Eine etwas ausgefallene Examanesfeier

Am 27. 3. 97 erschien die Neue Osnabrücker Zeitung (NOZ) im Ortsteil mit der Schlagzeile „Nazi-Lieder im Haus der Burschenschaft Arkadia“.Das braune Gedankengut einer der Deutschen Burschenschaft angehörenden, schlagenden Verbindung war mehr zufällig an die Öffentlichkeit gekommen.

Die Tat

Ende März dieses Jahres feiern einige „junge Herren“ ihr bestandenes Examen. Angehende Juristen (Frauen sind beim „offiziellen“ Teil der Feier nicht zugelassen) prosten sich auf altertümliche Weise zu, trinken einige Bierchen und kommen in Stimmung. Noch einige Bierchen mehr, und die Bierlaune inspiriert einige der Anwe­senden, ein Lied erschallen zu lassen.

Schmuck sehen sie aus, die jungen Herren in ihrer akkuraten Kleidung. Etwas spießig vielleicht, aber schließlich handelt es sich um Juristen, die sehen meistens irgendwie „gezwun­gen“ aus. Die häufig anzutreffenden tiefen Narben in den Gesichtern stam­men allesamt von einem Männlichkeits­ritual, das sie Mensur nennen. Mit dem scharfen Schläger drischt Mann aufeinander ein, so will es die Satzung der erlesenen Schar. Den Kopf für den Bund hinhalten, so nennen sie es. Die Herren befinden sich auf dem Hause der Burschenschaft Arkadia Mittweida in Osnabrück. Einige Gäste stammen aus Münster, Han­nover und Aachen, ebenfalls Kor­porierte, die für das kleine Fest eigens nach Osnabrück gekommen sind.

Es ist spät geworden, die offizielle Feier (sie nennen es Kneipe) ist beendet. Wer jetzt noch im Hause ist, hat bereits ausgiebig Alkohol konsumiert. Alkohol löst bekanntlich Hemmungen, oder anders ausgedrückt: üblicherweise tabuisierte Handlungen werden öffentlich praktiziert. Von den auswärtigen Gästen angestimmt, erklingt ein weiteres Lied: „Die Fahne hoch, die Reihen fest geschlossen! SA marschiert mit ruhig festem Schritt“. Von der Melodie, vom Text oder beidem angeregt, stimmen weitere Herren in den Gesang ein. Das Lied erschallt wei­ter. „Die Straße frei den braunen Ba­taillonen! Die Straße frei dem Sturmabteilungsmann! Es schauen aufs Hakenkreuz voll Hoffnung schon Millionen. Der Tag für Freiheit und für Brot bricht an.“ Mehrmals wird das Lied gesungen. Wohl auch die drit­te Strophe: „Zum letzten Mal wird Sturm­alarm geblasen! Zum Kampfe stehn wir alle schon bereit. Bald flat­tern Hitlerfahnen über allen Straßen, die Knechtschaft dauert nur noch kurze Zeit.“

Ausgerechnet jetzt, wo die Herren so schön die Sau rauslassen, läßt sich ein Bursche von einer Bekannten abholen. Der Fux, der den ganzen Abend die Herrschaften bedienen mußte, erklärt noch: „Solche Lieder hört man üblicherweise nicht auf dem Haus“. Die Herren streiten sich derweil darüber, ob es sich bei der gesungenen Fassung um das Original oder einen abgewandelten Text handeln würde. Tatsächlich ist die ursprüngliche Fas­sung 1932 abgemildert worden. Im Ori­ginal heißt es in der dritten Strophe. „Bald wehen Hitlerfahnen über Barrikaden“. Die SA-Führung hatte das Lied verändert, um einem Verbot durch die Weimarer Behörden vorzubeugen.

Wer sich mit der durch die Nazis bewußt betriebenen Mythenbildung um den Korpsstudenten und SA-Führer Horst Wessel( beschäftigt, wird dies wissen. Das Lied singen, noch dazu in bierseliger Laune, wird er nicht. Wer das macht, für den scheinen SA und Nazis Vorbilder zu sein, denen er nacheifert.

Die Burschen von Arkadia reagieren auf eine Strafanzeige

Der Bursche, der sich unvor­si­chti­ger­weise abholen ließ, versucht sich in Scha­densbegrenzung. Mann werde die Ange­legenheit innerhalb des Bundes klären, der öffentliche Gesang von Nazi-Liedern könne nicht hin­ge­nom­men werden. Doch die Bekannte er­stat­tet Straf­anzeige. Sie möchte die An­gelegenheit öffentlich und nicht hin­ter ver­schlossenen Türen klären. Wenn aber der Bursche etwas scheut wie der Teufel das Weihwasser, dann ist es die Öffentlichkeit. Verfehlungen, wie sie es nennen, werden intern hinter verschlossenen Türen geklärt oder gar nicht. Und da nun mal die Straf­an­zeige vorlag, entscheidet sich der Bund für die Alternative „gar nicht“. Ab sofort befällt die ganze Truppe eine Form kollektiven Gedächtnisverlustes. Keiner hat etwas gehört, keiner hat etwas mitbekommen.

Die Alten Herren von Arkadia verbreiten Erklärungen, die nicht der Aufklärung des Vorfalles, sondern der Reinwaschung der Verbindung und der Vernebelung der Vorgänge dient. Ein Mitglied des Vorstandes des Alt­her­renverband der Arkadia gegenüber der NOZ: „...es (könne) sich nur um eine 'Privatveranstaltung' gehandelt ha­ben, denn es seien Semesterferien.“ We­nig später kom­men­tiert der Vor­sitzende der Alten Herren, Heinz-Her­mann Spie­ker, eine te­le­fonische Be­lei­digung der Zeu­gin durch einen Betei­ligten mit dem Hin­weis, die „Äu­ßerung des De­nun­zian­ten­tums sei in einem 'privaten Streit­ge­spräch' ... gemacht worden“. Die­ser Hinweis auf „private“ Vor­gän­ge, mit denen die Burschen­schaft da­her nicht in Ver­bindung gebracht wer­den dür­fe, er­scheint zunächst absurd. Denn je­dem normal den­kenden Men­schen ist es gleich­gültig, ob ein Mit­glied der Bur­schenschaft Arkadia pri­vat und be­sof­fen oder nüchtern und of­fi­ziell Nazi­lieder gröhlt. Wer Nazi­lie­der gröhlt, ge­hört so oder so vor den Kadi, und nicht in die Richter­robe!

Für einen Burschen handelt es sich jedoch um den entscheidenden Unter­schied. Das burschenschaftliche Tole­ranzprinzip ist nach innen, auf die eige­nen Mitglieder gerichtet. Wer sich den gemeinsamen Prinzipien unterwor­fen, wer durch den Mensurritus seine Mitgliedschaft erworben hat, der wird geduldet, toleriert, auch wenn er das Horst-Wessel-Lied singt. Nur muß das „privat“ geschehen! Dann ist alles in Ordnung.

Interessant ist in diesem Zusam­menhang eine weitere Äußerung Spiekers in der NOZ. „Auch wird nicht der Umgang mit rechtsradikalen oder nationalsozialistischen Gesin­nungs­trägern gepflegt“. Der Alte Herr hat offensichtlich keine Ahnung von dem, was im Verband der „Deutschen Burschenschaft“ (DB) geschieht, in dem Arkadia Mitglied ist.

Wie soll das stimmen, wenn auf of­fi­ziellen Treffen der DB öffentlich Na­zi­lie­der gegröhlt werden. „Wenn Bur­schen­schafter aus Österreich anläß­lich des Burschentages in Eisenach auf dem Berghof lachend z. B. das Engel­land-Lied 'Denn wir fahren gegen Engel­land' singen, so sind sie offenbar - und aus ihrer Sicht zu Recht - stolz über die damit zum Ausdruck kommende Wehr­bereitschaft, über die damit zum Ausdruck kommende Solidarität mit den Waffenbrüdern und Kampf­ge­nos­sen aus zwei Welt­kriegen und über ihr damit zum Ausdruck ge­brach­tes deutsches National­be­wußt­sein.“ (Botho Holzer (Suevia Leipzig Leipzig zu Köln 1952) in den Burschen­schaftlichen Blättern 4/96, S. 214)

Wie soll das stimmen, wenn der Vorsi­tzende der rechtsradikalen Republi­kaner, Rolf Schlierer, Alter Herr der Bur­schenschaft "Germania Gießen"; der Chefredakteur der Nazi-Postille "Na­tion und Europa", Karl Richter, Alter Herr der Münchner Bur­schen­schaft "Danubia München" ist?

Natürlich pflegen die Mitglieder von Ar­kadia die von Spieker abgestrit­te­nen Kontakte. Nur geschieht dies nicht als Aktion von Arkadia (Arka­dia läßt ein...), sondern wieder quasi pri­vat. Mann sieht sich auf Ver­bands­treffen, ist gemeinsam Mitglied in der DB, tauscht hinter ver­schlos­senen Türen gemeinsame, rechte Ge­sin­nungen aus! Spiekers Distan­zie­rung entpuppt sich auf plumpe Ver­dre­hung des Sachverhalts.

Reaktionen aus dem konservativen Lager

Zunächst distanziert sich Burkhard Jasper (CDU), Bürgermeister in der Stadt, von den Vorfällen. In der NOZ erklärt er, solche Vorgänge seien des­wegen zu verurteilen, weil sie ein schlech­tes Licht auf die vielen guten Korpo­rationen werfen würden. Er ver­gißt anzumerken, dass er selber Kor­porierter beim KDStV Alemania in Münster ist. Dieser Bund pflegt seit lan­ger Zeit freund­schaft­liche Kontakte zu AV Widu­kind in Osna­brück. Und die wiede­rum veranstaltet seit vie­len Jahren mit Ar­ka­dia Mittweida im Kaf­feehaus Oster­haus gemeinsame Kom­merse.

Unter Osnabrücker Kor­porationen sind die rechtsradikalen Ten­denzen bei Ar­kadia Mittweida ein of­fenes Geheim­nis. Das hat die anderen Kor­po­ra­tionen we­der von Kon­takten noch von gemein­sa­men Feiern abge­hal­ten. Burkhard Jaspers Di­stan­zierung ist der untaugliche Versuch, sich von seinen kor­porierten Freun­den aus aktuellem An­laß ein wenig ab­zu­setzen.

Der AStA unter der ideologischen Führung des RCDS hat erhebliche Ladehemmung, was eine öffentliche Er­klärung angeht. Ein Flugblatt des Refe­renten Lars Wort­mann vom 2. 4. fin­det sich beim AStA-Kopierer, zur Verteilung ist es wohl nicht gekom­men. Am 20. 4. dann, zu Führers Geburtstag, verteilt der AStA eine Erklärung, die sich hauptsächlich in der Wiedergabe von NOZ-Artikeln erschöpft. Zufall oder Absicht, dass die Gegendarstellung von Arkadia zu den Vorfällen in Originalgröße, die ande­ren Artikel dagegen auf kaum lesbare Größe verkleinert erscheinen. Die Marschroute lautet nun: "Der AStA begrüßt die Aufnahme von Ermitt­lungen der Staatsanwaltschaft Osna­brück zu diesem Vorfall. Falls sich bewahrheiten sollte, daß sich die ... neonazistischen Aktivitäten wirklich abgespielt haben, sollten gegen die Ver­antwortlichen alle rechts­staat­lichen Mittel zur Sanktion aus­ge­schöpft werden." Weiter empfiehlt der AStA, nicht in Korpo­rationen mit rechts­extremer Gesin­nung einzu­tre­ten.

Die RCDS-Gruppe Osnabrück, die den AStA inhaltlich dominiert, zählt in ihren Reihen wiederum Mitglieder des AV Widukind, der bis zu dem frag­lichen Vorfall freundschaftliche Bezie­hungen zu Arkadia unterhielt. Ja, sogar Mitglieder von Arkadia kan­di­dierten noch vor ein paar Jahren auf der RCDS-Liste zum Studieren­den­par­lament der Universität. Der RCDS weiß sehr wohl, was bei Arkadia für Gesin­nungen herrschen. Eine Distan­zierung ist wegen der alten gemein­samen Bande wohl nicht möglich.

Der Hinweis auf die Staatsanwaltschaft und rechtsstaatliche Sanktionen weist bereits den Weg, auf dem versucht werden soll, den Vorfall unter den Teppich zu kehren.

Was ist Öffentlichkeit?

Bereits wenige Tage nach dem Vorfall wurde klar, wie die Herren von Arkadia formal ohne Blessuren aus der Sache herauskommen könnten. Eine strafbare Handlung liegt juristisch nur vor, wenn die Tat in der Öffentlichkeit begangen wurde. Privat (nicht wahr, Herr Spieker), privat dürfen die Arkaden soviel Nazi-Lieder gröhlen, wie sie wollen. Da kann ihnen die Staatsanwaltschaft nichts, und die vom RCDS-AStA geforderte rechts­staatliche Sanktion (oder wollten sie die gar nicht?) heißt: Freispruch ohne Verfahren. Auf dieser Linie hätte die Staatsanwaltschaft die Angelegenheit wohl längst in aller Stille eingestellt, wenn nicht die jüdische Gemeinde in Osnabrück auf einer Strafverfolgung bestehen würde.

Die Forderung, sich von Arkadia zu distanzieren, wird immer wieder als Vorverurteilung abgelehnt. Dabei wird so getan, als stelle der Liederabend auf dem Hause von Arkadia nicht einen Ausdruck rechtsradikaler Gesinnung dar, sondern einen einmaligen Ausrutscher fröhlich-trunkener Aka­demiker. Auf dieser Linie lagen sowohl ein Antrag der GAL im Stu­dentInnenparlament (StuPa) wie die Stellungnahme der Lands­mann­schaft Marchia Berlin. Distanziert wird sich nur, wenn die Staatsanwaltschaft anklagt und verurteilt. Die wiederum klagt nur an, wenn die Sache öffentlich war. Die Katze beißt sich in den Schwanz!

Letzte Meldung

Das "Forum Junger Erwachsener" in der "Christlich-Jüdischen Gesellschaft" veranstaltet Ende Oktober ein Seminar unter dem Titel: "Bur­schenschaften: Vorurteile & Wahr­heit". In der Ankündigung der NOZ erklärt der Sprecher der Staats­anwaltschaft Osnabrück, Norbert Meyer, den 5 Monate zurückliegenden Vorfall: "Der Vorgang ist noch bei der Polizei und dort wird derzeit ganz gründlich ermittelt, ob während der fraglichen Veranstaltung Öffent­lichkeit vorhanden war". Dies sei die juristische Wunde, denn "momentan sieht es so aus, als ob es sich um eine geschlossene Gesellschaft gehandelt habe, aber die Ermittlungen laufen weiterhin auf Hochtouren".

Nix Öffentlichkeit, nix Verhandlung, nix Verurteilung! Dann ist ja alles in Ordnung. Zumindest für die Burschen, den RCDS-AStA, die GAL usw.!

Wenn es nicht Leute geben würde, die solcherart Gegenwarts­bewältigung nicht mitmachen. "Anarcho-Randalia" ist eine studentische Initiative, die seit Jahren zum Thema "Studentische Korporationen" arbeitet. Wir bringen sowohl die inhaltlichen, wie die per­sönlichen Zusammenhänge zwi­schen Korporationen und Rechtsextremisten an die Öffent­lichkeit. Unsere Ergeb­nisse veröffent­lichen wir einmal im Seme­ster in unse­rer Zeitung "Burschen Raus!" in Zu­sam­menarbeit mit Initiativen an ande­ren Unis. Wir berichten über die Ereig­nisse und Bezüge, über die interessierte Kreise gerne den Mantel des Vergessens breiten würden.


Kontakt Anarcho Randalia, c/o Antifa Archiv, Osnabrück, Postfach 1211

© Peter (AR!)