"... ich bin wahnsinnig froh, dass ich draussen bin und wie ich hier empfangen werde. es ist alles noch etwas unwirklich für mich.
ich möchte mich zuerst ganz herzlich bei allen bedanken, die dazu beigetragen haben, dass ich jetzt frei bin.
es zeigt, dass es trotz allem eine sensibilität gibt in der gesellschaft gegen den staatlichen versuch, uns und unsere kampfgeschichte von mehr als zwanzig jahren wegzunormalisieren.
das ist nicht das ende von sonderjustiz.
es gibt in der bundesrepublik hunderte von politischen gefangenen in den knästen, zehn davon aus unserem zusammenhang, die seit jahrzehnten sitzen.
das sind
rolf heissler in frankenthal
christian klar in bruchsal
brigitte mohnhaupt in aichach
in schwalmstadt helmut pohl und
rolf-clemens wagner
in köln heidi schulz und sieglinde
hofmann
in frankfurt eva haule und
birgit hogefeld, die jetzt prozess hat
und in münster stefan wisniewski.
lasst uns jetzt unsere kräfte zusammenbringen, damit sie alle rauskommen.
zum schluss möchte ich noch ganz herzlich alle gefangenen grüssen, die ich hier zurücklassen muss."
Ca. 60 Menschen hatten sich versammelt, als Hanna Krabbe am 10. Mai endlich, nach mehr als 21 Jahren Haft, rauskam.
Wir freuen uns!
Die vier ehemaligen Gefangenen ausLübeck - Gabi Rollnick, Hanna Krabbe, Irmgard Möller, Christine Kuby
montevideo, 10. mai 96
LIEBE HANNA
heute wirst du wieder durch die strassen gehen, in diesem frühling des nordens, den wir aus der verarmten hemisphäre beneiden.
du wirst sehen, dass die welt gleichgeblieben ist, ein bisschen gealtert und ein bisschen desillusioniert. du wirst sehen, dass die opulenten bäuche noch opulenter geworden sind als vorher und dass die armen jetzt ganz absolut arm sind.
wenn es dir hilft, dem leben gegenüberzutreten, wollen wir, dass du weisst, dass wir die hoffnung von hier aus hochhalten und die fahne, die zu einem gutteil auch aus deiner kraft, deiner beharrlichkeit und aus deiner überzeugung - dieser schönen art, frau und kämpferin zu sein - besteht,
kurz, es gibt uns die kraft zu wissen, dass du da bist.
wir lieben dich hanna!
es wird ein vaterland für alle geben!
am montag, 13.5., fand in der roten flora in hamburg eine veranstaltung zum widerstand gefangener frauen in den usa statt.
zu beginn erklärten die veranstalterinnen, hebe chrystos (indigena, selbst in den usa im knast gewesen) und bo (weisse, lesbische schriftstellerin), dass dieser abend hanna krabbe gewidmet ist.
"welcome home".
Vom 24. April an trat der Gefangene Peter Wagner in Willich für drei Tage in einen Hungerstreik. Er schrieb in einer Erklärung u.a.:
"Ab heute trete ich in den Hungerstreik, für drei Tage, um Hanna Krabbe im Kampf um ihre Freilassung und die Freilassung aller politischen Gefangenen zu unterstützen.
Freiheit für Hanna Krabbe!! (...)"
Am 10. Mai sollte im Nürnberger Kommunikationszentrum KOMM eine Diskussionsveranstaltung zum 20. Todestag von Ulrike Meinhof stattfinden. Nachdem die Selbstverwaltung des KOMM ohne Gegenstimmen die politische Unterstützung der Durchführung der Veranstaltung beschlossen hatte, beschloß der Wirtschafts- und Rechtsausschuß der Stadt Nürnberg, Druck auf das halb städtische, halb selbstverwaltete KOMM auszuüben, um die geplante Veranstaltung unter dem Motto "Glaubt den Lügen der Mörder nicht!" zu kippen. Dem KOMM wurde eine Abmahnung angedroht, wenn es nicht verhindert, daß die Veranstaltung in ihren Räumen stattfindet. Das Sekretariat, welches sich aus städtischen und von der Selbstverwaltung gewählten Angestellten zusammensetzt, kündigte uns dann nach einer mehrheitlichen Abstimmung in vorauseilendem Gehorsam die Räume für die Veranstaltung, wogegen wir am nächsten Tag vor Gericht klagten. Außerdem gab es eine gut besuchte Pressekonferenz. Die einstweilige Verfügung gegen die Kündigung wurde vom Amtsgericht mit der Begründung abgelehnt, daß es uns zuzumuten sei, andere Räumlichkeiten zu finden. Diese fanden wir auch zu guter Letzt in einem nicht-städtischen Kulturzentrum. Dies konnten wir am Abend auch vor zahlreichen laufenden Fernsehkameras der Presse vor dem KOMM bekanntgeben.
Das KOMM hatte indessen in weiterem vorauseilendem Gehorsam für diesen Abend alle Veranstaltungen und Konzerte abgesagt und das ganze Haus geschlossen.
Die Veranstaltung mit Ali Jansen konnte dann ohne weitere Unannehmlichkeiten mit ca. 150 interessierten BesucherInnen durchgeführt werden. Erfreulich war auch das ungewöhnliche Zustandekommen einer recht lebhaften, teilweise auch kontroversen Diskussion über die Geschichte der bewaffneten Linken in der BRD - insbesondere das Konzept und die Praxis der RAF von ihren Anfängen bis heute - und welche Schlüsse daraus zu ziehen sind.
Insgesamt war die Veranstaltung politisch ein Erfolg. Zum einen gelang es uns, trotz massiven Behinderungsversuchen die Veranstaltung nach unseren Bedingungen politisch durchzusetzen und durchzuführen, und zum anderen hatten wir eine relativ große Öffentlichkeitswirkung auch über die Lokalpresse hinaus, wo sie auch nicht daran vorbeikamen, die Todesumstände von Ulrike noch mal zu thematisieren.
Am KOMM hängt jetzt übrigens ein neues Transparent: "KOMM war KOMM!"
Nürnberger Infobüro für die Solidarität mit den politischen Gefangenen
c/o Bücherkiste, Schlehengasse 6, 90402 Nürnberg, Tel. 09 11/ 2 44 74 74, Fax 09 11/ 22 65 98
Wir dokumentieren im folgenden das Flugblatt zur Nürnberger Veranstaltung, eine Presseerklärung des Infobüros sowie der Roten Hilfe Nürnberg, Fürth, Erlangen.
Flugblatt zur Veranstaltung
(...)
Am 8. Mai 1996 jährt sich der Todestag von Ulrike Meinhof zum 20. Mal. Ulrikes politische Geschichte begann in den 50er Jahren. Sie war bis zum Verbot in der KPD organisiert1, kämpfte gegen die Wiederbewaffnung der BRD und engagierte sich in der außerparlamentarischen Opposition gegen die Notstandsgesetze und den Krieg in Vietnam. Sie arbeitete als Journalistin bei der Zeitschrift Konkret, dem damaligen Sprachrohr der APO; ihr Film "Bambule" durfte erst nach 24 Jahren im deutschen Fernsehen gezeigt werden.
Am 14. Mai 1970 beteiligte sie sich an der Befreiung von Andreas Baader und gründete mit GenossInnen die Rote Armee Fraktion (RAF). Die RAF hatte sich zum Ziel gesetzt, die revolutionären Vorstellungen, welche in der StudentInnenbewegung entwickelt worden waren, konsequent in die Tat umzusetzen. Das hieß, den bewaffneten Kampf gegen den Imperialismus in der Metropole BRD zu beginnen.
Nachdem die Gruppe eine militärische Ausbildung bei palästinensischen GenossInnen gemacht hatte, war sie in der Lage, vor allem im Mai 1972 mehrere große militärische Angriffe durchzuführen. Der bekannteste Anschlag richtete sich gegen das amerikanische Headquarter in Heidelberg. Durch die Zerstörung des dortigen Zentralcomputers konnten für zwei Tage die Bombenabwürfe auf das vietnamesische Volk unterbrochen werden.
Noch im nächsten Monat wurden mehrere KämpferInnen der RAF verhaftet und sofort extra dafür geschaffenen Sonderbedingungen unterworfen. Auch Ulrike wurde nach einer Denunziation am 15. Juni 1972 verhaftet. Sie wurde in Köln-Ossendorf fast 9 Monate durch totale Isolation gefoltert. Damit sollte nicht nur ihre körperliche Gesundheit, sondern auch ihre Identität als kämpfende politische Frau zerstört werden, was ihnen aber nicht gelang.
Vor ihrem Tod waren Ulrike und die anderen Gefangenen dabei, den Stammheimer Prozeß gegen sie politisch zum Angriff auf die BRD umzudrehen. Ihre Prozeßerklärungen konnte Ulrike nicht mehr fertigstellen und veröffentlichen.
Sie starb in der Nacht vom 8. auf den 9. Mai 1976 im Hochsicherheitstrakt Stuttgart-Stammheim. Im Ausland glaubte niemand den Aussagen des deutschen Staatsschutzes, daß Ulrike Selbstmord verübt hätte. Auch der Bericht einer damals gebildeten Internationalen Untersuchungskommission geht davon aus, daß Ulrike bereits tot war, als sie aufgehängt wurde, und daß sie zudem vor ihrem Tod auch noch vergewaltigt wurde. Das Aussprechen ...2 wird in der BRD jedoch bis heute kriminalisiert und verfolgt.
Ulrike ist Teil unserer Geschichte, einer Geschichte des antifaschistischen Widerstands gegen Krieg und Imperialismus, und als solche lebt sie in unseren heutigen Kämpfen gegen Unterdrückung und Ausbeutung weiter. Wir wehren uns daher auch mit dieser Veranstaltung gegen jeglichen Versuch von seiten ehemaliger Linker wie z.B. Klaus Wagenbach, Ulrike im Nachhinein wieder in die Gesellschaft zurückzuholen, indem sie von der guten Journalistin sprechen, die nur in "böse terroristische Kreise" kam.
Freiheit für alle politischen Gefangenen!
Krieg dem imperialistischen Krieg!
UnterstützerInnen: Nürnberg: ira, autonome antifa, antifa-plenum, antifaschistische aktion, schwarzfunk / radio z, anarchia si, PDS, ag-junge genossInnen, libresso, bücherkiste, komm e.V., organisierte autonomie, müllers antifa; Fürth: welt- und infoladen mühsam; rote Hilfe nbg/fürth/erlangen
Veranstalter: Infobüro für die Solidarität mit den politischen Gefangenen
(1) Ulrike war nicht bis zum Verbot in der KPD organisiert, sondern in der illegalen KPD tätig.
(2) Das Info wird zensiert. Damit greift die Bundesanwaltschaft als Zensurbehörde in die freie Bildung der öffentlichen Meinung ein; die Zensur hindert uns, manche Aussagen, vor allem Tatsachenbehauptungen über die Todesumstände von Ulrike Meinhof und anderen Gefangenen aus der RAF, die den staatlichen Aussagen widersprechen, abzudrucken. Die Auslassungen in diesem und im nächsten Dokument sind durch (...) gekennzeichnet. (Anmerkung des Verlags)
Auch nach 20 Jahren reagiert die BRD empfindlich auf das Ansprechen der bis heute nicht zweifelsfrei geklärten Todesumstände - nicht nur von Ulrike Meinhof
Angesichts des 20. Todestags von Ulrike wird wieder einmal von verschiedenen Seiten versucht, Ulrikes Geschichte, ihr Leben und Tun für die eigenen Interessen zu vereinnahmen. In den unterschiedlichsten Medien von Konkret bis taz, Woche, FR und SZ werden einzelne von Ulrike in der Konkret geschriebene Artikel herausgegriffen, um sie in Widerspruch zu stellen zu ihrer Entscheidung, in die Illegalität zu gehen und die RAF mitzugründen. Bis heute hat die intellektuelle Linke es nicht verkraftet, daß eine von ihnen diesen konsequenten Schritt getan und sie so auch mit ihrer eigenen Verantwortung für das Geschehen oder Nicht-Geschehen der Verbrechen des Imperialismus konfrontiert hat. Natürlich hielten sie von Anfang an an dem Märchen fest, daß Ulrike diesen Schritt unter dem Druck der Gruppe gemacht hat, daß sie sich vereinnahmen ließ, bis hin zu der infamen Behauptung, die Gruppe habe sie in den Tod getrieben.
Etwas anderes ist es, wenn Leute heute versuchen, die Geschichte authentisch zu vermitteln, und dazu ausschließlich Menschen einladen als Referenten, die damals gekämpft haben und noch heute zu diesem Kampf stehen und nicht bereit sind, ihn - wie es Mode wurde unter gewendeten Linken - auf den Müllhaufen der Geschichte zu werfen. Hier kommt von interessierter Seite sofort der Vorwurf der einseitigen Agitation auf, wie er von Rechtsreferent Frommer und diversen Stadtratsmitgliedern in den Medien erhoben wurde.
Nachdem sie das KOMM schon lange auf Linie bringen, die unbequemen politischen Gruppen darin rausekeln oder drastisch beschneiden wollen, kommt ihnen dieser Anlaß gerade recht, das KOMM gegen diese politischen Gruppen auszuspielen.
Anstatt selbst mittels eines Verbots o.ä. administrativ und polizeilich vorzugehen gegen die Veranstaltung (die rechtliche Grundlage für ein solches Vorgehen wäre allerdings mehr als fragwürdig), verfallen sie auf die perfide Idee, doch dem KOMM einfach einen etwas schärfer klingenden Brief zu schicken und zu drohen. Obwohl sie sich eine juristische Begründung sparen, geht ihr Kalkül auch auf, was das KOMM bzw. dessen Sekretariat betrifft. Das Sekretariat kündigt uns die Überlassung der Räume für die Veranstaltung und setzt sich damit auch über den Beschluß der Selbstverwaltung hinweg, die Veranstaltung politisch zu unterstützen.
Den vorauseilenden Gehorsam des KOMM-Sekretariats verurteilen wir als politisch fatal im Hinblick auf zukünftige Veranstaltungen dieser Art. Das dahinterstehende Denken, stillzuhalten, damit nichts Schlimmeres passiert, hat sich in der Geschichte immer als Fehleinschätzung mit katastrophalen Folgen erwiesen.
Wir werden daher auch rechtliche Schritte gegen diese Kündigung unternehmen, da wir sie nicht nur als unbegründet, sondern auch juristisch als haltlos ansehen.
Bis heute wird strafrechtlich verfolgt, wer nach genauer Würdigung der Todesumstände und deren Vorgeschichte von Mord spricht. So wurde erst vergangene Dienstag ein Feature über Ulrike Meinhof im Deutschland-Radio abgesetzt, weil eine der befragten Zeitzeuginnen von der Ermordung Ulrikes sprach. Dieser rigide Umgang ... reiht sich nahtlos in die diversen Strafverfahren gegen linke Zeitungen, gegen Veranstaltungen, gegen linke Verlage usw. Ein.
Ulrike hat ihrer Schwester bei einem Besuch im Köln-Ossendorfer Knast einmal gesagt:
"Nur solange einer lebt, kann er aufstehen und kämpfen. Wenn du hörst, ich hätte mich umgebracht, dann kannst du sicher sein, es war Mord!"
Eine internationale Untersuchungskommission, die ihren Tod untersuchte, kommt zu dem Ergebnis:
"Die Behauptung der staatlichen Behörden, Ulrike Meinhof habe sich durch Erhängen selbst getötet, ist nicht bewiesen, und die Ergebnisse der Untersuchungen der Kommission legen nahe, daß sich Ulrike Meinhof nicht selber erhängen konnte. Die Ergebnisse der Untersuchungen legen vielmehr den Schluß nahe, daß Ulrike Meinhof tot war, als man sie aufhängte, und daß es beunruhigende Indizien gibt, die auf das eingreifen eines Dritten im Zusammenhang mit diesem Tod hinweisen ... ist jeder Verdacht gerechtfertigt angesichts der Tatsache, daß Geheimdienste - neben Gefängnispersonal - Zugang hatten zu den Zellen des 7. Stocks, und zwar durch einen getrennten und geheimen Eingang."
Nach wie vor hat die staatliche Vernichtungspolitik die Zerstörung der ... Identität jeder antagonistischen Opposition zum Ziel. Nach wie vor hält dieser Staat Menschen aus der RAF seit Jahrzehnten gefangen, nach wie vor steckt der Staat kämpfenden Menschen in den Knast und unterwirft sie der - nicht nur von der UNO - angeprangerten weißen Folter der Isolation und Einzelhaft. Dies betrifft auch aktuell über 300 KurdInnen, die hier für ihre Rechte eintreten und die deutsche Unterstützung des faschistischen türkischen Regimes bei der Vernichtung des kurdischen Volkes anklagen und dagegen protestieren.
Es betrifft aber auch AntifaschistInnen, die sich gegen den gesellschaftlichen und staatlichen Rassismus organisieren und Widerstand leisten. Mit ihrem gesetzlich geschaffenen Instrumentarium von Sonderparagraphen, Sonderhaftstatuten, Kontaktsperregesetz, 24-Punkte-Programm und einem paramilitärischen Polizeiapparat gehen sie gegen jeglichen Widerstand und Protest vor, wie erst vergangenen Mittwoch in Gorleben und Umgebung beim blutigen Durchpeitschen des Castors. Dabei sind auch Massenverhaftungen mittlerweile keine Besonderheit mehr und werden in den Medien und der Öffentlichkeit nur noch beiläufig erwähnt. Die Verhältnisse sind im Vergleich zu früher keinen Deut besser oder demokratischer geworden, im Gegenteil, nur die Manipulation durch die Medien hat sich wesentlich perfektioniert im Gegensatz zu früher, und im Gegensatz zu früher ist die Zahl derer, die gegen diese herrschenden Verhältnisse grundsätzlich aufbegehren und Widerstand leisten, sehr stark geschrumpft. Auch von einer liberalen Öffentlichkeit kann nichts mehr erwartet werden, weil sie als solche nicht mehr existiert. Diese und andere Feststellungen sollen im Vergleich der damaligen und heutigen Verhältnisse heute mit unserer Veranstaltung thematisiert werden. Dazu gehört auch, die Entwicklung bis heute kritisch und selbstkritisch zu reflektieren, nicht mit dem Ziel, die revolutionäre Geschichte abzuschließen, sondern um daraus zu lernen für zukünftige Kämpfe.
Aktuell geht es uns auch darum, daß der Kampf für die Freiheit der politischen Gefangenen weltweit in den unterschiedlichen Kämpfen gegen die herrschenden Verhältnisse als selbstverständlicher Teil begriffen und verankert wird.
Das staatliche Kalkül teile und herrsche kann nur durch unsere Solidarität gebrochen werden.
"Politisierung heißt Aufklärung über Machtverhältnisse, über Besitzverhältnisse, über Gewaltverhältnisse." (Ulrike Meinhof)
Presseerklärung des Infobüros vom 10. Mai
Erklärung derRoten Hilfe
Die Rote Hilfe, Ortsgruppe Nürnberg, Fürth, Erlangen, wendet sich entschieden gegen das faktische Verbot der Veranstaltung zum 20. Todestag von Ulrike Meinhof. Auch wenn ein direktes Verbot nicht ausgesprochen wurde, so stellt die Kündigung eines gültigen Mietvertrages auf politischen Druck der CSU ein Mittel staatlicher Willkür und Repression dar. Die Einlassungen des Fraktionsvorsitzenden Gsell, mit der Unterstützung der Veranstaltung verlasse der Komm e.V. den Boden der Verfassung, sind eine Lächerlichkeit sondergleichen, denn wann nahm die CSU die Verfassung jemals ernst? Ohne auf die verfassungsmäßige Unversehrtheit von Leib und Leben - die für kurdische Flüchtlinge ohnehin nicht gilt - eingehen zu wollen, sei nur an die unsäglichen Proteste der CSU gegen das sogenannte "Kruzifix-Urteil" des Bundesverfassungsgerichts erinnert.
Der inkriminierte Teil des Flugblatts der Veranstalter "Glaubt den Lügen der Mörder ist" ist ein Zitat von Holger Meins. In diesem Zusammenhang verweisen wir auf den Bericht der Internationalen Untersuchungskommission zum Tode Ulrike Meinhofs.
Darin heißt es u.a.: "Das Resultat der dargelegten Untersuchungen ist notwendigerweise die Annahme, daß Ulrike Meinhof aufgrund von Fremdeinwirkung starb. Hiermit wird die Frage zentral, wer in der Nacht vom 8. auf den 9.5.76 Zugang zur Zelle von Ulrike Meinhof haben könnte; eine Frage, der die Staatsanwaltschaft zu keinem Zeitpunkt ihrer Ermittlungen nachgegangen ist."
In einer Stellungnahme englischer Ärzte finden wir die Passage: "Chemische Untersuchungen (der Unterhose von Ulrike Meinhof) auf Samenflüssigkeit hatten laut behördlicher Beschreibung ein positives Ergebnis ..."
Der Neuro-Psychiater Dr. H.J. Meyer, Mitglied der Untersuchungskommission, sagt anhand seiner Feststellungen aus: "Ein über alle Zweifel erhabener Beweis dafür, daß Ulrike Meinhof bei ihrer Erhängung noch lebte, ist nicht erbracht worden. Dagegen kann der Beweis erbracht werden, daß sie zu diesem Zeitpunkt nicht mehr leben konnte."
Es ist müßig, weitere Fakten zu diesem Tatbestand zu zitieren. Nur, was von führenden Politikern aller Parteien damals - und auch noch heute - diesbezüglich an faschistoidem Gedankengut verbreitet wurde, dafür mag das Bekenntnis von Walte Becker, CSU, stehen: "Bei weiterer Eskalation des Terrors sollte dann auch mit den Häftlingen in Stammheim kurzer Prozeß gemacht werden."
Des weiteren ist in dem Flugblatt der Veranstalter hauptsächlich der politische Werdegang von Ulrike Meinhof dargestellt, der einen wichtigen Faktor deutscher Nachkriegsgeschichte bildet, und keineswegs der - Zitat Gsell - "Verherrlichung einer Gewaltverbrecherin" dient.
Herr Gsell und seine Partei glänzen an diesem Punkt mit eklatanten Wissenslücken. Es ist für uns offensichtlich, daß die CSU-Stadtratsfraktion nur einen populistischen Vorwand konstruiert, um dem Komm e.V. die lang geplante und heiß ersehnte Kündigung aussprechen zu können. Im Namen der Roten Hilfe wenden wir uns gegen die Ausschaltung der verfassungsmäßig garantierten Meinungsfreiheit, solidarisieren uns mit den VeranstalterInnen, fordern vom Sekretariat des Komm die Einhaltung seiner mietvertraglichen Pflichten ein und protestieren aufs Entschiedenste dagegen, daß künftig nur noch bürgerlich genehme Veranstaltungen im Komm zugelassen werden.
Eine Zensur findet doch statt!
Rote Hilfe Ortsgruppe Nürnberg/Fürth/Erlangen
Mehrere Male haben wir über Ivan berichtet. Zuletzt in den Ausgaben 174 und 175.
Am 26.10.95 war er von Bruchsal nach Straubing verlegt und dort im Hochsicherheitstrakt isoliert worden. Wir veröffentlichen Auszüge aus einem Brief Ivans vom 29. April:
... Meine sämtlichen Anstrengungen für das Projekt zur Kommunikation sind ausgebremst worden. Unter der hermetischen "Käseglocke" ist jede vernünftige und konstruktive Verständigung für mich unmöglich geworden. Eine Schlacht mehr für das System ...
Was mich betrifft, hier die vergangenen Ereignisse:
- Bis zum 20.3. war ich 44 Tage im Streik, lebte nur von Wasser und Brot. Es brachte allerdings keine wesentliche Änderung dieser Situation. Ab dem 3.4. darf ich 2 x 1 Std. Pro Woche mit einem Mitgefangenen unter 2facher Bewachung Tischtennis spielen. Außerdem an 3 Tagen à 3 Stunden pro Woche TV-glotzen. Das ist alles. Keine Verlegung in den Regelvollzug, keine Zwischenmenschlichkeit im täglichen Leben. Bin weiterhin im HS-Trakt und verweigere weiterhin, was möglich ist.
Seit dem 9.4. bin ich wieder im Hungerstreik, also nur mit Wasser als Nahrungsmittel. Wenn bis zum 1. Mai keine regulären Bedingungen ermöglicht werden, dann trete ich am 1. Mai in den Durststreik. Wie es derzeit aussieht, kann es tödlich ausgehen. Mir bleibt aber keine Alternative. Es muß einfach mal auf die HS-Trakte aufmerksam gemacht werden. Die Werkzeuge müssen abgeschafft werden.
Nun, um noch was zu mobilisieren, ist es zu spät, denn einen Durststreik kann man nicht prognostizieren - zumal mein ganzer Vitamin- und Mineralienhaushalt restlos aufgebraucht ist, es also relativ leicht zu Funktionsstörungen und Aussetzern der Organe kommen kann (und ich wurde ja bereits nach dem Ausbruch im Oktober 1991 durch drei Kugeln schwer verletzt, wobei von den Nieren dezimiert wurde etc.), - aber falls ich beim Streik draufgehe, dann ist die Aufmerksamkeit auf den Straubinger HS-Trakt gelenkt - dann sollte das entsprechend genutzt werden.
Also, sollte es schiefgehen, dann war's das gewesen, andernfalls erfährst Du es. Auf alle Fälle danke für die Solidarität und Grüße an R. und alle Genossinnen.
Adios! - Ivan
Wie wir von seinem Rechtsanwalt Adler aus Hannover erfuhren, befindet sich Ivan jetzt im Haftkrankenhaus. Schreibt ihm. Seine Adresse:
Äußere Passauer Str. 90
904315 Straubing
Protestiert beim Anstaltsleiter gegen seine Haftbedingungen.
Weitere Informationen erhaltet Ihr vom
Infobüro Nürnberg, c/o Bücherkiste, Schlehengasse 6, 90402 Nürnberg
(Red.)
Am 7. Mai 1996 bin ich im Verfahren gegen Klaus Steinmetz ("Unterstützung einer terroristischen Vereinigung" u.a.) als Zeuge vor die Bundesanwaltschaft (BAW) geladen.
Wenige Tage nach Bad Kleinen, im Juli 1993, sagte der Verfassungsschutz-Agent Klaus Steinmetz vor der Bundesanwaltschaft aus, ich sei die Person gewesen, die ihm den Kontakt zur RAF verschafft habe. Daraufhin leitet die BAW gegen mich ein Ermittlungsverfahren ein wegen "Mitgliedschaft in der RAF".
Es klang plausibel, daß die Geschichte mit dem RAF-Konstrukt an meiner Person aufgehängt wurde. War ich doch in den 80er Jahren in der RAF organisiert, saß deshalb mehrere Jahre im Gefängnis und wohnte im Sommer 1990 bis Herbst 1992 mit Klaus Steinmetz in einer Wohngemeinschaft in Wiesbaden.
Trotz dieses Vorwurfs befand ich mich während der 18monatigen Ermittlungszeit die ganze Zeit auf freiem Fuß. Im Dezember 1994 wurde das Verfahren dann eingestellt - mit einer Begründung, die nur einen Schluß zuläßt: Selbst die BAW hält diese Steinmetz-Aussagen für unglaubwürdig.
Nach Bad Kleinen ermittelt die BAW gegen Steinmetz wegen Mitgliedschaft in der RAF. Steinmetz macht in diesen Tagen widersprüchliche Angaben zu seinem Wissen über die Sprengung der JVA Weiterstadt. In den anschließenden Vernehmungen bekommen die Ermittlungsbehörden von dem Agenten nur leichte Kost serviert. Kaum konkrete Namen, keine konkreten Taten - fast nichts aus dem Wissen oder vermeintlichen Wissen der über neunjährigen Tätigkeit. Nach einem Wink aus Bonn wird das Verfahren Anfang 1994 eingestellt; die Ermittlungen gehen allerdings weiter.
Sein Computer, sein Auto, sein Motorrad samt Zubehör werden beschlagnahmt. Das Motorrad und die dazugehörenden Taschen spielten in den folgenden Monaten die Hauptrolle. Über angebliche Sprengstoffunde in den Koffern und einen unterstellten Zusammenhang zu Weiterstadt streben die Ermittlungsbehörden BKA und BAW gezielt ein Verfahren gegen Klaus Steinmetz an. Sie wollen ihn, der sich in der Obhut des Verfassungsschutzes befindet, noch einmal verhören. Sie wollen endlich das gleiche Wissen, über das der Verfassungsschutz verfügt. Die bekannten Mittel (ich erinnere nur an die Ehemaligen aus der RAF, die in der DDR lebten): eine Person so stark unter Druck setzen, damit sie die gewünschten Aussagen macht. Die Kronzeugen-Regelung.
Die BAW will Steinmetz zum Kronzeugen machen, damit die Zeit zwischen 1989 und 1993 an konkreten Personen aus dem RAF-Zusammenhang in Strafprozessen abgerechnet werden kann.
Nachdem sie im Dezember 1995 das Verfahren gegen Steinmetz eröffnen konnten und mit einem "nationalen Haftbefehl" dem Verfassungsschutz ihre Entschlossenheit signalisierten, kommt es im März 1996 zu einer erneuten Vernehmung. Steinmetz, vom Verfassungsschutz bestens instruiert, erzählt Griesbaum von der BAW und den zuständigen BKA-Beamten wieder nur die schon von 1993 bekannten Geschichten.
Den Ermittlungsbehörden müßte ab diesem Zeitpunkt allmählich klar werden, daß der Verfassungsschutz keinerlei Interesse daran hat, Steinmetz als Kronzeugen zur Verfügung zu stellen.
Eine Woche nach dem Steinmetz-Verhör verschickt das BKA an mich eine Ladung für den 20. März 1996, der ich nicht nachkomme. Jetzt lädt mich Griesbaum am 7. Mai vor die Bundesanwaltschaft. Er will mich zu drei Fragenkomplexen verhören:
1. mein Kontakt zu Steinmetz
2. die Steinmetz-Fahrzeuge samt Zubehör
3. zu den Kontakten und persönlichen Kontakten des Steinmetz
Da ich der BAW bei der Menschenjagd nicht helfen werde, droht mir Beugehaft. In dem Haus, in dem ich seit über einem Jahr lebe, wurden bisher insgesamt neun BAW-Ladungen ausgesprochen. Eine Mitbewohnerin hat sich im Sommer letzten Jahres der politischen Verfolgung entzogen; zwei andere Frauen saßen zwei bzw. drei Monate in Beugehaft; zwei Männer aus unserem Haus befinden sich momentan immer noch in Beugehaft.*
Ich soll nun der nächste werden.
Auch in Wiesbaden droht über 20 Personen eine BAW-Vorladung; in Darmstadt sind zwei Personen vor die BAW bzw. den Ermittlungsrichter am Bundesgerichtshof geladen. Alle im Zusammenhang Steinmetz/Weiterstadt.
Über die Drohung mit Beugehaft sollen Aussagen erpreßt werden, um dann auf diesem Weg den Ermittlungsbehörden doch noch verwertbare Kriminalisierungsansätze zu bringen.
Presseerklärung von Stefan Frey, 6.5.1996
* Niko und Jens sind am Samstag, den 11. Mai, aus dem Knast entlassen worden.
Michael Steinau hat, wie wir der jungen Welt vom 11. Mai entnehmen konnten, am Freitag, den 10. Mai, seinen zweiten einwöchigen Hungerstreik abgebrochen.
Er hatte mit seiner Aktion gegen die Haftbedingungen protestiert. Michael unterliegt seit seiner Verhaftung am 26.2.96 strengen Isolationsbedingungen. Bei einer Gegenüberstellung sei er zudem von Polizisten mißhandelt worden, so seine Anwältin Ursula Erhardt.
Auch Bernhard Falk befand sich zeitweise in einem Hungerstreik.
(Red.)
Kammergericht bereitet Zwangsernährung gegen Benjamin Ramos Vega vor
Abgeordnete, Menschenrechtsgruppen, politische Organisationen und Einzelpersonen haben sich mit einem Offenen Brief an den Bundesjustizminister Edzard Schmidt-Jortzig gewandt, um gegen die Auslieferung von Benjamin Ramos Vega zu protestieren und den Justizminister aufzufordern, einer Auslieferung nicht zuzustimmen.
Eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts über die Auslieferung wird um den 15. Mai erwartet.
Ramos Vega war im Dezember in den Hungerstreik getreten, um gegen die Entscheidung des Berliner Kammergerichts zu protestieren und um seine Auslieferung zu verhindern. Er hatte den Hungerstreik unterbrochen, nachdem seine Verteidigung gegen das Urteil des Kammergerichts, das die Auslieferung für uneingeschränkt zulässig erklärt hatte Verfassungsbeschwerde eingelegt hatte und diese zur Überprüfung angenommen wurde, unterbrochen. Bei einer negativen Entscheidung kündigte Ramos Vega im Januar an, wieder in den Hungerstreik zu treten.
Der Vorsitzende Richter am Kammergericht, Nöldeke, bereitet unterdessen Zwangsmaßnahmen in Form von Zwangsernährung gegen Ramos Vega vor: "... für den Fall, daß das Bundesverfassungsgericht die Verfassungsbeschwerde des Verfolgten verwerfen sollte und dieser dann seine wiederholte Ankündigung eines Hunger- und Durststreiks wahrmacht". Nöldeke begründet diesen Schritt mit der Annahe, daß Ramos Vega im Falle eines Hungerstreiks in fünf Tagen sterben könnte. Die Verteidigung hat entschieden gegen die prophylaktische Vorbereitung von Zwangsernährung protestiert.
(Nach einer Pressemitteilung der Roten Hilfe Berlin)
Sehr geehrter Herr Justizminister Schmidt-Jortzig,
am 27. Dezember 1995 erging vom Berliner Kammergericht der Beschluß, in dem die Auslieferung des spanischen Staatsbürgers Benjamin Ramos Vega an Spanien für zulässig erklärt wurde. Diesen Beschluß haben wir mit Empörung zur Kenntnis genommen. Wir fordern Sie daher auf, von Ihrem Recht Gebrauch zu machen und der Auslieferung von Herrn Ramos Vega nicht stattzugeben, da dem gewichtige Gründe entgegenstehen.
Herrn Ramos Vega wird in Spanien vorgeworfen, zusammen mit seiner Lebensgefährtin Wohnungen angemietet zu haben, die der ETA zur Lagerung von Waffen und Sprengstoff gedient haben sollen. Die Aussagen, die zur Verfolgung in Spanien und zur Verhaftung in Berlin geführt haben, sind von einer dritten Person unter Folter erpreßt und später von dieser widerrufen worden.
Das Kammergericht Berlin konnte diesen ungeheuren Vorwurf nicht widerlegen. Auch das Bundesverfassungsgericht, das die von Herrn Ramos Vega eingelegte Verfassungsklage zur Zeit prüft, erachtet diesen Vorhalt offensichtlich für nicht unbegründet.
Mit umfangreichen Unterlagen hat die Verteidigung des Herrn Ramos Vega nachgewiesen, daß Folter in Spanien kein Einzelfall ist, sondern systematisch gegen politische Gefangene angewandt wird. Spanien hat als einziges Land der Veröffentlichung der Berichte des Europarats-Ausschusses zur Verhütung von Folter und unmenschlicher und erniedrigender Behandlung nicht zugestimmt. Die menschenrechtswidrigen Zustände in spanischen Gefängnissen bzw. im Polizeigewahrsam der spanischen Polizei wurden auch von zwei Beauftragten der UN-Menschenrechtskommission sowie von "amnesty international" in den letzten Jahren angeprangert.
Im Falle einer Auslieferung muß Herr Ramos Vega trotz aller Beteuerungen damit rechnen, daß ihm eine Gerichtsverhandlung droht, die nicht nach rechtsstaatlichen Kriterien geführt wird. Alle im Zusammenhang mit der baskischen Unabhängigkeitsbewegung festgenommenen Personen werden in Spanien unter den Bedingungen der Isolationshaft gefangengehalten. Entgegen den Versicherungen der spanischen Behörden steht dies auch Herrn Ramos Vega bevor. Weiterhin ist damit zu rechnen, daß Herr Ramos Vega in spanischen Gefängnissen nur unzureichend medizinisch versorgt wird, was sich angesichts seines Gesundheitszustandes als HIV-Positiver lebensbedrohlich für ihn auswirken wird.
Eine Auslieferung von Herrn Ramos Vega käme einer Honorierung von Folter gleich, da das Auslieferungsersuchen auf Ermittlungsergebnissen basiert, die unter Folter erpreßt wurden. Damit würde nicht nur gegen Art. 15 der "UN-Konvention gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe" verstoßen, sondern auch die Grundrechte von Herrn Ramos Vega verletzt.
Dies dürfen Sie, sehr geehrter Herr Schmidt-Jortzig, nicht zulassen. Auch die angestrebte Zusammenarbeit innerhalb der Europäischen Union auf dem Gebiet des Rechtshilfe- und Auslieferungsrechts darf nicht dazu führen, daß unveräußerliche Menschenrechte einer zu überstellenden Person verletzt werden.
Angesichts dieser Tatsache fordern wir Sie als zuständigen Bundesminister auf, einer Auslieferung von Herrn Ramos Vega nicht zuzustimmen.
UnterzeichnerInnen:
Antirassistische Initiative Berlin, AnwältInnenbüro Mehringhof, Arbeitskreis Internationalismus der IG Metall, Verwaltungsstelle Berlin, Ausias March (Barcelona, Spanien), Prof. Dr. Martin Franzbach (Bremen), GewerkschafterInnen gegen Rassismus und Faschismus (Berlin), Ulla Jelpke (MdB, PDS), Ismail Kosan (MdA Berlin, Bündnis 90/Die Grünen, Ausländerpol. Sprecher), Bündnis 90/Die Grünen (Kreisverband Kiel), La Fona-Coordinadora contra la Tortura (Osona, Spanien), medico international (Frankfurt), Prof. Dr. José Maria Navarro (Bremen), Ronald Ofterdinger, PRT (Barcelona), Rote Hilfe e.V. (Bundesvorstand), Claudia Roth (MdE, Bündnis 90/Die Grünen), Rosi Schott (Stellvertr. Vorsitzende der HBV, Berlin), Marion Seelig (MdA Berlin, PDS), Verein Demokratischer Juristen und Juristinnen - Dieter Hummel, Weltfriedensdienst (Berlin)
Am 2. Mai 1996 verfaßte das Landgericht Lüneburg eine "Presseerklärung zur Presseerklärung der Autonomen Antifa (M) vom 27.4.1996". Darin heißt es:
1. Die Einstellung des Verfahrens gegen die 17 Angeklagten im Verfahren gegen die Autonome Antifa (M) wegen "Bildung einer kriminellen Vereinigung nach 129" sei bei "Zahlung einer Geldauflage in der Größenordnung 2.000 - 3.000 DM pro Angeklagten denkbar". Nach Adam Riese wären dies maximal 51.000 DM, also knapp die Hälfte der von der Generalstaatsanwaltschaft (GSA) Celle geforderten 100.000 DM. Dies ist die erste konkrete Nennung eines Geldbetrages von seiten des Gerichts. Damit zeigt sich, daß schon die Geldforderungen von GSA und Gericht auseinandergehen. Weil die GSA die millionenschweren fünfjährigen Anti-Antifa-Ermittlungen (13.929 abgehörte Telefonate, Videoüberwachungen von 143 verdächtigen Antifa-Mitgliedern, 30 Hausdurchsuchungen) der Öffentlichkeit verkaufen muß, wird sie immer daran interessiert sein, die Bedingungen für eine Einstellung des Verfahrens hochzuschrauben.
2. Die Geldsumme solle der Gedenkstätte Buchenwald zugute kommen. Auch dies ist neu. Zunächst hieß es, die Angeklagten mögen die von Nazis angerichteten Schäden eines KZs bezahlen, was sich wohl auf die Zerstörung der einzigen original erhaltenen jüdischen Baracke der KZ-Gedenkstätte Sachsenhausen durch Neo-Nazis in der Nacht zum 26. September 1992 bezieht. Jetzt soll von den Angeklagten die geschichtsrevisionistische Umgestaltung der Gedenkstätte Buchenwald mitfinanziert werden.
3. Des weiteren sollen sich die Angeklagten "von der Organisierung ,schwarzer Blöcke' distanzieren - auch in der Zukunft". Das Gericht unterschlägt mit dieser Formulierung den wesentlichen Gehalt ihres Einstellungscoupons, der der Verteidigung übergeben wurde. Die Angeklagten sollen eine Selbstbezichtigung unterschreiben, um der Öffentlichkeit als reuige Kriminelle vorgeführt werden zu können ("Auch ich habe als Angehöriger der ,Autonomen Antifaschisten (M)' an einem Teil dieser Demonstrationen in strafbarer Weise mitgewirkt"). Das Vorgehen des Gerichts erinnert an die AgitProp-Aktion der Autonomen Antifa (M) vom 2. Oktober 1991. Vor dem Demonstrationszug unter dem Motto "Kampf dem großdeutschen Normalzustand" lief ein von zwei Polizisten eskortierter Demonstrant. Diesem ward ein Pappschild umgehangen mit der Aufschrift "ich werde nie wieder gegen Faschismus demonstrieren". Überflüssig zu erwähnen, daß auch diese Aktion von der GSA als kriminell eingestuft und angeklagt wurde.
Eine Distanzierung von der erfolgreichen antifaschistischen Politik in Südniedersachsen wird von der Autonomen Antifa (M) abgelehnt. Die Autonome Antifa (M) fordert die sofortige und bedingungslose Einstellung des Verfahrens.
Autonome Antifa (M), Presseerklärung vom 4.5.
Do, 30.5., Mo, 3.6., Do, 13.6., Beginn jeweils 9.30 Uhr, OLG Koblenz, Stresemannstr./Regierungsstr., Gebäude 2
Demonstration in Koblenz am 1. Prozeßtag
Treffpunkt: 16.30 Uhr, Josef-Görres-Platz
Neu erschienen:
Den Stein ins Rollen bringen. Zum aktuellen Stand des Verfahrens. Zu beziehen bei: basis, Alte Feuerwache, Am Landwehrplatz 2, 66111 Saarbrücken
Im Verfahren gegen das Angehörigen Info Nr. 168 (es ging dabei u.a. um eine Rede von Gisel Dutzi aus Anlaß des 50. Jahrestages der Zerschlagung des Faschismus, siehe vorige Ausgaben) hat das Amtsgericht Hamburg die presserechtlich verantwortliche Redakteurin freigesprochen. Das Urteil wurde noch nicht rechtskräftig, da die Staatsanwaltschaft Berufung eingelegt hat.
Trotzdem ist der Freispruch zunächst einmal ein großer Erfolg. Allem Anschein nach mochte die Richterin den unsäglichen Staatsverleumdungsparagrafen 90a, den die Bundesanwaltschaft in ihrer Verfolgungswut gegen das Info so gerne bemüht, nicht anwenden. Eines der zentralen Argumente der Urteilsbegründung war, daß die inkriminierten Reden nicht die verfassungsmäßige Ordnung, sondern die Verfassungswirklichkeit in der BRD angriffen, somit also nicht strafbar seien. Außerdem bestritt die Richterin, daß das Info die Bundesrepublik Deutschland überhaupt beschimpfen könne, da seine Leserschaft aus einem ideologisch engen und festgelegten Spektrum komme.
Der Bundesanwaltschaft und der Staatsanwaltschaft beim Landgericht Hamburg indes, die mit ihren willkürlichen Vorwürfen in erster Instanz nicht durchkamen, läßt die Tatsache, daß das Angehörigen Info sich erneut zu verteidigen wußte, keine Ruhe. Die Staatsanwaltschaft beim Landgericht Hamburg, die in den vergangenen Jahren den Zmutugen der Bundesanwaltschaft gegen die Meinungs- und Pressefreiheit wiederholt nicht folgen wollte und aus Karlsruhe eingeleitete Verfahren einstellte, diese Staatsanwaltschaft scheint sich nun entschlossen zu haben, die unliebsame Zeitung durch Verstärkung des Strafverfolgungsdrucks mundtot zu machen. Sie hat ein weiteres Verfahren (Nr. 20) gegen die presserechtlich Verantwortliche eingeleitet, wiederum auf Initiative der Bundesanwaltschaft, wiederum mit Hilfe des Ermächtigungsparagrafen 90a, diesmal gegen das Info 174.
Damit sind gleichzeitig mindestens drei, womöglich vier 90a-Verfahren anhängig: gegen das Info 168 (Berufung durch die Staatsanwaltschaft), gegen die Infos 174 und 176 (hier hat die BAW einen "Anfangsverdacht" geäußert, die Staatsanwaltschaft Hamburg wurde aber noch nicht erkennbar tätig) und 177 (wg. Bad Kleinen). Im Ermittlungsverfahren gegen Info 174 sieht die Staatsanwaltschaft nach den Vorgaben der BAW durch 5 Sätze den Staat beschimpft, u.a. durch die Aussage, daß das Bundesjustizministerium die politische Verantwortung dafür trage, daß die Krankheit von Gefangenen aus der RAF zu ihrer beabsichtigten Zerstörung eingesetzt werde.
Der GNN-Verlag Hamburg, in dem das Angehörigen Info erscheint, sieht in dem Vorgehen von Bundesanwaltschaft und Staatsanwaltschaft, die immer wieder dieselben Vorwürfe gegen immer wie dieselben oder ganz ähnliche Aussagen erheben, auch wenn sie in der Vergangenheit immer wieder damit scheiterten, Willkür, ja Terror.
(Red.)
Wir veröffentlichen im folgenden einen Auszug aus dem Plädoyer des Verteidigers im Verfahren gegen Info 168, Dr. Blau.
"Auf Anregung - oder besser Geheiß? - der Generalbundesanwaltschaft hat die Staatsanwaltschaft bei dem Landgericht Hamburg im vorliegenden Verfahren Anklage nach 90a Abs. 1 StGB erhoben. Die Staatsanwaltschaft hat sich damit entschieden, einen politischen Prozeß zu führen:
Sie bedient sich, nach der klassischen Definition Otto Kirchheimers, juristischer Verfahrensmöglichkeiten zu politischen Zwecken. Würde ich mich einer anderen Terminologie bedienen und Worte benutzen, die im vorliegenden Verfahren bereits gefallen sind, könnte ich auch davon sprechen, daß unter dem "Deckmantel" der Justiz der Versuch unternommen wird, "Fundamentalopposition" "mundtot" zu machen. Noch plakativer könnte ich davon sprechen, daß "Widerstand zerschlagen" werden soll. Neigte ich zu Dramatik, würde ich statt von "zerschlagen" von "vernichten" sprechen. Das vorliegende Verfahren lehrt mich, dies außerhalb eines Plädoyers nicht zu tun, will ich mich nicht als Angeklagter wiederfinden.
Auf solch schmalem Grat verläuft die Grenze zwischen straffreier Meinungsäußerung und strafbarer Beschimpfung der Bundesrepublik Deutschland. Mit diesem Straftatbestand - der vorkonstitutionell viel zutreffender Majestätsbeleidigung hieß - hat auch die Bundesrepublik Deutschland - nach zwischenzeitlicher Liberalisierung - wieder "die Verteidigungslinie des modernen Staates in einen Bereich vorverlegt, in dem die Staatsfeinde unter der Maske der Gewaltlosigkeit ... die Macht erschleichen". Auch diese Formulierung stellt ein Zitat dar. Allerdings stammt sie aus der amtlichen Begründung des Entwurfes des Strafrechtsänderungsgesetzes 1950, die wohl straffrei zitiert werden darf. Kombinierte ich dieses Zitat jedoch mit der Formulierung des Reichsjustizministers Gürtner, wonach "das künftige Strafrecht ... die Verteidigungslinie des Staates vorverlegen (wird)", oder gar mit dem Ausspruch von Roland Freisler 1936: "Das Strafrecht verlegt das Kampfrecht nach vorn" und würde ich anhand dieser Zitate beginnen, über Kontinuitätslinien deutscher Justiz zu philosophieren, dürfte ich mir erneut der Aufmerksamkeit des Generalbundesanwalts und - in seinem Troß - der Staatsanwaltschaft beim Landgericht Hamburg sicher sein. Ich hätte damit nichts anderes als das getan, was Gegenstand des vorliegenden Verfahrens ist: Ich hätte darauf hingewiesen, daß sich auch die Bundesrepublik Deutschland zur Bekämpfung von "Staatsfeinden" der Justiz bedient und daß die Justiz zur Bewältigung dieser Aufgabe Instrumente zur Verfügung gestellt bekommen hat, die auch bereits im nationalsozialistischen Faschismus verwendet wurden, teilweise dort erst entwickelt worden sind. Dieser einfache Sachverhalt, der für die Betroffenen um so deutlicher spürbar wird, findet der Vollzug auch noch in Gefängnissen statt, die nicht nach 1945 neu gebaut wurden, ist Gegenstand einer Vielzahl wissenschaftlicher Untersuchungen, mit deren Exzerpt ich Sie heute nicht behelligen werde. Der Umstand jedoch, daß 1996 das vorliegende Verfahren vor einem Gericht der Bundesrepublik Deutschland möglich ist, macht das Problem von Kontinuität und Diskontinuität im Verhältnis Bundesrepublik Deutschland und Nationalsozialismus in einer Momentaufnahme sehr deutlich.
Eine Generalbundesanwaltschaft, eine Staatsanwaltschaft beim Landgericht Hamburg, die den in der vorliegend angeklagten Publikation erhobenen Vorwurf voll und ganz für unbegründet hält, hätte die vorliegende Anklage nicht erhoben. Wer beleidigt ist - und 90a StGB ist nichts anderes als ein Beleidigungstatbestand -, weil Kontinuitätslinien zwischen dem Nationalsozialismus und der Bundesrepublik Deutschland aufgezeigt werden, sollte auf Verfahren verzichten, die diese Kontinuitätslinien bei der Bekämpfung von "Staatsfeinden" plastisch hervortreten lassen.
Ich übersehe dabei keineswegs, daß die Rechtsprechung - insbesondere des Bundesverfassungsgerichts - den Versuch unternommen hat, Ausuferungen in der Anwendung des 90a StGB zu verhindern. In rechtsstaatlich eindeutiger, d.h. insbesonderer berechenbarer Weise, ist das jedoch nicht möglich, hängt der Ausgang solcher Verfahren ausschließlich von der subjektiven Entscheidung der Rechtsanwender ab, mit welcher Watt-Stärke das Grundrecht der Meinungsfreiheit zum Leuchten gebracht wird. Gerade das vorliegende Verfahren zeigt, daß es nahezu unmöglich ist, nach dieser Methode rechtsstaatlich einwandfrei vorgehen zu wollen. Die Gesetzgebungsorgane der Bundesrepublik Deutschland haben sich aus diesem Grunde auch 1968 entschieden, das bis dahin geltende politische Strafrecht radikal von Gesinnungstatbeständen der vorliegenden Art zu reinigen. Die Neuschaffung des 90a stellte vor diesem Hintergrund einen Rückfall in die Zeiten des Kalten Krieges in den 50er Jahren dar, wie in diesen Jahren die Kommunistenverfolgung mit Mitteln betrieben wurde, die zumindest teilweise dem Arsenal des Dritten Reiches entnommen wurden. Es ist in diesem Zusammenhang bezeichnend, daß der Generalbundesanwalt zur Begründung seines "Anfangsverdachtes" eines Vergehens nach 90a StGB im vorliegenden Fall Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes aus den 50er und 60er Jahren zitiert. Wer so darauf bedacht ist, alle Kontinuitätslinien zu verwischen, dem sollte ein solcher Lapsus nicht unterlaufen. Wäre ich Betroffener, amüsierte mich dies nicht.
Den beiden von der Angeklagten verbreiteten Reden wirft die Staatsanwaltschaft vor, "die an Recht und Gesetz gebundene Tätigkeit der rechtsprechenden und vollziehenden Gewalt in der Bundesrepublik Deutschland bewußt auf eine Stuft mit den menschenverachtenden Aktivitäten von Judikative und Exekutive während der Zeit der nationalsozialistischen Gewalt- und Willkürherrschaft gestellt" zu haben. Dieser Vorwurf wäre ernster zu nehmen, wenn der Generalbundesanwalt und die Staatsanwaltschaft beim Landgericht Hamburg nicht das vorliegende Verfahren eingeleitet hätten, um der Angeklagten zu demonstrieren, wie falsch sie liegt. Dieser Vorwurf wäre auch ernster zu nehmen, wenn das erkennende Gericht mit Blick auf Artikel 5 Abs. 1 des Grundgesetzes - die Garantie der Meinungsfreiheit - grundsätzlich zu der Auffassung gelangte, daß 90a StGB in einem demokratischen Rechtsstaat keine Existenzberechtigung besitzt, Majestätsbeleidigung kein Straftatbestand sein kann und politische Gesinnung, in welcher Form auch immer sie zum Ausdruck gebracht wird, nicht zum Schutze des Gemeinwesens unterdrückt und bestraft werden kann. Wer aber die Verteidigungslinie des modernen Staates vorverlegt, muß sich auch mit dem nahezu wortgleichen Zitat von Roland Freister konfrontieren lassen. Geschmäcklerische Abwägungen, ob in diese Richtung zielende Kritik noch hingenommen werden kann oder aber als beleidigend empfunden und für strafwürdig erachtet wird, nährt nur den Verdacht, daß der Satz wieder einmal zutrifft, wonach nur getroffene Hunde bellen. (...)"
Am Mittwoch, den 8. Mai 1996 - fast zwei Jahre nach dem polizeilichen Todesschuß - beginnt vor dem Landgericht Hannover die Hauptverhandlung im Strafverfahren gegen den 30jährigen Polizeibeamten Klaus T. wegen fahrlässiger Tötung des kurdischen Jugendlichen Halim Dener. Für die Beweisaufnahme hat das Gericht 34 Zeugen und 7 Sachverständige an 11 Hauptverhandlungstagen vorgesehen.
Die Hauptverhandlung findet aber nicht im Schwurgerichtssaal des Landgerichts statt, sondern - wohl erstmals in der Hannoveraner Justizgeschichte - außerhalb Hannovers, im Sitzungssaal des Oberlandesgerichts Celle, "aus Sicherheitsgründen", wie es ohne irgendwelche konkreten Anhaltspunkte für eine Gefährdung der Verfahrensbeteiligten heißt.
Der Vorsitzende Richter will auf einer Reise in Rheinland-Pfalz ein Plakat "Rache für Halim Dener!" gesehen haben und hat trotz aller Proteste der Nebenklagevertreter an den strengen Sicherheitsbedingungen festgehalten, ohne die angeforderte Gefährdungsanalyse (des LKA o.ä.) vorzulegen.
Bereits Anfang Dezember 1995 hatte die Presse über "schärfste Sicherheitsmaßnahmen" für den beschuldigten Polizisten und das Angebot seiner "Aufnahme in das Zeugen(!)-Schutzprogramm" berichtet.
Die Familie des erschossenen Halim Dener betrachtet dies als Affront und Fortsetzung des Vorgehens der türkischen Sicherheitsbehörden, die sogar verhindert haben, daß der Leichnam ihres Sohnes in einer öffentlichen Trauerzeremonie an dem von der Familie gewünschten Ort beerdigt werden konnte.
Offensichtlich soll die Hauptverhandlung in diesem wichtigen Verfahren abseits der interessierten Öffentlichkeit in einer für die kurdische Familie diskriminierenden Gerichtsfestung durchgeführt werden - zum Schutze des SEK-Todesschützen, der von interessierter Seite von Anfang an als eigentliches Opfer dargestellt werden sollte.
Gestützt werden die "Sicherheitsbedenken" auch hier auf keinerlei Fakten, sondern vage Verdachtsmomente angeblicher Rache aus PKK-Kreisen, statt sich an harte Fakten zu halten: die völlig friedlich verlaufende öffentliche Trauerfeier von Zigtausenden von Kurdinnen und Kurden unmittelbar nach dem Todesschuß in der Innenstadt von Hannover, die sogar zunächst die konservative Presse zu höchstem Lob hinriß, bis sie wieder auf die Sicherheitslinie des Landeskrimininalamtes Niedersachsen gebracht wurde.
Warum wird die Hauptverhandlung unter dem Vorwand einer heraufbeschworenen Gefahr aus Hannover verlegt, obwohl im dortigen Schwurgerichtssaal u.a. in einem Blutrache-Mordprozeß jahrelang weiterverhandelt wurde, nachdem noch im Gericht weitere Schüsse gefallen waren?
Offenbar befürchtet man die kritische Anteilnahme der Öffentlichkeit am Verfahren, das diesen "Fall" von Anfang an begleitet hat:
- Zum ersten in der Form von mehreren - völlig friedlichen und disziplinierten Großdemonstrationen der Kurden in Hannover unter Beteiligung von PolitikerInnen u.a. der SPD, der Grünen und der PDS;
- zum zweiten eine offizielle Intervention der Türkei, die mit einer Verbalnote um Aufklärung gebeten hatte, deren Sicherheitskräfte eine öffentliche Beerdigungszeremonie der Familie Dener in der Heimat unterbanden und die deutsche Delegation nicht zur Familie ließen, und die es zuließ, daß aufgrund von Hetzartikeln in türkischen Massenblättern der Hannoveraner OB Schmalstieg u.a. mit massiven Bedrohungen und Psychoterror überzogen wurde;
- vor allem aber eine kritische internationale Öffentlichkeit, die sich unter anderem in der Form von Fragen des "Sonderberichterstatters der Vereinten Nationen zu außergerichtlichen, in Schnellverfahren durchgeführten und willkürlichen Hinrichtungen" und des Vorsitzenden des Menschenrechtsausschusses im britischen Oberhaus (der u.a. nach einer Suspendierung des Polizisten für die Dauer der Ermittlungen fragte) sowie von amnesty international, London, äußerte;
- die Arbeitsgemeinschaft Kritischer Polizisten spricht von "vielen Fakten, die der offiziellen Sachverhaltsschilderung widersprechen" (siehe unten) und mehrere kritische Anfragen von Bündnis 90/Die Grünen im Landtag Niedersachsen.
In einem Brief der "Internationalen Liga für Menschenrechte" heißt es u.a.:
"Aufklärung ist unseres Erachtens nicht genug. Die Sachverhaltsdarstellung der Polizei wirft ein Bündel von Fragen auf, die nach Ansicht der internationalen Liga für Menschenrechte über den konkreten Fall hinaus und unabhängig von den abschließenden Feststellungen der Staatsanwaltschaft der Aufklärung durch einen parlamentarischen Untersuchungsausschuß bedürfen".
Diese beispielhaft erwähnten Stellungnahmen sind Gradmesser für die politische Dimension des Falles.
Schon am Morgen nach der Tat verbreitete die Hannoveraner Polizeiführung die Version des Beschuldigten als maßgeblich, wonach es im Anschluß an die Polizeikontrolle zwischen ihm und dem Kurden zu einem Gerangel gekommen sei, bei dem die Pistole zu Boden gefallen sei, die er wieder in sein Holster zurückführen wollte.
Beim Versuch, aus der knieenden Haltung aufzustehen, strauchelte/ stolperte er, in diesem Moment löste sich unbeabsichtigt der Schuß. Der zu diesem Zeitpunkt zwischen zwei und vier Meter entfernte D. wurde unterhalb des linken Schulterblattes in den Rücken getroffen ...
Diese Version schien gut abgesichert, zumal die Videoüberwachungsanlage ausgerechnet an diesem Abend zufällig ausgefallen und auch die Funksprüche nicht mehr vollständig rekonstruierbar waren, der Beschuldigte selbst nicht etwa am Tatort von der Mordkommission zur Vernehmung vernommen wurde, sondern erst einmal in seiner Dienststelle die Gelegenheit erhielt, stundenlang mit seinem Vorgesetzten zu sprechen und sich die Hände zu waschen (Schmauchspuren!), und die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft schon in der Tag gleich auf "Körperverletzung mit Todesfolge" reduziert wurden.
Aber nach und nach kamen Fakten ans Licht, die mit der Polizeiversion unvereinbar waren:
- Zeugen berichteten, sie hätten gesehen, wie der Polizeibeamte mit der Waffe gezielt habe;
- ein Sachverständigengutachten des LKA kam zu dem Schluß, der Schuß müsse aus nächster Nähe (10 cm +/- 5 cm) abgefeuert worden sein; bei dem Schuß aus der Dienstwaffe muß ein großer Abzugswiderstand (4,3 kg) überwunden werden.
Trotzdem verbreitete der zuständige Oberstaatsanwalt Borchers unbeirrt, kein Zeuge hat "behauptet ..., er habe bei dem Polizisten vor oder während des Schusses eine Waffe gesehen oder bemerkt, daß der Beamte damit zielte".
So war es kein Wunder, daß die 80-seitige Anklage im Dezember 1994 nur den Vorwurf der fahrlässigen Tötung erhob und gleichzeitig der leitende Oberstaatsanwalt der Staatsanwaltschaft Hannover in einer Presseerklärung verbreiten ließ:
"Die Ermittlungen haben nichts ergeben, was eine vorsätzliche Tötung belegen könnte ... Auch die Staatsanwaltschaft ist sich bewußt, daß der Angeschuldigte unter hektischen Begleitumständen in kürzester Zeit entscheiden mußte und nicht lange abwägen konnte. Der Tod eines Menschen wiegt jedoch so schwer, daß letztlich dem Gericht die Entscheidung darüber vorbehalten bleiben muß, ob dem Angeklagten unter diesen Umständen strafrechtlich ein Vorwurf zu machen ist oder ob er einfach überfordert war."
Die Anklageschrift wirft dem Polizisten vor, "bei dem Versuch, den 16-jährigen Kurden Halim Dener mit einfacher körperlicher Gewalt auf frischer Tat festzunehmen, weil dieser öffentlich Kennzeichen der verbotenen nationalen Befreiungsfront Kurdistans (ERNK) plakatiert hatte, im Zuge eines heftigen Gerangels seinen Revolver, der ihm aus dem Holster gerutscht war, vom Boden aufhob, um ihn wieder in sein Holster zu stecken und ihn dabei in einem Abstand von etwa 10 cm mit der Mündung voran an dem Rücken des Halim Dener vorbeiführte, wobei er aus dem Gleichgewicht geriet und unwillkürlich einen Schuß auslöste, der Halim Dener traf und tötete, obwohl er als Polizeibeamter, der beim Spezialeinsatzkommando besonders intensiv im Umgang mit Schußwaffen geschult worden war, wußte, daß eine scharfe Waffe insbesondere bei den letztlich nicht kontrollierbaren Abläufen einer körperlichen Auseinandersetzung nie ohne einen rechtfertigenden Anlaß auf einen Menschen gerichtet werden darf, und deshalb hätte voraussehen können und müssen, daß sich bei dem Gerangel mit Dener ein Schuß lösen und diesen töten konnte, wenn er den Revolver derart an ihm vorbeiführte und dieses hätte vermeiden können, wenn er die Waffe bis zur Beruhigung der Situation auf den Boden fixiert oder ihn in eine andere Richtung gehalten und Halim Dener hätte entkommen lassen."
Eine vorauseilende "Entschuldigung" - für eine Strafverfolgungsbehörde wohl einmalig -, die dem Gericht, dem der "schwarze Peter" zugeschoben wird, den Weg weisen soll und zeigt, daß die Anklage überhaupt nur aufgrund der politischen Dimension des Falles zustande gekommen ist.
Kein Wunder, daß Massenmedien und CDU von der Verteidigung des Polizisten genährte Spekulationen verbreiteten, wonach die Anklage nur auf politischen Druck der Justizministerin zustande gekommen sei.
Das Landgericht Hannover hat fast ein weiteres Jahr gebraucht, um die Anklage nach zusätzlichen Ermittlungen zur Hauptverhandlung zuzulassen, nachdem der Verteidiger des beschuldigten Polizisten "die Flucht nach vorne" angetreten hat und für diesen eine Einlassung abgab, in der es u.a. hieß:
"Es ist davon auszugehen, daß der Beamte während des Zugriffs auf die Waffe mit dem Vorhaben, sie durch Holstern zu sichern, von der einsetzenden Fluchtaktivität Halim Deners überrascht, dadurch angehoben, fortgezogen wurde und schließlich, als Halim Dener nach weitgehender Loslösung keinen Halt mehr gab, zu stürzen drohte und Halt suchen mußte."
Diesen "Halt" soll er dann in dem unwillkürlichen Greifen der Waffe gesucht haben, wobei der Abzugswiderstand unwillkürlich überwunden worden sein soll. Damit wird das Fortzerren des Halim Dener zur Hauptursache gemacht, das Opfer also letzten Endes zum Schuldigen.
Die Vertretung der Nebenklage fordert, daß die Beweisaufnahme in der Hauptverhandlung sich auch auf eine mögliche vorsätzliche Tötung auszudehnen hat. Ihr Ziel ist nicht eine lebenslange Freiheitsstrafe für den polizeilichen Todesschützen, sondern die Aufklärung seiner Verantwortlichkeit und deren Hintergründe.
(Rechtsanwalt Hans Eberhard Schultz, Bremen, vertritt die Angehörigen von Halim Dener im Prozeß gegen den SEK-Beamten Klaus T.)
Aus: Kurdistan Rundbrief Nr. 9
Wie bereits im ersten Prozeßbericht erwähnt, stellten die Rechtsanwälte neben den zahlreichen Einsprüchen zum Verfahrensablauf bisher zwei Anträge auf Einstellung des Verfahrens wegen des "Vorliegens eines Verfahrenshindernisses". Der erste bezog sich auf die Vorverurteilung der Angeklagten in den bundesdeutschen Medien; er wurde bereits abgelehnt. Der zweite ging gezielt auf die Anklagekonstruktion einer angeblichen "terroristischen Vereinigung innerhalb der PKK" ein bzw. auf die Anwendung des 129a in diesem Verfahren, in dem den Angeklagten keine Beteiligung an konkreten Straftaten vorgeworfen wird bzw. nachgewiesen werden kann. Auf diesen Antrag antwortete nun die Bundesanwaltschaft (BAW). Allerdings lichtete ihre Stellungnahme auch diesmal den Nebel nicht, sie leierte getreu der Anklageschrift nochmals ihre Darstellung von wild durcheinandergewürfelten und in keiner Weise voneinander abgrenzbaren Führungsebenen innerhalb der PKK herab. Statt die Lücken der Anklage detailliert zu schließen, verwies sie immer dann konsequent auf die Anklageschrift zurück, wenn die Anschuldigungen langsam konkret wurden. Die Anwälte verlasen daraufhin laut die angeführten Stellen, um erneut klarzustellen, daß keine der dort aufgeführten Behauptungen eine reale, nachweisbare Grundlage hat. Diesmal vertagte das Gericht die Entscheidung darüber.
Inzwischen wurde von RA Kronauer ein Befangenheitsantrag gegen den Richter gestellt. Mehmet Karayilan begründete ihn sehr ausführlich mit den zahlreichen richterlichen Anordnungen während der bisherigen Haftzeit. So berichtete er, daß den Gefangenen die legal in der BRD erscheinende prokurdische Tageszeitung "Özgür Politika" nicht ausgehändigt wird und über den Zwang, immer, außer an den Prozeßtagen, Anstaltskleider zu tragen. Aber auch dieser Antrag wurde abgelehnt: Die vom Richter angeordneten verschärften Haftbedingungen hätten keinesfalls mit seiner Voreingenommenheit zu tun...
Die BAW stellte dazwischen einen neuen Antrag auf Erweiterung des Haftbefehls gegen Zülfiye Sanli. Aus München seien neue Akten aus abgeschlossenen Ermittlungen eingetroffen. Darin werde aus der Aussage eines neuen Kronzeugen ersichtlich, daß Frau Sanli verantwortlich sei für die Anstiftung zur Brandstiftung und zum versuchten Mord. Erstaunlicherweise folgte das Gericht dem von den Anwälten gestellten Antrag und lehnte diesmal den rechtlichen Hinweis der BAW ab.
Das Gericht antwortete auch auf den von RA Kronauer gestellten Einstellungsantrag; Die Anklageschrift habe zwei Funktionen, zum einen die "Informationsfunktion", d.h. die Angeklagten müßten über einzelne Punkte der Anklageschrift soweit informiert sein, daß sie sich dazu verteidigen könnten, und zum anderen die "Umgrenzungsfunktion", das betreffe die Frage, welche Tat eigentlich gemeint sei. Diese Voraussetzungen erfülle die Anklageschrift. Dagegen richteten sich die im Antrag der Anwälte aufgeführten Bedenken gegen die rechtlichen Erwägungen der Anklageschrift (also darauf, ob der 129a hier angewendet werden kann oder nicht), und dies sei schließlich Sache der Plädoyers, die am Ende der Beweisaufnahme stünden.
Durch die zahlreichen Anträge und den verzögerten Sitzungsbeginn am 7.Mai wegen des Verdachts auf ein Bombenattentat (ein Sprengstoffspürhund hatte in der Nähe des Richterpults angeschlagen) kam M. Karayilan mit der ausführlichen Prozeßerklärung der Angeklagten nur ein kurzes Stück weiter.
Und hier nochmals der Aufruf:
GEHT NACH STAMMHEIM ZUM PROZESS, und SPENDET GELD ANS KOMITEE!!!
Diese (leicht gekürzte) Zusammenfassung des 4., 5. und 6. Verhandlungstags (24.4, 30.4., 7.5.) erstellte das Komitee zur Unterstützung der kurdischen politischen Gefangenen)
FRIEDEN JETZT,
Für die Beendigung des Krieges gegen die Kurden und ein friedliches und gleichberechtigtes Zusammenleben von Kurden und Türken und allen anderen Völkern in der Region. Mit: Prof. Norman Paech über die innenpolitische Situation und die Verfolgung von Kurden in der BRD; Prof. Ronald Mönch über außenpolitische Interessen: die BRD ist Kriegspartei.
Veranstalter ist das Aktionsbündnis Frieden jetzt!
19.30 Uhr, Hamburg-Haus Eimsbüttel, Doormannsweg 12
21. Mai: Ostkurdistan - Die Unterdrückung der KurdInnen im Iran. VertreterIn des Kurdischen Informations- und Dokumentationszentrums e.V. (NAVEND).
19.30 Uhr, Bürgerzentrum Alte Feuerwache, Melchiorstr. 3, Köln
4. Juni: Südkurdistan - Die Situation nach dem Bürgerkrieg zwischen KDP und PUK. VertreterIn von WADI e.V. Ort und Zeit wie oben
18. Juni: Südwestkurdistan - Ethnische Verfolgung und Unterdrückung der KurdInnen in Syrien. VertreterIn des Kurdischen Informations- und Dokumentationszentrums e.V. (NAVEND). Ort und Zeit wie oben.
Mobilisierungsveranstaltung zur Demonstration in Büren
Illegale Baustellen, von der Baustelle in den Abschiebeknast. Zur Rolle der Menschenjäger vom Hauptzollamt und Arbeitsamt bei Razzien gegen Illegale. Mit Vertretern von Wildcat.
20.00 Uhr im Autonomen Zentrum Wuppertal
Bundesweite Demo gegen den Abschiebeknast Büren
12.00 Uhr
21:00 Uhr AZ Wuppertal, Konzert mit Tod und Mordschlag - Yok Quetschenpauas neue Amtlich autonome Tanzkapelle
Veranstaltung und Gedenkmarsch zum 3. Jahrestag des Brandanschlages in Solingen
"Solingen, drei Jahre danach. Wir klagen an!" Mit RA Rolf Gössner zur staatlichen Unterstützung der faschistischen Sportschule Hak Pao, mit Karl-Heinz Bartens Winter, Rechtsanwalt, und Fatima Hartmann, Rom e.V. zur Situation der Flüchtlinge in Solingen und mit Michael Schmitt (Journalist, angefragt) sowie einem Vertreter der Antifa Solingen zu dem Einfluß des faschistischen Bauunternehmers Kissel.
19.00 Uhr, Clemenssaal, Gördelerstr. 80
Anschließend Gedenkmarsch zur Unteren Wernerstr.
Am 22.4. hat sich in Lübeck eine Internationale Unabhängige Kommission konstituiert, die sich der Aufklärung des Brandes in der Lübecker Flüchtlingsunterkunft annimmt. Wir dokumentieren die auf der konstituierenden Sitzung verabschiedete Erklärung sowie eine Presseerklärung der Verteidigung von Safwan Eid.
1. Wir gehören zu den Menschen in Europa, die mehr und mehr alarmiert sind von den Nachrichten, die aus Deutschland kommen. Wir fragen uns, wie kann es möglich sein, daß in Deutschland Ausländer angegriffen werden, daß wieder Synagogen brennen und daß Flüchtlingsheime angezündet werden. Nun hören wir, daß die Staatsanwaltschaft (in Lübeck, nach dem schrecklichen Feuer im Januar, wo zehn Menschen den Tod fanden) die Brandstifter und Mörder nicht mehr bei den Rassisten und anderen fremdenfeindlichen Gruppen sucht, sondern eine Person verhaftet hat, deren Familie selbst bedroht ist. Wir sind beunruhigt von ähnlichen Nachrichten in anderen Orten.
2. Die letzten Nachrichten, die uns in unseren Ländern aus Lübeck erreichten, waren, daß eine Nachrichtensperre verhängt wurde und daß Zeugen der Brandanschläge die Abschiebung aus der Bundesrepublik droht. Wenn Zeugen unter einer solchen Drohung stehen, wird die Aufgabe, den Fall aufzuklären, untergraben.
3. Aus all diesen Gründen haben wir es auf uns genommen, als eine Internationale Unabhängige Kommission die Tätigkeit der Ermittlungsbehörden in Lübeck zu beobachten, selbst dem Herausfinden der Wahrheit zu helfen und dazu auch nach Lübeck zu kommen. Wir sehen darin ein übereinstimmendes Interesse der Menschen in unseren Ländern und der Menschen in der Bundesrepublik Deutschland, die ihr Land nicht in ein Dunkel versinken lassen wollen, in welchem eine furchtbare Vergangenheit wieder lebendig zu werden droht.
Konstituierende Sitzung, Lübeck, den 22.4.96
Mitglieder der Internationalen Unabhängigen Kommission sind:
Mario Angelelli, Rom; Geoffrey Bindman, London; Christian Bruschi, Marseille; Angiolo Gracci, Florenz; Beate Klarsfeld, Paris; Hans Langenbrecht, Utrecht; Felicia Langer, z.Zt. Tübingen; Gaetano Pecorella, Mailand; Arturo Saleni, Rom. Sitz: Schoolplein, Advokatenkollektief, Schooplein 5A, 3581 PX Utrecht
Korrespondenz in der BRD: Anwaltsbüro Heinecke und Partner, Budapester Str. 49, 20359 Hamburg.
Spenden sind dringend erwünscht auf das Konto: Andreas Wulf/Pax Christi, Stichwort: IUK Lübeck, Kto.Nr. 498 463-203, Postbank Hamburg, BLZ 200 100 20.
(üny) Am 24. April fand um 11 Uhr vor dem Amtsgericht Höxter die Verhandlung gegen den Totalen Kriegsdienstverweigerer Axel W. aus Höxter statt. Angeklagt war er von der Staatsanwaltschaft Paderborn wegen "eigenmächtiger Abwesenheit von der Truppe" (Axel hatte seinem Einberufungsbescheid zum 3.7.95 nicht Folge geleistet).
Zum Prozeß waren 60 SympatisantInnen erschienen. Axel hatte eine Erklärung für den Prozeß vorbereitet, in der er auf seine Einplanung als Zivildienstleistender in einem Krieg einging - dies sei auch der Grund, warum er nicht gegen sein Gewissen, das ihm jegliche Kriegsdienste verbiete, Zivildienst leisten könne.
Die Staatsanwaltschaft Paderborn hat ein Strafmaß von 6 Monaten Jugendstrafe ohne Bewährung gefordert, da Axel für seine Entscheidung nun auch die Konsequenzen zu tragen habe. Richter Hohendorf entsprach in seinem Urteil dieser Forderung weitestgehend, verhängte das Urteil jedoch nicht als Jugendstrafe. Damit ignorierte er das Plädoyer des Rechtsanwaltes, welcher sich nochmals auf die Gewissensfreiheit, wie sie im Grundgesetz verankert ist, berief. Daher hielt er das von der Staatsanwaltschaft geforderte Strafmaß für nicht angemessen und plädierte auf Freispruch. Axel wird gegen dieses Urteil Berufung einlegen.
Wenn Ihr ihm schreiben wollt, könnt Ihr die Adresse oder weitere Infos bei der Kontaktstelle für TKDV bekommen:
c/o bazille, Sickingenstr. 10, 34117 Kassel.
Aus: göttinger Drucksache Nr. 226 vom 3.5.1996
Braunschweig. Am Mittwoch, den 24. April, hat die Polizei die Wohnungen von Detlev Beutner und Rainer Scheer, Mitarbeiter der "Totalverweigerer-Initiative Braunschweig", wegen Verdachts des Verstoßes gegen das "Rechtsberatungsgesetz" durchsucht. Beutner und Scheer, selbst Totale Kriegsdienstverweigerer, verteidigen zur Zeit - mit der Zulassung durch die entsprechenden Gerichte - zwei andere Totalverweigerer. Auch die Verteidigerakten in diesen laufenden Verfahren wurden, neben anderem umfangreichen Material, beschlagnahmt. Bei der Aktion waren insgesamt fünf PolizistInnen, darunter ein Beamter des Landeskriminalamtes, beteiligt.
Nach dem "Rechtsberatungsgesetz", 1935 zur Eliminierung der Juden aus der Rechtsberatung durch die Nationalsozialisten eingeführt, ist die "geschäftsmäßige" Rechtsberatung ohne die generelle Erlaubnis hierzu verboten und kann mit einem Bußgeld bis zu 10.000 DM belegt werden. In einem aktuellen Kommentar zum Rechtsberatungsgesetz wird ausgeführt, daß das Gesetz, da die Passagen über Juden gestrichen worden sind, nicht mehr als "außerordentlich nationalsozialistisch" bezeichnet werden könne.
In einer ersten Stellungnahme erklärte die TKDV-Initiative Braunschweig, daß den staatlichen Organen offenbar "nichts zu peinlich" sei, um antimilitaristische Zusammenhänge zu kriminalisieren, so hier die Fortsetzung der nationalsozialistischen Tradition, "politisch unerwünschte Elemente" aus der Rechtsberatung auszuschließen. Die Durchsuchung reihe sich daneben in eine ganz andere Folge neuerer Repressionen gegen antimilitaristische Zusammenhänge ein. Jüngstes Beispiel seien auch die Durchsuchungen der Kampagne gegen Wehrpflicht, Zwangsdienste und Militär in Berlin sowie er Redaktionen der "taz" und der "Jungen Welt" wegen einer Persiflage auf Bundeswehr-Werbung durch ein Plakat mit dem Titel "Ja, morden".
Wenn, so die TKDV-Initiative weiter, die auf freundschaftlichen und solidarischen Zusammenhängen beruhende gegenseitige Verteidigung von Totalen Kriegsdienstverweigerern nun durch das Rechtsberatungsgesetz verboten und kriminalisiert werden sollte, müßten konsequenterweise auch alle KDV-Beratungsstellen geschlossen werden. Daß hier mit zweierlei Maß gemessen wird, sei ein Zeichen dafür, was auch ein Polizeibeamter bei der Durchsuchung erklärte: "Die Arbeit der TKDV-Initiative Braunschweig, also die Unterstützung des radikalen Widerstandes gegen Wehrpflicht und Militär, sei "wohl einigen ein Dorn im Auge".
Einem ggf. folgenden Ordnungswidrigkeiten-Prozeß sehe die Initiative mit Interesse entgegen, könnte dort doch umfassend beleuchtet werden, wie der Staat zuerst diejenigen verfolgt, die sich dem Zwang zum direkten oder indirekten Kriegsdienst verweigern, umanschließend jene zu kriminalisieren, die den ersteren rechtlichen Beistand leisten.
(Aus: Lokalberichte Kiel, gekürzt)
Über 1.500 Gefangene sind derzeit im Hungerstreik gegen die Repression in den Gefängnissen und gegen den neuen faschistischen Justizminister Mehmet Agar
Seit der ehemalige Polizeichef Mehmet Agar, der für viele Konterguerillamorde in den letzten Jahren verantwortlich ist, neuer Justizminister ist, werden die politischen Gefangenen wieder stärker angegriffen, vor allem auch durch MHP-Faschisten.
Die politischen Gefangenen in Erzurum gaben über Angehörige eine schriftliche Erklärung nach draußen, in der sie Übergriffe beschrieben und erklärten, daß sie von zunehmend aus MHP-Militanten bestehendem Gefängnispersonal bedroht wurden "Jetzt ist Agar Justizminister und nun wird sich niemand mehr einmischen, was wir machen. Wir werden Euch jetzt alle umbringen".
Jede Woche werden zwei Mal ihre Zellen von der Gendarmerie "durchsucht" bzw. vielmehr verwüstet und ihre Sachen zerstört. Gefangene, die dies verhindern wollten, wurden in Isolationszellen gesteckt und gefoltert. Bei diesen Überfällen wurden auch bestimmte Gefangene aus den Zellen in den Korridor gezerrt und dort stundenlang mit Knüppeln und Druckwasser mißhandelt.
Viele Gefangene erlitten durch die Übergriffe Bruch- und Rippenverletzungen, die nicht behandelt werden. Angehörige wurden bei Besuchen bedroht "Ihr seid genauso Terroristen wie die Gefangenen. Wir werden Euch eines Tages ihre Leichen übergeben".
Neben den Angehörigen stehen knüppelbewaffnete Wärter, die die Besuche sofort abbrechen, wenn über die Zustände im Gefängnis oder in kurdischer Sprache gesprochen wird.
Die Anwältin Filiz Köksal berichtete nach einem Besuch der politischen Gefangenen in Elbistan über harte Repression in diesem Gefängnis. Das Wachpersonal trägt ganz offen Abzeichen der faschistischen Grauen Wölfe, denen es angehört.
Die Gefangenen nehmen seit über einem halben Jahr nicht mehr an den Gerichtsverhandlungen gegen sie teil, weil sie auch während des Transports zum Gericht ständig schwer mißhandelt wurden. Ihre Zeitungen und Brief werden nicht ausgehändigt.
Aus dem Gefängnis Batman wurden Gefangene nach Diyarbakr und Antep zwangsverlegt.
Aus Protest gegen die Angriffe auf die Gefangenen und Hetzpropaganda gegen sie in den staatlich gelenkten Medien traten am 24.3. die Gefangenen der Organisationen PKK, KAWA, YEKBUN, PRK/Rzgari und DHP in Bayrampaya in einen unbefristeten Hungerstreik.
Am 25.3. schlossen sich PKK-Gefangene in Urfa dem Hungerstreik an.
In der zweiten Aprilwoche ist die Zahl der politischen Gefangenen im Hungerstreik in den Gefängissen in der Türkei und in Kurdistan auf insgesamt über 1.500 angewachsen.
In folgenden Gefängissen beteilig(t)en sind die PKK- und DHP-Gefangenen und auch zwei Gefangene von Rizgari an den Hungerstreiks, die teilweise im Rotationssystem durchgeführt werden:
Sagmaclar (seit 27.3.), Umraniye und Gebze (seit 2.4.), Konya (340 seit 8.4.), Antep (300 seit 8.4.), Sivas (seit 10.4.), Canakkale (seit 11.4.), Ceyhan (218 seit 11.4.), Iskenderun (164 seit 11.4.), Sakarya (seit 12.4.), Ankara Merkez (seit 13.4.), Malatya (45 seit 14.4.), Yozgat (seit 14.4.), Erzurum (700 seit dem 15.4.), Maras (seit 15.4.), Bartin (seit 15.4.), Hilvan (7 seit 15.4.), Aydn (seit 19.4.), Buca, Elbistan, Sankr.
Die 500 männlichen politischen Gefangenen im Hungerstreik im Gefängnis Diyarbakr schickten eine Erklärung an die Presse, in der sie darauf hinwiesen, daß konkrete Schritte zu einem Überfall auf sie vorbereitet wurden und "Abschwörer", die sie angreifen sollen, in großer Zahl in ihren Blocks stationiert wurden.
Drei PKK-Gefangene aus dem Gefängnis Elbistan, die am 26.3. vom Staatssicherheitsgericht Malatya zu 36 bzw. 12 Jahren Gefängnis verurteilt wurden, wurden nach der Verhandlung gefoltert, weil sie eine politische Verteidigungsrede gehalten haben.
Der SHD (Verband fortschrittlicher JuristInnen) hat eine Unterschriftenkampagne zur Absetzung des Justizministers Agar begonnen. Der ai-Vertreter Wolfgang Eppler erklärte während einer Delegationsreise in der Türkei seine Beunruhigung über die Ansammlung ehemaliger Polizeichefs als Minister in der neuen türkischen Regierung als schlechtes Zeichen für die Menschenrechte.
Die PKK-Gefangenen in Diyarbakr erklärten, daß sich die Angriffe gegen sie seit dem Beginn ihres unbefristeten Hungerstreiks am 27.3. noch mehr gesteigert haben. Am 4.4. wurde eine Gruppe von Gefangenen während ihrer Verhandlung vor dem Staatssicherheitsgericht im Gerichtssaal zusammengeschlagen, weil sie eine politische Verteidigungsrede gehalten haben. Deshalb werden seit dem 5.4. die Gerichtsverhandlungen wieder boykottiert.
Am 4.4. wurden Gefangene Elazg während der Besuchszeit auf dem Korridor von Schließern angegriffen, dabei wurden sechs Gefangene verletzt, Siracettin Yüksekbag und Adil Ormangül erlitten sehr schwere Verletzungen und befinden sich in bedrohlichem Zustand.
Am 10.4. schlossen sich die politischen Gefangenen in Antep, Antakya, Hilvan und Zentralgefängnis Ankara dem Hungerstreik an.
In Van wurden am 4.4. sieben Gefangene beim Transport vom DGM zum Gefängnis nackt ausgezogen und gefoltert.
Justizminister Agar erklärte, daß er das Massenzellensystem abschaffen will. Er meint, die großen Zellen fördern Hungerstreiks, Gefängnisrevolten und Ausbrüche. Das System von Großzellen fördere ideologische Schulungen der politischen Gefangenen durch ihre Organisationen in den Gefängnissen und einen eigenen Nachrichtendienst der Organisationen innerhalb der Gefängnisse und nach draußen. Das System fördere zudem eine kollektive Lebensweise und organisierte Solidarität.
Er plant deshalb den Bau von neuen Gefängnissen mit Einzelzellen zunächst in Diyarbakr und Denizli für 400 Personen, deren Bau noch in diesem Monat beginnen solle, wofür er aber zusätzliche 500 Milliarden TL benötigt.
Außerdem wurde das Spezialgefängnis in Erzurum auf Beschluß des Justizministeriums vom 11.12.95 geschlossen, um es ebenfalls in Einzelzellen umzubauen.
Derzeit gibt es in der Türkei und in Kurdistan 75.540 Haftplätze in 581 Gefängnissen. Nach Angaben des Ministers gibt es zur Zeit 50.587 Gefangene, davon 23.993 Untersuchungsgefangene.
Die politischen Gefangenen sind auf 47 Gefängnisse verteilt, von den insgesamt 8.503 politischen Gefangenen sind nur 3.130 Verurteilte. (aus: Biji 83)
Das mpz ist ein selbstorganisiertes, unabhängiges Medienzentrum, das seit 1973 existiert. Wir produzieren und verbreiten u.a. Videos zu den verschiedensten Themen bzw. übersetzen auch Produktionen aus anderen Ländern. Hier eine kleine Auswahl von Videos zum Thema politische Gefangene:
Stammheim und anderswo - Gespräch mit der Mutter von A. Baader, mpz 1978, 60 Min. s/w
Holger Meins (erste Fassung), BRD 1981, 120 Min. s/w
Auf Leben und Tod (über '77), dtsch. Fassung, Schweden 1979, 55 Min., Farbe/s/w
"... und auf einmal bist Du Terrorist" (Der Fall Benjamin Ramos Vega), mpz 1995, 30 Min. Farbe
From Death Row - Mumia Abu Jamal, USA 1990, 26 Min., Farbe und s/w, dtsch. Fassung mpz
Communa Carlos Marx, Spanien 1989, 60 Min. Farbe, Originalfassung
Shut it Down - Frauenhochsicherheitsknast in Lexington, USA 1990, 54 Min. Farbe, dtsch. Fassung mpz
"Free the Land" - Knastkampf in den USA, USA 1990, 54 Min. Farbe, nur Originalfassung
Spiegelbesetzung, Stadtjournal, mpz 1981, 40 Min. s/w
Framing the Panthers, USA 190, 30 Min. Farbe, dtsch. Fassung mpz
Resistance Conspiracy (politische Gefangene in den USA), USA 1990, 42 Min. Farbe, nur Originalfassung
Assata Shakur - Guillermo (Interview), USA 1990, 23 Min. Farbe, nur Originalfassung
Wir verleihen überwiegend regional (Hamburg), weil wir den direkten Kontakt und Diskussion mit den NutzerInnen wollen, außerdem haben auch die meisten anderen Medienzentren in der BRD diese Produktionen.
Medienpädagogik Zentrum e.V.
Susannenstraße 14 c,d, 20357 Hamburg, Telefon: 0 40/ 4 39 72 59, Montag bis Donnerstag 18.00 bis 19.00 Uhr
PRESSEERKLÄRUNG
von Familienangehörigen politischer Gefangener in Chile
Die Familienangehörigen der politischen Gefangenen informieren hiermit die Öffentlichkeit, daß die politischen Gefangenen des Hochsicherheitsgefängnisses einen Hungerstreik ab dem 1. Mai 1996, 0.00h beginnen, aufgrund der unerträglichen inneren Zustände und der extremen Isolation, denen die Gefangenen ausgesetzt sind.
Dieses System, das die physische und psychische Gesundheit der politischen Gefangenen angreift, wurde wiederholt von nationalen und internationalen Organisationen angezeigt und dies kürzlich von dem Berichterstatter der Vereinten Nationen Nigel Rodley bekräftigt, der bescheinigt, daß "die Errichtung von Hochsicherheitsgefängnissen psychischen Schaden an den inhaftierten Menschen produziert".
Diese Mobilisierung, die am 8. April mit dem Nicht-Erscheinen vor dem Gericht und vor der Militärstaatsanwaltschaft begonnen hat - weswegen 11 Gefangene bestraft wurden - ist das Ergebnis einer langen Periode von Anfeindungen, Quälereien und Verletzungen der Würde der Gefangenen und versteht sich als Ablehnung an die negative, parteiliche und repressive Einstellung, die die Herrschenden aus Regierung und Polizeiapparat den Bitten und Petitionen des Gefangenenkollektivs entgegenbringen.
Wir fordern:
Sofortige Aufhebung der Bestrafung der 11 Gefangenen
ausgedehnte Besuchsmöglichkeiten in bezug auf Freunde und indirekte Familienmitglieder
Angemessene und würdige Besuchsräume
angemessene Versorgung mit FachärztInnen und jederzeite Möglichkeit von Sprechstunden
Überführung der weiblichen politischen Gefangenen vom Männerknast San Miguel zu einem würdigen Ort
Schluß mit der dauernden Provokation und der Bestrafung unser eingeknasteten Familienangehörigen
FREIHEIT UND WÜRDE FÜR DIE POLITISCHEN GEFANGENEN!!!
SCHLUß MIT DEN HOCHSICHERHEITSGEFÄNGNISSEN!!!!!
Familienangehörige der politischen Gefangenen
Santiago de Chile, 29 April 1996
Sunny Chobeka-Sepe Gokee ist eine Indianerin, die für Indianer im Gefängnis eine Zeitung macht.
Von den Inhaftierten wird diese Zeitung mit Zeichnungen, Gedichten und einer (oder manchmal mehreren) Briefmarke bezahlt.
Natürlich kann so keine Zeitung existieren! Aber Sunny versucht mit aller Kraft, diese besonders liebenswerte Zeitung zu erhalten. Nicht nur, daß die Zeichnungen und Gedichte dort erscheinen, sondern das Wichtigste ist, daß, wenn einer in ernsthafte Probleme kommt, Sunny jeden informiert und bittet, durch Karten oder Briefe zu helfen. Karten z.B., wenn einer sehr krank ist, und Briefe, wenn Protestschreiben an das Gefängnis angesagt sind.
Sunny braucht dringend die Hilfe von Nicht-Inhaftierten, die diese Zeitung für 15 Dollar ein Jahr lang erhalten möchten. 15 Dollar für Europa. Wer helfen möchte, diese ganz besondere Zeitung zu unterstützen, braucht nur die 15 Dollar an
Sunny Chobeka-Sepe Gokee, P.O.Box 386, Athol, Ma. 01331, USA
in einen Briefumschlag zu stecken. Bald darauf kommt schon die Zeitung! Bitte fragt jeden, den Ihr kennt! Diese Zeitung ist es schon in ihrer Einzigartigkeit wert!
Wer Indianern im Gefängnis schreiben möchte, dürfte von dem kleinen Heft "Indianer im Gefängnis" sehr begeistert sein, das die Belgierin Ria Verjauw vor einer Zeit herausgebracht hat.
Sie hat in ihrer deutlichen, kurzen Schilderung der Philosophie, Lebensumstände von Indianern und dem Strafrechtssystem in den USA ganze Arbeit geleistet. Sehr empfehlenswert! Erhältlich für DM 5,- plus 1,50 DM Versandkosten bei:
Erwin Bauereiss, Markgrafenstr. 21, 91438 Bad Windsheim
In dem Heft wird auch der Fall des Indianers Kermit Redeagle-Belgarde geschildert, der stets noch im Gefängnis ist und von AIM als politischer Gefangener anerkannt ist. Um seine Anwaltskosten zu bezahlen, hofft er auf Geld durch den Verkauf der Zeitung "Shattered Spirits", die er mit Ria Verjauw zusammen macht.
Für 45,- DM per Jahr incl. Porto (Einzelhefte 8,- DM) ist sei bei
Anna Eckner, Kölner Weg 33, 50259 Pulheim
erhältlich.
Für weitere Informationen: Marion Wollersheim, Buitensingel 122, 9883 SL Oldehove, Nederland
and all Indigenous Peoples 1996Wir laden ein, am Freedom Run '96 als einer Aktion zur Unterstützung des in den USA aus politischen Gründen gefangengehaltenen Indianers Leonard Peltier und des weltweiten Kampfes der Ureinwohnervölker teilzunehmen. Bei diesem Lauf geht es um die Einhaltung von Menschenrechten, den Kampf gegen Rassismus und Kolonialismus, die Unterstützung der Anti-Atombewegung, den Schutz der natürlichen Umwelt, die Verbindung mit der Erde und den Respekt für kulturelle und religiöse Unterschiede.
Paris-Bruxelles-Bonn-Zdieszowice-Oswiecim (Auschwitz)-Krakow-Martin-Bratislava-Wien-Brno-Praha-Ceske Budejovice-Regensburg-Ellwangen-Heidelberg-Strasbourg-Freiburg-Stuttgart-Konstanz-Zürich-Bern-Lausanne-Nyon-Geneve
Nach 5 Jahrhunderten der Landnahme, von Mord und Unterdrückung, kämpfen die Ureinwohner Amerikas immer noch für Gerechtigkeit und Überleben in unserer Zeit. Leonard Peltier, ein Anishinabe-Lakota, einer der Führer der Amerikanischen Indianerbewegung (AIM), ist ein Symbol dieses Widerstands.
Peltier ist seit 20 Jahren in den USA eingesperrt. Er wurde des Mordes an zwei FBI-Agenten schuldig gesprochen, obwohl die Gerichte ihm nie eine Schuld daran nachweisen konnten. Vor den Gerichten hatte sich erwiesen, daß das FBI Beweismittel gefälscht, Zeugen eingeschüchtert und wichtiges Beweismaterial zur Entlastung Peltiers zurückgehalten hat, um eine Verurteilung herbeizuführen.
Peltiers Fall ist einer von vielen Fällen, in denen Regierungen versuchen, Bürgerrechtsbewegungen zu zerstören, indem sie deren Führer/innen inhaftieren. AIM hatte das Dorf Wounded Knee in Süd-Dakota, USA, 1973 besetzt, um gegen den Ausverkauf der heiligen Schwarzen Berge der Lakota Nation an Kohle- und Urangesellschaften zu protestieren. Außerdem verteidigten sie sich selbst gegen den Unterdrückungsapparat der von der US-Regierung protegierten Marionetten-Stammesregierung, die auf ungesetzliche Weise die "Verfolgung" von AIM-Angehörigen und traditionellen Lakota vornahm, weil diese das Recht auf Selbstbestimmung von der US-Regierung forderten. Wegen dieser Aktivitäten für die Bürgerrechte der Amerikanischen Indianer wurden Peltier, wie viele andere Mitglieder der AIM, oder Organisationen wie die Black Panther Partei zum Ziel des Counter Intelligence Programm des FBI, eines Programms zur politischen Unterwanderung dieser Organisationen und zur Änderung des politischen Willens ihrer Mitglieder (Gehirnwäsche).
In seiner Zelle in Leavenworth, Kansas, ist Peltier auch heute noch ein aktives Mitglied der AIM. Er hat bis jetzt alle juristischen Möglichkeiten, eine neuen und fairen Prozeß zu bekommen, ausgeschöpft. Die einzige Chance für seine Freiheit besteht jetzt darin, eine Begnadigung durch den Präsidenten der USA zu erreichen. (...) Mit diesem Lauf wollen wir die Unterstützung für seine Freiheit verstärken und Aufmerksamkeit auf dieses Fall sowie auf den Kampf der Ureinwohnervölker erregen, die immer noch Verfolgung, Mord und Gefängnisstrafen ausgesetzt sind, weil sie Widerstand gegen die Kolonialisierung durch Regierungen leisten und um ihr Überleben kämpfen.
Indigene Völker sind die ursprünglichen Eigentümer des Landes, auf dem sie traditionellerweise leben. Sie haben ihre Kulturen und ihre Bindungen zu ihrem Land seit undenklichen Zeiten aufrechterhalten. Weltweit wurden indigene Völker zu Opfern von physischem und kulturellem Völkermord sowie der Erforschung des Landes durch "Entdecker" oder der Ausweitung der Bevölkerungen und ihrer Regierungen. Trotz jahrhundertelanger Ausrottung leben heute über 300 Millionen Angehörige indigener Völker auf allen fünf Kontinenten.
Regierungen verweigern indigenen Völkern das Recht auf ihr Land, die Kontrolle ihrer Bodenschätze, das Recht auf Selbstbestimmung und das Recht auf Ausübung ihrer Kultur und ihre religiöse Freiheit. In ihrem Bemühen um die Absicherung der internationalen Anerkennung ihrer Rechte kämpfen heute indigene Völker auch innerhalb der Vereinten Nationen. Die UNO hat die Dekade für Indigene Völker: 1995 - 2004 zur Förderung der Anerkennung indigener Völker ausgerufen.
Als eine Aktion unter dem Thema dieser Dekade wurde der Lauf organisiert, um eine Plattform zur Information und Konfrontation europäischer Regierungen und Körperschaften zu bieten, die einen Einfluß auf die Zerstörung des Landes indigener Völker haben, und sie mit den Forderungen der indigenen Völker bekanntzumachen. Nur durch anhaltenden politischen Druck und öffentliche Aufmerksamkeit werden Regierungen angehalten, auf die Einhaltung der Rechte indigener Völker zu achten. Deshalb ist die Unterstützung durch die Öffentlichkeit kleinerer politischer Einheiten wie Stadtparlamenten wichtig. Ebenso ist es eine Absicht des Laufes, sich an das Parlament in Brüssel und die Vereinten Nationen in Genf zu wenden.
Repräsentanten aller indigenen Völker sind eingeladen, an diesem Lauf teilzunehmen, über ihre Situation zu informieren und ihre Forderungen den politischen Repräsentanten Europas vorzutragen. (...) Im Ergebnis der Begegnungen und Veranstaltungen während des Laufs hoffen wir eine umfassende Sammlung von Unterschriften und Erklärungen der besuchten Stadtparlamente zusammentragen zu können. Diese Sammlung wird dann dem Präsidenten der UN-Menschenrechtskommission und der Vorsitzenden der UN-Arbeitsgruppe für Indigene Völker in Genf nach Beendigung des Laufs übergeben. Organisationen und Einzelpersonen, die indigene Völker unterstützen, werden aufgerufen, bei der Organisation des Projekts zu helfen.
Traditionellerweise wurden Läufe von indigenen Völkern durchgeführt, um Botschaften von Ort zu Ort zu bringen. So bekamen Läufe eine heilige Bedeutung, und in Nordamerika wurden an der Stafette Adlerfedern getragen, die die Läufer/innen schützen sollten und sie an den Zweck ihres Laufes ständig erinnerten. Es wird ständig ein geistiger Führer oder Ältester für den Lauf mitverantwortlich sein. Zu Beginn und am Ende des Laufes werden Zeremonien abgehalten, jeder Tag wird mit traditionellen Gesängen und Trommeln abgeschlossen.
Der Lauf wird organisiert, um die politischen Forderungen der indigenen Völker den politischen Repräsentanten Europas und der europäischen Öffentlichkeit vorzustellen. Während eine Gruppe der Läufer die Strecke von Stadt zu Stadt bewältigt, wird eine Gruppe von indigenen Vertretern mit gesonderten Fahrzeugen bei Stadtparlamenten vorsprechen und öffentliche Versammlungen besuchen. Die Delegierten werden ihre politischen Forderungen den Politikern aller Städte vortragen und um Unterstützung für ihren besonderen Kampf und die Forderung nach Freiheit für Leonard Peltier bitten. Jeden Abend werden die Läufer/innen und die Delegierten in den Städten, in denen sie sich aufhalten, wieder zusammentreffen. Öffentliche Veranstaltungen werden dann zusammen abgehalten. Örtliche Unterstützungsgruppen werden Übernachtung und Verpflegung bereitstellen. Jeder ist willkommen, am Run teilzunehmen. Er wird als Karawane am 19. Juni 1996 mit der Teilnahme der indigenen Delegierten an der UNESCO-Konferenz zu Indigenen Völkern in Paris beginnen. Diese Karawane wird dann vom 22. Bis 25. Juni 1996 nach Brüssel führen, wo Gespräche mit den Abgeordneten des Europaparlaments geplant sind. Anschließend führt die Karawane vom 26. bis 28. Juni 1996 nach Bonn, wo Gespräche mit deutschen Parlamentariern folgen sollen. Danach treffen sich alle Teilnehmer/innen in Polen, von wo aus der Lauf am 1. Juli 1996 offiziell beginnen soll. Der Lauf wird am ersten Tag nach Oswiecim (Auschwitz) führen. Von dort führt er über Krakow in die Slowakei und über Österreich, Tschechien, Deutschland und Frankreich in die Schweiz, wo er am 24. Juli 1996 am Sitz der UN in Genf enden wird. Einzelheiten sind dem Ablaufplan beim internationalen Koordinationsbüro zu entnehmen.
Man kann am Lauf als Läufer/in, Helfer/in, Fahrer/in, Dolmetscher/in, medizinische/r Helfer/in, Arzt, Ärztin, Musiker/in, Künstler/in oder örtliche/r Helfer(in teilnehmen. Ebenso können Einzelpersonen, Organisationen usw. Den Lauf finanziell, materiell und/oder mit der Bereitstellung von Fahrzeugen sowie mit dem persönlichen Sponsoring eines/er Läufers/in unterstützen. Jeder ist willkommen, am Lauf teilzunehmen, auch wenn sie/er nicht selbst mitlaufen kann.. (...)
Während de Laufs ist für Teilnehmer/innen der Konsum von Alkohol oder die Einnahme von Drogen verboten.
Wenn Ihr Euch beteiligen wollt, müßt Ihr Euch bis zum 31. Mai 1996 registrieren lassen! Für alle, die sich an der polnischen Route beteiligen wollen, wendet Euch an Bernd:
Arbeitskreis Indianer heute e.V., c/o Bernd Damisch, Mühlstr. 15, D-08491 Netzschkau, Tel/Fax 00 49 37 65 / 3 47 86
Für die Pariser Route ist zuständig:
Katrin Kraft, Friedensweg 7B, 12307 Berlin, Tel. 0 30 / 7 45 15 01 (gekürzt)
Der frühere stellvertretende Verteidigungsminister der Black Panther Party und politische Langzeitgefangene Geronimo ji jaga (ne pratt) wurde erneut von der Regierung Kaliforniens angegriffen. Durch eine wiederholte Ablehnung seiner vorzeitigen Entlassung.
Geronimo war, wie durch Dokumente zu belegen ist, eine Zielscheibe der infamen COINTELPRO-Operation (Bekämpfungsprogramm des Schwarzen und anderen Widerstandes in den USA), die vom FBI durchgeführt wurde. Obwohl deren Unterlagen und Agenten seine absolute Unschuld bestätigen, wird er nunmehr seit einem Vierteljahrhundert in Verliesen der Regierung gefangengehalten.
Seit Mitte - Ende der 60er Jahre beschnüffelte das FBI, angetrieben von den Behauptungen des späten J.E. Hoover über die Black-Panther-"Gefahr" für die amerikanische Republik, die Absätze jedes Panthers, der einige Bedeutung hatte.
Geronimo war ein hochrangige Mitglied des Verteidigungsministeriums, war bedeutender als die meisten andere. Deswegen wurden seine Telefone angezapft, und bezahlte Regierungsinformanten gaben Berichte über seine Handlungen ab.
Regierungsoffizielle schworen, daß Geronimo und ein anderer Mann 1968 in Santa Monica eine weiße Lehrerin ermordet hätten.
Da gab es nur ein Problem.
Das FBI wußte, basierend auf Abhörungen, Agenten und Informanten, daß sich Geronimo am Tage und zur Zeit des Mordes in Oakland, Californien befand, einige 300 Meilen entfernt von der Szene des Mordes, und daß er deshalb unschuldig ist.
Der pensionierte FBI-Agent Wes Swearington schwor, daß er den FBI-Fall-Beamten von Geronimo sagen hörte: "Dieser Hurensohn war in Oakland!"
Als Swearington nach den Unterlagen suchte, fand er etwas, das er in seiner 25jährigen Laufbahn noch nie gesehen hatte: fehlende Unterlagen! Jemand hatte die Unterlagen "gesäubert".
Eine von Geronimos JurorInnen, Jeanne Hamilton, sprach auf bewegende Weise von der Wichtigkeit der Rolle der Regierung bezüglich der Weichenstellung für den Mann, den sie lebenslänglich ins Gefängnis schickte:
"Niemals sprachen wir in unseren Diskussionen jemals über das FBI. Wir hatten keine Ahnung, daß es darin verwickelt war ... Die Jury wurde niemals darüber informiert, daß Mr. Olsen (der Ehemann des Opfers) zuvor drei andere Personen identifiziert hatte (aus einer Anzahl von Verdächtigen). Die Jury wurde nicht darüber informiert, daß das FBI ein COINTELPRO-Programm laufen hatte und damit auf Mr. Pratt zwecks "Neutralisierung" zielte. Die Jury wurde nicht darüber informiert, daß das FBI die Hauptquartiere der Black Panther in Oakland und Los Angeles abgehört und den Beweis dokumentiert hatte, daß Mr. Pratt zu dieser Zeit in Oakland war. Die Jury wurde nicht darüber informiert, daß die FBI-Aktivitäten einen Bruch in der Black Panther Party bewirkt hatten, der darin resultierte, daß es Mitgliedern verboten war, zu Mr. Pratts Verteidigung zu erscheinen. Und schließlich wurde die Jury nicht darüber informiert, daß Julius Butler) der Schlüsselzeuge des Staates gegen Geronimo) ein FBI-Informant war. Wenn wir von diesen Fakten gewußt hätten, da gibt es keinen Zweifel in mir, wären wir nicht zu einem Schuldspruch gekommen." (So gesagt auf einer Pressekonferenz am 26.2.1996)
Der Staat, sich wie eine Super-Jury verhaltend, tut etwas, was eine Jury in erster Linie nie hätte tun dürfen - einen unschuldigen Mann lebenslang einsperren.
Wir alle müssen das unserem Level entsprechende Beste tun, um diese riesige Ungerechtigkeit zu berichtigen: Laßt uns daran arbeiten, die Bewegung zu verbreitern - FREIHEIT FÜR GERONIMO JETZT!
Mumia Abu-Jamal, 20.3.1996
* Geronimo ji jaga wartet gegenwärtig auf eine neue Anhörung vor dem Obersten Gerichtshof Californiens bezüglich der Aufnahme eines neuen Verfahrens.
(Den Artikel schickte uns übersetzt das Unterstützungskomitee Mumia Abu-Jamal, c/o Infoladen, Werderstr. 8, 65195 Wiesbaden