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Leipziger Antifa Gruppe | AIB 80, 3/2008
Die Hoffnung, dass Antifa Angriff heißt, klingt wie die verzweifelte Sorge um eine liebgewonnene Tradition. Es hört sich an wie die Wahl zwischen Resignation, also Selbstauflösung, und Restauration, sprich der Rollback in die vermeintliche Blütezeit einer linksradikalen Bewegung. Und die Frage, was Antifa noch bedeutet, kommt nicht von ungefähr.
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Viele Antifagruppen haben in den vergangenen Jahren Diskussionsprozesse losgetreten, die um die Entwicklung seit 2000 und den Niedergang von Organisationsversuchen wie der AA/BO (Antifaschistische Aktion/Bundesweite Organisation) und des BAT (Bundesweites Antifatreffen) kreisen. Die Illusion, Antifa sei der »Kampf ums Ganze«, hat sich dabei zerschlagen, vor allem, weil es nicht möglich ist, die hiesige Gesellschaft durch die Brille des Faschismus als Ganzes zu analysieren und zu kritisieren. Zugleich ist die Auseinandersetzung mit Neonazis trotz ihrer gesellschaftlichen Marginalisierung nicht obsolet geworden, da sie im lokalen Raum alles andere als marginal sind.
Weil, wie in einem Debattenbeitrag der Leipziger Zeitschrift CEE IEH gefordert, eine »ausführliche Analyse aktueller antifaschistischer Politik [...] von denjenigen selbst geleistet werden [muss], die mit Antifa nicht nur Interventionspraxis, sondern auch ein politisches Konzept verbinden«, sehen wir die aktuelle Debatte im Antifaschistischen Infoblatt (AIB) als unseren Ansatzpunkt zur Einmischung in die Diskussion. Dort haben sich bisher die Kampagne »NS-Verherrlichung stoppen«, die Antifaschistische Linke Berlin (ALB) und Antifaschistische Linke International Göttingen (ALI) geäußert. Zeit für ein Statement, das auch Selbstkritik beinhaltet.
Antifaschistische Realität
Trotz geringfügiger Unterschiede sind die drei Beiträge im AIB durch Gemeinsamkeiten gekennzeichnet, welche sich für uns als gemeinsame Fehler ausnehmen.
Als Maßstab antifaschistischer Arbeit gilt der Erfolg und die Wirksamkeit von Anti-Nazi-Aktionen, was allerdings kein politischer Maßstab ist. Es gehe darum, »Menschen [...] zu sammeln und Handlungsfähigkeit herzustellen, in drängende gesellschaftliche Konflikte zu intervenieren.« Dieser Massenansatz, der sich zuvorderst um die »Mobilisierungsfähigkeit der antifaschistischen Bewegung« sorgt, verbannt Reflexion über das Politische aus der ganzen Diskussion.
Das Bemühen um eine Mobilisierung der größtmöglichen Zahl führt zu »strategischen und organisatorischen Problemen«. Zugunsten solcher taktischer Berechnungen wird jede kritische Erwägung des Inhalts ausgespart. Mit anderen Worten: Antifaschismus wird durch sein Gelingen, beispielsweise durch die Verhinderung eines Neonaziaufmarsches, legitimiert. Allerdings gibt der Erfolg oder Misserfolg von Anti-Nazi-Aktionen keine Auskunft darüber, inwiefern die Praxis überhaupt politisch sinnvoll und vernünftig ist. Wer in Anspruch nimmt, linksradikale Politik zu betreiben, muss sich an linksradikalen Inhalten messen lassen, das heißt einer radikalen Gesellschaftskritik. Einer solchen Kritik wird mit einer Verständigung über Aktionsformen und -taktiken nicht entsprochen.
Dagegen werden inhaltliche Restbestände im Antifaschismus zusammengekürzt auf einen unwillkürlichen Sachzwang, die keiner besonderen Legitimation bedarf: Antifaschistischer Widerstand sei »vor allem auch eine konkrete Notwendigkeit«. Das ist nicht nur ein sehr zweifelhaftes Konstrukt; auch verdankt sich diese Einsicht bei der ALI der Erwägung, man müsse gegen Nazis sein, weil »man im Land der Täter wohne«. Hier wird Antifaschismus zur Frage ausgerechnet des nationalen Standorts der AntifaschistInnen und nicht der Stimmigkeit ihrer Kritik.
Wenn man sich vor dem Hintergrund dieser drei Punkte in Fußnoten-Diskussionen über Demonstrationsästhetik, Transparent-Beschriftungen oder Bündniskonstellationen verfängt, streitet man sich um Formalia. Dabei müsste man sich zuerst über die inhaltliche Begründung antifaschistischer Arbeit streiten. Vor einer »Intervention« in die Gesellschaft hat nämlich die Kritik derselben zu stehen, mit anderen Worten: Sich einen Begriff von ihr zu machen. Das Hintenanstellen der Theoriebildung befördert seinerseits eine Diskussion, die sich nur noch auf das »Auftreten« der »Bewegung« und nicht mehr den politischen Gehalt des Bewegtseins bezieht.
Da verwundert es nicht, dass bei allem Gerede um »Antifaschismus als politisches Konzept« eine Kritik des Faschismus ausgelassen wird oder sich ebenfalls an Äußerlichkeiten (die ALB moniert die »Adaption und Übernahme subkultureller Codes« in einem »kulturell anschlussfähige(n) ›rechte(n) Lifestyle‹« aufhält – also an augenfälligen Erscheinungen, nicht dem Versuch ihrer Einordnung und Kritik. Die Gegnerschaft zu Neonazis wird zum Ausdruck der eigenen affirmativen Stellung zur bestehenden Gesellschaft, die Neonazis nur die Abweichung von der demokratischen Norm vorwirft. Ganz so, als wäre man zur Verteidigung des demokratischen Staates gegen eine faschistische Minderheit angetreten, statt aus einer Feindschaft gegen den bürgerlichen Staat und die kapitalistische Gesellschaft den Schluss zu ziehen, auch jene zum Ziel der Praxis machen, die für eine politische Verhärtung von Staat und Gesellschaft und die Radikalisierung ihrer alltäglichen Zumutungen einstehen.
So lange solche Basisbanalitäten nicht mal in den so genannten Antifadebatten auftauchen, so lange muss man nicht über antifaschistische Organisierung nachdenken – weil beim bisherigen Stand der Diskussion der linksradikale und damit gesellschaftskritische Gehalt völlig dementiert wird oder auf einen alles andere als kritischen Minimalkonsens zusammenschrumpft.
Kommunistischer Anspruch
Wer es mit Gesellschaftskritik ernst meint, muss die Reflexion antifaschistischer Praxis auch von diesem Standpunkt aus vornehmen. Das bedeutet, die Schädigungen, die sich aus dem gesellschaftlichen Prozess ergeben, zu skandalisieren und mit der Beseitigung ihrer Gründe auch die Änderung der Gesellschaft selbst ins Auge zu fassen. Das Vorkommen von Neonazis ist dafür eine praktische Hinderung und der Grund für eine reale Schädigung anderer Leute, der ohne Frage auszuräumen ist. Vernünftig ist, sich dafür geeignete Mittel zusammenzusuchen. Unvernünftig ist, sich hierfür ein Konzept auszudenken, das mit dem Argument der »Notwendigkeit« die Gesellschaftskritik außer Vollzug setzt. »Antifaschismus als politisches Konzept« wird damit zum Selbstzweck degradiert, für den nur immer wieder die aufzubringenden Mittel diskutiert werden.
Dabei liegt es auf der Hand, dass man Wissen um die Gesellschaft braucht, um auch ihre Teilmomente – wie das Vorhandensein faschistischer Bewegungen und die Verbreitung ihrer Ideologien – zu erfassen. Umgekehrt lassen sich aber aus dem reinen »Mitmachen« in der Auseinandersetzung mit Neonazis keine gesellschaftskritischen Inhalte destillieren.
Die auf der Suche nach dem passenden »Konzept Antifa« oft gehörte Forderung nach einer »Ausweitung des Aktionsfeldes« und der Wunsch, Antifa möge »mehr« sein als »gegen Nazis«, ist damit eine politische Sackgasse. Statt den Antifaschismus mit Theorie-Versatzstücken zusätzlich aufzuladen – etwa durch ein bekenntnishaftes »Für den Kommunismus« in der letzten Flugblattzeile – muss anerkannt werden, dass sich die eigentlichen Inhalte einer Gesellschaftskritik in Antifa-Praxis-Konzepten in aller Regel nicht erhalten. Andernfalls müsste man nicht ihre (Wieder-) Einführung fordern. Stattdessen brechen taktische Kalkulationen über Mobilisierungsfähigkeit, Demo-Mottos usw. ein, als stünde gar keine inhaltliche Befassung an, als habe man Einigkeit in prinzipiellen Fragen schon in einem Maße erzielt, dass sie nur selten zur Sprache kommen müssten oder getrost in Theoriegruppen ausgelagert werden könnten.
In der Vergangenheit hat sich dies als fatal erwiesen: Nicht nur hinsichtlich einer Entpolitisierung der Antifaarbeit, sondern auch um den Preis, als alternative demokratische Ordnungsmacht zu erscheinen, die keine eigenen Ziele mehr kennt als die Zurückweisung von Neonazis. Dabei begreifen wir unsere Antifa-Rolle gerade nicht als alternativer Akteur, der das durchsetzt, was der Staat unterlässt, sondern als aufklärerisches Vorhaben. Solcher Aufklärung liegt nichts an einer Anbiederung an falsches Bewusstsein – weder an dem Appell an DemokratInnen, gegen Neonazis tätig zu werden, noch am Ignorieren bürgerlicher Ideologien zugunsten ihrer faschistischen Varianten.
Wir verstehen uns ebenso wenig als ein quasi-demokratisches Korrektiv, das den Neonazis ihre Abweichungen von den Normen der Gesellschaft vorhält und dies gegenüber demokratischen AkteurInnen skandalisiert. Wer damit auf eine zivilgesellschaftliche Hegemonie setzt, hebt sich vielleicht von denen ab, die MigrantInnen körperlich attackieren – paktiert aber mit denen, die sie abschieben lassen und die Sortierung der Gesellschaft in In- und Ausländer, in »nützlich« und gemeinwohlschädlich vornehmen. Es bedarf der Analyse der Gesellschaft, die offenlegt, dass der soziale Normalbetrieb, in dem Neonazis vorkommen, kein Werk von Neonazis ist. Den realen Zumutungen und materiellen Schädigungen, mit denen die meisten InsassInnen der Gesellschaft zurechtkommen müssen, begegnen wir heute nämlich nicht in ihrer faschistischen, sondern in ihrer demokratischen Form. Und dafür bedarf es logischerweise gar keiner Neonazis.
Dieser Hinweis ist keine Marginalie, sondern weist darauf hin, dass Antifaschismus praktisch niemals »revolutionär« sein kann und theoretisch kein Träger einer angemessenen Gesellschaftskritik ist. Damit wird »Antifa« keine Sinnlosigkeit, sondern gibt Linksradikalen folgende Erkenntnis an die Hand:
Ohne eine Aneignung einer Gesellschaftskritik kann man sich politischen Gegenständen weder gedanklich angemessen, noch in der Praxis reflektiert nähern. Weil Teile der Antifa kein Interesse an einer solchen politischen Grundlage haben, werden ihre minimalpolitischen Konzepte mit der Zeit selbst zum Hindernis für das kommunistische Anliegen. Es ist uns daher an einem Antifaschismus gelegen, der Neonazis die Feindschaft erklärt, wie man es für die hiesige Gesellschaft selbst zu erledigen hat: Durch Argumente, die man sich aneignet, und eine zutreffende Kritik, ohne die nur eine falsche Praxis denkbar ist.
Die »richtige« Praxis
Die bisherigen Debattenbeiträge im AIB fordern eine »Diskussion darüber, auf Basis welcher Analyse und mit welcher Zielrichtung wir in der Zukunft antifaschistische Arbeit gestalten wollen«. Dem schließen wir uns an, selbst wenn das bedeutet, »lieb gewonnene Traditionen und Selbstverständnisse zu hinterfragen und gegebenenfalls aufzugeben«:
Wer sich als AntifaschistIn versteht, muss zuerst den Gegenstand seines Antifaschismus klären. Weil Faschismus ohne Gesellschaft weder theoretisch denkbar, noch in der Praxis möglich ist, muss für eine Faschismusanalyse von einem kritischen Begriff der bürgerlichen Gesellschaft ausgegangen werden. Daraus ergeben sich sachliche Gründe, auch gegen Neonazis vorzugehen, sowie Kriterien für eine Praxis, die auf dieser sachlichen Grundlage funktioniert. Was dagegen von ALI, der NS-Verherrlichung-Stoppen-Kampagne und der ALB betrieben wird, ist das Gegenteil: die Suche nach Rechtfertigungen für eine bereits bestehende Praxis.
Stattdessen sollte mit einer Bildung und Aneignung der Theorie begonnen werden, die einem nicht einfach zufällt, sondern überlegt und systematisiert werden will. Das kann nicht das Geschäft von Theoriegruppen sein – denn einerseits ist das Üben von Kritik und Praktizieren der Diskussion selbst eine praktische Angelegenheit; andererseits kommt um diese Angelegenheit nicht herum, wer die richtige Theorie einer falschen Praxis vorzieht. Schon die Selbstbezeichnung als »praktisch arbeitende Antifagruppe« weist aber auf eine Trennung hin, die Inhalte als Beigaben versteht und sich jeden weiteren Schritt lieber vom politischen Gegner vorschlagen lässt.
Wer dem trotzdem folgt, bezieht sich auf die mobilisierten MitstreiterInnen nicht als GenossInnen, mit denen über politische Grundlagen zu sprechen wäre, sondern als Manövriermasse, von der man annimmt, dass sie für buchstäblich »jeden Scheiß« zu haben ist. Damit stiftet man keine politische Bewegung, sondern eine Szene; man fördert nicht Erkenntnis und Kritik, sondern gewaltgeladenen Lifestyle und Subkulturbespaßung. Dagegen ist es Anliegen eines aufklärerischen Anspruchs, der Entpolitisierung in den eigenen Reihen entgegenzuwirken. Das steht vor allem dann an, wenn ein antifaschistischer Minimalkonsens (»gegen Nazis«) zur dominierenden Handlungsgrundlage wird.
Was unter solchen Bedingungen noch als Diskussionsinhalt aufgegriffen wird, ist häufig ein Theorie-Ersatz aus Gewissheiten und konditionierten Parolen. Wer seine politische Arbeit auf die Effektivierung der bestehenden Praxis ausrichtet, spielt immer wieder Strategie und Taktik gegen Kritik und Theorie aus; dafür reicht es tatsächlich, mit einer geringeres-Übel-Rhetorik die Gefährlichkeit der Neonazis durch den Vergleich mit demokratischen Normen zu belegen. Die linksradikalen Ursprünge solcher Antifapraxis sind noch durch Symbole, Parolen und Kapuzenuniformierung kenntlich – abseits davon ist alles abgestellt auf die Einnahme einer Rolle als alternativer Politikberater.
Der aktionistische Versuch, mittels »Interventionen« radikale Forderungen in der Gesellschaft umzusetzen, ist schließlich die folgerichtige verbalradikale Überschätzung der tatsächlichen Wirkmächtigkeit – und zugleich Indiz für die Opportunität und Anschlussfähigkeit nicht einer Gesellschaftskritik, sondern eines Feindbildes: So, wie ab 2000 ein »Ruck« gegen Neonazis durchs Land ging, weil das »Naziproblem« medienwirksam skandalisiert werden konnte, fiel keine zehn Jahre voher das Asylgesetz, nachdem Neonazis und andere Deutsche durch ihre militante Intervention ein »Ausländerproblem« auf die realpolitische Tagesordnung brachten. Aber in keinem der beiden Fälle ist das Resultat ein faschistisches oder antifaschistisches. Die Masse auf der Straße – so radikal, entschlossen und verhetzt sie sein mag – gab jeweils nicht das Startsignal für einen radikalen Wandel, sondern für eine Systemoptimierung.
Obwohl das augenscheinlich ist, lesen sich die Debattenbeiträge einiger Gruppen zum Thema Antifapolitik wie routinierte Rechenschaftsberichte bezüglich der eingeübten Aufgabe, die Fortexistenz von Neonazis in der Gesellschaft zu skandalisieren. Radikal wäre das frühestens dann, wenn als Skandal die Gesellschaft ausgemacht wird, die selbst im demokratischen Normalbetrieb nationalistische Ideologie und kapitalistische Schädigungen hervorbringt; die faschistische Option ist der Durchsetzung sozialer Härten dabei immanent. Revolutionär ist daher nicht der Antifaschismus, sondern »die wirkliche Bewegung, welche den jetzigen Zustand aufhebt.«
Auf geht's, ab geht's!
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