Korporationen und Seilschaften
Sollten Salamander saumäßig saufenden Seilschaften sonntags Salzheringe servieren?
Der Artikel "Der Bund für Leben" aus dem Managermagazin (MM) hat den Burschen wohl gut gefallen. Schließlich druckten sie ihn Kommentarlos in den Burschenschaftlichen Blättern 8/75 nach. Dabei werden in dem Artikel wesentliche Elemente des Seilschaftsprinzips deutlich beschrieben. Gleichzeitig versucht Heinz-Klaus Mertes den Vorwurf des Protektionismus zu entkräften. Nachdem er einige Herren erwähnt, die in hohen Positionen sitzen und Verbindungsstudenten sind, führt er 3 Argumente an, die belegen sollen, daß Seilschaften in Wirklichkeit nicht existieren.
- Die Korporationen erweisen sich heute, bei näherem Hinsehen, als Papiertiger. Zumindest in Bezug auf die Wirtschaft sei dies der Fall. Er "vergißt" dabei, daß die Gesellschaft aus mehr als der Wirtschaft besteht. Da werden Bereiche wie Politik und Universität, Kirchen und Verbände einfach ignoriert. Wer in einer Gesellschaft Strukturen durchsetzen will, muß jedoch, wie es die Korporationen eben tun, überall präsent sein. So hatte der CV nach dem Sitzungsbericht der 97.Kartellversammlung alleine ca. 810 Professoren in seinen Reihen. In der Wahlperiode 1987-1991 der Deutschen Bundestages kam er allein auf über 30 Abgeordnete, und daß bei ca. 33.000 Mitgliedern, von denen ¼ noch als Studenten an der Uni waren und damit für solche Funktionen kaum in Frage kamen.1
Dabei finden sich Vertreter bestimmter Verbindungen in für sie typischen Bereichen wieder. Burschenschafter in der Wirtschaft, CV und KV in der Politik, wie die Londoner Financial Times vom 31.10.1988 treffend feststellt. Goppel, Strauß und Streibl waren nicht nur aufeinanderfolgende bayrische Ministerpräsidenten, sondern auch Korporierte. Hätte Mertes die gesellschaftliche Wirkung der Korporationen betrachten wollen, wäre die Behauptung vom Papiertiger wohl nicht gefallen. Aber wollte er das?
- Die Verbindungen seien kein Garant für eine gehobene Position in der Wirtschaft, sagt er. Das wird auch nicht behauptet. Unter Protektion wird allgemein verstanden, bestimmte Personen an freie Stellen zu hieven. Die Korporationen wirken als "door opener", als Eintrittskarte. Sie helfen ihren Mitgliedern, nach dem Studium schnell Fuß zu fassen. Mertes benutzt hier einen bekannten Rhetorik-Trick. Er stellt zunächst eine Behauptung auf, die weder stimmt noch von irgendwem aufgestellt worden ist, um sie sogleich zu widerlegen. Mit der Widerlegung der falschen Behauptung soll zugleich der Vorwurf des Protektionismus entkräftet werden. Wenige Zeilen später beschreibt er wichtige Gründe, die dazu führen, daß Korporierte bevorzugt eingestellt werden. So hätten sie den Vorteil, im "Schmelztiegel zwischen Jung und Alt, der Korporation heißt", "den nötigen Stallgeruch mitbekommen" zu haben. "Hierarchie und Komment" erzwängen "geradezu die Anpassung an die Denkweise der älteren Semester" und im "engen Umgang" mit "beruflich arrivierten Alten Herren" würden "sozialpsychologische Barrieren" abgebaut. Nicht anderes ist unter Vermittlung von angeblich so wichtigen Sekundärtugenden zu verstehen, die nach Ansicht von Korporationen hauptsächlich bei ihnen vermittelt würden und Voraussetzung für die Eignung als künftige Führungskraft sein sollen.2 Der Korporierte geht davon aus, daß sein Gegenüber, ist er Korporierte, diese Tugenden hat, die er so besonders schätzt – und stellt ihn ein. Das ist Seilschaft, auch wenn sie in stiller Übereinkunft stattfindet.
- Zum Schluß sei zu bedenken, daß auch andere Gruppen ihre Mitglieder gezielt in Arbeitsstellen hieven würden. Dieses Argument wird von Korporierten besonders gerne benutzt. Jede ihnen bekannte Partei verfahre so, Protektionismus sei gang und gäbe und bestimme den heutigen Alltag im Berufsleben. "Andere studentische Gruppen" nennt Mertes das.
Das Seilschaftsprinzip ist wegen seines antidemokratischen Charakters abzulehnen, unabhängig davon, wer es betreibt. Es ist daher gleichgültig, welche universitäre Gruppe dieses Spiel am erfolgreichsten im Bereich der Industrie spielt; nichts anderes beschreibt Mertes in seinem Artikel. Ob ehemalige VDS-Sprecher, Burschen oder Yuppieagenturen, sie betreiben alle diese Spiel und balgen sich um Plätze an der Sonne. Mertes scheint hier ein wenig Hilfestellung leisten zu wollen, mit dem Hinweis darauf, wo der Einstieg sinnvoll ist.
Er versucht mit den "Argumenten", die gerade bei den Korporationen beliebt sind, den Vorwurf des Protektionismus zu entkräften. Das muß schiefgehen, weil er die zentrale Kritik ignoriert, den antidemokratischen Charakter von Seilschaften. Mit dem Selektionsmittel "Korporation" werden die Chancen von Korporierten und Nichtkorporierten von Anfang an ungleich verteilt. Mit dieser ungleichen Chancenverteilung sollen, wie Kanther so treffend feststellte, "national gesinnte Menschen in alle führenden berufe unserer Gesellschaft entsandt" werden, wobei mit "Menschen" Männer gemeint sind. Oder anders ausgedrückt: Die herrschenden Klasse bildet in den Korporationen gezielt "Führungskräfte" zur Durchsetzung ihres Herrschaftsanspruches aus. Die Auslese garantiert den bereitwillig, die herrschenden Zustände uneingeschränkt bejahenden Funktionär.
Warum der in den letzten Jahren häufiger in der Politik und der Bildung als in den Führungsetagen der Wirtschaft vorzufinden ist, hat sicher etwas mit der verstärkten Bedeutung des Staatssektors in heutigen Volkswirtschaften zu tun. Sie verschwinden nicht, wie Mertes suggerieren möchte, sie passen sich nur den neuen Verhältnissen an. Der "Lebensbund" funktioniert immer noch prächtig.
Peter
1 nach Ehm, Heither, Schäfer: Füxe, Burschen, Alte Herren, Bonn, 1992, S.309
2 Am bekanntesten ist hier die Äußerung von Herbert Kessler im Konvent 9/1985: "Zum Natur- oder zum Geistes- oder Gesellschaftswissenschaftler, zum Mediziner oder zum Techniker wird man an der Hochschule ausgebildet – zum Akademiker aber bildet man sich im Lebensbund heran." Ähnlich lautet es in der Fuxenfibel des Technischen Cartell-Verbandes vom März 1992: "Die Jugend sollte sich bei den Korporationen vor allem in dem Spielregeln der Gesellschaft und des berufes einüben ... Für das Fachwissen sorgt die Schule, für das ‚Andere‘ steht die Verbindung. Gemeinsame Arbeit in gleichgesinnter Gemeinschaft." Die Blätter des Coburger Convents beschreiben den Vorgang so: "Der Akademiker selbst erwartet von sich, in Führungspositionen aufzurücken. Dies aber ist ohne Leistungs-, Fürhungs- und Verantwortungsbereitschaft ... nicht oder doch nur sehr bedingt möglich. Andererseits vermittelt gerade die Hochschule diese Fähigkeiten .. nicht, ja sie verlangt sie auch nicht. Der (zukünftige ) Akademiker ist darauf angewiesen, diese Fähigkeiten sich selbst zu ‚besorgen‘. Aber wo? Das einzige wirkliche Angebot .. sehe ich in der studentischen Korporation." (CC Blätter 4/89)