Kauf genommen. Unzweifelhaft
ist freilich, dass auch in
Ostafrika ein spezifischer Kolonialrassismus
die deutsche Kriegsführung
maßgeblich prägte.
Ob jedoch die von den Deutschen
verübten Kolonialverbrechen, vor allem
in Südwestafrika, als »Vorgeschichte
des Holocaust« (Jürgen Zimmerer)
interpretiert zn können,
ist indessen fraglich. Zwar lassen sich
in den Feldzügen gegen die Herero
und Nama ebenso wie im Maji-Maji-
Krieg Strategien und Handlungsmuster
feststellen, die in radikalisierter
Form auch für die Vernichtungspolitik
des Nationalsozialismus kennzeichnend
waren. Der Ansatz, ausgehend
von den deutschen Kolonialverbrechen
in Afrika eine historische Kontinuitätslinie
bis nach Auschwitz zu
konstruieren, erscheint aber aus mehreren
Gründen problematisch. Für die
Täter des Holocaust spielte die Rezeption
des Kolonialismus allenfalls eine
untergeordnete Rolle. Die »Generation
des Unbedingten« (Michael Wildt), die
etwa im Führungskorps des RSHA die
präzedenzlosen Massenverbrechen organisierte,
war in viel stärkerem Maße
von den Erfahrungen des Ersten Weltkriegs
und der krisenhaften Zwischenkriegszeit
geprägt. Die nationalsozialistische
Expansion in Osteuropa war
von Beginn an, anders als die deutsche
Präsenz in Afrika, mit der systematischen
Vernichtung ganzer Bevölkerungsgruppen
verknüpft. Im Gegensatz
zum Kolonialrassimus, der zwar
am Beginn des 20. Jahrhunderts über
lautstarke Lobbyisten verfügte, aber
zu keinem Zeitpunkt nennenswerten
Einfluss auf das Selbstverständnis des
Kaiserreichs ausübte, bildete der Antisemitismus
die Basisideologie des
NS-Regimes, die im Holocaust schließlich
ihre eliminatorische Radikalisierung
erfuhr.
Der Historikerin Birthe Kundrus ist
in ihrer Einschätzung zu zustimmen,
dass die »tendenzielle Gleichsetzung
der kolonialen Praktiken« mit der Vernichtungspolitik
des Nationalsozialismus,
Gefahr laufe »beiden historischen
Ereignissen nicht gerecht zu
werden und Erkenntnismöglichkeiten
zu vernebeln.« Eine Kritik an der Analogiebildung
zwischen den kolonialen
Genoziden und den nationalsozialistischen
Massenverbrechen, bedeutet
somit nicht, erstere zu verharmlosen.
Mehr als hundert Jahre nach dem
Maji-Maji-Krieg gilt es vielmehr, die
historischen Entwicklungslinien, die
ideologischen Legitimationsmuster
und nicht zuletzt die mörderischen
Dimensionen des deutschen Kolonialismus
deutlich zu benennen. Ein Bewusstsein
über die in Afrika begangen
Kolonialverbrechen und deren Auswirkungen
ist in den deutschen Erinnerungskulturen
weiterhin kaum ausgeprägt.
Diese »öffentliche Amnesie«
(Reinhard Kößler) zu durchbrechen,
ist eine Aufgabe, der sich die antifaschistische
Bewegung in Zukunft verstärkt
zuwenden sollte.
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Carl Peters, Gründer der »Gesellschaft für deutsche Kolonisation«
«
Gustav Adolf Graf von Götzen war ab 1901 Gouverneur von »Deutsch-Ostafrika«. Mittels fiskalischer und repressiver Zwangsmaßnahmen
wollte er die ökonomische Eigenständigkeit der Einheimischen
Lothar von Trotha erließ 1904 den Vernichtungsbefehl gegen die aufständischen Herero in »Deutsch-Südwestafrika«
Literatur
Barth, Boris: Genozid. Völkermord im 20. Jahrhundert. Geschichte, Theorien, Kontroversen, München 2006.
Becker, Felicitas / Beez, Jigal (Hg.): Der Maji-Maji-Krieg in Deutsch-Ostafrika 1905–1907, Berlin 2005.
Entwicklungspolitische Korrespondenz (Hg.): Deutscher Kolonialismus. Materialien zur Hundertjahrfeier 1984, Hamburg 1983.
Gerwarth, Robert / Malinowski, Stephan: Der Holocaust als »kolonialer Genozid«? Europäische Kolonialgewalt und nationalsozialistischer Vernichtungskrieg, in: Geschichte und Gesellschaft 33 (2007), S. 439–466.
Gründer, Horst: Geschichte der deutschen Kolonien, Paderborn u.a. 1985.
Kundrus, Birthe: Grenzen der Gleichsetzung. Kolonialverbrechen und Vernichtungspolitik, in Blätter des iz3w, Nr. 275 (März 2004), S. 30–33.
Kuß, Susanne: Ein ganz normaler Kolonialaufstand? Der Maji-Majikrieg und die Entstehung des Nationalismus in Tansania, in: Blätter des iz3w, Nr. 276
(April/Mai 2004), S. 24–26.
Osterhammel, Jürgen: Kolonialismus. Geschichte, Formen, Folgen, München 2003.
Van Laak, Dirk: Über alles in der Welt. Deutscher Imperialismus im 19. und 20. Jahrhundert, München 2005.
Schulte-Varendorff, Uwe: Kolonialheld für Kaiser und Führer. General Lettow-Vorbeck, Berlin 2006.
Zimmerer, Jürgen / Zeller, Joachim: Völkermord in Deutsch-Südwestafrika. Der Kolonialkrieg (1904–1908) in Namibia und seine Folgen, Berlin 2004.
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