Burschenpolitik in der Praxis

Proteste gegen die Wehrmachtsausstellung am 14. September 1997 in Marburg

"Heraus aus den Häusern!” Unter dieser Forderung druckte die Junge Freiheit am 22. August 1997 eine Rede ab, die der Bonner Anti-Antifa-Politikprofessor Hans-Helmuth Knütter beim diesjährigen Festkommers der Deutschen Burschenschaft in Jena gehalten hatte. Tenor der Rede: Studentische Verbindungen, insbesondere Burschenschaften, verfügten über eine glänzende Infrastruktur; es gelte nun, diese Infrastruktur auch praktisch zu nutzen und politisch in die Offensive zu gehen.

Knütters offensive Worte ("Schließen Sie sich zusammen! Heraus aus den Häusern! Kämpfen Sie!”) beschreiben recht genau, was Marburger Burschenschafter seit einiger Zeit versuchen. Zusammengeschlossen haben sie sich bereits: Im Republikanischen Hochschulverband (RHV), der Ende 1996 unter maßgeblicher Beteiligung von Marburger Burschenschaftern wiederbelebt wurde. Den Kampf aufgenommen haben sie auch: Die Ordnungsgeldanträge von Burschenschaftern gegen den Marburger AStA wegen Wahrnehmung des politischen Mandats häufen sich auf den Schreibtischen des Gießener Verwaltungsgerichts. Nur der Schritt in die Öffentlichkeit ist ihnen - abgesehen vom traditionellen Marburger Marktfrühschoppen und von den korporationsüblichen Keilversuchen zu Semesterbeginn - noch nicht publikumswirksam gelungen.

Eine günstige Gelegenheit, sich auf der Straße zu profilieren, fiel dem ausschließlich aus Burschenschaftern bestehenden RHV wenige Tage vor der Eröffnung der Ausstellung "Vernichtungskrieg. Die Verbrechen der Wehrmacht 1941 bis 1944” in Marburg in den Schoß. Die "Fördergemeinschaft für Soldatenverbände” (FfS), ein lokaler Militaristenverband, hatte ihre für den 14. September geplante, gegen die Wehrmachtsausstellung gerichtete "Demonstration in Würde” nach deren Verbot durch die Stadt widerstandslos aufgegeben. Rasch sprang der RHV in die Bresche. Sein Vorsitzender Eike Erdel setzte die Genehmigung für eine rechte Kundgebung gerichtlich durch, die "Demonstration in Würde” konnte jetzt als erste öffentliche Veranstaltung des RHV stattfinden.

Es sollte nicht verwundern, daß den Marburger Burschenschaftern der Schritt in die Öffentlichkeit gerade unter dem Ticket "RHV” gelang. Der RHV ist schließlich das Instrument, das sie gebastelt haben, um den Kampf gegen die vermeintliche linke Hegemonie an den Hochschulen organisiert und öffentlich zu führen, und das eine Plattform für die gesamte studentische Rechte schaffen soll. Die Einbindung in REP-Strukturen ermöglicht es darüberhinaus, auch die außeruniversitäre Rechte zu mobilisieren. Parteikarriereambitionen der RHV-Aktivisten Eike Erdel (Burschenschaft Normannia-Leipzig), Daniel David Schäfer und Christian Balzer (beide Burschenschaft Rheinfranken) mögen darüberhinaus eine Rolle spielen.

Die rechte Kundgebung gegen die Wehrmachtsausstellung am 14. September, deren Organisation kurzfristig von den Burschenschaftern des RHV übernommen worden war und die ihnen zu ihrem ersten öffentlichen politischen Auftritt in Marburg verhalf, wurde allerdings eher ein Flop. Obwohl der RHV an die organisatorische Vorarbeit der FfS anknüpfen konnte, nahmen nur etwa 50 Personen an seiner "Demonstration in Würde” teil. Aufgrund antifaschistischer Gegenwehr konnte die Kundgebung nicht vor dem Denkmal für kriegerisch verstorbene Studenten stattfinden und mußte vor eine Pommesbude verlegt werden, wo sie statt "in Würde” in einem Polizeikessel ablief. Dort ließen REP-Aktivisten aus Mittelhessen und mehrere Korporierte eine Rede des stellvertretenden REP-Bundesvorsitzenden und selbsternannten RHV-Mentors Hans Hirzel über sich ergehen.

Wenn es auch den Burschenschaftern des RHV nicht gelang, über den Kreis der politisch aktiven Rechten hinaus eine nennenswerte Anzahl ihrer ParteigängerInnen auf die Straße zu bekommen, so ist doch bemerkenswert, welche "Koalition” sich in Marburg zum Protest gegen die Wehrmachtsausstellung zusammengefunden hatte. Schon vor Beginn der Kundgebung demonstrierten Roy A. Godenau (Verschwörungstheoretiker und Rassist mit Ku-Klux-Klan-Kontakten aus dem nordhessischen Gilserberg) und Manfred Roeder mit Papptafeln ("Greuel-Propaganda ist Seelen-Vergiftung”) vor dem Ausstellungsgebäude. Roeder, Gründer der "Deutschen Aktionsgruppen”, die am 22. August 1980 zwei Vietnamesinnen ermordeten, und Godenau wurden dabei unterstützt von lokalen NPD-Funktionären, REPs und Korporierten.

Dieses anlaßbezogene Bündnis von Korporierten bis hin zu militanten Neonazis ist nicht Zufall, sondern Konzept. In seiner eingangs zitierten Rede vor Mitgliedern der Deutschen Burschenschaft hatte Hans-Helmuth Knütter vorgeschlagen: "Man muß sich klar werden über das, was man ablehnt und bekämpft: Vaterlandslosigkeit, den kriminellen Antifaschismus und Deutschfeindlichkeit.” Der Gedanke, eine für die gesamte Rechte einsichtige Frontstellung gegenüber fortschrittlichen Kräften zu beziehen, um die bislang noch vermißte Einigkeit in den eigenen Reihen herzustellen, wurde auf der Straße vor der Wehrmachtsausstellung plastisch erkennbar: Korporierte, REPs, NPD'ler und Schläger, die sich sonst über die Wahl der angemessenen politischen Mittel zerstreiten, fanden sich gegen den gemeinsamen Feind zusammen.

Wie zur Bestätigung dessen marschierte gegen 16 Uhr ein Zug von etwa 60 militanten Neonazis auf die in der Würde eines Bullenkessels demonstrierenden Korporierten und REPs zu, um sich deren Kundgebung anzuschließen. Mit dabei unter anderem Sven Skoda, der mutmaßliche Betreiber des Nationalen Infotelefons Rheinland, und Jens Hessler, der Betreiber eines neonazistischen Tonträgerversandes aus Lingen, aber auch Thomas Kubiak und Andree Zimmermann, die beiden nationalsozialistischen Führungskader der Sauerländer Aktionsfront (die die glorreiche Idee hatten, ihrem Leben ein Ende zu setzen, indem sie in der Nacht vom 21. auf den 22. November 1997 auf der A1 mit 160 Stundenkilometern unter einen Sattelschlepper rasten). Ein halbes Jahr zuvor hatte sich Kubiak, gerade durch die wohlwollende Revision eines Amtsgerichtsurteils durch das Landgericht Arnsberg einer 27monatigen Haftstrafe entronnen, bester Kontakte seiner Schlägertruppe zu den Marburger Burschenschaften Normannia-Leipzig, Rheinfranken und Germania gerühmt. Zimmermann, der sich am 14. September wie gewöhnlich als Anti-Antifa-Fotograf betätigte, bis der Naziaufmarsch getrennt von der "Demonstration in Würde” in einem eigenen Polizeikessel landete, dürfte mit seiner Anti-Antifa-Kartei ein Vorbild für entsprechende Betätigungen von Normannen und Rheinfranken abgegeben haben, die inzwischen ebenfalls dabei sind, Fotos von unliebsamen Linken zu sammeln.

Es ist nur der entschlossenen Gegenwehr von AntifaschistInnen zu verdanken, daß der 14. September 1997 mit einem Fiasko für die Rechte endete. Die Kundgebung des RHV fand mit wenig TeilnehmerInnen unter abstoßenden äußeren Bedingungen statt; Roeder und Godenau zogen sich bei Auseinandersetzungen mit Antifas Platzwunden und gebrochene Finger zu; die ca. 60 aufmarschierten Neonazis mußten vor der Heimfahrt zerstochene Autoreifen bzw. zersplitterte Autofenster auswechseln und einen ausgebrannten Wagen dem Abschleppdienst überlassen.

Dennoch zeigt der Nachmittag des 14. September deutlich, wer zu einer von Burschenschaftern organisierten Kundgebung erscheint. Zu denen, die "Vaterlandslosigkeit, den kriminellen Antifaschismus und Deutschfeindlichkeit” (Knütter) ablehnen, gehören eben viele: ParteisoldatInnen von CDU/CSU, REP und NPD ebenso wie nicht parteigebundene Korporierte und militante NazischlägerInnen. Dieses breite rechte Bündnis, das in Marburg ansatzweise erkennbar war, hatte Hans-Helmuth Knütter im Blick, als er versuchte, seine Burschenschafter in Jena auf Kritik von fortschrittlichen Kräften vorzubereiten: "Dabei soll man sich vom Geheul der Gegner und der Faschismuskeule, die sie zur Abwehr schwingen, nicht beeindrucken lassen. Wichtig ist es [...] vor allem [...], sich gegen Angriffe zu immunisieren. Nicht der Gegner ist stark, sondern die Feigheit in den eigenen Reihen ist des Gegners wichtigster Verbündeter.”

AntifaschistInnen aus Marburg