Buchbesprechung:

"Hitlers Wien, Lehrjahre eines Diktators"

von Brigitte Hamann, Piper Taschenbuch, München 1996, 26,90 DM

Die Vielvölkermetropole Wien und ihre politischen Strömungen und Akteure spielt als Brutstätte von Rassismus und Antisemitismus und als Ideen und Stichwortgeberin für den späteren "Führer" eine entscheidende Rolle. Brigitte Hamann arbeitet die wesentlichen Facetten heraus und setzt sie in Beziehung zu Aussagen in "Mein Kampf". Diese Vorgehensweise fördert verblüffende Parallelen zutage.

Brigitte Hamann beschreibt daneben die entscheidenden Einflüsse um die Jahrhundertwende, auf die österreichischen Universitäten. Eine Fülle von Details bietet dabei eine Fundgrube für weiterführende Nachforschungen. Obwohl die studentische Verbindungen vom Thema aus gesehen einen Nebenschauplatz darstellen, so gelingt es ihr dennoch, Zusammenhänge aufzudecken, die noch heute ihre Wirkung ausüben.

Bereits 1876 manifestiert sich an den Universitäten des Kaiserreiches der Antisemitismus. Aufhänger ist die Behauptung des Mediziners Prof. Theodor Billroht, es gebe zu viele jüdische Medizinstudenten.

"Die Deutschen Burschenschaften sahen sich nun legitimiert, ihre jüdischen, von Billroht als nicht >deutsch< qualifizierten Kommilitonen hinauszuwerfen. Schon 1877 führte die Burschenschaft Teutonia den >Arierparagraphen< ein, die anderen folgten. Die Burschenschaftler beriefen sich auf den Berliner Philosophen Eugen Dühring ..." (a.a.O. S. 473)

Nicht nur Adolf Hitler war ein glühender Verehrer des Führers der "Alldeutschen" Partei Georg Ritter von Schönerer. Schönerer führte den Bismarck-Spruch "Was deutsch ist, wird früher oder später zu Deutschland zurückkehren" im Munde und gab die Parolen "Los von Juda, Los von Rom" aus. Diesem Deutschnationalen "neuen 'Führer' schlossen sich die deutschen Burschenschaftler an, die die nationalen Ideale des Jahres 1848 hochhielten und ebenfalls von einem 'Großdeutschen' Reich träumten." (a.a.O. S. 342)

Als 1883 Richard Wagner stirbt, tritt Schönerer auf einem Trauerkommers der Burschenschaften in Wien auf, den er damit zu einer großen politischen Kundgebung aufwertet. (vgl. S. 344)

Schönerer ist der erste, der bereits 1885 seinem Parteiprogramm nachträglich und eigenmächtig einen Arierparagraphen anfügt und damit seine Anhänger zur Nachahmung animiert:

"Der 'Arierparagraph' macht rasch Schule: Die Deutschen Burschenschaften warfen ihre - ganz und gar deutschgesinnten - 'Juden' hinaus ... Im 'Waidhofener Beschluß' wurden Juden als nicht satisfaktionsfähig erklärt. Den Wortlaut dieses Beschlusses zitierte Schnitzler noch verbittert in seinen Erinnerungen:' Jeder Sohn einer jüdischen Mutter, jeder Mensch, in dessen Adern jüdisches Blut rollt, ist von Geburt aus ehrlos, jeder feineren Regung bar. Er kann nicht unterscheiden zwischen Schmutzigem und Reinen. er ist ein ethisch tiefstehendes Subjekt. Der Verkehr mit einem Juden ist daher entehrend; man muß jede Gemeinschaft mit Juden vermeiden. Einen Juden kann man nicht beleidigen, ein Jude kann daher keine Genugtuung für erlittene Beleidigungen verlangen.' " (a.a.O. S. 346)

Dieser unglaublich Schmutz machte Furore. Während Hitlers Wiener Zeit , d.h. bereits am 11. April 1908, konnte deshalb der "Niederösterreichische Turngau" mit einem festlichen Schauturnen zwanzig Jahre "Entjudung" feiern. (ebenda)

Ein weiterer Nationalist, der Reichratsabgeordnete Wolf, der Chef und Gründer der Deutschradikalen Partei war, machte u.a. besonders von sich Reden im Zusammenhang mit dem Kampf gegen die neue Vorschrift der Zweisprachigkeit für österreichische Beamte. Sie führte zu tumultartigen Ausfällen mit Handgreiflichkeiten im Parlament.

"Vor dem Reichsrat demonstrierten die deutschen Burschenschaftler und feierten ihre Helden." (a.a.O. S. 380)

"Wolf war der unbestrittene politische Führer der deutschen Burschenschaften." (a.a.O. S. 387)

"Er, der als wildester politischer Raufbold der Monarchie galt, bestärkte seine Burschenschaftler in ihrem alltäglichen Kampf gegen die nichtdeutschen Kommilitonen, vor allem in Prag. Hier diente der 'Bummel' deutscher Burschenschaftler über den Graben als bewährtes und sicheres Mittel, nationale Krawalle auszulösen." (a.a.O. S. 389)

Ungeachtet der eindeutig von den Burschen ausgehenden Provokationen brachte Wolf ständig Anträge im Reichsrat ein gegen die "Bedrohung" deutscher Studenten und der deutschten Minderheit in Prag, Begründung:

" 'Unsere deutschen Studenten haben ein unzweifelhaftes, ein durch Jahrhunderte erworbenes Recht, auf dem Boden der ältesten deutschen Universität ihre Farben zu tragen, ihr Deutschtum zu betätigen.' " (a.a.O. S. 390)

Von Burschen angezettelte Massenschlägereien mit Studierenden anderer Nationalitäten in Wien, bei denen u.a. Messer, Schlagringe, Totschläger sichergestellt wurden, hatten eine stetige Radikalisierung aller Studenten zur Folge. Im Jahre 1908 gab es mehrere Zusammenstöße von "deutschen" und jüdischen Studenten. Am 10 November endete eine solche Schlägerei "mit dem Einbruch der großen Steinrampe am Eingang der Universität und 60 Verletzten." (a.a.O. S. 392)

Das Fazit dieser Vorkommnisse zieht Stefan Zweig folgendermaßen:

" 'Was für den Nationalsozialismus die SA-Männer leisteten, das besorgten für die Deutschnationalen die Corpsstudenten, die unter dem Schutze der akademischen Immunität einen Prügelterror ohnegleichen etablierten und bei jeder politischen Aktion auf Ruf und Pfiff militärisch organisiert aufmarschierten. Zu sogenannten >Burschenschaften< gruppiert, zerschmissenen Gesichts, versoffen und brutal, beherrschten sie die Aula ... ' " (a.a.O. S. 393)

Das in vielen Aspekten anregende Buch von Brigitte Hamann enthält eine Fülle von Hinweisen für weitere Recherchen auch für den Bereich der Vorreiterrolle der österreichischen Burschenschaften, die bis heute auf ihr "Deutschtum" pochen.